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Salltal-Saga Band III: Die Geschichte der Familie Bauer aus Mainhardtsall und die Sozialgeschichte Hohenlohe-Frankens 1879-2016, Band III: 1971-2016
Salltal-Saga Band III: Die Geschichte der Familie Bauer aus Mainhardtsall und die Sozialgeschichte Hohenlohe-Frankens 1879-2016, Band III: 1971-2016
Salltal-Saga Band III: Die Geschichte der Familie Bauer aus Mainhardtsall und die Sozialgeschichte Hohenlohe-Frankens 1879-2016, Band III: 1971-2016
eBook459 Seiten5 Stunden

Salltal-Saga Band III: Die Geschichte der Familie Bauer aus Mainhardtsall und die Sozialgeschichte Hohenlohe-Frankens 1879-2016, Band III: 1971-2016

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Über dieses E-Book

In der Salltal-Saga wird das Leben der Familie Bauer erzählt vom Zeitpunkt der Verortung dieses Namens im hohenlohisch-fränkischen Mainhardtsall im Jahr 1879 bis in das Jahr 2016. Es war geprägt von der Landwirtschaft, genau wie das der Menschen in der gesamten Region. In einer Zeitreise durch die Epochen des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, der NS-Zeit bis in die heutige Bundesrepublik wird das Leben der Menschen im Salltal und in der Umgebung nachgezeichnet.
Während in Band I das Leben meines Urgroßvaters Georg und meines Großvaters Christian Bauer einschließlich der beiden Weltkriege erzählt wird (1879-1948), berichte ich in Band II über die Zeit meines Vaters Fritz Bauer und meine eigene Kindheit und Jugend einschließlich meiner Ausbildung zum Hofnachfolger (1948-1970).
In Band III (1971-2016) nehme ich Abschied von meinem Beruf als Landwirt. Als Arzt begebe ich mich auf einen langen beruflichen Weg an verschiedene Kliniken im In- und Ausland und durchlaufe dabei eine Internisten-, Gastroenterologen- und Diabetologen-Ausbildung einschließlich der Habilitation. Nach einigen Jahren Oberarzttätigkeit übernehme ich letztlich 1992 die Position des Chefarztes an der Medizinischen Klinik II (Gastroenterologie) am Klinikum Oberberg, Standort Waldbröl, aus der ich 2013 altersbedingt ausscheide.
In all der Zeit war ich durch viele Familienaufenthalte auch weiterhin meinem Heimatort Mainhardtsall eng verbunden, wobei Hohenlohe heute ein Industriestandort ist, der der Region sichtbaren Wohlstand beschert.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Okt. 2018
ISBN9783746973173
Salltal-Saga Band III: Die Geschichte der Familie Bauer aus Mainhardtsall und die Sozialgeschichte Hohenlohe-Frankens 1879-2016, Band III: 1971-2016

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    Buchvorschau

    Salltal-Saga Band III - Prof. Dr. med. Friedrich Eckhard Bauer

    Abkürzungsverzeichnis

    Vorwort zu Band III

    In der Salltal-Saga erzähle ich, Friedrich Eckhard Bauer, das Leben meiner Familie vom Zeitpunkt der Verortung des Familiennamens Bauer im hohenlohisch-fränkischen Mainhardtsall im Jahr 1879 bis in das Jahr 2016. Es ist ein Leben auf einem Bauernhof, auf dem jeweils gleichzeitig drei Generationen der Familie lebten und arbeiteten. In einer Zeitreise zeichne ich über die so unterschiedlichen Epochen des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, der NS-Zeit bis in die heutige Bundesrepublik das Leben der Menschen im Salltal und Umgebung nach. Bei den beiden großen Zäsuren des zwanzigsten Jahrhunderts, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, kommen dabei auch die persönlichen Soldatenschicksale meines Großvaters, Vaters und Onkels zur Sprache, die für viele in ihrer Generation stehen.

    Band I berichtet zunächst über die Zeit meines Ur-Großvaters Georg Bauer, der die Geschicke des Hofes von 1879 bis 1913 leitete, gefolgt von meinem Großvater Christian Bauer, der die Zeit von 1913 bis 1945 zu verantworteten hatte. Band I endet in der unmittelbaren Nachkriegszeit mit der Währungsreform 1948.

    Band II beginnt mit meiner Geburt im Jahr 1948 und beschreibt im weiteren die Kindheit und Jugend von meiner Schwester und mir, ebenso die Betriebsführung meines Vaters Fritz Bauer auf dem Hof in Mainhardtsall. Hier stellten die Technisierung, der Stallneubau, die Flurbereinigung und der Strukturwandel die größten Herausforderungen dar. Dieser Band berichtet weiter über meine Vorbereitung als Hofnachfolger mit den Stationen landwirtschaftliche Lehre und Berufsaufbauschule und endet mit meinem Studienabschluß der Landwirtschaft an der Staatlichen Ingenieurschule Nürtingen im Wintersemester 1970/71.

    Band III beschreibt das Schicksal meiner eigenen Familie und des Hofes und meine medizinische Laufbahn. Sie beginnt mit meinem unerwarteten beruflichen Sinneswandel. Die Begeisterung für die Landwirtchaft wich dem Interesse an der Medizin, das von 1971 bis 1976 zum Medizinstudium an der Universität Tübingen führte. Meine Tätigkeit als Arzt brachte mich danach erstmals weg von meinem Heimatort Mainhardtsall in z. T. weit entfernte Kliniken im In- und Ausland. Es wurde eine lange Reise, die dem Erfolg nacheilte und über eine Facharztausbildung in Innerer Medizin, einer Spezialisierung in Gastroenterologie und Diabetologie sowie einer Hochschullehrer-Qualifikation (Habilitation) zunächst zu einer Oberarzt-, danach zu einer Chefarzt-Position führte, die ich altersbedingt im Jahr 2013 mit der Pensionierung beendete. Mein Weggang aus der Landwirtschaft bewirkte die Verpachtung des Hofes in Mainhardtsall.

    In all den Jahren verlor ich allerdings nie die geographische und emotionale Verbindung zu meinem Elternhaus, meinem Heimatort Mainhardtsall und den Menschen der Region. Ich pflegte sie all die Jahre und tue dies auch weiter bis heutigen Tages. Die besondere Verbindung hierzu habe ich auch meinen Kindern zu vermitteln versucht, indem ich mit der Familie regelmäßig über viele Jahre mehrwöchige Urlaube in Mainhardtsall verbrachte mit all den Attraktionen, die diese Region zu bieten hat, die sich inzwischen zu einem wichtigen Wirtschaftsstandort entwickelt hat.

    Ich hoffe, dass dadurch meine Kinder dem Hof eine ähnliche Wertschätzung entgegenbringen wie ich es tat und er dadurch in seiner jetzigen Form in der Familie weitergeführt wird.

    Mainhardtsall und Waldbröl im Sommer 2018

    Friedrich Eckhard Bauer

    PS: Um die Hintergründe des Buches besser zu verstehen empfielt sich das Lesen des Vorworts von Band I. Hier wird über Schreibmotive, den Bedeutungswandel mancher Worte und die Sprachdifferenzen in unterschiedlichen Geschichtsepochen, Hintergründe des Zitierens, Handhabung der Abkürzungen und heute nicht mehr verständliche Begriffe unterrichtet. Außerdem wird auf die Unterscheidung der eigenen Familiengeschichte im Vergleich zur Meinung des Autors (kursiv) hingewiesen.

    Alle nicht weiter gekennzeichneten Bilder sind Eigentum des Autors. Einige wenige Bilder wurden von Herrn Dr. med. Helmut Roth, Oberarzt am Klinikum Oberberg, Standort Waldbröl, übernommen und als solche in den jeweiligen Legenden ausgewiesen.

    7. Mein Abschied von der Landwirtschaft und die Hinwendung zur Medizin (1971-1976)

    7.1 Beweggründe

    Je näher das Ende des Studiums der Landwirtschaft rückte, desto intensiver stellte ich mir die Frage nach meinem Lebensziel. Bisher hatte ich das vorgegebene dynastische Ziel „Hofübernahme", das mir gewissermaßen in die Wiege gelegt wurde, blindlings übernommen, ohne darüber nachzudenken. Bestätigt sah ich mich dann noch darin, dass mir dieses landwirtschaftliche Leben bisher sehr viel Freude bereitet hatte. Die Grundentscheidung war die, ob ich jetzt nach dem Studium nach Hause gehe und den Hof übernehme und weiterführe oder ob ich mir grundsätzlich einen anderen Beruf wählte. Hierbei war mir klar, dass es dann aber um einen Beruf gehen musste, der etwas komplett anderes war. Ich wollte nicht in die Agrarwirtschaft, auf das Landwirtschaftsamt, die landwirtschaftliche Berufsschule oder ins Verbandswesen.

    Im Sommer 1970 las ich am Schwarzen Brett in Nürtingen den Aushang, dass alle Ingenieurschulen des Landes zu Fachhochschulen aufgewertet werden würden und dass deshalb ab dem kommenden Winter-Semester die Hochschulreife die Eingangsvoraussetzung auch für die Fachhochschule Nürtingen sei. Für eine Übergangszeit würden zwar noch die alten Ingenieurtitel verliehen, dass aber für jene, die diesen Titel erworben hatten, eine formlose Nachgraduierung während einer Übergangsfrist möglich sei. Umgekehrt gelte für diejenigen das Ingenieurszeugnis auch als allgemeines Hochschulzeugnis. Das war nun wirklich die entscheidende Neuigkeit, denn nur sie bot die Möglichkeit, aus der Landwirtschaft herauszugehen und sich einem ganz anderen akademischen Beruf zuzuwenden.

    Ich hatte sicher eine überdurchschnittliche Ausbildung als Betriebsführer meines elterlichen Hofes. Meine in Nürtingen erworbene betriebswirtschaftliche Ausrichtung sagte mir allerdings, dass der Hof mit 54 ha momentan noch groß erschien, dass diese Größe aber bis zu meinem Rentenalter nicht ausreichen werde und eine weitere Existenzsicherung durch Zupachtung notwendig würde. Eine gute Existenz war nur über „lebenslange Expansion zu erreichen. Außerdem sah ich die Gefahr eines „Tretmühleneffektes. Zu gut hatte ich den Wechsel vom „Herrenbauer zum „ersten Knecht beim Generationswechsel von meinem Großvater Christian zu meinem Vater Fritz in Erinnerung. In der ganzen Expansionsphilosophie schien mir auch ein gewisses ökonomisches Risiko und ein Risiko in Bezug auf die Lebensqualität zu liegen. Außerdem hatten mir die letzten vier Jahre auch vor Augen geführt, dass ein wesentlicher Grund meiner vorbehaltlosen Freude an der Landwirtschaft darin bestand, dass ich auch nichts anderes kannte und somit keinen Vergleich hatte. Für mich hatte sich in Crailsheim eine neue Welt eröffnet, die sich mit Nürtingen fortsetzte. Es gab so viel, von dem ich nichts wusste, und die Erarbeitung dieser neuen Welt machte mir große Freude. Dabei fiel mir auch auf, dass es entscheidend war, die Bücher nicht nur einfach zu lesen, sondern dass es darauf ankam, wie man sie las. Fortan las ich Bücher, um mir so viel wie möglich des Inhalts fest einzuprägen und nicht zur „allgemeinen Kenntnisnahme. Das verfeinerte ich noch durch „Unterstreichen des Wichtigen. Die Konsequenz war, dass ich demzufolge immer eigene Bücher benötigte, da ich ja mit ihnen arbeitete. Diese Strategie führt im Langzeitverlauf dazu, dass sich ein solcher Leser ein großes Wissen erwirbt. Diese Einstellung habe ich bis heutigen Tages beibehalten.

    In einer möglichen beruflichen Alternative zur Landwirtschaft wollte ich Neigung, Anspruch und Bedeutung im Verbund mit Realitätsbezug verwirklichen. Meine Neigung lag bei Geschichte und den Naturwissenschaften. Mit Geschichte wäre als bedeutendes Berufsziel die Lehre im Fokus gestanden. Für einen „guten Geschichtler", der ich dann natürlich werden wollte, wären alte Sprachen, insbesondere Latein unabdingbar gewesen. Sprachen waren aber nicht meine starke Seite. Bei den Naturwissenschaften war es die Medizin, die in den Fokus rückte. In Bezug zu ihr hatte ich einige Jahre zuvor ein einschneidendes Erlebnis.

    Meine Eltern und wir Kinder wollten an einem Sonntag in die Kirche. In unserer Diele stand ein Gewehrschrank mit zwei Glas-Flügeltüren. Wie üblich war der Dielenboden zum Wochenende gewachst worden. Außerdem standen wir zeitlich etwas unter Druck und meine Mutter hatte vor, vom Bad quer durch die Diele zur Toilette zu gehen. Als sie am Gewehrschrank vorbeieilte, rutschte sie aus und fiel mit der linken Schulter in eine der Flügeltüren. Mit einem lauten Schrei stürzte sie zu Boden. Das Glas zerbrach und verletzte dabei meine Mutter so unglücklich, dass eine Glasscherbe die Oberarmarterie verletzte und das Blut in hohem Bogen pulssynchron aus ihrem Arm schoss. Ich war in ihrer unmittelbaren Nähe, hatte die Situation sofort richtig erkannt, ihr in kürzester Zeit einen Druckverband angelegt und damit die Blutung zum Stoppen gebracht. Danach brachten wir sie zur medizinischen Versorgung ins Krankenhaus. Diese medizinische Erstversorgung hatte in mir ein starkes Gefühl tiefer Zufriedenheit aber auch Dankbarkeit ausgelöst. Als meine Mutter bei der Anamnese die Geschichte im Krankenhaus erzählte, meinte der Arzt an mich gewandt, dass ich durch mein beherztes Eingreifen meiner Mutter des Leben gerettet hätte, was mich nochmals bestätigte und nachhaltig beeindruckte.

    Der Beruf des Mediziners genießt hohes Ansehen, seine Tätigkeit ist verantwortungsvoll und über die Chancen, eine Stelle zu bekommen, musste ich mir sicher keine Sorgen machen. Das passte alles sehr gut. Nachdem ich in der Landwirtschaft das Examen mit Auszeichnung bestanden hatte, erwachte in mir auch die Neugier, wie ich mich schlagen würde, wenn ich mich nicht nur lokal, sondern national mit den Besten des Landes messen lassen müsste. Hierzu eignete sich die Medizin geradezu ideal, denn in diesem Fach lag der Numerus clausus (Aufnahmebegrenzung nach Noten) von allen Fächern am höchsten. Da sich in der Berufswahl zum Mediziner meine Zielvorstellungen so ideal zusammenfügten und ich von vielen Bewerbern einer der Wenigen war, der Aufgrund seines sehr guten Zeugnisses eine echte Chance hatte, beim ersten Anlauf einen Studienplatz zu bekommen, entschied ich mich für die Medizin.

    Als ich diese Botschaft meinen Eltern mitteilte, war die Begeisterung nicht groß. Sie erinnerten mich daran, dass sie den Betrieb nur wegen mir bis heutigen Tags betrieben. Die Familie habe mit dem Stallneubau, der Flurbereinigung und dem Drainieren gute Rahmenbedingungen für die Zukunft geschaffen und sich deshalb auch finanziell langfristig festgelegt. Dies alles sei geschehen, um mir eine gute landwirtschaftliche Ausgangsposition zu verschaffen. Das wusste ich ja alles und es war mir lägst bekannt, dass meine Eltern nur meinetwegen den Betrieb weiter führten. Ich fühlte mich schlecht, denn es entstand der Eindruck, dass ich undankbar war. Natürlich stand sofort wieder die alte Frage im Raum, wie das Weiterführen des Hofes bei meiner Abwesenheit gelingen konnte. Da meine Schwester Renate seit etwa einem Jahr auf dem Hof arbeitete und eine landwirtschaftliche Ausbildung durchlief, gab es weiter die Motivation, den Betrieb auf jeden Fall fortzuführen, auch wenn ich aus der Landwirtschaft ausschied und somit als Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung stand. Demzufolge erklärte ich mich bereit, den Betrieb so umzuorganisieren, dass er auch weiterhin durch die Familie bewirtschaftet werden konnte.

    Im Außenbetrieb konnte mich meine Schwester allerdings nicht ersetzen und Arbeitskräfte, die die nötige Qualifikation hatten, waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu haben. So setzte ich mich mit dem lokalen Lohnunternehmer Breuninger aus Weinsbach in Verbindung und wir erarbeiteten folgende Lösung: Breuninger übernahm den Außenbetrieb, so dass wir keine Ersatz-Arbeitskraft für mich mehr benötigten. Es war besagter Breuninger, der als Angestellter der Fa. Ungerer in Öhringen uns Ende der 1950er Jahre eine Melkmaschine verkaufte. Er hatte sich inzwischen mit einem Lohnunternehmen selbständig gemacht und war darin sehr erfolgreich. Es war eine ganz neue Art der Zusammenarbeit, die es bisher noch gar nicht gegeben hatte. Es war keine Verpachtung und auch kein klassischer Auftrag an einen Lohnunternehmer, bei dem einzelne Technisierungsschritte wie das Mähdreschen von diesem übernommen werden. Trotz aller Flexibilität waren mit dieser Lösung nicht alle Außenarbeiten vollständig abgedeckt. Insbesondere wenn unser Vater krank wurde, musste er dann trotzdem für diese Zeit von einem Dorfhelfer ersetzt werden, was wiederum mit Kosten verbunden war.

    Ich musste allerdings feststellen, dass sich diese Variante als finanziell kostspielig erwies und dass sie somit keine langfristige Lösung, sondern nur eine mehrjährige Zwischenlösung sein konnte. Durch die Breuninger-Lösung verschafften wir uns Zeit, um uns die endgültige Entscheidung offen zu halten, wer später einmal den Hof übernehmen sollte, Renate oder ich selbst. Zu diesem Zeitpunkt bestand natürlich auch noch die Möglichkeit, dass sich meine hoch fliegenden Medizinerträume nicht in die Tat umsetzen ließen, z. B. dadurch, dass ich im Studium scheiterte. So hätte ich dann immer noch die Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren und den Hof zu bewirtschaften. Allen Familienmitgliedern schien dies eine praktikable Lösung zu sein und ich ging dann auch dazu über, Renate in der Buchführung anzulernen, so dass sie diese schließlich im weiteren Verlauf übernahm.

    Ausgangs Sommer 1970 lag mein Vater im Krankenhaus in Öhringen. Bei einem meiner Besuche teilte er mir mit, dass eine junge Frau auf der Station ein Pflegepraktikum mache, die auch Medizin studieren wolle. Er empfahl mir, mich wegen der Bürokratie mit ihr in Verbindung zu setzen. So sprach ich sie an. Es war Elisabeth (Sissi) Enzmann, die Tochter des Öhringer Amtsarztes, die im Krankenhaus Öhringen ihr Pflegepraktikum absolvierte. Sie hatte bereits die Bewerbungsprozedur hinter sich und eine Studienplatzzusage der Universität Heidelberg für das Wintersemester 1970/71. Sie war sehr hilfsbereit, erläuterte mir die Bürokratie, gab mir Tipps und überließ mir einige Informationsunterlagen. Bereits damals war die Studienplatz-bewerbung für Medizin wegen des Numerus clausus ein umfangreicher und aufwändiger Akt. Die Studienplätze wurden bereits damals deutschlandweit zentral in Hamburg vergeben. Dort waren auch die Bewerbungsunterlagen anzufordern. Ich arbeitete mich durch die Unterlagen. Jede Universität hatte noch ihre Extras, die es noch zu berücksichtigen galt. Dann gab es da noch das Bonuswesen, das je nach Universität ganz unterschiedlich gehandhabt wurde. Dies bedeutete, dass man seine Abiturnote durch einen Bonuspunkt rechnerisch verbessern konnte, wenn man bestimmte Kriterien erfüllte. Es gab Universitäten, die nur ganz wenige Kriterien mit Bonuspunkten belegten und andere, die für alle möglichen Kriterien Bonuspunkte vergaben. Ich bekam den Eindruck, dass wirklich gute Universitäten nur ganz wenige Ausnahmen mit Bonuspunkten belegten, während schlechtere Universitäten für alles Mögliche Bonuspunkte auslobten. Die Freie Universität Berlin war so ein Fall. Hier gab es bereits Bonuspunkte, wenn die Eltern einkommensschwach waren. Besonders viele Bonuspunkte gab es, wenn man rassisch oder religiös verfolgt war. Als zentrales Kriterium galt die Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses. Für mich galt die Durchschnittsnote des Ingenieurszeugnisses, das aber zum Jahresende 1970 noch nicht vorlag. Diese Situation war gängig, so dass diese Studenten die Möglichkeit hatten, das Zeugnis kurzfristig nachzureichen. Ich ging davon aus, dass ich eine gute Note erreichen würde und dass ich auf das Bonuswesen eigentlich nicht angewiesen war.

    Mir machte ein anderes Problem etwas Kopfzerbrechen. Medizin konnte man bisher nur studieren, wenn man mindestens das Kleine Latinum hatte. Auch hier gab es eine Änderung, die demnächst in Kraft treten sollte. Das Kleine Latinum sollte bundesweit durch einen Kursus „Lingua latina medicinalis ersetzt werden für diejenigen, die kein Kleines Latinum hatten. In den Bewerbungsunterlagen wurde aber für die meisten Universitäten noch das klassische Kleine Latinum ausgewiesen, so auch für die Universität Heidelberg, auf die ich mich gerne als erste Präferenz beworben hätte. Die bisherige Lösung war, dass diejenigen, die kein Kleines Latinum hatten, parallel zum Medizinstudium in einer einjährigen Lateinvorlesung mit Abschlußprüfung dieses Latinum nachholen konnten. War diese Prüfung bestanden, so durfte man weiter Medizin studieren. Ich stand also vor der Frage, die „alte Variante des Kleinen Latinums auf die klassische Art und Weise nachzuholen oder gleich die neue Variante der Lingua latina medicinalis zu wählen und an eine Universität zu gehen, die dies bereits anbot. Meine Sorge war bei der „alten Variante" bei diesem kurzen Zeitraum der Vorbereitung durch die Lateinprüfung zu fallen und dann noch weitere Zeit für die Wiederholung aufwenden zu müssen, nur um weiter studieren zu können. Ich wollte auf keinen Fall irgendwelche Zeit durch nicht bestandene Lateinprüfungen verlieren. Die Universität Tübingen hatte, was die Lateinkenntnisse anging, bereits die neue Lingua latina medicinalis-Regelung eingeführt. Die Wahrscheinlichkeit, diese im ersten Anlauf zu bestehen, erschien mir größer. So kam es, dass ich mich Ende 1970 mit erster Ortspräferenz an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen um einen Medizin-Studienplatz bewarb. An zweiter und dritter Präferenz gab ich noch zwei weitere Universitäten an. Mitte Februar 1971 reichte ich dann mein Ingenieurszeugnis nach. Nachdem meine Abschlussnote vorlag, war mir klar, dass ich einen Studienplatz in Tübingen bekommen müsste. Deshalb sah ich mich bereits Ende Februar 1971 in Tübingen nach einer Studentenbude um. Hier hatte ich Glück, denn wir hatten in Tübingen entfernte Verwandte. Eine Tochter des ehemaligen baden-württembergischen Landwirtschaftsministers Hermann aus Neureut war in Tübingen verheiratet. Ihre Tochter studierte Pädagogik. Sie half mir, in Tübingen ein entsprechendes Zimmer zu finden.

    Tübingen hatte damals 55.000 Einwohner, davon 13.000 Studenten. Es war bereits zu dieser Zeit nicht einfach, ein Zimmer zu bekommen. Durch die Ortskenntnis meiner Verwandten gelang es relativ rasch, eine Unterkunft zu finden. Dies war im Dorf Hirschau am Stadtrand von Tübingen. Hier kam ich bei dem örtlichen Friseur unter. Außer mir wohnten noch zwei Studenten im Haus. Danach wartete ich relativ gelassen auf das, was da kommen würde. Mein zukünftiger Studienort würde Tübingen sein, den Studienplatz hatte ich ziemlich sicher und die Unterkunft ebenso.

    Eine Voraussetzung für das Medizinstudium war auch das Absolvieren eines 6-wöchigen Pflegepraktikums bis zum Physikum. Ich nutzte die Zeit bis zum Semesteranfang damit, dass ich im DIAK in Schwäbisch Hall in der Zeit vom 8. bis zum 28. März 1971 bereits einen Teil dieses Praktikums absolvierte. Da hierbei für mich morgens in aller Frühe mein Dienst begann, mietete ich mich für diese Zeit in der nahegelegenen Gelbinger Gasse in Schwäbisch Hall oberhalb einer Bäckerei ein und begab mich täglich zu Fuß ins Krankenhaus. Ich kam in die Chirurgie auf eine gemischte Männer-Frauen-Station. Der damalige Chefarzt, der auch mein Zeugnis unterschrieb, war der damals weithin bekannte und sehr geschätzte Dr. Jäger. Ich war damals definitionsgemäß ausschließlich in der Pflege eingesetzt und arbeitete mit den Schwestern und einigen ZIVIs zusammen. Der ZIVI, der damals am längsten dabei war und am besten Bescheid wusste, stammte aus dem Großraum Stuttgart und hieß Bäuerlein. Er wies mich teilweise in den Pflege-Alltag ein. Die Namensähnlichkeit dieser Bäuerlein-Bauer-Truppe sorgte zeitweise für eine gewisse Erheiterung bei den Patienten, zumal in diesem Fall der „Kleine den „Großen anlernte.

    Gleich in den ersten Tagen hatte ich zwei Erlebnisse, die mir in Erinnerung blieben. Bei der Visite kamen wir in ein Männer-Zimmer mit 6 Betten. Hier traf ich einen alten Bekannten wieder, der sich das Bein gebrochen hatte. Es war der Fahrer der Drainierraupe, mit dem ich vor wenigen Jahren zusammengearbeitet hatte, als wir unsere Felder im Göltenhof und im See drainierten. Er staunte nicht schlecht, als er mich hier traf und ich ihm meine Geschichte mit dem beruflichen Sinneswandel erzählte.

    Das zweite Erlebnis war eher makaber. Es war mein erster Arbeitstag, Montag, der 8. März 1971. Am Wochenende war auf der Station ein Patient gestorben, der abseits der Station irgendwo „zwischengelagert war. Dieser musste in die Pathologie transportiert werden. Die Stationsschwester hatte merkwürdigerweise mir alleine diese Aufgabe übertragen. Das Haus war mir zu diesem Zeitpunkt verständlicherweise fremd. Deshalb beschrieb sie mir sehr ausführlich, wo ich die Leiche in Empfang zu nehmen habe und wo letztlich die Pathologie sei, in der ich sie abliefern sollte. Sie führte ausdrücklich noch auf, dass zu diesem Zeitpunkt in der Pathologie niemand anwesend sei, ich solle einfach die Leiche an einem bestimmten Platz abstellen, die Leute vor Ort würden sich dann später darum kümmern. Heute kann ich nicht mehr verstehen, dass ich diesen Auftrag ohne ortskundige Begleitperson angenommen habe: Ich sollte allen Ernstes an meinem ersten Arbeitstag eine unbekannte Leiche von einem mir unbekannten Ort von A nach B fahren, wissend, dass es keine persönliche Übergabe gab – ein absolutes Unding. Es muss die Unbekümmertheit der Jugend gewesen sein, die mich anstandslos diesen Auftrag übernehmen ließ. Die Schwester beschrieb alles so gut, dass ich, was die Örtlichkeit betraf, keinerlei Schwierigkeiten hatte, die Leiche zu finden und am richtigen Ort abzustellen. Alles lief programmgemäß. Die Sache hatte aber einen anderen Haken: Als ich in den kleinen Raum kam, in dem die Leiche zwischengelagert war, stank es martialisch. Solch einen Leichengestank habe ich in meiner ganzen Zeit als Arzt nie wieder erlebt. Ich hatte den Eindruck, dass die Leiche schon eine Reihe von Tagen dort gestanden hatte. Ich hielt die Luft an und schob die Trage rasch aus dem Zimmer auf den Gang, bevor ich wieder weiter atmete. Hier war der Gestank besser zu ertragen, aber die Situation wurde nochmals getoppt. Bei dem Fahrmanöver auf dem Gang war eine kleine Unebenheit zu überwinden, bei dem die Leiche etwas „durchgeschüttelt wurde. Dies führte dazu, dass sich ein Schwall von Flüssigkeit aus dem Mund des Toten auf seine Brust ergoss. Das war jetzt auch für mich zu viel. Ich fing spontan an zu würgen und musste anhalten. Glücklicherweise hatte ich „Trockenwürgen, so dass ich nach einer kleinen Pause weiterfahren und meine Aufgabe zu Ende bringen konnte. Jetzt war ich ganz froh darüber, dass ich alleine war und somit bei diesem peinlichen Auftritt keine Zuschauer hatte. Ich nahm mir vor, der Schwester keine Rückmeldung zu geben, sondern sofort wieder zu meiner Arbeit überzugehen. Sie fragte mich dann aber noch am gleichen Tag, ob alles problemlos geklappt habe oder ob es Probleme gegeben hätte. Ich spielte die Angelegenheit herunter und war ganz „cool. Alles sei völlig problemlos gewesen, nicht der Rede wert.

    Im Nachhinein erklärte ich mir das Ganze als eine Mischung aus „Aufnahmeritual und „unangenehmem Wegdelegieren. Ich glaube, die Schwester wusste sehr wohl, dass die Leiche „geruchsbelästigend war, und verband das Unangenehme mit dem „spirituellen Aufnahmeritual eines neuen Mitarbeiters. Abgesehen von dieser gewöhnungsbedürftigen Situation war die Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal gut. Mit den Ärzten ebenso, aber mit ihnen hatte ich als Pflegepraktikant relativ wenig zu tun.

    Die Mahlzeiten wurden gemeinsam im großen Speisesaal nach Selbstbedienungsmanier eingenommen. Hier haben alle Mitarbeiter des Krankenhauses gegessen mit Ausnahme der Ärzte, denn diese aßen im eigenen Ärztekasino. Hier gab es echte Gedecke, Silberbesteck, Stoffservietten und die Speisen wurden den Ärzten individuell serviert. In Bezug auf die Medizinstudenten gab es bundeseinheitlich genaue Regeln, die am Grad der bestandenen Prüfungen orientiert waren.

    Das Studium wies damals drei große Prüfungen auf: Die Vorprüfung (nach 2 Semestern), das Physikum (nach 5 Semestern) und das Staatsexamen (nach 10 Semestern). Das Pflegepraktikum war bis zum Physikum zu absolvieren. Ein Pflegepraktikant hatte somit immer mit der Pflege zu essen, also im großen Speisesaal. Hatte der Student das Physikum bestanden, gab es die Auflage, bis zum Staatsexamen 90 Tage Krankenhaustätigkeit nachzuweisen. Nach dem Physikum änderte sich aber der Status des Studenten; er war nicht mehr Praktikant, sondern Famulant. Mit diesem Status hatte er bei seiner Krankenhaustätigkeit das Privileg erworben, mit den Ärzten zu arbeiten und demzufolge auch im Ärztekasino zu essen.

    Mitte März 1971 kam dann die Studienplatzzusage mit der Post. Ein spannender Moment. Ich konnte dem Brief entnehmen, dass ich über die reine Leistungsliste ins Bewerbungsverfahren kam und dass bereits damals ein Leistungs-Ranking durchgeführt wurde. Die Universität Tübingen verfügte im Sommer-Semester 1971 über eine Aufnahmekapazität von 70 Medizinstudenten. Der Leistung entsprechend aufgereiht hatte ich mit meiner Note den Platz 3 belegt. Dieses Ergebnis erinnerte mich an meine früheren schulischen Leistungen, bei denen ich wiederholt den dritten Platz belegte, jetzt bereits zum fünften Mal. Irgendwie war ich der ewige Dritte.

    7.2 Das Medizin-Studium an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen (1971-1976)

    7.2.1 Die Vorklinik (1971-1973)

    7.2.1.1 Das Vor-Physikum (1972)

    Das Semester begann in der ersten Aprilhälfte 1971. Ich reiste einige Tage früher an, da noch eine ganze Reihe an Dingen zu erledigen und vorzubereiten waren. Es herrschte ein ziemlicher Betrieb. Horden von Erstsemestern irrten durch die Stadt und versuchten sich einen Überblick zu verschaffen und weitere Studieninformationen für ihre Fächer einzuholen. Zunächst ging es um die Immatrikulation (Einschreibung zum Studium am Studienort). Diese fand in der Aula statt. Hierzu waren verschiedene Stände aufgestellt. Informationsblätter waren zu lesen, Formulare auszufüllen, das Dokument der Studienplatzzusage und der Ausweis waren zu zeigen. Am Schluss dieser Prozedur war ich dann für das Fach Medizin an der Tübinger Universität eingeschrieben. Ich erhielt die Matrikel-Nummer 65 616 und einen gelben Studentenausweis. Zu einer anderen Gelegenheit erhielt ich dann mein Studienbuch. In diesem Buch wurde der Studiennachweis für die Meldung zu den Prüfungen geführt. Hierin wurden für jedes Semester die besuchten Vorlesungen mit Stundenzahl und bestandenen Prüfungen, Übungen und Seminaren mit den entsprechenden Leistungsnachweisen („Scheine") gesammelt und semesterweise vom Rektorat abgezeichnet. Als Tag der Aufnahme des Medizinstudiums in Tübingen wurde in meinem Studienbuch der 14. April 1971 ausgewiesen. Das zweite war, dass ich mir einen Studienführer besorgte und mir meinen Vorlesungsplan zusammenstellte. Die Fächer für die ersten zwei Semester bis zur naturwissenschaftlichen Vorprüfung waren Physik, Chemie, Botanik und Zoologie. Für mich kam dann noch der Kurs zur Medizinischen Terminologie (Lingua latina medicinalis) dazu. Dieser Fächerkombination sah ich gelassen entgegen mit Ausnahme der Physik und der Terminologie. Insbesondere die Physik bereitete mir Kopfzerbrechen. Ich war überzeugt, dass ich hier noch Wissenslücken hatte im Vergleich zu Gymnasiasten eines naturwissenschaftlichen Gymnasiums. Zu diesem Fächerkomplex kamen aber noch die Fächer Propädeutik (Einführung) der Anatomie und Histologie hinzu; diese Fächer wurden aber erst im Physikum abgeprüft.

    Entspannt ging es in Botanik und Zoologie zu, hier erzählte man mir nichts Neues. Der Dozent in Botanik war ein echter Chaot. Nur die Tatsache, dass mir seine Themen von voneherein gut vertraut waren, führte zu dieser Beurteilung. Bei der Mehrzahl der Studenten bewirkte sein Vorlesungsstil eher Verunsicherung. Obwohl ich in all den Jahren ein regelmäßiger Vorlesungsbesucher war, wich ich hier von meinem eigenen Dogma ab und fehlte öfters bei ihm. Die Chemievorlesung war eine Mischung aus Bekanntem und Neuem. Der Vorlesung konnte ich aber gut folgen. Ebenso im Chemie-Praktikum. Beides war also kein Problem. Bei der medizinischen Latein-Terminologie waren wir erstaunlich viele Studenten. Neben den lateinischen Begriffen ging es auch um ein Mindestmaß an Grammatik. Hier fehlten mir und auch den anderen der komplette Unterbau, so dass dieser „eingepaukt werden musste. Da dies eine reine Fleißarbeit war und ich in den letzten vier Jahren schwerpunktmäßig mit „Aufholen beschäftigt gewesen war, stellte diese Situation für mich auch kein Problem dar. Durch ein „gerüttelt Maß an Aufwand hatte ich auch dieses Fach im Griff. Schwieriger war es mit der Physik, die sich in einen Vorlesungs- und einen Praktikumsteil aufteilte. Im Praktikumsteil gab es nach jedem Praktikum ein Testat (Prüfung), das von einem Tutor (Assistenten) des entsprechenden Professors abgenommen wurde. Der Vorlesung konnte ich weitgehend folgen, verstand aber nicht alles. Gewisse Schwierigkeiten ergaben sich im Praktikumsteil, der auch mit Hausaufgaben gekoppelt war. Hier waren wir in Vierergruppen eingeteilt. Zwei aus meiner Gruppe waren in diesem Fach wirklich gut, sie waren für uns zwei andere eine wertvolle Hilfe. Der Dritte und ich zeigten aber einige Schwächen. Mein „Leidensgenosse kam von einem altsprachlichen Gymnasium und besaß demzufolge keinen naturwissenschaftlichen Unterbau. In Physik ist es aber mit Fleiß alleine nicht getan, hier geht es wesentlich um das Verstehen. So kam es, dass wir in gemeinsamer Gruppenarbeit unsere Lücken schlossen.

    Am Ende des zweiten Semesters war es dann soweit. Wir wurden in Vierergruppen mündlich geprüft. Am 20. März 1971 bestand ich die naturwissenschaftliche Vorprüfung (Vor-Physikum) mit der Durchschnittsnote zwei. In meinem „Problemfach" Physik erhielt ich eine drei.

    Mit dem Vor-Physikum hatte ich die für mich als entscheidend eingestuften potentiellen Hindernisse des Medizinstudium aus dem Weg geräumt und letztlich auch die letzten Wissenslücken geschlossen. Da Medizin „stoffmäßig ein „High-Volume-Fach (große Menge an Lerninhalten) ist, spielen hierbei Lernstrategie, Organisation, Einsatzbereitschaft und Fleiß eine zentrale Rolle für den Erfolg. Das waren genau die Eigenschaften, die mich auf meinem bisherigen Weg so erfolgreich machten, so dass ich deshalb hierin keinen Vergleich scheuen musste. Nach jetzt bestandenem Vorphysikum war ich mir sicher, dass ich das Medizinstudium erfolgreich abschließen würde und dabei höchstwahrscheinlich auch noch meine Leistungen zu steigern vermochte. Diese Erkenntnis im Frühjahr 1971 gab mir Selbstvertrauen und Mut und motivierte mich für das, was in den nächsten Jahren im Studium auf mich zukommen sollte. Nach der Prüfung fuhr ich deshalb mit einigen Anatomiebüchern im Gepäck erleichtert nach Hause und genoss die restlichen Semesterferien. Dabei überlegte ich eine Strategie, wie ich mir das riesige Stoffgebiet der Anatomie und Histologie am besten aneignen konnte, denn dies war der größte Brocken auf dem Weg zum Physikum. Dabei zog ich verschiedene Bücher zu Rate, wodurch ich besser in die Lage versetzt wurde, das wirklich Wichtige vom weniger Wichtigen zu unterscheiden.

    Leider wurde die Stimmung der Familie dadurch getrübt, dass etwa drei Wochen nach meiner Prüfung am 7.April 1971 meine Großmutter Marie Bauer im Alter von 81 Jahren verstarb (Abb. 1).

    Abb. 1: Todesanzeige von Marie Bauer, Großmutter des Autors, väterlicherseits.

    Sie klagte ursprünglich über Bauchschmerzen, die sie dann auch ins DIAK nach Schwäbisch Hall brachten. Hier wurde sie schließlich noch an der Gallenblase operiert. Im weiteren Verlauf ist sie dann gestorben. Im Familiengrab in Kirchensall fand sie neben ihrem Mann Christian ihre letzte Ruhestätte.

    Wie erwähnt war bereits damals die Medizin ein Numerus-clausus-Fach. Es bewarben sich viele um einen Studienplatz, aber nur die wenigsten wurden angenommen. Das führte dazu, dass einige vor deutschen Gerichten den Klageweg beschritten, um einen Studienplatz zu bekommen. Andere versuchten im Ausland Medizin zu studieren, in der

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