Oma geht in den Dschungel
Von Gerda Althoff
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Buchvorschau
Oma geht in den Dschungel - Gerda Althoff
Vorwort:
Diese Geschichte ist wahr und entspricht den eigenen Erlebnissen.
Auch die hier erwähnten Personen existieren tatsächlich.
Dieses Buch ist Carlos gewidmet, mit dem ich später noch mehrere
unvergessliche Dschungeltouren organisiert habe.
Oma geht in den Dschungel
Oma packt ihren Rucksack. Die Enkel stehen mit traurigen Gesichtern daneben. Sie wissen, sie werden sie für eine lange Zeit nicht wieder sehen, denn Oma geht wieder in den Dschungel. Oma, das bin ich, achtundfünfzig Jahre jung und fühle mich ganz und gar nicht wie eine Oma, aber meine Enkel haben mich nun mal dazu gemacht. Ständig zieht es mich hinaus in die weite Welt, gemeinhin auch Fernweh genannt. Nun ja, es hat mich wieder gepackt und wie schon so oft, habe ich mir im Internet ein günstiges Ticket besorgt und bin nun dabei meinen Rucksack zu packen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich nach Südamerika fliege und so ist es fast schon zur Routine geworden, das Packen. Einige T-Shirts, mindestens drei kurze Hosen, eine leichte lange Hose, die sich unten zuziehen lässt, damit einem im Dschungel nichts in die Hosenbeine kriecht. Sehr wichtig sind auch Regenjacke, Mückenspray und eine Taschenlampe. Das sind alles Erfahrungswerte. Gelbfieber- und Hepatitis A Impfungen habe ich längst hinter mir, nur bei der Malaria-Prophylaxe bin ich etwas leichtsinnig, allerdings gibt es in Südamerika auch nicht die gefährliche Malaria tropica und so hält sich das Risiko in Grenzen.
Nachdem ich vor fünf Jahren mit zwanzig Kilo Gepäck monatelang um die Welt gezogen war und dabei oftmals an meine Grenzen gestoßen bin, was das Gewicht des Gepäcks betrug, versuche ich nun meinen Rucksack so leicht wie möglich zu packen.
Während hier in Deutschland der ständig graue Himmel einem aufs Gemüt schlägt, erwartet mich im fernen Südamerika strahlender Sonnenschein. Das macht sich auch an den Menschen bemerkbar, die nicht so griesgrämig dreinschauen wie hier und jede Sekunde ihres Lebens genießen, obwohl sie manchmal nicht wissen, woher sie das Essen für ihre Kinder nehmen sollen.
Morgen geht es los. Ein weiteres Mal nach Südamerika, meinen Lieblingskontinent und billig war es außerdem. Samt Steuern und Bahnfahrt zum Flughafen, schlappe fünfhundertundvierzig Euro. Wer da nicht fliegt ist selber schuld.
Obwohl ich mir sicher bin, alles Wichtige eingepackt zu haben, werde ich unterwegs bestimmt bemerken, dass mir irgendetwas fehlt.
Es ist immer das gleiche. Mal ist es der Wecker, mal der Waschlappen, ein anderes Mal die Haarbürste; im Grunde aber nichts, was sich nicht vor Ort besorgen ließe. Tagelang überlege ich, was ich noch einpacken könnte, um dann hinterher festzustellen, dass es noch besser hätte machen können.
Schon spüre ich ein innerliches Kribbeln, kann es kaum erwarten endlich in den Flieger zu steigen und abzuheben.
Das ständig miese Wetter in Deutschland macht mich seelisch fertig. Von Zeit zu Zeit muss ich einfach hier raus, aus dem gefühlskaltem Heimatland, wo sich die Beziehung zwischen den Nachbarn auf ein „hallo, wie geht´s? und „das Wetter könnte auch bald besser werden,
beschränkt, um dann sofort wieder hinter der Haustür zu verschwinden.
In Venezuela ist das anders. Hier hat man immer Zeit für ein Schwätzchen. Wenn man von Caracas mal absieht, spielt sich das Leben vorwiegend außerhalb des Hauses ab. Man weiß um die Probleme der Nachbarn und versucht zu helfen. Ich habe inzwischen viele Freunde dort, mehr, als hier im kühlen, unpersönlichen Deutschland. Die Lebensart ist derart different, dass ich lieber heute als morgen ganz auswandern würde. Das einzige, was mich noch daran hindert, sind meine Enkel. Nach einigen Monaten bekomme ich „Entzugserscheinungen" und muss zumindest für ein paar Wochen zurück, bis mich dann das Fernweh erneut packt und ich wieder in die Welt ziehe.
„Wann kommst du wieder, Oma?" ertönt eine traurige, piepsige Stimme aus dem Hintergrund.
Schlagartig befinde ich mich wieder in der Realität, wo ich in Gedanken doch schon drüben war, in meinem „zweiten Heimatland" Venezuela. Mein jüngstes Enkelkind Nina schaut mich fragend an.
„In drei Monaten, Schatz", antworte ich und weiß doch, dass dies ihre Zeitvorstellung vollkommen sprengt.
Wie zu erwarten war, kommt dann auch gleich die nächste Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist.
„Oma, wie lange ist drei Monate?" Wieder sehe ich in ihre traurigen, fragenden Augen. Das tut weh! Ich überlege, wie ich einem fünfjährigen Kind, dem jede Zeitvorstellung jenseits seiner zehn Finger fremd ist, erklären kann, wie lange drei Monate dauern. Ich gehe in die Küche und nehme den Kalender von der Wand. Patrick, mein ältester Enkel, ist acht Jahre alt. Er hat die ganze Zeit auf meinem Bett gesessen und aufmerksam beobachtet, was ich alles eingepackt habe. Als ich nun mit dem Kalender zurück ins Schlafzimmer komme, steht er auf, gespannt, wie ich seiner kleinen Schwester nun das mit den drei Monaten erkläre. Ich zeige auf
das oberste Blatt.
„Nun seht mal, hier haben wir September, der bald vorbei ist."
Ich blättere, laut zählend, weiter: „ Eins, zwei, drei. Nun haben wir das Dezemberblatt vor uns. „Siehst du hier, wo die beiden roten Zahlen sind, da ist Weihnachten und dann bin ich wieder da.
Die Kleine nickt nur. Es macht sie nicht gerade fröhlicher.