Im Tal (eBook): Roman
Von Tommie Goerz
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Über dieses E-Book
Die berührende Geschichte eines Mannes, der seiner kaltherzigen Kindheit nie ganz entkommt und in die Mühlen der Geschichte gerät
Im Sommer 1897 erblickt Anton Rosser auf einem abgelegenen Hof in der Fränkischen Schweiz das Licht der Welt – ein dunkles Licht mit schwarzen Schatten, die ihn sein Leben lang begleiten. Er lebt dort abgeschieden und allein, bis ihn im Winter 1968 ein Wanderer auffindet, vornübergesunken an seinem Küchentisch, erfroren. Der Arzt bescheinigt einen natürlichen Tod, doch bleiben Fragen.
Im Tal erzählt die Geschichte eines Mannes, der zeit seines Lebens um sein Leben kämpft, doch nicht gewinnen kann.
Tommie Goerz
Tommie Goerz, Jahrgang 1954, lebt als Schriftsteller in Erlangen. Bekannt wurde er vor allem mit seiner Reihe um Kommissar Friedo Behütuns. Sein 2020 erschienener Roman »Meier« stand auf der Krimibestenliste und wurde mit dem Friedrich-Glauser-Preis in der Kategorie »Bester Roman« ausgezeichnet. 2022 folgte »Frenzel«, für den er den Crime Cologne Award für den besten Kriminalroman erhielt.
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Im Tal (eBook) - Tommie Goerz
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Toni Rosser stirbt im Februar neunzehnhundertachtundsechzig mit einundsiebzig Jahren. Die Umstände seines Todes scheinen klar, im Totenschein vermerkt der Arzt »Herzstillstand«, zu den Umstehenden sagt er »Altersschwäche, Unterernährung, Verwahrlosungszustand« und zuckt dazu mit den Schultern. Ihm geht es kaum anders als den Übrigen: Im Grunde ist man froh, dass man ihn endlich los ist, es sagt nur keiner. Er war – na ja.
Im Ort aber halten sich bis heute hartnäckig Gerüchte, ob es tatsächlich ein natürlicher Tod war, doch man stellt lieber keine Fragen.
1
Kaum mehr als ein Steinwurf liegt zwischen den zwei Gehöften. Sie stehen am Rand einer letzten von Wald umgebenen Wiese. Mischwald. Buchen, Birken, Fichten, vereinzelt Tannen, Lärchen. Im Winter herrscht hier über Wochen kalter Schatten, die Sonne schafft es kaum über die Baumwipfel der umliegenden Höhen, lediglich nach Norden hin ist das Tal offen. Im Tal nennt man den kleinen Weiler hier, doch eigentlich besitzt er keinen eigenen Namen. Die Höfe gehören zur Gemeinde Urspring ein paar Kilometer talwärts, jenseits des Waldes. »Im Tal droben«, sagt man widersinnigerweise, wenn man in den unteren Dörfern über den Flecken und seine Bewohner spricht.
Wohnhaus und Stall des oberen Hofes befinden sich unter einem Dach. Der Stallpart ist komplett aus Sandstein gefügt, den man hier überall findet, der Wohnpart – Wohnküche, Schlafraum, Kammer – ist eine landstrichübliche Fachwerkkonstruktion, ruhend auf einem Sandsteinsockel. Die Rückseite des Gebäudes gräbt sich in den Hang, ihre zwei Fenster schauen ebenerdig hinaus. Entlang der Bodenkante ist der Stein längst dick bemoost vom aufspritzenden Traufwasser. An den Stall lehnt sich ein hölzerner Heuschober, daran ein kleiner Schuppen fürs Gerät mit Hasenstall und Holzlege, schließlich der Abtritt. Der Hofraum, ungepflastert, ist nach jedem Regen von schlammigen Pfützen übersät, in denen der Odel schillert, der aus der Miste direkt vorm Stall sickert. Auf der Wiese hinterm Haus krumm ein paar Obstbäume, oberhalb beginnt schon der Wald. Dunkel zieht er sich den Hang hinauf.
Der untere Hof liegt fast am Waldrand, mit einer Wand direkt am Bach. Eigentlich ist er nur ein kleines, auf Sandsteinquader gestelltes Fachwerkhaus mit Holzschuppen und Stall für Hühner und Gänse.
Die Menschen im Tal sind seit jeher arm. In diesem kaltdunklen Loch will niemand leben. Hier oben endet auch die schmale Karrenspur, die vom Dorf herauf den Bach entlang durch Waldstücke und kleine Lichtungen führt. Weiter hinauf schlängelt sich nur noch ein Fußpfad durch die Wiese und verschwindet im Schatten der Bäume. Nur selten kommt hier jemand vorbei, und so fällt es auch niemandem auf, dass trotz der klirrenden Kälte seit Tagen kein Rauch mehr aus dem Kamin des oberen Hofes aufsteigt, zumal das untere Gehöft schon seit Jahrzehnten leer steht. Es ist längst eine Ruine. Das Dach ist teilweise eingestürzt, an manchen Stellen der Hausfront ist der Lehm aus den Fachungen gebrochen oder geschlagen worden, das Gebälk vereinzelt nur noch nassschwarz-fauliges Holz. Leere Fensterhöhlen reißen ihre Mäuler auf, und ein winterkahles Birkengerippe stakt durch die Reste des Daches. Erst als ein einsamer Winterwanderer, von Morschreuth herunterkommend, sich den Bachlauf entlang seinen Weg durch den Schnee spurt und in das Tal kommt, findet er Toni Rosser dort. Schon vom Waldrand aus fällt ihm die offen stehende Tür auf. Als er schließlich das Haus erreicht und durch die Türhöhlung ins Dunkle späht, sieht er den alten Bauern vornübergekippt mit dem Oberkörper auf dem Tisch liegen. In der Feuerstelle mitten im Raum liegt schwarz ein verkohlter Wurzelstock, seit Tagen erloschen, es riecht nach kaltem Rauch. Als der Wanderer über die Türschwelle tritt, gackern verschreckt zwei Hühner auf und flattern hinaus, und eine dicke Ratte huscht ins Eck. Im Stall stehen schon seit Jahren keine Tiere mehr.
Ganz deutlich hat er noch Tage später die schwielig aufgerissenen Hände des Alten vor Augen und die zwei blind verschmierten Gläser auf dem Tisch. Eines davon hat auf der Seite gelegen. Er hat die Gläser nicht angerührt, sich aber gewundert, warum es zwei waren. Der Alte brauchte ja nur eins. Auch, dass da keine Flasche oder Karaffe war, aus der der Alte die Gläser hätte füllen können, ist ihm aufgefallen. Dass die Tür offen gestanden hat, hat ihn erst später irritiert.
Der Arzt, der schließlich – der Wanderer hat im Wirtshaus drunten die Bauern informiert und ihn angerufen – von Pretzfeld heraufkommt und den Tod Rossers feststellt, schenkt den Gläsern keine Beachtung. Auch nicht der fehlenden Flasche.
2
Der Besucher, der, noch bevor es in jenem Februar zu schneien beginnt, in Richtung des Tales aufbricht, fällt niemandem auf. Angeblich. Doch kursieren bis heute Gerüchte. Dass einer am frühen Vormittag mit seinem Rucksack drunten im Dorf losgezogen sei wie ein wochentäglicher Wanderer, und erst zur späten Dämmerung wieder zurückgekehrt. Und dass er seinen Wagen in Urspring abgestellt habe, im Schatten der Scheune vor dem Thosbach gleich links.
Hinter vorgehaltener Hand wird man bisweilen sogar noch genauer: Der sei schon etwas älter gewesen, aber »noch gut beieinander« und rüstig. Und der Wagen habe ein Nummernschild gehabt wie in Frankreich oder Holland, das hintere auf jeden Fall gelb. Und es sei ein französisches Auto gewesen, so ein komisch flaches. Solcherart Gerüchte können einem in der Gegend zu Ohren kommen, wenn man im Wirtshaus bei den Bauern sitzt. Aber bezeugen? Offiziell hat keiner etwas gesehen. Und gemeldet schon gleich gar nicht. Man ist froh, dass endlich Ruhe ist droben im Tal. Toni Rosser war den Leuten längst unheimlich. Der Bunklers Hans aus Urspring aber, inzwischen auch schon weit über sechzig, sagt noch heute, dass ein Citroën DS 21, tiefdunkelblau, einmal dort geparkt habe. Als Bub habe er den dort stehen sehen und sogar angefasst. Ein Auto wie ein Ufo, so was vergisst man nicht. Ob das jedoch genau in diesen Tagen war oder überhaupt im Jahr neunzehnhundertachtundsechzig, dazu sagt er nur »keine Ahnung«. Aber: »Den hat ein alter Mann gefahren.«
»Du kannst dich«, sagt er aber auch und grinst, »auf deine Erinnerung nicht verlassen. Denn die macht dir die Dinge so, wie du sie willst, nicht wie sie waren – und was für mich sechsjährigen Bub damals ein alter Mann war … ab dreißig waren die alle alt. Obwohl, ein wenig älter war er schon.«
3
Der Wanderer, der Toni neunzehnhundertachtundsechzig findet, ist nicht zum ersten Mal im Tal. In den Jahren zuvor hat er schon öfter diesen Flecken besucht. Er hat ihn durch Zufall einst auf einer seiner Wanderungen entdeckt. Das erste Mal an einem späten Nachmittag im Sommer. Als er damals, den steilen Weg von Wichsenstein herunterkommend, aus dem Wald heraus auf die Lichtung des Tales tritt, muss er unwillkürlich innehalten. Andächtig, fast wie verzaubert. Eine knapp zwei Fußballfelder große, leicht abfallende Wiese, komplett von Wald umgeben, liegt vor ihm, ein Bach schlängelt sich hindurch. Am unteren Waldrand fast malerisch die Ruine eines kleinen Hofes, auf der anderen Seite des Baches oberhalb ein kleines Gehöft, genauso malerisch verwahrlost. Weißbläulicher Rauch steigt dünn aus dem Kamin und legt sich ein paar Meter höher als hauchzarte Schicht übers Tal. Auf der Bank vorm Haus sitzt ein kräftiger alter Mann, vornübergebeugt und auf die Knie gestützt, wohl müde von der Arbeit. Es ist der Hausherr, der Bauer. Toni Rosser, wie der Wanderer später erfährt. Die erkennbar selbst geschnittenen, strubbeligen weißen Haare leuchten hell herauf.
Was für ein schöner Platz zum Übernachten, ist der erste Gedanke des Wanderers, als er dort oben steht. Er nächtigt auf seinen Wanderungen gern und oft im Freien. Nach kurzem Verweilen begibt er sich langsam den schmalen Pfad hinunter zum Hof.
»Grüß Gott«, grüßt er ortsüblich.
Der Alte reagiert nicht, schaut nur weiter bewegungslos vor sich hin.
»Grüß Gott«, wiederholt der Wanderer lauter. Ein paar Hühner scharren im Hof und auf dem Mist, eine Kuhkette klirrt im Stall, aber es riecht nach Schwein.
»Was?«, brummelt der Alte endlich, missmutig. »Was willstn?«
»Entschuldigen Sie … Ich wollte fragen … also ich … ich würde gerne …« Er stockt. Der Alte schüchtert ihn ein.
Der hebt nur leicht den Kopf und sieht ihn unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an. Wie von weit weg, gleichzeitig abweisend, auch eine Spur herausfordernd. Aber nicht feindlich. Der Fremde, das ist unmissverständlich, ist ihm lästig. »Hä?«
Trotzdem fasst sich der Wanderer ein Herz: »Ich würde gern dort oben am Waldrand mein Zelt aufstellen und übernachten.«
Nichts.
»Nur eine Nacht«, schiebt er fast schon beschwichtigend hinterher, »und ich wollte fragen, ob Sie mir das gestatten.«
Vom Alten kaum mehr als ein Brummeln. »Dort droben? Warum?«
Eine Kuh muht drüben im Stall, dann grunzt ein Schwein.
»Weil es bald Abend wird. Und weil das dort ein schöner Platz ist.«
Hat der Alte gerade den Kopf geschüttelt? Der Wanderer kann es nicht sagen. Eine Fliege läuft dem Alten übers Gesicht. »In zwanzig Minuten bist im Dorf im Wirtshaus, in einer Stund’ drunten in Pretzfeld. Da geht der Zug.«
Das ist ein klares »Nein« und eigentlich auch ein »Hau ab!«, der Wanderer kennt die Sprachgewohnheiten hier. Er aber bleibt hartnäckig, zu verlockend ist ihm die Vorstellung, am Waldrand die Nacht zu verbringen. »Ich störe auch nicht, mache kein Feuer, nichts. Nur bis morgen früh. Nur etwas Wasser bräuchte ich, bitte.«
Mit einer leichten Kopfbewegung deutet der Alte erst in Richtung Brunnen neben dem Eingang und dann zum Bach. Er scheint kein Mann der Worte. Immerhin: Das ist doch schon fast eine Erlaubnis.
»Kann man das trinken?«
»Schon.«
»Kein Wasserhahn?«
»Nein.«
»Das heißt, Sie erlauben es mir?«
Mit einer Handbewegung in Richtung Waldrand, eher einem Wedeln, mit dem man eine Fliege verscheucht, kommt von ihm nur noch ein »Schon gut«, dann nichts mehr.
So spielte sich die erste Begegnung der beiden ab. Sie liegt schon Jahre zurück. Also steigt der Wanderer hinauf und stellt sein kleines Zelt am Waldrand auf.
In der Nacht weckt ihn ein Stöhnen, ein lang gezogenes und gequältes, schmerzerfülltes Ächzen. Kein Tier macht solche Laute. Es kommt von unten herauf, vom Hof und eindeutig vom Alten. Dann erstirbt das fast unheimliche Geräusch, verebbt im Wald, und Ruhe legt sich wieder aufs Idyll. Stockdunkel liegt das Tal, vom Hof her nicht das geringste Licht.
4
Mit dem ersten Morgengrauen rollt der Wanderer sein noch taunasses, kleines Zelt zusammen und verlässt das Tal. Den Alten bekommt er nicht mehr zu Gesicht, er zeigt sich nicht. Doch wird der Wanderer das Gefühl nicht los, dass er beobachtet wird.
Seitdem lassen ihm der Alte und das Tal keine Ruhe mehr. Immer wieder muss er an das Fleckchen Erde denken und an das unheimliche nächtliche Ächzen. War das tatsächlich der Alte? Aber warum? Was trieb ihn um, dass er so stöhnte? Oder war es vielleicht doch ein Tier? Aber welches? Eins aus dem Stall? Oder etwas ganz anderes? Er hat keine Erklärung. Je länger er darüber nachdenkt, desto unsicherer macht es ihn. Und desto mehr drängt es ihn wieder ins Tal.
Aber es dauert bis in den Herbst hinein, bis er sich erneut dorthin aufmacht. Diesmal wählt er den Weg von Morschreuth hinunter durch den Wald. Es ist um die Mittagszeit, als er auf die Lichtung tritt. Gegen Abend will er in Pretzfeld sein und die kleine Bahn zurück in die Stadt nehmen, so ist sein Plan. Noch aus dem Schutz des Waldes heraus sieht er den Alten vor seinem Schuppen hantieren.
Er spaltet Holz. Mit ruhigen Bewegungen hebt er ein Stück nach dem anderen auf den Hackstock, lässt die Axt niedersausen und wirft die Scheite auf einen Haufen. Eine Kuh liegt wiederkäuend auf der Wiese, Hühner scharren und picken, irgendwo gackert eines, es legt wahrscheinlich ein Ei. Als der Wanderer den Hof erreicht, hebt der Alte kurz den Kopf und sieht ihn an, nickt kaum wahrnehmbar und fährt mit seiner Arbeit fort. Der Wanderer deutet auf die Bank vorm Haus, eigentlich nur ein Brett auf zwei Steinen an der Wand, und fragt: »Darf ich?«
Keine Reaktion. Der Wanderer nimmt Platz, öffnet seinen Rucksack und zieht zwei Flaschen Bier heraus. Eine hält er dem Alten hin. »Möchten Sie?«
Der Alte lässt das Beil tief in den Hackstock krachen, sodass es stecken bleibt, wischt sich den Schweiß von der Stirn und setzt sich dazu. »Wohl wieder zelten?« Er hat ihn also wiedererkannt.
»Nein, ich will nur eine kurze Pause machen. Ich muss heute wieder heim. Prost!«
Sie trinken.
»Noch ganz schön viel Arbeit«, deutet der Wanderer auf den Holzhaufen.
Der Alte zuckt mit den Schultern.
»Machen Sie das ganze Holz allein?«
Der Alte schüttelt den Kopf. Er kann mit der Frage nichts anfangen.
Sie sehen vor sich hin, minutenlang. Schweigen, trinken. Wie nur, denkt sich der Wanderer, kann ich ihn nach der Nacht fragen, nach dem Ächzen? Doch er weiß: Noch ist es dazu zu früh, der Alte braucht erst Vertrauen. Also muss er mit ihm reden.
»Sagen Sie, das Haus da drüben.« Er deutet auf die Ruine unten am Waldrand. »Wem gehört denn das?«
»Warum?«, brummt der Alte.
Der Wanderer zieht seine Brotzeitbox aus dem Rucksack. »Wurstbrot. Lust?«
Der Alte greift zu und beißt hinein, fast eine Spur zu gierig.
»Vielleicht könnte man es ja wieder herrichten.« Er versucht es mit Beiläufigkeit.
»Du?« Schon ist der Wanderer gescheitert. So wie der Alte ihm das kurze Wort hinschmeißt, erübrigt sich jedes Nachfragen. Trotzdem fragt er gespielt naiv: »Warum denn nicht?«
Der Alte kaut, beißt ab und trinkt. Schüttelt den Kopf. »Nein.« Schluss. Ende des Fragens. Schweigen.
Aber der Wanderer will noch nicht aufgeben, will mit dem Alten warm werden. »Gehört es Ihnen?«
Schweigen. Das erneute Kopfschütteln nimmt er nur im Augenwinkel wahr, doch es ist deutlich genug. Der Alte ist verschlossen. Zu dem Haus wird von ihm kein Wort mehr kommen.
Der Alte hat inzwischen das Brot verzehrt, setzt die Flasche an. Der Wanderer wartet, dann wechselt er das Thema. Noch ein Versuch. »Leben Sie alleine hier?«
»Hm.«
»Schon immer?«
Nichts.
»Keine Frau, die Ihnen hilft? Niemand anderes?«
Keine Antwort, nur ein Schnaufen. Der Wanderer spürt, dass er längst verloren hat. Er dreht eine Zigarette, bietet sie dem Alten an. Der nimmt sie. Er dreht sich eine neue und gibt dem Alten Feuer. Sie sitzen schweigend und rauchen.
»War nichts.« Vom Alten, irgendwann ins Schweigen.
»Was?«
»Mit der Frau.«
Das war das falsche Thema, eindeutig. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht den Wanderer, er kann es kaum erklären. Es verbietet ihm, noch einmal nachzufragen. Überhaupt noch etwas zu fragen.
Als die Flaschen schließlich geleert sind, packt sie der Besucher ein. »Ich muss dann wieder.« Er erhebt sich, Rückzug, schultert seinen Rucksack und wendet sich zum Gehen. »Danke.«
Vom Alten keine Reaktion, er wirkt weit weg.
»Also, ade dann. Und noch ›Gutes Hacken‹.« Was soll er auch sagen. Er macht sich auf den Weg. Er wird noch einmal kommen müssen, mindestens, wenn er etwas erfahren will, das ist ihm klar. Der Alte ist nicht einfach.
Unten am Waldrand dreht er sich noch einmal um. Der Alte sitzt noch immer da und starrt vor sich hin, vielleicht ein bisschen mehr zusammengesunken.
In Wannbach setzt sich der Wanderer beim Rumpler in die Gaststube des Goldenen Brunnen und bestellt ein Bier. Drei alte Männer sitzen am Stammtisch und rauchen, schweigen, sonst ist nichts los. Irgendwo im Dorf kreischt eine Kreissäge. Der Wirt bringt ihm das Bier.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja, freilich.«
»Sagen Sie, dieses kleine Tal dort oben hinter Urspring …«
»Den Bach hinauf meinen Sie?«
»Ja. Wie heißt der Weiler eigentlich?«
»Die Häuser haben keinen Namen, wir herunten heißen s’ nur Im Tal. Jeder sagt das hier so.«
»Im Tal, aha. Und das eine Haus dort am Waldrand, dieses verwahrloste …«
»Was ist mit dem?«
»Wissen Sie, wem das gehört?«
»Freilich.«
»Jemandem von hier?«
»Schon.« Schweigen. Neugierig misstrauische Blicke vom Stammtisch. »Zu was wollen Sie das denn wissen?«
»Nur so, es interessiert mich.«
»Die verkaufen nicht, wenn Sie das meinen.«
»Und der Alte, der dort droben wohnt …?«
»Der Toni?«
»Lebt der dort ganz allein?«
»Schon.«
»Ah ja. Schon immer?«
»Schon immer, ja.«
»Kommt der auch manchmal hierher?«
»Der? Kommt mir hier nicht rein!« Zustimmend düsteres Kopfschütteln vom Stammtisch.
»Wieso, was ist mit dem?«
»Das wollen Sie gar nicht wissen. Genug geredet jetzt. Dreisiebzig.«
Der Wanderer versteht. Er zahlt, trinkt aus und geht. Die Blicke vom Stammtisch folgen ihm durch den Zigarettenrauch bis zur Tür.
5
Ein Jahr vergeht, der nächste Winter ebenso, der Frühling wechselt gerade in den Frühsommer, die Luft ist heiß und feucht, schwül steht sie da wie Brei und drückt, es kündigt sich ein Gewitter an. Diesmal kommt der Wanderer den Weg von unten herauf. Es zieht ihn wieder ins Tal, der Alte lässt ihm keine Ruhe. In Urspring steht der Wirt