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Die Sanktionsfalle: Was der Wirtschaftskrieg gegen Russland auslöst
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eBook186 Seiten2 Stunden

Die Sanktionsfalle: Was der Wirtschaftskrieg gegen Russland auslöst

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Über dieses E-Book

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat eine beispiellose Welle von Sanktionen durch westliche Staaten ausgelöst. Historische Beispiele zeigen, dass Sanktionen selten ihr Ziel erreicht haben. Sicherheit, Frieden und Demokratie brauchen mehr als nur Strafmaßnahmen. Laufen wir also in eine Sanktionsfalle?

Dieses Buch bietet einen tiefen Einblick in die Wirkweise und Hintergründe der umgesetzten und geplanten Sanktionen gegen Russland.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Nov. 2022
ISBN9783948052614
Die Sanktionsfalle: Was der Wirtschaftskrieg gegen Russland auslöst

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    Buchvorschau

    Die Sanktionsfalle - Wolf D. Hartmann

    KAPITEL 1

    KONZEPTE UND SZENARIEN WESTLICHER SANKTIONEN – EIN KURZER ÜBERBLICK

    Die Hochphase früherer Sanktionen des Westens in den 1970er und 1980er Jahren gegen die Sowjetunion und andere östliche Länder war durch eine weitaus geringere weltwirtschaftliche Verflechtung mit dem Osten gekennzeichnet. Insbesondere hatte sich die Sowjetunion noch nicht zu einem bedeutenden Energie- und Rohstoffexporteur für den Westen entwickelt. Andererseits waren die Exporte des Westens in den RGW-Bereich noch gering, sodass die beiderseitigen Abhängigkeiten und damit auch Kosten und Risiken von Embargos überschaubar blieben.

    Die Situation hat sich bedeutend verändert, da sich in den letzten Jahrzehnten eine starke Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen vollzogen hat. Wirtschaftssanktionen gegen ein Land müssen daher nun die vielfältigen Wirkungen und Nebenwirkungen auf eine Vielzahl direkt bzw. indirekt beteiligter Akteure berücksichtigen, wenn die angestrebten Ziele der sanktionierenden Staaten gegenüber dem sanktionierten Staat erreicht werden sollen.

    Hier kann auch ein Rückblick auf eine lange Geschichte von Wirtschaftssanktionen behilflich sein, nicht zuletzt auch auf die unmittelbare Vorgeschichte der jetzigen Sanktionsmaßnahmen gegen Russland, die mit der ersten Sanktionswelle des Westens nach der Krim-Annexion und der Aggression Russlands im Donbass ab 2014 begann.

    Sanktionen – ein Standardmittel internationaler Politik

    Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bereits vor vielen Jahrhunderten versucht wurde, Handel zu regulieren und vor allem zu kontrollieren. Die älteste europäische Organisation dazu stellte die mittelalterliche Hanse dar, ein Verbund von 192 Städten in 16 europäischen Ländern.³ Die Hanse beherrschte vom 13. bis Mitte des 15. Jahrhunderts den Warenaustausch zwischen dem Nordosten und dem Nordwesten Europas. Der hanseatische Städtebund wurde so mächtig, dass er zur Durchsetzung seiner kaufmännischen Interessen Wirtschaftsblockaden gegen Königreiche und Fürstentümer verhängte und sogar Kriege führte, beispielsweise gegen Dänemark.

    Die 1806 von Napoleon verhängte „Kontinentalsperre" gegen England reiht sich prominent in diese historische Abfolge von Sanktionen ein. Das Importverbot für britische Waren, das neben Frankreich auch für die von Napoleon besetzten Staaten galt, sollte England vom Handel mit Kontinentaleuropa abschneiden und durch den daraus folgenden Mangel an elementaren Importgütern wie Getreide oder Holz politisch unter Druck setzen.

    Sanktionen und Boykotte blieben in den folgenden Jahrhunderten mit dem Erstarken anderer Wirtschaftsmächte, besonders England, ein Standardmittel internationaler Politik. Ab 1839 begannen beispielsweise die Briten zur Durchsetzung ihrer Handelsinteressen in China den als „Opiumkrieg" in die Geschichte eingegangenen Kampf gegen die Abschottung des chinesischen Kaiserreichs.⁴ Das Reich der Mitte versuchte damals zur Eindämmung des britischen Opiumhandels den Warenverkehr mit Großbritannien, den USA und Europa komplett zu beenden. Die Engländer gingen gegen diesen chinesischen protektionistischen Weg mit Waffengewalt vor, und die Folgen des dreijährigen Kriegs wirken bis heute nach: Im 1842 abgeschlossenen Friedensvertrag von Nanking ging Hongkong für 150 Jahre in britische Herrschaft über, die erst 1992 mit der Vereinbarung einer Übergangsperiode endete und bis heute zu politischen Unruhen führt, wenn die Hongkonger sich gegen die chinesische Politik wehren.

    Weniger bekannt ist, dass die USA mit Kanada ab 1866 einen Handelskrieg führten, der 13 Jahre andauerte und sich noch verschärfte, als landwirtschaftliche Produkte betroffen waren. Es dauerte Jahrzehnte, bis wieder normale Handelsbeziehungen aufgenommen wurden, und erst seit dem NAFTA-Abkommen⁵ 1994 gab es nach mehr als 100 Jahren wieder einen vollständig freien Handel zwischen beiden Ländern.

    Schon 1948 erließen die USA Getreide- und Technologiesanktionen gegen die Sowjetunion. 1960 setzen die USA ein Handelsembargo gegen Kuba durch, das bis heute fortbesteht. Der Völkerbund verhängte Wirtschaftssanktionen gegen Italien (1935) und die Vereinten Nationen beschlossen Sanktionen gegen Rhodesien (1966)⁶, den Iran (1979), die UdSSR (1980/82) und den Irak (1990).

    Die Kieler Datenbank Global Sanctions Data Base (GSDB) listete von 1950 bis 2016 über 700 bi-, multi- und plurilaterale Sanktionen auf, mit einem steilen Anstieg seit 2005.⁷ In der nur vierjährigen Amtszeit von Donald Trump ab 2017 wurden zahlreiche Strafzölle gegen China und andere Staaten, darunter auch Deutschland erhoben. Die Zahl der Sanktionen der USA hat sich seit dem Jahr 2000 verzehnfacht. Nach Angaben des US-Finanzministeriums waren am 1. Oktober 2021 insgesamt 9421 Sanktionen in Kraft.⁸ Dazu zählen unter anderem auch die Verweigerung der diplomatischen Anerkennung, das Boykottieren kultureller und sportlicher Veranstaltungen und das Beschlagnahmen des Eigentums von Bürgern des betreffenden Landes.

    In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem wirtschaftliche Sanktionen zum Standardmittel internationaler Politik. Besondere Aufmerksamkeit erhalten Sanktionen im Falle der Beschränkungen des internationalen Handels, der Einschränkung von Finanzströmen oder der Begrenzung der Freizügigkeit von Personen.

    Der ursprüngliche Begriff, der sich vom französischen Wort „sanction herleitet, implizierte eine positive Bedeutung, nämlich Heilung, Anerkennung, Bestätigung oder Billigung. Es ging darum, eine Verbindlichkeit herzustellen. Und auch in der Soziologie gibt es neben der negativen eine positive Bedeutung für den Begriff Sanktion, nämlich Belohnung, auch ohne materiellen Bezug. Heutige Sanktionen sind nicht unbedingt darauf ausgerichtet, eine „Heilung anzustreben – hierfür wäre Voraussetzung, die Ursachen für das Verhalten des zu sanktionierenden Akteurs zu ergründen.

    In der Monarchie bedeutete eine Sanktion noch die Genehmigung eines Gesetzesbeschlusses und dessen Inkraftsetzung. Nur der Monarch konnte dem Parlament das Recht erteilen, ein Gesetz zu erlassen und amtlich zu publizieren. Heute werden Sanktionen in den „westlichen" Ländern meist parlamentarisch beschlossen oder bestärkt, und sie sind weder als Heilung/Frieden noch als Krieg gedacht.⁹ Eine andere Interpretation bietet Hufbauer, für den Sanktionen etwas zwischen einem „diplomatischen Schlag aus dem Handgelenk und „extremeren Maßnahmen, wie verdeckten Aktionen oder Militärmaßnahmen repräsentieren.¹⁰

    Die Gefahr, dass sich Sanktionen zu Brandstiftern und -beschleunigern entwickeln können, da sie beteiligte Parteien aus moralischer Sicht unter Druck setzen, ideologisieren, manipulieren und zu Vertragsbrüchen auffordern, bleibt jedoch auch bei demokratisch abgesicherten Sanktionen erhalten. Dabei können Organisationen wie die UN mit ihrer Charta in einer vertraglich komplexen und vor allem rechtlich kaum noch transparent organisierten Welt anscheinend nur noch partiell Verantwortung übernehmen. Der Sicherheitsrat kann nach Art. 39 der Charta einen bedrohten Weltfrieden feststellen und die beteiligten Parteien „zu Handlungen auffordern". Allerdings ist es möglich, dass die Mitglieder des Sicherheitsrates eigene wirtschaftliche und politische Interessen für ihre Mitgliedsstaaten verfolgen und aus der Erklärung eines bedrohten Weltfriedens eigene geostrategische Vorteile ableiten wollen.

    Vom naiven zum smarten Sanktionsansatz

    Seit 1950 haben sich die Sanktionen weltweit vervielfacht. Hier spiegelt sich eine Entwicklung vom „konventionellen oder „naiven Sanktionsansatz zum sogenannten „intelligenten oder „smarten Sanktionsregime wider. Für den konventionellen Ansatz steht stellvertretend vor allem die vom US-Ökonomen A. Hirschmann 1945 aufgestellte Theorie, nach der man einen Staat durch Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Staaten zu einer Änderung seiner Politik zwingen könne, wenn der Ausfall entsprechender Importe nicht durch andere Einfuhren ersetzt werden kann.¹¹

    Eine bekannte Kritik an diesem Ansatz stammt von J. Galtung, der diese Theorie als naiv qualifizierte, da sie nicht die möglichen Gegen- und Ausweichreaktionen des sanktionierten Staates berücksichtige und auch übersehe, dass Sanktionen vielfach eine Solidarisierung der Bevölkerung des sanktionierten Staates mit seiner politischen Führung auslösten.¹² Zudem zeige die Geschichte, dass durch Sanktionen in der Regel die „Falschen" getroffen werden, indem beispielsweise Hungersnöte einsetzten oder für die Bevölkerung andere Engpässe drohten. Das heißt Menschen, die in der Regel keine Verantwortung für die sanktionsauslösende Situation tragen, bluten für die Entscheidungen der Regierungen und Machthaber am stärksten.

    Vor allem im Kontext der für die Bevölkerung schädlichen Sanktionen gegen den Irak entwickelte sich in den 1990er Jahren das Konzept der intelligenten Sanktionen, die gezielter wirken sollen. Generell geht man bei dieser Art von Sanktionen von drei Gruppen von Maßnahmen aus, an denen sich auch die westlichen Sanktionen nach dem militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine orientieren, wenngleich sie eine nachhaltige Ausweitung und Vertiefung dieses Ansatzes darstellen:¹³

    Diplomatische Sanktionen wie die Ausweisung von Diplomaten, Ausschluss von Ländern aus internationalen Organisationen und Ähnliches, persönliche Sanktionen gegen einzelne Personen insbesondere der Führungselite durch Reisebeschränkungen, Sperrung von Bankkonten und sonstigen Vermögenswerten, ausgewählte Sanktionen gegen einzelne Wirtschaftssektoren des sanktionierten Landes wie beispielsweise Waffenembargos, Handelsembargos, Finanzsanktionen, Verbot von Investitionen etc.

    Für Deutschland liegt die Kontrolle der Durchsetzung der Sanktionen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), wenn sich Verbote oder Genehmigungspflichten auf die Lieferung von Gütern oder auf die Erbringung von nicht-finanzbezogenen Dienstleistungen im Zusammenhang mit Gütern beziehen (Beispiel sind u. a. Dual-use-Güter); das BAFA ist zudem für Ausnahmegenehmigungen hinsichtlich eingefrorener wirtschaftlicher Ressourcen zuständig.¹⁴ Die Überwachung der EU-Sanktionen übernimmt der deutsche Zoll, wobei sich viele operative Fragen bei Abgrenzungen von Gütern oder Unklarheiten der Zuordnung zur militärischen Nutzbarkeit ergeben, etwa im Bereich der IT, Mobilitätstechnik oder auch bei Ersatzteilen in lange bestehenden Lieferverträgen.

    Die kurzfristig erlassenen Sanktionen gegen Russland stellen eine nicht unerhebliche Herausforderung für deutsche Unternehmen dar, die geschäftliche Kontakte in das Land haben. Regelungslücken und Interpretationsspielräume bei der Umsetzung der Sanktionen machen eine Umstellung der Betriebsabläufe und Kontrollsysteme aufwendig, sodass von einer Sanktionsfalle auch für deutsche Unternehmen beim Einhalten von Einfuhr- und Ausfuhrkontrollen gesprochen worden ist.¹⁵

    In der aktuellen Diskussion um Sanktionen gegen Russland befindet sich Deutschland in einer durch zwei Weltkriege historisch bedingten schwierigen Situation, aber auch durch die letztlich unzureichend umgesetzte Energiewende und durch eine langfristig manifestierte Abhängigkeit von russischen Lieferungen.

    Deutschland sitzt in unangenehmer Weise zwischen den Stühlen und wird in der Ukrainefrage massiv gedrängt, Entscheidungen zu treffen und zu handeln, obwohl in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland widerstreitende Interessen aufeinandertreffen. Handelt die Regierung nicht, was EU und USA kritisieren, wird ein moralischer Bruch mit der Allianz und den Wirtschaftspartnern provoziert; liefert das Land aber beispielsweise schwere Waffen, droht Deutschland Kriegspartei zu werden.

    Gegenwärtig entscheiden in der westlichen Welt ökonomische Prozesse darüber, ob Krieg oder Frieden herrscht, ob Umweltinnovationen eingeführt werden, ob soziale Gesetze geschaffen und umgesetzt werden. Und demzufolge hat sich begleitend ein demokratisches Rechtssystem im Sinne des gesellschaftspolitischen Systems entwickelt, dem es vor allem darum geht, die eigenen Strukturen zu bewahren.

    Dementsprechend mangelt diesem „festhaltenden" System die notwendige Flexibilität, Kreativität, Innovativität und auch die Erinnerung verbunden mit einem Leidensdruck, um einer klaren Vision für eine nachhaltige Gesellschaft zu folgen. Dabei wird zukünftig jede Gesellschaft, welche die Menschen und Persönlichkeiten in den Mittelpunkt ihres Handelns rückt, stärker auf Sozial- und Umweltinnovationen setzen müssen als auf militärische Intervention.

    Zum Kanon der globalen UN-Sanktionen gehören laut Artikel 3 die Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post,-Telegrafen- und Funkverbindungen oder sonstiger Verkehrsmöglichkeiten inklusive des Abbruchs diplomatischer Beziehungen. Dies hat nicht nur weitreichende Konsequenzen

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