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Stimmen in mir - Ein spiritueller Krimi
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eBook542 Seiten8 Stunden

Stimmen in mir - Ein spiritueller Krimi

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Über dieses E-Book

Tilo, ein schüchterner, junger Mann ist immer noch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Sein einziger Lichtblick ist Shengara, ein fernöstliches Übungssystem. Doch plötzlich verändert sich alles, als Tilos mentale Fähigkeiten aus unerfindlichen Gründen explodieren. Dadurch lernt er einerseits die Liebe seines Lebens, Tanja, kennen, wird aber andererseits in einen Reigen aus Tod und Gewalt gezogen, dem er sich stellen muss. Kann Tilo durch seine mentalen Fähigkeiten eine Katastrophe verhindern und gleichzeitig Tanja retten?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Sept. 2019
ISBN9783748289555
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    Buchvorschau

    Stimmen in mir - Ein spiritueller Krimi - Peter Portus

    1. Die Entdeckung

    Tilo machte erschrocken die Augen auf. Sein vermaledeites Handy weckte ihn wie jedes Mal mit einem schrillen Klingelton, so dass er sich schnell im Bett aufrichtete. Jeden Morgen das gleiche. Weil er mit allen sanften Wecktönen einfach nicht richtig wachzukriegen war, stellte er sein Handy schließlich auf extra laut und suchte den schrillsten Alarmton heraus. Das Ergebnis war, dass er wirklich aufstand, aber jedes Mal fühlte er sich, als hätte jemand kaltes Wasser über ihn geschüttet. Er stand langsam auf und stellte das Radio an.

    Der Wetterbericht meldete wieder einen dieser trüben Wintertage im späten Februar. Tilo hätte sich ein bisschen Sonne gewünscht. Schon seit Wochen hingen diese tiefliegenden Wolken über Deutschland, unterbrochen nur durch einzelne Sonnentage, die man dann als eine Art Luftholen empfand, bevor es wieder in das trübe Grau hineinging. Tilo ging ins Badezimmer und sah in den Spiegel. Seine Stimmung war, wie in letzter Zeit nicht besonders gut. Er hatte das Gefühl, dass sein Leben festgefahren war. Sein Job als Sachbearbeiter bei einer großen Versicherung war nicht das Schlechteste. Klar, gab es Druck von oben und in der Abteilung waren sie zu Wenige, um die Arbeit wirklich vernünftig und sachgemäß abzuarbeiten. Aber das war, wie er von Kollegen bei anderen Firmen wusste, bei denen auch so.

    Mit den Kollegen verstand er sich gut und sie hatten es trotz des Druckes ihres Chefs geschafft, ein gutes kollegiales Arbeitsklima in ihrer Abteilung zu behalten. Das war wiederum woanders durchaus nicht so. Die Arbeit allerdings erschien ihm immer stupider. Abarbeiten von eingereichten Arztrechnungen und Rezepten - Tagein- Tagaus. Das konnte doch nicht sein Lebensinhalt sein. Im Prinzip war es geistige Fließbandarbeit und Tilo dachte mit einem leichten Unbehagen an den kommenden Tag.Auch in seinem Liebesleben lief es nicht optimal. Da waren ein paar Beziehungen, von denen eine sogar über zwei Jahre anhielt. Mit Caro lief es nicht schlecht, aber als sie dann den Job in Hamburg bekam schlief die Beziehung nach einiger Zeit wegen der Entfernung einfach ein. Er dachte sich noch heute oft, ob er sich mehr hätte bemühen müssen, aber eine klare Antwort ließ sich darauf auch nicht finden. Denn auch von Caros Seite spürte er keine große Bereitschaft sich mehr einzubringen. Und so hörte die Beziehung einfach auf, wie eine Welle, die am Strand ausläuft und dann im Sand versickert. Kein schlechtes Bild, dachte er, denn genauso war’s. So lebte er allein in seiner kleinen zwei Zimmer Wohnung in Nürnberg und hatte das Gefühl sein Leben dümpelte nur so dahin.

    Er sah sein Spiegelbild an und sagte laut: „Na, wieder einer deiner glorreichen abwechslungsreichen, spaßigen Tage, alter Junge". Immerhin gab es ein paar Lichtblicke in seinem Leben. Das war einerseits sein Freund Toby. Toby war ein schräger Vogel. Während Tilo eher immer bürgerlich und brav blieb, rebellierte Toby in seiner Jugend. Nach einer kleinen Drogenkarriere und einem kurzen Aufenthalt im Jugendknast kriegte er noch die Kurve, studierte Sozialpädagogik und arbeitete seit kurzem in der Psychiatrie. Toby war immer noch schräg drauf und hatte meist verrückte Sachen im Kopf und rüttelte immer noch gerne an allen möglichen Grenzen seiner Umwelt. So war er schon von ein paar Arbeitsstellen rausgeflogen, weil er einfach zu unkonventionell dachte und Regeln gern missachtete.

    Sein derzeitiger Chef schien aber ganz ok zu sein, denn Toby erzählte oft ganz begeistert, dass dieser Arzt ihm und seinen Ideen wirklich mal zuhörte und aufgeschlossen für Neues war. Tilo war unheimlich gerne mit ihm zusammen, denn dann hatte er immer das Gefühl, dass was los war. Sie kannten sich seit der 3. Klasse, als Toby und seine Eltern nach Nürnberg zogen und im Klassenzimmer nur neben Tilo noch ein freier Platz war. Dann war da noch seit Neuesten die Shengara Meditation in seinem Leben. Er praktizierte diese Methode aus einer Kombination aus Körper- und Geistesübungen erst seit Oktober im Shengara-Zentrum bei ihm um die Ecke und spürte endlich wieder einen Silberstreif am Horizont in seinem Leben. Die Übungen machten ihn ruhiger und erfüllten ihn oft mit Energie und Freude, wenn er sie praktizierte. Bis jetzt spürte er die positiven Wirkungen allerdings nur bei der unmittelbaren Praxis. Am nächsten Morgen wachte er leider mit genauso wenig Lust auf seine Arbeit wieder auf. Er dachte sich oft, dass er mehr zu Hause für sich üben sollte, konnte sich aber oft dazu nicht aufraffen. Das Nürnberger Zentrum war die Zentrale der Shengara-Bewegung. Sie wurde von Shen Sho Mitra, einem gebürtigen Nürnberger Mitte der 90er Jahre gegründet.

    Tilo war klar, dass dies nur ein angenommener Name war, den sich der Meister in seinen Asien Aufenthalten erworben hatte. Bis jetzt hatte Tilo ihn nur einmal gesehen, denn Shen Sho Mitra reiste um die ganze Welt und besuchte seine zahlreichen Zentren, war also nur selten in Nürnberg. Aber Nürnberg war die Zentrale und Tilo war stolz darauf, hier, quasi an der Quelle lernen zu können. Auch die kurze Begegnung mit dem Meister hatte ihn beeindruckt. Shen Sho Mitra kam einfach so in den Unterricht und hielt einen kleinen Vortrag über die Methode und die innere Haltung, die man dabei einzunehmen hatte. Wenn Tilo daran dachte, fühlte sich der Morgen nicht mehr ganz so trostlos an. „Also dann mal los", murmelte er vor sich hin, beendete er seine Morgentoilette und machte sich für die Arbeit fertig.

    Er stieg gerade in die U-Bahn ein, als sein Handy klingelte. Toby war dran: Hi Tilo, wie sieht’s denn heute Abend aus? Machen wir was zusammen? „Ich hab nichts vor. Hast du eine Idee?, antwortete Tilo. „Na klar, hab ich eine Idee. In der Innenstadt gibt’s eine Lichterkette für die Flüchtlinge und danach gibt’s in einem Jugendzentrum in der Nordstadt ne Party mit Musik aus drei Kontinenten. Bist du dabei?, fragte Toby. „Na, ich weiß nicht, du weißt doch, dass ich mir aus diesem politischen Zeug nichts mache, sagte Tilo. „Ey Mann, die Flüchtlinge haben’s echt schwer zur Zeit. Erst von den Islamisten aus ihrem Land getrieben und dann werden sie hier angemacht, weil sie selber Islamisten sein sollen. Die brauchen echt unsere Unterstützung. Sagt denn dein großer Guru nicht auch so was in der Art, antwortete Toby. Tilo setzte sich auf einen Platz, der soeben frei geworden war: Na ja, doch schon, aber ich halt mich da bis jetzt immer ein bisschen raus. „Alter, mit dir ist es echt nicht leicht. Wenn ich dich nicht so gern hätte, würde ich bei dir altem Zauderer die Flinte ins Korn werfen. Auf der Party hast du endlich mal wieder die Gelegenheit ein paar Mädels kennenzulernen. Würd dir guttun, mal wieder in Liebe zu baden, wie dein Guru sagen würde, lachte Toby durchs Telefon. „Na, okay, überredet. Die Party klingt wirklich ganz interessant. Wann ist denn die Lichterkette?, fragte Tilo. „Um halb sieben an der Lorenzkirche. Ich würde sagen, wir treffen uns um viertel nach am Bahnhof, sonst gibt’s keine Chance, dass wir uns finden, erklärte Toby. „Ok, bis heute Abend und ich freu mich, sagte Tilo und legte auf.

    „Boa, was für ein geiler Arsch, den würde ich echt gern bumsen", schrie jemand laut hinter ihm durch das Abteil. Tilo drehte sich schnell und auch überrascht um. Normalerweise war jeder in der U-Bahn immer für sich und versuchte möglichst Blickkontakt zu vermeiden. Dass aber jemand laut in der U-Bahn herumschrie und dann noch so eine direkte Anmache, dass hatte Tilo zumindest im Berufsverkehr noch nicht erlebt. Er machte auch sofort das junge Mädchen aus, das wohl gemeint gewesen war und stellte fest, dass sie wirklich einen super Figur hatte. Ein wenig hinter ihr stand, mit einem leichten Grinsen im Gesicht, ein junger Mann, der wohl der Schreihals war.

    Tilo wunderte sich, dass niemand sonst im Abteil irgendwie darauf reagierte. Weder das junge Mädchen, noch sonst irgendjemand in der U-Bahn drehte sich nach dem jungen Mann um. Auch dieser blieb einfach mit seinem Grinsen schweigend stehen. Es war so, als hätte niemand irgendetwas gehört. Normalerweise hielt er sich auch aus so etwas heraus. Aber dass keiner eine Reaktion zeigte, verwirrte ihn und so starrte er das Mädchen irritiert an. Sie schaute zurück und sagte nach einiger Zeit: Was guckst du denn so blöde? Wohl noch nie ne Frau gesehen? „Äh…na klar, tschuldigung, antwortete Tilo beschämt und drehte sich um, wohl wissend dass nun die Blicke des gesamten Abteils auf ihm ruhten. Dann kam auch schon seine Station und er sprang erleichtert auf den Bahnsteig. Was war denn das, dachte er. Erst machte der Andere sie so blöd an und dann werde ich so behandelt, als hätte ich sie so angemacht. Tilo konnte das soeben erlebte nicht ganz einordnen. Er ging weiter auf seinem Arbeitsweg und zermarterte sich das Gehirn, wie das ganze jetzt gekommen war, kam aber auf keinen grünen Zweig. Schließlich beschloss er das Erlebnis unter „komische Sachen in meinem Leben abzuheften, zog seine Chipkarte an der Pforte durch und ging in sein Büro.

    Langsam schweifte der Blick Shen Sho Mitras über den Raum. Es war wirklich geschafft. Er eröffnete sein erstes Zentrum in Amerika. Natürlich kam dafür nur New York in Frage. Hier war das Herz Amerikas am besten zu spüren. Hier war der Schmelztiegel, wie das finanzielle Zentrum des Landes. Wenn etwas in Amerika beginnen sollte, dann hatte er schon immer an New York gedacht. Ein glücklicher Zufall lies den Kontakt über das Londoner Zentrum entstehen. Brian Williams, der seine Arbeit in England unterstützte hatte einen amerikanischen Geschäftspartner – Luke Hethelstone. Brian machte ihn mit der Praxis bekannt, wenn sich die beiden in London trafen. Anscheinend fand Luke die Praxis für ihn so gewinnbringend, dass er sie auch in Amerika weiterübte. Nach einiger Zeit der Praxis rief ihn Luke schließlich auf einer seiner vielen Reisen an und schlug ihm vor, ein Zentrum in New York zu gründen, damit er vor Ort und in Gemeinschaft praktizieren konnte. Dies war ihm so wichtig, dass die Anfangsfinanzierung des Zentrums von Luke alleine übernommen wurde.

    Natürlich hatte der Spender einige Vorzüge, wie lebenslangen kostenlosen Zugang zum Zentrum für ihn und seine Familie, sowie vor allem jederzeit Einzelsitzungen bei ihm, was bei seinem Zeitplan wirklich ein Privileg war. Hinzu kamen noch ein paar Kleinigkeiten, aber insgesamt ein wirklich gutes „Geschäft, dachte Shen Sho Mitra. Inzwischen ging ihm das Wort „Geschäft leichter durch den Sinn, als noch vor ein paar Jahren. Natürlich war er idealistisch gestartet und sah auch weiterhin, wie seine Übungen den Menschen halfen, sie in ihrem Leben weiterbrachten und er so dazu beitrug, die Welt ein klein wenig besser zu machen. Aber er hatte auch erkannt, nach welchen Regeln die Welt funktionierte. Marktwirtschaftliches Denken bestimmte inzwischen die Spielregeln des Lebens – im Privaten und genauso im spirituellen, energetischen oder esoterischem Markt. Egal, wie toll eine Methode vielleicht war, wenn du sie nicht auch verkaufen kannst, dann wird die Welt diese Methode nicht kennenlernen. Und er hatte inzwischen gelernt, wie er sich und seine Ideen verkaufen konnte und es lief gerade wirklich wie am Schnürchen.

    Er dachte daran, wie alles begonnen hatte. Als junger Mann suchte er in den 80ern spirituelle Erfüllung. Zwar gab es schon einige Ansätze der östlichen Religionen und Methoden im Westen, aber es steckte doch alles noch in den Kinderschuhen. Natürlich hieß er da noch nicht Shen Sho Mitra. Jürgen Meier war sein Name damals und er war nach der Ausbildung zum Masseur frei dahin zu gehen, wohin er wollte. Und so machte er sich in den fernen Osten auf. Insgesamt verbrachte er 15 Jahre dort und bereiste hauptsächlich Indien, China, Nepal und Japan. Dort lernte er von bekannten Meistern, wie auch von denen, die nur als Geheimtipp bekannt waren.

    Er lernte Yoga, Qi Gong, Tai Chi Chuan, tibetanische und Zen Meditation und wurde in Ayurveda und chinesischer Medizin ausgebildet. Mann o Mann, einen ganz schön langen Weg bist du da gegangen, dachte er. Er war durstig nach diesem Wissen und saugte alles wie ein Schwamm auf. Und er übte, übte und übte. Er übertraf immer alle einheimischen Schüler, war immer als erster in den Übungsräumen und ging immer als letzter. Alle Meister bescheinigten ihm eine unheimliche Energie. Aber trotz der vielen Übungswege und auch des Vorankommens in seinem Weg in dieser Richtung blieb da immer eine unerfüllte Leere in ihm. Auch der ferne Osten konnte diese Leere mit seinen vielen Übungswegen und seiner tiefen Weisheit zum damaligen Zeitpunkt nicht füllen. Nach 15 Jahren erkannte er, dass sein Weg in Asien beendet war. Er kehrte Ende der 90er Jahre nach Nürnberg zurück und bot sein Wissen in Kursen und Einzelsitzungen an. Da er für die Ausübung von chinesischer Medizin oder medizinischem Ayurveda Heilpraktiker hätte sein müssen, er sich aber nicht vorstellen konnte noch einmal trockene Schulmedizin zu lernen, verlagerte er seine Tätigkeit auf die Praxis von meditativen, energetischen und körperlichen Übungen.

    Er lehrte die Übungen der indischen und chinesischen Bewegungskünste, sowie die Meditationen aus Tibet, China und Japan. Zuerst bot er noch Kurse in getrennten Disziplinen an und versuchte alles möglichst in traditioneller Weise zu unterrichten. Aber schon bald merkte er, dass sich in seinem umfangreiches Wissen die verschiedenen Übungen immer mehr vernetzten und er immer mehr dazu überging in allen Kursen die jeweils anderen Disziplinen einzuflechten. Einige Schüler besuchten so viele Kurse, wie möglich und so entstand ein kleiner Kreis von Personen, die an seinem gesamten Wissen interessiert waren. In dieser Gruppe entwickelte er dann schließlich sein eigenes System, in dem sich die vielen verschiedenen Richtungen asiatischer Weisheit trafen und zu einer harmonischen Einheit verschmolzen wurden. Da merkte er, wie sich seine innere Leere wieder füllte und er verspürte den gleichen Enthusiasmus, wie er ihn auch zu Beginn seiner Asienreise empfunden hatte.

    Durch sein umfangreiches Wissen und seine lange Erfahrung in dem Bereich, konnte er die Leute sehr gut ansprechen und führen, so dass er Mitte der 2000er Jahre in Nürnberg ein gutgehendes Zentrum für spirituelle und energetische Entwicklung betrieb. An einem netten Abend im Kreise seiner engsten Schüler, wurde im Spaß festgestellt, dass die meisten Leute einem unfähigen indischen oder tibetanischen Guru mit entsprechendem ausländisch klingendem Namen sofort ihre Aufmerksamkeit schenken würden. Wenn man aber von Jürgen Meier erzählen würde, dann dachten alle sofort an einen Scharlatan. Leider, so wurde festgestellt, hielten sich die meisten in der westlichen Welt an äußeren Titeln und Namen fest und nicht an Inhalten und Wirkungen. Aus der Laune des netten Abends heraus kreierten sie zusammen den Namen Shen Sho Mitra für ihn. Die erste Silbe sollte dabei das chinesische Wort Shen für Geist symbolisieren, während die nächsten beiden Silben einfach nur gut klangen und sich für ihn auch gut anfühlten. Und so wurde aus Jürgen Meier Shen Sho Mitra. Mit der Zeit bürgerte es sich ein, dass Schüler, die von ihm zum Lehrer ausgebildet wurden ebenfalls einen Namen von ihm erhielten, der mit Shen begann. Auch sein Zentrum wurde vom Zentrum für fernöstliche Spiritualität in Shengara Zentrum umbenannt um auch hier der Silbe Shen Rechnung zu tragen.

    Dann ging es Schlag auf Schlag. Nach der Umbenennung verfasste er ein kleines Büchlein, in dem er seine wichtigsten Übungen zusammenfasste. Dieses Büchlein wurde über Nacht zum Bestseller und alle wollten seine Übungen praktizieren. Er bildete weiter Lehrer aus und so schossen die Shengara Zentren nur so aus dem Boden. Im Jahr 2008 wurde das erste ausländische Zentrum eröffnet und heute war Shengara in ganz Europa verbreitet. Er war Gast in Talkshows und hielt Retreats in großen Firmen ab. Schon früh hatte er erkannt, dass in der heutigen Zeit alles erfolgreich war, was sich in Industrie- und Wirtschaftskreisen verbreitete. Und so setzte er seine Energie genau in diese Richtung ein.

    Er entwickelte Programme für Führungskräfte und Teams und so war die Shengara Methode in einigen großen Firmen Deutschlands in die Unternehmenskultur eingegangen. Die Shengara Bewegung war derzeit wohl die einflussreichste alternative spirituelle Bewegung in Europa mit reichhaltigen Verbindungen zu Industrie und Politik. Die Krönung war nun dieses Zentrum in New York. In Amerika Fuß zu fassen, war ein wirklich neuer Schritt. Die logische Weiterentwicklung zur Verbreitung seiner Ideen. Und auch hier lief es gut. Schon vor der Eröffnung lagen dem Zentrum jede Menge Anmeldungen vor und morgen startete eine zweiwöchige Vortragsreihe quer durch die Staaten. Jeden Abend in einer anderen Stadt. Luke hatte seine umfangreichen Geschäftskontakte spielen lassen und so sprach er vor erlesenem Publikum oder in großen Hallen, die, wie er wusste, gut gefüllt waren. Es ging also genauso weiter mit Shengara, wie in den letzten Jahren. Er war eigentlich nur noch von Zentrum zu Zentrum und von Auftritt zu Auftritt unterwegs. Zeit um seine eigenen Übungen zu praktizieren blieb ihm dabei nur noch wenig.

    Ganz nebenbei stellte sich dann wieder diese alte Leere ein. Lange Zeit wurde sie vom Aufbruchsgeist und von der vielen Aktivität überdeckt. Aber, wenn er ehrlich in sich hineinspürte, dann empfand er sie wieder. Er wusste, dass dies in seinem bisherigen Leben immer ein Zeichen war, die Richtung zu ändern. Aber zu früheren Zeiten hatte er nicht so viel zu verlieren, wie jetzt. Er war Führer und Kopf einer einflussreichen Bewegung in Europa. Seine Meinung wurde ernst genommen und seine Übungen halfen täglich Tausenden von Menschen innerlich weiter. Einer seiner Lehrgrundsätze war, dass die Menschen das tun sollten, was ihnen ihr Inneres sagte, aber genau das konnte er zurzeit für sich selbst nicht verwirklichen.

    Er fühlte einen inneren Trotz in sich und sagte sich innerlich: Ich habe so lange dafür gearbeitet. Jetzt ist es endlich so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Es war ein langer Weg und viel Arbeit bis hierher. Das kann ich nicht so einfach aufgeben. Ich kann dieses Gebilde Shengara und auch Shen Sho Mitra nicht so einfach hinwerfen. Tut mir leid, liebes Universum, den Gefallen tue ich dir nicht, oder zumindest jetzt noch nicht. Er seufzte, denn er spürte genau den Konflikt, den viele Schüler ihm ebenfalls schilderten. Einerseits waren da ein innerer Drang und eine innere Stimme, die auf einer tieferen Ebene zu einem sprach. Diese Stimme sorgte sich nicht um die Meinung von anderen oder äußeren Gegebenheiten, sondern folgte höheren und spirituellen Gesetzen. Doch es gab immer äußere Gegebenheiten, Abhängigkeiten oder Beziehungen, die dem entgegensprachen. Indem man dieser Stimme folgte, verletzte man andere, gesellschaftliche Normen oder erfüllte nicht mehr ihre Anforderungen. Alte Beziehungssysteme brachen dann zusammen und dies hatte Konsequenzen – persönlich, wie auch finanziell. Shen Sho Mitra merkte, dass er in genau dem gleichen Dilemma steckte. Da beriet er tagtäglich Menschen in genau dieser Frage und verfing sich in der gleichen Falle, die das Leben auch seinen Schülern stellte.

    Sein Blick schweifte wieder durch den Raum. Er war in der sogenannten Meisterwohnung. Dies war ein kleines Appartement, das Luke im Zentrum für ihn eingerichtet hatte. So konnte er immer, wenn er hier war im Zentrum wohnen. Obwohl dies natürlich gut gemeint war, fühlte sich Shen Sho Mitra plötzlich in ihr eingesperrt, wie in einem goldenen Käfig. Ein Käfig, den du dir selbst geschaffen hast, dachte er sich. Das kann nicht ewig so weitergehen. Sonst endest du da, wofür du andere Gurus immer kritisiert hast – im spirituellen Kommerz. Und wenn du ehrlich bist, bist du fast genau da schon angekommen. Da musst du dir was einfallen lassen. Nun, dann tu das, was du deinen Schülern in dem Fall rätst, meditiere. So setzte er sich im Lotussitz auf den Boden und tat das, was auch seinen Schülern weiterhalf einatmen-ausatmen…tief ins Hara.

    Am Bahnhof herrschte das übliche Gewühle, aber Toby war 1,95 Meter groß, so dass ihn Tilo in der Menge sofort herausragen sah. Sie begrüßten sich herzlich und machten sich sofort auf den Weg zur Lorenzkirche. Die Lorenzkirche war so etwas, wie der Dom in Nürnberg. Aber weil Nürnberg kein Bischofsitz war, hieß sie eben nur Kirche, war aber genauso groß, wie ein Dom. Da sie mitten zu Beginn der beiden Hauptarme der Fußgängerzone steht, eignete sich deshalb sehr gut als Ausgangspunkt für so etwas, wie eine Lichterkette. Als sie ankamen waren schon sehr viele Leute da und ein Mann bestieg gerade das aufgebaute Podium und stellte sich ans Rednerpult. Während er über das Schicksal und die Situation der Flüchtlinge sprach, fragte Toby: Und, hast du auch genug Kerzen dabei? „Mensch, an Kerzen hab ich gar nicht gedacht, antwortete Tilo. „Wo hast du denn deinen Kopf, ist doch klar, dass man für eine Lichterkette Kerzen braucht, grinste Toby ihn an. „Ich muss immer noch an die komische Situation in der U-Bahn heute Morgen denken. Ich zermartere mir das Hirn, aber es bleibt einfach komisch, erklärte Tilo. Dann schilderte Tilo ihm, was ihm in der U-Bahn passierte und Toby meinte: Echt strange, du erlebst aber auch Sachen. Aber so hast du zumindest mal wieder eine Frau angeschaut. Ist doch auch nicht schlecht. Vielleicht ist aber auch dein Guru Schuld. Wer weiß, was er so alles mit deinem Gehirn macht."

    „Er ist nicht mein Guru, ich geh da nur einmal oder zweimal die Woche zur Meditation hin und das tut mir echt gut. Würd dir auch nicht schaden, antwortete Tilo mit leichtem Ärger in der Stimme. „He, mach dich mal locker, war nur ein Scherz. Ich weiß ja, dass das nicht schlecht für dich ist, aber für mich ist das nichts. Viel zu ruhig und alles machen, was so ein Vorturner da vorne vormacht – ne, ohne mich. Ich komm auch so ganz gut klar und ich kann sogar die Zukunft voraussagen. Ich hab Kerzen für dich mitgebracht, weil ich deine Schusseligkeit ja kenne, sagte Toby und holte eine stattliche Anzahl Kerzen aus seinem Beutel.

    Tilo schaute seinen Freund freundschaftlich an und lächelte. Ihm wurde ganz warm ums Herz und es wurde ihm wieder einmal klar, wie wichtig ihm die Freundschaft zu Toby war. Er war einfach umwerfend. Er nahm einfach alles locker und ließ sich seine Laune von so ziemlich nichts verderben. Dabei kümmerte er sich um alle möglichen Leute und Initiativen, machte aber sofort ziemlich Rabatz, wenn eine Autorität ihm etwas vorschreiben wollte. Da war er ziemlich empfindlich. Und so hatte er auch immer ein Auge auf Tilo und kümmerte sich um ihn, wenn er mal wieder durchhing, oder, wie heute, so etwas Banales wie die Kerzen vergaß. Der Redner am Podium erklärte gerade, das die Lichterkette die Kaiserstrasse hinunter und dann die Breite Gasse wieder zurück zur Lorenzkirche führen sollte. Tilo fand, dass so viele Leute da waren, dass dies auch ohne Probleme funktionieren müsste. Dann bat der Redner alle Menschen ihre Lichter anzuzünden. Toby holte ein Feuerzeug heraus und zündet für sich und Tilo zwei Kerzen an. Alle Leute um sie herum machten es genauso. Plötzlich hörte Tilo ein lautes Summen, wie von einem Bienenstock. Tilo fragte Toby: Was ist denn das für ein Geräusch? „Was für ein Geräusch?, antwortete Toby. „Na dieses Summen, seitdem wir die Kerzen angezündet haben. Das ist doch so laut, dass musst du doch hören, sagte Tilo.

    Toby hielt kurz inne und lauschte: Da ist kein Geräusch, außer die Stimmen der Menschen, aber die sind schon die ganze Zeit da. „Das gibt’s doch nicht, ich hör es doch ganz deutlich, antwortete Tilo wieder mit leichtem Ärger in der Stimme. „Hey, ich kann dir nur sagen, was ich höre und da ist kein Summen und schon gar kein lautes. Vielleicht solltest du mal zum HNO gehen, wegen Ohrgeräuschen oder so. Sollte man beobachten, nicht dass es ein Hörsturz ist. Komm, wie gehen mit unseren Kerzen mal in die Kaiserstrasse und schauen, wie sich das Summen entwickelt, entgegnete Toby fürsorglich. Sie gingen in die Kaiserstrasse und tatsächlich wurde das Summen immer leiser, bis es schließlich ganz verschwand. Tilo teilte das Toby mit und dieser beruhigte ihn weiter: „Na siehst du, der Körper regelt einfach viel von alleine. Wenn es aber wieder vorkommt, dann musst du zum Arzt gehen. Jetzt genieß den Abend, schließlich gibt’s dann noch eine Party."

    Was für ein Tag, dachte sich Tilo. Erst höre ich in der U-Bahn eine Stimme und jetzt laute Geräusche. Vielleicht werde ich ja verrückt und höre Stimmen, die gar nicht da sind. Aber dann erinnerte er sich, dass Toby in erster Linie an einen Gehörschaden dachte und so beschloss er sich erst einmal nicht verrückt zu machen und die Sache weiter zu beobachten. Das Jugendzentrum war proppenvoll. Toby traf bald einen Bekannten aus der Arbeit und sie unterhielten sich über ihre Arbeitsstelle. Tilo hörte der Musik zu. Es spielte gerade eine afrikanische Band, die traditionelle Klänge mit modernem Pop verband. Tilo gefiel die Musik sehr gut. Vor allem die afrikanischen Trommeln machten ordentlich Tempo. Tilo hatte schon eine Ewigkeit nicht mehr getanzt und beschloss auf die Tanzfläche zu gehen. Er fing an, sich langsam zu bewegen und passte sich dann dem schnellen Tempo der Trommeln an. Er merkte, dass es ihm immer mehr Spaß machte, sich so schnell zu bewegen und überließ sich immer mehr dem Rhythmus. Man, war das geil, sich so richtig auszutanzen und mit der Musik mitzufließen. Er merkte immer mehr, wie sein Körper ganz automatisch der Musik folgte und so schloss er die Augen und tanzte sich immer mehr in eine Art Rausch hinein, in dem er alles vergaß. Seine langweilige Arbeit, sein häufiges „Sich Alleine Fühlen" und seine Ziellosigkeit im Leben. Es war nur noch der Augenblick wichtig und der war großartig. Tilo tanzte so ausgelassen, dass er seine Umwelt gar nicht mehr wahrnahm.

    Plötzlich stieß er heftig mit jemandem zusammen. Der Zusammenprall war so stark, dass es ihn sofort von den Beinen riss und er mit der anderen Person zu Boden ging. Ein unangenehmer Schmerz durchschoss sein Hinterteil und auch sein rechtes Bein. Er schlug die Augen auf, die er vom Tanzen immer noch geschlossen hatte und bemerkte eine junge Frau, die genauso verkrümmt wie er, auf ihm lag und ihn verärgert ansah. Auch ihr schien einiges wehzutun. Sie begann gerade, sich wieder zu regen und stand langsam auf. Tilo sortierte seine Knochen und folgte ihrem Beispiel. Dabei sah er die junge Frau an und dachte sich, dass sie wirklich sehr gut aussah.

    Ihr langes blondes Haar umrahmte ein feines Gesicht, in dem ihn ihre braunen Augen jetzt ärgerlich anfunkelten. Tilo war klar, dass sein „Trancetanz in dem engen Raum mit so vielen Menschen zu viel gewesen war, aber es hatte sich einfach zu gut angefühlt, so dass er es eigentlich nicht bereute. Er sagte aber trotzdem: Tut mir echt leid, ich war total in meinem Tanz versunken. „Mensch, mir tut jeder Knochen weh. Kannst du denn nicht die Augen aufmachen, wenn du schon so heftig tanzt?, warf sie ihm vor. Ja, war ein Fehler, aber ich hab einfach schon lang nicht mehr so getanzt, so dass es mich einfach überkommen ist, erklärte Tilo. „Das hilft mir auch nichts, tut trotzdem weh, antwortete sie. Tilo wusste nicht so genau, was er noch sagen sollte, schaute sie einfach an und dachte sich noch einmal, dass sie ihm wirklich gut gefiel. Da stieß sie heftig die Luft über den Mund aus, sagte „Oh man und drehte sich einfach um und versuchte sich durch das Gewühle zu kämpfen. In Tilo kam Bewegung und er erwachte aus seiner Starre und versuchte sie einzuholen. Er packte sie kurz am Arm: „Tut mir echt leid. Ich kann’s nicht mehr rückgängig machen. Kann ich dich wenigsten zu irgendwas einladen? Die junge Frau antwortete: „Ne, lieber nicht, diese Anmache ist mir echt zu schmerzhaft.

    Dann drehte sie sich wieder um und schob sich weiter durch die Menge. Tilo blieb zurück und hatte ein ungutes Gefühl im Bauch. Der Tanz war so geil, hatte sich so gut angefühlt und wurde dann durch dieses blöde Mißgeschick so brutal unterbrochen. Dann war es auch noch seine Schuld, dass da jemand wegen ihm Schmerzen hatte. Und schließlich fand er die Frau auch noch sehr attraktiv, war aber verständlicherweise ziemlich abgeblitzt. „Armleuchter, hörte er sie jetzt auch noch rufen. Er schaute zu ihr. Sie war schon ziemlich von ihm entfernt und kämpfte sich immer noch durch die Menge. Tilo wunderte sich, dass er ihre Beleidigung, trotz der lauten Musik und der vielen Menschen über diese Entfernung so gut hören konnte. Na ja, hab einfach kein Glück mit den Frauen, dachte er sich und versuchte Toby an der Theke auszumachen, entdeckte aber nur dessen Kollegen und bewegte sich auf diesen zu: „Weißt du, wo Toby abgeblieben ist? „Der ist vorhin mit einem Typen nach draußen, der ihn anscheinend gesucht hat", antwortete der Mann.

    Tilo wunderte sich, dass Toby hier von jemandem gesucht wurde und machte sich auch auf den Weg nach draußen. Die frische Luft würde ihm nach dem Tanz und dem Zusammenstoß guttun. Draußen standen die Menschen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich. Tilo schlenderte langsam über den kleinen Vorplatz, entdeckte Toby aber nicht. Er schaute kurz in eine Seitenstraße und sah zwei Männer in einiger Entfernung an einem Hauseingang stehen. An der Statur und den Bewegungen erkannte er Toby und er ging auf die Beiden zu. Als er näher kam, schauten die beiden überrascht zu ihm auf und der andere Mann steckte schnell ein kleines Paket in seine Jacke. Toby erkannte Tilo und sagte zu seinem Gegenüber: „Kannst wieder auspacken, das ist mein Freund, der ist sauber. Dann lächelte er Tilo an: „Du hast uns ganz schön einen Schrecken eingejagt, wir dachten schon, du bist ein Bulle. Tilo begriff blitzschnell. Toby hatte in seiner Jugend fast alles ausprobiert, was es so an Drogen gab, hatte aber dann begriffen, dass es ihn in eine Abwärtsspirale führen würde und rührte einige Jahre lang nichts mehr an.

    In den letzten zwei Jahren hatte Tilo ihn aber ab und zu mal wieder Marihuana rauchen sehen. So vermutete er auch jetzt, dass sich Toby etwas beschaffen wollte. Tilo verzog das Gesicht: „Toby, du weißt, ich halte nichts von dem Zeug. Lass lieber die Finger davon. „He, du weißt ich hab schon alles ausprobiert und ich lass die Finger von jedwedem hartem Zeug. Ist nur ein Joint und einmal im Monat genehmige ich mir den. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen, erwiderte Toby mit einem leicht trotzigem Unterton. „Du musst selber wissen, was du tust. Ist deine Sache und ich sag dir auch nicht, was du tun sollst, aber ich halt nichts davon", entgegnete Tilo.

    „Sind die Herren jetzt langsam fertig mit ihrer Moraldebatte. Können wir jetzt endlich zum Geschäft kommen?, meldete sich der Dealer jetzt zu Wort. „Ok, ich geh ein paar Schritte und warte dann auf dich, sagte Tilo und dreht sich um und schlenderte langsam weg. Er hörte Toby: „Also, Preis war ja klar. Papier raschelte und dann sagte der Dealer: „Selber schuld, wenn du mir was abkaufst. Das Zeug ist so gestreckt, da wirst du gar nichts davon haben. Aber wenn du das Zeug rauchst, bin ich schon wieder längst auf dem Weg nach München. Hier hast du das Zeug. Tilo drehte sich um und ging schnell auf die Beiden zu. „Wie blöd bist du eigentlich Toby. Wenn du unbedingt was kaufen musst, na dann ok. Aber dann sagt dir der Typ auch noch, dass das Zeug völliger Mist ist und total gestreckt und du kaufst es trotzdem. Der Dealer starrte Tilo mit offenem Mund an, als hätte er ein Gespenst gesehen, während Toby blaffte: „Wie kommst du denn drauf, dass das Zeug nix taugt. Hast du jetzt auch noch Wahnvorstellungen? Tilo, es reicht. Lass mich in Ruhe meinen Joint kaufen! „Aber er hat‘s dir doch gerade selbst gesagt, dass das Zeug nichts taugt, wie kannst du denn da noch was kaufen?, versuchte es Tilo weiter. „Ich hab nix gehört. Drehst du denn jetzt total ab? Lass uns endlich in Ruhe, entgegnete Toby aufgebracht. Tilo schaute Toby verwirrt an: „Wie, du hast nix gehört. Er hat es doch klar und deutlich gesagt. „Tilo, mach die Fliege, herrschte Toby Tilo genervt an. Der Dealer sah Tilo immer noch verdattert an, trat einen Schritt zurück und sagte: Na, dann mach’s mal gut, ist ja dann soweit alles klar. Bis zum nächsten Mal. Und lass deinen komischen Freund das nächste Mal zu Hause.

    Toby nickte dem Dealer zu und ging dann schnell an Tilo vorbei in Richtung Jugendzentrum. Tilo folgte ihm und versuchte es noch einmal: Hast du wirklich nicht gehört, was der Dealer über den Stoff gesagt hat? „Nein zum Teufel, jetzt lass mich endlich in Ruhe meinen Joint rauchen und mach dich vom Acker", blaffte Toby ihn an. Toby nahm Tabak und Papier heraus und begann sich eine Zigarette zu drehen. Tilo starrte Toby immer noch verwirrt an und zog sich dann langsam zurück. Er ging wieder in das Jugendzentrum hinein, und holte sich ein Bier und setzte sich auf einen freien Thekenplatz.

    Tilo atmete tief durch und trank das Bier in großen Schlucken. Sag mal, was ist denn grade los, dachte er sich. Schon wieder so ein komisches Zeug. Ich begreif‘s wieder nicht. Wieso hat Toby diesen Typen denn nicht gehört. Dreh ich jetzt total durch? Er starrte vor sich hin, trank weiter langsam sein Bier und ließ das Geschehen immer wieder vor seinem inneren Auge ablaufen. So saß er wohl eine gute Stunde und beschloss dann, dass es nichts bringen würde weiter zu grübeln, denn das Ereignis war genauso unergründlich, wie das heute Morgen. Die einzige Erklärung, auf die er immer wieder kam, war die, dass er langsam seinen Verstand verlor. Er ging gerade wieder auf den Vorplatz, als ihn Toby plötzlich von hinten ansprach: Ich hab dich die ganze Zeit gesucht. Woher hast du es gewusst? Tilo drehte sich um: Was gewusst? „Na, dass das Zeug nix taugt. Nach der ersten Zigarette hab ich die Menge verdoppelt und danach hab ich alles reingetan und ne richtige Tüte gebaut. Aber da war nix. Keine Wirkung. Ist nur ein geschickt gemachter Fake. Alles, aber bestimmt kein Gras. Woher hast du es also gewusst?", fragte Toby noch einmal.

    „Na, er hat es doch klar und deutlich gesagt, als er dir das Zeug gegeben hat, antwortete Tilo. „Ne, der hat nur gesagt – Hier hast du das Zeug – und kein Wort mehr, beteuerte Toby. „Scheiße Toby, ich kann dir nur sagen, was ich gehört habe. Er hat gesagt, dass du dich noch wundern wirst, weil das Zeug so gestreckt ist, dass man absolut keine Wirkung merken wird. Aber wenn du das Zeug rauchst, ist er schon längst auf dem Weg nach München. Und erst dann hat er gesagt: Hier ist das Zeug, erklärte Tilo. Toby schaute Tilo lange an, dann sagte er: Ich war grad echt sauer auf dich. So sauer, wie schon wirklich lange nicht mehr. Aber du hast verdammt nochmal recht gehabt und das begreif ich jetzt nicht. Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast, aber du wolltest mich vor was warnen, was sich dann wirklich als wahr herausgestellt hat….Tut mir deshalb leid, was ich vorhin gesagt habe. „Ist schon okay, aber ich kann dir auch keine Erklärung bieten. Ist genauso komisch, wie heute Morgen in der U-Bahn, antwortete Tilo.

    Tobys Gesicht hellte sich auf einmal auf: Ich hab eine Idee. Vielleicht haben wir ja Glück und der Typ fährt mit dem Zug nach München. Los, wir schauen, dass wir so schnell, wie möglich zur Straßenbahn kommen. Sie liefen los und kamen an der Haltestelle an, als gerade eine Tram einfuhr und warteten nervös die 20 Minuten ab, die sie bis zum Hauptbahnhof brauchte. Dann sprangen sie aus dem Triebwagen und spurteten Richtung Haupthalle. Dort suchten sie kurz auf der Infotafel nach dem nächsten Zug nach München. Der nächste ging in gerade mal sieben Minuten. Leicht aus der Puste kamen sie schließlich beim Zug an, der zur Abfahrt bereit stand. „Wir haben noch fünf Minuten. Da können wir noch durch den Zug gehen. Du rechts, ich links und wer ihn findet, der zerrt ihn nach draußen. Nach jedem Wagen schaut jeder von uns kurz auf den Bahnsteig, ob der andere ihn schon gefunden hat", keuchte Toby. Sie stiegen in den Zug und machten sich in gegensätzliche Richtungen auf die Suche.

    Tilo kam erst jetzt in den Sinn, dass er in körperlichen Auseinandersetzungen eigentlich bis jetzt immer den Kürzeren gezogen hatte. Für Prügeleien war er einfach zu friedfertig und nachgiebig. Toby dagegen wusste sich schon immer seiner Haut zu wehren. Zudem war er ziemlich groß, was sich im Handgemenge oft ausgezahlt hatte. Es war eher so, dass er Tilo schon einige Male aus brenzligen Situationen in Discos rausgehauen hatte. Tilo verdrängte diesen Gedanken und warf nach dem ersten Waggon einen Blick auf den Bahnsteig. Dort sah er Toby, der den Dealer gerade vor den Zug zerrte. Er rannte zu den Beiden und bekam gerade mit, wie Toby den kleineren Mann im Schwitzkasten hatte. Dieser winselte: „ Ok, ok, du bekommst dein Geld zurück und ich geb dir sogar noch was drauf. „Du linke Bazille, da musst du schon noch 100 oder 200 drauflegen, bestimmte Toby. „Kein Problem, aber lass mich endlich los", bettelte der Mann.

    Toby ließ ihn langsam los und der Dealer keuchte vor Anstrengung: „Lass uns die Treppen nach unten gehen, sonst können sie uns mit ihren Kameras sehen. Unten an der Treppe holte er sofort seine Geldbörse heraus und gab Toby den Kaufpreis und noch 200 Euro zusätzlich zurück. Toby drohte ihm: „Jetzt verschwinde und lass dich in Nürnberg nicht mehr sehen. Wenn ich dich nochmal erwische, dann verpfeif ich dich sofort bei den Bullen. „Is ja gut, bin schon weg, erwiderte der Dealer und ging wieder nach oben in den Zug. Toby meinte zu Tilo: Komm, wir verschwinden jetzt schnell, bevor hier die Sicherheit oder die Polizei auftaucht. Da hatte der Typ schon recht, dass hier überall Kameras sind. So rannten sie so schnell sie konnten zum Südausgang und verzögerten ihre Schritte erst wieder in den Straßen der Südstadt. Nachdem sie beide wieder zu Atem gekommen waren, schaute Toby zu Tilo hinüber: „Eh, Alter, jetzt verrat mir mal den Trick. Das hat wirklich gestimmt mit München und erzähl mir nicht, dass du das gehört hast. Ich hab den Typen die ganze Zeit ja vor mir gehabt und der hat absolut nix von München erzählt. „Ich kann dir nur sagen, was ich dir schon vorhin gesagt habe, dass ich es klar und deutlich gehört habe, als er dir den Stoff gab. Ich hab’s allerdings nicht gesehen, als er gesprochen hat, weil ich mich ja umgedreht hatte. Aber das war seine Stimme, das kann ich beschwören", antwortete Tilo.

    „Ich begreif’s nicht, wie kann das sein. Na ja, wie dem auch sei. Jedenfalls danke, du hast dafür gesorgt, dass ich mein Geld wiederbekommen habe und wir haben noch nen ordentlichen Batzen Geld dazubekommen. Da verzichte ich gerne auf den Joint. Komm die hauen wir jetzt noch auf den Kopf, sagte Toby. „Aber nur für ein Bier, ich muss morgen wieder früh raus und in die Arbeit, schränkte Tilo die Feierlaune von Toby ein. Dann gingen sie in eine Kneipe in der Südstadt und setzten sich mit einem Bier gemütlich an einen Ecktisch und begannen über Gott und die Welt zu reden.

    Was gibt es für Armleuchter auf der Welt. Da tanzt d er Typ, als würde ihm der ganze Raum gehören und dann wundert er sich, dass er dabei jemand über den Haufen tanzt. In dem Fall eben sie. Ihr taten noch immer alle Knochen weh und dann versuchte er sie auch noch anzumachen – wie plump war das denn? Armleuchter dachte sie noch einmal intensiv und suchte ihre Freundin Martina. Sie musste irgendwo an der Bar sein. Jedenfalls hatten sie sich dort getrennt. Sie suchte den ganzen Barbereich ab, aber keine Spur von Martina. Tanja lies ihren Blick noch einmal über den Raum schweifen und kämpfte sich dann durch das enge Gedränge zum Ausgang vor. Am Vorplatz sah sie verschiedene Gruppen junger Leute zusammenstehen. Wo war Martina nur. Normalerweise war sie eigentlich sehr verlässlich. Martina hatte zu ihr gesagt, dass sie ruhig tanzen gehen solle, denn sie hätte selbst grad keine Lust dazu. Sie würde hier auf sie warten und sich noch einen Drink bestellen. Aber jetzt war sie weg, was wirklich untypisch für Martina war. Während sie so über den Vorplatz ging, dachte sie daran, wie sie sich kennengelernt hatten. Beide hatten sie gerade ihr Biologie Studium begonnen und saßen in der Vorlesung nebeneinander. Sie wechselten ein paar Worte und trafen sich dann zufällig in der Cafeteria wieder. So tranken sie einen Kaffee miteinander und vertratschten schließlich den ganzen Nachmittag. Seit der Zeit waren sie enge Freundinnen, auch dann noch, als Tanja ihre ersten Prüfungen nicht schaffte und beschloss, das Studium abzubrechen.

    Sie wechselte um auf Lehramt für Grundschule, weil sie glaubte, dass sie lieber mit Kindern, also mit Tieren und Pflanzen arbeiten wollte. Ganz sicher war sie sich immer noch nicht. Wenn sie ganz ehrlich war, dann war sie sich so ziemlich mit allem unsicher, was ihr Leben betraf. Sie wuchs sehr behütet in einem kleinen Ort bei Erlangen auf. Ihr Vater war Finanzbeamter und ihre Mutter Hausfrau. Tanja war eine mittelmäßige Schülerin, schaffte aber ihr Abi dann doch mit ganz guten Noten, weil sie sich im letzten Jahr dann doch konsequent auf ihren Hosenboden setzte. Zwar wusste sie nun, wie sie den Lernstoff gut in ihrem Gehirn unterbringen konnte, aber ihr fehlte jeder blasse Schimmer, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte.

    Ihren Eltern war nur wichtig, dass sie später eine sichere Stelle haben würde. Am besten beim Staat, wie der Vater. „Da weiß man, was man hat, sagte ihr Vater immer. Biologie fing sie eigentlich nur an, weil ihr wirklich nichts Besseres einfiel. War ja klar, dass sie damit scheitern musste. Jetzt war sie schon im dritten Jahr des Studiums zum Lehramt. Sie hatte auch schon erste Unterrichtserfahrungen und so zumindest festgestellt, dass ihr die Arbeit mit den Kindern Spaß machte, auch wenn sie sich vorstellen konnte, dass der Job auf Dauer bestimmt auch anstrengend war. In ihre Gedanken versunken kam sie am Ende des Vorplatzes an und übersah Martina fast, die mit einem jungen Mann zusammenstand. Tanja traute ihren Augen nicht. Das gibt’s doch nicht, dachte sie schockiert. Wo kommt denn der Oliver plötzlich her. „Hi Martina, wo bist du den abgeblieben, ich hab dich die ganze Zeit gesucht? Na, Oliver, wo kommst du denn plötzlich her, eröffnete Tanja das Gespräch. Martina schaute Tanja leicht verlegen an. Tanja war klar warum. Schließlich hatten sie nächtelange Gespräche wegen diesem Typen geführt. Martina war immer noch in ihn verknallt, das war klar, aber der Typ war einfach schlecht für sie. Das sah sogar Martina nach einiger Zeit ein. Oliver hatte eine tiefbraune Gesinnung und hatte auch Verbindungen zu Neonazis und der dortigen Szene.

    Damit ging natürlich auch ein Frauenbild einher, das im Mittelalter normal gewesen wäre. Frauen hatten Männern zu gehorchen und gehörten an den Herd und hatten sich um die Kindererziehung zu kümmern. Studium und Ausbildung waren da nur rausgeschmissenes Geld. Und genauso ging Oliver auch mit Martina um. Er scherte sich nicht um irgendwelche Abmachungen und verlangte aber von Ihr, dass sie immer parat stand, wenn er pfiff. Und einmal hatte er sie sogar geschlagen. Daraufhin hatten sie eben diese nächtelangen Gespräche geführt und Martina sah ein, dass Olivers Verhalten immer schlimmer werden würde, ganz zu schweigen davon, dass er sich vielleicht ändern würde. Martina hatte daraufhin Schluss gemacht. Das war vor drei Wochen.

    Eine Woche lang hatte er noch versucht Telefonterror zu machen. Einmal war deshalb Tanja ans Telefon gegangen und hatte dem Typen unmissverständlich klargemacht, dass, wenn er weitermachen sollte, sie ihn wegen Stalkings anzeigen würde. Daraufhin kehrte Ruhe ein und sie hatten von Oliver nichts mehr gehört. Tanja und Oliver waren sich von Anfang an unsympathisch gewesen und so sah er sie auch jetzt angriffslustig an: „Ich habe Martina zufällig getroffen und jetzt plaudern wir eben ein bisschen. Ehrlich gesagt störst du dabei. Schließlich will man mit seinem Mädchen ja alleine sein. In Tanja stieg unbändige Wut hoch. Da tauchte der Typ einfach so wieder auf und tat so, als sei nichts gewesen und machte sie noch blöd von der Seite an. Normalerweise war sie eher zurückhaltend und sagte nicht gleich ihre Meinung. Ab und zu überkam sie aber diese Wut und dann konnte sie nicht mehr an sich halten. Dann musste immer raus, was in ihr brodelte und Oliver gehörte mit Sicherheit zu den Leuten, die diese Wut hervorrufen konnten. Tanja antwortete: „Du und zufällig auf einer Flüchtlingsparty? Da lach ich doch. Wahrscheinlich kundschaftest du aus, ob ihr hier ein paar Ausländer zum Verprügeln abgreifen könnt. Zu Martina gewandt sagte sie: Ich dachte, du hättest Schluss gemacht? Kannst du dich noch erinnern, wie dich der Typ verprügelt hat? Wieso gibst du dich mit dem noch ab?

    Martina wich dem Blick von Tanja aus: „Lass mal Tanja. Wir haben uns nur ein bisschen unterhalten. „Da stimmt was nicht Martina. So jemand wie Oliver taucht nicht einfach so auf einer Party auf, bei der es um Freiheit, Toleranz und Ausländer geht. Das stinkt zum Himmel. Entweder stimmt, was ich vermutet habe, oder er hat dir hinterherspioniert, regte Tanja sich auf. „Jetzt mach mal halblang. Das sind unbewiesene Verleumdungen. Pass mal auf, dass nicht ich dich deswegen anzeige. Und jetzt würde ich mich gerne mit Martina unterhalten, wenn du nichts dagegen hast, giftete Oliver Tanja an. Tanja sah Martina herausfordernd an, woraufhin diese zögernd sagte: „Geh doch schon mal vor, ich komm dann nach. Ich unterhalte mich noch ein bisschen mit Oliver.

    Tanja explodierte: „Ich glaub ich spinne. Kannst du knicken, dass ich auf dich warte. Da schlag ich

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