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Taunuswahn: Vierter Fall für Melanie Gramberg
Taunuswahn: Vierter Fall für Melanie Gramberg
Taunuswahn: Vierter Fall für Melanie Gramberg
eBook372 Seiten4 Stunden

Taunuswahn: Vierter Fall für Melanie Gramberg

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Über dieses E-Book

Wenn Größenwahn und Gier sich vereinen, ergibt das ein tödliches Gemisch

In Bad Homburg verschwindet der irakische Student Eason Girak spurlos, seine Schwester Tahmineh findet kurz darauf einen Umschlag mit 20.000 Euro im Briefkasten. Sie bittet die Privatdetektivin Melanie Gramberg um Hilfe.
Melanie ermittelt im Umfeld des Irakers, bis sie auf eine Verbindung zu zwei aktuellen Mordfällen stößt. Die befreundeten Ärzte Feuerschuh und Primmer, Gründer eines karitativen Vereins, der unter anderem Migranten unterstützt, wurden erschossen. Melanie glaubt nicht an einen Zufall.
Als Feuerschuhs Sohn Noah Kontakt zu Melanie aufnimmt, entdeckt sie, dass der Vater nicht nur ein Doppelleben geführt hat, sondern sich auch ein völlig neuer Ermittlungsansatz ergibt. Melanie hat aber nicht viel Zeit, die Wahrheit herauszufinden, denn längst sind weitere Menschenleben in Gefahr, nicht zuletzt ihr eigenes.

Der Kriminalroman spielt in Bad Homburg und im Taunus.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum15. Aug. 2022
ISBN9783347696167
Taunuswahn: Vierter Fall für Melanie Gramberg
Autor

Osvin Nöller

Osvin Nöller wurde 1958 in Frankfurt am Main geboren und verbrachte seine Jugend im Vordertaunus. Er lebt seit vielen Jahren mit seiner Ehefrau in Bad Homburg. Der ehemalige Banker veröffentlichte 2018 seinen Debütroman, zu dem Monika Melzer­ Hadji (Taunuszeitung) schrieb: "Osvin Nöller hat mit „Verfluchtes Taunusblut“ einen empfehlens werten Kriminalroman geschrieben, der mit einer guten Handlung und viel Lokalkolorit daherkommt." „Taunuskinder“ ist nach „Taunusgier“ (2019) und „Taunusschuld“ (2020) bereits der dritte Fall der Privatdetektivin Melanie Gramberg. Mehr zu den Büchern und dem Autor erfahren Sie auf der Webseite www.osvin­noeller.de oder der Facebookseite www.facebook. de/osvinnoeller

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    Buchvorschau

    Taunuswahn - Osvin Nöller

    Aus der Melanie-Gramberg-Reihe sind bisher erschienen:

    Taunusgier (2019)

    Taunusschuld (2020)

    Taunuskinder (2021)

    Einzelwerke des Autors:

    Verfluchtes Taunusblut (2018)

    Titelei

    Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice", Halenreie 40–44, 22359 Hamburg, Deutschland.

    © 2022 Osvin Nöller · info@osvin-noeller.de

    Lektorat: Ursula Hahnenberg · buechermacherei.de

    Korrektorat: Deborat Emrath · deborah-emrath.de

    Satz u. Layout/E-Book: Gabi Schmid · buechermacherei.de

    Covergestaltung: smartline werbeagentur · smartline.info

    Fotos/Grafiken: Fotostudio Hawlitzki · ­fotostudio-hawlitzki.de; buechermacherei.de; #234989655, #200548328, #4063544 | AdobeStock

    Druck und Distribution im Auftrag der Autorin/des Autors:

    tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg, Germany

    1. Auflage (Version 1.0)

    ISBN Softcover: 978-3-347-69614-3

    ISBN Hardcover: 978-3-347-69615-0

    ISBN E-Book: 978-3-347-69616-7

    Freitag, 8. November

    „Schachmatt." Holger Lorenz blies genüsslich Zigarrenrauch gen Zimmerdecke und schnippte Carsten Feuerschuhs König mit einem zufriedenen Grinsen um. Ein Gemisch aus dem herben Rauch zweier Davidoff Nicaragua Robusta und dem holzigen Geruch des offenen Kamins breitete sich in der Bibliothek aus.

    Holger zog die Augenbrauen hoch. „Junge, was ist mit dir los? Du siehst aus wie das Leiden Christi, bist unkonzentriert und hast Probleme, ein Whiskyglas ruhig zu halten." Er kannte Carsten seit seiner Jugend, hatte vor vier Jahrzehnten mit ihm gemeinsam das Abitur bestanden. Carsten hatte Medizin studiert und sich vom einfachen Chirurgen zu einem der angesehensten Transplantationsspezialisten Europas entwickelt. Einen Weg, den Holger nicht nur privat, sondern auch als Rechtsanwalt hatte begleiten dürfen. Ihre enge Verbindung war trotz beruflicher Belastungen bis heute bestehen geblieben und der wöchentliche Schachabend in seinem Haus war ihnen heilig. Einzig Krankheiten, Urlaube oder absolut unaufschiebbare Termine konnten diese Treffen verhindern.

    Carsten starrte eine Weile vor sich auf den Tisch. Schließlich sah er auf. „Ich bin krank, schwerkrank, murmelte er. „In meinem Schädel sitzt ein inoperabler Hirntumor, den man am vergangenen Montag bei einer Routineuntersuchung entdeckt hat.

    Holger lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. „Das ist ja furchtbar. Und du hast vorher nichts gemerkt?" Wie konnte ein dermaßen erfahrener Mediziner die Anzeichen einer so ernsten Krankheit nicht erkannt haben?

    Carsten schüttelte den Kopf. „Der Tumor liegt teuflisch versteckt und hat bisher wenig Symptome verursacht. Kopfschmerzen, Schwindelgefühl und andere Kleinigkeiten habe ich auf den Stress zurückgeführt. Ich hatte die vergangenen Monate viel um die Ohren. Er sah auf die Uhr. „Oh, schon Viertel nach sechs. Ich muss heute früher los. Hab um sieben einen wichtigen Termin mit Tobias. Er hielt sein Glas hoch. „Hast du noch einen Abschiedsmalt?"

    Holger kannte Tobias Primmer. Er leitete zusammen mit seiner Frau Yvonne eine Klinik für plastische Chirurgie in Königstein-Falkenstein. Holger nahm die Flasche und schenkte dem Freund ein. Er war überrascht, denn Carsten trank nie einen zweiten Whisky, wenn er Auto fuhr. An diesem Freitag schien alles anders zu sein. Wie gern hätte Holger die übliche Revanche gespielt. Er atmete tief ein. „Wie lange hast du noch?", fragte er leise.

    Carsten kippte die dunkle Flüssigkeit hinunter, leckte die Lippen und erhob sich. „Nicht mehr lange. Ein paar Wochen, vielleicht weniger." Es klang wie ein Kommentar zum Wetter.

    Holger stand ebenfalls auf. „Schön, dass du trotzdem da warst. Ich drücke dir fest die Daumen. Wir wollen schließlich noch viele Schachpartien spielen."

    Carsten grinste schief, kam auf ihn zu und umarmte ihn. „Schauen wir mal. Danke, mein Lieber, für die tolle Zeit mit dir. Du bist wahrscheinlich mein einziger richtiger Freund. Pass auf dich auf." Er schien es mit einem Mal eilig zu haben, löste sich und eilte in den Flur, wo er seine Barbour-Jacke anzog. Ein schnelles Winken und die Haustür fiel ins Schloss.

    Holger war ihm ein Stück gefolgt, blieb wie versteinert stehen. Ihn beschlich das schmerzliche Gefühl des endgültigen Abschieds. Kopfschüttelnd ging er zurück, öffnete das Fenster und sammelte die Gläser sowie den Aschenbecher ein.

    Draußen knallte es, wenige Sekunden später ein zweites Mal. Es klang wie das Explodieren von Feuerwerkskörpern. Die Leute wurden immer verrückter. Knallkörper im November!

    Die Haustürglocke schrillte anhaltend. Anscheinend hielt jemand den Finger auf dem Klingelknopf. Hatte Carsten etwas vergessen? Holger hastete zum Eingang und riss die Tür auf. Vor ihm stand eine Frau mittleren Alters.

    „Schnell …, schnell, stammelte sie und zeigte zur Straße. „Rufen Sie einen Notarztwagen und die Polizei. Da vorne wurde ein Mann angeschossen.

    ***

    Melanie Gramberg saß am Abend im Hof ihres Wohnhauses in der Neue Mauerstraße. Eine an ihrem Strandkorb befestigte Lampe beleuchtete ihren Platz und einen Teil des Innenhofs. Der Sitzplatz war ihr Refugium, in das sie sich zurückzog, wenn sie nachdenken oder einfach ihre Ruhe haben wollte. Zu jeder Jahreszeit. Sie hatte sich in eine Wolldecke gehüllt und heißen Kakao gekocht, ein für sie ungewöhnliches Getränk. Einen ihrer geliebten Almdudler zu erhitzen, wäre ihr dann doch zu schräg vorgekommen, obwohl sie es einen Augenblick lang ernsthaft überlegt hatte. Die feuchte Luft hatte sich in unzähligen winzigen Perlen auf ihre kurzen schwarzen Haare gelegt. Lange würde sie es hier unten nicht aushalten.

    Sie war mit sich zufrieden. Heute hatten die Handwerker den Umbau des Hauses beendet, das sie vor wenigen Monaten gekauft hatte. In der Wohnung im ersten Stock war eine Wand herausgebrochen und ein Zimmer mit der Küche zusammengelegt worden. So konnte sie dort einen Esstisch und vier Stühle aufstellen. Im ausgebauten Dachgeschoss gab es jetzt ein Gästezimmer mit Bad und Toilette. Auch in der Detektei im Erdgeschoss gab es Veränderungen. Sie hatte eine Wand versetzen lassen, um den Besprechungsraum zu vergrößern. Außerdem hatte Melanie die Büroräume vollständig renoviert und neu möbliert. Nur der wuchtige Schreibtisch ihres Großvaters und dessen ehemaliger Chefsessel hatten den Umbau überlebt. Alles andere hatte sie hell und gediegen eingerichtet. So wurde der schwarz gebeizte Eichenschreibtisch zum echten Hingucker.

    Im Treppenhaus war das bisherige Eisen- einem Holzgeländer gewichen, das perfekt mit der abgeschliffenen Treppe harmonierte. Die Wände waren in einem zarten Pastellgrün gehalten. Im Frühjahr würde sie die Außenfassade streichen und den Innenhof neu gestalten lassen. Wie genau, wusste sie noch nicht, auf jeden Fall neu. Sie schmunzelte. Es war die richtige Entscheidung gewesen, die Haushälfte von ihrem väterlichen Freund Siegfried Graf zu Biebenau zu kaufen, dem das angrenzende Gebäude gehörte, in dem er die Gaststätte Zum Silbernen Bein führte. So konnte sie ihre Ideen verwirklichen und er mit dem Kaufpreis die seit Langem notwendige Umgestaltung der Gastwirtschaft durchführen. Er war in die Wohnung in der ersten Etage gezogen, in der seine verstorbene Nichte Katja gewohnt hatte.

    Melanie zuckte zusammen, als der Bewegungsmelder am Hofeingang die Beleuchtung einschaltete. Eine zierliche junge Frau mit dunklem Teint und schwarzen halblangen Haaren kam zögerlich näher. Sie trug eine Jeans und einen dicken Anorak, dazu knöchelhohe Stiefel.

    „Guten Abend, Sie sind Melanie Gramberg? Die Detektivin?" Sie sprach perfektes Deutsch mit einem kaum wahrnehmbaren Akzent, der schwer zuzuordnen war.

    „Ja, die bin ich. Was kann ich für Sie tun?"

    Die Besucherin schien sich zu entspannen. „Ich möchte höflich fragen, ob Sie mir helfen können. Ich suche meinen Bruder."

    „Eigentlich ist mein Büro schon geschlossen …"

    „Schade." Die Frau drehte sich um und machte Anstalten, den Hof zu verlassen.

    „Warten Sie, nicht so schnell. Ich kann mir ja mal anhören, was Sie auf dem Herzen haben. Dazu sollten wir aber ins Büro gehen."

    Die kurzzeitige Enttäuschung im Gesicht der jungen Frau verwandelte sich in ein strahlendes Lächeln. „Danke."

    Melanie kam sich mit ihren eins sechsundsiebzig riesig vor, als sie neben der Frau zum Haus ging. Sie schloss die Haustür auf, im Besprechungsraum der Detektei setzten sie sich an den Tisch.

    Melanie öffnete den Schreibblock, der dort zusammen mit einem Kugelschreiber stets griffbereit lag. „Haben Sie eigentlich auch einen Namen?"

    „Oh Verzeihung. Ich heiße Girak, Tahmineh Girak."

    „Schön, Frau Girak. Jetzt geben Sie mir erst einmal Ihre Jacke, nicht, dass Sie nachher frieren."

    Gehorsam entledigte sich Tahmineh des Anoraks, den Melanie an einen Kleiderhaken hinter der Tür hängte.

    „Möchten Sie etwas trinken? Wasser, einen Kaffee oder einen Tee?"

    „Danke. Ich will Ihre Zeit nicht so lange in Anspruch nehmen."

    Die Frau gefiel ihr. Wie alt war sie wohl? Vielleicht Anfang zwanzig.

    „Dann erzählen Sie mal, was mit Ihrem Bruder ist."

    Tahmineh holte tief Luft. „Eason ist fünfundzwanzig, drei Jahre älter als ich. Wir sind vor vier Jahren aus dem Irak nach Deutschland gekommen und haben Asyl beantragt, das bewilligt wurde. Wir waren erst in der Flüchtlingsunterkunft in Oberursel, dann bekamen wir eine eigene Wohnung im Usinger Weg. Wir studieren beide. Eason Maschinenbau, ich Architektur."

    „Darf ich fragen, wie Sie Ihren Lebensunterhalt bestreiten? Und was hat Sie veranlasst, Ihr Land zu verlassen?"

    „Zum einen bekommen wir eine staatliche Unterstützung, wir arbeiten aber auch. In der Gastronomie. Ihre Miene wurde traurig. „Mein Vater war ein hoher Beamter in Bagdad, wo wir gelebt haben. Eines Tages wurde ihm vorgeworfen, ein Spion zu sein, was nicht stimmte. Er war einem einflussreichen Kollegen, der seinen Job wollte, auf die Füße getreten. Der verbreitete Lügen und fälschte Beweise. Mein Vater …, sie stockte einen Moment, „wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Daraufhin mussten wir fliehen, denn wir waren lästige Zeugen, die die Wahrheit kannten. Nur wollte die keiner mehr hören. Unsere Mutter lebt jetzt im Haus ihres Bruders. Er ist für sie verantwortlich."

    Melanie schluckte. „Das tut mir sehr leid. Eine schlimme Geschichte, die glaubhaft klang. „Entschuldigen Sie bitte, noch eine Frage. Wo haben Sie so toll Deutsch gelernt?

    Tahmineh lächelte. „Danke. Auf dem Goethe-Institut in Bagdad. Mein Bruder und ich wurden von unserem Vater dazu angehalten, neben der Schule weitere Sprachen zu lernen. Wir sprechen auch Englisch und Französisch flüssig."

    Beneidenswert. „Glückwunsch, das war eine weise Entscheidung Ihres Vaters. Was ist also mit Ihrem Bruder?"

    „Eason ist spurlos verschwunden. Am Dienstag vor zwei Wochen sagte er mir, er müsse im Rahmen seines Studiums circa drei Wochen verreisen. Seine Sachen sind fast alle da, er hat abgesehen von einer kleinen Reisetasche nur seine Papiere, die Geldbörse und sein Handy dabei. Er kam mir sehr nervös vor. Ich hielt das für die Aufregung wegen des Trips. Er verließ die Wohnung und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Er nimmt keine Anrufe an und meldet sich auch nicht. Ich habe an der Uni gefragt. Es gibt keine Studienreise." Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge.

    „Hat er gesagt, wohin er fahren wollte?"

    „Er machte daraus ein Geheimnis, hat nur gelacht und gesagt, er würde mir was Schönes mitbringen."

    „Das haben Sie so hingenommen?"

    „Er ist manchmal so. Meint, ich bin zu neugierig. Irgendwann erzählt er mir dann doch alles."

    Melanie kam ein Verdacht. „Hat er sich in letzter Zeit verändert?"

    Tahmineh zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Er war völlig entspannt, fast euphorisch. Meinte, er hätte bald das Geld für seinen Führerschein und ein Auto. Das konnte ich nicht glauben. Er spart zwar wie verrückt, ist aber weit davon entfernt, genug für sowas zu haben. Als ich ihn ausgelacht habe, war er beleidigt und sagte, ich würde schon sehen. Wir haben uns ein bisschen gestritten."

    „Er hat aber nicht erklärt, woher er das Geld bekommen würde."

    Die junge Frau schüttelte den Kopf.

    „Seien Sie mir nicht böse. Kann es sein, dass er in kriminelle Geschäfte verwickelt ist? Zum Beispiel in Drogengeschäfte?"

    Tahmineh setzte sich auf, ihre Augen sendeten Blitze. „Nein, ganz bestimmt nicht! Eason ist absolut ehrlich. Das würde er nie tun. Wie kommen Sie darauf? Weil wir Ausländer sind? Die Polizei hat auch so blöd gefragt."

    Melanie hob hastig die Hände. „Sorry, ich musste das fragen. Das hat absolut nichts mit Ihrer Herkunft zu tun. Es erscheint mir nur merkwürdig, plötzlich ohne Erklärung eine größere Geldsumme in Aussicht zu haben."

    „Das gebe ich zu. Es kann aber nicht sein. Ich kenne meinen Bruder."

    Das haben so manche Geschwister vor dir gedacht, fuhr es Melanie durch den Kopf. „Bei der Polizei waren Sie also schon. Was haben die sonst gesagt?"

    Tahminehs Miene verdunkelte sich erneut. „Nichts. Ich solle warten. Wenn er zurückkommen wolle, würde er schon wieder auftauchen. Vermutlich habe er sich abgesetzt. Als ich ihnen erzählte, dass er Geld erwartet habe, kamen sie ebenfalls mit der Drogenvermutung und behaupteten, er ist vermutlich in schlechte Kreise geraten. Sie könnten nichts unternehmen, Eason ist volljährig und Herr über seinen Wohnort, da er eine Aufenthaltsgenehmigung hat. Sie schnaufte. „Er würde mich nie allein lassen, schon weil er kurz vorm Studienabschluss steht und schon einen Jobvertrag in Frankfurt hat.

    Die Ex-Kollegen machten es sich ein bisschen einfach, fand Melanie, obwohl sie deren Gedanken nachvollziehen konnte. Hatte sie solche schließlich gerade selbst geäußert. Es gab jedoch Ungereimtheiten, die einen freiwilligen Abgang fraglich erscheinen ließen.

    „Hat er Freunde?"

    „Nein, nicht wirklich. Einige Studienkollegen, sonst niemand. Bis auf einen Mann, den wir von daheim kennen und der noch in der Flüchtlingsunterkunft in Oberursel lebt. Er ist so alt wie Eason."

    „Wie heißt dieser Freund?"

    „Haias Kazem, mit z in der Mitte. Er spricht kaum Deutsch und sein Englisch ist furchtbar."

    Melanie schrieb den Namen unter ihre bisherigen Notizen. Sie schaute ihre Besucherin direkt an. „Ich habe verstanden, dass Sie nicht viel Geld besitzen, deshalb will ich ehrlich sein. Ich muss ein Honorar für meine Arbeit nehmen."

    Zu ihrer Überraschung nickte Tahmineh völlig unbeeindruckt. „Ist mir klar. Reichen 20.000 Euro?"

    Melanie riss die Augen auf. „Woher haben Sie so viel Geld?"

    „Das habe ich vor ein paar Tagen in unserem Briefkasten gefunden. In einem Umschlag ohne Absender."

    ***

    Kriminaloberkommissar Sandro Kimmerle bremste den Audi um 19:20 Uhr im Bad Homburger Pfarrbornweg unweit der Einmündung der Straße Am Krämersrain vor einem Flatterband ab, das ein uniformierter Polizist nach einem kurzen Blick anhob.

    „Guten Abend, grüßte Polizeiobermeister Grundenburg. „Der Einsatzort ist gleich links im Cabourgweg, du kannst ihn nicht verfehlen.

    Sandro verzog das Gesicht. Wie auch? Der Schein der Blaulichter der Einsatzwagen wanderte an den umliegenden Hauswänden entlang und vermischte sich mit den umherwabernden Nebelschwaden. Rechts stand ein Notarztwagen.

    „Danke, ich werde ihn finden", antwortete er ironisch. Er kannte Grundenburg aus unzähligen Einsätzen. Er war für seine historischen Abhandlungen zum jeweiligen Ort des Geschehens berüchtigt, die er zum Besten gab, egal ob man sie hören wollte oder nicht. Heute schien Sandro verschont zu bleiben. Er parkte den Audi hinter zwei Polizeiwagen und stieg aus. Hastig zog er die Kapuze seines Anoraks über den Kopf. Im einsetzenden Nieselregen kroch die kalte Abendluft sofort unter die Kleidung. Schnell ging er in die angrenzende schmale Sackgasse.

    Menschen in Ganzkörperanzügen suchten im Licht von aufgestellten Strahlern die Umgebung eines weißgestrichenen Hauses ab. Der Vorgarten wurde von einer halbhohen Hecke begrenzt, die von einem niedrigen Metallzaun und dem Weg zur offenstehenden Eingangstür unterbrochen wurde.

    Sandro interessierte aber der rund zehn Meter weiter auf dem Asphalt liegende und mit einer Plane abgedeckte Körper. Etwas raschelte in seinem Rücken.

    „Männlich, Mitte bis Ende fünfzig, erschossen, tot."

    Sandro fuhr herum. Hinter ihm stand Martin Schubert und grinste ihn an. Der Kriminalhauptkommissar trug den obligatorischen Parka, dazu Jeans und Cowboystiefel. Das schulterlange blonde Haar hatte er zu einem kurzen Zopf zusammengebunden. Eine nicht ganz altersgerechte Aufmachung für einen dreiundvierzigjährigen Polizeibeamten, was in der Direktion niemand störte. Es passte irgendwie zu ihm. Sandro, der ihn mit seinen eins neunzig um beinahe zwanzig Zentimeter überragte, hatte sich noch nicht so richtig daran gewöhnt, dass Martin nach einer sechsmonatigen Auszeit vor einer Woche in den Dienst zurückgekehrt war. Martin hatte während dieser Zeit in einem Kinderprojekt in südafrikanischen Townships als Volunteer gearbeitet.

    „Musst du mich so erschrecken? Ich habe deinen Wagen gar nicht gesehen. Wo hast du geparkt?"

    „Daheim, kam die überraschende Antwort. „Ich wurde von einem Streifenwagen mitgenommen, der zufällig in der Nähe war. Sarah und Antonia vernehmen den Hausherrn. Der Tote hat ihn wohl unmittelbar vor der Tat besucht.

    „Könnte er der Täter sein?"

    „Wohl kaum. Es gibt eine Zeugin, die einen Mann weglaufen sah. Sie konnte ihn ordentlich beschreiben. Die Fahndung läuft."

    Immerhin etwas, fand Sandro. „Haben wir Personalien?"

    „Professor Dr. Carsten Feuerschuh, kam eine Stimme aus der Richtung des Hauses. „Achtundfünfzig, verheiratet, ein Sohn, wohnhaft in Bad Homburg in der Stettiner Straße.

    Sie drehten sich um. Hartmut Klinger, der Leiter der Kriminaltechnik, reichte Martin einen Zettel.

    Martin nickte und steckte das Papier in die Jackentasche. „Prima. Was weißt du sonst noch?"

    „Zwei Schüsse, einer in die Brustgegend, der andere am Kopf aufgesetzt. Auf den ersten Blick ein großes Kaliber. Der Mann war vermutlich sofort tot."

    „Da wollte der Täter auf Nummer sicher gehen. Haben wir bisher weitere Spuren?"

    „Nicht wirklich, erwiderte Hartmut. „Wir beeilen uns, bevor der Regen die wenigen Spuren vernichtet. Er bückte sich und hob die Plane an.

    Die Leiche lag auf dem Rücken. Die Augen waren geschlossen. Das Einschussloch auf der Stirn war nicht zu übersehen. Im linken Brustbereich hatte sich ein dunkler Fleck gebildet. Unter dem Toten war kaum Blut zu sehen. Wahrscheinlich war es in der Kleidung versickert.

    Martin räusperte sich. „Lass gut sein, meinte er, worauf Hartmut das Opfer wieder bedeckte. „Sandro, wir hören mal, was die Kolleginnen haben.

    Gemeinsam gingen sie zum Hauseingang, aus dem zwei junge Frauen kamen, die auf den ersten Blick Schwestern hätten sein können. Sarah Schwenke und Antonia Klaubner waren ungefähr gleich groß, sportlich schlank und hatten lange Haare. Im Gegensatz zu den brünetten der vierundzwanzigjährigen Sarah, waren die der ein Jahr älteren Kollegin schwarz.

    „Was sagt der Hausherr?", erkundigte sich Martin.

    Antonia ergriff das Wort. „Er heißt Dr. Holger Lorenz, ist Rechtsanwalt und war ein sehr guter Freund des Toten. Sie trafen sich einmal die Woche zum Schachspiel. Dr. Feuerschuh verließ das Haus um circa 18:25 Uhr. Dr. Lorenz hat es zweimal kurz hintereinander knallen gehört und an Feuerwerkskörper gedacht. Dann hat die Zeugin geklingelt."

    Sandro sah sich um. „Wo ist sie?"

    „Im Krankenhaus, antwortete Sarah. „Sie hatte einen Nervenzusammenbruch. Wir konnten kurz mit ihr sprechen. Sie hat die Tat beobachtet. Ein Mann kam aus dem Pfarrbornweg. Sie hat ihn als sehr groß und bullig beschrieben. Er soll einen langen schwarzen Mantel getragen haben. Außerdem habe er ein wenig gehinkt. Der Mann hat Dr. Feuerschuh in den Rücken geschossen. Dieser stürzte und lag auf dem Bauch. Der Mann sei seelenruhig an ihn herangetreten, habe Feuerschuh umgedreht, und ihm dann in den Kopf geschossen. Danach ist er zurück zum Pfarrbornweg gelaufen. Vermutlich dort nach rechts abgebogen. Von der Zeugin hat er anscheinend keine Notiz genommen.

    Äußerst ungewöhnlich, dachte Sandro. Warum hatte der Täter sein Opfer extra umgedreht? „Da hat die Frau aber Glück gehabt. Würde sie ihn wiedererkennen?"

    „Kaum. Er war mit einer Strumpfmaske maskiert und hier war es zu dem Zeitpunkt bereits dunkel."

    „Das klingt nach einer eiskalten Hinrichtung durch einen Profi", meinte Martin.

    Sein Handy klingelte. Er meldete sich und hörte dem Anrufer zu. Seine Augen verengten sich. „Scheiße! Okay, wir kommen. Er beendete das Gespräch. „Wir haben einen zweiten Toten. In Falkenstein. Zwei Streifenwagen sind bereits vor Ort. Die Tat ähnelt dieser hier frappierend.

    ***

    Ein Mann stand um 19 Uhr vor einem Opel Insignia und tippte in sein Telefon:

    Das Wild ist erlegt. Erwarte die Restzahlung! Wir sehen uns wie vereinbart.

    Er schickte die Nachricht zusammen mit den Fotos seiner beiden Opfer auf die Reise. Vollkommen ruhig schaltete er das Gerät aus und entnahm die SIM-Karte. Er holte eine Nagelschere aus der Manteltasche, zerschnitt die Karte und warf die Teile in den nächstgelegenen Gully. Dann stieg er ins Auto und startete den Motor. Es galt, sich zu beeilen, hier würde bald der Teufel los sein. Er passierte den Königsteiner Kreisel und fuhr in Richtung A 66. Eine halbe Stunde später erreichte er den Frankfurter Flughafen. Er gab den Leihwagen ab und ging mit seinem Koffer zu einer Toilette, in der er sich umzog. Kurz darauf bestanden der Reisepass und der Führerschein aus Fetzen. Die Kleidung, die er getragen hatte, verteilte er auf verschiedene Mülleimer in den Flughafenterminals. Schließlich mietete er sich ein Schließfach und deponierte die Waffe darin. Niemand schien Notiz von ihm zu nehmen. Nahe des Lufthansaschalters nahm er einen Pass aus der Innentasche seiner Jacke. Er würde über Wien nach Klagenfurt fliegen und dort einen Mietwagen übernehmen. Dann lagen nur noch ein paar Stunden Autofahrt und zwei kaum kontrollierte Grenzübergänge vor ihm.

    ***

    Sandro parkte gegen 20 Uhr im Falkensteiner Reichenbachweg vor der Polizeiabsperrung und stoppte den Scheibenwischer. Sie stiegen aus und gingen auf einen uniformierten Kollegen zu, den Sandro nicht kannte. Sie zeigten ihre Dienstausweise.

    „Was liegt an?", erkundigte sich Martin.

    „Der Name des Toten lautet Tobias Primmer, genauer gesagt Dr. Tobias Primmer. Ihm und seiner Frau gehört eine Klinik für plastische Chirurgie, die nicht weit von hier entfernt liegt. Er wurde direkt am Eingang seines Hauses erschossen. Der Polizist deutete auf das in unmittelbarer Nähe liegende Eckgrundstück. Mit seinem verschachtelten Dach wirkte das darauf stehende einstöckige Gebäude verwinkelt. „Seine Frau hat den Täter flüchten gesehen, fuhr der Beamte fort.

    „Konnte sie ihn beschreiben?", fragte Martin.

    „Groß, massige Erscheinung in einem schwarzen langen Mantel. Mehr weiß sie nicht. Sie hat ihn nur von hinten gesehen. Es hat wohl an der Tür geklingelt, der Hausherr öffnete und dann wurde sofort geschossen. Ein Kollege ist bei der Frau, das Kriseninterventionsteam ist auf dem Weg."

    „Lassen Sie mich raten, schaltete sich Sandro ein. „Es gab zwei Schüsse, einen in die Brust und einen in die Stirn. Außerdem hinkte der Täter.

    „Woher wissen Sie das?"

    „Weil derselbe Typ vor knapp zwei Stunden einen Mann in Bad Homburg auf die gleiche Art getötet hat. Danke, Kollege."

    In diesem Moment hielt Hartmut Klingers VW Bulli. Der Kriminaltechniker stieg zusammen mit drei Mitarbeitern aus, sie kamen mit ihren Koffern auf sie zu.

    Gemeinsam gingen sie zur Leiche. Sie lag im Hauseingang auf dem Rücken. Unter ihr hatte sich eine Blutlache gebildet.

    „Der Schuss in die Stirn ist aufgesetzt, genauso wie in Bad Homburg stellte Hartmut fest. „Ebenfalls ein großes Kaliber.

    „Und wieder ein Arzt, ergänzte Sandro. „Würde mich wundern, wenn die sich nicht kannten.

    Martin nickte. „Da hat jemand was gegen Mediziner. Alles sieht nach einem Profi aus. Sandro, ruf Sarah an. Wenn die Mädels in Bad Homburg die Nachbarn abgeklappert haben, sollen sie hierherkommen. Er stieg mit einem Ausfallschritt über den Toten. „Mal sehen, ob wir aus der Witwe etwas herausbekommen.

    ***

    „Was glaubst du? Ist der Iraker abgehauen?" Siegfried Graf zu Biebenau saß zur selben Zeit mit Melanie im Separee des Silbernen Beins, das sich in den letzten Wochen ebenso wie die restliche Wirtschaft stark verändert hatte.

    Melanie hielt den Umbau für sehr gelungen. Das zuvor dunkle Holz war hellem gewichen. Siggi hatte das gesamte Mobiliar ausgetauscht, wobei er darauf geachtet hatte, das rustikale Ambiente beizubehalten. Aber alles wirkte nun freundlicher. Zudem war die Speisekarte mit Hilfe der neuen Köchin Susanne Heimer erweitert worden, ohne den regionalen Schwerpunkt zu verlieren. Susi, wie Siggi sie nannte, hatte ihn davon überzeugt, mehr vegetarische Gerichte anzubieten. Dazu gab es neben den üblichen Getränken nun eine bodenständige Weinkarte, die gut angenommen wurde. Den obligatorischen Apfelwein bezog Siggi nach wie vor von einem Bauern aus der Umgebung. Er strich sich durch die wallenden schlohweißen Haare, zu denen sein gleichfarbiger Vollbart perfekt passte. Mit der sonoren Stimme und dem kräftigen Körperbau strahlte er trotz seiner nur eins fünfundsiebzig eine natürliche Autorität aus. Das hatte ihm im lange zurückliegenden Leben als Leitender Oberstaatsanwalt sicherlich geholfen.

    Melanie trank einen Schluck Almdudler. „Ich halte es für eher unwahrscheinlich. Die Geschwister scheinen sich prima zu verstehen, sind beide voll integriert. Wieso soll der Junge verschwinden und seiner Schwester gegenüber vorher keinerlei Andeutungen machen?"

    Siggi zuckte die Achseln. „Manchmal gibt es Ereignisse, die den unauffälligsten Menschen austicken lassen."

    Melanie nickte. So wie bei ihm. Siggi war nach den Verlusten von Frau und Tochter aus dem Staatsdienst ausgeschieden und hatte fünfzehn Jahre freiwillig auf der Straße gelebt. Kurz vor seiner Rückkehr ins normale Leben hatte Melanie ihn bei ihrem ersten Fall im Taunus kennengelernt. Durch die gemeinsamen dramatischen Erlebnisse war eine Freundschaft entstanden. Schließlich hatte er sie ins Vertrauen gezogen und erzählt, was damals wirklich geschehen war. Seitdem seine Nichte im Frühsommer auf tragische Weise gestorben war, führte er das Silberne Bein allein. Er beschäftigte die Köchin Susanne Heimer und einige Aushilfen.

    „Dann sag mir, woher die 20.000 Euro in Tahminehs Briefkasten kommen", bohrte sie weiter.

    „Wenn du mich fragst, aus einem dreckigen Geschäft. Drogen oder so was. Der Junge hat eine Menge Kohle gemacht und geteilt, weil er ein schlechtes Gewissen hat."

    Das klang logisch. Dennoch störte sie diese banale Erklärung. Vor allem, weil sie Easons Schwester sympathisch fand, und es ihr widerstrebte, sie zu enttäuschen.

    „Wir werden sehen. Ich nehme mir morgen seine Sachen in der Wohnung vor. Wäre doch gelacht, wenn ich keinen Hinweis finden würde."

    Siggi grinste. „Tu das."

    Die Tür ging auf, Susi kam mit hochrotem Kopf herein. „In Bad Homburg und Königstein ist die Hölle los. Die sozialen Medien überschlagen sich. Innerhalb einer Stunde wurden zwei Ärzte erschossen. Im Netz wird behauptet, dass es sich um den Amoklauf eines Verrückten handelt. Die Hochtaunuskliniken sind angeblich abgeriegelt und Ärzte im Umkreis unter Polizeischutz gestellt."

    Melanie rollte mit den Augen. „Das ist typisch

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