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Angeeckt: Von den Wiener Punks in die Goth Clubs von Sao Paulo
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eBook343 Seiten4 Stunden

Angeeckt: Von den Wiener Punks in die Goth Clubs von Sao Paulo

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Über dieses E-Book

Punk-Rock Konzerte mit eindrucksvollen Bühnenshows, tätowierte, langhaarige Musiker, düstere Lokale, Goth-Klamotten und eine radikale Botschaft. Ex-Punkerin Felsi bewegt sich in einer Welt, die Heavy Metal und Gottesglauben vereint, dabei aber alles andere als spießig oder bieder ist. Licht durchbricht Dunkelheit. Die Ketten sind gesprengt. Eine faszinierende, wahre Geschichte, die erfunden nicht spannender sein könnte.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Juni 2016
ISBN9783734529757
Angeeckt: Von den Wiener Punks in die Goth Clubs von Sao Paulo

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    Buchvorschau

    Angeeckt - Felsi Heavy

    1. VON ZU HAUSE ABGEHAUEN

    „Ich kann heute leider nicht kommen, ich habe die Grippe", hauchte ich mit vorgetäuscht kränklicher Stimme in den Telefonhörer.

    „Schon wieder?, ertönte die genervte Stimme meiner Chefin am anderen Ende der Leitung. „Du hast ja jeden Monat einmal die Grippe! Na, dann gute Besserung! Sie war ganz offensichtlich verärgert. Genau das hatte ich schon erwartet. „Danke", sagte ich und legte schnell auf.

    Es war ein verschneiter Samstag im Februar 1991. Ich befand mich in einer kleinen, dunklen, stinkigen Telefonzelle in einem Wiener Bahnhof, und ich war keineswegs krank, sondern fest dazu entschlossen, auszubrechen. Auszubrechen aus einem Leben, das mir langweilig, eintönig und absolut sinnlos vorkam. Dafür nahm ich sogar diese grausigen Telefonzellen in Kauf, wo man nie genau wusste, ob nicht jemand in die Klappe mit dem Restgeld gespuckt hatte. Eigentlich hätte ich jetzt im Geschäft sein sollen. Nie wieder wollte ich dort hingehen. Ich würde verschwinden. Meine Vorgesetzten würden sich schon bald ein neues Lehrmädchen suchen müssen. Ich hatte auf jeden Fall keine Lust mehr. Keine Lust, jemand zu sein, der ich nicht war, keine Lust, mich ständig nach den Vorstellungen und Erwartungen anderer zu verbiegen. Ich würde mein Leben selbst in die Hand nehmen, und niemand würde mich aufhalten können. Ich fühlte mich wie ein Vogel, der im Begriff war, seinen kleinen, engen Käfig zu verlassen, und in die endlosen Weiten der Freiheit zu fliegen. Noch einmal griff ich zum Telefonhörer, wählte eine Nummer.

    „Hallo, Roman!" Mein Herz klopfte wild. Roman war ein wichtiger Teil meines Plans, aber noch hatte er nicht die geringste Ahnung davon.

    „Hallo, wie geht’s?", antwortete Roman; der Klang seiner vertrauten Stimme beruhigte mich sehr.

    „Danke, es geht so. Darf ich dich nächste Woche besuchen kommen?" Ich war so aufgeregt, dass meine Stimme diesmal tatsächlich seltsam heiser klang.

    „Na klar!, antwortete er, als hätte er meine Frage schon erwartet. „Ich hol dich vom Bahnhof ab!

    Roman war mein Rettungsanker! Er war einige Jahre älter als ich, und ich kannte ihn erst seit wenigen Monaten. Ich hatte ihn in einem bekannten Wiener Szenelokal kennengelernt, wo er als Roadie für eine deutsche Punkband gearbeitet hatte. Roman war groß und schlank, hatte schwarze, lange Haare, die bis zu seinen Hüften reichten, er trug Piercings und war stark tätowiert. Vom ersten Moment an hatte ich gewusst, dass ich ihm vertrauen konnte. Roman lebte in Deutschland. Zu ihm würde ich abhauen.

    „Danke, Roman. Ich freu mich schon darauf, dich zu sehen", sagte ich erleichtert.

    „Ich freu mich auch auf dich", antwortete er, so nett und freundlich, wie er immer war. Vielleicht ahnte er ja bereits, dass ich von zu Hause weglaufen würde.

    Rasch besorgte ich mir das Zugticket nach Deutschland. Der Bahnhof wirkte plötzlich hell und freundlich. Es war zwar sehr kalt, aber trotzdem strahlte die Sonne, und der eintönige, graue Wintertag schien für einige Zeit in hellen, bunten Farben zu leuchten. So erschien es mir zumindest, als ich das Ticket endlich in der Hand hielt.

    Das Ticket zu Roman, mein Weg in die Freiheit!

    Roman war wie ein älterer Bruder für mich. Ihm konnte ich von meinen Problemen erzählen, und seine gut gemeinten Ratschläge befolgte ich wie keine anderen. Ich hatte ihm schon öfters erzählt, wie unglücklich ich mit meinem Leben war. Niemand außer Roman wusste, dass ich sogar schon an Selbstmord gedacht hatte. Ab und zu hatte ich ihn angerufen oder ihm Briefe geschrieben.

    „Das Leben kann sehr hart sein, aber man muss die Sache meistern", hatte er mir zurückgeschrieben. Wahrscheinlich hatte er recht; sich umzubringen, das konnte nicht die richtige Lösung sein!

    Als ich den Bahnhof verließ, begann es gerade zu schneien. Dicke Schneeflocken fielen auf die vielen alten Häuser der Großstadt. Die Sonne war inzwischen verschwunden, und ein weißer, weicher Mantel legte sich auf die schmutzige, stark befahrene Straße; es sah wunderschön aus. Bestimmt würde alles gut werden. Ich würde es schaffen. Ich würde den Weg gehen, den mir mein Herz zeigen würde, auch wenn es schwierig werden würde. Ich war fest entschlossen, und bereit zu kämpfen!

    Schon am nächsten Montagmorgen verließ ich die Wohnung mit der Absicht, nicht mehr zurückzukommen. Ich brach zur selben Zeit auf wie immer, sodass es für meine Eltern so aussah, als ob ich wie jeden Tag zur Arbeit fahren würde. Aber heute hatte ich heimlich meine Reisetasche mit den wichtigsten Sachen aus dem Haus geschmuggelt. Alles hatte perfekt geklappt, meine Eltern hatten nicht für eine Sekunde den geringsten Verdacht geschöpft, dass ich dabei war, abzuhauen. Trotzdem war ich äußerst angespannt und nervös. So schnell ich konnte, rannte ich unsere Straße hinunter, zur nächsten Straßenbahn, die mich zum Bahnhof bringen würde. Alles war verschneit, noch immer waren die Straßenarbeiter damit beschäftigt, den flockigen, weißen Schnee zu kleinen Hügeln zusammenzuschaufeln. Die Straßenbahn war überfüllt, wie jeden Tag waren unzählige Leute auf dem Weg zur Arbeit, mit Aktentaschen und der Morgenzeitung in der Hand. Außer mir schleppte niemand eine voll bepackte, schwere Reisetasche mit sich herum.

    Schon jetzt hatte ich das Gefühl, dass die Polizei nach mir suchen würde, obwohl ich noch nicht einmal eine Stunde von zu Hause weg war. Mein

    Herz raste wie verrückt. Auf keinen Fall wollte ich jetzt irgendwelche Bekannten treffen, und vor allem niemanden, den auch meine Eltern kannten!

    Erst als ich in den Zug nach Deutschland eingestiegen war und meinen Sitzplatz gefunden hatte, fühlte ich mich etwas sicherer. Der Zug war fast leer und fuhr durch eine wunderschöne, verschneite Landschaft, an Feldern und Wiesen vorbei, durch Städte und Täler. Aber innerlich war ich trotz der beruhigenden Landschaft vor dem Zugfenster sehr aufgewühlt. So stressig hatte ich mir das Abhauen nicht vorgestellt!

    Am Abend kam ich in Friedrichshafen an; hier lebte Roman. Schon vom Zug aus hatte ich gesehen, dass die Gegend bildschön war. Berge, Wälder und Wiesen, soweit das Auge reichte.

    Am Bahnsteig hielt ich nach Roman Ausschau. Wo war er? Noch immer war ich gestresst. Schon in wenigen Stunden würden mich meine Eltern vermissen. Ich musste so schnell wie möglich in die Sicherheit von Romans vier Wänden – doch er war nirgends zu sehen. Schließlich verlor ich die Nerven und nahm mir ein Taxi zu Romans Haus, einfach damit ich so schnell wie möglich wegkam vom Bahnhof. Ich nannte dem Taxifahrer Romans Adresse, er fuhr los und hielt kurze Zeit später vor einem schönen Haus an. Hier wohnte Roman also. Aufgeregt läutete ich an der Tür. Ein Mädchen mit langen, schwarzen Haaren, Tattoos und Piercings öffnete mir. Das musste Romans neue Freundin sein! Sie war sehr blass, schwarz geschminkt und ganz in Schwarz gekleidet, mit Minirock und T-Shirt. Sie hätte perfekt in einen Vampirfilm gepasst. Sehr cool sah sie aus.

    „Hallo, ich bin die Mono, sagte sie freundlich, und hielt mir ihre Hand hin. „Der Roman ist gerade am Bahnhof, um dich abzuholen.

    Ich sagte nicht viel zu ihr; unmöglich konnte ich ihr erklären, dass ich von zu Hause abgehauen war und panische Angst hatte, dass die Polizei schon nach mir suchte. Damit wollte ich auf Roman warten. Glücklicherweise erschien er kurze Zeit später. Er hatte sich schon Sorgen um mich gemacht, weil er mich am Bahnhof nicht gefunden hatte. Als er mich jetzt sah, hellte sich sein Gesicht auf. Wir umarmten uns lange.

    Bei Roman fühlte ich mich sicher und geborgen, und langsam entspannte ich mich etwas. Wir machten es uns im Wohnzimmer bequem.

    Alle Möbel, auch der teuer aussehende Spannteppich, waren schwarz. In den Regalen stapelten sich Unmengen von Schallplatten, allesamt Heavy Metal, mein Lieblingsgenre. Einige ausgefallene Gruselmasken standen herum, und unter dem Couchtisch aus Glas befanden sich – schön gestapelt – so viele Heavy-Metal-T-Shirts, wie ich in meinem Leben noch nie gesehen hatte. Genauso hatte ich es mir bei Roman vorgestellt. Gemütlich war es hier!

    Roman stellte einige Getränke und Snacks auf den Tisch, setzte sich und sah mich an. Jetzt war es an der Zeit, ihm zu sagen, warum ich hier war. Wieder spürte ich, wie angespannt ich war. Ich hatte schreckliche Angst, dass meine Eltern die Polizei verständigen würden, weil sie mich wahrscheinlich schon vermissten.

    „Ich bin von zu Hause abgehauen", brachte ich mühsam hervor. Hoffentlich blieb Roman jetzt cool. Gespannt wartete ich auf seine Reaktion.

    „Das hab ich mir schon gedacht", sagte er ernst. Was würde er jetzt tun? Würde er mich gleich wieder nach Hause schicken?

    „Ich musste es tun, sagte ich. „Mit meinen Eltern zu reden, hat keinen Sinn. Sie verstehen mich überhaupt nicht. Ich bin verzweifelt!

    Roman sah mich verständnisvoll an, vermutlich hätte er die Situation auch ohne Worte begriffen.

    „Was soll ich jetzt tun?, fragte ich ihn. „Soll ich zu Hause anrufen? Bestimmt vermissen sie mich schon.

    Mittlerweile war es Nacht geworden.

    „Ich würde sie erst einmal mit einem Fragezeichen ins Bett gehen lassen", antwortete Roman nach kurzem Überlegen. Mono war der gleichen Meinung, sie nickte.

    Ich atmete erleichtert auf. Für ein Telefonat war ich im Moment nämlich ohnehin nicht wirklich in der Lage. Schon allein beim Gedanken an meine Eltern wurde mir schlecht. Bildhaft stellte ich mir die Aufregung vor, die zu Hause herrschen musste, weil ich verschwunden war. Schnell verdrängte ich diese unerfreuliche Szene wieder.

    Ich war so erschöpft und ausgepowert, dass ich beschloss, gleich schlafen zu gehen. Müde fiel ich ins Bett und schlief tatsächlich sofort ein. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Roman schon zur Arbeit gegangen, aber Mono war noch da. Ich wusste, nun konnte ich es nicht mehr länger hinauszögern: Ich musste zu Hause anrufen.

    Aufgeregt wählte ich die Nummer von meinen Eltern. Meine Mutter meldete sich sofort. Anscheinend hatte sie schon auf ein Lebenszeichen von mir gewartet. Ihre Stimme klang verweint. „Wo bist du?", wollte sie wissen.

    „Ich bin bei Freunden. Im Ausland", antwortete ich mit belegter Stimme. Meine arme Mama. Bestimmt hatte sie die ganze Nacht furchtbare Angst um mich gehabt.

    „Wo im Ausland bist du?", fragte sie.

    „Das sag ich nicht", antwortete ich.

    „Wann kommst du zurück?", fragte meine Mama weiter. Sie schien einem Nervenzusammenbruch nahe zu sein.

    „Ich komme nur dann zurück, wenn ich meine Lehre abbrechen darf", sagte ich und versuchte dabei, stark zu klingen.

    Gerade war ich dabei, meine Eltern zu erpressen, aber genau das war schließlich mein Plan gewesen; deswegen war ich hier bei Roman. Stille in der Leitung. Meine Mama schien fassungslos.

    „Ich meld mich dann in den nächsten Tagen noch einmal", sagte ich schnell, und legte den Hörer auf.

    Das Schwierigste war geschafft! Ich hatte mich zu Hause gemeldet, wenn auch nur kurz. Das würde meine Eltern hoffentlich davon abhalten, die Polizei zu verständigen. Ich war ganz klar das schwarze Schaf in meiner Familie und eine große Enttäuschung für meine Eltern, aber das war mir mittlerweile egal. Es war mir egal, weil ich fest entschlossen war, meinen eigenen Weg zu gehen, und nicht den Weg, den andere mir vorschreiben wollten.

    Nach ein paar Tagen rief ich ein zweites Mal zu Hause an. Wieder klopfte mein Herz zum Zerspringen, und wieder meldete sich meine Mama. Die Beziehung zu meinem Vater war ohnehin schon seit Jahren zerbrochen.

    „Wann kommst du nach Hause?", fragte sie gleich, wieder klang sie total verweint.

    „Ich möchte mit der Lehre aufhören, und stattdessen in einem Plattengeschäft arbeiten", forderte ich.

    Diesmal willigte meine Mama sofort ein. Sie schien mit den Nerven völlig am Ende zu sein. Es machte mich fertig, zu wissen, dass es ihr wegen mir so schlecht ging. Aber andererseits musste ich mein Leben endlich selbst in die Hand nehmen. Ich passte überhaupt nicht in die Vorstellung, die meine Eltern von einer idealen Tochter hatten. Und ich wollte auch gar nicht mehr hineinpassen. Nie mehr!

    Immerhin versprach ich meiner Mama, bald nach Hause zurück zukommen. Ein neuer Job in einem Heavy-Metal-Plattengeschäft wartete auf mich, und meine Eltern würden mich nicht mehr davon abhalten können, dort zu arbeiten. Dankbar verabschiedete ich mich nach fast einer Woche von Roman und Mono. Die beiden hatten mir sehr geholfen. „Trau dich immer, dass zu tun, was du wirklich willst, gab mir Roman zum Abschied mit. „Danke, Roman!, antwortete ich nachdenklich. Niemals würde ich seine Worte vergessen.

    2. LEHRZEIT UND HEAVY METAL

    Nur einen Fachschulabschluss zu haben und dann eine Lehre im Einzelhandel zu beginnen, das war für meinen Vater nicht das, was er sich von seiner Tochter erwartet hatte. Ein Hochschulabschluss mit nachfolgendem Studium hätte es seiner Meinung nach sein müssen. Aber obwohl ich mich sehr angestrengt hatte, musste ich die Höhere Schule nach der vierten Klasse wegen meiner schlechten Noten in Mathematik verlassen.

    Meine Mutter schaffte es daraufhin, einen Platz in einer Fachschule für wirtschaftliche Berufe für mich zu organisieren, doch für meinen Vater war das der Anfang vom Ende. Alle Hoffnungen, die er in mich gesetzt hatte, waren zerschlagen. Und egal, wie gut meine Noten in der Fachschule auch waren, für ihn war ich „sehr tief gesunken", was er auch immer wieder betonte.

    Seine Worte verletzten mich tief, und so verschlechterte sich das Verhältnis zu meinem Vater rapide und zerbrach schließlich vollkommen, als ich mit 15 Jahren die Höhere Schule verlassen hatte. In den folgenden Jahren kapselte ich mich völlig vom ihm ab, redete nicht mehr mit ihm, und auch seine Ansichten waren mir ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wichtig. Mein Vater wurde zu einem Fremden für mich, und aus reinem Selbstschutz wollte ich das auch nicht mehr ändern.

    Gegen Ende der Fachschulzeit sollte ich mich für einen Beruf entscheiden, aber etwas in mir war zerbrochen. Obwohl ich in der Fachschule immer sehr gute Noten gehabt hatte, hatte ich kein Vertrauen mehr in meine Fähigkeiten und fühlte mich wie ein totaler Loser. Was meinen zukünftigen Beruf betraf, war ich ziemlich planlos. Deswegen schlug meine Mutter ein Geschäft für Geschenkartikel vor, in dem ich als Verkäuferin zu arbeiten beginnen könnte.

    Weil mir nichts Besseres einfiel, nahm ich den Vorschlag meiner Mutter an. Von da an stand ich fünf Tage die Woche im Laden und verkaufte von Stofftieren bis T-Shirts alles, was man gerne verschenkt.

    Anfangs war alles neu, ich war motiviert und die Arbeit machte mir Spaß, aber nach einigen Monaten empfand ich den Job nur noch als mühsam und langweilig. Ich fühlte mich eingesperrt wie ein Vogel im Käfig, und ich hatte das Gefühl, die Decke des Geschäfts würde sich langsam immer weiter auf mich herabsenken, bis sie mich schließlich völlig zerdrücken würde.

    Dazu kam, dass alle Verkäuferinnen vormittags für Putzarbeiten eingesetzt wurden. Vor allem die kleinen Gegenstände im Laden, wie Tassen und Becher, waren ständig verstaubt und mussten dementsprechend andauernd gereinigt werden. Als Lehrmädchen musste ich außerdem jeden Tag staubsaugen. Ich fühlte mich beinahe wie eine Putzfrau – einen eintönigeren Job hätte ich mir kaum vorstellen können.

    Mit jedem Tag ging ich frustrierter zur Arbeit. „Mein Leben habe ich mir auf jeden Fall anders vorgestellt, sinnloser als das kann es kaum noch werden!", dachte ich bei mir. Aber für meine Eltern war es selbstverständlich, dass ich meine begonnene Lehre auch beenden würde. An etwas anderes war da gar nicht zu denken. Das äußere Erscheinungsbild unserer Familie war für meine Eltern extrem wichtig; und wenn ich als ihre Tochter schon kein Studium abgeschlossen hatte, dann erwarteten sie zumindest von mir, dass ich mich unauffällig verhielt und eine pflichtbewusste Einstellung zu meinem Job an den Tag legte. Doch zum großen Entsetzen meiner Eltern begann ich, mich innerlich und auch äußerlich immer stärker zu verändern.

    Ich hatte nämlich eine Musikrichtung entdeckt, die mich völlig in ihren Bann zog: Heavy Metal. Von Bon Jovi bis Guns’N’Roses liebte ich alle Glamrock-Metal-Bands, und schon bald hatte ich die Popstar-Poster in meinem Zimmer gegen meine Lieblings-Rockstar-Poster ausgetauscht.

    Ich lernte eifrig die Songtexte meiner Lieblingssongs, kaufte mir ständig neue Schallplatten, las begeistert den „Metal Hammer, und schaute mit Vorliebe „Headbanger’s Ball auf MTV. Diese Musik sprach mir aus dem Herzen, in den Songtexten fand ich mich wieder, und ich bemerkte: Die Metaller waren die Leute, zu denen ich mich am stärksten hingezogen fühlte. Ich kaufte mir schwarze Lederjacken, enge Hosen und viele schwarze Miniröcke, und begann, mich so richtig schön schwarz zu schminken. Meine Mutter war entsetzt!

    „Du siehst ja aus wie eine Eule!", sagte sie immer wieder, wenn ich aufwendig gestylt in die Nacht hinauseilte.

    „Dann bin ich ja auf dem richtigen Weg, dachte ich dann zufrieden. „Wenn mein Outfit Mama nicht gefällt, dann ist es genau das Richtige für mich.

    In meinem Geschäft arbeitete noch ein zweites Lehrmädchen. Sie hieß Claudia und hatte genau den gleichen Musikgeschmack wie ich: Auch sie liebte Heavy Metal. Eines Tages erzählte sie mir begeistert von einem Plattengeschäft speziell für Rockmusik, mit einer Riesenauswahl an Heavy-Metal-T-Shirts. Da war ich natürlich sehr gespannt, und bald darauf machten wir uns gemeinsam auf den Weg dorthin.

    „Wow, ist das ein cooles Geschäft!, bestätigte ich Claudia, kaum dass wir das Plattengeschäft, den „Rock Shop, betreten hatten. Rock-Schallplatten, wohin man sah, und außerdem gab es neben den neuesten Alben auch einige seltene Sammlerstücke zu kaufen. Das Geschäft verkaufte auch verschiedenste Arten von Nieten zur Verzierung von Lederjacken, und Heavy-Metal-Aufnäher ohne Ende. Ich war begeistert!

    Von da an ging ich auch ohne Claudia öfters in den Rock Shop und lernte bei einem meiner Besuche den Besitzer kennen. Sein Name war Tom, er war kräftig gebaut, und er wirkte, als könnte er auch gut als Rausschmeißer in einem Lokal arbeiten. Tom freute sich immer sehr, mich zu sehen.

    Meistens fuhr ich gleich nach der Berufsschule, die ich an zwei Vormittagen der Woche besuchte, in den Rock Shop. Zur Schule erschien ich immer blass und unscheinbar, aber sobald der Unterricht vorbei war, schminkte und stylte ich mich auf dem Mädchen-WC. Meine Schulfreundin Bettina sah mir jedes Mal bei meiner „Verwandlung" zu.

    Es war wirklich lustig; ich hatte sogar eine eigene Frisur erfunden: Wenn ich einige Haarsträhnen oben auf dem Kopf zusammenband, umrahmten sie mein Gesicht auf der Seite, aber wenn ich die Strähnen dann toupierte und nach vorne warf, war mein Gesicht verdeckt, und wenn ich wollte, sah man nur noch Haare! Es sah wild aus, was auch Bettina mir immer wieder bestätigte.

    Obwohl Bettina ihre Lehre in einer Parfümerie machte, war sie in meiner Klasse, weil die Papierbranche, zu der ich gehörte, in den Hauptfächern gemeinsam mit der Kosmetikbranche unterrichtet wurde. Bettina erklärte mir einiges über Gesichtspflege, schenkte mir jede Woche tolle Duftproben von den neuesten Parfums und auch einige wirklich gute Cremeproben. Eigentlich ging ich sehr gerne in die Berufsschule, hauptsächlich, um Bettina zu treffen.

    Nachmittags fuhr ich dann zu Tom in den Rock Shop, stöberte in den Platten herum, und hatte auch dort eine schöne Zeit. Längst hatte ich Tom erzählt, wie unglücklich ich mit meiner Arbeit im Geschenkartikel-Geschäft war, und eines Tages fragte ich ihn hoffnungsvoll, ob ich vielleicht bei ihm arbeiten könnte. Tom sagte sofort zu, er bräuchte sowieso Hilfe im Geschäft. Ich könne jederzeit anfangen, versprach er mir.

    Am liebsten wollte ich auch wirklich sofort beginnen, aber ich wusste, das würden meine Eltern nie erlauben. Schon die Vorstellung davon, dass ihre Tochter in einem Heavy-Metal-Plattengeschäft arbeiten wollte, wäre für meine konservativen Eltern wohl der Untergang gewesen! Ein „normales" Gespräch hätte da nichts gebracht, und deswegen hatte ich – nach langem Überlegen – überhaupt erst die vielversprechende Idee gehabt, von zu Hause abzuhauen. Und so war ich bei Roman gelandet.

    Obwohl ich nur wegen meines ungeliebten Jobs abgehauen war, versuchte meine Mutter dann doch noch einmal, mich zu überreden, meine Lehre doch noch abzuschließen, kaum dass ich wieder zu Hause war. Sie schleppte mich sogar zur Geschäftszentrale des Geschenkartikel-Geschäftes. Die nette Personalchefin dort sagte auch gleich, dass sie mich auf jeden Fall gerne weiterhin einstellen wollte.

    Doch dazu hatte ich nach wie vor überhaupt keine Lust, und deswegen gab es zu Hause ständig Diskussionen und Streits. Völlig aufgelöst fuhr ich eines Tages nach einer neuerlichen, hitzigen Diskussion mit meinen Eltern in den Rock Shop, erzählte Tom, worüber wir gestritten hatten, und brach dann in Tränen aus.

    Tom gab sich alle Mühe, mich zu trösten. Während ich noch ganz verweint im Geschäft saß, öffnete sich plötzlich die Eingangstüre, und meine Eltern traten ein! Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen, und wäre vor Schreck darüber, sie mitten im Rock Shop stehen zu sehen, fast vom Hocker gefallen!

    Zum Glück befand sich zwischen mir und meinen Eltern noch ein Regaltisch mit Unmengen von CDs darauf.

    Man konnte sehen, dass auch meine Eltern geschockt waren; noch nie zuvor hatten sie einen Heavy-Metal-Shop von innen gesehen! Da von draußen kaum Licht ins Geschäft fiel, war es im Verkaufsraum recht dunkel. Wohin man auch blickte, überall standen Regale und Verkaufstische herum, jede freie Oberfläche war mit Schallplatten bedeckt, und im ganzen Raum verteilte lebensgroße Kartonfiguren von Rockmusikern im schwarzen Lederoutfit schienen meine Eltern gefährlich anzustarren. Und dann war da natürlich noch die laut dröhnende Heavy Metal-Musik. Meine Mutter und mein Vater waren beide in langweilige Lodenmäntel gekleidet, und sie wirkten im Rock Shop, als hätten sie sich aus einer anderen Welt hierher, auf den Planet des Grauens, verirrt. Man konnte ihnen deutlich ansehen, wie furchtbar sie die gesamte Atmosphäre fanden.

    Aber das hielt meine Eltern nicht davon ab, erst einmal mit Tom darüber zu sprechen, dass ich hier arbeiten wollte. Mit Tränen in den Augen starrte ich meine Eltern nervös an, aber Tom blieb ruhig und gelassen. Mein Vater erklärte, dass er nicht damit einverstanden war, dass seine Tochter in diesem Geschäft arbeiten würde, und schon gar nicht unangemeldet. Denn Tom konnte es sich leider nicht leisten, mich anzumelden. Das sahen meine Eltern als großes Problem; wenn ich einmal zum Arzt müsste, dann wäre ich nicht versichert.

    Dieses Gerede über die Versicherung war mir dermaßen unangenehm, dass ich es irgendwann nicht mehr aushielt. Mit immer noch tränenverschmiertem Gesicht stürzte ich Hals über Kopf aus dem Geschäft, und ließ meine Eltern mit Tom im Rock Shop zurück.

    Als wir alle wieder zu Hause waren, hatte ich dann noch einen großen Krach mit meinen Eltern. Mein Vater tobte. Meine Mama teilte ganz offensichtlich seine Ansichten. Langsam wurde mir einfach alles zu viel. Dass meine Eltern mir nachspioniert und mich bis in den Rock Shop verfolgt hatten, hatte mich bereits sehr geärgert. Dass sie sich jetzt so komplett querstellten, brachte das Fass für mich zum Überlaufen.

    „Die Versicherung ist mir egal. Wenn ich nicht im Rock Shop arbeiten darf, dann gehe ich überhaupt nicht mehr arbeiten", drohte ich ihnen.

    Und da – plötzlich – begriffen meine Eltern, dass es zwecklos war, mir irgendetwas ein- oder ausreden zu wollen. Und sie gaben nach! Unsere Vereinbarung war folgende: Zweimal in der Woche würde ich weiterhin in die Berufsschule gehen. Das war möglich, weil ich schon die Hälfte der Lehrzeit hinter mir hatte. Weil mein Fachschulabschluss zwei Lehrjahre ersetzte, fehlte mir zu diesem Zeitpunkt nur noch ein halbes Lehrjahr, das ich schulisch abschließen würde, so wie meine Eltern es wollten. Dafür durfte ich fortan dreimal in der Woche bei Tom arbeiten, und

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