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Kampfkunst Kurzgeschichten: Sammelband 2022
Kampfkunst Kurzgeschichten: Sammelband 2022
Kampfkunst Kurzgeschichten: Sammelband 2022
eBook291 Seiten3 Stunden

Kampfkunst Kurzgeschichten: Sammelband 2022

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Über dieses E-Book

"Notwehr & Entschlossenheit" sind gefragt! "Meister & Rivalen" bestimmen die Ereignisse! Und Bonusgeschichten warten auf den Leser. In seinen bisher 23 veröffentlichten Kurzgeschichten präsentiert Konrad Gladius die facettenreiche Welt der Kampfkünste. Der Sammelband 2022 beinhaltet alle Beiträge aus dem Blog "Kampfkunst Kurzgeschichten" des Kampfkunst-Boards sowie die Bonusgeschichten der beiden Vorgängerbände. Das ideale Geschenk für jeden Kampfsportenthusiasten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum1. Okt. 2022
ISBN9783347674394
Kampfkunst Kurzgeschichten: Sammelband 2022

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    Buchvorschau

    Kampfkunst Kurzgeschichten - Konrad Gladius

    Notwehr & Entschlossenheit

    Party Hammer

    Die Musik klang gut, nur etwas zu laut, befand Claudia. In der zweigeschossigen, direkt am Rhein gelegenen Wohnung in der Kölner Altstadt fühlte sie sich jedoch wohl. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sich von ihrer Kommilitonin Anke auf diese halbprivate Examensparty mitschleppen zu lassen. Claudia hatte schon einige nette Leute kennengelernt und nun fiel ihr Blick auf einen jungen Mann ganz nach ihrem Geschmack. Rund 1,90 groß mit dunkelbraunen Haaren und einem ebensolchen Vollbart stach er aus der Gruppe der für sie potenziell infrage kommenden Kerle eindeutig heraus. Zudem verfügte er über breite Schultern, ohne dabei zu muskulös zu sein. Das sagte ihr schon mal zu. Mit einem vorteilhaften Rollkragenpullover zeigte er einen gewissen Stil, den sie an Männern schätzte.

    Claudia überlegte ihre möglichen Schritte. Nach der letzten Beziehungskatastrophe wollte sie eigentlich noch eine Weile Single bleiben. Aber irgendwie vermisste sie es schon, einen Mann an ihrer Seite zu wissen. Es galt also mal zu schauen, ob dieses Prachtexemplar auch von Nahem ihr Interesse zu wecken vermochte. Ohne ein vernünftiges Gespräch schlossen sich alle weiteren Aktivitäten aus.

    Die dreiundzwanzigjährige Blondine mit der drahtigen Figur einer Leichtathletin aktivierte ihr bewährtes Balzprogramm. Erst kurz den Blickkontakt suchen, dann lächeln und die blauen Augen nach einem Moment wieder abwenden, um mit jemand anderem zu sprechen. Gegebenenfalls war diese nonverbale Kommunikation einige Male zu wiederholen, um das gewünschte Resultat zu erreichen.

    Nein, diesmal brauchte Claudia keine großen Lockanstrengungen zu vollführen. Der Kandidat zeigte sehr schnell Interesse. Sie entschuldigte sich bei ihren Gesprächspartnerinnen, um noch einmal zum Buffet zu schlendern. Es galt dem Herrn die Gelegenheit zu geben, sie ungestört anzusprechen. Jackpot! Er wusste eine sich bietende Chance zu nutzen.

    „Von denen kann ich nicht genug bekommen", sagte er und deutete dabei auf die selbst gebackenen Käsestangen, die Claudia gerade probiert hatte.

    „Oh ja, die finde ich auch total lecker", erwiderte die Studentin und lächelte den jungen Mann an.

    „Die hat Nicole, die Freundin meines Bruders mitgebracht, sagte er. „Sie verrät aber einfach niemandem, wie sie die so hinbekommt.

    „Ist sicherlich ein Geheimnis", scherzte sie.

    „Ich bin übrigens Marc, der kleine Bruder vom Organisator hier."

    „Ich heiße Claudia und gehöre zu den Architektinnen."

    „Freut mich, dich kennenzulernen", sagte Marc.

    „Die Freude ist ganz auf meiner Seite", dachte sich eine zufriedene Claudia.

    ***

    In der folgenden Stunde wurde ihr Marc immer sympathischer. Er war 27, angehender Sportmediziner und ebenso wie sie begeisterter Leichtathlet. Es gab also viel zu erzählen und nicht nur, dass der Kerl auch von Nahem umwerfend aussah, er hatte zudem noch eine gehörige Portion Humor.

    Claudia gefiel allerdings nicht so sehr, wohin sich sein Blick häufig hinverirrte. Der wandere nämlich regelmäßig auf ihren Busen und in ihren Schritt. Mal gucken, fand sie in Ordnung, immerhin hätte sie Marc selbst gerne in Badehose gesehen. Aber ständig? Das nervte schon. Auch war sein Alkoholkonsum für ihren Geschmack etwas zu üppig. Claudia beließ es bei einem kleinen Cocktail und organisierte sich dann nur noch Cola. Marc hingegen sorgte dafür, immer ein Bier zur Hand zu haben. Das wiederum hatte zum Effekt, dass er stetig lockerer wurde, was der Studentin grundsätzlich sehr gefiel.

    „Wenn du Lust hast, zeige ich dir mal meine Wettkampffotos. Ich hab die oben auf dem Laptop", sagte Marc.

    „Der will dich nur mit hochnehmen, um rumzumachen, dachte sich Claudia. „Du kennst ihn ja kaum. So etwas hast du dich schon ewig nicht mehr getraut.

    Einen winzigen Moment zögerte sie. Da sie dem, was bald folgen könnte, aber nicht abgeneigt war, lautete ihre Antwort:

    „Okay."

    ***

    Marc hatte in der WG, die er mit seinem Bruder, dessen Freundin und noch einem Kumpel bewohnte, ein kleines Zimmer abbekommen. Claudia fiel sofort das breite Bett auf, das links neben dem Schreibtisch mit dem Laptop und dem zusätzlichen Monitor stand. Als sie Anstalten machte, zu dem Rechner zu gehen, hatte Marc bereits die Türe geschlossen und zog sie bestimmt an sich heran.

    „Hui, ganz schön stürmisch", sagte Claudia grinsend, die sich in keiner Weise gegen die Annäherung sträubte.

    Marc begann sie zu küssen und auch die junge Frau erwiderte diese Zärtlichkeit. Seine Alkoholfahne war nicht gerade förderlich für ihren Genuss, aber ansonsten fühlte es sich gut und richtig an. Sie küssten sich beide mit stetig wachsender Leidenschaft. Seine Hände wanderten langsam über ihren Rücken bis zu Claudias Hintern. Das empfand sie durchaus als angenehm. Sie merkte, wie ihr derartige Berührungen durch einen Mann gefehlt hatten. Dann fasste er unter ihre Bluse und fand die richtige Art, sie zu verwöhnen. Spätestens in diesem Moment war ihr klar, wie weit er gehen wollte und dass dies auch ihrem eigenen Willen entsprach.

    „So schnell mit einem Typen ins Bett gehen? Das ist doch sonst nicht deine Art, dachte sich Claudia. „Auf der anderen Seite: Du hattest jetzt seit einem halben Jahr keinen Sex mehr. Eine kurze Affäre könnte genau das Richtige sein, um über den letzten Kerl hinweg zu kommen. Lass es also mal geschehen …

    ***

    Komplett ausgezogen und im matten Licht einer Nachttischlampe hatten sich Claudia und Marc in Stimmung gebracht. Schließlich drückte er sie sanft aufs Bett und legte sich vorsichtig auf seine Partnerin. Die Studentin hielt die Beine aber noch geschlossen.

    „Moment, Großer, sagte die erotischste Stimme, die in diesem Augenblick über ihre Lippen kommen konnte. „Hast du nicht was vergessen?

    „Was?", fragte Marc leicht genervt.

    „In einem Kondom würde mir dein bestes Stück noch mehr gefallen", säuselte Claudia, um den Moment nicht zu gefährden.

    „Nimmst du etwa nicht die Pille?!", bluffte er ihr vorwurfsvoll entgegen.

    „Doch, aber wir kennen uns kaum und da gibt es für mich Sex nur mit Kondom", antwortete Claudia nun auch etwas genervt.

    „Hey, also echt jetzt. Süße! Denkst du etwa, ich hätte irgendeine komische Krankheit?, fragte Marc. „Ich hasse Kondome. Das ist, als ob man in eine Plastiktüte onanieren würde.

    „Sicher ist sicher, sagte Claudia fest. „Ich kann mich nicht entspannen, wenn ich nicht weiß, ob es gefährlich ist.

    „Ganz ehrlich, ich habe nix, wiederholte Marc. „Ohne macht es dir doch bestimmt auch viel mehr Spaß. Sonst würdest du ja nicht die Pille nehmen, oder?

    „Ziehst du dir nun was über oder müssen wir das hier kurz vor der Startlinie noch sein lassen?", gab Claudia zurück und machte Anstalten sich unter Marc wegzurollen.

    „Du lässt mich jetzt nicht mit so einem Ständer hier sitzen!, fauchte Marc zornig. „Eine, die mich aufgeilt, macht gefälligst auch die Beine breit!

    Dann versuchte er, Claudia recht rabiat wieder auf den Rücken zu drücken.

    ***

    Da legte sich ein Schalter in Claudias Kopf um. Sie wollte schon mit dem Kerl schlafen, aber eben nicht ohne Kondom. War sie etwa im Begriff ein Vergewaltigungsopfer zu werden? Etwas tief in ihr sagte, was ihre Stimme zornig hervor schrie:

    „Nein!"

    Ihre Rechte schnellte vor und landete mit der Handfläche in Marcs Gesicht. Sie drückte seinen Kopf zur Seite, zog ihre Knie an und brachte das rechte Schienbein vor seinem Brustkorb in Stellung. Das linke Bein hakte sie mit der Hacke am Rücken ihres Gegners ein.

    „Du Schlampe!", brüllte Marc und versuchte, ihre Beine mit seinen Händen auseinanderzureißen.

    Damit verspielte er, ohne es zu ahnen, seine Chance, die Sache für sich problemlos zu beenden. Claudias Rechte fuhr zurück und wurde zur Deckung vor ihrem Kopf. Dann schlug ihre linke Faust mit der Handkante krachend auf seiner Nase ein. Dieser Hammerfaust folgte eine zweite mit der Rechten, die genau das linke Auge des Angreifers traf. Claudia stemmte nach diesem Treffer ihr Becken ruckartig hoch. Eine direkt folgende schnelle Hüftdrehung beförderte den angeschlagenen Marc aus dem Bett, sodass er gegen seinen Kleiderschrank krachte.

    Claudia hechtete auf der anderen Seite von der Schlafstätte hinunter. Blöder vermochte eine Gefahrensituation nicht mehr zu sein: Sie selbst splitternackt mit einen neunzig Kilo Gegner im gleichen Zimmer. Wenn sie jetzt überstürzt raus rannte, wäre sie sicherlich im Evakostüm auf einigen Handyvideos zu sehen.

    „Verdammte Scheiße!", schrie sie.

    Beim Ausziehen hatten weder Marc noch sie darauf geachtet, wo die Klamotten hinflogen. Mit vor dem Körper gehaltenen, offenen Händen sicherte sie in Richtung des stöhnenden Zimmerbewohners und orientierte sich rasch. Ihre Jeans lag auf halb links gedreht zu ihren Füßen und ihr Esprit-Unterhemd hing zerknüllt über dem Schreibtischstuhl.

    Claudia bückte sich und schüttelte die Hose auf die richtige Seite. Sie war gerade mit einem Bein darin, als Marc wieder in die Senkrechte kam. Zorn war in seinem Gesicht zu sehen. Er würde sie sicherlich nicht ohne Widerstand aus dem Zimmer lassen.

    „Du gehörst mir!", brüllte er und stürmte mit zwei schnellen Schritten auf Claudia zu.

    Die Studentin hatte die Jeans noch nicht zugeknöpft, da packten Marcs kräftige Hände sie am Hals und sie spürte, wie er ihr die Blutzufuhr zum Gehirn abdrückte. Sofort nahm sie ihr Kinn runter, um den Kehle zu schützen. Ein natürlicher Reflex, den zu verstärken sie sich antrainiert hatte. Nun musste sie ihn anwenden. Mit zu Haken gekrümmten Fingern hängte sie sich an Marcs Arme. Durch einen schnellen Impuls riss sie seine Handgelenke nach außen, um den Druck auf ihren Hals zu verringern und feuerte ihren besten Fußballtritt direkt vor, in Richtung der Manneskraft des Angreifers.

    Was in ihrem Selbstverteidigungstraining bisher immer geklappt hatte, scheiterte in der Realität. Zwar vermochte sie die drahtigen Arme für einen Moment zu lösen, aber da Marc sie nach rechts zu seinem Bett riss, verfehlte ihr Tritt das eigentliche Ziel und traf sein Schienbein. Schmerzhaft knickte ihr großer Fußzeh ab.

    „Feuer! Feuer!", brüllte Claudia in der Hoffnung, dass ihr Alarmruf auch über die laute Musik im unteren Stockwerk der Wohnung gehört werden würde.

    „Der Kerl bringt mich um!", schoss es ihr durch den Kopf.

    Da gab sie sich in den adrenalingestreckten Sekunden dieses Kampfes selbst ein Versprechen:

    „Ich gehe heute nach Hause und ich bin bereit, alles dafür zu leisten, damit es auch passiert! "

    Beide Hände der Studentin schnellten vor. Ihre Finger und Handflächen zielten an Marcs Schläfen vorbei, doch mit ihren Daumen beabsichtigte die Verteidigerin, seine Augen zu treffen. Der Angreifer riss jedoch seinen Kopf herunter, sodass Claudias Fingernägel durch seine Haare gegen den Schädel schlugen. Der Studentin, die immer noch im Würgegriff steckte, drohte schwarz vor Augen zu werden, aber da warf Marc sie zurück aufs Bett und ließ dabei ihren Hals los. Blitzschnell drehte sie sich auf den Rücken und brachte die Beine zwischen sich und ihren Angreifer. Ohne es zu beabsichtigen, fasste sie mit der Linken kurz nach ihrem Hals. Die rechte Hand führte sie wieder zum Schutz zurück an ihren Kopf. Auf den Knien war der nackte Möchtegernvergewaltiger nun auf dem Bett angekommen.

    Claudia verschwendete keinen Gedanken daran, dass sie eigentlich mal gelernt hatte, schon geringe Gegenwehr würde für gewöhnlich ausreichen, so einen Typen zu verjagen. Sie hatte wohl das große Los gezogen einen zu finden, der sich sein vermeintliches Recht zu erkämpfen suchte. Aber nicht mit ihr.

    „Feuer! Feuer!", brüllte sie wieder mit noch immer leicht erstickter Stimme.

    Auch wenn Marc wirklich entschlossen ihre Beine zu greifen versuchte, vermochte Claudia ihn mit den Tritten auf Distanz halten. Dann schaffte er es jedoch, ihren rechten Fuß zu packen, und hielt ihn mit beiden Händen fest. Claudia zog ihr rechtes Bein zu sich heran und zielte gleichzeitig mit einem gestoßenen, links ausgeführten Tritt gegen Marcs Kinn. Treffer! Der hatte gesessen!

    Marc taumelte zurück und fiel am Fußende aus dem Bett. Claudia rollte sich zur Bettseite heraus und brachte sich wieder in Kampfposition.

    „Feuer! Feuer!", schrie sie ihre Verzweiflung hinaus.

    Tränen füllten die Augen der jungen Frau. Der Kerl hatte immer noch nicht genug und war erschreckend schnell wieder auf den Füßen. Dadurch versperrte er Claudia auch den Fluchtweg aus dem kleinen Zimmer. Zumindest konnte sie nun ihre Jeans richten, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, bevor sein nächster Angriff kam.

    ***

    Erneut stürmte er mit erhobenen Pranken auf sie zu, um ihren Hals zu packen. Claudias Hände schnellten vor und klatschten gegen seine Arme. Ihren Tritt sah er nicht kommen. Diesmal traf dieser sein Ziel zwischen den Beinen ihres Gegners.

    Doch er fiel nicht. Offenbar hatte ihn sein Alkoholspiegel schmerzunempfindlich werden lassen. Die Hoffnung der jungen Frau auf ein schnelles Ende der Gefahr erstarb. Seine Rechte rauschte als Maulschelle heran, kräftig genug, um Claudia den Kopf von den Schultern zu donnern.

    Die Studentin, immer noch fest entschlossen, nicht in diesem Zimmer zu sterben, riss ihren linken Ellenbogen zur Abwehr hoch und Marcs Unterarm knallte gegen dessen Spitze. Claudias folgende rechte Hammerfaust traf ihn am rechten Auge und drehte dadurch seinen Kopf leicht nach links. Mit vollem Körpereinsatz und einer explosionsartigen Hüftdrehung krachte ihre linke Hammerfaust gegen die rechte Kieferaufhängung ihres Gegners. Claudia hörte ein deutliches Knacken und sah, wie Marcs Kopf von dem Impuls des Schlages herumgerissen wurde. Sein Körper folgte dieser Bewegung. Hart schmetterte der Mann an ein Bücherregal, dessen Einlegeböden ob der Wucht nachgaben. Mit lautem Krachen stürzte Marc zu Boden.

    Der Fluchtweg der Studentin war nun frei. Sie stieß die Tür auf und lief aus dem Zimmer.

    „Feuer! Feuer!", rief sie.

    Schnell hafteten alle Blicke auf ihr. Sie stürmte die Stufen in den unteren Teil der Wohnung hinab. Jetzt besann sich Claudia, dass sie nur eine Jeans trug, und legte die Hände auf den Oberkörper.

    „Was? Wo?", fragte ihre Freundin Anke, die als Erste reagierte.

    „Marc! Er … er wollte mich vergewaltigen, stieß Claudia hervor und spürte nun, wie sie am ganzen Leib zitterte. „Ruft sofort die Polizei!

    Anke reichte Claudia ihre Weste und nahm sie in den Arm. Eine andere Kommilitonin wählte auf ihrem Smartphone die 110.

    ***

    Die Party war vorbei. Es hatte einen richtigen Tumult gegeben. Bis die Polizei eintraf, bildeten sich zwei Lager. Eines bestand aus Freunden von Marc, die ihm zur Seite sprangen und eine Variante der Ereignisse erzählten, die ihn als das Opfer einer vollkommen hysterischen Feministin darstellten. Der überwiegende Anteil der Partygäste glaubte jedoch Claudias Version, die sie auch gerade einer freundlichen, schwarzhaarigen Polizistin Ende dreißig in der Polizeistation zu Protokoll gegeben hatte.

    „Alle Achtung, sagte diese anerkennend. „Sie haben sich wirklich entschlossen zur Wehr gesetzt. So etwas erleben wir hier in ähnlichen Fällen leider viel zu selten.

    „Was passiert jetzt?", fragte Claudia.

    „Das geben wir nun an die Staatsanwaltschaft, erklärte die Polizistin. „Ich würde mal sagen, da Aussage gegen Aussage steht, wird man Ihnen die Notwehr zugestehen, auch wenn der Kerl mit einem gebrochenen Kiefer und einer schiefen Nase herumlaufen wird. Nur darauf hoffen, dass ihm allzu viel passiert, würde ich nicht. Der bekommt höchstens einen Strafbefehl.

    Claudia nickte. Etwas enttäuscht fühlte sie sich schon, ob der Aussicht, dass der Angreifer nicht gleich hinter Schloss und Riegel kommen würde. Die Genugtuung, kein Opfer einer Gewalttat zu sein, stimmte sie jedoch milde.

    „Darf ich Sie noch eine Sache fragen? Aus reiner Neugierde und nicht dienstlich?", meinte die Polizistin nach einem kurzen Moment.

    „Äh, ja."

    „Wo haben Sie gelernt, sich so zu verteidigen?"

    „Oh, ich lerne seit zwei Jahren israelische Selbstverteidigung. Mein Trainer unterrichtet Krav Maga und KAPAP. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal anwenden muss."

    „Verstehe. Diese Stile üben ein paar meiner Kollegen auch. Hat sich definitiv gelohnt. – Bei Ihnen meine ich."

    „Ja", sagte Claudia.

    „Wie kommen Sie jetzt nach Hause?"

    „Ich rufe mir ein Taxi. Das war genug Ärger für heute."

    „Das ist sehr vernünftig, erwiderte die Polizistin. „Man sollte besser kein Risiko eingehen.

    „Wie recht Sie damit haben", sagte Claudia.

    Gedanken

    Für meine erste, im Januar 2018 auf dem Kampfkunst-Board veröffentlichte Kurzgeschichte hatte ich bewusst etwas aus der Frauenselbstverteidigung genommen. Den geübten Stil und den Titel hielt ich zunächst noch offen. Zu jenem Zeitpunkt war der KKB-Blog deaktiviert. Einige Nutzer hatten dort Dinge hineingeschrieben, welche eigentlich ins Forum gehörten. Ich eröffnete also im Medienbereich ein neues Thema. Der erste Teil erschien und bekam durchaus positive Rückmeldungen. Ebenso ließ jedoch auch negative Kritik nicht auf sich warten.

    Zu Erläuterung schrieb ich damals:

    „Mir ist wichtig, dass es hier weder um Sex- und Gewaltfantasien geht, noch darum, angehende Sportmediziner zu verunglimpfen. Die erste Kurzgeschichte soll eine Notwehrsituation zeigen, in die eine junge Frau überraschend gekommen ist. Ich möchte hier nachvollziehbar darstellen, wie eine eigentlich entspannte Situation urplötzlich eskalieren kann."

    Bei den folgenden beiden Teilen erhielt ich sogar einen sehr konstruktiven Vorschlag für eine Änderung, die ich umsetzte. Ansonsten gab es viel humoristisches, verbales Sparring zu diesem Erstling. Und zumindest ein Eintrag ermutigte mich, direkt weiterzuschreiben. Jetzt, viereinhalb Jahre später, erkenne ich an der ursprünglichen Version deutlich, wie sich mein Schreibstil weiterentwickelt hat. Für den ersten Sammelband habe ich sehr viele Änderungen vorgenommen und sicher wird der eine oder andere KKB-Nutzer die Unterschiede bemerken.

    Der Name dieser Kurzgeschichte ist übrigens von der dort angewendeten Schlagtechnik „Hammerfaust" inspiriert.

    Fäuste tanken

    Es war stockfinster und die Digitaluhr des Autoradios zeigte „6:28" an. Wolfgang tippte schnell mit den Fingern der rechten Hand gegen das Lenkrad. Er hatte eine weite Strecke vor sich. Bis nach Düsseldorf waren es an jenem kalten Januarmorgen insgesamt zweieinhalb Stunden zu fahren. Der zwanzig Jahre alte Kfz-Mechaniker tourte zum ersten Mal ohne Begleitung zu einem Wettkampf. Intensive Bitten hatten nicht ausgereicht, um seine Vereinskameraden zum Mitfahren zu bewegen. Trotzdem war Wolfgangs Motivation so groß, dass er die weite Strecke alleine fuhr. Er rechnete zwar nicht mit einem Siegerpokal, doch eine Platzierung im oberen Drittel war realistisch. Leider hatte sein Trainer Mehmet keine Zeit, ihn zu begleiten. Eine dringende Familienangelegenheit war ihm dazwischen gekommen. In den vergangenen Wochen hatte Wolfgang im Training aber alles erhalten, was er brauchte, um optimal vorbereitet zu sein. Mehmet organisierte zudem, dass sich ein befreundeter Trainer beim Turnier um seinen Schützling kümmern würde. Dafür war ihm der junge Mann sehr dankbar.

    Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr den Zubringer zur Umgehungsstraße entlang. Heavy Metal-Klänge drangen aus den Boxen des Kleinwagens. Wolfgang beschleunigte und seine Gedanken fokussierten sich auf das Turnier. Seit fünf Jahren trainierte er schon Kickboxen. Sein großes Vorbild war Weltmeister Rico Verhoeven. Der niederländische Schwergewichtler verkörperte alles, wonach Wolfgang selbst strebte. Mehmet half dem

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