Resilienz von Lieferketten in Produktion und Logistik - Konzepte, Instrumente und Erfahrungsaustausch: Tagungsband zum 4. Osnabrücker Logistik Forum
Von Wolfgang Bode, Lutz Mardorf und Marcus Seifert
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Über dieses E-Book
Die Logistik erfährt in diesen Zeiten besondere Herausforderungen: Die bereits lang anhaltende kritische Personalsituation hat sich verschärft, Ressourcen sind durch Lockdowns zeitweise blockiert und Warenflüsse werden durch die Industrie nicht mehr planbar ausgelöst, sondern sind immer öfter durch kurzfristige, nicht planbare und zum Teil unvorhersehbare Ereignisse unterbrochen. Damit kann das klassische Ziel, "die richtige Ware, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Qualität, zu den richtigen Kosten an den richtigen Ort" zu bringen nicht mehr erreicht werden.
Es stellt sich die Frage, was Industrie und Logistik aus den Erfahrungen der letzten Jahre lernen kann, um möglichst verlässliche und ausfallsichere - also resiliente - Lieferketten unter krisenhaften Rahmenbedingungen sicherzustellen. Lieferketten-Resilienz meint die Widerstandsfähigkeit einer Versorgungskette gegen Unterbrechungen und die Fähigkeit eines Unternehmens, sich von einer Betriebsunterbrechung zu erholen. Solche Unterbrechungen entstehen aktuell durch die Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine. Je größer die Ausfallsicherheit der Lieferkette, desto schneller ist die Wiederaufnahme des normalen Betriebs möglich und desto größer ist die Resilienz.
Diesem Themenkomplex widmete sich das Osnabrücker Logistik Forum 2022 und damit dieser Tagungsband, der die auf dem Kongress vorgestellten Arbeiten zusammenfasst: Wissenschaftler geben einen Überblick über Erkenntnisse aus der Forschung, Logistikdienstleister berichten über Erfahrungen und Lösungsansätze und Produzenten geben einen Einblick in ihre Strategien und Instrumente zur Aufrechterhaltung eines möglichst guten Lieferservice in Krisenzeiten.
Wolfgang Bode
Prof. em. Dipl.-Ing. Wolfgang Bode ist Professor für betriebliche Logistik und Transportsysteme an der Hochschule Osnabrück. Bis 2016 leitete er das Institut für Produktion und Logistik - LogisNet in der Science to Business GmbH der Hochschule Osnabrück und ist stellvertretender Vorstand der RheinRuhrAkademie Herdecke e. V. .
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Buchvorschau
Resilienz von Lieferketten in Produktion und Logistik - Konzepte, Instrumente und Erfahrungsaustausch - Wolfgang Bode
Vorwort
Selten standen Produktion und Logistik global vor derart großen Herausforderungen, wie in der Zeit des Osnabrücker Logistik Forums 2022: Zwei Jahre Corona Pandemie, der Ukraine Krieg, geopolitische Unruhen und eine sich neu ordnende Weltwirtschaft: Lieferketten, die bisher als gesichert und stabil galten, sind plötzlich nicht mehr verlässlich und fallen zeitweise ganz aus – mit dramatischen Auswirkungen auf Betriebe und Volkswirtschaften.
Die Logistik erfährt in diesen Zeiten besondere Herausforderungen: Die bereits lang anhaltende kritische Personalsituation hat sich verschärft, Ressourcen sind durch Lockdowns zeitweise blockiert und Warenflüsse werden durch die Industrie nicht mehr planbar ausgelöst, sondern sind immer öfter durch kurzfristige, nicht planbare und zum Teil unvorhersehbare Ereignisse unterbrochen. Damit kann das klassische Ziel, „die richtige Ware, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Qualität, zu den richtigen Kosten an den richtigen Ort" zu bringen nicht mehr erreicht werden.
Es stellt sich die Frage, was Industrie und Logistik aus den Erfahrungen der letzten Jahre lernen kann, um möglichst verlässliche und ausfallsichere – also resiliente – Lieferketten unter krisenhaften Rahmenbedingungen sicherzustellen. Lieferketten-Resilienz meint die Widerstandsfähigkeit einer Versorgungskette gegen Unterbrechungen und die Fähigkeit eines Unternehmens, sich von einer Betriebsunterbrechung zu erholen. Solche Unterbrechungen entstehen aktuell durch die Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine. Je größer die Ausfallsicherheit der Lieferkette, desto schneller ist die Wiederaufnahme des normalen Betriebs möglich und desto größer ist die Resilienz.
Diesem Themenkomplex widmete sich das Osnabrücker Logistik Forum 2022 und damit dieser Tagungsband, der die auf dem Kongress vorgestellten Arbeiten zusammenfasst: Wissenschaftler geben einen Überblick über Erkenntnisse aus der Forschung, Logistikdienstleister berichten über Erfahrungen und Lösungsansätze und Produzenten geben einen Einblick in ihre Strategien und Instrumente zur Aufrechterhaltung eines möglichst guten Lieferservice in Krisenzeiten.
Prof. Dr.-Ing. Marcus Seifert
Tagungsleitung
Hochschule Osnabrück/Logis.Net
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen zuverlässiger Lieferketten im Güterverkehr
Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Dr. Nina Zimmermann, Nele Wolke
Stand der Wissenschaft
Rolle und Möglichkeiten des Güterverkehrs auf der Schiene in turbulenten Zeiten
Prof. Dr.-Ing. Stefan Karch
Resilienz von Lieferketten in Produktion und Logistik – Ein Einblick in die aktuelle Forschung
Dr. Christopher Münch
Erfahrungen von Logistikdienstleistern im Umgang mit Engpasssituationen
Analyse der Seefracht-Schifffahrt für die Lieferketten
Morten Ingebrigtsen
Flexibilität bei der Wahl des Transportwegs zwischen Europa und Nordostasien: Luft, See, Schiene oder Straße?
Pablo Guido, B.Sc.
Seefrachtverkehr in Krisenzeiten – aktuelle Entwicklungen und Ausblick
Prof. Dr. Burkhard Lemper
Versorgungssichere Produktionsketten in Krisenzeiten
Transportlogistik aus Verlader Sicht in herausfordernden Zeiten und ohne Unterbrechung der Supply Chain
Richard Steinkamp
Operative Anforderungen und Lösungsansätze im Supply Chain Risk Management eines internationalen Großanlagen-Bauers
Tobias Lempik & Daniel Duus
Neue Anforderungen und Suche nach Lösungen für das Speditionsgeschäft in Zeiten unsicherer Lieferketten
Uwe Hasselberg
Ergänzende Beiträge
Methodengestützte Umsetzung der Lieferkettensorgfaltspflichten-gesetz-Anforderungen mit dem MITO-Methoden-Tool
Prof. Dr.-Ing. Hartmut F. Binner
Umgang mit externen Störfällen als Krisenauslöser: Planung und Management von sicheren Lieferketten – Stand der Forschung
Prof. Dr. Claus W. Gerberich
Resilienz: Aus unsicheren Lieferketten werden zuverlässige Supply-Chains- Versorgungssicherheit für die Zukunft realisieren
Prof. Dr. Claus W. Gerberich, Prof. em. Dipl.-Ing. Wolfgang Bode, Dr.-Ing. Michael Lempik
Einführung
____________________________________
Erfahrungen und aktuelle
Herausforderungen zuverlässiger Lieferketten im
Güterverkehr
Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Dr. Nina Zimmermann,
Nele Wolke
Entwicklung der weltweiten Warenströme
Abbildung 1: Europa macht Geschäfte, hauptsächlich mit sich selbst, Le Monde diplomatique, Berlin
Die Tendenzen in Richtung der Internationalisierung sowie der Globalisierung führen zu einer steigenden Verflechtung der weltweiten Güterproduktion. Ein weiterer Treiber der Globalisierung besteht in der steigenden ökonomischen Bedeutung des Außenhandels. Im internationalen Vergleich profitierte somit zuletzt Asien ein hohem Maße an der fortschreitenden Globalisierung, da Asien derzeit die größte Umsatzwachstumsrate aufweist. Jedoch etablierte sich Europa als Vertreter aller inkludierten Wirtschaftsteilnehmer an der Globalisierung als der größte Handelsakteur hinsichtlich des Gesamtvolumens. [1] So nehmen die Warenströme innerhalb der EU im internationalen Vergleich den größten Außenhandelsanteil innerhalb einer Region ein. Parallel stellt die USA die größte Import- und China die größte Export-Nation dar. In diesem internationalen Vergleich lässt sich belegen, dass Europa nicht übermäßig im internationalen Handel tätig ist. Anders als weitere Regionen der Triade (drei größten Volkswirtschaften NAFTA-Freihandelszone (Kanada, USA, Mexiko), Südost- & Ost-Asien (China, Japan, Südkorea, Singapur) und EU-Länder) fokussiert sich Europa zunehmend auf den innereuropäischen Handel. Die Entwicklungs- und Schwellenländer tragen eher in einem geringen Volumen zu dem Welthandel bei. Hier lassen sich als Beispiele Indien oder Brasilien nennen.
Gemäß aktueller nationaler Verkehrsprognosen wird der Güterverkehr bezogen auf die Tonnenkilometer in dem Zeitraum von 2010 bis 2030 um 38 Prozent zunehmen. Anhand dieses prognostizierten sowie steigenden Verkehrswachstums lässt sich abermals schlussfolgern, dass die weltweite Globalisierung – auch die der Märkte und des Handels – in den kommenden Jahren weiter voranschreiten und sich infolgedessen auch der internationale Waren- und Dienstleistungshandel weiter in dieselbe Richtung entwickeln wird.
Sensible Warenströme
Durch die sich weiterentwickelnde Globalisierung der weltweiten Warenströme stellt der funktionierende Güterverkehr einen wichtigen Grundpfeiler für die Zukunft Entwicklung und Positionierung eines Landes dar. Der vorherrschende Güterverkehr umfasst jegliche Bewegung aller Güter sowohl auf der Straße, auf den Schienen, im Wasser, in der Luft. Durch die Internationalisierung der Warenströme steigen die Transportwege und damit auch das Verkehrsauskommen weiterhin an. Zur effizienteren Gestaltung des Güterverkehres gewinnt die Kombination aus verschiedenen Verkehrsmitteln stetig an Bedeutung. Über diesen kombinierten Verkehr (Bahn, Schiff und LKW) soll auch den umweltpolitischen Bedenken entgegenwirkt werden [2]. Als wichtiges Transportmittel gestaltet sich die Binnenschifffahrt. Insgesamt wurden 195,1 Millionen Tonnen im Jahr 2021 über die Binnenschifffahrt transportiert. Das allgemeine Volumen über alle Beförderungsmittel hinweg hingegen lag im Jahr 2021 bei rund 4,7 Milliarden Tonnen.
Die Relevanz des Schifffahrtverkehrs im internationalen Warenverkehr wird am besten durch das Beispiel der Ever Given aus dem Jahre 2021 verdeutlicht. Der havarierte Frachter blockierte den Suezkanal und verursachte eine Überlastung des Binnenverkehrs. Zunächst konnte aufgrund der Blockade zu wenig Fracht aus Asien nach Deutschland transportiert werden. Mittelbar nach dem Unfall führte die Blockade zu einer Überlastung durch den Wiederhochlauf, da in Europa nun zu viele Schiffe gleichzeitig entladen werden mussten. Infolgedessen herrschte ein Mangel an leeren Containern in Europa und es entstanden Kapazitätsengpässe und höhere Frachtraten durch die essenzielle Umplanung der Frachtwege [3].
Ein weiterer signifikanter Einflussfaktor auf die Warenströme stellt der Krieg in der Ukraine dar. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass nicht nur der Schifffahrtverkehr anfällig
für Störungen ist. Auch der Straßenverkehr mit einem Anteil von ungefähr 3,7 Milliarden Tonnen Beförderungsmenge im Jahr 2021 weist erhebliche Engpässe auf:
steigende Belastung überregionaler Straßen durch LKW
Störung neben der Autobahn in Ballungsgebieten
Mangel an qualifizierten Fahrern im Straßengüterverkehr
Folgende Abbildung verdeutlicht die Entwicklungen der Dieselpreise bis zum neunten März 2022. Hierbei wird ersichtlich, dass die Preise um 48 Prozent zu Jahresbeginn angestiegen sind [4]. Auch bis Ende 2022 hat sich dieser drastische Preisanstieg nicht vollständig erholt und liegt weiterhin bei 182,11 Cent im Dezember 2022 [5].
Abbildung 2: Entwicklung der Tankstellenpreise zu Jahresbeginn 2022, Eigendarstellung durch Berechnungen des BGL
Fahrermangel
Ein LKW-Fahrermangel liegt vor, wenn die Nachfrage nach potenziellen Fahrern das Angebot der Fahrer übersteigt und somit der Bedarf nicht gedeckt werden kann. Diese negative Entwicklung begrenzt die angestrebten Wachstumsaussichten der Logistikbranche. Nicht nur höhere Kosten folgen diesem Mangel, auch der steigende Zeitdruck der Lieferanten und Kunden und der mangelnde Laderaum stellen weitere gravierende Folgeerscheinungen dar [6]. In Deutschland fehlen nach Angaben des BGL zwischen 60.000 und 80.000 Berufskraftfahrer. Diese Situation verschärft sich durch den Krieg in der Ukraine weiterhin deutlich. Zudem trägt der demographische Wandel ebenfalls zu dem steigenden Fahrermangel bei. Circa ein Drittel der Berufskraftfahrer ist älter als 55 Jahre. Im Vergleich gehen jährlich circa 30.000 Berufskraftfahrer in Rente, während die Berufseinsteiger nur mit rund 17.000 Personen nachrücken.
Nicht nur die demographische Entwicklung trägt zu dem steigenden Fahrermangel bei. Auch das