entre dos tierras - zwischen zwei welten - gegen das vergessen
Von Peter Geipel
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Über dieses E-Book
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Rezensionen für entre dos tierras - zwischen zwei welten - gegen das vergessen
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Buchvorschau
entre dos tierras - zwischen zwei welten - gegen das vergessen - Peter Geipel
Wie war das während der Ölkrise, die mit dem Krieg am Tage des Jom Kippur, des jüdischen Versöhnungsfestes, vor Jahresfrist begann
Rudolf Augstein
30.09.1974
Wie war das während der Ölkrise, die mit dem Krieg am Tage des Jom Kippur, des jüdischen Versöhnungsfestes, vor Jahresfrist begann? Wurden nicht Fahrräder aus dem Keller geholt? Waren keine Benzinscheine gedruckt? Hatten die Heizölfirmen nicht alle Hände voll zu tun, den Kauflustigen zu versichern, das Nachfüllen lohne nicht schon dann, wenn der Tankinhalt zu einem Fünftel verbraucht sei?
Und die Medien? Stand nicht in der FAZ, die Europäer müssten sich zusammenfrieren
? Und im SPIEGEL der Satz einer leichtfertigen, weil mit dem Wort leicht fertigen Kassandra, nie mehr wird es sein, wie es war
!? Wurde da nicht von einer Kulturwende
phantasiert, nicht gar das Ende unserer Überflussgesellschaft prophezeit, mit selbstgenießerischem Schauder. So als hätten wir alle seit langem schon wissen müssen, dass es nicht immer so weitergehen könne, immer größer, immer höher, immer schneller?
Inzwischen scheint es in der Bundesrepublik so, als habe es wohl einen Nahostkrieg, nicht aber eine Ölkrise gegeben. Die Europäer haben sich nicht zusammengefroren, das zusammen
stimmt schon gar nicht, das gefroren
ebenso wenig. Benzin strömt so flüssig, dass die Preise sinken, die Fernstraßen werden mit Höchstgeschwindigkeiten abgefahren. Keine Heizölhysterie, geruhsam wird der preisgünstigste Termin berechnet und abgewartet. Die Chemie produziert soviel Abfall wie eh und je. Mit dem Auto fährt man in die Ferien, und wenn man Italien meidet, dann nicht, weil es dort kein oder nur zu teures Benzin, sondern weil es kein Frühstück und keine Post mehr gibt.
War also die ganze Aufregung umsonst, ist alles nicht wahr gewesen?
War also die ganze Aufregung umsonst, ist alles nicht wahr gewesen? Die Ölkrise am Ende gar eine Eigenproduktion der profitsüchtigen Multis
? Das scheint so, aber es ist nur der Schimmer der Oberfläche. Geschichte läuft anders, als wir uns vorstellen können, verläuft in Schüben und Gegenschüben, mit Verschnaufpausen zwischendurch, langsam und beharrlich wie Gottes Mühlen seligen Angedenkens. In Kriegen und Revolutionen bricht durch, was sich vorher angestaut hat, in Kriegen und Revolutionen werden Wahrheiten sichtbar wie etwa bei Verdun die Erkenntnis, dass christliche Völker ihre gesamte wehrfähige Mannschaft nicht etwa, um zu siegen, sondern zwecks beidseitiger Ausblutung
abschlachten ließen.
Das sind Wahrheiten, die sich einbrennen und die man nur, wenn überhaupt, verdrängen kann, auch dies nicht immer. Solche Wahrheit ist während eines nicht sehr blutigen, nicht sehr langen Krieges zwischen Israel und seinen arabischen Gegnern aufgetaucht, so dass jeder sie sehen kann. Im jüngsten Nahostkrieg ist eine Revolution aufgebrochen, deren Ausmaße wir ahnen, auch wenn wir die Folgen, und die Kräfte der Gegenrevolution, noch nicht abzuschätzen vermögen.
Es geht um die Weiterexistenz der gegenwärtigen Weltordnung, die sich fast über Nacht als verletzlich erwiesen hat, auch wenn der großen Bewußtseinskriese viele mittlere und kleinere vorausgegangen waren. Das gegenwärtige, vom Egoismus der einzelnen angetriebene, demokratisch abgestützte System steht zur Disposition, ohne dass jenes System sichtbar geworden wäre, das den Interessen aller Menschen gerecht zu werden vermöchte.
Größtmögliche Effektivität und Produktivität garantiert der Kapitalismus, dessen System mit seiner schier endlosen Steigerung von Investition, Produktion und Verbrauch freilich zu endlosem Wachstum verdammt ist. Wie aber, wenn dem Wachstum wirklich Grenzen gesetzt sind, weil die verbrauchten Vorräte auch durch recycling
und neue Technologie nicht mehr ersetzt werden können, oder wenn die Beschädigung der Umwelt alle finanziellen und technischen Grenzen sprengt? Kürzer: Wenn Wachstum nicht mehr gefragt ist, welches System bewältigt dann den Mangel?
Wir helfen uns, indem wir die nicht abreißende Kette von Katastrophen als eine Abfolge von unglücklichen Zufällen interpretieren; mal war es die Dürre, dann der viele Regen, mal die Kälte, dann die Hitze. In Italien hat es nie, in England noch immer funktioniert. Bislang kommen in Japan mehr Menschen bei Verkehrsunfällen als durch Umweltschäden zu Tode. Befriedigt registrieren wir einen Taifun, weil doch zu Tage liegt, dass Taifune nichts mit unserer Weltordnung zu tun haben (vermutlich nicht, unter Umweltschäden
haben wir sie noch nicht abgeheftet).
In Wahrheit steht unser System, das bürgerliche oder auch das staatsbürgerliche, zur Debatte, herausgefordert wird unsere, die immer noch bürgerliche Ordnung. Wären wir Feinde dieser Ordnung, so hätten wir es leicht. Wir müssten nur beweisen, dass sie langsam, ohne punktuelle Herausforderung, zerbröselt, dass die Reibungsverluste immer größer werden, dass die Kosten, die nötig sind, um die Löcher des Systems notdürftig zu flicken, den Produktivitätszuwachs zunichte machen. Hohe Zeit für alle Systemveränderer, sollte man meinen. Aber sonderbar, sie jubeln nicht, sie sind still, verkriechen sich nahezu. Da kracht eine Bank mit 1,2 Milliarden Mark minus, Verluste werden sozialisiert, der Bürger, der Steuerzahler kommt dafür auf; und doch gibt es keinen Eklat. Was ist geschehen? Etwas Merkwürdiges: Die der bürgerlichen Ordnung
oder Unordnung feindlich Gesonnenen entdecken plötzlich, dass es zwei Paar Schuhe braucht, je nachdem, ob es gilt, die Marschzahl für den Untergang eines Systems einzustellen oder den Untergang als Betroffene mitzuerleben. Es nicht die Lust am Untergang, die uns so denken heißt, man hat sie uns gründlich ausgetrieben. Wie gern würden wir die Ordnung unserer Nachkriegswerte erhalten wissen: Geld, das nicht weniger wird; Besitz, auf den Verlass ist; Arbeit, die einem keiner nehmen kann; Krankheiten, die man definieren, Gesundheit, die man fixieren kann; Fortschritt, der Besserung bestehender Verhältnisse verheißt. Aber der Wagen, der rollt, kein Klagen hilft, kein Jammern. Wer wagt noch, Reformen anzukündigen, wo es gilt, die täglich neu hinzukommenden Schäden zu reparieren?
Einige Länder, die in unserer europäischangelsächsischen Geschichtsvorstellung bislang nicht vorkamen, sind sich vor einiger Zeit ihrer Machtmittel bewusst geworden, einzelne schon vor dem Jom Kippur, ihre Gesamtheit erst durch diesen und in diesem nationalistisch angetriebenen Krieg. Die Länder Westeuropas und Japan gingen ohne Zaudern in die Knie, der Appetit der Rohstoffländer wuchs beim Essen.
Seitdem gibt es in der Welt das Drei-Klassen-System: die Industrienationen, arme Entwicklungsländer und reiche, weil mit Rohstoffen und Bodenschätzen gesegnete Entwicklungsländer. Vor einem Jahr, und nicht eher, wurde einer breiten Öffentlichkeit in den westlichen Industrienationen bewusst, dass die Ölländer Gelder aufhäufen, die es ihnen demnächst gestatten werden, den Zusammenbruch von Volkswirtschaften per Bankorders zu verfügen.
Bislang dürfen wir noch dankbar sein, wenn die Herren der Rohstoffe sich nur über den Ölpreis Zug um Zug jenen Wohlstand zurückholen
Bislang dürfen wir noch dankbar sein, wenn die Herren der Rohstoffe sich nur über den Ölpreis Zug um Zug jenen Wohlstand zurückholen, an dessen Entstehung sie bis vor kurzem als Ausgebeutete beteiligt waren. Will Kuweit eine der größten englischen Immobiliengesellschaften aufkaufen, hofft und bangt die Nation. Und als der Schah von Persien bei Krupp einstieg, jubelten Regierung, Opposition und Sozialpartner im Gleichklang.
Man kann nicht sagen, dass jede Maßnahme der Ölländer weise und auf konstruktive Zusammenarbeit bedacht war. Aber man muss ebenso erkennen, dass die Verantwortung der imperialistischen Staaten vor 1914 und der, um die Zwischenkriegszeit auszusparen; Industrienationen nach 1945 nur wenig kleidsamer gehandhabt worden ist. Sogar Maos China, von dem sich viele immer noch eine Gegenordnung der Welt erhoffen, treibt in der internationalen Politik klassisch ausgerichtete Großmacht-Obstruktion.
Das sie die Schätze der Welt im Raubbau gehoben und große Teile ihrer Umwelt zerstört hatten, wurde den Industrienationen erst bewusst, als sie durch steigende Rohstoffpreise daran erinnert wurden. Zugleich wuchs ihr Bedürfnis, autark zu sein oder zu werden, auch auf Kosten des Nachbarn, auch unter Inkaufnahme neuer Schädigungen der Umwelt.
Die USA reagierten nach klassischem Muster so, wie sich der Stärkste eben verhält, die Bundesrepublik benimmt sich nicht anders, wie der Zweitstärkste eben. Keiner kann ausbrechen, jeder muss sich selbst der Nächste sein, jeder. der noch etwas hat, trachtet, es zu behalten, jeder, der etwas bekommt, will nichts dafür zahlen. Solidarität? Nur bilateral, Zug um Zug.
Warum soll die relativ solide Bundesrepublik dafür einstehen, dass England und Frankreich sich mehr leisten, als sie leisten? Das sie mehr Werte importieren als exportieren? Warum sollen die Industrienationen mehr Mitgefühl für die Verhungernden der Entwicklungsländer aufbringen als deren Regierungen? Fässer ohne Boden.
Der Krieg von Jom Kippur, begonnen am 6. Oktober 1973, hat den Arabern Mut gemacht, ihre Ölpreisdiktate zu forcieren. Relative militärische Erfolge, relativ gemessen an früheren Misserfolgen, gaben der arabischen Sache
einen politischen Drive, den die Ölpolitiker nutzen konnten, auch und gerade jene, deren Länder am Krieg gar nicht teilgenommen hatten. Irgendwann, und sicher bald, wäre das ohnehin geschehen. Aber angesichts des arabischen Solidaritätsdrucks, der trotz einer halben Niederlage mächtig wurde, gab es hier den Knick im abendländischen Bewusstsein.
Die Europäer hatte es nicht gestört in ihrer Verteidigung von den USA abhängig zu sein. Warum sollte der Sohn nicht für die Eltern aufkommen? Nun aber wurde ihnen klargemacht, dass ihr Schicksal künftig in Teheran, Dschidda und Tripolis, ja in einigen winzigen Scheichtümern bestimmt werden konnte, von Ländern also, die noch vor kurzem von Europäern und vom amerikanischen Kapital beherrscht worden waren, Mit ihren Ölpreisen haben diese Produzenten die Zahlungsbilanz Frankreichs, eines bis dato relativ stabilen Landes, aus der Reihe gebracht, mit ihren Ölpreisen die relative Preisstabilität umgestoßen -- man spricht wieder von Benzinscheinen in Frankreich, am Jahrestag von Jom Kippur. Das Westeuropa in der Stunde der Krise nicht handlungsfähig sein würde, wer hätte es nicht geahnt? Aber seit dem Jom Kippur wissen wir es, und kein Silberstreif am Horizont. Gewiss, Holland musste nicht frieren. Aber wer für Holland nicht mit aller Kraft eintritt, wenn es ohne Grund von Dritten diskriminiert wird, der tritt auch für andere Länder der Gemeinschaft nicht ein, nicht für Frankreich, nicht für die Bundesrepublik. Ach, dear Valéry, unser Glück, es hat so kurz gedauert.
Jetzt Pessimist sein, dazu gehört beinahe schon wieder Mut. Wer will es den Politikern verargen, dass sie mit Strohhalmen umher fuhrwerken und vergeben oder gar meinen, es seien Marschallstäben. Der Kanzler tut, was er kann, in der ihm eigenen brüsken Art, die der nach außen gekehrte Teil seines Wesens ist. Nur sieht man nicht, wie sich die neun Länder der Europäischen Gemeinschaft auf ein gemeinsames Konzept für
* Bekämpfung der Inflation
* Rohstoffkauf
* Rohstoffverteilung
* Umweltschutz
* internen Lastenausgleich
einigen können; es gehört doch viel Phantasie dazu, das, was in London und Rom amtiert, noch eine Regierung zu nennen. Die Anarchisten sind brotlos geworden.
Einigen sich die Länder der EG aber nicht auf solch ein Gesamtkonzept, wie wollen sie dann mit den USA zusammenarbeiten, wie mit den Rohstoffproduzenten (die noch lange nicht spüren werden, was sie angerichtet haben), wie mit den Ländern des Ostblocks, der relativ intakt scheint, aber auch Kapital will, und intakt doch auch nur, weil er seine Probleme nicht austrägt, sondern unterdrückt?
Wer die bürgerliche Vernunft
anklagt, wer das Nicht-mehr-Funktionieren des bürgerlichen
, des privatwirtschaftlichen
Systems feststellt, hat ja recht
Wer die bürgerliche Vernunft
anklagt, wer das Nichtmehr-Funktionieren des bürgerlichen
, des privatwirtschaftlichen
Systems feststellt, hat ja recht. Nur möge er auch darüber nachdenken, und uns an den Früchten dieses Nachdenkens teilhaben lassen, wie denn der Weg einer bürgerlichen
in eine nicht bürgerliche
Gesellschaft zu pflastern sei; wie die Freiheiten westlicher Bürger, und das sind ja heute ganz überwiegend die Arbeitnehmer insgesamt, wenigstens teilweise erhalten bleiben können, Ist man sich eigentlich klar, dass nur die Diktatur einen Ausweg aus den vielfältigen Sackgassen bietet, die Diktatur und, wenn gar nichts mehr hilft, der Krieg?
Was Westeuropa angeht, so hat es genug von der deutschen Diktatur, und wird auch die der Sowjets nicht wollen. Es hat sich ja auch in Russland gezeigt, dass Marx ein Sohn des bürgerlichen Zeitalters ist, Produktionsfortschritt war ihm gleich Geschichtsfortschritt. Von Umweltproblemen im heutigen Sinn konnte er noch nicht viel wissen. Wo er über den Tellerrand hinausgesehen hat, ist man ihm auch in Russland nicht gefolgt. Und die chinesische Diktatur des Volkes
, dessen Wille sich in dem Willen des Großen Vorsitzenden repräsentiert sehen muss, kennen wir nicht hinlänglich.
Manchen will es scheinen, dass China Herrschaftsformen vorwegnimmt, die in fünfzig Jahren von aller Welt als notwendig anerkannt sein werden: Genügsamkeit im privaten Bereich, Reglementierung der Familie, Umweltschutz mangels Masse, zentrale Lenkung zentraler Probleme, Volkswirtschaftspläne, gutes Zureden auf allen Ebenen, gutes Zureden, das dem Terror verzweifelt gleichsieht. Aber sieh da, der alte Adam scheint auch in Maos China -- und es kann nicht Maos China bleiben -- nicht ausgerottet. Gegner des Großen Vorsitzenden müssen Ketzerbuße tun wie bei uns vor Jahrhunderten, oder stürzen mit dem Flugzeug ab wie in bürgerlichen Horrorserien. Nein, China kann uns einstweilen nur daran erinnern, dass es mit einer einzigen Diktatur, wie sie für Westeuropa beispielsweise unmöglich scheint, auch nicht getan wäre. Mehrere Großdiktaturen würden einander nach klassischem Muster bekämpfen, und nach aller geschichtlicher Erfahrung ist ganz undenkbar, dass sie ein Machtkartell bilden würden, USA etwa einträchtig mit China, Sowjet-Russland und irgendeinem Diktator Großarabiens oder Brasiliens. Andersherum, in der Konsequenz mehrerer Großdiktaturen läge die Weltdiktatur, ein entsetzlicher Gedanke, und, das hieße, bevor es dazu kommt, auch der Weltkrieg.
Der kleine Jom-Kippur-Krieg mit seinen neuntausend Toten hat den großen Atomkrieg, der aus der Diskussion fast verschwunden schien, wieder denkbar gemacht
Der kleine Jom Kippur Krieg mit seinen neuntausend Toten hat den großen Atomkrieg, der aus der Diskussion fast verschwunden schien, wieder denkbar gemacht. Dies alles muss so· nicht kommen. Aber wir sollten ganz klar sehen, dass die Regierungen sich bisher als unfähig erwiesen haben, Probleme zu behandeln, die ihnen in Wahlen gefährlich werden könnten. Der Druck der Interessenten ist blind; wie denn die sowjetische Regierung ebenso unfähig scheint, jene Mindestproduktivität zuzulassen, die auch eine sogenannte postindustrielle Gesellschaft
braucht, und die dem Sowjetsystem gefährlich werden könnte. Beide Systeme scheinen nicht fähig, auf den Problemdruck sachgerecht, und das heißt, unter Risiken für ihre eigenen Gesetzlichkeiten, zu reagieren. Die Gesellschaften dieser Erde befinden sich auf Kollisionskurs. So betrachtet, markiert der' Jom Kippur Krieg eine Kulturwende
. Nichts ist