Judasengel: XXL Leseprobe
Von H. T. Riethausen
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Über dieses E-Book
Fünf Jahre nach Kriegsende erschüttert eine Serie von rätselhaften Morden Frankfurt am Main. Hasso Kronstein, der durch das NS-Regime den Lebensgefährten verlor, wird Zeuge, wie im Namen der Moral gegen Homosexuelle vorgegangen wird. Anfangs sind nur Strichjungen und Freier betroffen, doch dann ufern die Maßnahmen aus und reißen auch Hasso in einen Strudel unheilvoller Ereignisse. Kriminalsekretär Konrad Große versucht, Licht ins blutige Dunkel zu bringen. Er stößt auf Spuren, die sein Bild von Gerechtigkeit und Ordnung aufs Äußerste erschüttern, als er feststellen muss, dass nicht nur der mutmaßliche Mörder dunkle Geheimnisse zu verbergen hat. Mit Ende des NS-Regimes bot die junge Bundesrepublik für Homosexuelle keine ersehnte Befreiung, sondern bedrohte ihr Leben durch Hetzjagden und Verurteilungen. Deutlich wurde das im Frankfurt der 50er Jahre durch eine Kette spektakulärer Prozesse. An wahre Begebenheiten angelehnt, lässt dieser spannungsvolle, historische Kriminalroman jene fast vergessenen Vorkommnisse wieder auferstehen. Als Andenken und Mahnung und zugleich mit einer anrührenden Liebesgeschichte verbunden, hält Judasengel die Erinnerung an die schwierigen Anfänge des schwulen Lebens hierzulande wach.
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Buchvorschau
Judasengel - H. T. Riethausen
XXL Leseprobe
H. T. Riethausen
Judasengel
Queer
Printausgabe, erschienen 2015
3. überarbeitete Auflage 2021
ISBN: 978-3-95949-469-4
Copyright © 2021 MAIN Verlag,
Eutiner Straße 24,
18109 Rostock
www.main-verlag.de
www.facebook.com/MAIN.Verlag
order@main-verlag.de
Text © H. T. Riethausen
Umschlaggestaltung: © Antonio Kuklik, MAIN Verlag
Umschlagmotiv: © Antonio Kuklik nach einem Foto von H. T. Riethausen
Rückseite: nach einem Foto von Claudio Divizia (shutterstock 455939425)
Druck: Eisermann Media GmbH
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten dieses Buchs sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv, nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
E-Book, erschienen 2015
ISBN: 978-3-95949-470-0
3. überarbeitete Auflage 2021
Copyright © 2021 MAIN Verlag,
Eutiner Straße 24,
18109 Rostock
www.main-verlag.de
www.facebook.com/MAIN.Verlag
order@main-verlag.de
Text © H. T. Riethausen
Umschlaggestaltung: © Antonio Kuklik, MAIN Verlag
Umschlagmotiv: © Antonio Kuklik nach einem Foto von H. T. Riethausen
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Die Handlung, die handelnden Personen, Orte und Begebenheiten
dieses Buchs sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, ebenso wie ihre Handlungen sind rein fiktiv,
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Inhalt
Gewidmet Horst Kraazberg und anderen Betroffenen, die 1950 bis 1951 in Frankfurt am Main bei den Homosexuellen-Prozessen von der amtlichen Willkür auf dem Altar der angeblichen Gerechtigkeit geopfert wurden.
Die Verfolgung von Homosexuellen war keineswegs mit dem Kriegsende 1945 abgeschlossen.
Das Verhalten von Gesetz und Behörden in den 50er- und 60er-Jahren gegenüber den Homosexuellen war nur gemäßigt besser als das des NS-Regimes.
»Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei selbst zum Ungeheuer wird.«
Friedrich Nietzsche Philosoph (1844 – 1900)
Befreiende Trümmer
Frankfurt, 1. April 1944.
Er bahnte sich den Weg durch die Neue Kräme – oder durch das, was nach den Bombenangriffen der letzten Woche davon übrig geblieben war. Haushoch stapelten sich die Trümmer. Immer noch stiegen feine Rauchsäulen empor. Die Feuerwehr war damit überfordert, alle Feuer zu löschen, denn sie kam nicht zu allen Brandherden durch. Übrig geblieben war ein einziges, riesiges Trümmerfeld, durch das sich lediglich Pfade ihren Weg bahnten. In diesem Chaos war nur noch einer zu Hause: der Tod. Einstürzende Mauern hatten die begraben, die von Luftangriffen im Haus überrascht worden waren. Wer in Hohlräumen hatte doch überleben können, war durch tödliche Flammen gestorben. Der Weg zwischen den Ruinen hindurch glich einem gefährlichen Slalom. Immer wieder hörte man gewaltiges Poltern. In jedem Moment konnte eine der verkohlten Mauern in sich zusammenfallen. Aber das hatte ihn nicht davon abhalten können. Er musste Gewissheit haben!
Es wurde langsam hell.
Er kletterte über einen Schutthaufen und erblickte die Kleinmarkthalle. Verkohlte Träger der Dachkonstruktion ragten auf wie das abgenagte Gerippe eines verendeten Tieres. Die geschwärzten Mauern waren nur noch Fassade. Er schauderte bei diesem Anblick und arbeitete sich weiter. Irgendwo da vorne konnte er einen Menschen erkennen, der durch die Trümmer irrte. Vielleicht jemand, der hoffte, dass ein nahestehender Mensch überlebt haben mochte. Die, für andere hoffnungsvolle, Vorstellung erschreckte ihn und ließ ihn sein Tempo beschleunigen. Endlich erreichte er den Platz, an dem sich die Bockgasse befunden haben musste. Der einstige Straßenverlauf war nur noch zu erahnen. Mehrmals umrundete er suchend den Bereich und rekonstruierte vor seinem inneren Auge das frühere, unzerstörte Bild. Je sicherer er wurde, dass sich hier die gesuchte Adresse befunden hatte, desto besser wurde seine Laune. Kritisch betrachtete er die Trümmer. Hier konnte keiner überlebt haben. Er atmete erleichtert auf. Jetzt war er am Ziel.
Stück für Stück hatte er seine Spuren verwischt. Für die meisten war er ein Gesicht ohne Namen gewesen. Nach und nach waren verräterische Zeugen verschwunden – nicht ganz ohne sein Mittun. Nur einer hatte sich ihm widersetzt und zum Handel gezwungen – jahrelang. Wenige Wochen vor den verheerenden Bomben hatte derjenige ihn aufgesucht und sich nach Neuigkeiten aus dem Krieg erkundigt – speziell diesen einen Namen betreffend. Tage später waren die Verlustmeldungen eingetroffen und auch jener Name war verzeichnet gewesen. Daraufhin hatte er den letzten Schritt eingeleitet, der ihn von seiner Freiheit noch trennte. Er hatte dafür gesorgt, dass der letzte Zeuge verschwand. Jetzt war niemand mehr übrig, der sein Doppelleben hätte enthüllen können. Und die allerletzten Hinweise waren nun dicht vor ihm in Feuer und Asche versunken.
Er stieg den Schuttberg hinauf und starrte auf die Trümmerlandschaft, die einst die Frankfurter Altstadt gewesen war. Im Osten erhoben sich Staufenmauer und dahinter das mächtige Gebäude des Amtsgerichtes. Im Süden ragte wie ein Mahnmal in einer Felsenwüste der Domturm auf. Weit im Westen sah man die dunklen Mauern des Bahnhofsviertels, das mehr Glück gehabt hatte. Auch im nördlichen Bereich war die Zerstörung nicht so groß gewesen. Langsam stieg er die Geröllhalde wieder hinab und war fast schon an deren Fuß angelangt, als ihn plötzlich jemand an der Hose packte. Der unerwartete Halt brachte ihn zu Fall und er stürzte nach vorne. Er prallte unsanft auf und stieß sich die Schulter an einer Kante. Er rechnete mit einem Angriff, schrie auf und hielt sich schützend die Hände vors Gesicht. Aber nichts geschah.
Langsam senkte er die Hände, aber konnte keinen Angreifer wahrnehmen. Dann begriff er.
Aus dem Hügel ragte eine Spitze hervor, an der seine Hose hängen geblieben war. Umständlich löste er das Ende seines Hosenbeins, richtete sich wieder auf und betrachtete die verantwortliche Falle. Das spitze Ende war der Ausläufer einer Pickelhaube, die zur Hälfte aus dem Schutt ragte und durch den Sturz nach vorne gerissen worden war. Neugierig und ärgerlich zugleich zerrte er sie heraus und stieß im gleichen Augenblick einen Schrei aus. Sein erstarrter Blick galt nicht dem Helm in seiner Hand, sondern dem, was sich darunter befand: Dutzende von rötlichen Tonkacheln, auf denen immer das gleiche Motiv prangte: ein Strauß blauer Kornblumen!
Ungläubig riss er die Augen auf und rang nach Atem. Er schreckte aus seiner Erstarrung und ließ den Fund fallen. Hastig sah er sich um, suchte eine Lücke zwischen Schuttbergen und eilte durch die Trümmer wieder in Richtung Neue Kräme. Dort wandte er sich noch einmal um und blickte zurück. Die ganze Situation war ihm in die Knochen gefahren. War es das schlechte Gewissen, das ihn plagte? Ein unheimlicher Gruß aus der Vergangenheit? Oder ein unheilvolles Omen?
Geöffnete Pforten
Samstag, 27. Mai 1950.
Der Name der kleinen Straße »Luginsland« wirkte wie Hohn. Fünf Jahre nach Kriegsende sah Frankfurt nicht mehr idyllisch aus. Nur wenige Häuser waren intakt geblieben, zwängten sich zwischen beschädigte Gebäude, Ruinen, Trümmer und trostlose, vom Schutt gereinigte, Flächen. Nicht nur die Stadt lag in Scherben, auch das Leben der Menschen. Einer von ihnen war Hasso Kronstein.
Er stand vor dem Eingang der Gaststätte am Ende der Straße. Die Tür stand offen und ließ die Kühle des Abends eindringen – und musikalische Klänge hinaus. Der mittelgroße Mann lauschte der Musik. Haar und Vollbart waren so dunkelgrau wie der abgetragene Anzug.
Schritte näherten sich von der Goethestraße her. Hasso Kronstein sah auf und erblickte ein ungleiches Paar, das langsam näher kam. Ein braunhaariger, vollbärtiger Bär von einem Mann wurde begleitet von einem schlanken, rothaarigen Jungen. Hasso begrüßte sie vor der offenen Tür. Zusammen beobachteten sie die Szenerie im Inneren der Gaststätte. Zum Klang von Klavier, Geige und Klarinette probte ein älterer Sänger mit Stirnglatze und grauem Haar ein Lied. Er stand gebückt, aber seine Stimme schien nichts von ihrer Kraft eingebüßt zu haben. Mit voller Inbrunst schmetterte er den Gesang, als befänden sich im Raum mehr als nur vielleicht das Dutzend Zuhörer. Sänger und Musiker standen auf einem Podest am Ende des mittelgroßen Raumes, der mit Girlanden und Blumen prächtig dekoriert war. Zwischen allem stand eine große Frau, die es mit Hasso Kronsteins muskulösem Begleiter aufnehmen konnte. Mit ihrer üppigen Gestalt und den auffälligen Rundungen war sie die geballte Weiblichkeit in Person. Sie trug ein weites, leuchtend rotes Gewand, das gut zu ihren rotbraunen Haaren passte. Zufrieden sah sie zu, wie ein Angestellter ein Schild in den Kachelofen schob. Ihre Stimme klang hell und mächtig wie eine Fanfare.
»War längst überfällig. Der Felsenkeller feiert seine Wiederauferstehung! Freya war gestern!«
Ein Räuspern in einer Gesangspause lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Eingangstür. Mit einem lauten Stöhnen trat der Muskelprotz ein und kam auf sie zu.
»Betty! Ist das nicht übertrieben? Zwischen dem Grünzeug muss man wirklich auf die Suche gehen!«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist genau richtig, Emmerich! Jeder soll sehen, dass der Felsenkeller zu seiner alten Pracht zurückkehrt. Außerdem – nicht nur Ihr müsst dann suchen! Die Pforten sind wieder geöffnet, aber man weiß nie, wen man damit einlässt! Du verstehst?«
»Du meinst, …?« Sie nickte wissend.
»Ich rechne fest damit. Ich war überrascht, wie leicht ich die Tanzerlaubnis bekommen habe.«
Unverständnis stand in den Augen des rothaarigen Jungen.
»Das ist doch alles vorbei. Schau doch, was im Taunus-Thor los ist. Lediglich die MP machen da ihre Patrouille – gelegentlich. Die schauen einfach nur und gehen wieder. Da passiert nie etwas!«
Die Wirtin sah den Jungen mahnend an.
»Es ist mir gleich, was im Taunus-Thor passiert. Ich bleibe sauber! Haben wir uns verstanden? Ich habe gelernt, vorsichtig zu sein. Nach den geschlagenen Wunden braucht es lange, bis man wieder vertrauen kann. Und manche Schrammen werden wohl nie wieder heilen.«
Sie sah zu Hasso hinüber, der am Türrahmen lehnte und gedankenversunken den Sänger betrachtete. Emmerich stöhnte auf.
»Volker fehlt uns allen und wird unvergessen bleiben. Aber er ist eben nicht mehr da. Sich an die Vergangenheit zu klammern, macht ihn nicht wieder lebendig. Das Leben geht weiter und wer zurückschaut – an dem geht es vorbei! Hasso sieht nur den Verlust und verliert dadurch nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft!«
Betty schüttelte den Kopf.
»Ich habe den Bruder verloren, aber er die Liebe des Lebens. Solche Wunden heilen nur langsam. Lass ihm Zeit.«
Das Muskelpaket verdrehte die Augen.
»Wie lange denn noch? Volker ist seit sechs Jahren tot!«
Er zuckte erschrocken zusammen, als er sah, dass seine Worte getroffen hatten wie eine Peitsche.
»Verzeihung, ich wollte es nicht so hart ausdrücken, aber es tut mir weh, zu sehen wie er sich quält.«
Sie lächelte gezwungen.
»Du hast nur die Wahrheit gesagt. Hasso hat Volker sechzehn Jahre gekannt. Was