Das Riesen-Schupmannteleskop von Rathenow: Das größte Brachymdedial der Welt als Sackgasse und Höhepunkte der Technikgeschichte
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Rezensionen für Das Riesen-Schupmannteleskop von Rathenow
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Buchvorschau
Das Riesen-Schupmannteleskop von Rathenow - Susanne M Hoffmann
Kapitel 1
Die Geschichte dieser Geschichte
Auf dem Weg von einem Termin in Kiel zurück in meine Heimatstadt Berlin machte ich im Jahre 2006 einen Abstecher nach Rathenow, weil ich mich erinnerte, dass es dort „irgendein großes Fernrohr" geben sollte. Die Zeitschrift Sterne und Weltraum hatte etwa zehn Jahre zuvor darüber berichtet und jetzt bot sich die Gelegenheit, dieses Gerät einmal anzuschauen.
Wegweiser in der Stadt führten mich zu einem Schulhof und da man diesen an einem Wochenende nicht betreten konnte, nahm ich Kontakte zu den Verantwortlichen auf. Schon vom Zaun des Schulhofs aus hatte mich der große „Silberfinger" nachhaltig beeindruckt. Ich las nochmals nach und fand, dass es sich um einen sehr seltenen Typ, ein so genanntes Brachymedialfernrohr handelt. Die Rathenower luden mich zu einem Beobachtungsabend ein und ich schrieb 2008 darüber einen Artikel in der Zeitschrift Sterne und Weltraum (SuW). Die Rathenower schwärmen sehr von ihrem Riesenteleskop; die vielfach in der Optikindustrie tätigen Bürger der Stadt loben sein optische Güte und seine raffinierte Technik. In den Dokumentationen steht, dass es perfekt fehlerfreie Abbildungen des Himmels erzeugt, also alle optischen Fehler durch Korrekturoptiken aufgehoben werden. Man sagt, das Gerät sei von seinem Typ sei das Rathenower Gerät das größte seiner Art auf der ganzen Welt.
Das hatte nun endgültig auch das technikhistorische Interesse geweckt:
1. Was genau ist eigentlich ein Brachymedialfernrohr?
Wie platziert sich dieser Typ zwischen Linsen- und Spiegelteleskopen und in der Geschichte der Optik?
Welche bevorzugten Anwendungen ergeben sich aus dem Aufbau dieser Technik?
2. Warum steht ein so brillantes technisches Meisterwerk, das sogar eine Weltsuperlative sein soll, relativ ungenutzt auf einem Schulhof? Was ist seine Geschichte, wer war sein Erbauer?
3. Wenn die Technik so brillant ist, warum wird sie dann nicht flächendeckend in der professionellen Astronomie eingesetzt? Und wenn nicht dort, weil es sich (eher) um ein Linsenfernrohr handelt, warum erfreut es sich dann nicht (wenigstens) größter Beliebtheit unter Hobby-Sternguckern?
Im Folgenden wird daher zuerst einleitend die Entwicklung der Teleskope skizziert. Im ersten Kapitel wird ein Abriss der Entwicklung von Linsen- und Spiegelteleskopen präsentiert, der aufgrund seiner Kürze keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Hieraus sollte hervorgehen, wie sich die technische Entwicklung des Typs „Medialfernrohr" und darin insbesondere das Brachymedialfernrohr von den stärker verbreiteten Typen des gewöhnlichen Linsenteleskops (Refraktor) und des gewöhnlichen Spiegelteleskops (Reflektor) absetzt.
Im ersten Hauptteil wird dann die Geschichte des Rathenower Instruments erzählt: Wieso wurde es gebaut? Von wem wurde es gebaut? Woher kam der Konstrukteur und – ohne eine komplette Biographie schreiben zu wollen – was war das für ein Mensch; was motivierte ihn? Wie bettet sich seine Arbeit und seine Wirkung in den Kontext der Wissenschaft und technischen Entwicklung in der DDR ein? Liegt es etwa am diktatorischen System der späten DDR oder an der strikten Reglementierung deutscher Ingenieursarbeit durch die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Frühphase, dass Rolfs Gerät nicht global bekannt wurde – oder hat es andere Gründe? Wie war er in der Nachbarschaft und Öffentlichkeit engagiert, denn mit einem solchen Riesenteleskop im privaten Garten kann man sich ja nicht verstecken? Wie wurde sein technische Leistung in Rathenow rezipiert und welche Entwicklung nahmen seine – inzwischen denkmalgeschützten – Instrumente nach seinem Ableben 1991?
Der zweite Hauptteil erzählt die Geschichte des Rathenower Ingenieurs Edwin Rolf und eines seiner Fernrohre. Der Ingenieur wird anhand seiner Arbeit und der Zeitungsartikel über ihn charakterisiert, aber nicht sein Privatleben beleuchtet. An keiner Stelle erhebe ich den Anspruch, eine Biographie zu verfassen, sondern auch bei den Charakterisierungen des Konstrukteurs steht dabei der Bezug zu seinem Instrument im Vordergrund. Für diese Erzählstruktur gibt es mehrere Gründe:
Erstens gibt es keinen Nachlass, was die Arbeit des Historikers erschwert. Man kann höchstens versuchen, aus der Summe der Dokumentationen, technischen Befunde und durch die Oral History von Zeitzeugen ein Bild zu zeichnen. Da es laut Gesetzbuch (StGB § 189) verboten ist, das Andenken Verstorbener zu verunglimpfen, müssen natürlich alle Aussagen von Zeitzeugen als (wahrheitsgemäße) Berichte mit Auslassungen und Euphemismen betrachtet werden. Die Fragen an die Interview-Partner wurden dieser Situation entsprechend gewählt und die Gespräche sind hier auch nur paraphrasierend wiedergegeben.
Zweitens ist das Leben und Wirken des Ingenieurs Rolf erst wenige Jahrzehnte her und die modernere Geschichte seines Fernrohrs sogar nur wenige Jahre. Es gibt also überhaupt Zeitzeugen und viele Briefeschreiber, deren Manuskripte jetzt in den offiziellen Archiven liegen, leben noch und stehen teilweise auch noch im Berufsleben. Das versetzt die Arbeitsmethode dieser Geschichtsforschung sehr nahe an die des Journalismus. Nun geht es aber in dieser technikhistorischen Arbeit nicht darum, wie in der Bunten Presse irgendwelche Menschen zu diffamieren oder vorzuführen. Wir wollen hier ein wahrheitsgetreues Bild von den Entwicklungen zeichnen und dabei die beteiligten Personen nicht schädigen. Darum wird auch nicht jeder Zeitzeuge aktueller Entwicklungen alles erzählen, was er weiß. Das sollte aber in den Interviews ersichtlich sein.
In einem kritischen Abschlusskapitel wird die Frage des Untertitels dieser Monographie erörtert: Technisch ist das Fernrohr zweifellos eine Meisterleistung, also ein Höhepunkt der Optikgeschichte – aber warum wurde es nach dem erfolgreichen Bau des Rathenower Geräts nicht weiter entwickelt oder sogar in Serie produziert? Warum stellt das Instrument neben einem Höhepunkt also gleichzeitig eine Sackgasse der Technikgeschichte dar?
Den chronologischen Abschluss meiner Geschichte dieses Fernrohrs bildet meine eigene Dokumentation der Umsetzung des Instruments im Advent 2008. Hier arbeitete ich nicht als Historikerin, sondern als Journalistin für die HistorikerInnen, die sich in der Zukunft dieses Themas annehmen werden. Ich habe den Fortschritt der Arbeiten wöchentlich dokumentiert und war selbstverständlich bestrebt, dabei besonders objektiv zu sein.
Abbildung 1.1: Das Rathenower Brachymedial im Optikpark (Eberhard Rabe 2008).
Kapitel 2
Die Entwicklung des Medialfernrohrs
2.1 Was ist ein Teleskop?
Das Wort „Teleskop ist ein Fremdwort für „Fernrohr
, das sich von den griechischen Vokabeln τῆλε (fern) und σχοπός (Beobachter) ab, ein Teleskop ist also ein Fern-Beobachter – nicht zu verwechseln mit einem Fernseher (Television). Es bezeichnet eine Gruppe von Instrumente ganz verschiedener Bauart, mit denen ferne Objekte besser gesehen werden. „Besser" steht hier für eine Reihe von Abbildungseigenschaften: Zunächst vergrößert das optische Instrument das Bild des Objektes in unserem Auge. Abhängig von der Wellenlänge des eingestrahlten Lichts skaliert die Auflösung, die mit dem Instrument erzielt wird mit der Größe seiner Öffnung. Die Auflösung von fernen Objekten die (vielleicht nur scheinbar) nahe beieinander sind, verbessert zusätzlich die Information über das Betrachtete.
Grundsätzlich besteht ein Teleskop aus einer Licht sammelnden Optik und einem zweiten einem vergrößernden Bauelement. Die Vergrößerung wird meistens erst im Okular bewirkt und weil dieses austauschbar ist, kann man bei astronomischen Fernrohren normalerweise nicht „die" (einzige) Vergrößerung angeben. Es gibt ja beliebig viele, je nachdem, welches Okular man einsetzt. Die Vergrößerung ist also nur für eine konkrete Beobachtungssituation gegeben. Kenngrößen eines Fernrohrs sind daher erstens seine Öffnung, d.h. die Größe der Eintrittspupille und zweitens seine Brennweite.
2.2 Welche Typen von Teleskopen gibt es heute und für welche Zwecke?
Grundsätzlich unterscheidet man nach ihrer Bauart Reflektoren (Spiegelfernrohre) und Refraktoren (Linsenfernrohre). Astronomische Fernrohre haben als wichtigstes Ziel, möglichst viel vom Nachthimmel sichtbar zu machen: Man sieht zwar durchs Teleskop nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels, aber in diesem Ausschnitt sieht man auch sehr lichtschwache Objekte, die dem Auge andernfalls verborgen blieben. Ein Teleskop soll also in erster Linie viel Licht sammeln können, um möglichst viele der lichtschwachen Gestirne zu dokumentieren. Dazu braucht es in erster Linie eine große Öffnung.
Dieser letzte Teil ist bei jedem Fernrohrtyp gleich. Was sich ändert, ist, wie man das kleine helle Bild erzeugt. Das kann man nämlich
Abbildung 2.1: Linsenfernrohre sind in der Regel einfach aufgebaut: Eine große Linse „vorne, das so genannte Objektiv, sammelt das Licht und erzeugt ein verkleinertes, aber sehr helles Abbild des betrachteten Gesichtsfeldes. Dieses Abbild schauen wir uns durch eine „Lupe
an, die wir Augenstück oder lateinisch Okular nennen. Da die Refraktion wellenlängenabhängig erfolgt, sieht man mit diesem Gerät um helle Objekte (Sterne) Farbsäume (rechts).
auch mit einem oder mehreren Spiegeln tun oder mit einem komplizierten optischen System, wie dem hier vorgestellten.
Typische Spiegelfernrohre, die heute noch viel auf dem Markt sind, sind die Systeme nach Newton (Abb. 2.2) und nach Cassegrain (Abb. 2.3):
Jedes der genannten Systeme hat spezifische Abbildungsfehler. Auch diese möchte ich hier nicht en détail erklären,¹ sondern nur nennen, weil sie für das Verständnis der Genialität von Medialfernrohren notwendig sind: Linsen brechen das Licht wellenlängenabhängig, d.h. dass sich jede Farbe in einem anderen Brennpunkt sammelt. Der Brennpunkt des blauen Lichts liegt näher an der Linse als der des roten. Dieser Effekt ergibt unschöne Farbsäume um helle Objekte am Himmel.
Abbildung 2.2: Das Licht wird