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Prost Wahlzeit! Satirischer Roman aus dem Südwesten: Pleiten, Pech und Pannen in der Lokalpolitik und dunkle Hintermänner in einem kleinen, absurden Wahlkampf
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Prost Wahlzeit! Satirischer Roman aus dem Südwesten: Pleiten, Pech und Pannen in der Lokalpolitik und dunkle Hintermänner in einem kleinen, absurden Wahlkampf
eBook261 Seiten2 Stunden

Prost Wahlzeit! Satirischer Roman aus dem Südwesten: Pleiten, Pech und Pannen in der Lokalpolitik und dunkle Hintermänner in einem kleinen, absurden Wahlkampf

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Über dieses E-Book

Ein herrlich satirischer Roman über den Filz in einer badischen Kleinstadt nahe Freiburg. Beim Wahlkampf um den Bürgermeisterposten findet sich der Lokaljournalist Jochen Wehlmeier urplötzlich zwischen allen Fronten wieder. Er fällt im eigenen Haus in Ungnade, der amtierende Bürgermeister ist unzufrieden mit ihm, ebenso der Kandidat der zweiten großen Partei. Doch dann entdeckt Wehlmeier, dass beide im Begriff stehen, einen Deal mit Scientology einzugehen ...
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. März 2020
ISBN9783842522855
Prost Wahlzeit! Satirischer Roman aus dem Südwesten: Pleiten, Pech und Pannen in der Lokalpolitik und dunkle Hintermänner in einem kleinen, absurden Wahlkampf

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    Buchvorschau

    Prost Wahlzeit! Satirischer Roman aus dem Südwesten - Peter Schwendele

    WAHLZEIT!

    DER HERR REDAKTÖR

    »Wehlmeier, Dickkircher Nachrichten.«

    »Ja, guten Tag, hier spricht Georg Schnitzler vom Schützenverein. Hören Sie, wir haben morgen Nachmittag eine Vorstandssitzung im ›Hirschen‹, können Sie das noch in die Zeitung bringen?«

    Orkkacke! Ich musste mich schwer beherrschen, um nicht wie ein angeschossenes Wild in den Hörer zu röhren. Jeden Freitagabend die gleiche Pampe: Kaum hatte man sämtliche Seiten endlich irgendwie zugenagelt und war dabei, eine nach der anderen auf die Reise ins Druckzentrum zu schicken, rief irgendein Wichtigtuer an und beanspruchte noch ein Plätzchen in der Samstagsausgabe. Mein Gehirn war nach den vielen Stunden in der Redaktion schon ziemlich matschig, aber meine Instinkte funktionierten noch leidlich, und so ahnte ich, dass für den guten Herrn Schnitzler sein Schießbrudertreff eine Wertigkeit von geradezu biblischen Ausmaßen besaß.

    »Das tut mir leid, Herr Schnitzler.« Es fiel mir schwer, in meiner Stimme nach einem Rest von Freundlichkeit zu kramen. »Aber die Seiten für morgen sind alle schon fertig, da sind Sie ein bisschen zu spät dran.«

    »Wie – zu spät? Die Sitzung ist aber wichtig, es geht um unser Jubiläum«, nölte er, einen Tick zu laut für meine angeschlagenen Nerven.

    »Na, es ist gleich sieben Uhr, schon mal was von Redaktionsschluss gehört?«, fragte ich ihn gereizt. »Was glauben Sie denn, was wäre, wenn jeder so auf den letzten Drücker kommen würde, dann würde das Blatt ja nie fertig.«

    Ich fegte die letzten Reste in meinem rostig gewordenen Energiespeicher zusammen und hob zu einer umfassenden Erläuterung an. Ich erklärte ihm, dass nur in wichtigen Ausnahmefällen die Möglichkeit bestünde, so spät noch etwas in der nächsten Ausgabe zu lancieren, dass es aber absolut sinnfrei sei, wegen der simplen Vorstandssitzung eines Vereins das Blatt nochmals aufzureißen, selbst wenn es sich dabei um den zweifellos mit vielen Verdiensten behafteten Dickkircher Schützenverein handle. Denn zum einen, erläuterte ich, habe doch sicher bereits jedes der mutmaßlich sechs oder sieben Mitglieder des hoch geschätzten Vorstands eine von ihm, Schnitzler, verfasste Einladung zu der Sitzung bekommen und wisse somit ohnehin Bescheid, dass es morgen Nachmittag anzutanzen habe. Zum anderen interessiere es die zeitungslesende Öffentlichkeit nicht einmal am Rande, dass, geschweige denn, wann er und seine Handvoll Kumpels tagen würden. Er möge also ruhig bleiben, riet ich dem immer mehr in eine keuchende Nervosität verfallenden Anrufer, sich das Schießpulver sparen, für diesmal auf die Meldung in unserem Blatt verzichten und sich künftig zwei, drei Tage vor der Sitzung melden; dann könne man meinetwegen über eine zeitnahe Veröffentlichung reden, auch wenn es meiner bescheidenen Ansicht nach grundsätzlich weiterhin ohne tieferen Sinn bleibe, arglose Zeitungsleser mit der Meldung über eine bevorstehende Vorstandssitzung zu traktieren.

    Er schnaufte jetzt wie eine Lokomotive; offenbar war ihm der Sarkasmus in meiner Stimme nicht entgangen. Beim Dickkircher Kurier – unserer Konkurrenzzeitung – sei man deutlich kooperativer gewesen, meinte er schnippisch. Dort habe er gerade eben angerufen, und man habe ihm unverzüglich – und außerdem auf freundlichste Art und Weise – versichert, dass die gewünschte Meldung selbstverständlich morgen erscheinen werde. Das verstehe er unter Leserservice, meinte der Herr Schnitzler kurzatmig. Und als ich nicht reagierte (manchmal konnte man den Kurier einfach nicht ernst nehmen!), spielte er seinen letzten Trumpf aus.

    »Der Herr Nakovic hat aber mal zu mir gesagt, ich könne jederzeit anrufen. Ist der denn nicht da?«

    »Ach, tatsächlich, der Herr Nakovic hat das gesagt …«

    Plötzlich witterte ich Morgenluft. Ich drehte mich leicht auf meinem altersschwachen Bürostuhl und spähte mit einem Auge hinüber zu dem hufeisenförmig aufgebauten Schreibtisch am anderen Ende des rechteckigen Kabuffs, in dem wir Tag für Tag unser journalistisches Werk verrichteten und – oft genug im Akkord – eine Ausgabe der Dickkircher Nachrichten nach der anderen produzierten.

    Nakovic, der mich, da war ich sicher, wie so oft kritisch beäugt hatte, war bereits dabei, seinen Computer herunterzufahren und seine Siebensachen zusammenzupacken. Er war so was von auf dem Sprung, schließlich hatte er heute noch einen mächtig langen Trip vor sich, und jetzt winkte er mit hektischen Bewegungen in meine Richtung, tippte gleichzeitig auf seine Armbanduhr. Es war eindeutig: Er wollte alles, nur nicht, dass ich unseren famosen Schützenboss zu ihm durchstellte; aber ich tat, als verstünde ich nicht, ja, als sähe ich nicht einmal, was er mir signalisierte.

    »Wissen Sie was, Herr Schnitzler, das Beste wird sein, ich verbinde Sie mal mit dem Herrn Nakovic, dann können Sie die Sache mit ihm erörtern.« Säuselte ich etwa jetzt? Meine Laune stieg jedenfalls ein wenig, als ich die Verbindungstaste zu Nakovics Apparat drückte. Er hingegen ließ die Schultern hängen und blickte mich finster an.

    »Für dich, Eduard, ein Herr Schnitzler vom Schützenverein«, sagte ich leichthin, froh, den Ballermann los zu sein und gleichzeitig Nakovic eins reinwürgen zu können. Sollte der sich ruhig selbst mit der Grütze auseinandersetzen und seine blöden Versprechungen ausbaden. Sonst tat er ja auch gern so, als wäre er hier der Chef. Na ja, de facto war er das leider auch.

    Es ist nicht so, dass ich grundsätzlich ein schadenfroher Mensch bin. Aber für Eduard Nakovic, den offiziellen Leiter der Lokalredaktion der Dickkircher Nachrichten, machte ich von Zeit zu Zeit schon mal ohne sonderliche Gewissenbisse eine Ausnahme. Das mochte damit zusammenhängen, dass die Verlagsleitung ihn mir vor eineinhalb Jahren mir nichts, dir nichts vor die Nase gesetzt hatte; es lag aber mehr noch daran, dass Nakovic meiner Einschätzung nach einfach ein unausstehlicher Zeitgenosse war.

    Ich hörte, wie sein PC zu rattern anfing. Er fuhr das Ding tatsächlich nochmal hoch, offenbar, um auf der dritten oder vierten Seite eine Meldung, die noch ein paar Tage Zeit hatte, runterzuschmeißen und so Platz zu schaffen für die morgige, offenbar historische Sitzung der Gewehrträger. Gleichzeitig übte er sich diesem Schnitzler gegenüber im verbalen Bücklingmachen.

    Ich rieb mir die Augen, die von der uferlosen Bildschirmarbeit schmerzten. Dann streckte ich mich und versuchte, meinen beständig nörgelnden Rücken zu massieren. Als das ohne Erfolg blieb, machte ich mich auf den Weg zur Kaffeemaschine, die im Vorraum eingeklemmt zwischen Fax und Drucker stand und tapfer gegen die fortschreitende Verkalkung ankämpfte. Ich fragte mich, womit ich das alles eigentlich verdient hatte.

    Selbst schuld! Dieses Urteil hatte ich schon unzählige Male gefällt, praktisch immer, wenn meine Stimmung die Grenze zur Depression überschritt. Ich hätte diesen verflixten Kommentar nicht schreiben sollen damals. Und ich hätte Tolsdörfer Junior, den Sohn des Ex-Bürgermeisters, nicht unterschätzen dürfen, hätte überhaupt die Rachegelüste der ganzen Tolsdörfer-Clique einkalkulieren müssen. Ich war zu naiv gewesen, und das nach so vielen Jahren an der Redakteursfront. So gesehen geschah es mir tatsächlich recht, ins zweite Glied versetzt zu werden.

    Okay, ich war nie offiziell zum Redaktionsleiter bestimmt worden, aber ich führte die Dickkircher Nachrichten, das wusste jeder im Verlag und in der Stadt, mit Katharina Dunn, der guten Katie, als Redakteurin an meiner Seite und regelmäßig wechselnden Volontären unter meinen Fittichen. Und es war eine ganz normale Jahreshauptversammlung des Dickkircher Gewerbevereins gewesen. Normal in dem Sinne, dass wie eh und je die eigenen unvergleichlichen Leistungen beklatscht wurden. Wie gut der Einzelhandel, das Gewerbe und das Dienstleistungswesen in der Stadt doch aufgestellt seien, tönte es durch den Saal, was man nicht alles tue für die Bürger, und dass vor der Zukunft niemandem bange sein müsse, lebe man auch in unsicheren Zeiten, in denen Kleinstädte zum Aussterben neigten, weil der Puls der Zeit in den Ballungszentren vermeintlich lauter und heftiger schlage. Wer am lautesten dieses Lied sang, war der Vorsitzende des Gewerbevereins, Franz Tolsdörfer jr., den ganz Dickkirchen immer dann, wenn er nicht hinhörte, schlicht Junior nannte, weil er es nie, selbst wenn er hundert Jahre alt werden sollte, aus dem Schatten seines übermächtigen Vaters herausschaffen würde.

    Ich kannte diese Leier aus vielen vorangegangenen Sitzungen, und ich hatte sie gründlich satt. Tatsache war, und jedermann wusste es, dass Dickkirchen hart zu kämpfen hatte, und Tatsache war, dass der Gewerbeverein zwar große Töne spuckte, aber null Konzept hatte, um die Stadt dabei zu unterstützen. Also griff ich am nächsten Tag zur Feder und schrieb diese Fakten der selbstzufriedenen Runde ins Stammbuch.

    Mit heißem Herz, aber kühlem Kopf, wohlgemerkt. Ich schlug nicht grob dazwischen, ich polemisierte auch nicht, ich analysierte nur gnadenlos und zählte die Tatsachen auf, die glasklar, für jeden sichtbar, auf den Straßen lagen. Ich bezeichnete es als Armutszeugnis, dass die Geschäfte in der Innenstadt immer noch keine einheitlichen Öffnungszeiten zustande gebracht hatten. Ich geißelte die Weigerung der führenden Geschäftsleute, die Blechlawine, die sich Tag für Tag durch die Hauptstraße wälzte, als Problem zu erkennen und ein alternatives Verkehrskonzept zu diskutieren. Und ich kritisierte die Neigung des Gewerbevereins, immer mehr verkaufsoffene Sonntage zu fordern, bei deren Ausgestaltung dann allerdings regelmäßig in kreative Armut zu verfallen.

    Die Folge war, dass fast die ganze Truppe in den Tagen, nachdem dieser Kommentar bei uns erschienen war, unter der Führung von Tolsdörfer jr. Amok lief. Mit dem Verweis darauf, dass die Konkurrenz vom Dickkircher Kurier die optimistische Sichtweise des Gewerbevereins gelobt habe, verwahrten sie sich gegen die »negative Stimmungsmache« in unserem Blatt und drohten dem Verlag mit Anzeigenentzug auf unbestimmte Zeit.

    Oliver Puls, der damals recht neue Geschäftsführer der Südwest Nachrichten – und der jüngste überhaupt in der Geschichte des Blattes –, bat mich zum Einzelgespräch in die Zentralredaktion in Freiburg. Er musterte mich ausgiebig mit seinen Knopfaugen hinter der schwarzen Designerbrille, die wohl den Blick von der bereits beginnenden Glatze ablenken sollte, klopfte mir dann aber jovial auf die Schulter. Wie nebenbei wollte er wissen, welcher Teufel mich denn geritten hätte; ich sei doch all die Jahre so gut mit den Dickkirchern zurechtgekommen; das habe er sich zumindest von verschiedenen Seiten versichern lassen. Meine Antwort, ein leidenschaftliches Plädoyer für mündigen Journalismus, schien ihn jedoch nicht wirklich zu interessieren. Ich hatte damals schon den Eindruck, dass Puls statt Zeitungen genauso gut Klopapier hätte verkaufen können. Er war der reine Buchhalter, der substanzielle Gehalt seines Geschäfts war ihm völlig gleichgültig. Ihm ging’s nur darum, was er vorne an Kohle reinschob und was am Schluss hinten rauskam. Letzteres hatte gefälligst mehr zu sein.

    Man einigte sich über meinen Kopf hinweg, dem Gewerbeverein in einer der nächsten Ausgaben vier Anzeigenseiten kostenlos zur Verfügung zu stellen, in denen er »sein Tätigkeitsfeld und sein Leistungsvermögen« adäquat darstellen könne. Dieses kaum kaschierte Einknicken wurmte mich zwar maßlos, aber immerhin konnte ich davon ausgehen, dass damit die leidige Geschichte ohne weitere Verwerfungen erledigt war.

    Doch dann stand eines Morgens, zwei Wochen nach der ganzen Misere, plötzlich Puls in unserer kleinen Redaktionsstube, wie immer wieselartig das Terrain sondierend. Statt des vorgesehenen neuen Volontärs hatte er Eduard Nakovic im Schlepptau. Katie und ich sahen uns nur mit großen Augen an. Es war unfassbar, aber Puls meinte es ernst. Weitschweifig erklärte er, dass die Verlagsführung zu dem Schluss gekommen sei, die Dickkircher Redaktion »behutsam umzustrukturieren« und Nakovic zum neuen Redaktionsleiter zu ernennen, um mich, wie er es euphemistisch nannte, »ein wenig aus der Schusslinie zu nehmen«. Ausgerechnet Nakovic, der bisher in der Zentralredaktion nicht mehr als ein Stiefkind-Dasein geführt hatte (einige Tage später steckte uns einer der dortigen Kollegen, dass Puls und Nakovic im gleichen Tennisclub den Schläger schwangen). Es verstand sich von selbst, dass wir Puls’ abschließende Aufforderung, »den neuen Kollegen doch bitte unvoreingenommen in die Dickkircher Redaktionsfamilie aufzunehmen«, lediglich mit einem gequälten Quetschen unserer Gesichtsmuskeln quittierten.

    Ich schenkte mir lauwarmen Kaffee in eine Tasse, auf der in hellblauen Buchstaben »650 Jahre Dickkirchen« stand. Es kam mir vor, als würde ich schon mindestens genauso lange in diesem Nest festsitzen, dabei waren es in Wirklichkeit erst fünfzehn oder sechzehn Jahre. Und seit Nakovic hier das Zepter schwang, war meine Motivation in irgendeinem dunklen, feuchten Kellerloch in Ketten gelegt worden. Ich tat in der Regel gerade so viel, wie nötig war, damit am nächsten Tag eine neue Ausgabe ausgeliefert werden konnte. Einen Kommentar hatte ich seit dem Gewerbevereinsdesaster nie wieder verfasst.

    Als ich um die Ecke bog, legte Nakovic gerade mit einem überschwänglichen »einen recht schönen Abend noch« den Hörer auf und zurrte dann sein schütteres, braunes Haar rechts und links von seinem chaotisch verlaufenden Seitenscheitel fest, wie er es immer tat, wenn er ein Telefonat beendete, der Himmel weiß, warum. Er hob seine buschigen Augenbrauen und sah mich vorwurfsvoll an.

    »Musste das denn jetzt wirklich so kompliziert sein, Jochen? Du weißt doch, dass ich total unter Zeitdruck bin.« Er sah auf die Uhr und hackte dann hektisch auf seine Tastatur ein. »Herrgott, schon so spät, Ines wird mir die Hölle heiß machen.«

    »Hättste den Typen halt abgewimmelt, oder glaubst du etwa wirklich, die Zukunft des Abendlandes hängt von dieser Vorstandssitzung ab?«

    »Jochen, vielleicht ist dir das nicht bewusst, aber der Herr Schnitzler ist ein potenzieller Anzeigenkunde, der hat neulich das Schreibwarengeschäft inklusive Copyshop in der Schulstraße übernommen. Mit solchen Leuten müssen wir uns gut stellen; die brauchen das Gefühl, dass man sich um sie kümmert. Jede Anzeige hilft auch, unsere Arbeitsplätze zu sichern, vergiss das nicht.«

    »Ich glaube nicht, dass er sehr viele Anzeigen schalten wird«, antwortete ich seufzend und ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen. »Wie ich die Lage einschätze, ist die Hochzeit der Copyshops vorbei.«

    »Dass du immer alles negativ sehen musst; jedenfalls haben wir jetzt beim Schützenverein einen Punkt auf der Habenseite unseres Kontos.«

    Eduard Nakovic war ein Pedant und ein unerträglicher Besserwisser. Außerdem, als wäre das noch nicht genug, hatte er die Neigung, die Redaktion wie der Oberaufseher eines Strafgefangenenlagers zu führen. Ich war mir sicher, dass er uns alle – mich, Katie, unsere Sekretärin Heidi Albrecht und die Riege von freien Mitarbeitern, die uns regelmäßig Material zulieferte – vor seinem geistigen Auge als an Kanonenkugeln gekettete, steineklopfende Sträflinge sah. Manchmal hatte er so einen verschwommenen, an der Decke klebenden Blick, der gar keine andere Deutung zuließ. Bei den Freien gelang es ihm in der Regel tatsächlich, dass sie sich wie Sklaven fühlten. Er scheuchte sie von Termin zu Termin, forderte ständig, dass sie ihre Berichte schneller lieferten, und hatte gleichzeitig die Chuzpe, bei von ihm ausgemachten »Qualitätslücken«, wie er es nannte, den einen oder anderen Euro von ihrem Honorar abzuzwacken. Mit dieser Tour machte er sich gleichzeitig bei Puls lieb Kind, weil er jeden Monat den Redaktionsetat einhielt, etwas, das mir zugegebenermaßen nie gelungen war, als ich in diesem Laden noch etwas zu sagen gehabt hatte.

    Auch bei Katie und mir probierte es Nakovic regelmäßig mit Knechterei, allerdings mit bescheidenerem Erfolg. Jede noch so hinterfragenswürdige neue Richtlinie, die die Verlagsleitung entwickelte, zoomte er gnadenlos in den Alltag unserer Redaktion herunter. Bald war es völlig egal, ob wir einen inhaltlich relevanten, geschweige denn kritischen Journalismus betrieben, Hauptsache, die internen Regeln, wie eine Zeitungsseite korrekterweise auszusehen hat, wurden ohne lästiges Hinterfragen befolgt. Darauf achtete unser Herr Redaktionsleiter mit einer Genauigkeit, als hinge sein Leben davon ab.

    Dazu passte, dass Nakovics Kommentare mit vernünftigen redaktionellen Meinungsbeiträgen wenig bis nichts gemein hatten. Es waren eigentlich keine Kommentare, die er abließ, er bezeichnete sie nur so. Im Grunde handelte es sich bei seinen Ergüssen um Huldigungen und Lobpreisungen. Nakovic setzte sich nie in die Nesseln, er zeigte nie Flagge, er beließ es schlicht bei Danksagungen. Er dankte allen und jedem in seinen Kommentaren. Mochte es vertretbar sein, der Feuerwehr nach der Bekämpfung eines Brandes Dank für den Einsatz auszusprechen, so war es bereits reichlich fragwürdig, dem Schulzentrum, das Derartiges ja auch mit einer gehörigen Portion Eigeninteresse tat, für das Angebot eines Berufsorientierungstags zu danken. Nakovic schreckte aber nicht einmal davor zurück, dem Kaninchenzuchtverein in einer mit »Der Kommentar« titulierten Randnotiz für die Ausrichtung einer »in ihrer Vielfalt und Lebendigkeit sowohl Kindern als auch Erwachsenen das Herz wärmenden Jungtierschau« zu danken.

    Bei all dem Gewürge, das er Tag für Tag abließ, hielt sich Eduard Nakovic auch noch allen Ernstes für unverzichtbar, und so passte es ihm überhaupt nicht in den Kram, dass er dieses Wochenende nicht den Redaktionsdienst übernehmen konnte.

    »Ausgerechnet dieses vorentscheidende Wochenende bin ich nicht da … Ja, es geht nicht anders … Meine einzige Schwester … Und wir hoffen ja alle, dass sie nur einmal in ihrem Leben heiratet … Lange genug gedauert hat’s ja, bis sie ein passendes Exemplar gefunden hat … Aber sicher, am Wahlsonntag bin ich wieder im Dienst.«

    X-mal hatte ich ihn diesen Sermon in den letzten Tagen und Wochen am Telefon erzählen hören, bevorzugt, wenn Oliver Puls am anderen Ende der Leitung war.

    Die Dickkircher Bürgermeisterwahl, die am übernächsten Sonntag anstand, lag Nakovic im Magen. Und nicht nur ihm. In der ganzen Stadt machte sich eine stetig wachsende Anspannung bemerkbar, weil es immer mehr nach einer knappen Angelegenheit roch. Die feindlichen Lager hatten sich formiert, und manch einer befürchtete, dass es morgen Abend bei der Kandidatenvorstellung in der Stadthalle zum großen Knall kommen könnte.

    Wie auch immer, ich würde mir das Ganze reinziehen müssen, Nakovic jedoch würde zu diesem Zeitpunkt bereits in Braunschweig sein, wo er am Sonntag den Trauzeugen zu spielen hatte. Aber anstatt es kurz zu machen, da er doch offenbar so sehr in Eile war, baute er sich nochmals vor meinem Schreibtisch auf und walkte seinen Oberkörper hin und her, wie es in Stresssituationen seine Art war. Es schien, als würde es ihm geradezu körperliche Schmerzen bereiten, mir in dieser speziellen Situation die Gesamtverantwortung für die Dickkircher Nachrichten zu überlassen.

    »Jochen …«, begann er.

    »Musst du nicht los, Eduard?«, unterbrach ich ihn. »Ich dachte, Ines sitzt bereits auf gepackten Koffern.«

    Ich verzichtete darauf, ihm mitzuteilen, dass seine werte Gattin auf mich wie eine moderne Version von Frankensteins Braut wirkte und der Rabatz, den sie machen würde, sich mir entsprechend unliebsam vor das innere Auge stellte.

    »Wie lange fährt man eigentlich nach Braunschweig?«

    »Sechs bis sieben Stunden, je nachdem«, antwortete er brav, »aber hör mal, ich wollte das nur noch kurz ansprechen …, ich meine, kommst du klar morgen Abend mit dieser Kandidatenvorstellung? Du hattest bisher ja mit der Wahl nicht viel zu tun. Hab ja alles ich gemacht.«

    Mit dieser Eigenbauchpinselei erzählte er mir nichts Neues; ich wusste nur zu gut, dass er die Wahl diskussionslos von Anfang an zur Chefsache erklärt hatte.

    »Wir haben doch bereits darüber gesprochen, Eduard, mehrmals, erinnerst du dich?«

    »Ja, schon, ich meine nur, ich kann mich doch auf dich verlassen? Du weißt, dass es Oliver, ich meine Herr Puls, nicht so recht behagt, dass ich ausgerechnet dieses Wochenende nicht da bin.«

    Ich spielte ein bisschen den Entrüsteten. »Ich bitte dich, ich mach das doch nicht zum ersten Mal, ich bin seit mehr als fünfzehn Jahren dabei. Du tust, als ob das mein erster Wahlkampf wäre. Sehe ich aus wie ein Volontär mit Feuchtgebieten hinter den Ohren?«

    »Natürlich nicht, Jochen. Dann geht das also klar. Keine Experimente, okay, ganz die alte Schule.«

    Was immer er damit genau meinte, es war definitiv etwas anderes als das, was ich darunter verstand. Ich hatte zwar noch

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