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Nachhaltige Logistik: Antworten auf eine globale Herausforderung
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eBook540 Seiten6 Stunden

Nachhaltige Logistik: Antworten auf eine globale Herausforderung

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Über dieses E-Book

Ehrgeizige Ziele zur Reduzierung von Schadstoffemissionen, ein steigender Ölpreis und zunehmende Produktivitätseinbußen im Güterverkehr fordern die Logistik heraus, einen eigenen Beitrag zur Erhaltung von Mobilität und Umwelt zu leisten und sich dafür in Teilen neu zu erfinden. Ausgehend von der Beschreibung zukünftiger Rahmenbedingungen entwickeln die Autoren geeignete Anpassungsstrategien. Dabei kommen nicht nur logistische Prozess- und Netzwerkarchitekturen auf den Prüfstand, sondern auch übergeordnete Marketingstrategien und Geschäftsmodelle.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum23. Juni 2010
ISBN9783642123528
Nachhaltige Logistik: Antworten auf eine globale Herausforderung

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    Buchvorschau

    Nachhaltige Logistik - Wolf-Rüdiger Bretzke

    Wolf-Rüdiger Bretzke und Karim BarkawiNachhaltige LogistikAntworten auf eine globale Herausforderung10.1007/978-3-642-12352-8_1© Springer Berlin Heidelberg 2010

    1. Grundlagen

    Wolf-Rüdiger Bretzke¹   und Karim Barkawi¹  

    (1)

    Barkawi Management Consultants GmBH & Co. KG, Baierbrunner Str. 35, 81379 München, Deutschland

    Wolf-Rüdiger Bretzke (Korrespondenzautor)

    Email: wolf.bretzke@barkawi.com

    Karim Barkawi

    Email: karim.barkawi@barkawi.com

    Zusammenfassung

    Im ersten Kapitel werden nach einer Klärung des Ausgangssiuation, die die Bedeutung der Logistik für das Thema umreißt und mit Zahlen belegt, und nach der Definition der Zielsetzung des Buches dessen begrifflich-konzeptionellen Grundlagen erarbeitet. Im Vordergrund steht dabei zunächst die Klärung des Nachhaltigkeitsbegriffes, dessen inflationäre Nutzung im täglichen Sprachgebrauch eine Präzisierung erzwingt. Im Zusammenhang mit dieser Explikation werden erste grundlegende Konzepte wie das Modell externer Kosten und dessen Problematik erörtert, deren Kenntnis für den weiteren Verlauf der Analyse vorausgesetzt werden muss. Es werden die drei Referenzsysteme der Nachhaltigkeit abgegrenzt, die dieser Arbeit zugrunde gelegt sind und zu denen wir auch den Sektor Mobilität zählen, und die zwischen ihnen bestehenden Interdependenzen offen gelegt. In einem weiteren Abschnitt werden dann die drei wesentlichen Determinanten herausgearbeitet, deren Veränderung die Logistik zukünftig zu grundlegenden Systemanpassungen zwingen wird. Dabei wird der Analyse ein Planungshorizont von fünfzehn Jahren vorgegeben.

    1.1 Ausgangssituation und Zielsetzung

    Laut einer im Oktober 2009 in Bangkok veröffentlichten Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) ist die Kohlendioxidemission in diesem Jahr weltweit um drei Prozent gesunken. Die gegenwärtige weltwirtschaftliche Rezession wirkt über rückläufige Energiebedarfe wie ein unfreiwilliges Umweltschutzprojekt und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf andere Probleme, deren Lösung weniger Aufschub zu dulden scheint. Von diesen Problemen geht wiederum eine negative Rückwirkung auf den Umweltschutz aus: mehr und mehr Politiker sorgen sich, dass Maßnahmen zur Reduzierung von Schadstoffemissionen wie ein forcierter Wechsel auf erneuerbare Energien oder teure Emissionszertifikate die Belastbarkeit der Wirtschaft nicht nur in einer Rezession überstrapazieren. Den Charakter einer menschheitsbedrohenden Entwicklung, den führende Klimaforscher ihnen zuweisen, verlieren die zunehmenden Umweltbelastungen durch konjunkturbedingt rückläufige Energiebedarfe nicht. Es verwundert insofern nicht, wenn nach der jüngsten Studie „Trends und Strategien in der Logistik" (Straube u. Pfohl 2008) mehr als 74 % der befragten Unternehmen ihre Logistik bis 2015 stark von den Anforderungen des Umwelt- und Ressourcenschutzes betroffen sehen. Wir betrachten jedenfalls die Wirtschaftskrise perspektivisch als kurzfristiges Ereignis in einem langfristigen Geschehen, das uns andere Leistungen abverlangen wird als die Sanierung von Unternehmen und Staatsfinanzen.

    Zwischen dem, was Unternehmen am Horizont als neuen Handlungsbedarf erkennen, und dem, was sie heute schon tun, klafft offensichtlich noch eine große Lücke. „Most companies consider the environment when making strategic decisions but significantly fewer have implemented ‚Green Supply Chains‘, citing the lack of information as the main reason" (BearingPoint Survey Report 2008). Viele aktuelle Maßnahmen erscheinen eher marketinggetrieben und in ihrer Dimension – gemessen an dem Ausmaß dieser Lücke – als tastende erste Versuche auf dem Weg in ein neues, noch weitgehend unbekanntes Terrain. Und nicht selten stimmen die Marketingbotschaften über gesellschaftliche Verantwortung nicht mit dem überein, was die Unternehmen tatsächlich tun. Die Kombination aus einer ausformulierten Strategie, einer klaren organisatorischen Verankerung, gewidmeten Projekten, klaren Zielvorgaben, Messregeln und gewidmeten Ressourcen sehen wir erst bei einigen Vorreitern. Das ist wohl nicht nur einem Mangel an Ethik und Verantwortungsbewusstsein zuzuschreiben, sondern vor allem dem weit verbreiteten und tief sitzenden Hang von Führungskräften zu einer kurzfristigen Erfolgsorientierung und einer damit verbundenen Zurückhaltung bei der (kostenwirksamen) Änderung der Prioritäten zwischen ökonomischen und ökologischen Zielen.

    Ähnliche Verhaltensmuster finden sich bei Konsumenten, die sich bei Befragungen seit Jahren wesentlich umweltbewusster geben, als sie es dann bei ihrem konkreten Kaufverhalten zeigen. In beiden Fällen mag auch ein Mangel an Wissen über die langfristigen Folgen unseres Handelns und über eigene Handlungsoptionen zur Förderung de Nachhaltigkeit eine Rolle spielen, der es dem realen Homo Oeconomicus erschwert, rational zu entscheiden. Nicht immer liegen die Trade-Offs so klar auf der Hand wie bei der Entscheidung zwischen der Förderung frei laufender Hühner und dem Kauf eines billigeren Eis aus der Legehennenbatterie. Diesen Wissensmangel werden uns allerdings zukünftige Generationen nicht entschuldigend zugute halten. „Es werden Zeiten kommen, sagte Seneca schon vor 2000 Jahren, „in denen wir uns wundern werden, dass wir so Offenbares nicht gewusst haben.

    Es gibt methodisch mehrere Wege, an ein solches Wissen heranzukommen bzw. es zu generieren. Ein beliebter Weg sind Umfragen, etwa in der Form der Ende der 50er Jahre von der Rand Corporation entwickelten Delphi-Studien. Die Ergebnisse sind oft interessant und lesenswert, aber sie informieren uns nie über die Realität, sondern immer nur über das, was Experten über deren weitere Entwicklung denken oder glauben. Deshalb ist es sehr gewagt, aus den Meinungsmittelwerten solcher Studien auf der Sachebene einen Trend abzuleiten. Abgesehen davon, dass diese Experten irren können und manchmal wohl auch nicht die Zeit und die Instrumente für tiefer gehende Kausalanalysen und Modellbetrachtungen haben, helfen uns veröffentlichte Erwartungen bei der persönlichen Einschätzung dessen, was kommen wird, nur wenig bei der Frage, was wir denn konkret tun können. Diese Frage steht im Mittelpunkt dieses Buches. Um sie beantworten zu können, muss man sich inhaltlich mit den derzeitigen Systemen und Praktiken der Logistik auseinandersetzen. Das ist etwas anstrengender als die Auswertung von Fragebogen, aber am Ende des Tages vielleicht dann auch etwas ertragreicher. Wir laden unsere Leser ein, diesen Weg mit uns zu gehen, wobei wir die Ergebnisse unserer Arbeit als einen Beitrag betrachten, der die Diskussion anregen soll. Jeder der sich an dieser Diskussion beteiligt, betritt – wie die Autoren – gedanklich ein neues Terrain. Die Dekarbonisierung unserer Wirtschaft ist eine Jahrhundertaufgabe.

    Ein verbreiteter methodischer Ansatz zur Berücksichtigung der Unsicherheit über zukünftige Entwicklungen, den wir ebenfalls bewusst nicht nutzen, ist die Szenario-Technik. Damit berauben wir uns zwar der Chance, unerwartete Entwicklungen und Ereignisse wie eine erneute Wirtschaftskrise oder eine zunehmende Bedrohung des Welthandels durch einen zunehmenden Terrorismus in die Analyse einzubeziehen. Dafür verschaffen wir uns aber gezielt die Möglichkeit, uns sehr konzentriert auf drei Hauptentwicklungslinien zu konzentrieren, von denen wir überzeugt sind, dass sie die Zukunft der Logistik entscheidend prägen werden.

    Dieses Buch wendet sich in erster Linie an Entscheidungsträger in den Gebieten Logistik und Supply Chain Management. Insoweit, wie wir auch übergeordnete Geschäftsmodelle kritisch auf ihre Nachhaltigkeit hin betrachten, ist auch die oberste Führungsebene von Unternehmen angesprochen (die im Übrigen auch die z. T. gravierenden Eingriffe in logistische Systeme unterstützen müsste). Gleichzeitig haben wir aber auch die Politik fest im Blick. Sie gestaltet die zukünftigen Rahmenbedingungen unserer Logistiksysteme entscheidend mit und ist mit ihren Handlungen damit gleichzeitig Gegenstand von Prognosen und Objekt von Beratung (Letzteres macht sie für uns zu einer Zielgruppe von Lesern). Die Bedeutung politischer Entscheidungen für die hier zu diskutierenden Systemanpassungen resultiert dabei daraus, dass sie das Kostengefüge unserer Wirtschaft deutlich verändern werden, über die Kapazitäten unserer Verkehrsinfrastruktur befinden und deren Nutzung zu beeinflussen versuchen.

    Es ist unbestreitbar, dass es eine Reihe von Maßnahmen gibt, die den Umweltschutz und die Wirtschaftlichkeit gleichzeitig fördern. Eine verbrauchssenkende LKW-Fahrerschulung ist hierfür ein triviales Beispiel. Solche Beispiele lassen sich aber nicht, wie dies in Festreden gerne geschieht, zu einer grundsätzlichen Harmoniethese verallgemeinern. Ein Katalysator macht ein Fahrzeug ebenso teurer wie eine Mautgebühr dessen Betrieb. Zum Schwure kommt es deshalb erst, wenn unter schönen Etiketten wie dem eines „Corporate-Social-Responsibility-Programms Maßnahmen ins Auge gefasst werden, die zwar der Allgemeinheit nutzen, aber den Shareholder Value beeinträchtigen. Das ist in der Verfassung unseres Wirtschaftssystems bislang nicht vorgesehen und in wettbewerbsintensiven Märkten realistischerweise bestenfalls in Ausnahmefällen zu erwarten. Diesem Konflikt entkommt man deshalb nur, wenn die Politik Rahmenbedingungen setzt, die Umweltschutz für alle Unternehmen in gleicher Weise zu einer Frage von Konformität („Compliance) macht. Verstärkend kann hinzukommen, dass umweltfreundliches Verhalten durch umweltorientierte Kunden mit Premiumpreisen oder wenigstens mit Marktanteilssteigerungen belohnt wird.

    In der Vergangenheit ist saubere Luft nicht als knappe Ressource betrachtet bzw. behandelt worden. Sie konnte als nicht teilbares und nicht individuell zurechenbares „öffentliches Gut" ohne Rivalität in der Nutzung von allen in Anspruch genommen worden. Ein zusätzlicher Emittent schränkte die Nutzungsmöglichkeiten der anderen Emittenten nicht ein, und niemand konnte ausgeschlossen werden. Inzwischen ist das Selbstreinigungspotenzial der Erde überfordert und dieses Verhalten ist nicht mehr nachhaltig. Wir sind deshalb davon überzeugt und werden im weiteren Verlauf dieses Buches ausführlicher begründen, dass Nachhaltigkeit in Zukunft nur gesichert werden kann, wenn

    a)

    der Staat – etwa durch die Ausgabe von Emissionszertifikaten – als eine Art Ersatzeigentümer der Umwelt auftritt und knappe Ablagerungskapazitäten für Treibhausgase in der Erdatmosphäre mit Preisen versieht und dabei gleichzeitig deren Nutzung kontingentiert, und wenn

    b)

    Unternehmen ihre Logistikmodelle erfolgreich auf die zu Beginn dieses Buches herausgearbeiteten, sich dramatisch verändernden Rahmenbedingungen anpassen und dabei aus wirtschaftlichen Eigeninteresse für mehr Nachhaltigkeit sorgen. Von diesen Anpassungen handelt dieses Buch.

    Auch wenn klar ist, dass jede Maßnahme, die hilft, Schadstoffemissionen zu begrenzen (von der bereits angesprochenen Schulung von LKW-Fahrern bis zur Stromgewinnung in Lagerhäusern durch Solarenergie), hilfreich und notwendig ist, so wird uns doch zunehmend klar, dass die vor uns liegenden, keinen weiteren Aufschub duldenden Probleme uns wesentlich massivere Anpassungen abnötigen werden. Die von der Politik in internationalen Abkommen inzwischen mit einem klaren Commitment in die Welt gesetzten Emissionsreduktionsziele (CO2-Reduktion in den entwickelten Industrienationen um 80 % bis 2050) sind überhaupt nur erreichbar, wenn wir in der Veränderungsintensität ganz andere Größenordnungen anstreben, unsere ganze Intelligenz und Kreativität auf dieses Ziel ausrichten, eine entsprechend ausgeprägte Veränderungsbereitschaft entwickeln und nicht mehr viel Zeit verlieren.

    Die Logistik, von der wir bislang nicht viel mehr verlangt haben, als dass sie eine weltweite Arbeits- und Standortteilung zu vertretbaren Kosten ermöglicht, wird als Herzstück und Nervensystem der Globalisierung einen deutlichen Beitrag zur dauerhaften Sicherstellung der bedrohten Mobilität und zum Schutz der bedrohten Umwelt leisten müssen – nicht nur, um ihren anteiligen Beitrag zur Erfüllung ehrgeiziger politischer Zielvorgaben zu leisten, sondern auch, um unter nachhaltig sich ändernden Rahmenbedingungen ihre eigen Funktionsfähigkeit weiter aufrecht zu erhalten und um nicht für die immer deutlicher hervortretenden schädlichen Nebenwirkungen eines unkontrollierten wirtschaftlichen Wachstums als Täter an den Pranger gestellt zu werden.

    Wir wollen mit diesem Buch aber nicht nur aus einer defensiven Position heraus letzteres verhindern, sondern offensiv Wege aufzeigen, wie die Logistik beim Umbau unserer Wirtschaft in ein nachhaltiges System zum Wegweiser, tragenden Mitgestalter und vielleicht sogar zum Trendsetter und Vorbild werden kann. Wir wollen beispielhaft zeigen, was man durch Umdenken erreichen kann, und wir wollen unseren Beitrag zur Entwicklung der aufgeklärten Öffentlichkeit leisten, ohne die es nicht gehen wird. Das ist insofern nicht ganz einfach, als man Systeme nur verbessern kann, wenn man sie in der Tiefe versteht. Obwohl wir uns im Folgenden um eine verständliche Sprache bemühen, kommen wir nicht umhin, hier und da einige Grundkenntnisse in der Logistik vorauszusetzen.

    Die Zielsetzung dieser Arbeit wäre mit dem Begriff „grüne Logistik" nur unzureichend erfasst und umschrieben. Die Autoren dieses Buches vertreten die These, dass sich die Logistik – auch mit Blick auf die zunehmende Verstopfung unserer Verkehrsadern und die absehbare Verteuerung kurzfristig nicht ersetzbarer fossiler Energieträger – in Teilen selbst neu erfinden und dabei vermutlich von einigen Errungenschaften verabschieden muss, die (wie etwa die Kombination des Pullprinzips mit einer radikalen Zeitkompression) unter anderen Umständen als wegweisend, modern und fortschrittlich qualifiziert worden sind. Wenn sich die Bedingungen von Entscheidungen ändern, müssen sich auch die selbst Entscheidungen ändern. Damit sind zwangsläufig eine Entwertung bestehender Systeme und eine Neuordnung der Karten im Wettbewerb verbunden.

    Wer so argumentiert, sollte es bei dieser Diagnose nicht belassen, sondern den Versuch unternehmen, machbare Wege aus diesem Dilemma aufzuzeigen und zur Diskussion zu stellen. Dieser Beitrag beschreibt deshalb zunächst diejenigen zukünftig zu erwartenden Rahmenbedingungen des Designs logistischer Systeme und Prozesse, von denen der größte Veränderungsdruck ausgehen wird, und er gibt auf dieser Grundlage einen ersten Überblick über mögliche, grundlegende Anpassungsstrategien, die ein „nachhaltiges Wirtschaften auf der Grundlage einer „nachhaltigen Logistik ermöglichen können. Dabei geht es darum, unter anderen Aspekten Denkräume auszuleuchten, in denen wir uns so noch nicht bewegt haben.

    Aufgrund des großen Feldes zum Teil ganz unterschiedlicher Ansatzpunkte zur Förderung einer Wirtschaft, die die absehbaren Fernfolgen ihrer Entscheidungen antizipiert und nicht den Nebenwirkungen ihres eigenen Handelns zum Opfer fällt, konzentriert er sich im Hauptteil auf die „großen Linien des Netzwerk- und Prozessdesigns und vernachlässigt zugunsten dieser Fokussierung eine detailliertere Analyse kleinerer Gestaltungsfelder wie die Stauraumoptimierung auf Ladeflächen, die Reduzierung von Abfallstoffen in einer Produktion oder die Einsparung von Verpackungsmaterial durch Mehrwegbehältersysteme, die gesonderte, vertiefende Spezialuntersuchungen verdienen. Der Fokussierung zum Opfer fallen auch Analysen der Schadstoffeinsparungen bei Logistikimmobilien, obwohl, wie die von der deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen mit der Goldmedaille ausgezeichnete Immogate-Anlage in der Nähe des Münchener Flughafens zeigt, hier durchaus beachtliche Verbesserungen möglich sind (die 26.000 m² große Halle erzeugt während einer Lebensdauer von 20 Jahren 12.000 t CO2 weniger als eine konventionelle Lagerhalle und senkt die jährlichen Betriebs- und Energiekosten um 25 %). Einsparungen dieser Art sind system- und prozessneutral, insoweit relativ „schmerzfrei, und sie werden sich vermutlich auch ohne die Unterstützung durch Arbeiten wie diese in der Praxis durchsetzen.

    Obwohl 19 % des weltweiten Stromverbrauchs für Beleuchtung aufgewendet werden, ist auch der Ersatz von Glühbirnen durch Energiesparlampen nicht unser Thema. Wir widmen dem Feld technologischer Fortschritte und Innovationen im Bereich der Energieeffizienz und Schadstoffreduzierung zwar ein eigenes, transportorientiertes Kapitel, das aber mehr der Vervollständigung des Bildes dient und eher beispielhafte Lösungen aufzeigt. Die Ergebnisse und Folgewirkungen des menschlichen Erfindungsgeistes lassen sich nur eingeschränkt prognostizieren. Eine ausführliche Behandlung der hier absehbaren oder erwartbaren technologischen Fortschritte würde aber auch schon wegen deren Vielfalt den Rahmen eines primär an wirtschaftlichen Gestaltungsoptionen ausgerichteten Buches sprengen (und im Übrigen die Kompetenz der Autoren überstrapazieren). Damit ist natürlich keinerlei Wertung verbunden. Wir brauchen das Zusammenwirken von logistischen und technischen Innovationen. Und wir müssen uns schon deshalb eine Vorstellung von den absehbaren Folgen des menschlichen Einfallsreichtums auf diesem Sektor machen, weil bestimmte Prämissen, auf deren Basis wir argumentieren (hier insbesondere die Prämisse langfristig stark steigender Treibstoffpreise) auf Rohstoffknappheiten basieren, die durch technologische Effizienzsprünge relativiert werden können.

    Allerdings weisen wir darauf hin, dass Quantensprünge in der Energieeffizienz bei den heute genutzten Verkehrsträgern unserer Einschätzung nach schwierig sein werden (ein von Solarzellen angetriebenes Frachtflugzeug kann man sich kaum vorstellen), während andererseits die Beiträge, die die Logistik zur Erhaltung einer intakten Umwelt und eines fließfähigen Verkehr leisten kann, potenziell deutlich über dem Niveau technischer Effizienzsteigerungen liegen können. Es bringt einfach mehr, einen Transport besser auszulasten, kürzer zu halten oder ganz zu vermeiden, als ihn in innerhalb unveränderter logistischer Systeme mit schadstoffärmeren Fahrzeugen weiter durchzuführen. Außerdem steht zu befürchten, dass die Zeit nicht mehr ausreicht, um die benötigten Erfindungen rechtzeitig hervorzubringen und zur Marktreife zu führen. Mit den hier entwickelten logistischen Systemanpassungen kann man im Prinzip sehr viel früher beginnen.

    Es ist bemerkenswert, dass in vielen einschlägigen Studien, in denen auch die Förderung der Nachhaltigkeit des Güterverkehrs behandelt wird, kaum je die Umgestaltung logistischer Netzwerk- und Prozessmodelle thematisiert wird. Ein typisches Beispiel hierfür ist die jüngste WWF-Studie „Modell Deutschland. Klimaschutz bis 2050" (WWF 2009). In der Rubrik „Güterverkehr geht es (mit Ausnahme des ausgebrannten, in der Vergangenheit chronisch erfolglosen Dauerthemas „Verkehrsverlagerung) ausschließlich um Maßnahmen zur Verbrauchsreduzierung sowie der Umstellung auf alternative, idealerweise erneuerbare Energien (wenn man den Text genauer liest, handelt es sich überwiegend weniger um Maßnahmen als vielmehr um Forderungen). Von der Verkehrsleistung wird erwartet, dass ihr Wachstum gegenüber den einschlägigen Schätzungen erheblich gedrosselt wird, aber niemand sagt auch nur ansatzweise, wie das geschehen könnte. Damit tauchen die für die Verkehrsintensität der Wirtschaft ursächlichen Logistikmodelle auch nicht ansatzweise auf dem Radarschirm der Analysten auf – was implizit bedeutet, dass dort „business as usual" getrieben wird oder gar getrieben werden muss. Offensichtlich gibt es unter Verkehrsexperten ein Wissensdefizit in Sachen Logistik. Es ist auch ein Ziel dieses Buches, diese Lücke zu füllen.

    Der Beitrag liefert in diesem Feld keine Patentrezepte und keine einfachen Handlungsempfehlungen, sondern soll auf der Basis einer schlüssigen „Wenn-Dann-Logik eine erste, strukturierte gedankliche Plattform für zukünftige Systementwicklungen bereitstellen und entsprechende, weiterführende Überlegungen und Diskussionen stimulieren. Zugleich soll er ein Raster von Kriterien liefern, das einzelne Unternehmen in die Lage versetzt festzustellen, wie weit sie in ihrem jeweiligen Ist-Zustand noch von den Konzepten entfernt sind, die das Prädikat der „Nachhaltigkeit verdienen und welche Barrieren in ihrem Falle zu überwinden sind, um Teil eines neuen ökonomisch-ökologischen Gleichgewichts zu werden.

    Wer sich von diesem Text generelle Trends oder gar einfache Musterlösungen erwartet, wird deshalb enttäuscht werden. Wie auch schon in der Ausgangssituation werden zukünftig tragfähige Modelle in dem Sinne kontingent sein, dass ihre relative Vorteilhaftigkeit von einer Reihe situativer Randbedingungen abhängt, die zwischen Unternehmen und Branchen sehr unterschiedlich ausfallen können. „Maßnahme A ist erfolgversprechend, wenn Bedingung X erfüllt ist, bei Bedingung Y empfiehlt sicher eher Plan B. Entscheidungshilfe kann man deshalb nicht mit einfachen (zukünftigen) „Best-practice-Modellen liefern, sondern nur, indem man für Prozesses und Netzwerke innovative Konfigurationsmuster entwirft und diese zugleich mit förderlichen oder hinderlichen Randbedingungen in Verbindung bringt. So lässt sich dann auch unterscheiden, welche Unternehmen bestimmte Systemanpassungen vermutlich als erste aufgreifen und welche eher als „Late Followers" nachfolgen oder einen anderen Weg beschreiten werden. (Es zählt zu den Mängeln der meisten Trendstudien, dass sie sich um solche Differenzierungen kaum bemühen).

    Gleichwohl kann man in den im Folgenden beschriebenen und zur Diskussion gestellten Modellen und Maßnahmen einen gemeinsamen Nenner im Denkansatz erkennen, den wir in der Zusammenfassung als neues Paradigma der Nachhaltigkeit beschreiben. Dieses Paradigma zeigt in zwölf Punkten auf, welche Merkmale der aktuellen Art und Weise, Logistik zu denken und zu betreiben, auf den Prüfstand kommen werden und wie sich dieses Profil voraussichtlich ändern wird.

    Kein System kann mehr leisten als sein Engpass. Das impliziert, dass eine hochgradig arbeits- und standortteilige Wirtschaft nicht schneller wachsen kann als es die nur begrenzt ausbaubare Verkehrsinfrastruktur zulässt. Der Verkehr ist (wenn er fließt) das schlagende Herz unserer Ökonomie. Deshalb zählen die Reduzierung der Transportintensität der Wirtschaft und die Abkopplung des Verkehrswachstums vom Wirtschaftswachstum zu den Hauptthemen dieses Buches. Die in der Vergangenheit immer wieder zu beobachtende Betrachtung der Aufgabe der Harmonisierung von Angebot und Nachfrage nach Verkehrsinfrastruktur als Problem der Verkehrspolitik greift zu kurz, weil sie nicht auf die tiefer liegenden, teilweise in den Geschäftsmodellen von Unternehmen begründeten Ursachen der Transportintensität unserer Wirtschaft zugreift, sondern diese als gegeben hinnimmt. Das müssen wir anders machen. Wir können es auch – wenn wir es schaffen, einige zentrale Fragen anders zu stellen, tiefer zu bohren und dabei über den Tag hinaus zu denken.

    Die Verkehrsinfrastruktur kann als eine Art „externer Produktionsfaktor der Logistik betrachtet werden, auf den diese freilich aufgrund der Nutzungskonkurrenz mit dem PKW-basierten Individualverkehr keinen unbegrenzten Zugriff hat und dessen Kapazität sie nur indirekt beeinflussen kann. Eine Arbeit über Nachhaltigkeit in der Logistik würde aus mindestens zwei Gründen zu kurz greifen, wenn sie diese Verkehrsinfrastruktur lediglich als Restriktion betrachten und behandeln würde. Zum einen kann die Logistik durch eine Änderung ihrer Prozess- und Systemarchitekturen selbst einen Beitrag zur Erhöhung der Kapazität der Verkehrsinfrastruktur und zur (Wieder-)Verflüssigung von Verkehrsströmen leisten. Der Lösung dieser Aufgabe ist ein wesentlicher Teil dieser Arbeit gewidmet. Und zum anderen bedarf die Verkehrspolitik, die nicht nur für Erhalt und Ausbau von Verkehrswegen und –knotenpunkten zuständig ist, sondern auch mit unterschiedlichen Instrumenten die Nachfrage nach Infrastrukturkapazitäten zu beeinflussen sucht, bei der Entwicklung und Einschätzung ihrer Maßnahmen ganz offensichtlich der Unterstützung durch logistisches Fachwissen (Man denke nur an die chronische Überschätzung der Möglichkeiten, Verkehre von der Straße auf die Schiene zu verlagern, die man inzwischen als klassische Lebenslüge der deutschen Verkehrspolitik einstufen kann). Wir kommen deshalb nicht daran vorbei, uns auch um Handlungsfelder der Politik zu kümmern, von denen mit den Begriffen „Telematik und „Road Pricing" hier nur zwei Ansätze beispielhaft hervorgehoben werden.

    Dafür, dass sich diese Arbeit in weiten Teilen mit der Frage nach der Transportintensität des Wirtschaftens beschäftigt, liefert natürlich auch der Umweltschutz nahe liegende Gründe. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) ist der Transportsektor in den OECD-Ländern für 30 % der CO2-Emissionen verantwortlich, wobei 23 % auf den Straßentransportbereich entfallen (OECD 2008, S. 6 f. Ein sehr ausführliches Datenmaterial findet der Leser in der Studie des International Transport Forum über „Greenhouse Gas Reduction Strategies in the Transport Sector" (ITF 2008).) Dabei ist absehbar, dass der Anteil des Güterverkehrs an den Schadstoffemissionen in den nächsten 20 Jahren deutlich steigen wird, weil der Verkehr anhaltend stärker wächst als das Weltbruttoinlandsprodukt und weil die Dekarbonisierung hier besonders schwer fällt.

    Das Kohlendioxid ist zwar nicht das einzige schädliche Treibhausgas, hat aber „die zentrale Rolle beim Einfluss des Menschen auf das Klimageschehen" (Sinn 2008, S. 25). CO2 ist ein Gemisch, das aus einer Verbindung von Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O2) besteht und in Verbindung mit Wasserdampf zunächst einmal dafür sorgt, dass unsere Erde überhaupt bewohnbar ist. Im Aggregatzustand Kohlendioxid ist Kohlenstoff ein normaler Bestandteil der Atmosphäre. Im übertragenden Sinne gilt hier aber die Weisheit des Paracelsus: Die Dosis macht das Gift. Die industrielle Entwicklung hat in der Atmosphäre die Klimabalance aus dem Gleichgewicht gebracht und mit ihrer verstärkten CO2-Emission die an sich lebensnotwendige Hülle aus Gas so verdichtet, dass der viel zitierte „Treibhauseffekt" entstanden ist (zu einer ausführlichen Beschreibung vgl. Rahmstorf u. Schellnhuber (2007) sowie Sinn (2008)).

    Allerdings würde unsere Analyse zu kurz greifen, wenn sie den Nachhaltigkeitsbegriff als eine Art Synonym für Umweltschutz begreift. In diesem Buch geht es in zweierlei Hinsicht um wesentlich mehr als nur um „grüne Logistik: zum Ersten, weil die Nachhaltigkeit unserer Wirtschaft nicht nur durch schwer reparierbare Umweltschäden, sondern auch durch verstopfte Verkehrsadern bedroht wird (in diesem Punkt sind unsere Analysen vollkommen unabhängig von den Prognosen und Warnungen der Klimaforscher), und zum Zweiten, weil unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit nicht nur logistische Systeme, sondern auch – auf einer höheren Managementebene – ganze Geschäftsmodelle auf den Prüfstand müssen. Wir müssen uns deshalb vorbereitend zunächst einen weiteren und damit inhaltlich anders gefassten Begriff von „Nachhaltigkeit verständigen – auch weil von diesem mittlerweile schon inflationär genutzten Begriff eine Suggestionskraft ausgeht, die ihn als selbstevident erscheinen lässt und die deshalb vorschnell zu einem Einverständnis mit dem scheinbar Offensichtlichen führen kann. Die Folge ist, dass der Begriff jedermann leicht über die Lippen geht und ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit trotz der damit verbundenen ökonomischen Brisanz allzu oft folgenlos bleibt. Mit einem solchen Maß an begrifflicher Beliebigkeit können wir nicht arbeiten.

    Offensichtlich ist Nachhaltigkeit ein angestrebter Systemzustand und damit ein Ziel. Man kann aber keine Ziele definieren, ohne das zugehörige Referenzsystem einzugrenzen, und man kann keine Ziele erreichen, die man nicht definieren kann.

    1.2 Was bedeutet eigentlich „Nachhaltigkeit"?

    Die heutige Debatte über Nachhaltigkeit ist entscheidend durch den 1972 vom Club of Rome veröffentlichten Report über „Die Grenzen des Wachstums angeregt worden. 1979 fand die erste Weltklimakonferenz in Genf statt. Ein weiterer Meilenstein war der Brundland-Bericht von 1987 über „Our Common Future. Im Jahr 1992 kam man in Rio de Janeiro erstmals überein, dass Maßnahmen zum Klimaschutz getroffen werden müssen. Dort ist eine Klimarahmenkonvention (KRK) verabschiedet worden, die seit 1994 völkerrechtlich verbindlich ist. Sie sieht eine „Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau vor, auf dem „eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Erste Reduktionsziele wurden 1997 im so genannten Kyoto-Protokoll vereinbart. Zuletzt ist die Diskussion von dem später für sein Engagement für den Umweltschutz mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten amerikanischen Beinahe-Präsidenten AL Gore mit seinem weltweit beachteten Dokumentarfilm „An Unconvenient Truth" belebt worden.

    Nachhaltigkeit als Bestandserhaltung?

    Wie der Welt-Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 gezeigt hat, ist das Thema „Nachhaltigkeit, befeuert durch intensive Mahnungen von Klimaforschern, inzwischen im Zentrum der internationalen Politik angekommen und wird dort auf höchster Ebene verhandelt. Aber schon im Jahr 1713 forderte der sächsische Berghauptmann Hanns von Carlowitz in seinem Werk über „Sylvicultura oeconomica – Naturmäßige Anweisung zur wilden Baumzucht zum ersten Mal eine nachhaltige Nutzung von Wäldern. Seine Idee von „Nachhaltigkeit" war dabei von bestechender Einfachheit: die Menge der abgeholzten Stämme darf den Umfang der nachwachsenden Bäume nicht überschreiten. (Herr von Carlowitz würde sich im Grabe herumdrehen, wenn er erführe, dass derzeit alle zwei Jahre eine Waldfläche von der Größe Deutschlands vom Erdball verschwindet, was wegen der Fähigkeit von Wäldern zur Speicherung von Regenwasser, zur CO2-Absorbtion und zur Erhaltung der Artenvielfalt kein rein forstwirtschaftliches Problem ist – die Bewohner der Osterinsel haben mit dem Abholzen ihrer Wälder die Grundlagen ihrer Zivilisation zerstört).

    Diese Idee kann man auch auf andere Ressourcen übertragen, etwa auf das Problem der Überfischung von Meeren. Nach Angaben der FAO sind die Thunfischbestände im Westatlantik zwischen 1970 und 1993 um 80 % zurückgegangen (zit. nach Daly u. Farley 2004, S. 118). Wenn man den Gedanken einer in die Zukunft reichenden Ressourcenstabilität mit der Idee der Generationengerechtigkeit verbindet, landet man bei der vielzitierten Definition des oben erwähnten Brundland-Berichtes: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without comprising the ability of future generations to meet their own needs (vgl. ausführlicher auch Hauff 1987). Mit der Idee der Generationengerechtigkeit wird ein potenzieller, in diesem Kontext nur selten offen ausgesprochener Beziehungskonflikt angesprochen, dem sich Wirtschaftswissenschaft und Organisationstheorie unter dem Namen „Principal-Agent-Relationship angenommen haben (vgl. ausführlicher Brousseau u. Glachant 2008). Ein Agent (in dieser Analogie unsere Generation mit ihren Führern in Wirtschaft und Politik) hat aufgrund unzureichender Kontrollmöglichkeiten der Principals (das sind hier unsere Kinder), die Gelegenheit, anstelle von deren Nutzenfunktion opportunistisch die eigene zu maximieren. Auch wenn wir uns den eigenen Nachkommen gegenüber nicht opportunistisch verhalten wollen: wie man bei der nach dem Umlageverfahren organisierten Pflegeversicherung sehen kann, hat Kurzsichtigkeit die gleichen Folgen (nach Micic 2007, S. 79) ist dieses Arrangement ein „unvorstellbar einseitiger Pakt gegen die Jungen").

    Aber schon bei einer Betrachtung der weltweiten Ölvorräte stoßen wir mit diesem auf Bestandserhaltung fokussierten Denkmodell an Grenzen. Ölförderung kann angesichts der endlichen Vorräte an fossilen Energieträgern in sich selbst nie „nachhaltig sein. Vielmehr müssen wir unsere Energiebedarfe zeitgerecht auf andere Energiequellen umlenken und damit unsere Verbrauchssysteme (etwa durch die Entwicklung und Nutzung von Elektroantrieben in Fahrzeugen) an andere Bedingungen anpassen. Wir brauchen deshalb eine zugleich allgemeinere und konkretere Definition von Nachhaltigkeit, die einerseits das Thema „Bestandserhaltung umfasst, ohne den Begriff auf diesen eher statisch gedachten Tatbestand zu verkürzen, und die (anders als die Rede von der Generationengerechtigkeit), auch auf Subsysteme wie die Logistik anwendbar ist. Wir knüpfen dabei an die Fähigkeit von Systemen an, ihre Funktionsfähigkeit unter veränderten Randbedingungen aufrechterhalten zu können.

    Eine systemtheoretische Definition

    Als „nachhaltig lassen sich in einem ersten Schritt generell solche Systeme definieren, die auf einen vermutlich dauerhaft veränderten oder sich verändernden Kranz wichtiger Rahmenbedingungen so ausgerichtet sind, dass sie bei Fortbestand dieser Bedingungen nicht weiter angepasst werden müssen, also in dem gewünschten Zustand fortbestehen können („sustainable heißt „able to be maintained). Das etwas statisch klingende Wort „Zustand umfasst dabei auch die Fähigkeiten und Potenziale eines Systems, z. B. die Fähigkeit des Systems Erde, das menschliche Leben auf ihr zu unterstützen. Der Hinweis auf den gewünschten Zustand ist insofern wichtig, als die Natur uns unabhängig von unserem Verhalten in jedem Falle überleben wird, auch wenn sie dann kaum noch bewohnbar sein sollte, uns eine völlig andere, nicht gewünschte Siedlungsstruktur abverlangt oder sich ganz ohne uns in einem neuen Gleichgewichtszustand stabilisiert. Außerdem wird mit der Verankerung der Nachhaltigkeit an einem gewünschten Erreichungsgrad gesellschaftlich vereinbarter Ziele ein Schwachpunkt des Bestandskonservierungsdenkens überwunden, mit dem ja implizit der Istzustand der Welt kontrafaktisch als akzeptabel unterstellt wird („The world society is presently on a non-sustainable course", diagnostiziert Diamond (2005, S. 498) zu Recht). Die Definition fasst den Nachhaltigkeitsbegriff nicht statisch, weil sie auch sich verändernde Rahmenbedingungen umfasst (so ist beispielsweise eine Verkehrsverlagerung auf die Bahn nicht nachhaltig, wenn diese Maßnahme erkennbar an Kapazitätsgrenzen stoßen wird). Wer bei dieser systemtheoretisch gefassten Definition spontan an die Ausrichtung unserer Sozialversicherungssysteme an die Bedingungen einer überalternden Gesellschaft denkt, hat ihren Sinn voll erfasst. Auch Parallelen zur Finanzkrise sind erlaubt.

    „Nachhaltigkeit signalisiert insofern so etwas wie einen Gleichgewichtszustand und kann insoweit mit „Stabilität, „Harmonie, und „Dauerhaftigkeit assoziiert werden. Der so gefasste Begriff steht für eine zukunftsfähige Welt. Er umfasst die Idee der „Substanzerhaltung, überwindet aber die mit diesem Begriff verbundene Assoziation der Bestandskonservierung, die etwa bei der Erhaltung von „Mobilität nicht weiter trägt (der Verkehrsinfarkt signalisiert keinen Bestands-, sondern einen Funktionsverlust). Das Erstreben einer so verstandenen Nachhaltigkeit bedingt, dass wir uns auch der Nebenwirkungen unseres Handelns und seiner Auswirkungen auf nachfolgende Generationen stets voll bewusst sind (typische Nebenwirkungen der hier angesprochenen Art sind die Förderung einer verkehrsintensiven Siedlungsstruktur durch Pendlerpauschalen oder das Ausweichen mautbelasteter LKWs auf mautfreie Landstraßen). Tatsächlich erreichen können wir Gleichgewichtszustände aus zwei Gründen praktisch nie, nämlich weil wir

    zukünftige Rahmenbedingungen und daraus resultierende neue Anpassungsbedarfe nie vollständig antizipieren können (möglich ist deshalb nur so etwas wie ein „Fließgleichgewicht"), und

    weil uns, wie später noch ausführlicher erläutert wird, für eine hinreichend genaue, belastbare Feststellung der Erreichung dieses Ziels insbesondere in Bezug auf eine entsprechende Qualifizierung unternehmerischer Maßnahmen die Messinstrumente fehlen.

    Ist eine Erderwärmung um 2 °C noch tolerabel oder könnten wir auch mit 3 Grad leben (und wenn ja: wer von uns, wo und wie?). Welchen Anstieg des Meeresspiegels und welchen Verlust der Artenvielfalt sind wir noch hinzunehmen bereit? Vor allem aber: wie können wir solche Grenzwerte bestimmen, wenn noch so viel Unsicherheit über die notwendigen Maßnahmen, deren Kosten und über die erwartbaren Folgen besteht? Nachhaltigkeit kann deshalb nicht als finale Zustandsbeschreibung verstanden, sondern muss als eine regulative Leitidee gedacht werden. Ein Wegweiser für einen Weg, der teilweise erst beim Gehen entsteht und der uns unterwegs helfen kann, Kurs zu halten und unsere Geschwindigkeit anzupassen, d. h. begründet abzuschätzen, ob die bislang ergriffenen Maßnahmen mit ihren prognostizierten Wirkungen nach allem, was wir wissen, ausreichend (also schon „nachhaltig") sind oder nicht. Vor uns liegt ein hochanspruchsvoller gesellschaftlicher Lern-, Entdeckungs- und Konsensfindungsprozess. Die Arbeit an der Nachhaltigkeit wird nie beendet sein.

    Ein Problem, das uns dabei immer wieder begegnet, besteht darin, dass bestimmte Maßnahmen wie die Erfindung abgasärmerer Motoren oder die verbesserte Auslastung von Fahrzeugen kurzfristig erhebliche Erleichterungen versprechen, nach einigen Jahren dann aber von einem weiter wachsenden Güterverkehr kompensiert und gewissermaßen „aufgefressen werden können. Auch gut ausgelastete Lieferwagen mit Elektroantrieb verschwenden Energie, wenn sie im Stau stehen, weil die Wirtschaft von ihnen zu viele braucht, und sie können aus demselben Grund mit sich selbst die Mobilität als Ganzes zum Stehen bringen. Das bestätigt unser Verständnis von „Nachhaltigkeit als „Moving Target" und zwingt uns im Beispielfall, über die dann notwendigen, radikaleren Anpassungsmaßnahmen heute schon nachzudenken. Wir tun dies auf der Basis unseres heutigen Wissens in diesem Buch in einer abgestuften Form, deren Logik bereits angedeutet wurde und in Abb. 1.1 wiedergegeben ist.

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    Abb. 1.1

    Grundlegende Gestaltungsfelder

    In diesem Bild symbolisieren äußere Hüllen Determinanten und Treiberkonstellationen für die jeweils umhüllten Handlungsfelder, d. h. das Bild gibt, von außen nach innen gelesen, eine Hierarchie von Einflussfaktoren wieder, die selbst den Charakter von Gestaltungsvariablen haben. Von innen nach außen spiegelt es eine schrittweise Erweiterung der Handlungsspielräume, wobei gleichzeitig die mit den Handlungsoptionen verbundene Veränderungsintensität zunimmt. Auf diesem Weg wandert man aus dem Feld der Logistik hinaus in Felder der sie prägenden Vorentscheidungen auf hierarchisch höheren Ebenen. Im Kern stehen Fragen der Effizienzsteigerung von Transporten sowie der Verschiebung und Verlagerung von Transporten, deren „Natur" und Notwendigkeit bis dahin als derivativ betrachtet wird. Weiter außen kommen darüber hinaus Ansätze zur Transportvermeidung ins Blickfeld.

    Wer möchte, kann dem ganzen noch einen weiteren Umhüllungsring hinzufügen und das dort abgegrenzte Terrain „Unternehmensvision nennen. Dort geht es dann aber nicht mehr um Gestaltungsspielräume und Ressourcenallokation, sondern um die grundsätzliche Beschreibung der Rolle, die ein Unternehmen in der Gesellschaft einnehmen will. Das klingt dann etwa so: „SANYO views the world as a single living organism and this conviction guides its constant innovation of new products which promote environmental sustainability and societal values. (zit. nach einer CEO-Präsentation auf dem BVL-Automobilforum, Sindelfingen 2010). Visionen bestimmen das grundlegende Wertesystem eines Unternehmens, das (im Gegensatz zu allen anderen Handlungsfeldern und in der Nähe eines identitäts- und sinnstiftenden Glaubensbekenntnisses) nicht zur Disposition gestellt werden kann. Der „Leitstern" – kein schlechter Ort, um das Thema Nachhaltigkeit zu verankern, aber nicht der Ort, an dem wir uns hier bewegen wollen.

    Im Kern dieses Buches geht es, dem Titel entsprechend, um die Anpassung und Umgestaltung logistischer Netzwerk- und Prozessarchitekturen. Hauptfokus ist dabei die Frage, wie diese Systeme die Transportintensität der Wirtschaft beeinflussen und wo es „Stellschrauben" zu deren Reduktion gibt. Da die Logistik ihrerseits der Umsetzung von Vorgaben dient, die in den Geschäftsmodellen von Unternehmen verankert sind, ist es unerlässlich, gelegentlich über den Tellerrand der Logistik hinauszublicken, um hierarchisch höher gelegene Treiber von Transportkosten in den Blick zu bekommen. Aus demselben Grund gerät auch die grundlegende Unternehmensstrategie auf den Radarschirm der Analyse. Dort sollte das Thema Nachhaltigkeit mit einer ausreichenden Priorisierung fundamental verankert sein. Ein Beispiel

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