Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Not Wendet
Not Wendet
Not Wendet
eBook453 Seiten6 Stunden

Not Wendet

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Das Buch beschreibt den Gleitschirmabsturz des Autors, durch den alle seine Vorstellungen und Lebenspläne in Sekundenbruchteilen zunichte und wertlos werden. Offen und ungeschminkt schildert Rolf Hofmann die selbstkritische Überprüfung seiner Werte und seine Empfindungen bei den "notwendigen" Erlebnissen, die ihn erbarmungslos dazu zwingen, sein Leben und seine Denkweise zu verändern. Anscheinend reichte sein Absturz zur Veränderung nicht aus, weshalb er in den darauffolgenden Jahren mit schmerzlichen Ereignissen nur so bombardiert wird, gekrönt von einem lebensbedrohlichen Schlaganfall, der ihn in den Rollstuhl zwingt. Wie ein Stück Schnitzelfleisch wird er vom Leben regelrecht weichgeklopft und zermürbt. Er erzählt ehrlich, wie er durch seine schmerzhaften Erlebnisse die liebevolle Fürsorge der geistigen Welt und deren Gesetzmäßigkeiten kennenlernt und dadurch zu einem in sich ruhenden, zufriedenen, ja glücklichen Menschen heranreift.
Zittern und Lachen Sie herzhaft mit ihm, und erkennen Sie dabei auch die Spielregeln Ihres Lebens etwas deutlicher.

Diese Ausgabe ist eine Neuauflage und Fortsetzung des 2009 erschienenen Erstlingswerkes des Autors.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Nov. 2016
ISBN9783734562419
Not Wendet

Ähnlich wie Not Wendet

Ähnliche E-Books

Biografie & Memoiren für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Not Wendet

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Not Wendet - Rolf Hofmann

    Notwende

    Sonntag, 16. Mai 2004, es ist ein rundherum traumhafter warmer Mai-Nachmittag mit fast wolkenlosem, tiefblauen Himmel und die Vögel ziehen ihre Kreise in den leichten Aufwinden. Ich stehe hier oben auf dem Stöckerkopf – einem kleinen Ski Hang im nördlichen Schwarzwald, in meinem gelben Fliegeroverall in dem ich (wie mir nur meine guten Freunde sagen) aussehe, wie der Willi der Kinderserie Biene Maja.

    Den Gleitschirm hinter mir ausgelegt, die Steuerleinen in den Händen, warte ich auf den idealen Wind um mich in die Lüfte zu erheben – oder wie meine Frau Doris sagt, vom Berg zu schmeißen.

    Langsam kommt der Wind meiner Idealvorstellung näher, mein Pulsschlag geht so an die 200er Grenze, ich drehe mich für den Rückwärtsstart um und lege mich in das Gurt Zeug, um meinen Schirm vom Boden zu reißen. Wie in einem Paragliding- Lehrfilm steigt mein Schirm hoch, am Scheitelpunkt über mir angekommen, drehe ich mich in die Flugrichtung, einen gefühlvollen Zug an den Bremsleinen – und wie in einem Fahrstuhl, ohne einen Schritt zu laufen, zieht mich der Schirm sanft vom Boden in die Freiheit der Lüfte. Mein Herz jubelt und ich unterdrücke einen Lustschrei ob dem Gefühl der Schwerelosigkeit und der Leichtigkeit mit der meine 94 Kg der Erdenschwere entzogen werden.

    Mein Vario (Höhenmesser) quittiert mit lautem Stakkato das Steigen in den Baiersbronner Himmel. Sekunden nachdem die Hangkante hinter mir ist, wird das Vario wieder still, und ich gleite ohne größeren Höhenverlust über Baiersbronn, es ruckelt mal da, es zupft mal dortes ist einfach genial wie mein Schirm jeden kleinsten Hauch von Thermik in Höhe umsetzt. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken – eigentlich besteht der Flug nur aus einem langsamen aber beständigen Abgleiten zum Landeplatz – aber für mich sind diese wenigen Minuten mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl der grenzenlosen Freiheit verbunden. In diesen Minuten bin ich ganz allein mit mir, nur für mich, und für sonst Niemandem auf der Welt verantwortlich, ich bin ganz und gar nur auf mich und die Bewegungen der Luft um mich herum sensibilisiert. Mein Schirm fungiert als Wünschelrute, als Nerv, um mir die Schwingungen und den Zustand meiner Umgebung mitzuteilen. Nur das Rauschen der den Schirm und Leinen durchströmenden Luft, kein Gedanke an Geschäft, Geld, Termine, Zwang dieses oder jenes unbedingt noch machen zu müssen – hier erlebe ich eine bisher nie erreichte

    Freiheit so intensiv, dass es fast unwirklich scheint und ich versucht bin, meine unbändige Lebensfreude lauthals hinauszuschreien. Vogels gleich, eingebettet in Wind und Thermik, ist es mir erlaubt den uralten Menschheitstraum des Fliegens in reinster Form zu erleben, überhaupt noch an einem solch wunderschönen Tag wie heute, so etwas kann sich niemand mit keinem Geld der Welt erkaufen. Mein Herz hüpft mit jedem kleinen Windhauch mit, und ich strahle über alle 4 Backen – wenn mich jetzt einer so sehen könnte, würde er bestimmt denken, dass ich wohl nicht alle Tassen im Schrank hätte.

    Mein Vario ermahnt mich Richtung Landeplatz zu fliegen – über den Parkplatz drüber, den Sankenbach entlang, Queranflug, Endanflug wieder gegen den Wind Richtung Baiersbronn stellen, noch 2m Höhe leeeeicht anbremsen, noch 50cm bis zum Boden, jetzt gefühlvoll und zügig durchbremsen. So sanft und so anmutig wie ein Kaliber meiner Gewichtsklasse überhaupt in der Lage ist, lande ich butterweich, ohne dass ich nur einen Schritt machen muss, direkt vor der Pizzeria, am Weg auf der Wiese. Doris steht oben auf der Straße und sieht mir zu, wie ich meinen Schirm (böse Zungen behaupten ja, dass ich mit einem Festzelt fliege) zusammenlege und verpacke. „Und wie war es? fragt sie. Ich strahle wieder so, wie vorhin in der Luft und verdrehe die Augen, dass man fast nur noch das Weiße sieht, „einfach geil, geil, saugeil!!!

    Einen anderen Ausdruck oder Steigerungsmöglichkeit gibt es einfach nicht, um dieses Gefühl zu beschreiben, das noch Stunden, ja Tage nach so einem Flug in mir ist. Ich bin einfach absolut 100% zufrieden und glücklich, ohne dass noch der klitzekleinste Wunsch offengeblieben wäre. Doris weiß das! Obwohl sie wirklich bei jedem Flug um mein Leben bangt, ist sie so lieb und fährt mich auch noch an den Startplatz hoch und wartet mit einer Eselsgeduld Stundenlang unten in der Pizzeria auf mich, bis ich wieder verschwitzt und strahlend neben ihr mein Apfelschorle hinunterstürze, um sie mit meinen Flugerlebnissen zu überschütten.

    So auch heute: „Sollen wir einen Café trinken – oder willst du gleich noch mal rauf? fragt sie. „Erst mal was trinken, dann Café, dann sieht man weiter antworte ich. Meinen Packsack lade ich in ihr Auto ein, das sie unweit geparkt hat, und wir setzen uns auf die Terrasse hinter die Pizzeria. Phhuuu - ich bin einfach nur selig und schwärme Doris von meinem traumhaften Start und meiner Lehrbuchmäßigen, nicht zu übertreffenden Landung vor – ich weiß es nicht, aber so muss man sich fühlen, wenn man einen Joint raucht.

    Sie schaut mich interessiert an, aber ich glaube Sie hört mir überhaupt nicht zu – verständlich, jedes Mal das Gleiche mit mir. Mit dem Café bestelle ich noch ein Stück Schwarzwälder-Kirschtorte, mein Gewicht kommt ja nicht von ungefähr. Ich behaupte immer, dass ich auf das Gramm genau mein Idealgewicht hätte – ich wäre nur etwas zu klein dafür, deshalb die optische Täuschung.

    Hier sitzen wir nun und beobachten den Ostwind, der mit den Birkenblättern Roulett spielt und mal mehr, mal weniger das Sankenbachtal hinaufsäuselt. Wir genießen einfach diesen ersten wirklich warmen Sonntag im Mai, mit seinem strahlend tiefblauen Himmel und dem würzigen Duft der blühenden Gräser um uns herum. Es ist schon fast 17 Uhr, und die Schatten der Birken kriechen über unseren Tisch, als Doris mich fragt, ob ich noch mal fliegen wolle, oder ob wir so langsam nach Hause düsen sollen. Hmmm, es ist fast zu schön, um schon einzupacken – „ich glaub, ich mach noch einen „Abgleiter" antworte ich ihr. Mit Abgleiter ist einfach ein kurzer Flug ohne Thermik direkt zum Landeplatz gemeint. Ok, wir bezahlen und Doris fährt mich mit ihrem weißen Bonsai-Mercedes (A-Klasse) die holprigen Waldweg–Serpentinen entlang bis zum Startplatz hoch. Wie immer bleibt sie noch einige Minuten bei mir, um die anderen Flieger zu beobachten und auch um auf mein OK zu warten, ob die Bedingungen einen Flug zulassen. Der Wind hier oben wechselt im Moment ständig, weht aber überwiegend aus Richtung Süd (Freudenstadt), was mich veranlasst, den Schirm vorerst noch nicht auszupacken. Doris schicke ich trotzdem wieder zum Landeplatz hinunter, falls ich eventuell nicht fliegen kann, haben wir ja Funk, und sie muss mich halt dann wieder abholen.

    Sie sitzt lieber in der Pizzeria, als dass sie sich hier oben die Beine in den Bauch steht. Doris kennt mich, wenn ich nicht absolut 100% sicher bin, fliege ich nicht. Schon oft sind die anderen Piloten gestartet und haben sich - egal wie, „rausgeschmissen" – und ich habe in aller Ruhe zusammengepackt und mich von Doris wieder abholen lassen, weil es für mich nicht gepasst hat.

    Allmählich pendelt sich der Wind auf Ost ein, d.h. er wird immer idealer zum Starten. So hieve ich mir meinen Packsack auf den Rücken und stapfe schnaubend (Raucherlunge lässt grüßen) die letzten Meter von der Straße bis zum oberen Startplatz hinauf.

    Mit der mir innewohnenden Bedächtigkeit und Ruhe breite ich meinen Schirm aus, sortiere die Leinen und hänge mich ins Gurtzeug ein. Helm auf, Funk an, alles noch einmal gecheckt.

    Hmmm-Wind bockelt noch etwas, aber nach 2-3 Minuten warten, kommt er schön den Hang herauf – genauso, wie ich es liebe. Umgedreht und Rückwärtsstart - ab geht die Post!! Idealstart, fast noch perfekter als der vor 2 Stunden. Richtig stolz (hoffentlich haben es die Drachenflieger auch gesehen) rüttle ich mich in meinen Sitz hinein und fliege erst mal Richtung Baiersbronn-Mitte. Mein Vario zeigt mir traurig quäkend sinken, sinken, sinken an – na ja, also doch nur ein Abgleiter, aber schön ist es trotzdem, wie ich lautlos über die Häuser den Weg auf den Landeplatz einschlage. Die letzten Häuser vorm Landeplatz liegen unter mir, jetzt nur noch den Parkplatz überqueren, etwas rechts halten, damit man noch den letzten Rest Hangaufwind mitnimmt.

    Aufgepasst! Da vorne rechts ist der Hang schon im Schatten, dort darf ich auf keinen Fall hinfliegen, da geht’s garantiert viehmäßig abwärts. AUTSCH! Hier geht’s aber auch schon ganz schön schnell runter!

    MANN - jetzt erwischt mich auch noch eine Böe von links hinten und drückt mich nach rechts gegen den Hang, genau dorthin, wo ich auf gar keinen Fall hinwill! Sch…, das wird eng! Sofort ziehe ich den Schirm stark nach links, wieder auf die Landewiese zu. Mein Vario heult auf: ich falle viel zu schnell!! Die Pappeln schieben sich durch die Abdrift der Böe jetzt plötzlich zwischen die Landewiese und mich und ich rase mit abartiger Geschwindigkeit auf die Pappeln zu. Peilung: Baumwipfel 30m entfernt in Augenhöhe – Geht NIEEE- Du bleibst mit dem Arsch in den Bäumen hängen. Rechts herumreißen, die Böe schiebt noch immer, die Bäume sind jetzt links von mir, ein steiler Hang rechts von mir, die Böe prügelt mich vor sich her – der Abstand zwischen den Bäumen links und dem Steilhang rechts wird immer enger, durch diesen Trichter werde ich mit der schiebenden Böe immer schneller, das Vario heult, ich falle viel zu schnell, kann kaum noch lenken, mit so viel Rückenwind. Vorne an der kleinen Brücke sehe eine Stelle mit niedrigeren Bäumen, da schaffe ich es bestimmt noch rüber zur Wiese.

    2 Sekunden später bin ich bei den Bäumen - zu niedrig - keine Chance. 50m vor mir ist ENDGÜLTIG SCHLUSS!!

    Die Bäume auf der linken Seite vereinen sich vor mir mit dem Steilhang – ich fliege mit einem Affenzahn (50-60 Stundenkilometer) wie in einen Trichter hinein.

    KEIN AUSWEG - DAS MUSS KRACHEN!!!

    Instinktiv lege ich meine ganze Kraft und ganzes Gewicht auf die rechte Bremsleine, vielleicht schaffe ich doch noch einen „Turn" gegen den

    Wind – die Böe ist viel zu stark - Lenkung fast keine Reaktion - Steilhang rast auf mich zu! Gott da steht ja eine Kuh! Ich erschlage sie! Voll bis zum Anschlag durchbremsen! Knie bis zum Bauch - oder die Kuh fehlt.

    DAS ÜBERLEBST DU NIE!!!

    Ab der Kuh sehe ich plötzlich alles in Zeitlupe. Dort wo ich aufschlagen werde, ist eine braune Erdkuhle von ca. 50 cm in dem Steilhang, die Kühe haben das Gras bis auf drei Büschel abgegrast, an der Aufschlagstelle ist durch die Hufe die Grasnarbe abgeschabt. Ein spitzer Stein schaut ca. 20cm aus dem Boden heraus, ich werde versuchen links von dem Stein aufzuschlagen, sonst sind meine Füße hinüber.

    Walter (mein Fluglehrer) hat gesagt, dass wenn man schnell runterkommt, soll man auf keinen Fall die Beine ausstrecken – das geht bös in die Gelenke! Wenn es passiert, dann winkelt die Knie leicht an, die Beine zusammen und dann mit aller Kraft die Muskeln anspannen – das nimmt viel Energie auf, ohne dass es zu großen Verletzungen führt.

    Also tue ich was Walter gesagt hat! Der Boden kommt schon ganz ordentlich näher, 1m, 0,5m.

    Meine Füße schlagen auf dem braunen Boden links neben dem Stein auf. Er streift mich nur noch am rechten Fußknöchel.

    Walters Rat funktioniert: meine Beine klappen mit viel Widerstand in sich zusammen, mein Hinterteil schlägt durch das Sitzbrett hindurch, dann durch den 25cm dicken Protektor (Airbag am Hintern) und dann sehr hart auf dem Boden auf, mein Kopf wird durch den Aufprall nach vorne auf die Brust geschleudert und der Kinnschutz des Sturzhelmes gräbt sich in meine Brust, ich höre hässliches, nicht aufhören wollendes Krachen in meiner Brust. Ein zerreißender Schmerz explodiert in mir.

    S T I L L E

    Ich kann ja die Augen aufmachen! Jesses - das war aber hart! Kopf lieber nicht bewegen.

    SCHMERZ!!!

    Ok - ruhig bleiben, wackle mal mit den Füßen – Gott sei Dank, funktioniert, hebe linke Hand – ok, funktioniert, hebe rechte Hand - ok, funktioniert. Aber…. Ich krieg keine Luft!!!!!!

    So wie es gekracht hat, sind bestimmt alle Rippen gebrochen und stecken in der Lunge. Brustkorb zusammengedrückt, ruhig bleiben, wenn Brust zusammen, keine Luft, LUFT!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

    Wie ins Unendliche dehnt sich mein Zeitempfinden. Meine Brust brennt wie Feuer und sie lässt sich keinen Millimeter ausdehnen um das lebenserhaltende Gasgemisch zu inhalieren. Hmmm – so ist es also, wenn man sterben muss. Mein Gehirn hat ja noch genug Sauerstoff um noch für ein paar Minuten bei Bewusstsein zu bleiben. Es ist eigenartig ruhig, richtig friedlich. Hmmmm, jetzt ist es also soweit. Komisch – ich habe gelesen, dass man in den letzten Minuten noch mal das ganze Leben runterspult und selbst bewertet, wie es war.

    Ob man dies oder jenes hätte besser machen können. Wann fängt der Film an? Bis jetzt kommt nicht einmal die Vorschau – es ist einfach still und friedlich. Aus den Rückführungen mit meinen Patienten weiß ich, dass ein Licht aufgeht und meine lieben Freunde die Elohims (Engel) mitsamt meinen verstorbenen Verwandten kommen sollten um mich abzuholen – ich wäre soweit! Aber kein Licht, keine Elohims – nichts, nur Ruhe, nicht einmal Panik - OK, warte ich halt noch. Wie kriege ich meine Brust auseinander? Was ist eigentlich aus den drei Kühen geworden, von denen ich eine fast getroffen hätte? Lieber Heiland, ich danke dir, dass ich mit meinem Scheiß nicht noch einer anderen Kreatur geschadet habe! Mensch hat die Kuh Glück gehabt, ich habe ihr Kreuz nur um ein paar Zentimeter verfehlt.

    Ich muss jetzt irgendetwas tun, ich brauche L U F T.

    Bleib ganz ruhig, jetzt probieren wir es: Arme ausstrecken, Armmuskeln anspannen und die Arme über den Kopf nach hinten ziehen, so müsste ich meine Brust wieder auseinanderziehen können.

    Jeder Zentimeter, den ich meine Arme mehr nach oben und nach hinten drücke, bereitet mir bestialische Schmerzen. Jeder Zentimeter mehr, verursacht ein ekelhaftes, markdurchdringendes Krachen in meinem Brustkorb. Bestimmt ist meine Brust nur noch ein blutiger Brei aus Fleisch und Rippensplittern, und wird nur noch durch meinen Overall zusammengehalten. Bestimmt werde ich gleich endgültig ins Koma fallen. Es geht nicht mehr, ich kann nicht mehr, es tut höllisch weh, ich kann mich doch nicht selbst zerreißen.

    Ich spüre, wie sich die Knochen in meiner Brust bewegen, wie wenn man mit einem Schlachtermesser in einem Fleischklumpen herumrührt und die Klinge mit einem hässlichen Geräusch an den Knochen schabt.

    AUF JETZT, LOS, MACH SCHON!!!

    Da musst du durch, du brauchst Luft, wenigstens bis der Notarzt kommt. Mit todesverachtender, übermenschlicher Anstrengung, ohne auf den Schmerz, ohne auf das durchringende Krachen in meiner Brust zu achten, ziehe ich meine ausgestreckten Arme, soweit es nur geht hinter meinen Kopf, bis ich den Boden auf meinen Handrücken spüre.

    Ganz vorsichtig hole ich ein paar Kubikzentimeter Luft – ES GEHT. Ganz flach Atmen! Schön regelmäßig, ganz flach, nur die Ruhe bewahren, es geht. So ein Schmerz!!

    Mir läuft der Schweiß von der Stirn in die Augen, und Tränen die Wangen entlang. Aushalten, durchhalten, bestimmt kommt gleich jemand und hilft dir.

    Ich höre Doris über Funk: „Roooolf, sag was, ist dir was passiert, sag doch was!!!" Ich höre sie keuchen, wahrscheinlich rennt sie zu mir her. Ganz langsam, wie in Zeitlupe drücke ich die Sprechtaste an meinem Helm: „Doris, hilf mir, hol Hilfe, Hilfe!" Doris wird mir später sagen, dass sie nur ein furchtbares Stöhnen gehört hat.

    Jetzt höre ich Doris näherkommen, höre auch eine männliche Stimme, die auf mich zukommt: „Ich bin Sanitäter, der Notarzt ist unterwegs, können Sie Ihre Beine bewegen? Können Sie sprechen?" Der höllisch brennende Schmerz in mir ist so übermächtig, dass ich das Geschehen um mich herum kaum wahrnehme und zeitweise wegtauche.

    Was ziehen die denn jetzt an mir so herum?? „Wir können ihn nicht losschnallen! Kennt sich einer mit dem Zeug aus? Komm, wir schneiden die Gurte einfach auf, es geht nicht anders" Jetzt regt sich aber der Schwabe in mir – und besiegt den Schmerz: einfach das teure Gurtzeug zu zerschneiden! „ Ja nicht!!!" In meinem Zustand, ohne den Kopf zu bewegen, fingere ich an meinem Bauch herum, finde die Schnallen und kann das Gurtzeug selber öffnen, einschließlich der Oberschenkelschnallen, sodass sie mich endlich von meinem Schirm befreien können. „Aus dem Overall muss er auch noch raus! Mensch wie geht das? Wo geht das Teil auf? „Schneide ihn einfach quer über die Brust auf, dann können wir ihn abziehenFinger weg!!!"

    Der knallgelbe „Willi-Anzug" ist mein Heiligtum. Mit geschlossenen Augen ziehe ich die Reißverschlüsse bis zur Hüfte hinunter. Durch meine schlangengleiche Gelenkigkeit ☺ brechen sie mir beinahe die Arme, als sie mich aus meinem unantastbaren Overall herausschälen.

    SCHMERZ…

    Mich wundert es, dass das Gezerre an mir meinen Schmerzpegel nicht anhebt – wahrscheinlich bin ich eh am ertragfähigen, oberen Anschlag, und es kann nicht noch schmerzhafter werden – auch ein Trost!

    Ich höre das Martinshorn des Notarztwagens näherkommen und in der Nähe verstummen. Ich höre, wie der Sanitäter, der mich zuerst versorgt hat, sich mit einem etwas außer Atem geratenen Mann unterhält und einen kurzen Zustandsbericht über mich abgibt. Eine Sauerstoffmaske wird mir über die Nase und Mund gedrückt – Ahhhhh, das tut gut – mehr, mehr, endlich wieder genügend Sauerstoff – oh tut das gut. Der Mann rüttelt mich, bis ich die Augen öffne und ihn ansehe. Ein geöffneter Arztkoffer steht neben mir und er hat eine Spritze in der Hand, die er mir gerade in die linke Armbeuge injiziert. „Sie werden sehen, gleich wird es erträglicher" sagt er mit einem so fürsorglich-väterlichen Tonfall, dass ich zu diesem Menschen sofort ein totales Vertrauen und Geborgenheitsgefühl habe. Endlich kann ich mich fallen lassen und mich diesem Mann überlassen. Ich spüre, wie das Mittel in der Ader Sekundenschnell meinem Arm hochsteigt und eine warme Spur zu hinterlassen scheint. Die Spur geht quer durch meine Brust, es wird in mir ganz warm. ERLÖSUNG - der Schmerz weicht einem wohlig, watteartigen Gefühl, wie auf Wolke sieben. Entspannung – loslassen, oh ist das ein schönes Gefühl, so leicht, so weich – oh ist das schööööön. Wie die Blende einer Kamera, so schließen sich meine Pupillen, und es wird dunkel….

    Mensch ist es hier kalt! Warum ist es nur so saukalt? Und hart ist der Boden! Es ist dunkel – auch wenn ich die Augen aufmache. Ich bin nackt!! Es ist mir so kalt, dass ich am ganzen Körper wie Espenlaub zittere. Mein Unterkiefer zittert so sehr, dass ich wirklich meine Zähne klappern höre. Hat denn keiner Erbarmen mit mir? Helft mir doch! Hat denn niemand eine Decke für mich? Aber kein Ton kommt über meine zitternden Lippen. Ich friere so stark, dass ich richtig durchgeschüttelt werde. Da ist ein starker, komisch dumpfer Schmerz in meiner Brust und meinem Rücken.

    Wo bin ich?

    Ganz langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit, es scheint ein Röntgenraum zu sein. Bin ich im Krankenhaus? Oh Gott – jetzt kommt es mir so langsam wieder:

    ICH BIN ABGESTÜRZT!!!!

    Es ist kein Traum, es ist Realität. Oh Herr, lass alles doch nur ein böser Traum sein. Ich wache bestimmt gleich auf, schüttle den Kopf und gehe ins Bad. Aber in meinem Bett ist es nie so kalt!! Es ist kein Traum!! Ich friere erbärmlich, ich liege tatsächlich hier nackt auf dem Röntgentisch, habe tierische Schmerzen und keiner kümmert sich um mich. Spinnen die eigentlich, mich einfach hier so herumliegen zu lassen? Bei diesem Gedanken geht wieder die Blende zu, und es wird dunkel hinter meinen Augenlidern.

    Oh, da streichelt mich jemand an der Hand Lass mal lieber die Augen zu, derjenige könnte sonst aufhören. Es tut gut, die weiche, warme Haut auf meinem Handrücken zu spüren. Behutsam öffne ich wenige Millimeter meine Augenlider und spähe durch die Wimpern, um sehen zu können, wer da streichelt. Es ist Doris, die neben mir steht und mich zu beobachten scheint. Jetzt öffne ich die Augen ganz, und die ganze Situation wird mir schlagartig bewusst. Ich bin tatsächlich abgestürzt und liege hier in der Notaufnahme (die kenne ich durch etliche unfreiwillige Besuche mit meinen Kindern).

    „Mensch Rolf, was machst du denn für Sachen? Wie geht es dir?". „Na ja, ging schon besser, wie du siehst…" antworte ich ohne großartig die Zähne auseinander zu kriegen. „Ich bin total fertig und zittere immer noch. Was ist denn passiert? Ich hab an der Pizzeria auf dich gewartet und alles gesehen. Weißt du, dass ich drüben (200m entfernt) den Aufschlag und das Krachen deiner Knochen gehört habe?

    Ich habe schon geglaubt, du wärst tot, als ich dich so liegen gesehen hab, ich bin schier verrückt geworden, bis ich endlich den Eingang zu der Weide gefunden habe, um zu dir hinzukommen."

    „Was haben eigentlich die Kühe gemacht? frage ich. „Komisch, jetzt wo du danach fragst, fällt mir ein, dass da ja auch noch die Kühe auf der Weide waren. Um die hat sich keiner kümmern müssen, die sind ganz hinten dicht beieinandergestanden und haben keinen Mucks gemacht, komisch gell?Was ist mit meinem Schirm? „Dem hat’s nichts gemacht, 50cm vom Stacheldrahtzaun der Weide war er weg! Einer vom Baiersbronner Club hat ihn zusammengepackt und dann hat ihn die Polizei beschlagnahmt.

    Auf mein Erstauntes „Was, die Polizei hat ihn?"

    Grinste Sie „Ja, ja nur keine Angst, Jürgen (ein Bekannter von uns und auch Polizist) hat ihn vorher schon wieder hierher ins Krankenhaus gebracht und mir ins Auto gelegt."

    Bei Ihrer Erzählung wird mir bewusst, dass mir anscheinend ein Stück fehlt – die Uhr in meinem Blickfeld zeigt schon kurz vor 21 Uhr, also war ich knappe 3 Std. „weg".

    Ein honorig aussehender, älterer Mann im weißen Kittel kommt in mein Gesichtsfeld. Ich nehme an, dass er Arzt oder sogar Oberarzt ist, da er einen weißen Kittel anhat, ein sehr bestimmtes Auftreten hat und die Krankenschwester neben ihm etwas unterwürfig guckt. Er spricht mich von der Seite an: „So, geht es wieder? Sie haben noch mal Glück im Unglück gehabt, Lendenwirbelbruch - scheint stabil zu sein. Können Sie Ihre Beine bewegen?"

    Mhmmm, AHHHHHHHHHH!!!" antworte ich ihm, als er mein linkes Bein leicht anhebt und seine Finger in meine Fußsohle gräbt.

    „Gut, und das da?" Die gleiche Prozedur macht er jetzt mit meinem rechten Bein.

    AAAHHRRRRR!!!!" – Das tut aber verdammt irre weh!!

    „Gut. Tja, wir werden Sie einige Zeit ruhigstellen müssen, mit der Wirbelsäule ist nicht zu spaßen, aber wir kriegen Sie schon wieder hin!"

    Und das da?" Ich deute ängstlich und ehrfurchtsvoll auf meine unter dem weißen Krankenhaushemd verborgene Brust.

    „Brustbeinbruch, da werden Sie noch einige Zeit daran zu knabbern haben, aber da können wir gar nichts machen, das braucht eben Zeit, um zu heilen." Er schaut mir dabei ernst in die Augen und setzt eine mir etwas zu überheblich, besserwisserische Miene auf:

    „Sagen Sie mal, wie kommt ein Mann Ihres Alters auf die verrückte Idee, noch mit einem Gleitschirm fliegen zu wollen? Wenn Gott gewollt hätte, dass wir Menschen fliegen, dann hätte er uns Flügel wachsen lassen." (diesen blöden Spruch werde ich in nächster Zeit noch öfters zu hören bekommen)

    Ich denke nur „A...rmleuchter ", antworte ihm aber nur: „weil es halt tierisch Spaß macht. Er scheint mit dieser Antwort nicht so ganz zufrieden zu sein. Vielleicht erkennt er aber auch an meinem Gesichtsausdruck, was ich denke. „Ja, und??? - Wenn Sie wieder gesund sind, werden Sie dann wieder fliegen?? fragt er so richtig provozierend von oben herab.

    Mit absoluter Sicherheit!!!" antworte ich ihm so bestimmt, wie ich ihm in meiner Lage nur antworten kann, und denke in etwa so Ähnliches wie vorhin. Er dreht sich wortlos um, und rauscht den Kopf schüttelnd aus dem Aufnahmeraum hinaus, die Schwester demütig hinterher.

    Nachdem ich auf die Intensivstation verlegt, und an zig Kabel und Schläuche angeschlossen worden bin, verabschiedet sich Doris, die heute vermutlich einen größeren Schock erlitten hat, als ich selbst. Kurz darauf zieht die Nachtschwester die Vorhänge um mein Bett zu, und ich bin mit meinen Gedanken endlich alleine.

    Warum bin ich denn abgestürzt? Was hat das zu bedeuten? Warum? Welche Bedeutung soll ich dem Absturz beimessen? Was habe ich falsch gemacht? Was wird von mir erwartet? Auf was will mich mein Heiland aufmerksam machen, das ich anders nicht erkennen würde? Fragen über Fragen drehen sich in meinem Kopf, wie die Wäsche in der Waschmaschine, ohne Anfang, ohne Ende.

    Der Gedanke, dass ich fliegerisch etwas falsch gemacht oder auf die Flugverhältnisse falsch oder nicht entsprechend reagiert hätte, kommt mir überhaupt nicht in den Sinn. Es ist mir sofort vom ersten Moment des Erwachens an klar, dass es einen anderen Grund geben muss, als etwa mein fliegerisches Unvermögen, das den Absturz herbeigeführt hat. Zu viele Botschaften und Beweise aus der geistigen Welt habe ich in den letzten Jahren erhalten, als dass ich den Unfall als nichts anderes, als ein „Stopp oder „Schuss vor den Bug für mich deuten kann. Eine dieser Botschaften geht mir im Moment ständig durch den Kopf. Ich erinnere mich noch an ein Selbsterkennungs-Seminar, das ich auf der griechischen Insel Thassos im Juni 2001 organisiert hatte.

    Zur ersten Meditation des Tages, teilten wir die Gruppen auf, damit Wolfgang und ich besser auf die Teilnehmer in einem kleineren Kreis eingehen konnten. Diese morgendlichen Meditationen erlebten wir alle als äußerst intensiv, und sie brachten oft sehr tief „Eingemachtes ans Tageslicht. So auch an jenem Morgen. Eigentlich lief die „Medi wie sonst auch. Pünktlich 8 Uhr öffnete ich die Zimmertüre, vor der „meine" Gruppe geduldig gewartet hatte. Jeder suchte sich still seinen Platz, die Meditationsmusik lief schon, und beginnend mit einer Atemübung versanken wir – wie an jedem Morgen – in uns selbst.

    Je nachdem, welches Thema „angesagt" war, wanderten wir unter meinen Richtungsvorgaben – jeder für sich - durch unser Innerstes, um sich selbst besser verstehen-, kennen- und lieben zu lernen. Eine halbe Stunde war schon fast vergangen, als ich bemerkte, wie scheinbar mein eigener Geist in meinem Kopf zur Seite geschoben wurde, um einer kraftvollen, keinen Widerspruch duldenden Energie Platz zu machen.

    Eine Stimme erklang in meinem Kopf, und ich hörte mich, wie ich diese Worte aussprach, ja aussprechen musste, die nicht von mir selbst stammten, die ich nicht erdacht, ja so weise nie denken könnte. Ich erinnere mich, wie überrascht ich war, als ich feststellte, dass ich meine Stimme nicht mehr unter Kontrolle hatte und wie gebannt ich meinen eigenen Worten zuhörte – ich wusste ja nicht, was ich noch sagen würde.

    Ein Teil davon war sinngemäß:

    „Not wendet, Ihr wendet Euch aber nur in der Not, deshalb braucht Ihr die Not, damit Ihr Euch wendet.

    Es wird notwendig, weil Ihr euch nicht von selbst gewendet habt.

    Wenn Ihr rechtzeitig erkennen würdet, wann es Zeit ist, eine andere Richtung im Leben einzuschlagen, dann müsstet Ihr niemals Not erfahren, denn Ihr hättet Euch freiwillig aus Erkenntnis gewendet.

    Da Ihr Euch nicht rechtzeitig gewendet habt, deshalb erschafft Ihr Eure Not und Leiden, damit Ihr gezwungen seid, Euch zu wenden. Das ist die Notwendigkeit"

    Diese Worte gehen mir ständig durch den Kopf und obwohl die Situation alles andere als zum Lachen ist, fange ich an, mich selbst zu belächeln, und ich bete inständig: „Lieber Heiland, ich danke Dir für alles, was Du mir heute gegeben hast, Deine Gnade und Deine Liebe und Deinen Langmut mit mir. Ich danke Dir wirklich für ALLES, was Du mir heute gegeben hast. Vergib mir meine Sünden, hauptsächlich meine Dummheit und Ignoranz – wie blöd und störrisch muss ich doch sein, dass Du zu solch drastischen Maßnahmen greifen musst, um mir klar zu machen, dass ich verpasst habe, etwas Wichtiges in meinem Leben zu ändern. Bitte verzeih mir meine Dummheit und Ignoranz!"

    Und jetzt muss ich richtig lachen:

    „Aber sei mir bitte nicht böse, ich weiß nicht, was Du eigentlich von mir willst! Bitte, ich bitte dich inständig, zeige es mir, schenke mir die Weisheit, es zu erkennen, damit ich dann das Richtige tun werde"

    Es ist viel passiert heute - ich bin erschöpft, todmüde und die Medikamente tragen ihr Übriges dazu bei.

    Mit dem Gebet an meinen Heiland auf den Lippen, tauche ich in einen tiefen erlösenden Schlaf ein.

    Mein Heiland

    Der Begriff „Heiland ist tief verwurzelt in mir und symbolisiert für mich, ein mich über alles liebender Jesus – der mein bester Freund, mein Beschützer, mein Allwissender, ständiger Begleiter meines Lebens ist. Der Ausdruck stammt aus meiner frühen Kindheit, als ich 3-4 Jahre alt war und oft bei der „Fleckadotte in ihrer warmen Küche saß, die mir unermüdlich von der unendlichen Güte, Liebe und Fürsorge unseres „Heilandes" erzählte.

    Die „Fleckadotte"- wie wir Kinder sie nannten, war eine sehr inständig gläubige, ältere Frau namens Maria Kübler, die ohne Mann zusammen mit ihrer älteren Schwester Barbara eine kleine Landwirtschaft betrieb. Sie wohnten in einem renovierungsbedürftigen kleinen Bauernhaus (unten Kuhstall, oben drüber die Wohnung), mitten in der damals 250 Seelen zählenden Gemeinde Hörschweiler. Marie, wie sie von den Erwachsenen genannt wurde, leitete am Sonntag anschließend an den Erwachsenen-Gottesdienst noch die „Kinderkirche. Sie hatte nie eigene Kinder, deshalb machte sie sich zur Aufgabe, allen Kindern eine Paten-Tante zu sein. Daher kam auch ihr Name „Flecka = kleines Dorf + „Dotte"= Paten-Tante. In meiner Kindheit war ich bei den zwei Schwestern wie zu Hause. Barbara war eine ganz Ruhige – sie redete sehr wenig und pflichtete höchstens mal ihrer Schwester bei, um der Geschichte Nachdruck zu verleihen, die die Fleckadotte mir da erzählt hatte. Barbara liebte ich – und vor der Fleckadotte hatte ich großen Respekt. Alles was sie sagte, war für mich unumstößlich wahr und ließ keine Zweifel zu. Sie erzählte mir Geschichten - nicht nur aus der Bibel, so blumenreich, dass ich es verstehen konnte. Sie wurde nie müde auf meine kindlich bohrenden Nachfragen liebevoll und erklärend zu antworten. Auch meine gläubige Mutter erzählte mir viel von dem uns liebenden Heiland – aber nie so eindringlich wie die Fleckadotte.

    So sah ich es nur als absolut normal an, dass man sich mit einem so lieben Freund – der anscheinend immer für mich da wäre, auch unterhält. Die Fragen an ihn klappten von meiner Seite aus, aber mit den Antworten haperte es etwas. Direkt hören konnte ich ihn nicht - nur hatte ich immer das Gefühl, dass er es mich fühlen ließ, ob etwas richtig oder falsch war.

    Absolut sicher, dass mein Heiland mir auch tatsächlich antworten kann und mit mir redet, wurde ich durch folgendes Erlebnis:

    Von meinem Vater bekam ich im Spätsommer – ich muss so 4-5 Jahre alt gewesen sein, ein Günter-Spielflugzeug mit Gummimotor geschenkt. Schon damals faszinierte mich alles, was mit Fliegen und Flugzeugen zu tun hatte. Da wir mitten im Ort wohnten, war es viel zu gefährlich (für das Flugzeug), es dort gen Himmel brummen zu lassen. Also marschierte ich mit meinem Flieger den Reuteweg hinauf, denn dort oben auf dem Hügel und dem angrenzenden Bärenwiesen-Tal drohte keine Gefahr einer Baumlandung. Auf der Wiese oben am Hang, kurbelte ich den Propeller-Gummi auf, bis nichts mehr ging und ich ihn fast nicht mehr halten konnte. Mit klopfendem Herzen ließ ich den Propeller los und warf den Flieger in die Luft – BRRRRRRRR der Propeller schnurrte und zog das Flugzeug in großen Spiralen in den Himmel hinauf. Ich war überglücklich und sprang am Boden hinter meinem Wolkenstürmer her. Der Propeller wurde langsamer und nach ein paar Sekunden glitt der Flieger- inzwischen recht hoch – fast lautlos in weiten – immer weiteren Kreisen wieder zu mir herab. Was ich nicht bedacht hatte: etwa 50 m weiter den Hügel entlang, war ein großes Kornfeld – die Ähren waren in Augenhöhe (es war kein Superkorn- ich war nur noch so klein!!). Mir blieb fast das Herz stehen – der Wind trieb meinen ganzen Stolz mitten in dieses Kornfeld – und es verschwand irgendwo aus meinem Sichtfeld. Was man ja gar nicht machen sollte: (Getreide ist unser täglich Brot, und man darf auf keinen Fall durch das Korn laufen – höchstens in Ausnahmefällen, am Rand entlang, Kinder, die mit Landwirtschaft aufgewachsen sind, haben dies in den Genen) ich lief geradewegs in das Kornfeld hinein! Vorsichtig bemühte ich mich, ja keinen Halm zu knicken, was logischerweise unmöglich war, aber die Angst, mein geliebtes Spielzeug verloren zu haben und NIEEEE wieder so etwas Schönes und einmaliges besitzen zu können, trieb mich durch das Kornfeld. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich gesucht habe, aber glauben Sie mir, es war lang! Egal in welche Richtung ich lief, egal wie ich mir auch die Augen aus dem Kopf schaute – es war unauffindbar. Voller

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1