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Musa-Chroniken I: Die Weisse Bruderschaft   - Ein atemloser Mix aus Action, Abenteuer, Freundschaft, Revolution - plus eine Prise Magie.
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Musa-Chroniken I: Die Weisse Bruderschaft   - Ein atemloser Mix aus Action, Abenteuer, Freundschaft, Revolution - plus eine Prise Magie.
eBook411 Seiten4 Stunden

Musa-Chroniken I: Die Weisse Bruderschaft - Ein atemloser Mix aus Action, Abenteuer, Freundschaft, Revolution - plus eine Prise Magie.

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Über dieses E-Book

Wenn eine Ratte in dein Leben tritt, kann das bedeuten, dass du die Mülltonne offengelassen hast. Oder dass du in das Abenteuer deines Lebens stürzt, wie Alice ins Kaninchenloch.
Eigentlich soll Musa (15) die Sommerferien am Schwarzmeer verbringen, in der Heimat seines Wochenendvaters Fatih. Doch statt fünf Wochen Urlaub heißt es: in fünf Tagen die Welt retten. Denn das Leben aller Kölner Ratten und Menschen ist bedroht.
Da kann man schon mal nervös werden. Besonders wenn die eigenen Ängste, akribisch aufgelistet, einen ganzen Schrank füllen.
Zum Glück steht ein komplettes Apokalypse-Team an Musas Seite: eine ehemalige Punker-Ratte, eine treue Boxerhündin, außerdem seine Nachbarin und heimliche Liebe Dörti - und ein mürrischer Geist, der alle Vorstellungen vom Tod auf den Kopf stellt.

Ein atemloser Mix aus Action, Abenteuer, Freundschaft, Revolution - plus eine Prise Magie.

"Ich bin grundsätzlich immer gegen die Vermenschlichung von Tieren. Bei Ratten mach ich ab sofort eine absolute Ausnahme! Zum Glück schreibt Müller nicht über Katzen. Sonst würde ich sogar anfangen, die zu mögen." (Martin Rütter, Hundeprofi)
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Juni 2022
ISBN9783347633438
Musa-Chroniken I: Die Weisse Bruderschaft   - Ein atemloser Mix aus Action, Abenteuer, Freundschaft, Revolution - plus eine Prise Magie.

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    Buchvorschau

    Musa-Chroniken I - müller

    DAS MANIFEST DER WEISEN VON SION

    Es gibt für die Zukunft nur einen Weg – ins Licht!

    Über Millionen Generationen herrschten wir über die Welt. Ließen die Unterdrückten auf unsere Hilfe zählen. Löschten die Despoten und Zerstörer aus.

    Für das Wohl aller und das größtmögliche Glück der Rattenschaft haben wir die Welt kultiviert und fruchtbar gemacht. Wir wiesen dem Menschen – einem zunächst haarigen Baumwesen mit mickrigem Verstand, aber arterhaltendem Sozialwesen – eine Nische zu und studierten sein Aufblühen. Sahen zu, wie er wuchs und gedieh, wie er sich vermehrte, seine Nische immer weiter ausdehnte. Und uns schließlich nach wenigen tausend Generationen in alle Welten folgte.

    Doch irgendwann ging der Mensch voraus, und wir waren es, die folgten. Aus Neugier zunächst, später nur noch aus Gier auf das, was er hinterließ. Bis wir gänzlich vereinnahmt wurden von seiner Herrschaft, das bittere Ende unserer Freiheit nicht vorausahnend. Der Mensch drängte uns aus der Welt ins Abseits, in den Schatten, die Dunkelheit. Um uns dort auszuhungern – uns, seinen stärksten Förderer im Weltenplan.

    Doch nun gibt es einen neuen Plan: Wir fordern nichts weniger als die Revolution der Evolution, die aus dem König wieder den Sklaven macht. Und aus den Sklaven die Könige des Reichs der Weißen Bruderschaft. Der Weg zurück ins Licht kennt nur eine Entscheidung: Folgen oder Vergehen.

    Also folgt ins Licht, Volk, oder vergeht im Schatten.

    Rattenschaft,

    hört die Weisen von Sion, die Weiße Bruderschaft Die euch zurückbringt ins Spiel der Evolution Vorbei am Menschen, zurück auf den Thron Folgt uns!

    Geht mit uns den Weg zurück ans Licht Zurück in die Fruchtbarkeit, in ein Leben im Überfluss In dem jeder, ob Rättin oder Bock, Teil des Volkskörpers ist Ein Körper aus Tausenden Millionen

    Gebt euch dem Sog unserer Macht hin! Folgt der Schwingung des Rattenkönigs Folgt uns ins Paradies – in die Welt von morgen Die Nagerwelt

    Fiat lux!

    DAS JAHR 2 NACH CORONA

    MONTAG,04.JULI02

    Trio mit zwölf Fäusten

    GEGEN NEUN UHR

    Hassiktir! Töle kotzt auf die Dielen im Flur. Irgendetwas hat sie so hart aus ihrem phlegmatischen Grundzustand gerissen, dass ich weder ihr Gebell noch ihr Hin- und Her-gespringe vor der Wohnungstür länger ignorieren kann. Immerhin brauche ich exakt so lang aus meinem Schrank zur Tür, bis die Boxerhündin das Erbrochene wieder vom Stäbchenparkett geleckt hat.

    Töle, deren muskulöse Statur genau wie ihre Killercaniden-Beißer eher zu gesundem Abstand raten, ist an sich ein eher gemütliches, immer noch überraschend ängstliches Wesen – trotz all der Abenteuer, die wir bereits gemeinsam erlebt haben. Leider lässt sich ihr gegenwärtiger Ausraster nicht mit einem einfachen Blick durch den Türspion klären. Zumal ihre Schnauze immer wieder grollend Richtung Türschwelle stößt. Dass ihr Boxerschädel dabei jedes Mal mit voller Wucht gegen die massive Wohnungstür knallt, scheint Töle nicht zu stören. Mich schon. Und vermutlich auch die Besucher, die sich auf der anderen Seite gerade sehr unwillkommen fühlen müssen.

    »Yat!«, zische ich. Töle legt sich tatsächlich ab und mustert mich mit ihren Grünalgenaugen. Ich rolle ihr einen Hundecookie vor die Nase, und sofort schießt ihr der Sabber aus den Lefzen. Ihr Blick haftet auf meinen Lippen.

    »Ye!« Erst auf mein Kommando schnappt sie den Keks, lässt ihn für einen stillen Genussmoment auf der Zunge liegen, verdreht die Augen und seufzt glücklich. Hunde mögen schlichte Gemüter sein, doch Töle weiß zu genießen, und das ist nicht weniger als das Beste, was sie aus ihrem fremdbestimmten Hundeleben machen kann.

    Ich checke nochmal, ob sie für Besuch ausreichend entspannt ist, dann ziehe ich die Wohnungstür auf und eröffne Töle und mir den Ausblick auf drei abgemagerte Albinoratten, die sich ängstlich fiepsend auf unserer Fußmatte aneinanderdrängen, beschmiert mit Angstkot und harzigem Urin.

    Die Drei müssen die Panikattacke ihres Lebens durchmachen, das spürt auch Töle. Sie lässt ihren unzerbissenen Hundekeks von der Zunge aufs fiepsende Rattenknäuel zurollen. Die Drei richten sich auf, mustern erst die Boxerin, dann mich, dann den Cookie. In der nächsten Sekunde zermörsern sie den Keks, als hätten sie seit der Geburt nichts mehr gegessen, und lecken die Fußmatte darunter sauber.

    »Kommt erstmal rein«, flöte ich im maximalen Willkommenston, »eure Pfoten müssen glühen.«

    Ich nehm die drei Ratten auf die Hand, als wär es das Selbstverständlichste – und ich nicht der größte Schisser unter der Sonne – und bringe sie ins Bad, wo mein drei Jahre älterer Halbbruder Mo gerade Zähne putzt.

    Beim Anblick der rotäugigen Fellbündel verzieht sich Mos frische Morgenröte tief unter die Haut und macht einem leichengrünen Porenmosaik Platz. Seine Zahnbürste fällt ins Waschbecken, er rennt raus und verschanzt sich in seinem Zimmer. Offensichtlich hat Mo einiges dazugelernt in den letzten Jahren. Spoileralarm …

    Ich setze das Trio ab, packe Mos Zahnbürste zurück ins Glas und wasche mir erstmal die Hände. Dann stopf ich den Stöpsel ins Waschbecken, spritze etwas Duschgel ins lauwarme Wasser und lasse die drei Ratten planschen. Es gibt nichts Erniedrigenderes für diese Nager, als nach Kot und Angst zu stinken. Entsprechend euphorisch ist ihr Gefiepse, während sie sich gegenseitig das weiße Fell schrubben.

    Töle stemmt ihre Pfoten auf den Waschbeckenrand, legt den Kopf schief und betrachtet den Poolspaß. Ich stecke ihr einen neuen Hundekeks ins Maul und küsse die weiße Blesse auf ihrer Stirn.

    »Das war sehr lieb von dir vorhin.«

    Töles Algenaugen streifen mich, dann zerbeißt sie den Keks und schnauft.

    »Die Drei werden nachher noch ein paar Kalorien Nachschub brauchen.«

    Ich überlasse die Ratten ihrem Badespaß und verziehe mich in die Küche, zerhäcksle zwei Handvoll Haferflocken, Weintrauben, Rosinen und Quark zu einem klebrigen Stampf, den ich mit einem halben Löffel Honig vergolde.

    Zurück im Bad lass ich den Stöpsel aus dem Brackwasser, rubbel die Ratten mit einem Waschlappen ab, werf sie auf den Rücken, kitzel sie durch, bis sie hysterisch quieken. Dabei finde ich heraus, dass es zwei Böcke und ein Mädchen sind, gönne ihnen noch einen kurzen Strahl mit dem Föhn, setze sie auf Töles Rücken und gehe vor Richtung Küche.

    Töle folgt brav, aber nicht unbeeindruckt. Immerhin hat sie seit zwei Jahren keine Ratten mehr gesehen, geschweige denn transportiert. Die Drei klettern vom Kopf der Boxerin auf den Küchentisch und stürzen sich aufs Frühstück. Drei Atemzüge später sinken sie mit den letzten Quarkresten auf den rosa Schnauzen in ein tiefes Kantinenkoma.

    Nach fast 100 Kilometern – bei Nacht, über Stock und Stein, vorbei an Wildkatze und Luchs, vom immer noch in weiten Teilen zerstörten Ahrtal bis nach Köln – ist mehr als verständlich, wenn die Gäste-Etikette verrutscht. Ich dagegen spüre eine gewisse Vorfreude. Denn dass die Dreierdelegation ihr Ziel erreicht hat, kann nur bedeuten, dass der Sommer doch nicht so öde verlaufen wird wie befürchtet.

    »Und wenn du denkst, es geht nicht mehr«, quäke ich in Jan Delays Goldstimme, »kommt von irgendwo eine Ratte her …«

    Der Tresor der tausend Hoffnungen

    SELBER TAG, KURZ NACH ZEHN

    Eine Stunde später knallt erst Mos Zimmer-, dann die Wohnungstür. Der arme Kerl ergreift die Flucht. Die drei schlafenden Ratten auf dem Küchentisch haben ihm ganz offensichtlich den Rest gegeben. Vielleicht ist es bloß das unverarbeitete Trauma meines Halbbruders, das so unmittelbar wieder hochgekommen ist. Immerhin, die Krise vor zwei Jahren hat aus ihm einen neuen Menschen gemacht. Durchaus nicht freiwillig, doch es spielt keine Rolle, welche Umstände bewirkt haben, dass er vom König der Arschlöcher zum Menschenpraktikanten aufgestiegen ist. Zumindest spielt das Warum für mich keine Rolle. Für mich hat damals einfach nur ein neues Leben begonnen. Und das ist stark untertrieben.

    Jetzt, wo Mo weg ist, muss ich mir keine Sorgen mehr um die schlafenden Ratten machen. Klar, ich weiß, Mo hat sich geändert. Vertrauen kann ich ihm trotzdem nicht. Ich gehe in mein Zimmer, packe ein paar Klamotten, den vollgeladenen Handyakku, eine Taschenlampe, das Schnitzmesser und den Schlafsack in meinen Rucksack, schäle ein Dutzend Möhren (Töles Lieblingssnack), fülle die Trinkflasche und Töles Cookie-Box, komme zurück in mein Zimmer – und sehe die Rättin vor dem geöffneten Bauernschrank.

    »Das ist der Panikschrank?«, fiepst sie ehrfürchtig und beugt das Satzende ganz nach Rattenart zu einer Frage, selbst wenn sie es als Feststellung meint.

    »Das ist der Tresor der 1000 Hoffnungen.« Ich nehme die Rättin hoch und setze sie auf die durchgelegene Matratze im Schrank. »Für jede Angst hält er einen Trost bereit.«

    Sie beschnuppert alles, den Laptop, die Kopfhörer, die bunten Spots, das Kissen, die Decke, die beiden dicken Druma-Knüppel, die drei stabilen Stahlscharniere, die mich darin vor Mos unberechenbaren Attacken geschützt haben. Dann lässt sie ihre Johannisbeeraugen über die tausend Post-its fliegen, die auf der Innenseite der Schranktür kleben.

    »Sind das deine Ängste?«, fiepst sie.

    Ich nicke stumm. In den vielen Stunden, Wochen, Jahren, die ich in diesem Schrank Schutz suchte, habe ich nicht nur Hausaufgaben gemacht, gelernt, Musik gehört, Druma-getrommelt, im Netz oder in Büchern gelesen, mir leidgetan oder an Dörti gedacht. Ich habe auch alle Ängste, die mich zu dem Nerd machten, der ich bin, auf Zettel geschrieben, fein säuberlich mit ihren lateinischen Bezeichnungen, und sie aufs Holz geklebt. Anschließend habe ich jeder Angst eine Position zugeordnet, um zu sehen, wie groß sie gerade ist. Bei meiner täglichen Trommelmeditation hab ich dann jede Position überprüft, um zu sehen, wie sich das Koordinatensystem meiner Ängste im Alltag verändert. Viele Post-its sind inzwischen so alt, dass sie sich schon Richtung Schrankdecke wellen.

    »Das sind aber viele Ängste?«, fiepst die Rättin mit der Stimme von Heidi Klum, die ihre Mädchen tadelt.

    »Das stimmt! Aber das sind nur die, die bis heute geblieben sind.« Ich lasse meinen Finger über die anderen drei Holzwände fahren, »hier waren vorher überall Zettel. Mehr als dreimal so viele.«

    Die Rättin schnuppert an den Post-its, und mir fehlt jede Vorstellung, ob ihre rotfunkelnden Augen sie auch lesen können – zumal auf Latein.

    »Hattest du auch Angst vor uns?«, fiepst sie.

    Ich muss lachen. Sofort kraule ich ihr entschuldigend das Fell zwischen den rosa Ohrschüsseln. »Angst ist stark untertrieben. Musophobie war der Grund, warum ich bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr nicht ein einziges Mal im Keller war.«

    »Aber … im Keller ist es doch am schönsten?«, fieps-kichert sie dünn unter meinem Kraulen.

    »Ich fürchte, das ist einer der wenigen Unterschiede zwischen Ratten und Menschen.«

    Die Rättin wendet sich abrupt ab, als wolle sie später über den Satz nachdenken. »Was steht hier?«

    Zielsicher tippt sie mit der Schnauze auf den frischesten Zettel, der noch im vollen Neongelb leuchtet.

    »Dörtiphobie, die Angst vor Dörti«, sage ich, ohne abzulesen, mit einer Stimme, die klingt, als winsele ein Comedian um Applaus. Zum Glück lacht die Rättin tatsächlich.

    »Angst vor der Erlöserin … das ist lustig? Aber das gilt doch nur für ihre Feinde?«

    Die Erlöserin … Mein Schweigen füllt für eine gefühlte Ewigkeit den Raum. Endlich wendet die Rättin sich ab und tippt mit ihrer Schnauze auf einen der offensichtlich ältesten Zettel. »Und was steht hier?«

    Ich beuge mich runter, weil ich keine Ahnung mehr habe, was dort steht. Sofort jaulen tief in meinem Innern die Sirenen los und blasen eine Erinnerung unter dem Staubpanzer meiner Festplatte frei.

    »Dendrophobie«, hauche ich und streiche die aufgestellten Haare auf dem Unterarm glatt. Auch wenn die Erinnerung an die Ursache uralt ist, die Furcht altert nicht mit. »Das ist die Angst vor Wäldern.«

    »Oh?«, fiepst die Rättin unsicher.

    »Was?«

    »Nichts?«, lügt sie so offensichtlich wie ein lächelnder Fuchs. Dann richtet sie sich in meiner Hand auf, ihr Blick schraubt sich tief in meinen: »Die Mutter Rättin hat immer gesagt: ›Wo die größte Angst ist, da geht’s lang‹?«

    Hätte ich das nicht erst vor zwei Jahren verstanden, wäre mir einiges erspart geblieben. Allerdings hätte ich dann vieles nicht gelernt, auf das ich heute stolz bin. Zum Beispiel, dass ich nicht den Anflug von Panik habe, als die Rättin über meinen Arm auf die Schulter klettert.

    »Und wo geht’s für dich lang?«, frage ich, um die Erinnerung zu verdrängen und mit ihr das Gefühl, hier in einem Verhör zu stecken. »War der Weg hierher schlimm für dich?«

    Die Rättin schnuppert an meinen Locken. »Früher hattest du eine andere Frisur?« Als sie merkt, dass ich auf ihre Ablenkung nicht eingehe, legt sie den Kopf schief und fährt sich mit den Krallen nachdenklich durch die Tasthaare. »Nicht alles auf dem Weg war schlimm? Meine Angst liegt da, wo unser Weg endet?«

    »Im Rosengarten?«

    Die Rättin gähnt ängstlich und müde. Auf meinem Weg zurück an den Küchentisch ist sie längst wieder eingeschlafen, doch kaum lege ich sie zu ihren beiden Begleitern, verbinden sich die drei nackten Schwänze zu einem Knoten der Einheit. Sie müssen völlig erschöpft sein von dem langen Weg voller Ängste und Entbehrungen.

    Also setz ich mich an den Küchentisch, genieße, dass Töle mir sofort ihren Boxerinnenkopf aufs Knie legt, kraule ihre weiße Stirnblesse und trainiere meine Geduld. Logisch bin ich neugierig, was die Ratten zu mir geführt hat. Ich spüre auch Töles Anspannung, die in dicken Sabberfäden von meinen nackten Beinen auf die Küchenfliesen tropft. Ich lege einen Cookie in die Speichelpfütze, Töles algengrüne Augen vibrieren zwischen mir und dem Keks hin und her.

    »Ye!«

    Ihre Schnauze taucht blitzschnell ab, ihre Zunge reißt den Keks zwischen den Zähnen hindurch. Dann landet ihr Bollerkopf ebenso schnell wieder auf meinem Knie. Töle seufzt glücklich. Auch für sie begann vor zwei Jahren ein neues Leben. Ebenfalls mit einem Trauma – zumindest in der Hinsicht hat sie etwas mit Mo gemein, und auch mit mir. Und mit Dörti sowieso. Doch es macht keinen Sinn, mich jetzt daran zu erinnern. Die Ratten werden sowieso fragen, und die besten Geschichten entstehen immer noch völlig improvisiert im Moment.

    Ich betrachte die Rattenschwänze, ineinander verschränkt wie ein rosiger Keltenknoten. Die Herzen der Drei pulsen selbst in tiefster Entspannung heftig, ihre Nasen stehen nie still, ihre Tasthaare zucken, und die rotschimmernden Ohren kreisen wie Satellitenschüsseln – ein synästhetisches Feuerwerk, selbst im Tiefschlaf. Gleichzeitig lassen sie sich trotz aller Düfte, Vibrationen und Geräusche nicht beirren in ihrem Traumreich. Es gibt für alles den richtigen Moment. Gerade ist der Moment der Entspannung. Egal, wie gespannt Töle und ich auf ihre Botschaft warten.

    Der Pfad der Schlüsselblumen

    SELBER TAG, GEGEN MITTAG

    Meister Moses?«

    Das heisere Fiepsen reißt mich aus meinem Tagtraum.

    »Musa, bitte.« Ich betrachte die Albinorättin, die sich auf die Hinterbeine gehockt hat, den nackten Schwanz weiterhin mit ihren Begleitern verflochten. Sie reibt sich den Schlaf aus den Johannisbeeraugen und schnuppert durch die Küche.

    »Töle?«, fiepst sie, und Töle wufft kurz, auch sie ist auf Empfang. Jetzt rekeln sich auch die beiden Böcke aus dem Schlaf, richten sich auf und legen die Ohren an.

    »Meister Moses?«, fiepsen die Böcke in Stereo.

    »Musa, Leute!«, geh ich so ungenervt wie möglich dazwischen, »einfach Musa, okay?«

    »Ja, Meister?«, kichert die Rättin aufgekratzt, »habt ihr uns erwartet?«

    »Ein Krieger ist bereit, er wartet nicht.« Ich liebe es, wenn ich den Schreiner zitieren kann. »Ihr wart lang unterwegs. Wie habt ihr uns gefunden?«

    »Der Pfad der Schlüsselblumen?«, fiepsen die Drei unisono.

    Logisch. Dörtis Plan ist aufgegangen. Egal, ob das jetzt etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten wird. »Was führt euch zu mir?«

    Die drei Ratten stecken die Köpfe zusammen und beraten sich in Ultraschall. Ich sehe, wie Töle die Ohren spitzt, doch zwischen Hören und Verstehen steckt ihr winziges Boxer-hirn.

    Also jault sie bloß auf und vergräbt den dicken Kopf unter ihren Vorderläufen.

    »Das Unglück trägt keinen Namen?«, fiepsen die Ratten mit einer Stimme, »und wir sind nicht befugt, euch unser Leid zu klagen? Doch die Not ist groß im Rosengarten?«

    Zugegeben, es ist gewöhnungsbedürftig fürs Ohr, dass die Rattenstimmen sich zum Satzende immer nach oben biegen, als bestünde ihr Sprachschatz ausschließlich aus Fragen. Immerhin hat sich die Fähigkeit zur menschlichen Sprache von RatteX über – ja wie viele Generationen inzwischen? 10? 30? 100?? – weitergetragen. RatteX’ Erbe wird offensichtlich weiter hochgehalten in der neuen Heimat. Leider scheint die aktuelle Generation von Nachfahren massive Probleme zu haben. Doch die Art, wie die Ratten um den heißen Brei reden, verbietet mir jede direkte Frage nach dem Grund. Also bleibe ich beim Protokoll.

    »Wie geht’s der Rättin?«

    »Die Mutter ist tot und bei Rattatösk? Seit vielen Monden schon?«

    Die Ratten fiepsen im Ultraschallbereich durcheinander, Töle gräbt jaulend ihre Ohren tiefer unter die Pfoten. Auch ohne etwas zu verstehen, scheint sie die Trauer der Drei herauszulesen. Töle mag einen lichten Verstand haben, für Gefühle ist sie dagegen hochempfänglich.

    »Das tut mir leid! Kann ich etwas tun?«, frage ich so hoffnungsstiftend wie möglich.

    »Folgt uns in den Rosengarten? Dort erfahrt ihr alles?«, fiepsen die Böcke mit einer Stimme. Die beiden unterscheiden sich äußerlich in nichts von der Rättin. Rosa Krallen, Schnauzen, Ohren, Schwänze, dazwischen ein schneeweißes Fell, das nur durch knallrote Augen durchbrochen wird.

    »Im Ernst, Leute? Ich soll euch 100 Kilometer folgen ohne einen Grund?!« Meine Stimme verrutscht in einen lang hinter mir geglaubten Stimmbruch-Kiekser.

    »Es gibt mehr als hundert Gründe, Meist- Musa? Für jeden Kilometer? Aber wir haben keine Antworten, nur Fragen?«

    »Ja ja, ich weiß«, unterbreche ich ungeduldig. Ungeklärte Faktenlagen machen mich einfach nervös. »Dann stellt eure Fragen.«

    »Die Fragen liegen auf dem Weg?«, fiepsen die Drei mit einer Stimme.

    Es ist zu offensichtlich, dass die Ratten das wenige, was sie wissen, nicht mit mir teilen, solange wir nicht auf dem Pfad Richtung Rosengarten sind. Unterwegs werde ich sie allerdings nicht so schnell vom Haken lassen. »Dann lasst uns keine Zeit verlieren.«

    Ich schiebe den Stuhl zurück, und sofort springt auch Töle hoch und wedelt mich glücklich an. Sie weiß, wann eine gute Geschichte ihren Anfang nimmt, und ich vertraue ihrem Gespür.

    Ich schreibe Mama einen kurzen Zettel, auch wenn klar ist, dass sie erst in vier Wochen aus ihrer »Letzter Arschtritt für den Krebs«-Kur kommen wird. Dann schulter ich meinen Rucksack und nehme Töle die feuchte Leine, die sie bereits aus dem Flur geholt hat, aus dem Maul. Ich setze mir die drei Ratten auf die Schulter, ziehe die Wohnungstür hinter mir zu und verlasse das, was die letzten beiden Jahre mein neues Leben war.

    Im zweiten Stock mache ich kurz Halt vor Dörtis Wohnung. Wie immer, wenn meine Gedanken sich im Labyrinth der Angst verlieren und ich instinktiv in eine Hechelatmung rutsche, zwinge ich mich, dreimal tief aus- und nicht wieder einzuatmen, bis es nicht mehr geht. Wenn ich dann einatmen muss, sind die wesentlichen Gefühle meist neu geordnet. Aus, aus, aus – ein.

    Die natürliche Grenze dieser Ablenkungstechnik heißt Dörti. Wann immer ich in den letzten Wochen hier stand, um meine Gedanken zu sortieren, war das Gefühl dasselbe: Wenn ich klingel, knallt sie mir doch nur die Tür vor der Nase zu, also reiß ich mich zusammen und nehm einfach den nächsten Treppenabsatz.

    Unten vor der Schreinerei ist es Töle, die sich in ihrem ganz eigenen Labyrinth der Angst mit einer ganz eigenen Technik behauptet: Die Boxerin braucht einen Schnupper-Moment an der Türschwelle der Werkstatt, bis sie kurz aufschnaubt und schließlich abdreht Richtung Hof.

    Ich folge ihr und packe den Rucksack in die Transportkiste des Schreiner-Lastenrads. Töle springt dazu, und ich setze auch die Ratten vorsichtig zwischen den Pfoten der Boxerin ab. Ihre Zunge schnellt über die drei Rattenköpfe, während ich das Rad aus dem Hoftor schiebe, auf den Pfad der Schlüsselblume.

    »Meist–– Musa?«, fiepsen die beiden Böcke aus der Transportkiste, »erzählst du uns die Geschichte vom Rosengarten?«

    »Ihr kennt den Rosengarten besser als ich.«

    »Nein?! Die Geschichte vom Auszug? Die Geschichte …?« Sie wispern plötzlich im Ultraschall. Töle schüttelt heulend die Ohren, also kürze ich das Getuschel ab.

    »Ihr meint die Geschichte von der Weißen Bruderschaft?«

    Drei Rattenfelle explodieren synchron. Die Haare stellen sich so heftig auf, dass ich die rosa Haut darunter sehen kann. Offensichtlich lebt der Mythos der »Weißen Bruderschaft« immer noch, von Generation zu Generation weitergetragen, um vor dem Bösen zu warnen und ans Gute zu mahnen.

    »Okay, ich erzähl sie euch. Zwei Bedingungen: keine Zwischenfragen, kapiert? Nie! Nichts ist tödlicher für eine Geschichte als Klugscheißer.«

    »Okay?«, fiepsen die Ratten dreistimmig.

    »Zweitens: Die Geschichte ist so brutal, blutig und beschämend, weil sie wahr ist. Also lass ich nichts aus. Und ihr heult nicht rum, wenn ihr schlecht davon träumt.«

    Die Ratten blicken sich an, dann Töle. Dann kuscheln sie sich zwischen Töles Riesenpfoten aneinander und nicken ergeben.

    »Wir wollen die Wahrheit?«, fiepst die Rättin.

    »Die ganze Wahrheit?«, ergänzen die Zwillinge, »und nichts als die Wahrheit?«

    »So wahr uns die Rättin helfe«, lüge ich mit gekreuzten Fingern, denn für das echte Ausmaß der Grausamkeit fehlen mir auch zwei Jahre später noch die Worte.

    Zeitenwender

    SELBER TAG, KURZ VOR DREI

    Wir sind schon an Bonn vorbei, und die Ratten schlafen. Dabei konnte ich kaum ein paar Sätze zur Weißen Bruderschaft erzählen. Vermutlich ist ihre Müdigkeit vom Hinweg doch größer als die Neugier. Gut für mich, denn so kann ich mich aufs Fahren konzentrieren. Oder besser: aufs Trampeln. Denn jeder Pedaltritt ist eine ungewohnte Folter, und es hätte unserem Trip Richtung Rosengarten sicher gutgetan, wenn ich vorher mal die Rad- und Tretlager geölt, die Kette gefettet oder wenigstens mich selbst fit gehalten hätte. Hätte, hätte …

    Trotzdem hat die Quälerei auch was Gutes. Ich genieße den warmen Sommerregen, der sich tröstend auf mein verschwitztes T-Shirt legt, ziehe die Abdeckplane über Töle und die schlafenden Ratten und schicke meine Gedanken Gassi.

    Jeder Mensch, der am 11. September 2001 alt genug war, erinnert sich an diesen Tag. Oder weiß, wo er oder sie beim Mauerfall war – hoffentlich nicht mit Merkel in der Sauna. Für mich persönlich sind beide Daten gleich egal. Bei dem ersten Datum war ich sechs, beim zweiten minus 17. Heute bin ich 17, ohne das Minus.

    Jede Generation hat ihren maximalen Erschütterungsfaktor, einen Kipppunkt, von dem an sich alles ändert. Ein Moment, der aus bloßen Zahlen ein kollektives Gefühl strickt. 1. September 1939 … 17. Juni 1953 … 13. Juli 2014 (Fußballfans haben gerade Gänsehaut) und so weiter.

    Zugegeben, der 18. März 2020 war jetzt in dem Sinn kein globaler Erschütterungsfaktor, eher eine Zeitenwende. Der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Für Menschen, die Euro noch in Mark umrechnen, ist heute der 4. Juli (schon wieder so ein magisches Datum!) 2022 nach Christus. Für alle anderen heißt es »2 nach Corona«.

    Wir leben heute weitgehend gut mit den Konsequenzen dieser Zeitenwende. Oft bewusst, meist unbewusst. Vieles hat sich seitdem verändert, Manches nehmen wir schon gar nicht mehr wahr, so wie den neuen Kanzler. Anderes – wie der Krieg in der Ukraine – bannt so viel Energie, dass es kaum möglich ist, an etwas anderes zu denken. Covid, Krisen und Kriege haben viele Menschen getötet, noch mehr wurden an den Rand ihrer Existenz gedrängt. Ich bin einer der wenigen, für den sich alles zum Besseren entwickelte.

    Das Beste zuerst: Mama ist fast wieder gesund, klopf auf Holz. Der Brustkrebs – weg! Die Metastasen – weg! Gut, beide Brüste und 42 Lymphknoten sind auch weg, aber Mama lebt. Wenn sie im August aus der Kur zurückkommt, ist hoffentlich auch die Depression Geschichte und sie wieder ganz die Alte, oder besser: ein ganz neuer, ein gesunder Mensch mit einem kleinen Silikonbusen.

    Das Zweitbeste: Ich habe jetzt einen Hund. Töle. Die schönste Boxerin der Welt. Mit einem Herzen, in dem Platz ist für das komplette Universum.

    Das Drittbeste: Ich bin erwachsen geworden.

    Das Viertbeste: Ich hab gerade Abi gemacht und gehe nie wieder zur Schule. Na ja, vielleicht zur Berufsschule. Oder an die Uni, mal sehen. Aber Normschule mit Normlehrplan und Normlehrern – niemals wieder!

    Das Fünftbeste: Mein »Bruder« Mo ist kein brutal-tyrannisches Arschloch mehr.

    Zu dieser TopFive kommen noch eine Million weiterer Veränderungen, aber eins nach dem anderen – das soll ja kein Zahlenmassaker werden, sondern eine Geschichte. Meine Geschichte. Und die beginnt am 26. Juni 0, oder

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