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Pipis und Sieben: ein Buch in zwei Versionen: Weiblich/Männlich
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eBook269 Seiten3 Stunden

Pipis und Sieben: ein Buch in zwei Versionen: Weiblich/Männlich

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Über dieses E-Book

Im dreifachen Spiegel verschiedener Zeiten erscheint die Hauptfigur "Sieben Pöpl" zwischen Traum und Wirklichkeit, todbringender Demütigung und selbstheilender Auferstehung. Es ist eine turbulente und dabei tragikomische Liebes-geschichte, in der die Untiefen der Sexualität mit den Kulturkräften ehelicher Treue und behütender Zartheit konvulsivisch zusammenprallen und dunklen Verrat und unendliche Peinlichkeit ins Tageslicht vordringen lassen. Leserinnen und Leser können lachen, weinen, trauern, wütend werden, verachten, loben, verzweifeln, aber auch ahnen, was wahre Liebe sein könnte.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum16. Juni 2021
ISBN9783347347458
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    Buchvorschau

    Pipis und Sieben - Kai Hortiensis

    Sieben

    Männliche Version

    Der Wanderer

    In einer kleinen Stadt in Niederbayern lebte im vergangenen Jahrhundert ein Mann, den man den Wanderer nannte. Ältere Leute nannten ihn auch den Dazugezogenen und wollten wissen, dass er vor einem halben Jahrhundert aus Norddeutschland hierherkam. Die ihn etwas näher kannten, wussten, dass er Sieben hieß, und eine ganz alte Frau glaubte sogar seinen Nachnamen zu wissen: „Pöpl. Ganz sicher allerdings war man sich da nicht, denn der Name stammte von einem Zettel, den ein Kind vor langer Zeit versehentlich oder absichtlich aus seiner kleinen Dachkammer, in der er wohnte, mitgehen ließ. Der Zettel war eigentlich einer Seite aus einem Manuskript, und war, wie das Wort sagt, handgeschrieben. Scheinbar entstammte der Text einer Liebesgeschichte, in der eine gewisse Sabine ihren Freund und Liebhaber so nannte. Damit neckten ihn die Leute gerne, solange er sich darüber ärgerte, aber schließlich war das für den Wanderer kein Grund zur Übellaunigkeit mehr, und so hieß er nun Sieben Pöpl, obwohl sein Name „Siegbert Böbel war. Irgendwann hatte er das wohl selbst schon vergessen.

    Eines Tages hatte den Wanderer niemand gesehen und auch den nächsten und übernächsten Tag nicht. Das war ungewöhnlich, denn wenn er auf seine Wanderschaften ging, sahen ihn immer wenigstens einige der sehr frühen Frühaufsteher mit seinem großen Hut und dem dazugehörenden Knotenstock durch das Städtchen gehen und im Wald verschwinden. Erst als ein paar Wochen seit seinem Verschwinden vergangen waren, fing man an, sich Gedanken zu machen. Das galt vor allem für seine Zimmerwirtin, eine immer schwarz gekleidete hochbetagte Frau, die zwar daran gewöhnt war, dass Sieben gelegentlich ein paar Tage weg blieb, aber doch nicht Wochen.

    Sie fragte alle Nachbarn, ob sie Herrn Pöpl gesehen hätten, sogar auch den Bauern, der seinen nahe gelegenen Schweinezuchthof noch immer in der Stadt betreiben durfte. Das wohl vor allem nicht aus Gründen der Gnade, sondern aus touristischen, denn die Stadt war ein kleiner Kurort, in dessen Mitte ein berühmtes Denkmal stand, das man „Die Schweinemagd" nannte.

    Es war ein hübsches Werk zu Ehren einer jungen Frau, die, als es noch Mägde und Knechte auf den Höfen der Bauern gab, als Kleinmagd hier an dieser Stelle mit Schweinen verschiedener Rassen gehandelt hatte. Sie trug ein niedliches schwarz befelltes Ferkel auf dem Arm, das sie offensichtlich liebkoste.

    Alle Nachforschungen der Zimmerwirtin (und viel später auch der Polizei) blieben erfolglos, und schließlich fasste sie Mut, und zusammen mit ihrem auch schon in die Jahre gekommenen Sohn, den sie extra herbeirufen ließ, schloss sie die Tür zu Siebens Dachkammer auf. Gott sei Dank fanden sie ihn dort nicht, und schon gar nicht tot, was beide befürchtet hatten; dafür allerdings eine Unmenge Papier. Auf seinem Tisch stapelte sich das wie bei Gericht die Akten; sie hatten das - damals noch schwarzweiß - im Fernsehen gesehen. Aber auch die Schränke und Regale waren voll davon. Das Papier war allerdings nicht einfach Papier, es war beschriftet, meistens mit der Hand, vieles aber auch mit der Schreibmaschine, einem alten Olympia-Modell, das inmitten der Papierstapel auf dem Schreibtisch stand.

    Ehrfurcht erfasste die beiden. Was sollten sie tun? Schließlich liefen sie zum Stadtarchivar und berichteten ihm von dem seltsamen Fund. Der Archivar glaubte indes, Besseres zu tun zu haben als sich um die Papiere eines Zugezogenen zu kümmern und übergab die Sache der Stadtschreiberin Solveig Münther. Die mühte sich selber gerade mit ihrem literarischen Erstling ab, fand sich aber, als sie Näheres erfuhr, wie eine vor Faszination brennende Satellitenarchäologin auf die Spur gesetzt und konnte es nicht erwarten, mit der Nachlass-Sichtung des Herrn Pöpl zu beginnen.

    Was sie fand, war wirklich bemerkenswert. Sie sichtete einen Schatz aus intellektuellem aber auch aus literarischem Herzensgold: Ausgedehnte Forschungen zur Heimatkunde, die Herr Pöpl auf seinen bildhaft reich beschriebenen Wanderungen akribisch betrieben hatte, ferner Forschungen zur Musik, und sogar eigene Kompositionen. Das Beste aber, so schien es ihr, waren mehrere Romane. Solveig Münther versank in den Papieren und las und las, bis man sie buchstäblich davon wegzog. Aber das konnte sie nicht von den Büchern trennen. Sie hatte vorgesorgt und bereits nach Hause mitgenommen, was sie mitnehmen konnte. Dort las sie nun alle Romane in einem durch. Dann stand ihr Entschluss fest: Solveig wollte nun auch andere Menschen an diesen Werken teilhaben lassen. Es gelang ihr, einen Verlag für die knapp vierzigtausend Seiten zu gewinnen, der sich dieses Riesenwerkes annahm und tatsächlich Bücher für seine verschiedenen Sparten davon herstellte. Eines davon, ein Roman, hieß „Sieben Pöpl". Für diese Großtat, der ihr eine Belohnung hätte einbringen müssen, wurde ihr als Stadtschreiberin gekündigt.

    Der Wanderer, der in Fürz bis zu seinem Verschwinden „Sieben Pöpl" genannt wurde, beschreibt in seinem gleichnamigen wahrscheinlich autobiographischen Buch, wie Sieben zu seinem despektierlichen Namen kam - aus ganz anderen Gründen als bei ihm in seinem wahren Leben selbst -, welche Landschaften er durchwanderte und welch unterschiedliches Brauchtum er kennenlernte. In all das hatte der Autor eine Geschichte unerfüllter Liebe zu einer jungen Bäuerin eingeflochten, die mit ihren

    Eltern eine Schweinezucht mit verschiedenen Rassen betrieb und auch, dass diese Bäuerin eins von den Tieren, ein schwarzes, besonders liebte. Weniger hingegen liebte sie ihren Mann, der Bücher schrieb, von denen sie nichts wissen wollte, ja verabscheute und als Konkurrenz zu sich erlebte. Das war zweifellos schwierig, hinderte die beiden jedoch nicht daran, sich immer wieder lustvolle Stunden im Bett zu gestatten.

    „Unglaublich" befand Solveig, als sie das las. Nichtsdestoweniger konnte sie nachfühlen, dass Sabine in dieser Beziehung unerfüllt war, und auch als sie las, dass Sabine ihre seelische Lücke dadurch auszufüllen versuchte, dass sie sich heimlich anderen Männern hingab. Das erschien Solveig, die für Sabine Partei ergriff, richtig und gerecht zu sein. Aber als Solveig las, dass Sabine sich endlich von ihrem Mann trennte und mit einem jüngeren und wesentlich hübscheren zusammenkam, jauchzte Solveig geradezu, so sehr hatte sie sich in die Geschichte eingelebt und dabei gefühlt, dass Sabines Lebenswandel kein gutes Ende nehmen würde.

    Dieses Buch, das längst nicht mehr verlegt wurde, fand ich, als Namensvetter des Sieben, 50 Jahre später zufällig in einem Antiquariat. Auf der Rückseite stand, wie es zu diesem Buch gekommen war. Wie Solveig vor langer Zeit las ich es in einem Zug durch und fand zwischen meinem Leben mit meiner Freundin Sabrina und dem Leben des vom Wanderer beschriebenen Paares Sabine und Sieben mancherlei Ähnlichkeiten. Sogar die Verballhornung meines und seines Namens Siegbert Böbel hatten sich die beiden Frauen Sabine und Sabrina geleistet. Ich war erstaunt und fasziniert zugleich und dachte: „Hoffentlich, lieber Siegbert, der du sicher schon tot bist und das Elend schon hinter dir hast, ging es dir mit deiner Sabine nicht ganz so schlimm wie mir mit Sabrina.

    Nicht lange danach hatte ich einen schweren Autounfall, den ich sehr knapp überlebte. Der unerklärliche Zusammenprall mit einer alten Korkeiche schleuderte mich in ein vielmonatiges tiefes Koma, und ich fiel und fiel und fiel immer tiefer in die Unendlichkeit ungeahnter Traumwelten.

    In diesen offenbarte sich etwas für mich sehr Neues. Schon immer hatte ich Musikträume, manchmal sogar waren es ganze Orchesterwerke, die ich im Wachbewusstsein auszuarbeiten bemüht war. Auch kamen mir, während ich schlief, gelegentlich Geschichten - oft im Märchenkleid - in den Sinn. Aber jetzt geschah es, dass ich im Traum mit großer Faszination und endlich ungestört von der Mühsal des alltäglichen Lebens ein ganzes Buch schrieb, an das ich mich nach meiner Genesung fast Wort für Wort erinnern konnte und es dann auch mit mancherlei Ergänzungen zu Papier brachte.

    Das Traumbuch

    Die Ankunft des Schweins

    „Morgen früh um 7 Uhr findet Ihre Enthauptung statt". Es war egal, wie die Stimme klang, die das sagte. Mein Körper wurde starr, fing dann aber heftig zu zucken an, als sich etwas Kaltes und Nasses klatschend auf meinen Hals legte. Das also war der Tod. Ich erwachte. Ruckartig setzte ich mich auf und griff nach oben. Ein Schauer durchfuhr meinen Körper. Wo war mein Kopf? Es dauerte, bis ich den Mut hatte weiterzudenken. Irgendwann fiel mein Blick auf ein tiefrot gefärbtes nasses Ahornblatt in meiner rechten Hand. Ich war nur noch Schmerz und fiel und fiel, und dieses Fallen wurde immer schneller, geriet in ein nie erlebtes Rasen und schleuderte mich in die schwarzen Tiefen des Weltraums. Der ewige Schlaf umfing mich als etwas Grundvertrautes, bis auch das erlosch.

    Es war ein diesiger Morgen im Herbst. Das Fenster stand offen und Nebel wehte herein, beinahe „schelmenzünftig wie in Zettels Traum. Gott sei Dank, meine Erleichterung war riesig. Ich schaute nach links. Dort lag halbnackt meine schöne junge Frau und schlief. „Meermuscheln lippten …, würde Arno Schmidt bei diesem Anblick vielleicht schreiben. Ein Glücksgefühl durchströmte meinen Körper. Plötzlich bemerkte ich, dass ich fror. Noch sitzend drehte ich mich langsam weiter zu ihr hin und wollte sie bedecken. Da öffneten sich ihre Augen, und sie sagte fest und gänzlich klar: „Ich will ein Schwein. „Wie, was? „Ja, ein Schwein. „Erstmal guten Morgen, Diana, hörte ich mich etwas verwundert sagen. „Lenk nicht ab, erwiderte meine Freundin, die mir, wie mir nun wieder einmal schien, vom Schicksal gütig zugedacht worden war - auch und gewiss zwecks inneren Wachstums meinerseits, wie ich oft meinte ahnen zu sollen. „Ich will ein Schwein, und das weißt du. Nun saß sie ebenfalls aufgerichtet im Bett und bereit, ihr seltsames Begehren durchzusetzen. „Wirklich ein Schwein? Und ich soll das wissen? „Ja natürlich!, hörte ich sie mit Nachdruck sagen. Mir kam ihr Wunsch allerdings keineswegs natürlich vor, ganz und gar nicht, sondern ziemlich verrückt. „Meinst du vielleicht ein Meerschwein?, fragte ich vorsichtig. Sie verdrehte nur ihre hübschen blauen Augen. In diesem Augenblick schlug die Turmuhr siebenmal. Die Zeit stimmte. Unwillkürlich dachte ich an meine Enthauptung. „Wo soll das Schwein denn wohnen? „Natürlich bei uns, in unserer Wohnung. Sie erhob sich aus dem Bett. Rilkes Zeilen aus einem ursprünglich seiner angebeteten Lou zugedachten Gedicht durchfuhren mich: „Wie Monde stiegen klar die Knie auf und tauchten in der Schenkel Wolkenränder. Kann man es besser sagen? Und weiter rilkisch gesteigert: „Wie ein Bestand von Birken im April warm leer und unverborgen lag die Scham. Da gab es nichts als meine Diana, groß und wunderschön, wie die Natur sie geschaffen hatte. Meine Höhenflüge endeten ikarusartig mit ihrem Satz: „Manche haben einen Hund, und wir eben ein Schwein. Ich sagte erstmal nichts weiter. Mir kam das Ganze noch weniger natürlich vor als ihr Wunsch, ein Schwein zu besitzen, aber ich wusste zugleich, sie würde mich nicht von ihren Strumpfbändern lassen.

    Die Bestätigung dieses Wissens ereilte mich auf der Straße vor unserer Wohnung, auf der sie mir mit ihrem korbbeschwerten Fahrrad entgegenkam. Ich spürte sofort eine seltsame Erregung - und tatsächlich: aus dem Korb blickte mich ein hübsches Ferkel an. Sie lachte ihr blitzendes Lachen, das noch kräftiger wurde, als sie mein verdutztes Gesicht sah.

    Aus heutiger Sicht im Wachbewusstsein erscheint mir das bisher Geschilderte völlig normal, jetzt, wo es die seltsamsten Ansichten inmitten pandemischer Zeiten gibt. So erzählte mir neulich eine junge Schülerin allen Ernstes - sie geht regelmäßig zum Reiten -, dass sie beabsichtigt, zusammen mit vielen Reitschüler-Innen und demnächst hoffentlich auch mit Tier- und Naturschutzverbänden für die Befreiung von Pferden zu demonstrieren. „Wie das?, fragte ich. „Nun, man muss sich klar machen, dass die PS-Kraft in den Motoren von Pferden stammt. Sie schaute aus dem Fenster. „Dort auf dem Feld kannst du einen großen Häcksler sehen. Der verfügt über tausend PS. Das bedeutet, dass tausend Pferde dafür sterben mussten. Und nun denk mal an die unendlich vielen Motoren in den unterschiedlichsten Fahrzeugen, z.B. in den Milliarden Autos auf der Welt, dann kannst du das ungeheure Verbrechen ermessen, das allein die Autoindustrie fortwährend verübt. Jeder fühlende Mensch sollte sich uns anschließen und mit uns demonstrieren."

    Was ist dagegen der verrückte Wunsch, ein Schwein in der Wohnung zu halten, oder gar gegen virale Irrsinns-Phantasien heute, die sich fälschlich als Theorien bezeichnen?

    Wie dem auch sei: Als mich das Tierchen aus dem Korb anblickte und grunzte, geschah es zu meiner Überraschung, dass ich mich - ich gestehe es frei - in das Ferkel traumtrunken verliebte. Es war im Kopf wie eine Kippfigur, bei der aus einer alten Kanne eine Frau wird. Hier nun wurde aus Abneigung angesichts der Vorstellung, ein echtes Schwein in der Wohnung zu haben, Liebe auf den ersten Blick. Ich konnte nicht anders als das Tier zu streicheln. Es grunzte fröhlich, legte sich auf den Rücken, quiekte und wollte offenkundig nun auch am Bauch liebkost werden. Konnte ich das in Gegenwart meiner Freundin tun, ohne dass sie eifersüchtig werden würde? Die Frage erübrigte sich: Mein Arm streckte sich aus - ganz von selbst, wie er sich nicht lange zuvor ausgestreckt hatte, um nach meinem Kopf zu suchen - und ich fühlte das leicht stachelige Fell des Borstentieres, das sich nun seinerseits meiner Hand entgegenwand. „Na, es geht doch", sagte Diana, und ihr Lachen wurde hell und tönte durch die Straße. Kräftiger grunzend lachte das Schwein nun auch, und mir entrang sich ebenfalls ein stockendes Lächellachen, und so erreichten wir etwas später unbehelligt das Haus, in dem wir nun fürderhin zusammen mit unserem Schwein wohnten.

    Die Heirat

    Es dauerte nicht lange, als Diana zu wiederholtem Male, nun aber nachdrücklicher als sonst, den Wunsch äußerte zu heiraten. „Wir haben jetzt ein Schwein, und dann können wir auch heiraten, meinte sie. Mir kam das irgendwie nicht unplausibel vor, zumal wir seit ein paar Jahren auch einen kleinen Sohn hatten, der sich mit unserem Schwein bestens verstand. „Dann wären wir eine richtige Familie, sagte sie. Das Wort „richtig bewirkte ein seltsames Gefühl in mir. Aber in gewisser Weise war ihre Vorstellung nicht falsch, jedenfalls wenn man den Familienbegriff etwas erweiterte. „Dein Wunsch sei mir Befehl! - Dieser Satz aus dem Märchen „Aladins Wunderlampe" kam mir in den nächsten Wochen angesichts der wachsenden Dringlichkeit ihres Heiratswunsches immer stärker in den Sinn. Offenkundig hatte sich Diana dieser Lampe bemächtigt, die im Märchen jeden Wunsch bis hin zur Heirat Aladins mit einer schönen Sultanstochter erfüllt. Jedenfalls wurde es mir bei Dianas Heiratsidee Woche für Woche wärmer ums Herz, und mein immer gehüteter Vorsatz, nie zu heiraten, schmolz schließlich dahin. Unsere Familie mit Diana, mir, unserem Sohn Anouk und Fixe-O, dem Schwein, fühlte sich zunehmend gut an.

    Und dann kam der Tag, an dem ich mich am Ende eines Yogaübungsabends sprechen hörte: „Mir ist heute etwas Seltsames passiert. Eine Pause entstand und leise hörte ich die Stimme weitersprechen: „Ich habe heute geheiratet. Wenn ihr wollt, könnt ihr heute Abend zu uns kommen und feiern. Unser Schwein ist auch dabei.

    Die Anwesenden lachten und konnten es - wie auch ich - nicht glauben, aber sie kamen alle, bis die Wohnung platzte und Fixe-O sich genötigt sah, gefolgt von Anouk, über die auf dem Teppich Sitzen- oder halb Liegenden zu springen, wobei jedesmal des Schweines fröhlich schönes Grunzen und des Sohnes nicht weniger schönes Jauchzen hell ertönte. Es war eine herzerwärmende von meiner Frau und ihren Freundinnen spontan bestens roh- und jadegrün teeköstlich bewirtete Feier, die beinahe bis an das Ende der Nacht dauerte.

    Husky und Fixe-O

    Tempora mutantur et nos cum illis. Dieses aus dem 16. Jahrhundert stammende und auf einen Satz Ovids zurückgehende Sprichwort galt auch für unser Schwein. Jedenfalls wurde es zunehmend größer. Männlich ausgestattet mit kleinen Hauern residierte es auf unserem Balkon in einem igluartigen strohausgelegten Häuschen, war inzwischen stubenrein wie eine Katze und hörte - wenn es Lust hatte - aufs Wort. Ja, Diana war sehr erfolgreich im Umgang mit dem Tier. Aber leider war sie nicht erfolgreich genug, denn eines Tages, als die beiden spazieren gehen wollten, geschah es: Sie passierten eine kleine Brücke und auf dieser fast noch vor unserem Haus einen edel aussehenden dicken Herrn mit einem Husky. Die Begegnung ging nicht friedlich aus.

    Der Hund riss sich los und stürzte sich auf Fixe-O, unseren geliebten kleinen Eber. Ein fürchterlicher Kampf entstand. Gefährliche Knurr- und Grunzlaute, grässlich auf- und abschwellend, bei gleichzeitigen tierischen Schmerzensschreien mischten sich mit unserem und des fremden Mannes lautstarkem Gebrüll des Entsetzens und der Beschwörung, schnellstmöglich voneinander abzulassen. Eine ausdrucksstarke Kakophonie entstand. Das zu komponieren wäre interessant, dachte ich trotz allen augenblicklichen Krampfes. Die Kämpfenden interessierte unsere Beschwörung allerdings gar nicht. Also ging man nun hastig dazwischen. Diana zog am Schwein, ich, der aus unserer Wohnung hinzusprang, an Diana und der fremde Mann an seinem Husky. „Eine tolle Filmszene", dachte ich ziemlich erschrocken.

    Schließlich trafen sich alle, die Tiere und ihre Hüter, beim Tierarzt. Hier nahmen die eben noch in die Ohren und ins Gemüt stechenden Ausdruckslaute eine andere Qualität an. Die tierischen wurden zu einem nackten Jaul-Gewimmer, die menschlichen hingegen kamen umhüllt daher. Sie wurden, wie das beim homo sapiens sapiens üblich ist, in Worten versteckt, allerdings ohne, dass sie dabei wesentlich anders klangen als vordem die bestialischen. Die Worte umfassten das vom Huskyhalter hervorgebrüllte Angebot, Diana auf die Schnauze zu hauen, weil sie das Schwein angeblich immer frei herumlaufen ließ, sowie ihre Gegenrede, deren semantischer Kern in der Mutmaßung gipfelte, dass für den dicken Herrn bereits die Psychiatrie alle Türen geöffnet hätte. Mein Beitrag bestand in der an den edlen Herrn gerichteten dringenden Empfehlung, sich bei Diana sofort zu entschuldigen, sonst bekäme er es mit mir zu tun. Anouk, der inzwischen auch noch erschienen war, meinte, es sei doch alles Scheiße, und der Tierarzt beteuerte fortwährend, dass

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