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Kopf hoch, sagte der Silberfisch in meiner Badewanne
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Kopf hoch, sagte der Silberfisch in meiner Badewanne
eBook173 Seiten2 Stunden

Kopf hoch, sagte der Silberfisch in meiner Badewanne

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Über dieses E-Book

Ein Winter in Genua. Eine junge Frau.
Sie ist auf der Suche nach Menschen, die Freunde werden können, einem Job, der nicht nervt, einer Wohnung auf der Sonnenseite und irgendeiner Form von Sinn – eine aussichtslose Suche, so scheint ihr, schließlich lebt sie in einer fremden Stadt, sortiert Bücher in einem staubigen Antiquariat und macht mit den beiden besten Freunden nicht viel anderes, als sich zu betrinken.
Ein Reisetagebuch. Ein autobiografischer Roman. Und nichts von alledem.
SpracheDeutsch
HerausgeberAmrûn Verlag
Erscheinungsdatum12. Apr. 2016
ISBN9783958692268
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    Buchvorschau

    Kopf hoch, sagte der Silberfisch in meiner Badewanne - Simona Turini

    controdolore

    1 / Il fu Mattia Pascal

    Ich hatte nicht erwartet, dass mein Abenteuer so anfangen würde, aber hier war ich nun: Pleite, müde, hungrig, völlig orientierungslos in der fremden Stadt und wegen der späten Stunde obdachlos. Ohne Gepäck übrigens, denn das hatte offenbar einen anderen Flug genommen. Mein Weg hatte mich über Pisa geführt, wohin man sehr billig fliegen konnte, und von dort mit dem Zug nach Genua, meinem Heim für die nächsten Monate. Das Reisen per Zug funktioniert in Italien mit etwas Geduld und einer gewissen Leidensfähigkeit sehr gut: Zugfahrten sind billig, dafür haben die Züge ihre besten Zeiten gemeinhin hinter sich und riechen streng. Sie kommen auch meist zu spät, teils um Stunden. Die Unfähigkeit der Billig-Fluglinie hatte mich einiges an Zeit gekostet, in der ich auf den Koffer gewartet und ihn gesucht hatte, natürlich erfolglos. Kulanterweise würde mein Gepäck sofort nach Auffinden – und dass es gefunden werden würde stand für die Dame, die meinen Fall bearbeitete, fest – nach Genua geschickt werden. Dort sollte ich es am Bahnhof abholen, eine E-Mail würde mich zeitnah informieren. Die Gelassenheit der Flughafenangestellten färbte ab, also fuhr ich einigermaßen beruhigt mit meinem Handgepäck nach Genua. Zum Glück hatte ich so viel Zeug für meinen Aufenthalt dabei, dass Waschsachen und ein paar Stücke meiner Garderobe nicht mehr in die große Reisetasche gepasst hatten. Ich hatte sie also in einem kleinen Handkoffer verstaut und war entsprechend ausgestattet.

    Durch meine verspätete Ankunft hatte ich den Vermieter meiner vorübergehenden Wohnung nicht mehr am Bahnhof in Genua angetroffen, wo er mich in Empfang nehmen wollte. Eine italienische Handykarte hatte ich noch nicht, meine deutsche Prepaid-Karte nutze mir herzlich wenig. Von der Telefonzelle am Hauptbahnhof versuchte ich ihn zu erreichen, doch er ging nicht ans Telefon. Ich hatte also keine Chance, an meinen Schlüssel zu kommen und musste mir wohl oder übel ein Hotel suchen. Die Bruchbude, die ich nach einigem Umherirren fand, bot natürlich kein Frühstück an und ein Abendessen auswärts, wie ich es ursprünglich für meinen ersten Abend geplant hatte, konnte ich mir nun nicht mehr leisten. Unglücklicherweise war es bereits kurz vor Mitternacht, als ich endlich einen großen Supermarkt betrat. Folgerichtig schmetterte mir die Kassiererin auch sofort ein genervtes »Wir schließen gleich!« entgegen.

    »Willkommen in Italien«, dachte ich und rannte durch den Laden, blind nach links und rechts greifend, um wenigstens einen Grundstock an Nahrungsmitteln zu bekommen.

    An der Kasse zog die mürrische Angestellte mit tödlichen Blicken einen Liter Frischmilch, einen Karton Brotsticks, Schokoladencreme, eine Stange Sellerie, eine Packung unidentifizierbaren Schinken, eine Flasche billigen Rotwein und Käse über den Scanner. Dann fragte sie mich, ob ich eine Kundenkarte habe. Ich verneinte wahrheitsgemäß.

    »Wollen Sie eine beantragen?«, fragte die Kassiererin in einem Ton, als hätte sie mir gerade ein saftiges Hundesteak angeboten.

    Bloß nicht annehmen, das ist eine Falle, warnte mich denn auch die kleine, erschöpfte Stimme in meinem Kopf, die ich in letzter Zeit immer häufiger hörte, so dass ich dankend ablehnte. Gerade erst angekommen und ohne Obdach stand eine Kundenkarte im örtlichen Supermarkt nicht gerade ganz oben auf der Liste der Dinge, die ich brauchte. Der erleichterte Seufzer meiner Kassiererin bewies, dass ich gerade mein Leben gerettet hatte. Ich raffte meine Waren zusammen und verzog mich.

    In meinem Hotelzimmer warf ich meine Einkäufe auf das winzige Bett und öffnete das Fenster. Schnell stellte sich heraus, dass der üble Geruch des Zimmers dem Müllplatz im Hinterhof entstammte. Ich schloss das Fenster also wieder, packte Wein, Schinken und Käse mit einer Handvoll Brotsticks in meine Tasche und irrte auf der Suche nach einem netten Plätzchen für mein Abendessen durch die Stadt, bis ich auf den Hafen stieß. Nicht der gemütlichste Ort, aber der Situation angemessen. Auf einer Bank dachte ich trinkend und Brot knabbernd über meine Optionen nach.

    Es hatte bereits in Deutschland nicht gut angefangen. Nachdem ich zahllose Dokumente ausgefüllt, kopiert, unterschrieben, neu ausgefüllt und schließlich mit Fotos und Stempeln versehen verschickt hatte, damit ich hier arbeiten und mein Studium fortsetzen durfte, erfuhr ich kurz vor meiner geplanten Abreise, dass nichts davon seinen Bestimmungsort erreicht hatte. Also musste ich die ganze Prozedur wiederholen und schaffte es gerade rechtzeitig, alles einzureichen, bevor mein Flieger startete. Eine positive Rückmeldung gab es natürlich bisher noch nicht. Ich war auf gut Glück gekommen, ohne festen Job, ohne das erhoffte Stipendium, und offensichtlich auch ohne Unterkunft.

    Was, wenn die ganzen Formulare ihren Weg hierher erneut nicht gefunden hatten? Würde ich mich heimlich in den Hörsaal schleichen müssen, in Ungnade und ohne Chance auf einen Schein? Dann müsste ich das Stipendium, sollte es aus irgendwelchen Gründen doch noch bewilligt werden, zurückgeben, könnte meine Miete nicht mehr bezahlen, oder nur die Miete, aber kein Essen. Ich würde dünn und dünner werden, schließlich würde ich nur noch ein Skelett sein, und zwar ein äußerst übellauniges, und alle meine Freunde würden mich verlassen und ich müsste allein bleiben, verarmt und traurig und letzten Endes vermutlich trotzdem ohne Wohnung.

    Frierend würde ich auf der Straße kauern, in irgendeiner Ecke. Tränen würden Furchen in den Schmutz meiner Wangen graben, große Kullertränen aus großen Kulleraugen. Die Leute würden an mir vorbeigehen, achtlos. Vielleicht bekäme ich ein paar mitleidige Blicke, und ab und zu – an Weihnachten – ein paar Groschen. Ein Stück Brezel, abgenagt und angesabbert. Aber ich würde dankbar sein für diese kleinen Gesten.

    Am Boden der Flasche Wein betrachtete ich die ganze Sache schon etwas optimistischer. Morgen könnte ich all die Büros und Ämter aufsuchen, bei denen ich Hilfe zu erwarten hatte. Nach einem kräftigen Tritt in den Hintern meines Vermieters natürlich. Bis dahin hatte ich meine Brotsticks, ein halbes Päckchen Zigaretten, ein Bett für die Nacht und in diesem Moment den grandiosen Blick auf Hafen und Meer.

    An meinem ersten richtigen Tag in Genua zog ich ohne große Probleme oder weitere Verzögerungen in eine winzige Bruchbude von Zimmer im Stadtteil San Martino. Glücklicherweise hatte sich mein Vermieter am frühen Morgen gemeldet, sich lautstark fluchend über meine Unzuverlässigkeit beschwert und schließlich relativ kleinlaut auf meinen Ausbruch reagiert: Nach einem Tag wie gestern und einer Nacht in einem schäbigen Hotel war ich nicht mehr besonders diplomatisch. Das verlorene Gepäck weckte sein Mitleid.

    Immerhin schien mir die Lage der Wohnung mehr als günstig. Direkt um die Ecke befand sich eine Bushaltestelle, der Fluchtweg war also frei. Zudem war der Bahnhof nicht weit, was mir bereits am nächsten Nachmittag zupasskam, als die ersehnte, wenn auch nicht wirklich erwartete E-Mail der Fluggesellschaft die baldige Ankunft meines Gepäcks verkündete. Zur Uni brauchte ich zu Fuß etwa eine Stunde, was mir zwar akzeptabel erschien, jedoch als Option nur akut werden würde, wenn mir das Geld für die Fahrkarten ausginge. Im vergangenen Jahr hatte ich mir für diesen Trip ein kleines Notpolster zusammengespart, wobei der weitaus größte Teil meiner Reserven einer kleineren Erbschaft entstammte. Vor Jahren war meine Tante verstorben und hatte uns Nichten (denn Kinder hatte sie selber nie gehabt) einige Tausend Euro hinterlassen. Durch sieben geteilt war das nicht gerade üppig, aber eine willkommene Finanzspritze, die ich in all den Jahren nicht angetastet hatte. Meine Tante schätzte das italienische Erbe ihrer angeheirateten Familie und hätte es gemocht, mich in Genua zu wissen. Den Rest meiner zu erwartenden Ausgaben, in erster Linie die Miete für mein Zimmer, würde hoffentlich das Stipendium decken, für das ich mich beworben hatte.

    Mein Zimmerchen gehörte zu einer leeren Wohnung, die ich offiziell mit dem Vermieter teilte, der allerdings im Normalfall lieber seiner alten Mutter zur Last fiel, sich bekochen und seine Wäsche machen ließ, statt einen eigenen Haushalt zu führen. Er behielt sich lediglich vor, mit irgendwelchen Eroberungen aus den Bars hierher zu kommen und verlangte, dass zu diesem Zweck die anderen beiden Schlafzimmer immer frei zu bleiben hätten. Immer. Wirklich immer. Er betonte das mehrmals. Immer.

    Der Vermieter war ein kleiner, unattraktiver Gnom von einem Mann mit unreiner Haut und üblen Körperausdünstungen. Seine piepsige Stimme widersprach dem grobschlächtigen Äußeren: Er sah aus wie der Tasmanische Teufel und klang wie Micky Maus.

    Die für mich gesperrten Zimmer störten mich nicht, ich brauchte nur Küche, Bad und Schlafzimmer. Zudem hatte ich einen Balkon, auf dem ich sitzen und rauchen konnte. Insgesamt eine merkliche Verbesserung gegenüber dem stinkenden Hotelzimmer der vergangenen Nacht. Und auf Dauer billiger. Entsprechend akzeptierte ich, dass das Zimmer klein und zugig war, das Bad verschimmelt und die Küche dreckig und voller Ruß von dem antiken Holzofen in der Ecke, dessen Benutzung mir sofort untersagt wurde. Dann wurde mir kurz die korrekte Bedienung der Toilettenspülung erklärt, die sich erstaunlich kompliziert gestaltete, und der Vermieter verschwand.

    Draußen schien die Sonne, es war ein verlockend warmer Tag, also stellte ich meinen kleinen Koffer in den uralten Kleiderschrank, ignorierte den verdächtigen Geruch, der mir dabei entgegenkam, und kehrte 70er-Jahre Blümchentapete und fleckigem Teppich den Rücken.

    Den ganzen Tag verbrachte ich in der Stadt und lief hin und her, Via Prè, Via del Campo, Porta dei Vacca. Es sah hier nicht so aus, wie mein Vater es beschrieben hatte. Er war in den 70ern oder 80ern hier gewesen, als Genua noch heruntergekommen, dreckig und hochkriminell war – zumindest hatte er das so dargestellt. Dass seine Tochter das Leben in Italien ausprobieren wollte, sozusagen die eigenen Wurzeln suchte, hatte meinem Vater gut gefallen. Dass besagte Tochter das nicht in seiner Heimat tun wollte, die sie doch von klein auf kannte, oder zumindest in Rom, wo so viele der Verwandten wohnten, gefiel ihm dagegen weniger. Und dann auch noch in Genua! Wo es doch so gefährlich war! Wo so viele Ausländer waren! Der sanfte Hinweis, dass viel Zeit vergangen war, seit er die Stadt zuletzt besucht hatte und dass ich hier ja eigentlich auch ein wenig Ausländerin war, hatte ihn nicht beruhigen können. Er würde es überleben. Ich hoffentlich ebenfalls. Zumindest verdankte ich ihm und meinem Studium ein gebrochenes Italienisch, mit dem ich mich hier durchschlagen konnte, solange die Leute langsam und deutlich sprachen – so weit im Norden kam ich mit dem Dialekt nicht klar.

    Überall waren Straßenhändler und freundliche und weniger freundliche Menschen, Musikanten, die nach jedem Lied bettelten, Hundebesitzer mit ihren Tölen, Kinder, Alte, Arbeitende, Busse, Autos, Touristen. Die Häuser alt, ehrwürdig, wunderschön. Die Straßen bunt und vollgestopft. Über allem schwebte der Geruch des Meeres.

    Nach meinen unfruchtbaren Erledigungen folgte ich dem Duft nach Salz und Wasser, setzte ich mich am Hafen in die Sonne und las, um zu vergessen, wie einsam ich war und um zu fliehen vor der fremden Stadt, die trotz ihrer unbeschreiblichen Schönheit bedrohlich auf mich wirkte. Ich floh vor all den Menschen mit ihrem Dialekt, die auch nicht besonders offen oder wohlwollend auf mich wirkten.

    Ich begann, meine Entscheidung zu bereuen.

    Es könnte eine dumme Idee gewesen sein, fast unvorbereitet hierher gereist zu sein, auch noch für unbestimmte Zeit. Die Universität war sozusagen meine einzige Hoffnung, und an der war ich heute grandios gescheitert: Am Mittag war ich die Via Bensa hoch und runtergewandert und hatte das Universitätsbüro gesucht, in dem ich mich über den Verbleib meiner Unterlagen informieren konnte. Dort hatte man mich zur Via Balbi geschickt, die ich ebenfalls erst suchen musste. Zwar hatte man mich informiert, dass meine Unterlagen im zweiten Anlauf tatsächlich ihr Ziel erreicht hatten, und auch den einen oder anderen Stempel und mein Studienbuch hatte ich erhalten, aber die tatsächliche Anmeldung würde erst Anfang der kommenden Woche stattfinden, im Gebäude meiner Fakultät, von dem ich auch noch keine Ahnung hatte, wo es sein könnte, und nein, von dem Stipendium wüssten sie nichts.

    Frustriert zog ich von dannen und schaute mich weiter in der Stadt um. Erst am späten Nachmittag im Supermarkt sprach ich wieder ein paar Worte – ich lehnte die auch hier angebotene Kundenkarte ab und bezahlte meinen Grundvorrat an Lebensmitteln mit meiner Kreditkarte, was ein erstaunliches Maß an Konversation mit dem Kassierer verlangte. Immerhin war er freundlich zu mir, wobei sich das vermutlich darauf zurückführen ließ, dass er sich Chancen zur Begattung ausrechnete. Hatte er nicht, aber das würde ich tunlichst für mich behalten. Der Supermarkt lag direkt um die Ecke meiner neuen Behausung und ich wollte

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