Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Der Espressionist: Roman
Der Espressionist: Roman
Der Espressionist: Roman
eBook253 Seiten3 Stunden

Der Espressionist: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Der Held des "Espressionisten" hat sich festgelebt. Das ändert sich, als er auf einem Barista-Kurs einen umwerfend guten Espresso trinkt und eine Frau mit kornblumenblauen Augen trifft. Von nun an ist er auf der Suche nach dem heiligen Gral der Kaffeetrinker: dem Godshot. Ganz nebenbei beantwortet der Roman wichtige Fragen des Lebens: Welchen Kaffee trinkt Gott? Was ist Totraum? Brauche ich Crema?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum28. Okt. 2021
ISBN9783347392816
Der Espressionist: Roman

Ähnlich wie Der Espressionist

Ähnliche E-Books

Allgemeine Belletristik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Der Espressionist

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Der Espressionist - Henning Withöft

    1

    Seit Jahren feiere ich immer wieder meinen neunundzwanzigsten Geburtstag. Doch beim zwanzigsten Mal fingen meine Gäste plötzlich an zu zicken.

    Ich hatte sie in ein von Bartmännern betriebenes Café gebeten. Es sollte keine Riesenparty geben, auch kein geheimnisvolles Treffen in einer teuren Location. Eher ein fluffiges Beisammensein. Das Café Montesquieu war gerade zwei Jahre alt. Früher wurden dort Honda Dax repariert, zwergenhafte Oldtimer-Motorräder, die aussehen, als hätte man sie aus dem Zirkus geklaut.

    Durch ein Tor gelangt man in den Hof, in dem im Sommer Liegestühle stehen, Holzverschläge führen zu kleinen Ateliers, die wie die Umkleidekabinen auf einem italienischen Strand wirken. Im Sommer sitze ich hier, eingehüllt in das grüne Leuchten meines Hochenergie-Überladungs-Schutzschirms, und schnüffele an meinem Kaffee. Manchmal auch an der leeren Tasse. Die Minimotorräder sind verschwunden und haben dem üblichen Hipster-Interieur Platz gemacht: Bunt zusammengewürfelte Tische und Stühle, bei denen unklar bleibt, ob sie neu, sauteuer und auf alt getrimmt oder aufgearbeiteter Sperrmüll sind. Ich hatte im Obergeschoss den kleineren der beiden Räume gemietet. Hier sollte es einen Kaffee-Umtrunk und üblichen Kram geben, den man in Bartmänner-Cafés bekommt: Rote-Beete-Suppe, Pekannuss-Kuchen, Brownies, Chili sin Carne, den tagesaktuellen Smoothie, dazu portugiesischen Kaffee oder Espresso. Hafermilchespresso, Milchkaffee mit Sojamilch oder laktosefreier Kuhmilch waren ebenfalls im Angebot. Wer wollte, konnte auch einen Tropfen Ziegenmilch für sein Glas heißes Wasser bekommen.

    Geladen waren die üblichen Gäste. Allen voran meine Homies, meine Frau Ska sowie Tochter Anne und Sohn Falk. Mein Freund Benjamin und seine Frau Marion hatten die fast hundert Kilometer lange Anfahrt von ihrem Brandenburger Gehöft offenbar gut überstanden. Ebenfalls erschienen waren Nachbarn wie Jonas und Susanne, mit denen ich mich gut stellen musste. Sie hatten von ihren Fenstern einen wunderbaren, privatsphärekillenden Blick in unser Haus – und wir in ihres.

    Manch ein Gast war mit der ganzen Familie gekommen. Die Kinder eroberten die Tische, verteilten Malzeug und Kinderbücher, die sie in einer Ecke des Zimmers gefunden hatten. Auf einem Tisch an der Wand thronte ein indischer Sparschwein-Elefant. Wer wollte und keine Krawatte als Geschenk mitbrachte, konnte sich mit einer Spende an der abgebildeten Espressomaschine beteiligen, die ich mir kaufen wollte. Leider hatten wir den Schlüssel des Elefanten vor Jahren verloren, sodass es schwierig werden würde, das Geld aus seinem Bauch zu bekommen. Egal, der Gag war es wert, der Elefant war bemalt wie ein Hippie-Bus und hatte den klaren Auftrag zu trompeten, wenn er voll war.

    Doch diesmal lief einiges schief.

    Schon kurz nachdem die Gäste hereingeträufelt waren und jeder seinen Milchkaffee, Latte macchiato oder Kakao und ein Stück Kuchen bekommen hatte, geriet ich in eine unwürdige Diskussion mit Benjamin und meiner Tochter Anne.

    „Wir erzählen uns lustige Geschichten über dich und deine Familie", erklärte Benjamin.

    „Wieso? Gibt es da etwas zu erzählen?" Ich setzte mich auf einen der freien Stühle. Was höflich gemeint, aber ein großer Fehler war.

    Wie schon oft fiel mir das Artgarfunkelmäßige an Benjamin auf. Die kleinlockigen, blonden, recht langen Haare standen in seltsamem Winkel nach hinten ab. 10.000 Volt und immer Gegenwind. Meine Tochter saß wohlgeraten daneben und grinste. Auch gelockt, aber dunkel und ohne Gegenwind. Eine selbstbewusste Medizin-Studentin ohne Fehl und Tadel, die schon seit geraumer Zeit nicht mehr bei uns wohnte. Über Töchter witzelt man nicht.

    „Auf diesem Ohr ist er taub, sagte Anne und lehnte sich zu Benjamin hinüber, den sie seit ihrer Kindheit kannte. Schulter an Schulter betrachteten sie mich, als ob ich ein zahlendes Ausstellungsstück wäre. „Darüber will er nicht reden und ist darin sehr konsequent. Gewisse Seltsamkeiten liegen in der Familie. Bist du mal seinem Vater begegnet?

    „Nein."

    „Opa Sven war schräg. Als er noch lebte, hat er sich gerne selbst eingeladen. Einmal war er in der Stadt und wollte uns besuchen. Vorher Bescheid sagen war nicht seine Art, zu konventionell. Er stand lieber plötzlich in der Tür, konnte sich nie festlegen und war immer unterwegs. Wir waren aber nicht da. Als wir zurückkamen, lag im Briefkasten ein Zettel mit dem Wort ‚Ich‘ und einem Datum. Wir haben eine Weile gerätselt, was das für ein Zettel war."

    „Soso, dein Opa war ein reisender Nonkonformist", diagnostizierte Benjamin und gabelte ein Stück von seinem Käsekuchen.

    „Wohl eher ein alter Trotzkopf, fuhr Anne fort. „Auch Opa Svens Auftritte bei Partys und Familienfesten waren nicht ohne. Einmal, so geht die Legende, habe er sich beim Essen eine Stoffserviette auf den Kopf gelegt, unter der er fast verschwand, und wie ein Gespenst seinen Kuchen weitergegessen. Man hatte sich nicht genug um ihn gekümmert.

    Die beiden lachten laut und fröhlich.

    „He, was soll das, Anne, schaltete ich mich ein und überlegte, ob Väter nicht doch Witze über Töchter machen sollten. „Die Geschichte mit der Serviette habe ICH dir erzählt – und sicherlich nicht, damit du sie bei unpassenden Gelegenheiten weitererzählst.

    Benjamin grinste: „Es ist immer spannend, Neues über dich zu erfahren."

    „Gewisse Eigenheiten könnten vererbt worden sein, will ich damit sagen, erklärte Anne. „So von den Genen her.

    „Ist dein Vorname auch eine dieser Eigenheiten?" Benjamin blickte mich an.

    „Kennst du die Geschichte noch nicht?, erwiderte ich zerknirscht. „Ursprünglich sollte ich Andreas heißen, erzählt man sich. Doch der Name war meinem Vater zu normal. Er hat dann behauptet, er sei Finnland-Fan und hat schließlich die finnische Variante von Andreas durchgesetzt.

    Glücklicherweise unterbrach uns Marion an dieser Stelle, indem sie den beiden Klatschtanten eine weitere Runde American Cheesecake auf den Tisch stellte. Dann setzte sie sich auf die Sesselkante, strich ihrem Popstar-Gatten über das Haar und schaukelte mit dem Holzclog. Das lenkte ihn von weiteren Fragen ab.

    Ich nahm mir einen Kaffee vom Tablett, schnüffelte kurz daran und trank. Unterhielt mich mit Marion, fragte nach dem Dorfleben und den Plänen, das Haus auszubauen. Dann zog es mich wie so oft weiter. Ich drehte eine kleine Runde durch den Raum, räumte Geschirr weg, checkte den Elefanten, wechselte ein paar flirrige, belanglose Worte und setzte mich schließlich an einen leeren Tisch.

    Meine Geselligkeit täuschte. Der Kurzzeit-Finnland-Fan Sven hatte mir einen lebenslangen Dad-Joke verpasst: Statt Andreas heiße ich Antti, ein Name, der die Menschen zu Witzeleien anregt. Leider hatte mir mein Vater auch ein paar seiner anderen Eigenheiten weitergegeben, was vermutlich der Grund war, dass ich mich immer etwas abseits hielt oder halten musste. Wenn es spannend wurde, saß ich am Rand und sah nur zu, so wie jetzt. Ich musste immer alles etwas anders machen als andere. Auch wenn es überhaupt keinen Sinn ergab.

    Dann klingelte mein Handy. Eigentlich wollte ich nicht drangehen.

    „Nathalie?"

    Mühsam schaltete mein Hirn um. Diese Frau war auf den Tag zwanzig Jahre älter als ich und sprach kein Deutsch.

    „Antti!, näselte es französisch aus dem winzigen Lautsprecher. „Wir sitzen zusammen, feiern meinen Geburtstag, essen Tarte aux pommes und denken dabei an dich. Wie geht es dir? Feierst du?

    „Wir sitzen auch zusammen, essen - äh Kuchenkäse." Mir fehlten die Worte. Wer kann schon auf Knopfdruck auf fremdsprachige Konversation umschalten? Am Handy?

    „Dann will ich nicht lange stören, fuhr Nathalie fort. „Wir können in ein paar Tagen telefonieren, wenn mehr Zeit ist. Ich habe einen Geburtstagswunsch. Wir haben uns schon so lange nicht mehr gesehen und deshalb wollte ich dich und deine Familie einladen. Das neue Haus kennst du gar nicht, obwohl wir schon lange hier wohnen.

    Ich war das erste Mal mit dreizehn in Nathalies Familie aufgetaucht. Der Clan hatte den anfangs ziemlich verwirrten Deutschen assimiliert und in ihm ungewohnte Leidenschaften geweckt – unter anderem für Petit café und Tarte aux pommes.

    Aus dem Smartphone kam Franzosengetöse, offenbar grüßten mich die anderen. Dann legte Nathalie auf. Ließ mich durcheinander, aber auch berührt zurück. Ich hatte nicht einmal gratuliert.

    Doch mir blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken. Benjamin führte etwas im Schilde. Er stand vom Tisch auf und ging zu meiner Frau. Tuschelte, sah zu mir. Ska nickte. Dann griff er sich ein Glas und klopfte theatralisch mit einem Löffel daran, bis sich das Geplapper gelegt hatte. Selbst die Kinder blickten von ihren Malarbeiten auf, manche sogar von ihren Handys.

    „Wir haben uns hier versammelt, begann er und klaute damit frech einen meiner Lieblingswiederholungssprüche, „und haben dir etwas mitgebracht.

    Bedeutungsschwanger zog er einen Umschlag aus der Hosentasche. Die anderen Gäste schienen zu wissen, was jetzt kommen würde.

    Er wedelte.

    „Du trinkst gerne guten Kaffee. Manche sagen sogar, du genießt ihn auf deine ganz besondere Art. Zustimmendes Gemurmel, einige Gäste prosteten mir bierglasmäßig mit ihren mittlerweile leeren Kaffeetassen zu. „Deshalb haben wir das hier besorgt. Falls du nächstes Jahr wieder feierst und falls du sogar ein Jubiläum feiern solltest, kannst du ja berichten, was daraus geworden ist. Lieber Antti, wir wünschen dir viel Spaß.

    Benjamin überreichte den Brief. Alle sahen mich erwartungsvoll an. Ich hasse so etwas und überlegte, ob ich den Umschlag öffnen und „Ein Klavier, ein Klavier" rufen sollte. Was für eine Feier. Ich lud sie ein, wollte ein bisschen klönen, und musste mir stattdessen Familiengeschichten und Andeutungen über Älterwerden und Jubiläen anhören. Dabei sah ich mich in einer Reihe mit Zsa Zsa Gabor, Gina Lollobrigida, Oskar Matzerath und nach unbestätigten Informationen auch Hape Kerkeling. Werden die älter? Und dann geheimnisvolle Umschläge, die mit Tamtam aus Gesäßtaschen hervorgezogen wurden. Musste ich jetzt Begeisterung zeigen?

    Ich kann das nicht.

    Mir blieb nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Also legte ich das Teil nicht einfach neben den sträflich stummen Hippie-Elefanten, sondern tat überrascht und öffnete den Umschlag. Er enthielt eine schicke Karte aus weißer Pappe.

    „Barista-Kurs, las ich vor. „Wir nehmen Sie in unserer Schulung zum Barista mit auf eine sinnliche Reise durch die Kaffeewelt. Entdecken Sie mit uns Kaffeesorten und Anbaugebiete. Bereiten Sie mit uns Milchkaffee, Cappuccino und Espresso zu und erfahren Sie alles, was der ambitionierte Heimbarista für den Einstieg braucht. Vollmundig schloss der Sermon mit einer Adresse und den Worten: „Ihre Welt wird sich ändern."

    Ich blickte in die Runde. „Ihr wollt mich zu einer Sekte schicken?"

    Heftiges Nicken.

    „Meine Welt soll sich ändern?"

    Allgemeines Biertischgeklopfe.

    Auf der Karte war handschriftlich ein Datum eingetragen: Samstag, 20. November, 11 Uhr.

    Nächste Woche.

    „Will jemand noch eine Rote-Beete-Suppe?"

    2

    Als ich aus dem S-Bahnhof Oranienburger Straße nach oben ging, fühlte ich mich wie ein Tourist. Die Luft war klar und kalt und kündigte den Winter an. Der Barista-Kurs führte mich in eine Gegend, in der ich seit Jahren nicht gewesen war. Sie hatte sich verändert. Plattenbauten aus DDR-Zeiten wechselten sich mit teuer sanierten Altbauten ab. Hinzu kamen Galerien, edle Buchhandlungen, leicht bis stark angeschnöselte Geschäfte für den gehobenen Touristenbedarf, Röstereien, ein großer Illy-Laden, Restaurants mit Brunchbuffets.

    Mein Ziel war ein schickes Café an der Torstraße. Ich zeigte meine Kurskarte und wurde an einer großen Röstmaschine vorbeigeführt. Es roch eigenartig, eine Mischung aus leicht angebrannt und frisch gebrühtem Kaffee. Nicht unangenehm, aber schwer einzuordnen.

    In den Schulungsraum mit großen Fenstern zur Torstraße würden locker zwanzig Personen passen. Viel Chrom, Holz und Schwarz. Links an der Wand standen zwei Espressomaschinen, mehrere Kaffeemühlen, davor ein hoher Tisch aus Holzbalken. Außer mir stromerten drei andere Teilnehmer durch den Raum: zwei Männer sowie eine Frau mit etwas zu feinen, dunkelblonden Haaren und auffallend blauen Augen. Wir nickten uns zu. Von der Straße glotzten Fußgänger in den Raum. Die Sonne schien auf die Dielen.

    Um Punkt elf Uhr erschien ein geschmeidiger Herr in schwarzem Rollkragenpullover, Bluejeans und schwarzen Turnschuhen und stellte sich als Mathias vor. Wir hatten uns auf die Barhocker gesetzt und lauschten.

    „Ihr habt den ‚Kompakten Barista’ gebucht, begann Mathias, „und wir werden uns in den nächsten Stunden durch das Thema Kaffee arbeiten. Ich hoffe, ihr habt heute noch nicht viel Kaffee getrunken, denn wer will, kann jede Menge probieren. Er zeigte auf die in Reih und Glied aufgestellten Espressomühlen links und rechts der Maschinen. „Aber vielleicht stellt ihr euch erst kurz vor."

    Nummer 1 war ein schlaksiger, kerncool wirkender junger Mann. „Ich bin Peter, ehrlich gesagt wusste ich bis vor einer Stunde noch nichts von dem Kurs. Meine Freundin hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt. Er sah noch ungefrühstückt aus, leicht zerzaust. „Das passt gut. Ich trinke den ganzen Tag fast nur Kaffee. Morgens Cappuccino, im Büro Filterkaffee und abends Espresso. Da kommt was zusammen.

    Nummer 2: „Meine Freundin ist Brasilianerin und ihre Familie hat eine Kaffeeplantage. Ich weiß, das klingt schwer nach Klischee, aber so ist das Leben eben. Seit ich mit ihr zusammen bin, habe ich immer mehr Gefallen an Kaffee gefunden. Meine neueste Leidenschaft ist es, defekte Espressomaschinen zu kaufen, sie auseinanderzunehmen und gesundzufrickeln."

    Nummer 3 war die Frau mit den dunkelblonden Haaren. Etwa Anfang vierzig. „Ich bin Svenja, sagte sie. „Ich arbeite in einem Saftladen. Pause. „Wir wollen auch Kaffee verkaufen."

    Sie lehnte sich zurück und wartete. Mehr Informationen wollte sie uns nicht geben, was ich bedauerte. Ich hätte gerne mehr Einzelheiten aus ihrem Leben gehört. Familie, Beruf, Hobbys. Vielleicht auch, woher sie diese kornblumenblauen Augen hatte, mit denen sie aufmerksam ihre Umgebung musterte. Augen, die jedem Saftfalschpresser in kurzer Zeit das Fürchten lehrten. Die sich aber jeder gerne ansehen würde, wenn er als Kunde einen Espresso über die Theke gereicht bekommt.

    Nummer 4: Ich. „Nennt mit Andreas, log ich. „Ich habe angeblich bald einen runden Geburtstag. Meine Freunde haben mich geschickt. Ich soll bis dahin lernen, guten Kaffee zu kochen.

    Meine drei Mitstreiter und der Steve-Jobs-Verschnitt sahen mich leicht irritiert an, aber zum Glück fragte keiner etwas.

    Dann erklärte uns Mathias seinen Laden. Eigene Rösterei, gegründet vor fünf Jahren, schnell größer geworden, angrenzende Räume dazu gemietet. Sein Kaffee wird auch in anderen Cafés ausgeschenkt. Nach dieser Einführung wandte er sich um und bereitete mit affenartiger Geschwindigkeit vier Espresso zu. „Wir starten mit einem Test. Probiert bitte und beschreibt, was ihr schmeckt."

    Etwa ein Drittel der Tasse war mit Espresso gefüllt, auf dem eine fette Schicht haselnussbrauner Crema lag. Der Kaffee schmeckte würzig, herb, bitter, verbrannt und nach Schokolade, weit hinten auf der Zunge.

    Noch bevor ich das richtig mitbekommen hatte, fragte Svenja: „Ist das ein Bar-Schlampe: r?"

    „Barschlampwas?", fragte Mathias und sah sich um, als hätte er jemanden im Raum übersehen.

    Svenja kicherte. „Bar-Schlampe: r. So nennt eine Kollegin im Laden einen Espresso, den man in Italien stehend an der Bar trinken würde. Kaffee, den man schlampig zubereiten kann, wenn es schnell gehen muss, weil viele Kunden im Laden sind. Der es verträgt, nicht mehr ganz frisch zu sein. Der genau zu diesem Zweck so gemischt wurde. Früher hätte manch einer dazu Bar-Schlampe gesagt, aber das geht natürlich gar nicht."

    „Nein, so etwas gibt es hier nicht, antwortete Mathias, „und als schlampig zubereitet würde ich unseren Kaffee auch nicht bezeichnen. Was ihr probiert habt, ist eine Mischung. Mit einem Robusta-Anteil, der die dicke Crema bewirkt, die viele Menschen als Qualitätsmerkmal ansehen. Mir schmeckt Crema gar nicht. Er grinste.

    Svenja probierte einen weiteren Schluck. Sie saß gerade und konzentriert auf ihrem Stuhl. Leider sagte sie nichts mehr, sondern beschäftigte sich mit ihrem Kaffee. Von ihrem linken Ohr baumelte ein kleines rosafarbenes Herz.

    „Wollt ihr einen Schluck Wasser? Die italienischen Röstungen schmecken oft bitter und viele Menschen wollen danach einen Schluck Wasser trinken. Schon seltsam, da wird Kaffee verkauft, dessen Geschmack auf der Zunge mit Wasser wieder vernichtet wird." Mathias schüttelte den Kopf.

    In den folgenden Minuten erklärte er uns seine Sicht der Welt. Zumindest der Kaffeeteil war in schlechtem Zustand. Beherrscht von Konzernen, die Kaffeebauern in Abhängigkeit halten und oft nicht wissen wollen, unter welchen Bedingungen ihr Kaffee hergestellt wird. Um Zeit und Geld zu sparen, werden die Bohnen bei mehreren hundert Grad im Schnellverfahren bis in den Second Crack verkohlt. Bei diesem hörbaren Bohnenkrachen treten Kaffeeöle aus, die Bohnen glänzen danach und werden durch die hohe Temperatur sehr dunkel.

    „Es ist wie beim Vanilleeis. Die Menschen werden auf einen Geschmack geeicht und es wird ihnen erzählt, das sei der einzig wahre. Dabei trinken sie nur eine Variante Kaffee, die industriell perfektioniert, auf Gewinn getrimmt wurde und immer gleich schmeckt – das ist gewollt. Bei der Schnellröstung entstehen Stoffe oder werden nicht abgebaut, die viele Menschen nicht gut vertragen. Durch einen hohen Robusta-Anteil haben die Kaffees einen hohen Koffeingehalt, durch die schnelle Röstung bleibt viel Chlorogensäure in der Bohne. Meiner Erfahrung nach macht die Kombination von Koffein und Chlorogensäure die Leute rappelig, sie bekommen Magenprobleme und denken, keinen Kaffee zu vertragen. Das stimmt oft nicht. Sie kennen nur nichts anderes. Sie wurden von der dunklen Seite der Macht verführt und wissen nicht, was es sonst noch gibt. Ich trinke zwanzig bis dreißig Espresso pro Tag, meinem Magen geht es prima und ich schlafe nachts wie ein Baby."

    Mit diesen Worten wandte Mathias sich um und hantierte an seiner Espressomaschine. Wie zuvor bereitete er schnell vier Espresso zu, holte sich den Kaffee aber aus einer anderen Mühle. Ich fummelte verstohlen an meinem Telefon, um zu checken, ob die illegale Live-Aufnahme des Events korrekt funktionierte.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1