Die Junghans Mysterieusen: die "schwingenden Uhren" der Uhrenfabriken Gebrüder Junghans 1910 - 1938
Von Rainer Conrad
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Über dieses E-Book
Das vorliegende Buch gibt eine umfassende Darstellung aller Aspekte, von der zugrundeliegenden Mathematik der Schwingung gekoppelter Pendel über ausführliche Reparaturanleitungen, Beschreibungen aller Junghans-Kataloge mit solchen Uhren bis zu einer umfassenden Foto-Dokumentation aller bekannten Schwingpendeluhren mit 190 Bildern - davon 100 in Farbe.
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Buchvorschau
Die Junghans Mysterieusen - Rainer Conrad
1 Geschichtliches
Zwischen 1910 und 1938 produzierte die Uhrenfabrik Gebrüder Junghans in Schramberg/Schwarzwald eine Serie von Uhren, die zunächst (in den Katalogen der Jahre bis 1911) unter der Bezeichnung „Pendeluhren, später, ab 1913, als „Pendel-Uhren
und von 1923 bis zum Ende der Produktion 1938 als „Schwingende Uhren, geschützte Junghans Spezialität" vermarktet wurden. Diese Uhren dienten als Ausstellungsobjekte und Blickfang für die Schaufenster der Uhrmacher und Uhrengeschäfte sowie der Junghans-Niederlassungen, aber auch zum Verkauf an Endabnehmer.
Worauf sich die Bezeichnung „geschützt" bezog, ist nicht klar, denn zu dieser Zeit waren bereits mehrere andere Hersteller mit Uhren des gleichen Funktionsprinzips (s.u.) am Markt vertreten. In der Tat geht die Geschichte von Uhren, die mit Hilfe eines versteckten Pendels arbeiten, weit ins 19. Jahrhundert zurück und ist mit einigen der bekanntesten Uhrmacher-Namen verbunden:
Emile Robert Houdin (1831 – 1883)
Ansonia (Model „Arcadia" von 1905) in den USA
(2)
Bild 1
Frainier Fils in Morteau, Frankreich (3)
Paul Hämmerle in der Schweiz.
Die im Folgenden beschriebenen derartigen Uhren werden auch als „Mysterieuse bezeichnet, dies sind – der Bezeichnung entsprechend – Uhren, deren Funktionsweise nicht unmittelbar erkennbar ist. Auch der Begriff „Schwingpendeluhren
wird häufig verwendet oder, im englischen Sprachgebrauch, „Swing- oder „Swinging-Clock
.
Die Junghans Mysterieusen, wie sie im Weiteren genannt werden sollen, bestehen aus zwei Baugruppen, der eigentlichen Uhr und der sie tragenden Figur, einer „Kunstgussfigur", wie sie von Junghans in den Katalogen genannt wird.
Die Uhren selbst wurden in fünf Varianten hergestellt, bestehend jeweils aus dem gleichen Uhrwerk in fünf unterschiedlichen Gehäusen (sh. Kapitel 5).
Die Kunstgussfiguren sind verschiedenen Bildhauern zuzuordnen. Es handelt sich um Abgüsse jeweils einer originalen Bronze-Figur, die wohl unter Lizenz des Künstlers hergestellt wurden. Die Figuren sind manchmal – jedoch keineswegs immer – signiert, oder, wie z.B. in Frankreich üblich, mit einem aufgenieteten Sockelschild mit Titel und Künstlernamen versehen.
Mit dem Anbieten der Mysterieusen in anderen Ländern passte die Junghans Uhrenfabrik auch die Trägerfiguren dem unterschiedlichen Publikumsgeschmack an und es wurden Werke ausländischer Bildhauer als Trägerfiguren für Junghans Pendeluhren verwendet.
Insgesamt sind so 29 verschiedene Kunstgussfiguren von Junghans verkauft worden (sh. Kap. 6), einige davon in mehreren Ausführungen.
Die möglichen Kombinationen dieser Figuren mit 5 Uhrentypen und derzeit 24 bekannten und dokumentierten Zifferblatt- und Uhrwerkssignaturen (sh. Kap. 5.3) ergibt somit ein weites Feld für interessierte Sammler. Nicht originale Kombinationen durch Paarung einer Junghans Uhr mit einer Fremd-Figur, die nicht in einem Junghans-Katalog dokumentiert ist, sollen hier nicht – oder nur beispielhaft - betrachtet werden.
2 Kunst und Technik
Die Kombination von Kunst und Technik begleitet die Entwicklungsgeschichte der Uhr von den Anfängen im 15. Jahrhundert bis heute. Von den großen Stand-Pendeluhren über die großartigen französischen Bronzeuhren (10) bis zu den Schwarzwalduhren mit ihren bewegten Figuren wurde stets versucht, aus dem „Technikobjekt Uhr ein Kunstwerk zu gestalten. Bis zur Einführung der Schwingpendeluhren bildeten solche kombinierten Uhren ein mehr oder weniger fest verbundenes, statisches Objekt: eine Uhr, eingebaut in ein Gehäuse, das mit Figuren verziert war. Bewegung war hier nicht (mit Ausnahme von Uhren mit „Automaten
, beweglichen Figuren) zu sehen, da das Pendel dieser Uhren häufig auch noch im Gehäuse versteckt war. Insofern wurde bei diesen Uhren die Uhr als originär technisches Gerät vorrangig zum Kunstobjekt.
Bei der Schwingpendeluhr ist dies anders: hier wird eine deutlich bewegte, schwingende Uhr auf ein statisches Kunstobjekt gehängt und der Blickfang des entstehenden Objektes ist eindeutig die Uhr und erst nachrangig die Kunstfigur.
Wenn man die Eindimensionalität der Betrachtung verlässt, stößt man unmittelbar auf das darunter liegende Problem der Vereinbarkeit von Kunst und Technik.
So muss man auch die Schwingpendeluhren im Kontext ihrer Entstehungszeit sehen.
Der an dieser Stelle üblicherweise beispielhaft erwähnte Leonardo Da Vinci, der zweifelsfrei ein Genius Universalis war, stellte noch alle seine technischen Zeichnungen in einer Zwischenform aus kunstvoller Grafik und Technikbeschreibung dar. Es ist hier zu berücksichtigen, dass zurzeit Leonardos der Ausbildungsweg auf dem Gebiet der Technik bis zum Erreichen der Grenze zum „Neuland" und damit zum Beginn der Kreativität ein sehr kurzer war. Die Möglichkeit, Künstler und Ingenieur gleichzeitig zu sein, war damit ohne weiteres gegeben.
Bereits zur Zeit von Christiaan Huygens – im Bereich der Uhren bestens bekannt und deshalb hier als Beispiel gebracht – stellte sich diese Situation ganz anders dar. Der technische Fortschritt hatte es zu dieser Zeit bereits unmöglich gemacht, die Grenzen des Bekannten und damit zur eigenständigen, kreativen Leistung auf beiden Gebieten aufgrund vollständiger Ausbildung zu erreichen. Immerhin war es noch möglich, das gesamte Gebiet der Technik und Physik zu überschauen. Damit war es Huygens möglich, die Pendelschwingung zu analysieren, für eine bestimmte Anwendung mathematisch zu vereinfachen und damit zu berechnen, sowie sie technisch anzuwenden.
Obwohl aber Huygens bereits das Phänomen der gekoppelten Schwingungen beobachtete (11), konnte er noch keine mathematische Bearbeitung dieser Beobachtung vornehmen.
Zum Ende des 19. Jahrhunderts, als die Schwingpendeluhren konstruiert wurden, waren Kunst und Technik bereits unterschiedliche Wege gegangen und hatten sich weit voneinander entfernt. Handlungsweisen und Zielsetzungen beider Gebiete waren unterschiedlich bis gegensätzlich. Frühe Spezialisierung im Ausbildungsweg der Menschen war notwendig geworden, um überhaupt Beherrschung eines Teilgebietes erreichen zu können. Somit bildeten sich auch bereits in frühem Alter Auftrennungen in Begabungsgruppen unter den Oberbegriffen künstlerisch oder technisch heraus. Die unterschiedlichen Zielsetzungen der beiden Gruppen lassen sich in konträren Begriffen ausdrücken:
Unikat - Reproduzierbarkeit
Verlassen des normierten Raumes – Normierung
zweckfreies Schaffen – zweckbestimmtes Denken und Handeln
usw.
Eine Vereinbarkeit der beiden genannten Gruppen ist daher kaum vorstellbar, trotzdem versucht Junghans, sowie andere Hersteller in vielen Bereichen auch, hier eine Brücke zu schaffen.
Was ergibt sich nun hieraus für scheinbar so simple Objekte wie einer Uhr auf einer Kunstgussfigur?
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass ein künstlerisch tätiger Mensch die Kombination eines Kunstobjektes mit einem alltäglichen technischen Gebrauchsgegenstand ablehnt, wohingegen ein technischer Mensch die Kombination eines technisch genialen Werkes mit einer schlichten, zweckmäßigen Aufhängung vorziehen würde. In der auf die Kunstperiode des Jugendstils der Jahrhundertwende folgenden Schaffensperiode des Art Deco wurde genau dieses zum Inhalt einer neuen Kunstrichtung, die einen großen Siegeszug durch Europa antrat.
Die folgenden Bilder sollen die Gegensätzlichkeit der künstlerischen und der technischen Aspekte verdeutlichen.
Es sind gegenübergestellt: eine Salome von Franz Iffland als Beispiel einer ausdrucksstarken Figur im reinen Jugendstil und das Uhrwerk einer Mysterieuse mit Kurzpendel und Federgehäuse, der sichtbare Ausdruck künstlerischen Schaffens gegenüber dem eher versteckten Ergebnis langwieriger Konstruktionstätigkeit und empirisch gefundener Wirkungsweise (Bilder 2 und 3).
Darunter ein Merkur von Giovanni Di Bologna aus der späten Renaissance