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MAMMON: Jan van Ridder tritt auf
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MAMMON: Jan van Ridder tritt auf
eBook433 Seiten5 Stunden

MAMMON: Jan van Ridder tritt auf

Von JR JR

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Über dieses E-Book

Ein ungewöhnlich heißer Sommer. Deutschland ächzt unter der andauernden Hitze.
In Bonn fischt die Polizei die Leiche eines IT-Referatsleiters vom Auswärtigen Amt aus dem Rhein. Kurze Zeit später findet man einen toten chinesischen Doktoranden vom Lehrstuhl für Informatik in einem Abfallcontainer. Beide mit dem gleichen Mordwerkzeug umgebracht: einer Garotte.

In Berlin zieht ein Spitzenbeamter hinter den Kulissen gekonnt die Strippen und kassiert zu seinen Gunsten ab. Zumindest bis zu dem Tag, an dem er ein mysteriöses Päckchen mit einer eindeutigen Botschaft aus seiner unrühmlichen Vergangenheit erhält.

Das Ermittlungsteam um den Bonner Hauptkommissar Klaus Ebner tappt im Dunkeln. Obwohl es sich offensichtlich um die gleichen Mörder und Vorgehensweise handelt, stehen die Opfer in keiner direkten Beziehung. Ebner zieht seinen alten Bekannten Jan van Ridder, den ehemaligen IT Vertriebsmanager, Spezialist für die öffentliche Verwaltung und inzwischen selbständigen Berater, hinzu. Jan deckt mit seinem unkonventionellen Vorgehen Verbindungen zwischen beiden Fällen auf. Schnell stellt er fest, dass die Morde nur die Oberfläche eines viel größeren Spiels darstellen: Es geht um Spionage, Wirtschaftsinteressen, Vergangenheitsbewältigung, um Macht und Einfluß zwischen Behörden und um sehr viel Geld.
Jan wirbelt Staub auf. Seine Ermittlungen führen ihn von Bonn nach Berlin und Hamburg. Dann geschehen zwei weitere Morde. Im Hintergrund scheinen noch ganz andere Mächte zu agieren, die schließlich auch Jan persönlich bedrohen.

Mit Jan van Ridder betritt eine sympathisch-authentische Figur die Ermittlungsbühne:
vom Leben gezeichnet, vielschichtig, mal locker-humorvoll, mal melancholisch-nachdenklich, durch ein tragisches Unglück verwitwet, Vater einer studierenden, alleinerziehenden Tochter, die ihn früh zum stolzen Opa gemacht hat, Liebhaber deutscher Weißweine, überzeugter Rockmusikhörer, Altbaubewohner, geschichtsinteressiert und dabei immer auf der Suche.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Apr. 2020
ISBN9783347044012
MAMMON: Jan van Ridder tritt auf
Autor

JR JR

Langjähriger, aktiver Manager in führenden internationalen und nationalen IT-Konzernen, intimer Kenner der Bundesverwaltung in Bonn und Berlin. In seiner Jan van Ridder Reihe sind bisher fünf Bände erschienen: * Mammon - Jan van Ridder tritt auf - sein erster Fall * Asmodeus - Jan van Ridder gibt Gas - sein zweiter Fall * Beelzebub - Jan van Ridder findet das Glück - sein dritter Fall * Satan - Jan van Ridder verliert den Glauben - sein vierter Fall * Belphegor - Jan van Ridder verfährt sich - sein fünfter Fall * Leviathan - Jan van Ridder zieht um - sein sechster Fall (im Entstehen) * weitere folgen JR schreibt anders, kreiert wohltuend andere Plots - keine Krimis, die kalkuliert, nach den immer gleichen Kriterien am Reißbrett konstruiert worden sind. Er greift aktuelle gesellschaftliche und politische Themen auf, oft schmerzhaft nah an der Realität. Die Romane sind dabei mit facettenreichen, psychologisch-feinsinnigen Situations- und Typenbeschreibungen aus dem Alltag gespickt. Und man merkt, dass der Autor viel recherchiert und sich "auskennt".

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    Buchvorschau

    MAMMON - JR JR

    Das Buch

    Ein ungewöhnlich heißer Sommer. Deutschland ächzt unter der andauernden Hitze und Trockenheit. In Bonn fischt die Polizei die Leiche eines IT-Referatsleiters vom Auswärtigen Amt aus dem Rhein. Kurze Zeit später finden sie einen toten chinesischen Doktoranden vom Lehrstuhl für Informatik in einem Abfallcontainer. Die beiden Toten wurden mit dem gleichen, eigentümlichen Mordwerkzeug umgebracht: einer Garotte.

    In Berlin zieht ein Spitzenbeamter hinter den Kulissen gekonnt die Strippen und kassiert zu seinen Gunsten ab. Bis zu dem Tag, an dem er ein mysteriöses Päckchen mit einer eindeutigen Botschaft aus seiner eigenen, unrühmlichen Vergangenheit erhält.

    Das Ermittlungsteam um den Bonner Hauptkommissar Klaus Ebner tappt im Dunkeln. Obwohl es sich um die gleichen Mörder und Vorgehensweisen handelt, stehen die Opfer scheinbar in keiner direkten Beziehung. Ebner zieht seinen alten Bekannten, Jan van Ridder, den ehemaligen IT-Vertriebsmanager, Spezialisten für die öffentliche Verwaltung und inzwischen selbständigen Berater, hinzu. Jan deckt mit seiner unkonventionellen Vorgehensweise und seinem InsiderWissen Verbindungen zwischen beiden Fällen auf. Er stellt fest, dass die Morde nur die Spitze eines viel größeren Komplotts darstellen: es geht um Spionage, Wirtschaftsinteressen, Vergangenheitsbewältigung, um Macht und Einfluss zwischen Behörden und um Geld. Sehr viel Geld!

    Dann geschehen zwei weitere Morde. Im Hintergrund scheinen noch andere Mächte zu agieren, die schließlich auch Jan bedrohen.

    Mit Jan van Ridder betritt eine sympathisch authentische Figur die Ermittlungsbühne: vom Leben gezeichnet, vielschichtig, mal lockerhumorvoll, mal melancholisch-nachdenklich, durch ein tragisches Unglück verwitwet, Vater einer studierenden Tochter, die ihn früh zum stolzen Großvater gemacht hat, überzeugter Rockmusikhörer, Altbaubewohner, Lebenskünstler, geschichtsinteressiert und immer auf der Suche.

    Der Fall

    Ein rasanter Thriller, der den Leser auf eine spannende und entlarvende Reise durch die Welt der Geheimdienste und Diplomatie, der deutschen Ministerialbürokratie, multinationaler IT-Konzerne und in die Sphären staatlich gelenkter Spionage und Cyber-Attacken mitnimmt. In einer Epoche, in der die bisherige Nachkriegsweltordnung umbricht und sich neu sortiert, begleitet von einer rasanten Digitalisierung, internationalen, protektionistischen Handelskriegen und einer scheinbaren Krise des Westens schmerzend nah an der Realität und von höchster Aktualität.

    Dabei gespickt mit facettenreichen, psychologisch-feinsinnigen Situations- und Typenbeschreibungen aus dem deutschen Alltag. Egal, ob bei einer Witwe aus Meckenheim, einer ehrgeizigen Studentin in Bonn oder höchsten Vertretern des Beamtenapparats in Berlin, einem belesenen General von der Führungsakademie der Bundeswehr, einem investigativen Topjournalisten aus Hamburg, von konkurrierenden Geheimdienstlern bis hin zu jung-dynamischen IT-Unternehmern… das Karo des Lebens ist bunt und dabei häufig (wohltuend oder erschreckend) klein.

    Der Autor

    Ein aktiver Manager aus international und national führenden IT-Konzernen, langjähriger und intimer Kenner der Bundesverwaltung in Bonn und Berlin.

    Anmerkung zur zweiten Auflage

    Die erste Veröffentlichung von Mammon erschien im Jahr 2014 (und ist im Kopf bereits einige Jahre vorher herangereift). Sie stand damals unter dem Eindruck der Snowden-Enthüllungen rund um die weltweiten NSA-Spionageaktivitäten. In der vorliegenden, stark überarbeiteten, zweiten Auflage - über sechs Jahre später - haben viele der damaligen Beschreibungen und getroffenen Einschätzungen zu gesellschaftlichen, politischen Entwicklungen und insbesondere zu den Auswirkungen der globalen Digitalisierung und Bedrohung aus dem Cyber-Space (aus Sicht des Autors glücklicherweise) immer noch Bestand und beinhalten nach wie vor ihre Aktualität.

    Nichts desto trotz habe ich mich zu einer inhaltlichen Überarbeitung entschieden. Nicht zuletzt auch, um einige Rechtschreibfehler zu eliminieren, die mir bei meinem Erstlingswerk damals im Eifer des Krimi-Gefechtes unverzeihlicher Weise durchgerutscht sind; wahrscheinlich habe ich auch jetzt noch immer nicht alle erwischt. Der Plot und der Wesenskern des Romans sind dabei unverändert geblieben. Aber auch für diejenigen LeserInnen, die die erste Veröffentlichung bereits verschlungen haben, ist es sicherlich interessant, die Ermittlungen des Falls in seiner überarbeiteten Fassung noch einmal aufzunehmen. Vielleicht entdecken Sie an der ein oder anderen Stelle eine neue Wendung.

    Lieber Jan van Ridder Fan, ich wünsche Ihnen gute und spannende Unterhaltung – verbunden mit der ein oder anderen Anregung zum Nachdenken, eventuell zur eigenen Nachrecherche oder einfach „nur" für einige unterhaltsame Stunden der Lektüre.

    JR

    Autoren-Webseite: https://tredition.de/autoren/jr-jr-16468/

    Email: janvanridder@web.de

    Mammon

    Schweren Lastern wurden im Verlauf der Kirchengeschichte – insbesondere unter Papst Gregor I. (um 540 bis 604) – als sinnbildliche Warnung für die Gläubigen und Mönche bestimmte Dämonen zugeordnet. Quasi die Armee des Teufels. Unter anderem waren verantwortlich: der Satan für den Zorn, Leviathan für den Neid, Beelzebub für die Völlerei, Asmodeus für die Untugenden Raserei, Begierde, Verschwendungssucht und der Mammon für die Habgier.

    „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." (Evangelium nach Matthäus 6,24)

    Das Wort Mammon leitet sich ursprünglich vom aramäischen Wort „mamona für Vermögen, Besitz ab. Alternativen Deutungen zufolge stammt es von dem aramäischen Wort „aman ab und bedeutet „das, worauf man vertraut". Das Wort gelangte über seine griechische Schreibweise in die Bibel, in der Vulgata wird daraus lateinisch mam[m]ona. Martin Luther übersetzte das Wort nicht und so gelangte es als Mammon ins Deutsche. Daraus resultierte, dass Mamon im Volksglauben und der Literatur als personifizierter Reichtum zu einem Dämon wurde, der den Menschen zu Geiz und Habgier verführt.

    Im Katholizismus gehört die Avaritia, der Geiz, die Habsucht, als zweite zu den sieben Hauptlastern, die als die Wurzeln von Todsünden betrachtet werden. Im Lukasevangelium, 12. Kapitel, Vers 15 heißt es: „[…] und hütet euch vor aller Habgier, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat."

    Mammon bezeichnet einen unredlich erworbenen Gewinn oder unmoralisch eingesetzten Reichtum, wenn er etwa zur lebensbestimmenden Maxime wird.

    Heute wird mit dem Begriff „schnöder Mammon" abschätzig der Drang zum Geld im Allgemeinen bezeichnet.

    Prolog

    Im strahlend blauen Himmel kreist hoch oben einsam ein Adler.

    Darunter die endlose Weite der Steppe. In grün-braunen Farbschattierungen zieht sie sich dahin. Endlos. Soweit das Auge reicht. Hinten am Horizont die sanften Hügel. Die geschwungene Hügelkette sieht aus wie eine große, liegende, schlafende Frau. Aus den schneeweißen Jurten steigt vereinzelt Rauch auf. Feine Schlieren und Kringel im Blau, verlieren sich in der Weite. Ein gellender Pfiff erweckt die Hufe der Steppenpferde zu einem wilden Trommelreigen. Der Boden vibriert. Die Reiter treiben mit Hunden die Herde der Pferde zusammen.

    Er öffnet die Augen, blinzelt in die Sonne. Über ihm das runzelige Gesicht seiner Großmutter, die ihn sacht in den Armen wiegt.

    Die Großmutter summt eine vertraute Melodie. Ihr fast zahnloser Mund formt sich dabei zu lustigen Grimassen.

    Die Sonne scheint ihm wärmend ins Gesicht.

    Die Großmutter wiegt ihn sanft hin und her.

    Der Adler kreist am Himmel.

    Er schließt die Augen. Schläft wieder ein.

    Er sitzt auf dem Rücken des mächtigen Adlers und fliegt zu der schlafenden Frau in den fernen Hügeln…

    Im Biergarten am Rhein

    Wieder schaut er auf sein altes Handy. Immer noch keine Nachricht. Die digitale Anzeige schimmerte blass: 20:33 Uhr. Wo bleibt der nur?

    Sie hatten sich ursprünglich zwischen 18.30 und spätestens 19.30 Uhr verabredet. Sie wissen schon: je nachdem, ob der Flieger von Hamburg nach Köln/Bonn Verspätung hat oder nicht und dann noch der zähe Feierabendverkehr über die Autobahn nach Bonn, hatte der Mann ihm bei ihrem Telefonat wortreich dargelegt. Von wegen… nun ist es schon über eine Stunde später! Er hasst Unpünktlichkeit. Hält sie für eine unnötige, ungute Erscheinung des oberflächlichen Zeitgeistes.

    „Wollen Sie noch ein Kölsch oder was anderes? Erschrocken fährt er aus seinen Gedanken hoch. Vor ihm steht der Kellner und schaut ihn fragend an. Typ Student, unrasiert, zerrissene Jeans, hellrot verwaschenes T-Shirt mit irgendeinem Logoaufdruck. „Ja, noch ein kleines Kölsch. entgegnet er abweisend.

    Er hatte heute Früh auf dem Weg ins Amt mit diesem Wirtz telefoniert: es sei nun an der Zeit, sich noch mal zu treffen, um ihre Gespräche wieder aufzunehmen. Er hätte neue Informationen, könnte seine Vermutungen inzwischen belegen, mit weiteren Fakten untermauern. Die Initiative war von ihm ausgegangen. Wenn er jetzt - mit einigem zeitlichen Abstand - das Telefonat noch mal Revue passieren lässt, hatte er den Journalisten geradezu bekniet, dass der Termin heute Abend zustande komme. Wirtz hatte sich zuerst zurückhaltend geäußert. War dann aber mit dem Hinweis, dass er das Wochenende eh in Bonn bei Freunden verbringen wolle, darauf eingegangen, so dass sie sich am frühen Freitagabend treffen könnten.

    Wieder lässt er das Display seines Handys aufleuchten: 20:42 Uhr. Immer noch keine Nachricht. Gloster starrt vor sich hin. Seine Stimmung schlägt um. Hatte er sich anfänglich noch auf das Gespräch gefreut und war geradezu in eine euphorische Leichtigkeit auf dem Weg vom Amt zum Treffpunkt verfallen, breitet sich nun ein dumpfes Gefühl des Zweifelns, der Verärgerung aus und legt sich wie eine muffige, schwere Decke auf sein Gemüt. „Diese verdammte Unzuverlässigkeit heut zu Tage! nörgelt er ungehalten vor sich hin. „Dann soll er wenigstens absagen! Das junge Pärchen, das ihm an den langen Bierbänken gegenübersitzt, beachtet ihn nicht. Zu sehr sind sie in inniger Umarmung mit sich selbst und ihrem hormonellen Höhenflug beschäftigt. Der alte, einsam wirkende Mann mit seinen Selbstgesprächen und seiner Bitterkeit dringt nicht in ihre Glückswelt vor. Er schüttelt den Kopf. Schaut hinaus auf den Rhein.

    Konrad Wirtz arbeitete beim Reporter in Hamburg und war dort einer der alteingesessenen Journalisten im Ressort Innenpolitik. Sein Wort oder besser gesagt seine investigativen Beiträge hatten großes Gewicht. Seine Reportagen prägten nicht nur die deutsche Journalistenszene, sondern darüber hinaus auch die veröffentlichte Meinung der Bundesrepublik. Er war regelmäßiger Gast in den einschlägigen Polit-Talkshows, wo er mit scharfzüngigen Kommentaren und sezierenden Analysen den Politikbetrieb auseinandernahm. Seine Interviews mit den Spitzenpolitikern des Berliner Regierungsbetriebes glichen unerbittlichen Verhören. So manchen Skandal hatte Wirtz mit seinen hartnäckigen Recherchen aufgeklärt, Politiker zuerst mit einem medialen Sperrfeuer in die Ecke und schließlich zum Rücktritt getrieben.

    Die Beiden kannten sich. Sie waren sich mehr oder weniger zufällig bei den immer wiederkehrenden Anlässen des Politik- und Ministerialverwaltungsbetriebs begegnet. Das erste Mal hatte er den Journalisten vor Jahren auf einem Botschafterempfang des Auswärtigen Amtes in Berlin getroffen. Später hatte Wirtz an einer umfangreichen Story über die Geschichte des Auswärtige Amts von den Ursprüngen im Kaiserreich bis zur Neuzeit gearbeitet und während der Recherchen mehrere Hintergrundinterviews mit ihm geführt. Er konnte sich noch gut daran erinnern: es ging um die politische Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik und damit einhergehend um die organisatorische Neuaufstellung des Amtes im Nachgang zu den Terroranschlägen des 11. September 2001. Die deutsche Außenpolitik suchte fieberhaft ihren Weg zwischen Bündnistreue und jahrzehntelangen Freundschaft zu den USA und der ablehnenden Haltung der Bundesregierung unter Kanzler Schröder gegen den propagierten Krieg der USA gegen den weltweiten Terror. Er konnte nicht verhehlen, dass er sich damals von der Anfrage des Journalisten geschmeichelt gefühlt hatte, das dieser ausgerechnet ihn, den kleinen Beamten aus der unwichtigen Außenstelle des Auswärtigen Amtes in Bonn, als Insider, als heiße Quelle zu einem solch epochalen Thema auserwählt und intensiv befragt hatte. Während der mehrtägigen Interviews hatten sie eine persönliche Nähe aufgebaut – nicht zuletzt von den Gemeinsamkeiten ihrer Biografien getragen. Danach hatten sie sich noch zweimal privat in Bonn getroffen. Zufälle des Lebens in einer mittelgroßen Stadt: bei einem Konzert auf der Museumsmeile (Deep Purple, wenn er sich richtig erinnerte) und einmal hier, im Biergarten am „Alten Zoll. Daher hatte Wirtz auch für das heutige Treffen wieder den Biergarten am Rhein als Treffpunkt vorgeschlagen, was ihm sehr entgegen kam: bequem vom Auswärtigen Amt in einem kurzen Fußmarsch zu erreichen, aber gleichzeitig weit genug entfernt vom Ministerium, um möglichst unverdächtig zu sein. Konspirativ, aber ohne allzu große Umstände. Gerade freitags waren die meisten Kollegen im Ministerium darauf bedacht, möglichst pünktlich am frühen Nachmittag ins Wochenende zu verschwinden. Bei dem überwiegend jungen und studentischen Publikum des „Alten Zolls war es höchst unwahrscheinlich, auf andere Amtskollegen oder Ministerialbeamte aus den Bonner Bundesministerien zu treffen, die womöglich ihn als auch den Journalisten kannten und damit Querverbindungen erahnen konnten. Außerdem war der „Alte Zoll" mit seiner Lage am Rhein und dem Blick auf das Siebengebirge einer der schönsten Biergärten in Bonn. Genau richtig für so einen herrlichen Sommerabend wie den heutigen. In dieser leichten, beschwingten Atmosphäre machte Bonn seinem Ruf als italienisch anmutende Stadt alle Ehre.

    Aber ihm steht nicht der Sinn nach einem entspannten Abend. Und schon gar nicht nach knutschenden jungen Leuten. Er wendet seinen Blick ab. 20:55 Uhr! Immer noch keine Nachricht. Nichts! Er wählt die Nummer des Journalisten: „Hier ist die Mailbox von Konrad Wirtz. Ich bin im Moment nicht zu erreichen. Hinterlassen Sie eine Nachricht mit Ihrem Namen und Ihren Erreichbarkeiten. Ich melde mich dann umgehen bei Ihnen." Er legt auf. Seine Unruhe steigt. Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns nagen an ihm. War sein Wunsch nach einem Treffen richtig? War er für den Journalisten als Insider nicht mehr interessant? Der hatte doch längst alle brisanten Infos von ihm. Was juckt den noch der Behördenklatsch von einem kleinen Beamten aus dem Maschinenraum der Bürokratie, der sich kurz vor seiner Pensionierung nochmal wichtigtun will? Er schaut auf den Rhein und beobachtet die geruhsam dahinziehenden Lastkähne. Soll ich jetzt noch länger warten oder gehen?

    Um ihn herum ein munteres Kommen und Gehen, das fröhlich heiteres Stimmengewirr verfängt sich in den ausladenden Ästen der alten Bäume. Die zahlreichen Besucher genießen die milden Temperaturen des Abends. Schwalben schießen durch die Luft und vollführen bei ihrer Jagd tollkühne Flugmanöver.

    Er fühlt sich unwohl. Nicht nur, dass Wirtz ihn ganz offensichtlich versetzt hat und dass er seine ganze Lage als zunehmend fragwürdig empfindet. Nein, jetzt - gerade in diesem Moment - fühlt er sich irgendwie bedrängt! Unsicher schaut er umher. Lässt seine Augen suchend über das Gewimmel der Gäste gleiten. Etwa doch Kollegen oder Bekannte, die ihn entdeckt haben?

    Beobachtet fühle ich mich - ja, das trifft es besser.

    Seine Augen bleiben unvermittelt an einem älteren, graumelierten Herrn hängen, der ungefähr drei Tischreihen weiter sitzt und ihn durch eine Lücke zwischen den sitzenden Menschen aufmerksam mustert. Als sich ihre Blicke für einen Sekundenbruchteil treffen, nickt der Herr ihm aufmunternd zu und lächelt dabei. Wer ist das? Ein Kollege? Nein. Irgendwoher kommt ihm das Gesicht zwar bekannt vor, aber er kann es nicht zuordnen. Er schaut weg. Trinkt missmutig sein Kölsch aus.

    „Es hat keinen Sinn mehr! Ich gehe jetzt, murmelt er vor sich hin, winkt dem Kellner zu und bestellt die Rechnung. Kaum hat er sich erhoben, drängeln sich zwei junge Frauen laut kichernd an ihm vorbei und quetschen sich eilig zwischen den Bierbänken auf den freiwerdenden Sitzplatz. Er riecht ihr billiges Parfüm - zu viel, zu aufdringlich. Die Röcke zu kurz, die Ausschnitte zu tief, alles viel zu freizügig. Er starrt gedankenverloren die beiden Frauen an. Zu lang, zu intensiv. „Hei, Du alter, geiler Bock, lass die Mädels in Ruhe. Ein junger Mann – zwei Köpfe größer als er – schiebt ihn rüde zur Seite und pflanzt sich gebieterisch zwischen die beiden Frauen. Er reißt den Blick los und verlässt mit schleifenden Schritten den Biergarten.

    21.29 Uhr immer noch keine Nachricht. Er steht unterhalb des „Alten Zolls" an der Rheinpromenade und blickt auf den breiten Fluss. Auf dieser Höhe der Bonner Kernstadt bildet der Rhein eine starke Strömung. Faszinierend schaut er einer leeren Flasche zu, die in Ufernähe einen skurrilen Tanz in der Strömung aufführt. Auf und ab zwischen Strudeln und in einem fortgerissen mit der unbändigen Kraft des dahinfließenden Wassers. So fühle ich mich inzwischen auch bei der ganzen Geschichte.

    Nachdem er noch eine Zeit lang am Rhein gestanden und dabei einige Male nervös sein Handy kontrolliert hat – immer in der Hoffnung, dass Wirtz doch noch anrufen oder zumindest eine SMS hinterlassen würde – schlendert er langsam südwärts zurück zum Auswärtigen Amt, wo sein Auto in der Tiefgarage steht. Die Rhein-Promenade hat sich inzwischen geleert. Jetzt sind nur noch vereinzelte Fußgänger und Radfahrer unterwegs. Die Abenddämmerung taucht das gegenüberliegende Siebengebirge in ein dunkelrotes Gewand und bereitet der Burgruine des Drachenfels mit ihren ruhmreichen Heldengeschichten eine dramatisch ausgeleuchtete Bühne.

    Kurz vor dem Auswärtigen Amt hält er an, nimmt noch einmal sein Handy aus dem Jackett und schaut auf das trübe schimmernde Display: 22:08 Uhr. Keine Nachrichten. Er überlegt, ob er den Journalisten noch mal anrufen soll. Ein vorbeifahrender Lastkahn auf dem Rhein hupt. Zwei Kanus rudern um ihr Leben. Er ist abgelenkt. Schaut dem langgezogenen Schiff nach. Die bunten Kanus schaukeln wie Nussschalen in der Bugwelle. Im Augenwinkel nimmt er schräg hinter sich ein kurzes, helles Aufflackern wahr. Zwei Fußgänger stehen einige Meter von ihm entfernt und geben sich Feuer für eine Zigarette.

    Ich versuche es ein letztes Mal. Wenn er jetzt nicht drangeht, fahre ich nach Hause, denkt er und wendet sich erneut seinem Handy zu. Als er gerade auf Wahlwiederholung drücken will, hört er Schritte hinter sich. Jemand geht an ihm vorbei. Er dreht sich ein wenig zur Seite, um in Ruhe telefonieren zu können. Plötzlich durchzuckt ihn ein stechender Schmerz. Links unten in der Seite. Das Handy fällt aus der Hand. Er fasst sich instinktiv an die Stelle, wo sich unterhalb des Rippenbogens ein pulsierender starker Schmerz ausbreitet. Mit der anderen Hand stützt er sich an dem Ufergeländer ab. Kaltes Metall an der einen, eine heiße Flüssigkeit in der anderen Hand. Im gleichen Moment legt sich von hinten etwas Scharfkantiges um seinen Hals. Schnürt ihm mit tonnenschwerem Druck blitzschnell die Luft ab. Was um Himmelswillen, geschieht hier? Entsetzen macht sich breit. Ungläubig schaut er auf den roten Feuerball, der langsam hinter dem Petersberg versinkt. Er taumelt benommen zurück. Etwas Warmes läuft in seinen Hemdkragen. Er stürzt. Liegt auf dem Rücken. Sein Sichtfeld ist getrübt. Ein Flimmern breitet sich vor seinen Augen aus. Schemenhaft kann er zwei dunkle Gestalten wahrnehmen. Verschwommen flammt ein glutroter Punkt bedrohlich nah über seinem Gesicht auf. Eine undurchdringliche Schwärze hüllt ihn ein. Begleitet von einer absoluten Stille. Ein wärmender Impuls durchflutet ihn. Kurz, intensiv. Dann wird es kalt.

    Um 22.13 Uhr ist Karsten Gloster – seines Zeichens Referatsleiter in der IT-Abteilung des Auswärtigen Amtes – tot.

    Die Sonne ist hinter dem Siebengebirge untergegangen. Die Natur hat ihre farbintensive Bühne geschlossen.

    Dass kurz nach halb elf sein Handy in einer Ritze der mächtigen Steinquader der Uferbefestigung des Rheins liegend im Vibrationsmodus einsam vor sich hin brummt, spielt für den Beamten Gloster nun keine Rolle mehr. „Hallo Herr Gloster. Hier Konrad Wirtz. Entschuldigen Sie bitte vielmals, dass ich mich erst jetzt bei Ihnen melde. Aber mit meinem Flug von Hamburg nach Köln ist alles drunter und drüber gegangen. Zuerst hatten wir massive Verspätung und dann haben wir mit einem technischen Defekt noch über eine Stunde auf dem Rollfeld gestanden. Zu allem Überfluss war noch mein Akku vom Handy leer. Naja, ich bin jetzt eben erst gelandet und rufe Sie aus einer Telefonzelle am Flughafen an. Also… ich gehe davon aus, dass Sie jetzt keine Lust und Zeit mehr haben sich mit mir zu treffen. Vielleicht können wir morgen im Laufe des Tages noch mal telefonieren? Ich bitte nochmals um Entschuldigung… einen schönen Abend noch… Auf Wiedersehen."

    Neulich gegen 22.30 Uhr in einem Berliner Büro

    „Ja?"

    Als Doktor Harald Schausten in seinem Berliner Büro den Telefonhörer abnahm, schaute er auf die große Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand seines Schreibtisches hing: kurz nach halb 11 Uhr abends. Die Uhr war ein Geschenk seiner Abteilung zu seinem 50. Geburtstag. Er fand sie billig, geschmacklos, nicht seinem Stil entsprechend. Aber seine Frau hatte gemeint, er solle sie als Zeichen der Wertschätzung gegenüber seinen Mitarbeitern aufhängen. Nun hing sie da schon seit einigen Jahren und tickte vor sich hin. Als unerbittlicher Chronist der verrinnenden Zeit. Seiner Lebenszeit.

    „Die Sache in Bonn ist erledigt, hörte er undeutlich eine fistelige Männerstimme, jetzt sind Sie am Zug!"

    „Wie bitte? Wer ist da?"

    Keine Antwort. Nichts – nur ein leises Rauschen im Hintergrund.

    „Hallo…? Hallo, wie kommen Sie dazu hier anzurufen? Was ist denn los?"

    Aufgelegt. Doktor Schausten hielt den Hörer in der Hand. Er war starr vor Schreck. Er merkte, wie sich ein Schweißfilm auf seiner hohen Stirn bildete. Woher verdammt noch mal kannten die seine Durchwahlnummer im Büro? Woher wussten die, dass er freitagabends, um diese Uhrzeit hier noch zu erreichen ist? Wie konnten die es überhaupt wagen, ihn entgegen aller Abmachungen direkt zu kontaktieren?

    Er legte den Hörer auf. Knipste die Schreibtischlampe aus und saß eine Weile regungslos im Halbdunkel. Von den Straßenlaternen drang ein mattes Licht in sein Büro. Die obligatorische Standardausstattung der größeren Büros im Amt, eine immergrüne Zimmerpflanze, zeichnete im diffusen Licht der Straßenbeleuchtung ein bizarres Schattenspiel an die Wände. Gebannt starrte er auf die Schatten an der Wand und versuchte krampfhaft, daraus eine Art Muster oder einen Schriftzug abzulesen. Oder war es mehr eine verzerrte Figur, die ihn anschaute? Oder ihre rankenartigen Finger nach ihm ausstreckte? Wie gelähmt saß er in seinem Stuhl. Minutenlang. Alle Bewegungen erstarrten, alle Gedanken wie eingefroren. Die Zeit schien stillzustehen. Die Wanduhr tickte.

    Eine entfernte Tür schlug zu. Das hallende Geräusch hallte dumpf durch den verlassenen, langen Flur. Schausten rappelte sich auf, nahm seine lederne Aktentasche, hechtete über die dunklen Flure und verließ eilig den riesigen Gebäudekomplex am Werderschen Markt durch einen der Seiteneingänge. Er verschwand mit hastigen Schritten in der Berliner Abenddämmerung.

    Einer geht noch – einer geht noch rein

    „Haben Sie schon gehört, Ridder? Gestern hat die Polizei Kollege Gloster tot aus dem Rhein gezogen?" Schmidt-Vorbeck war aufgeregt. Rote Flecken hatten sich an seinem faltigen Hals gebildet. Sie leuchteten wie kleine Warndreiecke in dem schummrigen Licht des Weinlokales.

    „Welchen Kollegen Gloster? gab Jan van Ridder leicht genervt zurück. Schmidt-Vorbeck hatte die Angewohnheit alle möglichen Leute, die er nur sehr vage persönlich kannte – manchmal hatte van Ridder auch den Eindruck gar nicht – mit „Kollege oder in seinen wortreichen Erzählungen nur mit dem Nachnamen, ohne jegliche weitere Anrede oder Titel zu bezeichnen. Damit hatte der unbedarfte Gesprächspartner den Eindruck, dass Schmidt-Vorbeck nahezu jeden vertraulich kannte und damit tief in der Bonner Prominenten und Polit-Szene verwurzelt war. Diese Aura war in seinem Geschäftsfeld, Kontakte herzustellen, Beziehungen im Behörden- und Firmenumfeld zu verknüpfen, von immensem Vorteil und machte einen gehörigen Anteil seines Marktwertes aus. Schmidt-Vorbeck war zu neudeutsch ein „Informationbroker, ein „Spin Doctor, spezialisiert auf das boomende Geschäftsfeld der Informations- und Kommunikationstechnologie, Verwaltungsmodernisierung, eGovernment, Projektsteuerung und alle möglichen Themen der digitalen Transformation in der und für die Öffentliche Verwaltung. Die öffentlichen Aufraggeber waren für viele Firmen ein nur schwer zugänglicher Markt, der mit seinen ganz eigenen Regeln, Entscheidungs- und Beschaffungsmechanismen so ganz anders funktionierte als die der Privatwirtschaft. Gleichzeitig stellte die öffentliche Verwaltung einen großen Markt dar, dessen Nachholbedarf und Rationalisierungsdruck deutlich umfassender ausfiel als in anderen Branchen. Öffentliche Auftraggeber bargen aufgrund der nach wie vor großen Beschäftigtenzahlen, relativ stabilen Finanzmittel und der Mächtigkeit und Langfristigkeit vieler Projekte ein verlockendes und lukratives Geschäftsfeld.

    In diesem Umfeld waren sich Jan van Ridder und Schmidt-Vorbeck vor fünfzehn Jahren über den Weg gelaufen. Jan war dieser eigentümlich anmutende Herr über die Jahre ans Herz gewachsen. Schmidt-Vorbeck kam ihm vor wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, ein Dinosaurier aus den Hochzeiten der vergangenen Bonner Republik: schätzungsweise Anfang 70, schlank und groß gewachsen, dunkle, grau melierte Haare, immer elegant im schwarzen Dreiteiler gekleidet, blütenweiße Hemden, tadelloses Auftreten. Sohn eines Bundestagsabgeordneten, lange Jahre Journalist zu Zeiten der Bonner Hauptstadt, zeitweise selbst als Unternehmer in den frühen Anfangsjahren der EDV erfolgreich und heute als Berater zwischen den Welten der Verwaltung, Politik und IT-Industrie unterwegs. Schmidt-Vorbeck stellte in der hektischen IT-Branche, die unter dem stetigen Druck der immer kürzer werdenden Technologiezyklen und durch die Wachstumsgier vor allem der dominierenden US-amerikanischen Konzerne in einem mörderischen Wettbewerb stand, für viele, die sich auf dem Parkett IT und Öffentliche Auftraggeber bewegten, eine Art beruhigenden Pol dar. Schmidt-Vorbeck verkörperte die personifizierte Entschleunigung. Während die jungen, erfolgsgetriebenen Firmenvertreter von Quartals- zu Quartalszielerreichung hechelten und die atemlose Kurzfristigkeit der IT-Branche mit den zähen Entscheidungsprozessen der Öffentlichen Verwaltung für sich in Einklang bringen mussten, ohne dabei zwischen den Anforderungen ihrer Unternehmen und der Langsamkeit ihrer öffentlichen Kunden zerrieben zu werden. Aufgrund seines Alters und seiner vielfältigen Betätigungen hatte er alles schon gesehen und erlebt. Oder verstand es zumindest perfekt, diesen Eindruck nach außen zu vermitteln. Seine berufliche Selbständigkeit - und Jan vermutete auch weitest gehend finanzielle Absicherung - machte ihn weniger fremdbestimmt. Obwohl sich Schmidt-Vorbeck in der IT-Welt bewegte, hatte er fast schon aufreizend wenig Ahnung von professioneller Datenverarbeitung und machte daraus auch keinen Hehl, während sich viele verzweifelt abstrampelten, um wenigstens den Anschein von Fachwissen in der immer komplexer werdenden und sich zunehmend schneller drehenden Welt der Digitalisierung vorgaukeln zu können.

    Jan van Ridder hatte Schmidt-Vorbeck kennen gelernt, als er selbst noch aktives Rädchen in dem bunten Zirkus des IT-Vertriebes war. Zu einer Zeit als sich das Karussell der IT-Branche zwar immer noch in spektakulären Höhen, aber bereits mit deutlichen Unwuchten, drehte. Jan van Ridder hatte seine Laufbahn in der IT eher untypisch begonnen: er war von Hause aus Geistes- und Sozialwissenschaftler, kein Informatiker. Für ihn waren Computer Gebrauchsgegenstände, die zu funktionieren hatten. Das hingebungsvolle Schrauben und stundenlange Installieren jedes neuen und noch so kindischen Software-Gadgets bedeuteten für ihn persönlich eine nicht nachvollziehbare Zeitverschwendung. Dennoch hatte er nach seinem Studium auf Anhieb auf hohem Niveau den Einstieg in die IT geschafft. Er fing als Trainee bei dem US-Konzern Miracle an, dem damaligen globalen Marktführer im Bereich Datenbank-Software. Dort arbeitete er sich mit seiner ganz eigenen Disziplin, seiner Hartnäckigkeit, seinem Organisationstalent und vor allem seinen ausgeprägten Soft Skills über die Jahre vom Trainee über verschiedene Vertriebspositionen bis hin zum Manager hoch. Mit jedem Schritt auf der Karriereleiter hatte er für sich gelernt, trotz allem unbarmherzigen Stress und Hektik dieser eigenwilligen Branche, auch die Vorzüge seiner Vertriebstätigkeit genießen zu können: ein relativ freies, selbstbestimmtes Arbeiten, ein hohes Maß an Entscheidungsfreiräumen, interessante Kunden und Geschäftspartner, spannende Biographien der verschiedenen Kollegen, die häufig wie er als Quereinsteiger in die boomende Jobmaschine IT in den 80iger und 90iger Jahren eingetreten waren. In dieser Zeit war Jan auf den Geschmack gekommen, als junger Mann in einem der weltweiten Top IT-Unternehmen schnell Verantwortung übernehmen und Gestaltungsmacht ausüben zu können.

    Um die Jahrtausendwende kam die Jobmaschine IT und die glitzernde Welt des immer höher, immer weiter, immer schneller für viele Beschäftigte in der Branche das erste Mal nachhaltig ins Stocken. Die „Jahr 2000-Umstellungspanik ¹ in Verbindung mit dem sich abzeichnenden Platzen der Internet-Blase ² versetzte dem Beschäftigungsboom in der IT-Industrie eine deutliche Delle und katapultierte viele ehemals gutverdienende Beschäftigte in die Arbeitslosigkeit. Nicht so van Ridder. Er hatte sich frühzeitig auf die Öffentliche Verwaltung als Zielmarkt spezialisiert und beherrschte die eigentümlichen Spielregeln und Verhaltensweisen dieser Klientel von der Pike an. Er gehörte damit zu einer seltenen Spezies in diesem überhitzen und volatilen Markt. Gleichzeitig kam van Ridder zu Gute, dass er nie dem typischen Muster des normalen Vertrieblers verfallen war: viel Geld verdienen ja, aber nicht um jeden Preis der inneren Anpassung – Technikaffinität ja, aber ohne in die häufig lächerlich wirkenden Geek oder „erwachsene Männer spielen die nerdige Technik Nummer abzudriften. Am Ende war das Wissen über die Fachlichkeit, die Prozesse und Entscheidungsstrukturen bei den Kunden spielentscheidender. Nach seinem Einstieg und über zehn Jahre Verweildauer bei der Firma Miracle – eine Dauer, die für viele IT-Jobs zum damaligen Zeitpunkt eine Ewigkeit darstellte - erlag Jan van Ridder dem heftigen Abwerben des damals weltweit größten Softwarehaus Macrosoft. Dort baute er über fünfzehn Jahre lang sein Netzwerk im Bereich der Öffentlichen Auftraggeber aus und stieg als bald zum Vertriebsdirektor für die gesamte Bundesverwaltung auf. Mit dem großen Konzernnamen auf der Visitenkarte stieß er in höchste Sphären der Ministerialverwaltung, des Regierungsapparates und der Politik der Bundesrepublik vor. Die Vorzüge einer erfolgreichen Managerkarriere in einem internationalen Topkonzern entfalteten sich zur vollen Blüte: ein überdurchschnittlich hohes Einkommen, Boni-Ausschüttungen, Aktienpakete, Auszeichnungen, spektakuläre Incentive Reisen rund um die Welt, teure Dienstwagen, Geschäftsreisen in alle Welt, luxuriöse Firmenevents und wilde Partys, Teilnahme an Veranstaltungen mit hochrangigen Speakern aus Politik, Wirtschaft und Entertainment, Pressekontakte… ein Glamourfaktor, der Jan – bei allen regelmäßig widerkehrenden Zweifeln an seinem Tun - durchaus gefiel. So erfolgreich er im Job war, so sehr litt auf der anderen Seite sein Privatleben. Hobbys, sportliche Aktivitäten und alles, was eine Regelmäßigkeit an sozialen Kontakten erforderte, hatte er bereits früh auf dem Altar der Managerrolle und der ständigen Erreichbarkeit geopfert. Konnte er eine Zeit lang noch Familie und Beruf trotz 70-Stunden Wochen einigermaßen austarieren, gelang ihm dies auf Dauer zunehmend schlechter. Der Erfolg forderte unbarmherzig seinen Tribut.

    „Na, den Kollegen Gloster vom Auswärtigen Amt. rief ihm Schmidt-Vorbeck im geselligen Geräuschpegel der Weinstube über den Tisch zu: „Kennen Sie den etwa nicht? Die Erregung ließ seine Stimme erzittern. Jan schaute stattdessen auf die Uhr: Puh, schon nach 23.00 Uhr. Er spürte den Wein. Er schmeckte der angenehmen Säure-Süße-Kombination auf der Zunge nach. Er schwitzte. Die ungewöhnliche Hitze der vergangenen Wochen hing drückend in dem niedrigen Raum. Die eng beieinandersitzenden Besucher dünsteten eine Mischung aus Schweiß, Weinseligkeit und angeduselter Geselligkeit aus. Sein T-Shirt klebte am Körper. Er versuchte eine schlagfertige Antwort, fand die passende Worte nicht, verhaspelte sich lallend. Stattdessen deutete er nur ein leichtes Kopfschütteln an. Sofort drehte sich alles.

    Sie trafen sich zu einer Art Stammtisch mit einigen Kollegen aus dem Köln/Bonner Raum, die sich beruflich als Berater und Kontaktvermittler in dem Netzwerk von IT-Anbietern, Unternehmensberatungen, Öffentlichen Auftraggebern und vergleichbaren Organisationen bewegten. Waren es anfänglich noch regelmäßige Zusammenkünfte in einem recht illustren und großen Kreis alle zwei Wochen, waren die Treffen mittlerweile auf einmal im Quartal zusammengeschrumpft. Wenn er ehrlich war, war der Kreis nicht nur deutlich kleiner geworden, sondern auch schon lange nicht mehr allzu prominent besetzt. Mittlerweile glich die traurige Versammlung eher einem Club der Übriggebliebenen.

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