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Afrikanischer Mond: Flucht von Eritrea nach Deutschland
Afrikanischer Mond: Flucht von Eritrea nach Deutschland
Afrikanischer Mond: Flucht von Eritrea nach Deutschland
eBook316 Seiten4 Stunden

Afrikanischer Mond: Flucht von Eritrea nach Deutschland

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Über dieses E-Book

Beim Spazierengehen mit ihrem Hund stolpert Iffi über eine Leiche. Als die Polizei kommt, ist der Tote weg. Spurlos verschwunden. Nachdem Mischa, der Zwillingsbruder des Toten, aufgetaucht ist, beginnt ihr journalistisches Hirn zu arbeiten. Die Spur führt nach Slowenien, der Heimat der Brüder. Da verschwindet auch Mischa spurlos. Iffi reist trotz aller Warnungen selbst nach Slowenien. Dort bekommt sie Hilfe von Josip, einem Freund von Mischa. Er weiß, dass Schlepper Flüchtlinge über Griechenland, Italien und Slowenien nach Europa bringen. Mischa hat sich als Fahrer für die Flüchtlingstransporte anheuern lassen, um an die Hintermänner zu gelangen, die für den Tod seines Bruders verantwortlich sind. Die Lage spitzt sich zu.

In Eritrea macht sich zur selben Zeit Mala mit ihrer Schwester und deren kleiner Tochter auf den Weg. Das Leben dort wird zu gefährlich für sie. Europa ist das ersehnte Ziel. Ihr Onkel stellt ihnen besorgt Bunta, den Sohn eines alten Freundes, zur Seite. Die kleine Gruppe schließt sich anderen Flüchtlingen an. Gefahr ist allgegenwärtig. In Ägypten suchen sie ein Schiff, das sie nach Kreta bringt. Die Überfahrt wird zum Horror.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Aug. 2015
ISBN9783732354818
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    Buchvorschau

    Afrikanischer Mond - Rita Maria Geitner

    September 2010

    Mala liegt auf ihrer Matte und horcht in die Nacht. Es ist ruhig. Neben ihr liegt ihre Schwester Mbutha mit deren kleiner Tochter. Mala hat sich entschlossen wegzugehen. Weg aus ihrem Heimatland, denn das Leben in Eritrea ist von Hunger und Not geprägt. Mbutha möchte nicht alleine hierbleiben, sie wird mitgehen.

    Mala stupst ihre Schwester an. Leise stehen sie auf. Mbutha legt ihre schlafende Tochter in ein breites Tuch, das sie sich um den Körper wickelt. Muna schläft an ihren Rücken gepresst weiter.

    Beide nehmen ein kleines Bündel auf, das gepackt neben ihren Schlafmatten liegt. Sie verlassen hintereinander die Hütte. Der Mond scheint vom wolkenlosen Himmel. Die Schwestern sehen sich an und lassen mit großen Schritten die armseligen Hütten ihres Dorfes hinter sich.

    Asmara ist eine Stunde entfernt. Asmara – früher, viel früher, lebten die beiden Schwestern dort mit ihren Eltern. In Asmara wurden sie geboren, dort wuchsen sie auf. Ihr Vater war ein hochrangiger Offizier – bis er sich gegen die Regierung wandte. Sie wohnten in einem großen Haus, besaßen alle Annehmlichkeiten, und die Mädchen gingen auf eine höhere Schule. Dann wurde ihr Vater von Soldaten abgeholt, das Haus beschlagnahmt. Die Frauen mussten fliehen.

    Das Dorf, aus dem ihre Mutter kam, wurde ihr neues Zuhause. Mala war gerade sechzehn Jahre alt, Mbutha vierzehn. Ihre Mutter starb ein Jahr später aus Kummer. Das war vor sieben Jahren.

    Es gibt keine jungen Männer mehr im Dorf. Die beiden Frauen haben keinen Schutz, seit Mbuthas Mann von einem Einsatz gegen das Militär nicht zurückkam. In Eritrea herrscht das Militär. Wer sich gegen das Militär wendet, lebt sehr gefährlich. Man hört von Folterungen und Erschießungen.

    Ein alter Mann bedrängt Mala ständig, Mbutha zu einer Heirat mit ihm zu überreden. Er könnte vom Alter her ihr Vater sein, und er hat Beziehungen zum Militär. Mbutha graut vor ihm. Die Frauen können ihn nicht mehr lange zurückhalten. Auch deshalb müssen sie weg.

    Mala hat eine besondere Gabe. Sie kann fühlen, ob jemand gut ist oder nicht. Dazu streckt sie ihre rechte Hand in Richtung eines Menschen aus. Bei dem alten Mann hat ihre Hand schmerzhaft gezuckt. Er ist nicht gut!

    Eritrea, ihr Heimatland, zu verlassen, war nie ihre Absicht. Doch die Umstände zwingen sie nun dazu. Ihr erstes Ziel ist der Sudan. Mala rechnet mit einem Monat – erst zu Fuß und nur nachts, später, wenn sie weiter weg sind, wollen sie auch tagsüber gehen und vielleicht auch fahren. Die Schwestern laufen still nebeneinander durch die Nacht.

    1

    Iffi lümmelt sich auf der Couch. Es ist fast halb elf Uhr abends. Um zehn war sie vom Büro nach Hause gekommen, hatte geduscht und sich in ihren alten, verbeulten Trainingsanzug geworfen.

    Lea, ihr kniehoher schwarzer Hund, eine Mischung aus Hütehund und Labrador, legt seinen Kopf auf ihr rechtes Bein und sieht sie erwartungsvoll an. „Okay, gehen wir runter, Lea, dann ab ins Bett." Sie gähnt und streckt sich.

    Lea läuft schwanzwedelnd in den Flur. Vor der Tür bleibt sie stehen, wendet Iffi den Kopf zu und sieht sie an. Lächelnd öffnet Iffi ihr die Tür, woraufhin Lea sofort ins Treppenhaus trabt, hochspringt und mit ihrer Nase auf den Knopf des Aufzugs stupst. Er öffnet sich geräuschlos. Unten angekommen, läuft sie in den Garten, der vor dem vierstöckigen, kubusförmigen Haus liegt. Iffi hört ihren Hund schnüffelnd und schnaufend hin und her laufen. Sie dehnt ihren Rücken und macht ein paar Hüpfer, um sich zu lockern.

    Plötzlich erklingt ein Bellen, gefolgt von einem Jaulen.

    „Was ist los, Lea?", ruft Iffi und eilt in die Richtung, aus der das Jaulen kommt. Sie geht links ums Haus. Es ist dunkel, das Licht der Straßenlaterne erreicht gerade noch die Ecke. Schwaches Mondlicht leuchtet über dem Haus.

    Sie hört ihren Hund rechts vor sich hinter einem Busch kurz aufbellen. Iffi geht um den Busch herum, stolpert über irgendwas und fällt mit dem Gesicht voran zu Boden. „Uffff, die Luft wird aus ihren Lungen gedrückt. Lea läuft hechelnd um sie herum, dann jault sie leise. „Was zum Teufel! Iffi merkt, dass etwas unter ihr liegt, und stemmt sich hoch. Obwohl es recht dunkel ist, versucht sie zu erkennen, was es ist. „Iiiihh", schreit sie panisch. Sie liegt auf einem Menschen, sieht in tote Augen. Schnell kämpft sie sich hoch. Iffi zittert, ihr Mund steht offen, sie atmet hektisch. Vor ihr liegt tatsächlich ein Mensch, ein Mann mit kariertem Hemd und Hosenträgern. Seltsam, seine Arme befinden sich akkurat neben dem Körper, die Beine, in Jeans, sind geschlossen. Er hat Haltung angenommen, denkt Iffi spontan. Sein Gesicht kann sie nicht erkennen, die unteren Zweige des Busches hängen darüber, aber sie sieht das Weiß der offenen Augen durch die Zweige leuchten.

    Lea drückt ihren Kopf gegen Iffis Knie und bellt einmal auf. Mühsam reißt Iffi sich vom Anblick des Mannes los. Der ist auf jeden Fall tot, denkt sie. „Komm, Lea, wir müssen die Polizei anrufen." Beide laufen zum Eingang des Hauses, und Iffi schließt zittrig die Tür auf. Zum Glück ist der Aufzug noch unten. In der Wohnung schnappt sie sich ihr Telefon und wählt die 110. Sie erzählt einem Polizisten von der Leiche.

    Während sie auf die Polizei wartet, denkt sie an ihren Freund Michael. Sie wählt seine Nummer. „Hallo", kommt es müde aus dem Telefon.

    „Michael? Hier ist was Schreckliches passiert! Ich bin über eine Leiche gestolpert. Hörst du mich? Sag doch was?"

    „Gern, wenn du mich zu Wort kommen lässt! Wie spät ist es denn?"

    „Hast du etwa schon geschlafen? Ich dachte, du hättest so viel zu tun, dass du keine Zeit für mich hast? Iffi schaut zur Uhr über dem Fernseher. „Es ist Viertel vor elf.

    „Was hast du gerade gesagt? Du hast eine Leiche gefunden?" Jetzt ist er wach.

    „Nein, ich habe gesagt, ich bin über eine Leiche gestolpert."

    „Wie, gestolpert? Geht es dir gut?"

    „Ich bin wie jeden Abend mit Lea noch mal runter, da bin ich über einen toten Mann gestolpert, der Länge nach auf ihn drauf. Mir ist jetzt so richtig schlecht." Iffi schnauft ins Telefon.

    „Ich bin gleich bei dir", ruft Michael und legt auf.

    Iffi verzieht das Gesicht. „Er kommt, sagt sie zu ihrem Hund. Lea antwortet mit einem freudigen „Wheff und wedelt mit ihrem Schwanz.

    Blaulicht und Sirene nähern sich. Iffi steht schon mal auf und geht zur Tür. Eine Minute später schlägt ihre Klingel an. Sie nimmt den Hörer der Sprechanlage ab und fragt: „Ja bitte?"

    Nach einer Sekunde fragt jemand verwirrt: „Haben Sie die Polizei gerufen?"

    „Ja, habe ich. Der Mann liegt links neben dem Haus. Bei den niederen Büschen", antwortet Iffi.

    Sie hört durch die Sprechanlage einige Kommandos und Schritte. „Bitte öffnen Sie die Tür", sagt die Stimme.

    Iffi überlegt kurz, dann drückt sie auf den Türöffner. „Vierter Stock, informiert sie den Polizisten und hängt den Hörer wieder auf. Sie wartet mit Lea an der offenen Tür, der Fahrstuhl surrt nach oben. Er öffnet sich, und ein Polizist in Uniform kommt heraus. „Haben Sie uns angerufen?

    „Ja."

    „Kann ich hereinkommen? Ich brauche Ihre Daten."

    „Äh, kann ich Ihren Ausweis sehen?", fragt Iffi ein wenig misstrauisch.

    Der Polizist sieht sie ungläubig an. „Äh, ja natürlich." Er hält ihr seinen Dienstausweis entgegen.

    Iffi nimmt ihn. „Marlon Gerber, liest sie laut, „was für ein Name. Sie grinst.

    „Ja, das bin ich. Kann ich jetzt Ihren Ausweis sehen, damit wir hier weiterkommen und uns um die Leiche kümmern können?"

    „Der Mann läuft Ihnen nicht weg, er ist tot", sagt Iffi tonlos.

    „Wer ist tot?"

    „Keine Ahnung, ich habe sein Gesicht nicht gut gesehen, nur die offenen Augen." Iffi geht in ihre Wohnung, der Polizist folgt ihr. Sie kramt ihren Personalausweis aus ihrer Handtasche und reicht ihn an Marlon Gerber.

    Lea läuft schwanzwedelnd zur Wohnungstür. Ein freudiges „Wheff, Wheff" folgt, und sie sieht zu Iffi.

    „Was hat er denn?", fragt der Polizist.

    „Sie!"

    „Was?"

    „Der ist eine Sie. Iffi zeigt zu ihrem Hund. „Mein Freund kommt anscheinend gerade hoch, merkt sie dann an.

    Da stürmt Michael auch schon völlig außer Atem zur Tür herein. „Iffi? Geht’s dir gut?" Er nimmt sie so fest in seine Arme, dass ihr zum zweiten Mal an diesem Abend die Luft aus der Lunge gepresst wird.

    „Ja, mir ist nichts passiert, tot ist der da unten. Warum bist du so aus der Puste? Hast du den Aufzug nicht gefunden?"

    „Doch, er atmet tief ein und aus, „aber da unten steht auch so einer, er zeigt auf den Polizisten, „der wollte mich nicht rauflassen, da habe ich die Treppe genommen."

    „Mein Held. Iffi lässt sich noch mal fest drücken. „Das ist Marlon Gerber, stellt Iffi den Polizisten vor. In dem Moment piept das Funkgerät an dessen Hüfte und verkündet die Ankunft der Kriminalpolizei. „Vierter Stock", informiert er sie.

    Eine Minute später kommt ein großer, blonder Mann im Jogginganzug hereingetrippelt. „Wer hat den Fund der Leiche gemeldet?", fragt er.

    „Ich", antwortet Iffi.

    „Und Sie sind?" Er mustert die mittelgroße, schlanke Frau mit den kurzen, hellblonden Haaren.

    Gerber gibt den Ausweis von Iffi an ihn weiter. „Iphigenie Bernstein", liest er ab, und sein Mundwinkel zuckt.

    „Genau, und Sie sind?" Iffi hat ihre Augenbrauen zusammengezogen und sieht ihn von unten her an.

    „Mein Name ist Jochen Bund, und ich bin von der hiesigen Polizei." Er hält ihr seinen Ausweis unter die Nase.

    Iffi liest laut, was darauf steht. „Jochen Bund … Kriminalkommissar, tatsächlich."

    „Sie sind?", will er nun von Michael wissen, nachdem er den großen, dunkelhaarigen Mann mit der sportlichen Figur ausgiebig gemustert hat.

    Michael nennt seinen Namen, der von dem Polizisten aufgeschrieben wird.

    „Wissen Sie schon, wer der Tote ist?", fragt Iffi.

    „Welcher Tote?" Der Kommissar sieht sie abwartend an.

    Iffi ist zunächst perplex, dann fängt sie sich wieder und antwortet: „Na, der Tote, den ich gefunden habe, unten im Garten."

    „Wir haben rund ums Haus alles abgesucht, keine Leiche – bedaure."

    Der Kommissar ist scheinbar zu Witzen aufgelegt, denkt Iffi und schaut ihn böse an.

    „Was meinen Sie damit, da wäre keine Leiche? Ich bin über einen Mann gestolpert, und der war eindeutig tot."

    „Wir haben niemanden gefunden", bekräftigt er.

    Iffi kann es nicht glauben. Sie läuft zur Tür und holt den Fahrstuhl. Als er kommt, steigen alle ein und fahren wortlos ins Erdgeschoss. „Zeigen Sie uns, wo Sie angeblich eine Leiche gefunden haben", sagt der Kommissar.

    Iffi verlässt das Haus und biegt nach links ab. Lea läuft an ihr vorbei und schnüffelt bei den niederen Büschen. „Dort bin ich über ihn gestolpert und auf ihn gefallen. Sie haben ihn nicht gefunden? Aber …"

    „Nein – wie sah er denn aus?" Jetzt hat er fast Mitleid mit ihr.

    Michael legt seinen Arm um ihre Hüfte. „Sollen wir nicht raufgehen? Du solltest dich hinsetzen."

    Iffi sieht ihn mit einem etwas verunglückten Lächeln an. „Es geht schon. Also, er lag hier halb unter den Büschen. Sie zeigt dem Kommissar die genaue Lage. „Der Kopf halb unter den Zweigen da. Die Füße hier.

    „Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen? Wie war er angezogen? Wie alt war er in etwa?"

    „Er hatte ein kariertes Hemd an, so ein Arbeiter hemd. Farbe kann ich nicht sagen, es war zu dunkel. Außerdem helle Jeans und Hosenträger. Äh, er lag in Habachtstellung."

    „Habachtstellung? Wie meinen Sie das?"

    „Na, er hatte Haltung angenommen, so … Iffi macht es ihm vor. „Hände an der Hose, Füße zusammen.

    „Aha. Der Kommissar schaut sie intensiv an. „Was machen Sie beruflich, Frau Bernstein?

    „Ich bin bei der hiesigen Presse als Journalistin beschäftigt."

    Das verschlägt dem Kommissar erst mal die Sprache. „Ich hoffe, Sie erlauben sich keinen Scherz mit uns."

    „Glauben Sie, ich kenne die Konsequenzen nicht? Ich bin hier …, sie zeigt mit der rechten Hand auf die Stelle, „… über eine Leiche gestolpert – Punkt, entrüstet sich Iffi.

    „Vielleicht war der Mann gar nicht tot, vielleicht ist er durch Sie aufgewacht und nach Hause gegangen."

    „Ich habe seine Augen gesehen. Er war tot."

    „Okay. Sie kommen morgen früh ins Präsidium, um neun Uhr. Heute Nacht werden wir nichts mehr erreichen. Bitte geben Sie Polizeimeister Gerber Ihre Kleidung wegen etwaiger Faserspuren mit. Können Sie bei ihr bleiben, heute Nacht?" Die Frage ist an Michael gerichtet.

    „Natürlich bleibe ich bei ihr. Michael schiebt Iffi Richtung Hauseingang davon. „Wieso ist der weg, ich versteh das nicht, hört man Iffi murmeln.

    Oben in ihrer Wohnung überreicht Polizeimeister Marlon Gerber ihr eine große Tüte für ihren Jogginganzug. Iffi ist etwas verlegen. „Das alte Ding zieh ich eigentlich nur an, wenn ich bestimmt keinen Besuch bekomme."

    „Ich hab auch so ein altes Ding, noch von der Bundeswehr. Wir machen mal einen bequemen Kuschelabend mit den beiden. Michael zeigt auf ihr Bad. „Stopf ihn in die Tüte, damit Herr Gerber nach Hause kann, es ist schon nach zwölf Uhr.

    Iffi verschwindet im Bad und kommt nach zehn Minuten in ihrem Bademantel und mit der Tüte in der Hand heraus. Polizeimeister Gerber nimmt die Tüte in Empfang und sieht hinein. „Da ist Blut am Ärmel Ihres Jogginganzugs. Sind Sie verletzt, Frau Bernstein?"

    Iffi schiebt die Ärmel zurück, und Michael prüft die Arme.

    „Nichts."

    Der Polizist wendet sich an Michael: „In dem Fall brauche ich auch Ihre Kleidung, damit Faserspuren von Ihrer Kleidung ausgeschlossen werden können." Er zückt eine neue Tüte und reicht sie ihm.

    „Was? Michael nimmt die Tüte entgegen. „Aber ich habe dann nichts anzuziehen.

    „Ich habe noch ein T-Shirt und eine kurze Hose von dir bei mir im Schrank, mehr brauchst du heute Nacht nicht. Morgen fahr ich dich heim, bevor ich ins Präsidium fahre", sagt Iffi.

    „Ich kann doch nicht mit T-Shirt und kurzer Sommerhose im Februar durchs Haus zu meiner Wohnung", erwidert Michael entrüstet.

    „Wie auch immer, bitte beeilen Sie sich, ich möchte noch ein paar Stunden schlafen", murrt der Polizist.

    Michael schlüpft unwillig aus seiner Hose und dem Sweater und lässt beides in die Tüte gleiten. Polizeimeister Gerber schließt sie, wünscht beiden eine gute Nacht und geht aus der Tür.

    Sofort lässt sich Iffi auf ihr Sofa gleiten. „Ein Himmelreich für ein Bier", seufzt sie.

    Michael nickt und schaut sie hoffnungsvoll an.

    „Im Kühlschrank." Sie zeigt zur Küche.

    „Super." Michael trabt davon, um sogleich mit zwei Flaschen und einem Glas wiederzukommen. Iffi trinkt gerne Bier, aber nicht aus der Flasche, im Gegensatz zu Michael.

    „Ich ruf jetzt Georg an, der muss mir morgen früh was zum Anziehen bringen." Michael schnappt sich das Telefon.

    „Es ist halb eins in der Nacht, er schläft bestimmt."

    „Ich bin auch noch auf", resümiert Michael und wählt Georgs Nummer.

    „Hallo Georg, sagt er, als sich dieser meldet, „ich hoffe, du hast nicht schon geschlafen … Doch … Das tut mir leid. Kannst du morgen früh, äh, heute früh aus meiner Wohnung eine Hose und einen Pulli bringen? … Was? … Ah, wohin? Natürlich zu Iffi, was glaubst du denn? … Warum? Na, ich kann doch nicht in Shorts und T-Shirt durchs Haus laufen … Wie ich ohne Kleider zu Iffi gekommen bin? Das erzähl ich dir morgen, äh, heute früh … Danke, Georg, um sieben Uhr? … Iffi macht Frühstück, ja ihr berühmtes Frühstück. Bring Britta mit, dann aber erst um halb acht. Gute Nacht. … Moment, wieso bist du um die Zeit eigentlich noch auf, Georg? … Hallo, Hallo … Keine Antwort.

    „Hat einfach aufgelegt", berichtet er Iffi.

    „Ab ins Bett." Iffi steht auf und geht ins Bad.

    Am nächsten Morgen kommt Iffi etwas blass mit einer Semmeltüte in ihre Wohnung, sie hat mit Lea ihre Morgenrunde gedreht. „Gleich halb acht, Lea, du bekommst sofort dein Fressen, es ist schon vorbereitet." Sie rührt noch Hundefutter unter die eingeweichten Reisflocken und stellt den Napf in den Ständer. Lea macht sich hungrig darüber her. Iffi lässt die Semmeln in einen Brotkorb auf dem bereits gedeckten Frühstückstisch fallen, dann weckt sie Michael. Er hat tief und fest geschlafen, was sie von sich nicht behaupten kann.

    Während er duscht, arrangiert Iffi Schinken und Käse auf einer Platte, setzt Wasser für Eier auf den Herd und teilt geviertelte Tomaten, schwarze und grüne Oliven sowie eingelegte Peperoni in kleine chinesische Schälchen auf.

    „Du hast nicht zufällig einen Rasierer?", ruft Michael aus dem Bad.

    „Nein", ruft Iffi zurück, als sie den Wasserkocher für den Tee füllt.

    Michael kommt in der kurzen Hose und dem T-Shirt aus dem Bad, als es plötzlich an der Tür klingelt. Er nimmt den Hörer der Haussprechanlage ab. „Hallo? Kommt rauf", sagt er und betätigt den Öffner. Iffi schaltet die Kaffeemaschine und den Wasserkocher an und legt die Eier ins heiße Wasser.

    Michael wartet an der Tür auf Georg und Britta.

    „Fährst du in die Karibik?", fragt Georg belustigt, als er Michael an der Tür sieht.

    „Kommt rein. Guten Morgen, Britta, Morgen, Georg." Er nimmt die Sachen zum Anziehen entgegen und verschwindet im Schlafzimmer.

    Georg ist freiberuflicher Mitarbeiter von Michael, eigentlich hauptsächlich Ermittler in Michaels Anwalts- und Notarkanzlei. Beide haben zusammen studiert, Georg ging zur Polizei, Michael wurde Anwalt. Georg ist im Aussehen das genaue Gegenteil von Michael, blond und von mittlerer Größe, während Michael groß und dunkelhaarig ist. Britta ist die Sekretärin von Michael, in der Kanzlei haben Georg und sie sich kennengelernt.

    Lea kommt, sich rechts und links übers Maul schleckend, in den Flur. „Hallo Lea – hat es geschmeckt?" Lea begrüßt die beiden überschwänglich.

    „Guten Morgen, kommt in die Küche", ruft Iffi.

    Georg und Britta gehen zu ihr. Britta mustert Iffi. „Guten Morgen, Iffi. Du bist aber blass, bist du krank?"

    Iffi hat normalerweise immer eine etwas gebräunte Haut, da sie sich viel draußen aufhält. „Nein, mir geht’s gut. Ich bin gestern Abend über eine Leiche gestolpert und dadurch erst spät ins Bett gekommen", erzählt Iffi lapidar.

    „WAAAS?, rufen Georg und Britta wie aus einem Mund. „Eine Leiche?

    Michael kommt ordentlich angezogen in die Küche. „Setzt euch doch, was steht ihr hier so rum?" Er nimmt am gedeckten Tisch Platz.

    Georg und Britta starren ihn an, dann setzen sie sich zu ihm. Iffi bringt die Eier und bittet Michael, Kaffee und Tee einzuschenken.

    „Greift zu, fordert Iffi sie auf und köpft ihr Ei, „wir müssen um neun zur Polizei.

    „Bitte … WAS IST PASSIERT?", fragt Georg, jedes Wort betonend.

    Iffi berichtet: „Ich bin gestern Abend, wie immer, noch mal mit Lea runter, kurz darauf bin ich über die Füße eines toten Mannes gestolpert und der Länge nach auf ihn gefallen. Sie schüttelt sich. „Das war ein ganz schöner Schock, kann ich euch sagen. Ich habe dann sofort die Polizei und Michael angerufen. Aber … als die Polizei kam, war da keine Leiche. Ist einfach verschwunden. Wie steh ich denn jetzt da? Die glauben mir natürlich kein Wort, erzählt Iffi weiter. „Ich würde mir auch nicht glauben!", fügt sie hinzu.

    Georg und Britta sehen sich entsetzt an, während Michael in aller Ruhe sein Ei isst. „Reg dich bitte nicht so auf, Iffi, du hast eine Leiche entdeckt, basta. Ich glaube dir!"

    „Wer bearbeitet den Fall?", fragt Georg blinzelnd und schaut zu Michael.

    „Ein Jochen Bund, antwortet Iffi. „Der war nicht sonderlich amüsiert darüber, dass da dann keine Leiche war.

    „Und wieso hatte Michael nichts anzuziehen?", möchte Georg wissen.

    Iffi seufzt. „Sie haben meine Kleider mitgenommen, wegen Faserspuren – ich bin ja auf den Toten gefallen. Michaels Sachen haben sie mitgenommen, weil er mich danach in den Arm genommen hat – zum Abgleich."

    Michael schaut von Georg zu Britta. „Warum esst ihr denn nicht?"

    „Aha, meint Georg, „ich verstehe.

    Jetzt lassen sich Georg und Michael das Frühstück schmecken. Britta beobachtet die blasse Iffi, die eher wenig Appetit hat.

    Um halb neun muss sich Iffi zur Polizei aufmachen. Michael möchte sie begleiten, aber Iffi wehrt ab. „Ich kann da alleine hin."

    „Ich komme auf jeden Fall mit. Michael sieht sie von der Seite an. „Du bist sehr blass. Ich lasse dich doch nicht alleine zu einer Vernehmung.

    „Vernehmung? Ich bin doch nicht verdächtig, oder? Ich dachte, ich soll meine Aussage unterschreiben! Außerdem haben die ja keine Leiche."

    „Michael hat recht, Iffi, du musst da nicht alleine hin. Britta nimmt sie in den Arm. „Los jetzt, Georg, wir fahren in die Kanzlei. Dann wendet sie sich an Michael: „Ist was Dringendes im Büro?"

    „Nein, ich komme so schnell wie möglich."

    Vor dem Haus zieht es Iffi zu der Stelle, an der sie die Leiche gefunden hat – nichts. Wo kann der Tote nur sein?

    Michael hupt kurz. Iffi läuft die Treppe zur Straße runter und steigt zu Michael ins Auto.

    Fünf Minuten vor neun betreten Iffi und Michael das Polizeipräsidium, ein großes, altehrwürdiges Gebäude. Ein Polizist führt sie zum Büro von Kommissar Bund im dritten Stock. Dort müssen sie auf Holzstühlen vor dem Büro warten.

    Iffi lehnt sich seufzend zurück. Sie ist immer noch sehr blass. Michael schaut sie besorgt an.

    Der Kommissar kommt heraus und bittet sie in sein Büro. „Bitte setzen Sie sich."

    „Hat man sie gefunden?", fragt Iffi leise.

    „Die Leiche?" Der Kommissar lehnt sich in seinem Drehstuhl zurück.

    Iffi und Michael sehen ihn an, antworten aber nicht. Der Kommissar räuspert sich. „Ähm, nein – keine Leiche. Auf Ihrer Kleidung wurden Blutspuren und Fasern sichergestellt. Blutgruppe A negativ. Was ist Ihre Blutgruppe, Herr Reimer?"

    „0 positiv, Iffi hat auch 0 positiv."

    „Okay, das Blut ist frisch, sagt unser Labor. Außerdem haben wir Fasern von Flanell gefunden."

    „Er hatte so ein Arbeiterhemd an, kariert, das könnte aus Flanell gewesen sein, die sind doch gewöhnlich aus Flanell?" Iffi ist fast erleichtert.

    Jochen Bund schaut sie etwas mitleidig an. „Wir nehmen

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