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Ein Flug über mich selbst: Roman
Ein Flug über mich selbst: Roman
Ein Flug über mich selbst: Roman
eBook486 Seiten7 Stunden

Ein Flug über mich selbst: Roman

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Über dieses E-Book

Mikhel ist erfolgreicher Geschäftsführer, Ehemann einer wunderschönen Frau und Vater zweier Kinder. Sein Leben könnte kaum besser sein.
All das ändert sich schlagartig, als er nach einem Autounfall auf einen Rollstuhl angewiesen ist und mit neuen Problemen im Berufs- und Liebesleben konfrontiert wird. Geplagt von der Erkenntnis, dass er nie wieder laufen wird, stürzt er in eine Krise. Als er dann auch noch Fotos sieht, auf denen seine Frau ihn betrügt, spitzt sich das Drama weiter zu.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Okt. 2019
ISBN9783749718481
Ein Flug über mich selbst: Roman

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    Buchvorschau

    Ein Flug über mich selbst - Ego..n Liviu

    Es war dunkel.

    Der vom Wind getragene Sommerregen prasselte heftig gegen die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer konnten kaum noch die Wasserströme entfernen. Die Straße glänzte im Scheinwerferlicht, hier und da wurde sie vom Licht der Straßenlaternen beschienen. Der Wind wirbelte Laub und Äste durch die Luft und gegen die Windschutzscheibe. Er hatte eine schwere Arbeitswoche hinter sich. Gerade war er dabei, einen wichtigen Vertrag zu planen, sodass die Arbeitstage oft bis spät am Abend dauerten, weil mit den Angestellten und der Chefin diskutiert werden musste.

    Die Konkurrenz war groß und sie hatten eine besondere Vertragsstrategie vorzubereiten. Heute wurden die letzten Details festgelegt. Jetzt war die Arbeitswoche vorbei und er freute sich auf das Wochenende, das er mit seiner Familie verbringen wollte. Er war müde und ungeduldig, endlich nach Hause zu kommen, also stieg er aufs Gas, wahrscheinlich zu heftig. Die Straße verlief bergab und war sehr kurvenreich, außerdem war die Fahrbahn nass und rutschig, doch er hatte Vertrauen in sein Auto. Um sich von seiner Müdigkeit abzulenken, legte er eine seiner Lieblings-CDs auf: Berühmte Arien Pavarottis aus ausgewählten Opern. Die Autos, die entgegenkamen, schienen ihn mit ihrem starken Scheinwerferlicht für einen Moment fast zu erblinden. Doch er kannte den Weg, den er schon tausende Male gefahren war. Ihr Haus befand sich etwas außerhalb der Stadt, in einer Siedlung mit mehreren Häusern. Die Gegend dort war grün, bewaldet und hier und da auch felsig. Sie hatten sich die Gegend damals wegen der schönen Landschaft ausgesucht. Es war sehr teuer, dort zu leben, doch seine Frau und er verdienten beide ziemlich gut, deshalb gab ihnen die Bank ohne Probleme einen Kredit. Am Wochenende hatten sie vor, mit ihren beiden Kindern einen Ausflug in den Wald zu machen. Der Sommersturm sollte laut aller Wetterprognosen wieder vergehen und das Wetter würde wieder besser werden. Wenn er nach Hause kommen würde, würde er alle weiteren Details mit seiner Frau und den Kindern besprechen. Sie würden gemeinsam zu Abend essen, ein gutes Glas Wein trinken, um nach der anstrengend Woche abzuschalten, dann die Kinder ins Bett bringen. Dann würden sie in ihr Schlafzimmer gehen, wo sie zu zweit sein würden. Elisa, seine Frau, die er so liebte wie in den Anfangstagen ihrer Ehe, würde ihren Pyjama ausziehen.

    Aber Schluss jetzt! Er würde sich jetzt keine erotische Szene ausmalen, das könne er noch bis zu Hause abwarten, schließlich war er ein erwachsener Mann. Also konzentrierte er sich wieder auf den Verkehr, sehr aufmerksam auf die Autos, die ihm entgegenkamen. Aber was zur Hölle machten die? Durch den Regen, der in der Zwischenzeit etwas nachgelassen hatte, sah er zwei Scheinwerferlichter, die sich chaotisch durcheinander bewegten und plötzlich auf seine Spur gerieten. Sie blendeten ihn und kamen direkt auf ihn zu. Instinktiv riss er das Lenkrad herum und versuchte, auf den Rand der Straße auszuweichen. Er bremste abrupt und spürte, wie sich sein Auto wie ein Kreisel um die eigene Achse drehte. Auf der rutschigen Fahrbahn hatte er keinen Halt. Heftig knallte er mit der Vorderseite des Autos gegen eine Leitplanke, die sich im Bruchteil einer Sekunde durchbog. Dann spürte er, wie das Auto nach vorne hinabstürzte. Er stieß sich heftig an, die Airbags öffneten sich, er wurde in seinen Fahrersitz gedrückt. Das Auto überschlug sich weiter und nach einem harten Kopfstoß verlor er schließlich das Bewusstsein. Es schien, als würde er ins Nichts stürzen und nichts mehr spüren. Nach einer Weile wachte er wieder auf. Oben auf der Straße waren Sirenen zu hören. Er sah das Licht eines Reflektors durch die Büsche hindurchscheinen, mit dem er wohl gesucht würde. Letztendlich erreichte das Licht sein Auto und blendete ihn. Von oben konnte er deutlich Stimmen hören:

    „Wir haben ihn gefunden. Er liegt hier unten in der Schlucht! Jemand muss nach unten gehen und nachsehen, was ihm passiert ist!" Er versuchte sich zu bewegen, aber seine Beine schienen durch etwas blockiert zu sein. Mit den Händen stützte er sich vorne ab, schaffte es trotz aller Anstrengungen nicht, sich zu bewegen, nicht einmal ein kleines bisschen. Er fühlte, wie ihm etwas Klebriges übers Gesicht ronn. Blut, dachte er und versuchte es sich mit den Händen abzuwischen. Pavarotti sang noch immer seine Arien:

    „Mia vita, sei fugita! Die Musik schien aus einer anderen Welt zu kommen, fernab von jeder Realität. Jemand erschien neben dem Auto. Er versuchte, ein schwaches Handzeichen zu geben, dann hörte er bloß eine Stimme, die wahrscheinlich von neben ihm kam: „Ich glaube, er lebt noch! Bringt mir alles, was ich brauche, herunter!

    Er versuchte verzweifelt, sich zu befreien, aber in dem Moment verlor er wieder sein Bewusstsein und sein ganzes Leben schien wie ein Film vor seinen Augen abzulaufen. Er erinnerte sich an seine Kindheit, seine Eltern. An alles, woran es ihm damals gefehlt hatte und an die Streitigkeiten seiner Eltern, die er auszuhalten hatte. Er erinnerte sich an seinen Vater, der gerne eines über den Durst trank. Seine Geschwister und er waren ziemlich frei gewesen und konnten machen was sie wollten. Von klein auf mussten sie für das, was sie erreichen wollten, kämpfen. Wahrscheinlich hat ihnen das später im Leben sehr dabei geholfen, Initiative zu ergreifen und sich den Dingen anzunehmen, um das zu erreichen, was sie sich vorgenommen hatten. Er war nicht der Beste in der Schule, aber sein Ehrgeiz hat ihm ein Stipendium an einer guten Universität verschafft. Und als er damit fertig war, fand er schließlich nach langer Suche und mehreren Bewerbungsgesprächen einen gut bezahlten Job. Er war ein gut aussehender Mann. Kurzes, schwarzes Haar, grüne Augen. Er hatte ein kantiges Gesicht mit einem sehr markanten Kinn, das ihn sehr männlich aussehen ließ. Er war groß und sportlich, hatte einen Sinn für Humor, der es ihm bei den Frauen immer leicht gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte er auch deshalb seinen Arbeitsplatz bekommen, für den sich mehrere beworben hatten. Die Firma, bei der er beschäftigt war, erzeugte und verkaufte Kosmetikprodukte für Frauen. Am Markt war die Konkurrenz natürlich groß. Sein Ehrgeiz hatte ihn dazu gebracht, schnell aufzusteigen und mittlerweile war er Vorstand im Unternehmen. Er kümmerte sich um die Verträge mit den Auftraggebern, das war keine einfache Arbeit, aber eine sehr gut bezahlte. Dies war mitunter ein Grund warum ihm wahrscheinlich viele sehr neidig waren. Sehr oft wurde er von der Firma auf Geschäftsreisen geschickt, wobei er auch viel mit Frauen zu tun hatte. Wahrscheinlich hatten ihm auch sein Aussehen und vor allem sein Charme schon oft dabei geholfen, günstige Verträge für seine Firma auszuhandeln. Auf einer dieser Geschäftsreisen hatte er auch seine Frau Elisa kennengelernt. Sie war Juristin bei einer Firma, mit der sie einen Vertrag abschließen wollten. Und als sich die Bedingungen und die Verhandlungen verlängerten, trafen sie sich öfter am Verhandlungstisch. Als sie den Vertrag schließlich bei einem gemeinsamen Abendessen abschlossen, begannen sie, auch über Persönliches zu sprechen und lernten sich näher kennen. Sein Aufenthalt in der Stadt wurde verlängert und die beiden trafen sich öfter in der Stadt, gingen in Restaurants oder Bars. Auch danach blieben sie in Kontakt, trafen sich einige Male, bis sie schließlich beschlossen zu heiraten. Sie zog in die Stadt, in der er lebte und arbeitete und fand schnell eine gut bezahlte Anstellung als Juristin in der Stadt.

    Einige Zeit lebten sie in einer Wohnung, die ihnen von der Firma zur Verfügung gestellt wurde. Doch während einem ihrer wöchentlichen Spaziergänge entdeckten sie diesen wunderbaren Ort, in den sie sich beide sofort verliebten und sie beschlossen, sich dort ein Haus zu bauen. Neben der Hauptstraße verlief ein steinerner Weg, der von Bäumen und Büschen umrandet war. Von dort aus war außer Wald nicht viel zu sehen. Fuhr man jedoch den Weg weiter, öffnete sich der Wald plötzlich und führte zu einer großen Wiese voller Gräser und Blumen, lichtdurchflutet von der Sonne. Und von oben, vom Abgrund der Felsen, war die Stadt zu sehen mit ihren hohen Gebäuden, deren Lichter sich in tausenden Fenstern spiegelten. In der Gegend standen noch einige andere Häuser. Sie gehörten den reichen Leuten aus der Stadt, die hier ihre Wochenenden verbrachten. Einige wurden auch als permanente Wohnsitze verwendet, so wie auch das ihre. Obwohl das Grundstück, auf dem sie ihr Haus gebaut hatten, nicht besonders groß war, schafften sie es nach einigen Verhandlungen mit ihrem Architekten, einen kleinen Sportplatz anzulegen, den ein hoher Zaun umrandete, denn gleich daneben ging es in eine steile Schlucht hinab. Der Sportplatz lag etwas unterhalb des Hauses und man musste einige Stufen hinuntersteigen. Sie hatten zwei Basketballkörbe dort montiert und zwei kleine Fußballtore aufgestellt. Und dank des Zaunes konnte auch kein Ball verlorengehen. Auf der Seite, auf der es zur Schlucht hinabging, war ein Tor im Zaun, das man nur mit einem Schlüssel öffnen konnte. Der Schlüssel war vor den Kindern gut versteckt. Er konnte sich nicht erinnern, diese Tür schon jemals geöffnet zu haben. Manchmal teilten sie sich in zwei Teams ein: Patrik, ihr Sohn mit Elisa und Evelyn, die jüngere Tochter spielte mit ihm. Sie nahmen diese Spiele zur großen Freude ihrer Kinder immer sehr ernst. Das Verliererteam musste nach dem Match immer Eis für alle ausgeben oder etwas anderes Süßes. Wenn das Wetter schön war, dann packten sie ihre Rucksäcke und nahmen etwas zu essen und zu trinken mit. Ihren von den Kindern heiß geliebten und verwöhnten Hund Pago durfte auch nicht fehlen und gingen so auf Wanderschaft durch die Gegend.

    Seine Frau und er liebten die Natur und sich draußen zu bewegen. Sie waren sehr froh darüber, diese Liebe auch auf ihre Kinder zu übertragen. Wenn sie einige Stunden gewandert waren und alles, was in ihren Rucksäcken versteckt war, aufgegessen hatten, machten sie sich wieder auf den Rückweg, entweder zu Fuß, oder, wenn der Weg sehr lang war, mit dem Bus, der unweit von ihrem Haus eine Station hatte. Zu Hause stiegen sie nach einer Dusche und einem guten Abendessen alle zusammen ins Schwimmbecken und plantschten. Das Schwimmbad auf der Höhe des Balkons wurde mit einem speziellen System beheizt, denn in ihrer Gegend war es auch im Sommer ziemlich kühl. Die Beckenwände waren mit Glas verlängert – eine Sicherheitsmaßnahme wegen der Kleinen. Und als sie mit dem Baden fertig waren, gingen sie auf den Balkon. Dieser Ort war sein Lieblingsplatz, um morgens seinen Kaffee zu trinken oder abends ein gutes Glas Wein, um mit seiner Frau zu plaudern oder den Kindern Geschichten zu erzählen. Von hier aus konnte man eine unglaubliche Aussicht genießen, bis in die Stadt, in der er arbeitete. Und wenn ganz klare Sicht war, konnte man sogar den Fluss, der an der Stadt vorbeifloss, erkennen, in dessen Wasser sich dann das Sonnenlicht spiegelte. Die Dampfer, die auf dem Fluss fuhren, sahen von hier aus wie Papierschiffe. In den Felsrissen wuchsen wild durcheinander die Tannen, manche reichten sogar schon bis zum Balkon herauf. Im Sommer konnte man vom Balkon aus dem Vogelgesang lauschen oder den Eichhörnchen beim Fangenspiel zusehen. Die Kinder liebten dieses Spiel. Pago allerdings bellte immer ganz nervös, wenn er die Eichhörnchen sah und niemand wäre besonders überrascht, würde er einmal eines fangen. Morgens, noch bevor er und Elisa in die Arbeit fuhren, tranken die beiden gemeinsam Tee oder Kaffee auf dem Balkon und schauten zur Stadt hinüber, über der noch morgendlicher Nebel lag. Die Kinder standen nicht so früh auf, sie wurden von ihrem Kindermädchen erst später in den Kindergarten und in die Schule gebracht. Hier und da ragte aus dem Nebel, der auch den Wald bedeckte, ein Tannenwipfel empor. Die Sonne, die langsam hinter einem Hügel hervorkam, warf ihr Licht auf die Tannenwipfel, als würde sie mit dem Nebel kämpfen, um ihn zu vertreiben.

    Und wenn sie es dann endlich schaffte und den Kampf gewann, dann schien sie zu lachen zu beginnen und ihr Licht spiegelte sich in tausenden Fenstern wieder. Dann wussten sie, dass es jetzt Zeit war, zur Arbeit zu gehen. Sie fuhren gemeinsam mit einem Auto. Auf dem Weg ließ er seine Frau bei ihrem Büro aussteigen, dann fuhr er in seine Firma weiter, die mehr am Stadtrand lag. Ihr zweites Auto verwendete das Kindermädchen, um die beiden Kinder zum Kindergarten und zur Schule zu bringen. Der Altersunterschied zwischen den beiden war nicht groß.

    Evelyn ging das letzte Jahr in den Kindergarten und Patrik hatte gerade mit der Schule begonnen. Wenn Mikhel bei seiner Firma ankam, begrüßte ihn der Portier höflich aus seinem Häuschen heraus, bevor er den Schranken für ihn öffnete. Er war einer der Vorstandsmitgliedern und man kannte ihn. Sein Auto parkte er auf seinem eigenen Parkplatz. Im Gang begrüßte er seine Kollegen, dann fuhr er mit dem Lift nach oben in sein Büro. Dort wartete schon seine Sekretärin auf ihn, die ihn begrüßte und ihm einen Ordner mit den neuesten Papieren in die Hand drückte. Sie machte ihm einen Kaffee oder Tee, je nachdem was er wollte. Und während er trank, sprachen sie über Neuheiten oder über den Tagesplan. Die Wirtschaftskrise, die überall zu spüren war, machte die Arbeit keinesfalls leichter, aber mit viel Mühe schafften sie es zumindest, ihre Klienten und Verträge zu behalten, und bis dato hatte die Firma auch noch keinen einzigen Angestellten entlassen müssen. Er saß an seinem massiven Holzschreibtisch und ging noch einmal die letzten Statistiken durch, wobei er einen besonderen Blick auf den Geschäftsmarkt und die Prognosen warf, die nicht besonders rosig aussahen.

    Die Sonne schien durch das Fenster und spiegelte sich in jedem Objekt des Raumes; im Computer, in der Bronzestatue, die links neben ihm stand, in der Blumenvase, die auf dem kleinen Couchtisch neben den Lederstühlen stand. Das kräftige Licht hinderte ihn am Sehen. Er wollte aus seinem Stuhl aufstehen, um die Jalousien zu schließen, aber etwas schien ihn zurück zu halten und machte es ihm unmöglich, sich zu bewegen.

    Er blinzelte einige Male, weil ihn das Sonnenlicht blendete, dann stieß er einen schmerzerfüllten Ruf aus und öffnete die Augen. Er wusste nicht, wo er war, schaute sich um, aber konnte sich nicht bewegen. Zuerst schaute er hinauf an die weiße Decke, dann ließ er seinen Blick seinen Körper entlang gleiten, der von einer hellen Decke bedeckt war. Sein rechtes Bein war eingegipst und wurde in einer eigenartigen Position von einigen Kabeln und Gewichten getragen. Rechts neben ihm stand ein helles Nachttischchen und ein Stativ, an dem mehrere Flaschen mit Infusionsflüssigkeit standen. Links standen mehrere Apparate. Er konnte nicht lesen was auf den Bildschirmen stand, aber wahrscheinlich hatten sie etwas mit den Kabeln zu tun, die genau in diese Richtung führten. Noch einmal schaute er zu der Infusionsflasche hinüber. Eine weiße Flüssigkeit tropfte in regelmäßigen Abständen hinab. Vage erinnerte er sich an einzelne Momente seines Unfalls.

    Das regelmäßige Tropfen erinnerte ihn an ein Klavier, das immer und immer wieder die gleiche Note spielte. Er versuchte die Tropfen zu zählen, doch plötzlich fielen seine Augen wieder zu und er schlief ein. Er träumte einen sehr intensiven Traum. Er fühlte sich glücklich, hatte ein Gefühl von Zufriedenheit und Euphorie. Als hätte sich sein Geist losgelöst von seinem Körper und würde nun irgendwo zwischen Himmel und Erde durch die Lüfte fliegen. Er träumte, dass er alleine zu Hause war, nur sein Hund Pago war bei ihm. Er war auf ihrem kleinen Sportplatz. Sah die Tür ohne Klinke, die den steilen Hang hinabführte. Aus Neugier stieß er sie auf. Ließ sie sich leicht öffnen. Er machte einen Schritt nach vorne und stand an der Klippe, trotzdem verspürte er keinerlei Angst. Etwas in ihm schien ihm zu sagen, er solle springen, so als wäre er ein Küken, dem sein Instinkt sagte, es solle sein Nest verlassen. Er breitete die Arme aus wie ein Schmetterling, der bereit war zu fliegen. Er warf sich ins Leere und zu seiner großen Verwunderung konnte er fliegen! Ein Windstoß hob ihn hoch in die Lüfte. Er fühlte sich leicht wie ein Löwenzahn, der vom Wind durch die Luft getragen wurde. Er flog über die Felsen, unter ihm konnte er das Dach seines Hauses entdecken, das von Sonnenstrahlen erhellt war. Er sah den Balkon, das Schwimmbad, den Sportplatz, auch seinen Hund Pago konnte er erspähen, der alleine zurückgeblieben war und jetzt scheinbar unentschlossen von einer Ecke in die andere sprang. Er flog immer weiter nach oben, schien schwerelos zu sein, als ihn plötzlich ein heftiger Windstoß durch die Luft wirbelte und sich zu überschlagen begann. Er fühlte, er würde abstürzen und plötzlich packte ihn die Angst.

    Verzweifelt strengte er sich an weiterzufliegen. Dann spürte er einen Schmerz. Sein Geist war wohl wieder in seinen Körper zurückgekehrt, den er verlassen hatte. Er wollte sich drehen, doch irgendetwas schien jede Bewegung zurückzuhalten. Dann öffnete er die Augen. Das helle Weiß im Zimmer blendete ihn. Er versuchte, sich an das Licht zu gewöhnen, als er rechts neben sich eine Krankenschwester stehen sah. Sie trug einen weißen Kittel und notierte gerade etwas am Bildschirm der Apparate. Leise ächzte er. Er hatte schrecklichen Durst, sein Mund war völlig ausgetrocknet. Trotzdem schaffte er es, mit leiser Stimme herauszubringen: „Ich habe Durst!"

    Die Schwester hörte ihn und kam um das Bett herum zum Nachttisch, auf dem ein großes Glas mit einer farbigen Flüssigkeit, wahrscheinlich Tee, stand. Sie kam zu ihm heran und hob seinen Körper leicht an, dann hielt sie ihm das Glas an den Mund und half ihm, einige Schlucke zu trinken. Genussvoll schlürfte er aus dem Glas. Der Durst schien vorerst gestillt zu sein und er fragte:

    „Was ist passiert? „Sie hatten einen Autounfall, sagte sie und stellte das Glas wieder zurück auf das Nachtkästchen. „Aber machen Sie sich keine Sorgen, alles ist in Ordnung."

    An den Autounfall selbst konnte er sich erinnern, doch er war neugierig zu erfahren, was danach passiert war, und fragte: „Wie schlimm ist es? Sie schien seinem Blick auszuweichen. Sie nahm ein Notizheft, hing es ans Bettende und sagte: „Das werden Sie mit dem Herrn Doktor besprechen. Aber jetzt erwartet Sie Ihre Familie.

    Die Schwester öffnete die Tür, er wandte seinen Blick und sah durch den Türspalt seine Frau, die mit einem Mann in einem weißen Mantel sprach. Das musste der Doktor sein, dachte er. Dann hörte er die Schwester sagen:

    „Er ist aufgewacht. Sie können jetzt zu ihm. Hastig ging die Tür auf und er sah seine Kinder Patrik und Evelyn, die ungeduldig wie immer auf ihn zustürmten. „Papa, Papa, wie schön, dass du endlich wach bist, riefen sie. „Langsam Kinder, seid vorsichtig!" Beide kamen zu ihm herbei und er versuchte, sie mit einem Arm zu umarmen. Er spürte einen kleinen Schmerz, als er diese schnelle Bewegung machte, doch er ließ sich nichts anmerken und hielt die beiden im Arm solange er konnte. Um seine Emotionen zu verbergen, fragte er:

    „Und, Pago habt ihr nicht mitgenommen? „Doch, haben wir!, riefen die Kinder. „Aber sie haben ihn nicht hereingelassen, deshalb mussten wir ihn im Auto lassen. „Jetzt reicht es, Kinder, scherzte seine Frau. „Jetzt bin ich an der Reihe!"

    Er küsste seine Frau und umarmte sie mit seinem freien Arm. Diese richtete ihm den Polster, damit er es bequemer hatte. Die Kinder setzten sich an den Bettrand, seine Frau auf einen Sessel, den sie näher ans Bett herangezogen hatte. Sie begannen ihm alles zu berichten, was er verpasst hatte, was sie zu Hause, in der Schule und im Kindergarten erlebt hatten. Seit seinem Unfall war viel passiert. Mit Vergnügen lauschte er den Stimmen seiner Kinder. Jeder Moment mit ihnen schien ihm so wertvoll und besonders zu sein, doch ab und zu blickte er fragend zu seiner Frau hinüber. Sie verstand und sagte nach einer Weile zu den Kindern:

    „Schluss jetzt, Kinder. Lassen wir Papa wieder etwas Ruhe. Patrik, nimm den Autoschlüssel. Ihr könnt Pago aus dem Auto holen und ein bisschen mit ihm spazieren gehen. Ich bleibe noch kurz hier, ich muss noch etwas mit dem Doktor besprechen."

    Die Kinder verabschiedeten sich mit vielen Küssen von ihrem Vater und versprachen, ihn ganz bald wieder zu besuchen. Dann verließen sie das Zimmer genauso vergnügt wie sie gekommen waren. Nachdem er mit seiner Frau über all das gesprochen hatte, was in dem letzten Tagen, in denen er im Koma lag, passiert war, fragte er sie: „Ich habe vorhin gesehen, dass du dich mit dem Arzt unterhalten hast. Was hat er gesagt?" Sie schien seinem Blick auszuweichen, sah hinüber zu den Geräten, an denen etliche Lichter leuchteten. Dann rückte sie die Decke zurecht, die zur Seite gerutscht war und antwortete:

    „Der Arzt hat gesagt, dass du jung und in einem guten körperlichen Zustand bist. Er glaubt, dass du schnell und ohne Probleme wieder gesund wirst! Du hast einige gebrochene Rippen und außerdem einen Schlag an der Wirbelsäule abbekommen, deshalb trägst du jetzt auch dieses spezielle Korsett. Du wirst noch eine Weile im Bett liegen müssen und danach auf Reha gehen. Die Versicherung wird nur einen Teil davon übernehmen, aber mach dir bitte keine Sorgen, wir haben noch genug Erspartes und kommen zurecht! Der Arzt hat außerdem gesagt, dass er schon Fälle hatte, die noch schwerer waren als deiner und die durch diese Therapie geheilt wurden!" Aufmerksam hörte Mikhel zu, was seine Frau ihm erzählte. Doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie nicht die ganze Wahrheit sagte und ihm noch irgendetwas verheimlichte. Er kannte sie einfach zu gut. Die Tür ging auf, und die Krankenschwester, es war eine andere als am Morgen, kam herein, nahm das Heft am Bettende in die Hand, notierte etwas und sagte:

    „Der Doktor kommt gleich gemeinsam mit einigen Fachärzten!" Seine Frau streichelte ihm übers Gesicht, gab ihm einen kurzen Kuss. Er berührte mit seiner freien Hand ihr Gesicht, konnte ihr samtweiches Haar fühlen. Sie nahm seine Hand ganz fest in ihre und flüsterte in sein Ohr:

    „Wir werden so oft wir können zu dir kommen!" Dann nahm sie ihre Tasche vom Bettrand und ging aus dem Raum. Plötzlich fühlte er sich einsam und verlassen. Die Krankenschwester kam herbei, nahm behutsam seine Decke und legte sie achtsam über einen Stuhl.

    „Wir müssen uns jetzt für die Visite vorbereiten, sagte sie. Aus dem Nachttisch holte sie eine große Plastiktüte hervor, auf der „Windeln für Erwachsene geschrieben stand. Sie nahm ein Paar aus der Tüte heraus und sagte scherzhaft:

    „Vorerst müssen wir wohl damit auskommen!" Sie arbeitete sehr schnell und routiniert, vermied es, seinen Körper zu sehr zu bewegen. Offensichtlich hatte sie diese Handgriffe schon sehr oft gemacht und wusste genau, was sie tat. Innerhalb kürzester Zeit war sie fertig, warf die gebrauchte Windel in einen Müllsack und verließ damit das Zimmer, zuvor richtete sie ihm allerding noch sein Kissen und die Decke zurecht.

    Kurze Zeit später ging die Zimmertür erneut auf und einige Ärzte in weißen Kitteln betraten den Raum. Sie unterhielten sich gerade. Einer von ihnen, wahrscheinlich der, der für Mikhel verantwortlich war, nahm schließlich die Visitenakte zur Hand, die am Bettende angebracht war, und warf einen genauen Blick auf die Daten, die darauf notiert waren.

    „Es gibt keine Auffälligkeiten oder Komplikationen. Soweit sieht alles gut aus und in ein paar Wochen wird auch das gebrochene Bein geheilt sein. Sie müssen jetzt noch eine Zeit lang im Bett liegen und unbedingt die Therapie fortsetzen." Der Arzt rief die Schwester herbei, die im Hintergrund etwas erledigte und informierte sie darüber, was besprochen wurde. Er notierte etwas in der Krankenakte und klemmte sie, als er fertig war, wieder ans Bettende ein.

    „Ich habe Ihnen jetzt noch ein paar neue Medikamente verschrieben", sagte er nach Absprache mit den Fachärzten. Dann verließen die Herren das Zimmer. Nur die Krankenschwester blieb zurück, die gerade dabei war, eine neue Infusion aus dem Schrank zu nehmen.

    „Aber entschuldigen Sie bitte noch einen kurzen Moment", rief er dem Doktor nach.

    „Ich kann meinen Körper nicht spüren. Auch nicht das andere Bein, das nicht gebrochen und eingegipst ist. Ich kann meine Zehen nicht bewegen. Was hat das zu bedeuten?"

    „Sie müssen sich keine Sorgen machen", der Arzt war in der Tür stehen geblieben und hatte sich zu Mikhel umgedreht.

    „Das sind ganz normale Folgen des starken Aufpralls. Ihre Wirbelsäule wurde verletzt, aber wir haben die richtige Behandlung dafür eingeleitet. Bald werden Sie auch mit einer Physiotherapie beginnen, und wenn das gebrochene Bein wieder geheilt ist und alles weiterhin so gut läuft, dann können Sie schon bald wieder ohne Probleme gehen, ja sogar Sport machen!" Der Arzt lächelte ermutigend, dann gingen sie diskutierend fort. Die Schwester war gerade dabei, seine täglichen Medikamente vorzubereiten. Sie sortierte sie in ein Behältnis, das nach Wochentagen unterteilt war. Jeder Tag war außerdem in drei Zeiten unterteilt. Sie zeigte ihm die Dose und erklärte, wie er seine Medikamente nehmen musste: morgens, mittags und abends.

    „Hier auf ihrem Nachttisch steht immer eine Flasche Wasser und ein Glas. Sie können also selbstständig Ihre Medikamente nehmen, falls meine Kollegin oder ich es einmal vergessen sollten. Normalerweise denken wir aber daran. Ich rücke Ihnen jetzt noch den Fernseher so zurecht, dass Sie bequem schauen können. Die Fernbedienung lasse ich Ihnen hier liegen, wo Sie sie leicht erreichen können. Und wenn Sie sich nicht gut fühlen oder irgendetwas brauchen, dann drücken Sie bitte auf diesen roten Knopf und eine von uns kommt sofort zu Ihnen geeilt."

    Dann verließ die Schwester das Zimmer. Mikhel schaltete den Fernseher ein und suchte nach dem Nachrichtenprogramm. Er war neugierig zu erfahren, was alles passiert war und welche Neuigkeiten es gab. Auf seinem Lieblingssender hatten die Nachrichten gerade begonnen. Nichts Großartiges war passiert, ein paar Unfälle, korrupte Politiker, und natürlich die große Wirtschaftskrise, die sich weltweit verbreitete und ausweglos erschien. Er war erpicht darauf zu erfahren, was es in seiner Firma Neues gab und wie die letzten Vertragsverhandlungen verlaufen waren. Er hatte so viel Arbeit in diesen Vertrag gesteckt. Auf seinem Nachttisch stand ein Telefon. Mit der Hand, in der er nicht so große Schmerzen hatte wie in der anderen, nahm er den Hörer ab. Und ohne zu wissen, ob er überhaupt auch außerhalb des Krankenhauses telefonieren durfte, wählte er die Nummer seiner Chefin. Ihre Sekretärin hob ab, die Mikhels Stimme sofort erkannte. Sie schien sich zu freuen.

    „Ich leite Sie gleich weiter. Die Chefin telefoniert gerade, aber ich verbinde Sie mit dem Notfalltelefon." Er musste einige Minuten warten, dann hob die Chefin ab. Sie schien auch sehr froh darüber zu sein, wieder von ihm zu hören. Nachdem sie sich kurz über seinen Gesundheitszustand unterhalten hatten, kamen sie auch schon zu dem Thema, weswegen Mikhel in erster Linie angerufen hatte: Arbeit! Seine Chefin berichtete, dass die Präsentation des neuen Projektes ein voller Erfolg gewesen war und dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis der Vertrag endgültig unterschrieben werden würde. Sie gratulierte vor allem Mikhel zu diesem Erfolg und zeigte sich ungeduldig, dass er endlich wieder zur Arbeit komme. Als sie fertig telefoniert hatten, legte Mikhel den Hörer wieder auf. Gerade da ging die Tür auf und die jüngere Krankenschwester kam mit einem Tablett herein.

    „Essenszeit!, sagte sie. „Sie müssen unbedingt etwas essen, damit Sie wieder zu Kräften kommen. Aber zuerst helfe ich Ihnen noch dabei sich zu waschen. Sie drehte sich um und stellte das Tablett auf einem freien Stuhl ab. Sein Blick glitt über ihre Hüften und Oberschenkel, während sie diese Bewegung machte. Der enge Kittel betonte ihren wohlgeformten Körper noch mehr. Sie nahm ein Behältnis mit Wasser und begann, ihm mit einem Schwamm das Gesicht und die Hände zu waschen. Ihm gefiel dieses nasskalte Gefühl und er genoss es sehr, gewaschen zu werden. Die Schwester beugte sich nach vorne. Mit halb geöffneten Augen betrachtete er ihre großen Brüste, deren Ansatz er durch den Ausschnitt des Kittels erspähen konnte.

    „Gut, hier sind wir fertig!", sagte sie und stellte den Eimer zur Seite. Dann half sie ihm dabei, sich aufzusetzen. Als er in der richtigen Position war, nahm sie das Tablett und stellte es an den Deckenrand, sodass er es mit beiden Händen gut erreichen konnte.

    „Glauben Sie, dass Sie es alleine schaffen?, fragte sie. „Ich denke schon. Ich werde es zumindest versuchen, antwortete er, obwohl er Schmerzen in seiner Hand verspürte.

    „Wenn nicht, dann drücken Sie den roten Knopf und ich komme, um Ihnen zu helfen!" Die Krankenschwester verließ das Zimmer. Mit der Hand, die nicht so schmerzte, griff er nach dem Löffel. Hunger hatte er nicht wirklich, aber es war ihm klar, dass er essen musste, um wieder zu Kräften zu kommen. Die Suppe war warm und schmeckte ihm ziemlich gut, trotzdem schaffte er es nicht alles aufzuessen. Den Hauptgang kaute er langsam und sehr behutsam. Als er fertig war, schälte er sich eine Banane. Sie war ganz reif und schmeckte köstlich. Er drückte den roten Knopf und wenig später kam die Krankenschwester herein und brachte ihm eine Tasse Cappuccino, seinen Lieblingskaffee. Überrascht schaute er sie an.

    „Ihre Frau hat uns verraten, was Sie besonders gerne mögen." Er schaltete den Fernseher wieder ein und trank seinen Kaffee. Es liefen die üblichen Nachrichten: ein paar Autounfälle, ein Flugzeugunglück irgendwo in den Bergen und natürlich die Wirtschaftskrise. Die großen Weltbanken hatten Probleme, unter anderen auch eine, die mit seiner Firma zusammenarbeitete.

    Mikhel warf einen Blick auf sein Bein, das noch immer vergipst war. Er schob die Decke beiseite, um auch das zweite Bein betrachten zu können. Er beobachtete seine Zehen, versuchte diese zu bewegen. Aber trotz aller Bemühungen schienen sie ihm einfach nicht zu gehorchen. Auch seine Knie abzubiegen, war ihm unmöglich. Immer wieder versuchte er es, aber nach mehrmaligem Scheitern gab er ermüdet auf. Bei der nächsten Visite würde er mit dem Arzt darüber sprechen. Die Tage vergingen und er wartete schon ganz ungeduldig darauf, dass seine Familie ihn wieder besuchen würde. Er fühlte sich schon etwas besser. Die Schmerzen aus seiner Hand waren verschwunden und der Arzt hatte versprochen, dass ihm in ein paar Tagen auch der Gips vom Bein abgenommen werden würde. Endlich kam seine Familie zu Besuch. Evelyn und Patrik hatten sich bemüht, ihm etwas mitzubringen, was ihm Freude bereiten würde.

    Sie machten gemeinsam Witze und lachten viel. Sogar jemand aus der Firma hatte ihm eine Schachtel Pralinen und einen Strauß Blumen geschickt. Mit seiner Frau sprach er darüber, dass er seine Beine nicht spüren konnte, nicht einmal das gesunde. Sie versuchte ihn zu beruhigen und versicherte ihm, dass er im besten Krankenhaus sei. Die Ärzte seien absolute Experten, vor allem für solche Fälle wie den seinen. Das kostete natürlich unglaublich viel Geld, aber die Versicherung übernahm einen Teil der Summe. Über das Geld müsse er sich somit keine Sorgen machen. Nachdem er sich von den Kindern verabschiedet hatte, kam seine Frau nahe an ihn heran, küsste ihn und streichelte ihm übers Gesicht. Dann flüsterte sie zärtlich und mit einem Lächeln im Gesicht in sein Ohr:

    „Wenn du nach Hause kommst, werden wir sehen, was noch funktioniert und was nicht." Als seine Familie gegangen war, kam eine Gruppe von Ärzten in sein Zimmer. Jeder von ihnen stellte ihm eine Reihe von Fragen. Sie warfen genaue Blicke auf die Daten in der Krankenakte, dann sagte einer:

    „Wir werden Ihnen jetzt den Gips abnehmen und ab nächster Woche beginnen Sie dann die Physiotherapie mit einem Spezialisten. Dann muss langsam das Gefühl in Ihren Beinen wieder zurückkommen und Sie werden versuchen, wieder selbstständig auf den Beinen zu stehen und zu gehen." Kurz darauf wurde er in einen Raum gebracht, in dem ihm der Gips abgenommen wurde. Das Bein wurde geröntgt. Er wurde wieder zurück in sein Zimmer geführt, wo ihm die Beine massiert wurden und er Medikamente bekam.

    Am nächsten Tag brachte ihm die Krankenschwester einen Rollstuhl und meinte, dass es jetzt an der Zeit wäre, das Bett zu verlassen und ein bisschen frische Luft zu schnappen. Sie wechselte seine Windel, dann hob sie ihn mit Hilfe einer zweiten Schwester in den Rollstuhl. Sie erklärte ihm genau, wie er den Stuhl verwenden müsse und schob ihn anschließend zum Aufzug am Ende des Flurs. Sie fuhren bis ins Erdgeschoss, wo es einen eigenen Weg für Rollstühle gab. Sie gingen durch den Haupteingang in den Park hinaus, der sich direkt vor dem Spital befand. Der Park war umrandet von alten Linden. Der Rasen war frisch gemäht und verbreitete einen angenehmen Geruch. Mikhel schaute zum Himmel empor, den er so lange nicht mehr gesehen hatte. Es war ein schöner, sehr klarer Tag. Nur einige Wolken erschienen wie Wattebausche an manchen Stellen des blauen Himmels auf. In den Kastanien saßen Amseln und sangen vergnügt ihre Lieder.

    Er war nicht der Einzige im Park. Einige andere Patienten waren ebenfalls draußen und wurden in ihren Rollstühlen umhergeschoben. Einige saßen auf den grün gestrichenen Bänken und ließen sich von den angenehmen Sonnenstrahlen wärmen. „Glauben Sie, dass sie auch alleine zurechtkommen?, fragte die Krankenschwester nach einer Weile. Er nickte, also ließ sie ihn mitten im Park neben einer Holzbank stehen. Er atmete tief ein. Fast schon gierig, so viel frische Luft wie nur möglich aufzuschnappen. Er hatte den Krankenhausgeruch, den er täglich um sich hatte, schon satt. Freundlich begrüßte er alle, die ihm begegneten. Manche von ihnen gingen mit einer oder zwei Krücken. „Was für ein Glück sie doch haben, dachte er sich und war beinahe etwas neidisch.

    Nicht weit von ihm entfernt saßen zwei Spatzen in der Wiese und zankten, warum auch immer. Sie hüpften aufgeregt hin und her und hörten gar nicht mehr auf, laut zu zwitschern. Gelbe Blätter wurden von einer leichten Brise durch die Luft getragen und erinnerten ihn daran, dass bald der Herbst kommen würde. Ein Schmetterling irrte durch den Park und setzte sich ganz ohne Furcht auf die Rollstuhllehne, wahrscheinlich um etwas zu rasten. Er rührte sich nicht und betrachtete die schon fast durchsichtigen Flügel, die in wunderschönen Farben leuchteten. Sofort erinnerte sich an den schönen Traum, den er gehabt hatte. Plötzlich spürte er eine unfassbare Sehnsucht nach seinem gewohnten Leben von früher. Er vermisste sein Haus, seine Familie, seine Arbeit, die er doch immer so gerne gemacht hatte. Er genoss diesen wunderschönen Tag und blieb noch eine Weile draußen. Langsam wurde er jedoch schläfrig. Das lag wohl an der frischen Luft, sie ermüdete ihn. Also setzte er seinen Rollstuhl wieder in Bewegung, fuhr die Rampe hinauf und nahm den Aufzug bis nach oben in das Stockwerk, in dem sein Zimmer war. Er drückte den roten Knopf, woraufhin die beiden Krankenschwestern erschienen und ihm dabei halfen, sich wieder ins Bett zu setzen. Sie erkundigte sich nach seinem Befinden, ob er irgendetwas brauche. Dann informierten sie ihn, dass er morgen eine Sitzung beim Psychologen haben werde. Das sei reine Routine und nichts Außergewöhnliches.

    Am nächsten Tag kam tatsächlich der Psychologe, der sich genau nach dem Werdegang des Unfalles erkundigte. Sie unterhielten sich darüber, was für schlimme Folgen dieser Unfall hätte gehabt haben können und dass es ein Glück sei, dass er in seinem Fall noch gut davon gekommen war. Sie sprachen außerdem noch darüber, wie das Leben für Menschen sei, die tagtäglich an den Rollstuhl gefesselt sind.

    Er kannte einige Fälle, in denen die Betroffenen über den ersten Schock hinweggekommen waren und ein ganz normales Leben führten, sowohl in der Arbeit als auch privat.

    Er machte weiter seine Übungen, massierte seine Beine, die ihm noch immer nicht gehorchen wollten. Außerdem lernte er ohne fremde Hilfe aus dem Bett aufzustehen und wie er mit seinem Rollstuhl eigenständig herumfahren konnte. Das gab ihm auf eine Art und Weise das Gefühl, frei und unabhängig zu sein. Er freute sich darüber, dass es noch schön warm draußen war, das gab ihm irgendwie Hoffnung, dass alles gut werden würde. Mit seinem Psychologen sprach er sehr viel und oft, hütete sich aber davon, ihm von seinem wiederkehrenden Traum zu erzählen, dessen Herkunft er noch nicht erahnen konnte. Vielleicht war es die Müdigkeit von den langen Rollstuhlfahrten, vielleicht auch ein bestimmtes Medikament, das den Traum auslöste. Er wusste nicht und vorerst wollte er auch, dass es sein Geheimnis blieb.

    Als seine Familie erneut zu Besuch kam, war seine Frau anders als sonst. Sie schien sich Sorgen zu machen. Er fragte, was los sei und sie erzählte ihm, dass es Probleme mit der Versicherung gäbe, die nicht die Summe zahlen wolle, die sie vorgeschlagen hätten. Als sie sah, dass sich jetzt auch er sorgte, versicherte sie ihm, dass sie weiterkämpfen werde und dass sich bestimmt noch alles zu ihren Gunsten klären werde.

    Bei der nächsten Visite berichtete der Arzt, dass die Zeit im Krankenhaus nun fast vorbei sei und er bald wieder nach Hause könne. Die folgende Therapie könne er auch ambulant machen und müsse dazu nicht mehr im Spital bleiben. Die Untersuchungen hätten sehr erfreuliche Ergebnisse erbracht und es reiche, wenn er von jetzt an ein Mal im Monat zur Routinekontrolle vorbeikommen würde. Als seine Frau und die Kinder beim nächsten Besuch die Neuigkeiten erfuhren, umarmten sie ihn und freuten sich, dass er bald wieder bei ihnen zu Hause sein würde. Sie hatten einen Rollstuhl besorgt, der zusammenklappbar war und problemlos ins Auto passte. Mikhel verabschiedete sich von allen Krankenschwestern und Ärzten, die sich um ihn gekümmert hatten und fuhr gemeinsam mit seiner Familie nach Hause. Auf dem Heimweg genoss er die Aussicht aus dem Fenster. Pago lag auf seinem Schoß und wollte gar nicht mehr weg. Die Kinder machten sich einen großen Spaß daraus.

    „Jetzt siehst du, wer dich am meisten vermisst hat!" Mikhel blickte aus dem fahrenden Auto, beobachtete den dichten Verkehr auf der Straße, die sie entlangfuhren, die gehetzten Menschen, die über die Gehsteige huschten. Plötzlich hatte er wieder das Gefühl, Teil dieser Leute zu sein, die ein Ziel hatten und sich Gedanken über den Lauf der Dinge machten.

    Endlich verließen sie die Stadt und erreichten die Straße, die direkt zu ihrem Haus führte. Jetzt begann der gefährlich kurvige Abschnitt des Weges, der von Tannen gesäumt war. In einer Kurve fiel ihm die neue Leitplanke auf. Es war genau die Stelle, an der er den Unfall gehabt hatte und einige Bilder traten in seinen Kopf. Endlich kamen sie zu Hause an. Seine Frau brachte ihm den Rollstuhl und die Kinder halfen ihm dabei, aus dem Auto auszusteigen und sich zu setzen.

    „Wir haben einiges verändert während du im Krankenhaus warst", sagte seine Frau. Die Garage befand sich im Erdgeschoss, wo ebenso das Wohnzimmer und die Küche waren. Von der Garage aus gelangte man durch eine Tür direkt ins Wohnzimmer und von dort aus in sein neues Schlafzimmer, das noch gemütlicher war als alle anderen Räume. Außerdem gab es im Erdgeschoss noch ein WC für Gäste und eine Dusche. Er freute sich sehr, wieder zu Hause zu sein, und genoss es, endlich wieder die ihm so vertrauten Räume zu sehen: das Wohnzimmer mit all den Möbeln, die er damals gemeinsam mit seiner Frau ausgesucht hatte. Wie lange sie damals von Möbelgeschäft zu Möbelgeschäft gelaufen waren, um das Richtige zu finden. Die Küche hatten sie sich nach ihren speziellen Wünschen anfertigen lassen, genauso wie den Kamin, den sie an kalten Wintertagen einheizten, gar nicht unbedingt wegen der Wärme, sondern vielmehr, um schöne gemütliche Winterabende miteinander zu verbringen. Durch eines der großen Wohnzimmerfenster konnte man direkt auf den Spielplatz vor dem Haus sehen. Wie er so

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