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Zeit zurück
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eBook180 Seiten2 Stunden

Zeit zurück

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Über dieses E-Book

"ZEIT ZURÜCK" verwebt die Leben verschiedener Charaktere zu einer Schweizer Saga, die die Grenzen von Zeit und Raum sprengt und die Protagonisten unauffällig durch mehrere Handlungsstränge zwischen Fiktion und Realität hin und her bewegt. Ob die profitgierige Hochfinanz oder eine aus der Zeit gefallene transatlantische Liebesgeschichte den Kampf um die Natur im Gebirgstal gewinnt, bleibt bis zum Ende offen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum5. Dez. 2022
ISBN9783347786189
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    Buchvorschau

    Zeit zurück - Thomas Schädler

    TEIL I

    1.

    Er hetzte vom sechsten über die neonbeleuchtete Nottreppe in den dritten Stock, stolperte kurz auf dem untersten Absatz, weil sich der Schnürsenkel seines linken Schuhs gelöst hatte, fing sich ächzend auf und stürzte entnervt in den Konferenzraum. Sein Team wartete bereits seit geraumer Zeit am langen, ellipsenförmigen Tisch, denn Pünktlichkeit war ihm wichtig. Seit seinem Antritt als CEO hatte er dies allen immer wieder klargemacht. Vor allem, wenn ihm die Ideen ausgingen und ihm keine kreativen Lösungen einfielen, um die stagnierenden Zahlen zu verbessern, klammerte er sich an diese Tugend und machte sich vor, es sei eine Führungseigenschaft.

    Die sechste Etage wurde weiter unten „Olymp genannt. Dort oben arbeitete er zusammen mit dem CFO, den beiden persönlichen Assistenten und der charmanten Valeria Schöne, die nicht nur Kaffee servierte, Termine und Ausflüge organisierte, Protokolle schrieb und überflüssige Besucher abwimmelte, sondern seit Kurzem auch eine Affäre mit ihm eingegangen war, die manchmal mehr Zeit, Geld und Energie verschlang, als sie Lust und Freude bereitete. Vom „Olymp aus überblickte man durch prächtige, raumhohe Fenster ganz Zürich und konnte bei gutem Wetter sogar die Alpen in der Ferne sehen, während in den unteren Etagen die Aussicht eingeschränkt war. Je nach Dienstalter und Funktion wurden den leitenden Angestellten Büros zugewiesen, die entweder einen Blick auf die Stadt, das düstere Nebengebäude oder den nahen Park gewährten. Von der dritten Etage abwärts gab es nur noch Großraumbüros mit schallschluckenden Trennwänden, Gruppenräume, die moderne Kantine und in der Mitte das große Sitzungszimmer, verglast und von allen Seiten einsehbar. „Zur Schaffung von Transparenz, hatte er bei der feierlichen Eröffnung des Bürogebäudes erklärt. Die Mitarbeitenden sollten zusehen, wie sich die Führungsriege zugunsten des gesamten Betriebes berät, diskutiert und Entscheidungen trifft. „Unternehmenskultur nannte er das.

    Ein Anruf aus dem US-Hauptquartier hatte Peter Julen aufgehalten. Sie waren mit den Zahlen nicht zufrieden. Die Konzernchefin hatte ihn mit eindringlicher Stimme auf das hingewiesen, was er selbst schon längst wusste: Das Europageschäft lief nicht wie erwartet, die Wachstumsraten waren zu gering und die Investoren unzufrieden. Er solle sich dringend etwas einfallen lassen.

    „Du hast wohl zu viele Netflix-Serien gesehen und kannst mit deinem Tunnelblick und deiner genetisch bedingten Oberflächlichkeit nicht verstehen, dass es hier kulturelle Unterschiede gibt, hatte er sie grob unterbrochen. „Hier funktioniert das Business nicht so wie bei euch. Hier zählt der langsame Aufbau von Kundenloyalität mehr als das schnelle Geld. Das habe ich dir schon tausendmal erklärt. Lass mich jetzt mal in Ruhe arbeiten, mach nicht immer Druck und gib mir Zeit.

    Sie kannten sich schon lange, und er wusste, dass Claire Price diesen Ton nicht nur akzeptierte, sondern auch propagierte. Sie war der Ansicht, dies sei dem Kampfgeist der Leadership förderlich. Für sie war das Geschäft schierer Krieg, und ihre engsten Mitarbeitenden waren die Truppe, mit der sie ihn gewinnen wollte. Ein bisschen ruppig durfte es dabei durchaus zugehen.

    „Okay, hatte sie geantwortet, „aber lange kann ich dir dabei nicht mehr zusehen. Es gibt Stimmen im Investmentboard, die denken, ein anderer CEO könnte das Europaproblem vielleicht schneller lösen. Nimm dich in Acht, mein Lieber.

    Peter Julen brachte das Team-Meeting im dritten Stock möglichst schnell hinter sich, akzeptierte zum Erstaunen aller ohne Einwände die vorgetragenen Berichte und erwähnte beiläufig, dass er den Nachmittag im Homeoffice verbringen würde. Natürlich stets erreichbar über die üblichen Kanäle.

    *

    Mark Wiesard sah auf, seufzte leise und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Seine eigenen Berührungen taten ihm gut. Er wunderte sich, wie warm und zart seine Haut war, und nach einer Weile wagte er es sogar, seine Finger so zu spreizen, dass das ohnehin spärliche Licht der alten Deckenleuchte seinen Augen erlaubte, den Raum verschwommen wahrzunehmen. Der dunkle Ort mit den bizarren Bildern an den holzgetäfelten Wänden, das verschlissene Sofa und die nicht dazu passenden Sessel auf einem abgetretenen Uralt-Teppich sowie der hinfällige Kachelofen in der Ecke wirkten so bedrückend wie früher. Bewegungslos saß er längere Zeit still, atmete tief und gleichmäßig, bis die Narbe an seinem rechten Oberschenkel wieder zu jucken begann und er dem Drang nachgeben musste, mit der Hand nach unten zu fahren. Das intensive Kratzen holte den fast besinnlichen Moment in die unbarmherzige Realität zurück.

    „Freitag stand stumm vor ihm auf dem kleinen Holztisch und blickte ihn mit seinem weiß leuchtenden Bildschirm vorwurfsvoll an. Die paar mühsam hingeschriebenen Zeilen reichten bei Weitem nicht für den heutigen Tag, und um das vorgegebene Arbeitsziel zu erreichen, müsste er seine tägliche Schreibgeschwindigkeit erheblich steigern. Er konnte sich nicht genau daran erinnern, warum und wann er damit angefangen hatte, seinen Computer „Freitag zu nennen. Es war ursprünglich wohl die Idee seiner kleinen Nichte gewesen, als er ihr Robinson Crusoe vorgelesen und sie ihren Onkel wegen seiner Arbeit mit dem berühmten Einsiedler verglichen hatte.

    Er kratzte mit der rechten Hand weiter, klappte das Schreibgerät mit der linken zu und schlurfte zum Kühlschrank. Wie konnte ich mich nur auf so etwas einlassen, ging es ihm durch den Kopf, als er eine weitere Dose öffnete und vor die Tür trat, um ein paar Sonnenstrahlen zu genießen. Das Bier schäumte über und tropfte von den Fingern auf die Hose. Verdammte Bergwelt! Die Sonne geht spät auf und früh unter. In den Häusern ist es dunkel und kalt und die bäuerlichen Nachbarn betrachten dich auch nach dreißig Jahren noch als Fremden. Sie reden wenig miteinander, geschweige denn mit jemandem, der aus Zürich kommt.

    Weiter unten, im kleinen Kurort des Tals, gab es einen erstaunlich gut sortierten Coop, wo er sich mit Fertiggerichten für die Mikrowelle, Kaffee, Müsli zum Frühstück und genügend Bier für zwischendurch eingedeckt hatte. Er wollte es hinter sich bringen, hatte sich entschlossen, sich an diesen einsamen Ort zurückzuziehen, den er aus seiner Kindheit gut kannte, um die angestaute Arbeit ungestört und schnell zu erledigen. Eine „billige Geschichte" nannte er es. Eine, die Geld einbrachte, weil sie alle Klischees bediente, Emotionen hervorrief, Identifikationsfiguren skizzierte, einen nachvollziehbaren Spannungsbogen aufbaute und doch mit einer kleinen Überraschung enden sollte. Wenn es gut lief, würden sie ihm danach vielleicht tatsächlich den Auftrag geben, daraus eine Serie zu schreiben. Eine von den vielen Hunderten, die heute jedes Jahr produziert wurden, um das maßlose Bedürfnis des Publikums nach Unterhaltung zu befriedigen. Und wenn es schlecht lief, wäre es wenigstens ein weiteres dünnes Buch mit kümmerlicher Auflage und geringem Potenzial, um zu einem Vorabendfilm verarbeitet zu werden, der einmal gezeigt und dann im Archiv versenkt würde. Netflix war zu einem dämonischen Monster geworden, produzierte am laufenden Band mit unerschöpflichen Ressourcen eine Erfolgsserie nach der anderen. Dem hatten die TV-Sender, für die er ab und zu als freierschaffender Autor schrieb, nichts entgegenzusetzen. Sie waren dem Untergang geweiht.

    Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. „Wie geht es dir?", hörte er die schon leicht vertraute Frauenstimme fragen.

    „Es läuft so, sagte er trocken, konnte sich aber nach einer kleinen Pause nicht verkneifen, hinzuzufügen: „Es war nicht mein dringlichster Wunsch, einen Trivialroman zu schreiben. Ich ziehe meine journalistische Seite vor.

    „Geldverdienen gehört einfach zum Leben dazu, und du weißt, dass deine freiberuflichen Beiträge für mediokre Zeitungen bisher nicht viel davon eingebracht haben, kam es prompt und frech zurück, und dann, etwas beschwichtigender: „Aber ich bin mir sicher, dass du es schaffen wirst. Ich sehe viel Talent in dir als Autor. Ein bedeutendes Buch ist überfällig, und ich kann mir vorstellen, dass es diesmal ein Erfolg wird. Mark wollte nicht weiter darüber reden. Er hatte das Gefühl, dass Ulrike Kraft sich in eine Wunschvorstellung von ihm verliebt hatte, die ihrer Fantasie des exotisch-intellektuellen Liebhabers entsprach. Der Gedanke schnürte ihm den Hals zu, und er brauchte dringend frische Luft.

    Nach einem kurzen Spaziergang durch die nahegelegenen Felder setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch, klappte „Freitag" von neuem auf und freute sich darüber, dass wenigstens die wenigen Zeilen vom frühen Morgen automatisch gespeichert worden waren, obwohl inzwischen der Akku gestorben und der Computer selbsttätig ins künstliche Koma versetzt worden war. Er starrte auf die Tastatur und ertappte sich bei dem Versuch, festzustellen, ob die etwas häufiger benutzten Buchstaben stärkere Abnutzungserscheinungen aufwiesen. Dann suchte er im integrierten Korrekturprogramm vergeblich nach einem Modus, der einmal begonnene Sätze selbstständig vervollständigen könnte. Er hatte davon gehört.

    „Zweimal ein klares Nein, murmelte er, schlich noch einmal zum Kühlschrank, kam zurück, tippte in fetten Großbuchstaben: „Reiß dich zusammen, Mark Wiesard!!!, löschte es nach ein paar Minuten wieder und griff dann erneut in die Tasten.

    *

    Einhundertvierundzwanzig Kilometer nordwestlich, in der schicken Dachgeschosswohnung eines Altbaus im mittelalterlichen Zentrum der unaufgeregten Großstadt, goss Valeria Schöne sich ein Glas Rosé ein, legte sich auf das Freiluftsofa und schaute in den sonnigen Abendhimmel. Sie war froh, dass er wieder weg war. Zeit mit ihm zu verbringen, war immer aufregend und nervenaufreibend zugleich. Die Wände ihrer Wohnung waren abgeschrägt, was es am Anfang schwierig gemacht hatte, die Zimmer einzurichten. Die Beine des großen Bettes hatten beim Einzug gekürzt werden müssen, damit es hineinpasste, und ihre alten Schränke hatte sie entsorgt. Im Sommer wurde es drückend heiß, doch die zur Wohnung gehörende Dachterrasse mit Blick über die Altstadt entschädigte all das. Valeria Schöne verbrachte oft den ganzen Tag hier draußen. Sie hatte sich einen kleinen luftigen Arbeitsplatz eingerichtet, den sie in den letzten Monaten wegen der sporadischen Homeoffice-Pflicht tatsächlich ab und zu nutzte. Angesichts der vielen Likes auf Instagram für ihre Selfies mit Schmollmund und großen Augen vor der Kulisse der Stadtsilhouette oder des Sonnenuntergangs, verbunden mit einem schicken Hashtag, gab sie sich der Illusion hin, dass Freunde und Bekannte sie ein Stück weit um diesen Ort beneideten.

    Dr. Peter Julen folgte ihr nicht öffentlich auf ihrem Account, denn das hätte anderen Followern unnötige Rückschlüsse ermöglicht. Aber inkognito starrte er häufig auf die Fotos und bildete sich ein, sie poste gewisse Selfies und Texte nur für ihn. Hidden Messages, brummte es in seinem Schädel, als er sich langsam von der Überdosis Viagra erholte, das Handy wegsteckte und beim Abendessen mit Frau und Kindern versuchte, sich für wenige Stunden ins Familienleben zu integrieren.

    „Ich hatte einen harten Tag und stehe unter enormem Druck, erklärte er sein verdrießliches Gesicht. „Claire Price ist ein brutaler Zahlenmensch. Du kennst sie von den Firmenanlässen nur als freundliche Firmenchefin und Frauenförderin. Aber in Tat und Wahrheit ist ihr jedes Mittel recht, die Wachstumsrate und den Aktienkurs hochzuhalten. Sie ist eine eiskalte, kalkulierende Frau, die zu allem bereit ist, um voranzukommen und die Investoren von ,Private Equity Solutions Inc.‘ zu begeistern. In Drucksituationen kennt sie keine Gefühle, um knallharte Entscheidungen zu treffen.

    Ulrike Kraft gähnte und bemühte sich, zuzuhören. Sie hatte die Geschichte schon mehrfach gehört, fand Claire Price aber gar nicht so übel. Ihr Mann und die Amerikanerin passten mit ihrem egozentrischen Narzissmus gut zusammen, und Claire war eine der wenigen Businessfrauen, von denen er beeindruckt schien.

    „Im Gegensatz zu mir ist sie richtig skrupellos und hinterhältig. Sie ist bereit, für ihren Erfolg alles zu tun, was nötig ist, egal wie unanständig oder ethisch verwerflich es auch sein mag. Außerdem ist sie ausgesprochen intrigant und hat die stupide Angewohnheit, alle Probleme immer selbst in die Hand zu nehmen", fuhr er fort.

    Ulrike Kraft verdrehte die Augen, denn eigentlich wollte sie nur ihre Ruhe haben. „Trotz dieser angeblichen Erbarmungslosigkeit hat sie doch auch eine liebenswerte Seite, versuchte sie abzulenken. „Sie zeigt meiner Meinung nach zum Beispiel wahre Leidenschaft für ihre Kinder und teilt die Verantwortung für sie mit ihrem Ex-Mann. Auch, wenn die Ehe der beiden in die Brüche gegangen ist. Das hat sie mir von Frau zu Frau erzählt, und davon könntest du dir ein Stück abschneiden!

    „Jetzt fang nicht schon wieder damit an, brauste Peter Julen auf. „Das ist das Letzte, was ich heute hören will!

    „Ist schon gut, mein Lieber, du kannst dich jetzt entspannen und abschalten, entgegnete sie zynisch. „Die Kinder haben schon ihre Hausaufgaben gemacht und vielleicht könnt ihr zusammen eine Folge ,Der Bergretter‘ schauen, bevor sie ins Bett gehen. Sie wusste, dass ihm dabei regelmäßig die Augen zufielen, sodass sie sich danach

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