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FREISEIN: Taiwan, Vietnam, Laos: Reisen bedeutet Freisein
FREISEIN: Taiwan, Vietnam, Laos: Reisen bedeutet Freisein
FREISEIN: Taiwan, Vietnam, Laos: Reisen bedeutet Freisein
eBook513 Seiten4 Stunden

FREISEIN: Taiwan, Vietnam, Laos: Reisen bedeutet Freisein

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Über dieses E-Book

Drei Monate lang mit dem Rucksack durch Asien.

Auf der ersten Etappe trifft die Weltenbummlerin Miriam auf eine alte Freundin, die sie vor vielen Jahren bei einer Couchsurfing-Übernachtung kennengelernt hat. Gemeinsam mit ihr erkundet sie Taiwan, begegnet dabei bunten Drachen, entdeckt beeindruckende Tempel, und bekommt trotz kuriosem Essen zunehmend Appetit – Appetit auf Abenteuer und fremde Kulturen.

Sie ist ›low budget‹ unterwegs, zieht während des chinesischen Neujahrs weiter nach Vietnam, gewinnt neue Eindrücke und Erkenntnisse, doch obwohl sie schon auf jedem Kontinent dieser Welt war, kommen immer wieder Zweifel auf. Vor allem die Sprachbarriere fordert sie heraus.

Nach und nach verliebt sie sich in Vietnam, und gerade, als das Reisen in diesem Land einfacher wird, geht es weiter nach Laos. Dort strebt sie an, als freiwillige Helferin bei einer Rettungsstation für Elefanten mitzuwirken. Doch an dem Grenzübergang verkehren keine Busse. Wie nur soll sie in das Landesinnere kommen?

Ihr Blick richtet sich auf die Ladefläche eines Pick-ups. Ist das Miriams Chance, in die tiefprägende Geschichte von Laos einzutauchen?
SpracheDeutsch
HerausgeberFreisein
Erscheinungsdatum25. Mai 2023
ISBN9783982550121
FREISEIN: Taiwan, Vietnam, Laos: Reisen bedeutet Freisein

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    Buchvorschau

    FREISEIN - Miriam Boettcher

    Taiwan

    Silvester über den Wolken

    Nach einer unruhigen Nacht in einem Flughafenhotel in Frankfurt riss mich mein Wecker am Morgen um 8.15 Uhr aus meinem bereits halb wachen Zustand. Ich hätte schon sehr viel früher aufstehen müssen, doch ich leide an einem sogenannten »Spätaufstehersyndrom«, das bereits bei meinen vergangenen Reisen in Bezug auf frühe Abflugzeiten für brenzlige Situationen gesorgt hat.

    Andererseits hat mich dieses Dilemma über die Jahre hinweg zu einem wahren Organisationstalent gemacht! Schon am vorherigen Abend hatte ich Schlüpfer und Socken perfekt positioniert parat gelegt, sodass ich an diesem Morgen nur danach greifen musste, während ich todmüde – wie eine über Fäden gesteuerte Marionette – in das weiß geflieste Badezimmer stolperte. Dort putzte ich mir mit verschlafenen Augen die Zähne und kämmte meine verzottelten Haare zurecht.

    Währenddessen versuchte ich, an nichts zu denken, innerlich brodelte ich vor Nervosität. Zwar verreise ich für mein Leben gern, doch das heißt nicht, dass ich mich beim Fliegen wie ein Glücksbärchi im Wolkenland fühle. Ich hasse Fliegen!

    Das erste Ziel meines dreimonatigen Trips lag aber nun mal über 9.000 Kilometer von Deutschland entfernt, also kam ich wohl oder übel nicht ums Fliegen herum. Ich heiße eben nicht Christopher Schacht¹! (zwinkert)

    Etwas frisch gemacht und die Schuhe übergezogen, stand ich im Nu mit meinem viel zu schweren Backpackerrucksack im Gang des dritten Hotelstocks, wo ich unter hausgemachtem Zeitdruck pausenlos den Knopf des Aufzugs drückte, der folglich völlig entgeistert aus dem Erdgeschoss »Ist ja gut, ich komme ja!« nach oben gerufen hätte, hätte er eine Stimme besessen.

    Die empfohlene Ankunftszeit am Check-in-Schalter der Airline war mit drei Stunden vor Abflug angegeben. Meinem um 10.40 Uhr startenden Flug nach Taiwan zufolge wäre eine optimale Ankunftszeit demnach um 7.40 Uhr gewesen. Viel zu früh für eine Langschläferin wie mich, die zu so einer unmenschlichen Uhrzeit unter demselben körperlichen Unwohlsein leidet, wie es ein Warzenschwein in der Savanne täte, dem sein Schlammbad verwehrt würde.

    Ziemlich stark litt auch der Knopf des Aufzugs, den ich noch immer quälte, doch ich hatte es nun mal eilig! Nachdem sich die Schiebetüren endlich öffneten, hievte ich meinen Rucksack hinein, ließ mich von dem griesgrämigen Aufzug ins Erdgeschoss befördern und legte meine Zimmerkarte an der Rezeption ab. Dann schlug es 8.30 Uhr, Boardingzeit war um 9.40 Uhr!

    Theoretisch hätte mir nach dem zehnminütigen Fußweg vom Hotel zum Flughafen genau eine Stunde bleiben sollen, um meine Boardingkarte am Schalter abzuholen, mein Gepäck abzugeben, durch die Sicherheitskontrolle zu gehen, das Abfluggate zu suchen und – ganz wichtig – eine Flasche Wasser zu kaufen. Getränke werden im Flugzeug erst in der Luft verteilt, ich bekomme an Bord aufgrund meiner Übelkeit beim Fliegen jedoch regelrechte Panikattacken und benötige eine Flasche Wasser so dringend wie Gollum seinen Ring.

    Dass eine so zartbesaitete Person wie ich in der großen weiten Welt ganz allein zurechtkommt, erscheint selbst mir hin und wieder paradox. Man könnte meinen, es seien nur die robusten Menschen, die sich einen Rucksack schnappen und damit losziehen. Jene, die einfach überall schlafen können, kilometerweit wandern und locker ohne die Hilfe anderer auskommen.

    In der freien Wildbahn stirbt bekanntlich der Schwächste zuerst. Das lahme Gnu wäre ganz sicher ich! Dennoch gelingt mir das Bereisen dieser Welt auf irgendeine Weise, sonst hätten all meine vorherigen Trips wohl niemals stattgefunden. Ich komme immer irgendwie durch, auch wenn ich weder überall problemlos schlafen noch endlos weit wandern kann, und ohne die Hilfe anderer wäre ich schon so manches Mal verloren gewesen!

    Es geht beim Reisen nicht darum, zäh zu sein – und damit möchte ich jedem Mut machen, der schon lange von einer Reise träumt. Es braucht für große Träume nur eine Sache: Leidenschaft! Mich persönlich treibt diese trotz all meiner Marotten von ganz allein dazu, meine Grenzen zu überschreiten, denn das Resultat sind unvergessliche Erfahrungen! Nichts auf diesem Planeten erfüllt mich mit mehr Glückseligkeit, als meinen Rucksack zu packen und mich auf einen anderen Kontinent zu begeben, fernab von zu Hause, auf einer Reise ins Ungewisse. Es ist, als würde gleichzeitig mit dem ersten Windhauch, der in einem fremden Land meine Haut berührt, ein riesengroßer Konfettiballon zerplatzen und mich in ein Meer aus Farben hüllen. Schlagartig entsteht in mir ein Gefühl von grenzenloser Freiheit, für das ich fast jede Herausforderung auf mich nehmen würde – sogar frühes Aufstehen.

    Als ich um 8.40 Uhr schnaufend am Check-in-Schalter des Flughafengebäudes ankam, bekam ich, was ich verdiente. Um das zu erläutern, muss ich ein bisschen zurückspulen.

    Bei der Buchung meines Flugs vor einigen Wochen wollte ich mir im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer in Taiwan alle Türen offenhalten, also hatte ich eine essenzielle Sache ignoriert, die es bei einer Reise dorthin zu beachten gab. Um in Taiwan einreisen zu dürfen, muss am Flughafen ein Ausreiseticket vorgewiesen werden² – zumindest hatte ich das so angenommen. Immerhin kannte ich diese Prozedur bereits von anderen Ländern, die sich dieselbe Maßnahme zu eigen machten. Mit der Forderung eines Ausreisetickets wird belegt, dass man nicht nur in ein Land einreist, sondern auch wieder ausreist. Damit wird sichergestellt, dass sich Touristen nicht auf ewig einnisten.

    Wenn ich eine Reise antrete, weiß ich jedoch oft nicht, wann es mich wohin verschlagen wird. Das macht mich zu einem großen Fan von One-Way-Tickets! Über kein Ausreiseticket zu verfügen, schafft Freiheit und Unabhängigkeit – zwei meiner liebsten Begriffe im deutschen Wortschatz. Es geht aber auch mit der Gefahr einher, in ein Land nicht einreisen zu dürfen.

    Dennoch habe ich in der Vergangenheit stets darauf verzichtet und bin stattdessen frei Schnauze losgezogen. Meine Einreisen in andere Länder waren demnach nicht immer ganz hürdenfrei, hereingelassen wurde ich aber immer; einmal sogar ohne originalen Reisepass, weil ich Dummerchen ihn zu Hause vergessen hatte. Meine Tollpatschigkeit wird mich wohl bis an mein Lebensende begleiten, aber solange Eichhörnchen Jahr für Jahr vergessen, wo sie ihre Nüsse für den Winter versteckt haben, stehe ich auf der Vergesslichkeitsskala noch ganz gut da.

    Dass man für eine Reise nach Taiwan bereits am deutschen Flughafen ein Ausreiseticket vorweisen muss, traf mich an diesem Morgen wie ein Schlag! Meine Zeitplanung bis zu dem Abflug war exakt getaktet und – zugegeben – viel zu knapp kalkuliert. Ich hatte ja fest damit gerechnet, mit dem Thema »Ausreiseticket« erst in Taiwan konfrontiert zu werden. Dort hätte ich mich durch einen unschuldigen Hundeblick oder eine Verwicklung in ein Gespräch vielleicht irgendwie durchmogeln können. Bislang hatte ich mit Grenzbeamten immer Glück, weil sie meist nicht allzu streng waren.

    Mit einem von ihnen hatte ich sogar mal eine Debatte über deutsche Currywürste, was meine Einreise mehr oder weniger zur Nebensache hatte werden lassen. Das Gespräch mit diesem Grenzbeamten war damals so zeitintensiv, dass selbst mein Reisepass irgendwann ungeduldig geworden war und kurzerhand selbst die Initiative ergriffen hatte, sich den Einreisestempel zu verpassen.

    Na gut, ganz so leicht kommt man natürlich nicht überall davon! Ich erinnere mich auch noch daran, wie mein Mann und ich vor einigen Jahren von Mexiko aus auf die Bahamas geflogen waren, ohne auch nur eine einzige Übernachtung auf den Inseln gebucht zu haben, weil wir nach einer bereits zwölfmonatigen Reise praktisch pleite waren. Unser einziges Ass im Ärmel war unsere Spekulation darauf, auf den Bahamas bei Couchsurfing-Gastgebern³ übernachten zu können, wie wir das auch in den vergangenen Monaten getan hatten. Als wir auf der Hauptinsel Nassau gelandet waren, hatte der Grenzbeamte am Einreiseschalter jedoch ganz unerwartet einen Nachweis gefordert. Dabei ging es nicht etwa um ein Ausreiseticket – das hatten wir sowieso nicht –, sondern eine Reservierungsbestätigung für gebuchte Hotelübernachtungen – die wir ebenfalls nicht hatten.

    Damals hatte ich – was das Stichwort »Reisen« angeht – noch in den Kinderschuhen gesteckt und war mit meiner lockeren Lebenseinstellung blauäugig genug, dem bahamaischen Grenzbeamten unter die Nase zu reiben, dass mein Mann und ich auf den Bahamas alles auf uns zukommen lassen wollten und demnach nichts gebucht hatten. Zum Glück hatte der Grenzbeamte darauf relativ gelassen reagiert: »Das ist ja wunderbar! Dann geht und fliegt, meine Vögelchen, und genießt eure Zeit auf den wunderschönen Bahamas!«

    Natürlich hat er das nicht! In Wirklichkeit wäre uns um ein Haar die Einreise verweigert worden, hätte ich nicht zuvor Kontakt zu einem Couchsurfing-Gastgeber aufgenommen, der uns durch ein Telefonat mit dem Grenzbeamten im wahrsten Sinne den Allerwertesten gerettet hat.

    Für meine Taiwanreise wollte ich so ein Risiko nicht noch einmal eingehen, ich wollte mich durch die Buchung eines Ausreisetickets aber auch nicht an einen festen Abreisetag aus Taiwan binden. Es blieb mir allerdings nicht viel übrig, denn die Dame am Check-in-Schalter in Deutschland anzuschwindeln, kam für mich nicht infrage. Das liegt einfach nicht in meiner Natur. Was für eine Moral ist es denn bitte, sich mit Lügen durchs Leben zu schlagen?

    Mich aus der Sache herauszureden, versuchte ich natürlich dennoch, mein Gefasel war der Dame jedoch schnurzpiepegal. Ohne Vorzeigen eines Ausreisetickets keine Genehmigung, in den Flieger nach Taiwan zu steigen!

    Da ich keine der Sorte Backpackerin bin, die für solche Fälle ein gefälschtes Ausreiseticket in der Tasche hat – da würde ich mir vor Angst eines Auffliegens womöglich in die Hose machen –, lief alles darauf hinaus, eine echte Flugbuchung vorzunehmen.

    Nur noch vierzig Minuten waren bis zum Boarding übrig und ich hatte noch nicht einmal eine Boardingkarte in der Hand. Wie gut, dass ich einen Plan B hatte! Grundsätzlich hätte ich mir zwar gerne offengehalten, wie lang ich in Taiwan bleibe, aber diese Option war dahin. Die Hauptsache war nun, dass ich überhaupt dorthin kam!

    Nachdem mir die Dame am Check-in-Schalter auf das Vorzeigen meines frisch gebuchten Ausreisetickets hin endlich meine Boardingkarte ausgestellt hatte und sich mein großer Rucksack auf dem Gepäckband auf seine unvorhersehbare Reise begab, war mein nächster Stopp die Sicherheitskontrolle. Mich brav in die Schlange mit den wenigsten alten Menschen und Familien einreihend, warf ich erneut einen angespannten Blick auf die Uhr. Glücklicherweise ging die Kontrolle verhältnismäßig flott über die Bühne, sodass ich es – wie durch ein Wunder – auf die Minute genau zu meinem Abfluggate schaffte, und da zum Einsteigen sowieso erst mal die Fluggäste mit Sonderstatus⁴ an der Reihe waren, konnte ich es zeitlich sogar noch einbauen, mir eine Flasche Wasser zu besorgen.

    Etwas zerzaust, aber pünktlich betrat ich mit den letzten Passagieren das Flugzeug. Dabei wurden die Personen vor und hinter mir von der Crew mit einem breiten Lächeln auf Chinesisch begrüßt: »你好!« (Hallo!, Aussprache: ni hao)⁵, sagten die Flugbegleiter freundlich zu jedem einzelnen Passagier, der an ihnen vorbeiging.

    Aber Vorsicht, nur weil man in Taiwan Chinesisch bzw. Mandarin spricht, sollte man die Insel noch lange nicht mit dem chinesischen Festland gleichsetzen, denn zwischen Taiwan und China herrscht ein nicht enden wollender Konflikt. Die Frage, ob Taiwan ein eigenständiges Land ist oder doch zu dem Riesen China gehört, ist eine ziemlich schwammige Angelegenheit. Geht man von der Ansicht des viertgrößten Landes der Welt aus, ist die kleine Insel Taiwan ein Teil von ihm. Viele Taiwaner sehen das hingegen vollkommen anders und bezeichnen ihre Heimat als autonom.

    Ich habe früher nie begriffen, warum es keine eindeutige Anzahl Länder auf dieser Welt gibt. Sind es nun 193, 194 oder doch 195? Die Zahl lässt sich aufgrund genau solcher Unstimmigkeiten wie denen zwischen China und Taiwan nicht festlegen.

    Es war Dezember – der 31., um genau zu sein. Schon in weniger als zwei Wochen würde in Taiwan die Präsidentenwahl stattfinden und ich würde vor Ort sein! Dass mich das so begeisterte, war verblüffend, wo ich mich doch eher als Politikmuffel bezeichnen würde. Meine jüngsten Recherchen über China und Taiwan waren jedoch so spannend, dass mein Interesse daran überaus groß geworden war!

    Einer der Kandidaten, der für die Wahl im Januar antrat, löste in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit heftige Diskussionen aus. Mit seiner Pro-China-Einstellung war er zweifelsohne für eine Wiedervereinigung mit der – seit dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs – vom Festland abgespaltenen Insel Taiwan.

    Die amtierende Staatspräsidentin dagegen, die 2016 als erste Frau in dem fortschrittlichen Taiwan gewählt worden war, strebte die Unabhängigkeit an. Leider war der Wunsch danach ein zweischneidiges Schwert, denn Taiwan war von der Weltmacht China wirtschaftlich abhängig, was das Streben nach vollkommener Freiheit erschwerte.

    Während China mit seinem »Projekt Goldener Schild⁶« und dem »Sozialkredit-System⁷« – beides sehr interessant zu lesen – als ein Land der totalen Überwachung gilt, setzt sich die taiwanische Regierung mit weltlichen Themen auseinander. Im Mai 2019 war es das erste »Land« Asiens, das die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt hat. Des Weiteren war im November 2019 das Verbot in Kraft getreten, kosmetische Produkte an Tieren zu testen. Beides Erfolge, die mir sehr am Herzen liegen.

    Nun saß ich schon seit ein paar Stunden im Flugzeug. Den zwölfeinhalbstündigen Flug hatte ich noch lange nicht hinter mir, und doch freute ich mich schon jetzt auf die Bekanntschaft mit diesem auf mich äußerst sympathisch wirkenden Inselstaat!

    Ich fragte mich, ob ich mich zur aktuellen Stunde noch immer im alten Jahr befand oder bereits den Sprung in den 1. Januar gemacht hatte. In Deutschland, wo es zeitlich sieben Stunden früher war als in Taiwan, bereitete man sich in diesem Moment noch auf den Jahreswechsel vor. Hier im Flugzeug dagegen …

    Nanu … Soeben poppte auf dem Monitor vor mir eine Nachricht auf: »Sitzplatz 65B möchte mit dir chatten.«

    Wie bitte? Seit wann konnte man in einem Flugzeug denn chatten?

    Und wer saß da überhaupt zwei Reihen weiter?

    Aha, ein junger Kerl! Na, dem erteilte ich über das X auf meinem Monitor direkt mal eine Abfuhr! Meinetwegen hätte da auch Channing Tatum sitzen können, gerade wünschte ich mir niemanden inniger an meiner Seite als meinen geliebten Mann. Unsere letzte Umarmung am Abend zuvor war tränenreich.

    Meinen Mann während meiner Auslandsreisen zu Hause in Deutschland zurückzulassen, war für mich schon immer sehr schmerzhaft. Uns zwei verbindet ein starkes Band. Meine Liebe zum Reisen ist auf der anderen Seite aber so groß, dass ich die Hürde unserer Trennungen immer wieder auf mich nehmen würde, und mein Mann ebenso, denn er liebt mich und will, dass ich glücklich bin, oder, wie er es in seiner charmanten Art ausdrücken würde: »Lieber eine glückliche Frau, die nicht zu Hause ist, als eine unglückliche Frau.«

    Das mag für romantische Menschen schroff klingen, doch es war noch gar nicht allzu lang her, da hatte er mir auf einer Insel im Indischen Ozean einen Antrag gemacht. Ganz schön romantisch, dafür, dass wir beide so gar keine Romantiker sind!

    »Blumen oder Kerzen auf einem Tisch nehmen nur unnötig Platz weg«, ist unsere Devise. Ich hätte es demnach niemals für möglich gehalten, dass wir einander mal barfuß im Sand provisorische Holzringe aus einem Souvenirshop anstecken und uns in privater Zweisamkeit das Ja-Wort geben würden.

    Bis zu unserem Wiedersehen musste ich mich jetzt wohl noch drei Monate gedulden. Drei Monate, die ganz sicher voller Überraschungen und Abenteuer stecken würden! Bislang wusste ich über den Kontinent Asien nur, was ich aus Büchern hatte. »Grüne Reisterrassen, Essstäbchen und Bewohner mit schmalen Augen« wäre wohl die Beschreibung vieler »Langnasen«, wie die Chinesen die Menschen aus der westlichen Welt gerne bezeichnen.

    Chinesen! Das sind doch die Asiaten schlechthin, oder? Aber warum bezeichnen wir Chinesen eigentlich als Asiaten, Iraner und Syrer aber nicht? Die leben doch auch auf dem asiatischen Kontinent!

    Das musste ich wohl noch in Erfahrung bringen. Auf jeden Fall hatten die Asiaten meiner Ansicht nach ein andersartiges Auftreten und noch dazu einen merkwürdigen Humor. Sie gaben mir wahrlich ein Rätsel auf!

    Um mich an unsere kulturellen Unterschiede heranzutasten, hatte ich mich in den letzten Wochen viel mit den verschiedenen Ländern befasst, die ich bereisen wollte. Oftmals hilft es, die Lebensweise anderer Kulturen besser nachzuvollziehen, wenn man einen Blick auf ihre Religion wirft. Christlich geprägte Kulturen sind den meisten westlichen Menschen nicht allzu fremd. Denkt man hingegen an Moslems, Hindus oder Buddhisten, sind die Vorurteile im Kopf sofort da.

    Ich muss gestehen, dass mir über den – in vielen asiatischen Ländern weitverbreiteten – Buddhismus bis vor einiger Zeit nicht mehr geläufig war, als dass er irgendetwas mit gutem und schlechtem Karma zu tun hat. Als ich dann aber einen Artikel eines Reisemagazins las, wurde ich neugierig. Darin ging es um einen Kolumnisten, dem bei seiner Ankunft an einem thailändischen Flughafen ohne sein Wissen die Kreditkarte aus der Tasche gefallen war. Aufmerksam wurde er darauf nur, weil plötzlich ein junger Mann auf ihn zugeeilt kam und ihm diese aufgeregt mit einer leichten Verbeugung überreichte. Daraufhin war der Kolumnist sprachlos, doch so sehr er sich auch bei dem Thai bedankte, dieser bedankte sich bei dem Kolumnisten umso mehr.

    Diese Geschichte löste große Faszination in mir aus und schuf zugleich ein Bewusstsein dafür, welchen Stellenwert gutes Karma für Buddhisten hat. Gutes Tun ist für sie nicht nur eine Phrase, sondern eine Lebenseinstellung. Alles, was man im Leben tut – so glauben die Buddhisten –, hat Folgen. Wer Gutes tut, dem widerfährt Gutes, und umgekehrt.

    Der ewige Kreislauf des Daseins, wie man ihn zum Beispiel aus Indien in Form der Reinkarnation kennt, nennt sich Samsara⁹. Das Ziel eines Buddhisten ist es, diesen Prozess des Wiedergeborenwerdens irgendwann zu beenden. Im Samsara befindet man sich im buddhistischen Glauben aus drei Gründen: Gier, Hass und Verblendung. Erst durch das Erlangen von Einsichten wie Mitgefühl und Weisheit erreicht man nach vielen Leben das Nirwana, das als Austritt aus dem Leidenskreislauf gilt.

    Die Tatsache, dass es beim Buddhismus keine zentrale göttliche Figur gibt, macht ihn einzigartig. Er ist viel eher eine Art Wegweiser als eine Religion, denn in ihm kann keine höhere Macht den Mensch vor Leid schützen, wie das bei anderen Religionen der Fall ist. Der Mensch ist Herr über sein eigenes Schicksal und steht somit an höchster Stelle.

    Für eine Person wie mich, die an Gott glaubt, klingt das einsam. Nichtsdestotrotz war meine Wissbegierde in Bezug auf den Buddhismus groß und ich hoffte, noch viel darüber zu lernen. ›Wenn der Buddhismus aber keine Religion ist und über dem Menschen kein Gott steht, woran glauben Buddhisten dann eigentlich?‹, fragte ich mich.

    Eine kurze und knappe Antwort darauf gibt es wohl nicht. Auf jeden Fall orientieren sich die Buddhisten – wenn auch nicht ausschließlich – an Buddha. ›Aber wer genau ist Buddha überhaupt? Ist das nicht diese gut gelaunte Figur mit dem kugeligen Bauch?‹

    Naja, genau genommen handelt es sich bei dieser Darstellung eher um eine Verwechslung. Wer Buddha wirklich war, zeigt die folgende Geschichte:

    Buddha, der ursprünglich den Namen Siddhartha Gautama trug, war nicht etwa ein Gott, sondern ein Mensch. In Nordindien führte er als Sohn eines Königs im 6. Jahrhundert vor Christus ein sorgloses, behütetes Leben. Sein Vater hielt ihn von jeglichem Leid fern. Er sollte nicht mit Krankheit, Alter und Tod in Berührung kommen. Doch Siddhartha war neugierig auf die Welt außerhalb des Palastes.

    Bei seinem ersten Ausflug begegnete er alten, gebrechlichen Menschen, sah Kranke und sogar einen Toten bei einer Bestattung. Von dem Augenblick an wusste er: Egal, aus welcher gesellschaftlichen Schicht man stammte, ob arm oder reich – jeden Mensch, jedes Lebewesen traf das gleiche Schicksal.

    Als er das Leiden sah, erschien ihm sein eigenes Leben – mit all den Annehmlichkeiten und Freuden im Überfluss – sinnlos und ohne Nutzen. Er wollte einen Weg finden, die Menschen vom Leid zu erlösen, und so verließ Siddhartha mit neunundzwanzig Jahren den königlichen Palast. Er studierte die Methoden berühmter religiöser Lehrer und unterzog sich strengen asketischen¹⁰ Übungen. Doch all das erfüllte ihn nicht und brachte ihn auf seinem Weg nicht weiter, also ging er von da an seinen eigenen Weg auf der Suche nach Erlösung von dem Leid.

    Vom Asketenleben kraftlos und abgemagert setzte er sich unter einen Feigenbaum und ging tief in sich. Er meditierte über die vielen offenen Fragen, auf die er Antworten suchte. Mit fünfunddreißig Jahren erlangte Siddhartha Gautama die vollkommene Erleuchtung und wurde als Buddha – der Erleuchtete – bekannt. Seit dem Tag lehrte er fünfundvierzig Jahre lang Männer und Frauen aller gesellschaftlichen Schichten: Könige und Bauern, Heilige und Räuber, Bettler und Ausgestoßene. Die Kastenordnung¹¹ sowie verschiedene soziale Schichten erkannte er nicht an. Der Buddhismus stand jedem offen, der ihn verstehen und bereitwillig leben wollte.¹²

    Zu Beginn war ich von dem Buddhismus und der Tatsache, dass seine Anhänger nach guten Taten streben, überaus begeistert. Bis ich tiefer grub.

    Der Wunsch nach Vollkommenheit mag ehrenhaft sein, tut man jedoch etwas Schlechtes – und wir Menschen sind nun mal nicht perfekt – oder wurde man gar mit einer Krankheit geboren, hat man in der buddhistischen Gesellschaft häufig keine guten Karten. Gerade, wer an einer Behinderung leidet, wird oft ausgeschlossen. ›Aber wie kann es sein, dass das Streben nach guten Taten und die Ablehnung so nah beieinanderliegen?‹

    Um den Buddhismus zu begreifen – sofern das überhaupt möglich ist –, musste ich noch viel tiefer in die Materie eindringen. Es ist nämlich nicht nur die Lehre Buddhas und die Folge von schlechten Taten, die in diesem Glauben fest verankert sind, sondern auch die Präsenz von Geistern.

    Dass diese durch Häuser spuken, soll oft die Folge eines unnatürlichen Todes sein, beispielsweise nach einem katastrophalen Brand. In so einem Fall irrt die schlagartig dem Leben entrissene Seele umher und in Häusern kann man Stimmen hören. Selbstverständlich möchte niemand einen zornigen Geist in seinem Zuhause haben, also baut man ihm draußen besser ein eigenes Häuschen und schmückt es adäquat, um ihn zu besänftigen. Geisterhäuschen sind in ganz Süd- und Ostasien vorzufinden, doch diese sind nicht das Einzige, was die Geister fordern, so glaubt man. Sie verlangen tägliche Opfergaben, die von Speisen bis hin zu Softdrinks und noch vielem mehr reichen.

    Karte von Oleg Chepurin (Shutterstock, www.behance.net/Jktu21), Google Maps-Kartendaten © 2023 Google

    1»Mit 50 Euro um die Welt: Wie ich mit wenig in der Tasche loszog und als reicher Mensch zurückkam«, adeo Verlag, Holzgerlingen, 2018

    2Achtung, Einreise- und Visumsbestimmungen können sich jederzeit ändern! Aktuelle Informationen bekommt man beim Auswärtigen Amt, www.auswaertiges-amt.de .

    3Couchsurfing bedeutet, einen Schlafplatz in seinen eigenen vier Wänden kostenlos an Reisende zur Verfügung zu stellen oder selbst als Reisender kostenlos bei Einheimischen zu übernachten.

    4Business Class, Familien mit Kindern etc.

    5Das »o« in »ni hao« wird fast verschluckt.

    6Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Projekt_Goldener_Schild

    7Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Sozialkredit-System

    8Merian Magazin Thailand, Ausgabe 04/2019, Hamburg, 2019.

    9Vgl. de.wikipedia.org/wiki/Samsara

    10 Ein Asket verzichtet auf all das, was nicht lebensnotwendig ist.

    11 Die Kastenordnung ist die Einteilung einer Gesellschaft in bestimmte Schichten.

    12 Vgl. hierzu www.der-buddhismus.de/buddhismus-wer-war-buddha – Stand: 01.03.2023.

    Katzen in Astronautenoutfits?

    Als ich mit schmerzendem Hintern nach dem langen Flug in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh (台北, Aussprache: Taibäi) landete, war es Neujahr, der 1. Januar, 6.00 Uhr Ortszeit. In meinem Heimatland war noch immer der 31. Dezember, 23.00 Uhr. Ich konnte es vielleicht noch schaffen, meine Liebsten zu Hause anzurufen. Erst mal musste ich aber aus diesem Flugzeug raus!

    Erwartungsvoll blickte ich in den vorderen Teil der Maschine und hoffte, dass sich die Türen bald öffneten. Ich war tatsächlich in Taiwan!

    Kurz, nachdem ich das Flugzeug verlassen hatte, wurde mein Blick in der Ankunftshalle auf zwei kunterbunte Drachen gelenkt, die mit wunderschönen Blumen geschmückt waren. Die Präzision, mit der diese künstlerische Arbeit ausgeführt worden war, überwältigte mich. Wie gerne würde ich auch nur annähernd in Worten beschreiben können, welch ein Gefühl ferne Länder in mir auslösen: pure Lebensfreude, inneres Glück und Gänsehaut zugleich! Mein Rucksack und ich, nur wir zwei, ganz allein an einem unbekannten Ort.

    ›Ob mein Rucksack denn gut angekommen ist?‹, fragte ich mich, während ich durch die weiß beleuchteten Gänge mit schnellem Schritt in Richtung Einreiseschalter lief. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich ohne Hab und Gut dastand.

    Normalerweise hätte sich an dem Einreiseschalter Unruhe in mir breitmachen müssen, sonst verreiste ich ja immer mit einem One-Way-Ticket und wusste nie so genau, ob man mich damit rein ließ oder nicht. Dieses Mal konnte aber nichts schiefgehen, ich hatte schließlich ein Ausreiseticket parat! Das würde vor dem Stempeln meines Reisepasses sicherlich von mir gefordert, nahm ich an. Doch das Einzige, was ich tun musste, war für eine Ablichtung in eine installierte Kamera zu schauen und zwei Fingerabdrücke abzugeben. Dann bekam ich meinen Reisepassstempel und wurde weitergebeten, ohne dass mir auch nur eine einzige Frage gestellt worden war.

    Da war ich für einen Augenblick perplex! Warum zum Geier wollte der Grenzbeamte keinen Nachweis über meine Ausreise sehen? Wozu hatte ich dieses blöde Ticket dann überhaupt gebucht? Wollte denn gar niemand überprüfen, ob ich tatsächlich im Besitz eines Ausreisetickets war?

    Was, wenn mir die vierzehn Tage bis zu meinem Abflug aus Taiwan gar nicht ausreichten? Was, wenn ich gerne länger bleiben würde?¹³ Jetzt hatte ich dieses blöde Ticket gebucht und keiner kontrollierte mich! Ich hätte ausflippen können!

    Ich begann, zu grübeln, was gewesen wäre, wenn, doch das änderte nichts an der Sache. Sätze, die mit »wäre« oder »hätte« beginnen, bringen einen im Leben nicht weiter. Also: Hakuna Matata!

    Sofort, nachdem mein Reisepass um einen Stempel reicher geworden war, begab ich mich zum Gepäckband, um meinen Rucksack abzuholen. Hätte er wie ein Hund ein Schwänzchen gehabt, hätte er damit sicherlich wie wild gewedelt, als er mich kommen sah. Er würde eine ganze Weile mein treuer Begleiter sein.

    Als ich ihn unter all den anderen Gepäckstücken auf dem Band zu mir zog, war ich vor Müdigkeit wie in Trance. Ich konnte während des Fluges nicht schlafen. Überhaupt kann ich nur zu meinen gewohnten Uhrzeiten schlafen und ausschließlich in einem dunklen Raum ohne Nebengeräusche. Ich bin eben kein Koala¹⁴!

    Es gab jedoch viel zu viel zu sehen, um meiner Müdigkeit Aufmerksamkeit zu schenken. Außerdem war ich zwischenzeitlich sowieso in

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