Fatales Treffen am Elefantenbach: Kriminalroman
Von Susanne Gantner
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Über dieses E-Book
Ein Mann wird in seinem Bett ermordet, der Einbrecher in flagranti geschnappt. Der Fall scheint eindeutig. Aber ist er das wirklich? Stampflis Bauchgefühl sagt nein! Ein rasanter Krimi, der Eritrea und die Schweiz verbindet.
Es geht um Liebe und Treue bis zum Tod.
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Buchvorschau
Fatales Treffen am Elefantenbach - Susanne Gantner
EINS
2016 in Zürich
«Ich muss es tun, für Salina, ich muss es tun, für Salina», wiederholte er in Gedanken immer wieder und bekreuzigte sich. Im Keller war es stockdunkel. Tesfay knipste seine Stablampe an. Der Lichtkegel beleuchtete nur eine winzige Stelle. Vorsichtig machte der hagere, dunkelhäutige Mann ein paar Schritte, zog die Schuhe aus und stiess dabei gegen eine halb offene Weinkiste. Vom leisen Klirren erschreckt, hielt er inne und lauschte – eine Minute lang. Nichts. Der Duft von überreifen Äpfeln stieg ihm in die Nase. Weiter, er durfte keine Zeit verlieren. Im schwachen Licht erkannte er eine Stufe. Dies war wohl die Treppe, die in die Wohnräume führte. Er schlich hinauf, als ihn plötzlich etwas an der Schläfe streifte. «Mein Gott!» Tesfay hätte beinahe aufgeschrien. Sein Herz klopfte wie verrückt, dann atmete er auf – es war nur eine Spinnwebe. Ängstlich wischte er sie mit der Hand weg. Jemand hatte ihm erzählt, es würde Unglück bringen, wenn man das Netz einer Spinne zerstörte. Sollte er umkehren? Es wäre die letzte Gelegenheit. Aber das durfte nicht sein. „Für Salina", wisperte er.
Er öffnete die Holztür und betrat einen hohen Hausflur. Innehaltend vernahm er einige Sekunden lang eine leise tickende Uhr, bevor er sich nach rechts wandte. Der runde Lichtfleck tanzte auf dem grünlichen Natursteinboden, bis er die zweite Tür erreichte – die zum Schlafzimmer. Vorsichtig drückte Tesfay die Klinke herunter und trat ein. Hoffentlich stimmten seine Informationen, wonach der Mann nicht erwachen würde, weil er jeden Abend starke Schlafmittel schluckte und seine Frau einen Stock höher zu schlafen pflegte. Tesfay, der Eritreer, spitzte die Ohren; er musste den Schlafenden doch atmen hören. Aber da war nichts. Befand sich der Mann gar nicht im Bett, sondern auf der Toilette und würde jeden Moment zurückkommen? Tesfay holte erschrocken Luft, da stieg ihm ein seltsamer Geruch in die Nase. Mit pochendem Herzen richtete er das Licht vorsichtig auf die linke Seite des Bettes. Er erblickte ein Kopfkissen und seitlich davon zwei Arme. Es bewegte sich nichts. Er spürte, wie ihm der Schweiss auf die Stirn trat. Ohne zu überlegen, packte Tesfay das Kissen und nahm es weg. Der Mann lag bewegungslos da, mit offenen Augen und aufgerissenem Mund, sein Gesicht war dunkel verfärbt. Er war tot.
«Nein, nein, mein Gott, nein», dachte Tesfay, «ich bin kein Mörder, ich bin doch nicht einmal ein richtiger Einbrecher.»
Dieser Gedanke erinnerte ihn an sein ursprüngliches Vorhaben. Die Schmuckkassette sollte auf dem Nachttisch auf der rechten Seite stehen. Der Strahl der Stablampe erfasste ein Kästchen, das golden aufblitzte. Schnell ergriff er die Schatulle und leerte den Inhalt auf die freie Fläche des Doppelbettes. Die filigrane Damenuhr, die er brauchte, war unverkennbar. Er packte sie und wollte damit verschwinden. In diesem Moment schrillte das Telefon. Er hastete aus dem Zimmer, rannte den Gang entlang und schlug der Länge nach hin. Er war über eine Katze gestolpert, die laut miaute.
„Oriana, was ist?, ertönte da eine Stimme. „Hat dich das Klingeln erschreckt? Wer ruft denn um diese Zeit an?
Die Frau hatte das Licht angeknipst und stand oben an der Treppe, die ins Erdgeschoss führte. Sie trug ein fast durchsichtiges rosa Nachthemd.
Tesfay spürte einen stechenden Schmerz im rechten Knöchel, er hatte sich den Fuss unglücklich verdreht. Trotzdem sprang er auf. Weg, nichts wie weg! Die Frau starrte ihn an, bis er hinkend die Kellertür erreichte. Er riss sie auf, stolperte die Stufen hinab und fing sich im letzten Moment, sonst wäre er auch hier gestürzt. Sein Herz schlug so stark, dass es weh tat. Die Schuhe! Er musste noch in die Schuhe schlüpfen, die er neben der Weinkiste zurückgelassen hatte. Um keinen Lärm zu machen, hatte er beim Einbruch nur Socken getragen. Doch es war zu spät. Er konnte die Schritte der Frau schon auf der Treppe hören. Keuchend packte er die Turnschuhe und flüchtete in den Garten. Weil es ein paar Stunden vorher ein Gewitter gegeben hatte, war die Erde noch leicht feucht. Sein Fuss brannte wie Feuer, doch Tesfay humpelte weiter durch den Gemüsegarten und durch das Tor auf die Strasse hinaus. Ein Polizeiauto fuhr ihm mit Blaulicht entgegen. Um zwei Uhr morgens befand sich sonst kein Mensch draussen. Die Polizisten kamen zielstrebig auf ihn zu und nahmen ihn fest.
ZWEI
Feldweibel mbA* Heiri Stampfli, Ermittler der Kantonspolizei Zürich, schwitzte in seinem Bett. Das Gewitter hatte kaum für Abkühlung gesorgt. Im Zimmer herrschte eine schwüle Hitze. Weil Heiri heute Morgen nicht arbeiten musste und nach tage- und nächtelangem Einsatz endlich einmal lange ausschlafen konnte, hatte er sich gestern einen Absacker in Fannys Bar genehmigt. Es war spät geworden, er hatte zwei Bier zu viel getrunken und deshalb vergessen, die Fensterläden zu schliessen. Die Sonne schien durchs Schlafzimmerfenster direkt auf sein Bett. Heiri warf sich hin und her. Er träumte:
Der Staatsanwalt Dr. Merian, den er nicht ausstehen konnte, stand auf dem hochglanzpolierten Nussbaumpult und schrie laut: „Wenn Sie, Stampfli, nicht binnen vierundzwanzig Stunden definitive Resultate vorweisen können, muss ich Sie leider freistellen. Haben Sie verstanden, Stampfli? Dabei zog der eingebildete Kerl die linke Augenbraue hoch. Offenbar schwitzte er auch. Er zog ein hellgrünes Taschentuch aus seinem violetten, karierten Jackett. Heute hatte er ein gelbes Hemd mit Tupfen dazu kombiniert. Die sorgfältig geknotete Krawatte passte im Ton genau zum Anzug. Leise schniefend wischte sich Dr. Merian die Stirn, dann kreischte er zum zweiten Mal: „Wenn Sie, Stampfli …
Da ging eine Sirene los. Der Ton schwoll an, verebbte und nahm wieder an Intensität zu. Stampfli schreckte aus dem Schlaf auf. Das Telefon schellte. Der Wecker zeigte elf Uhr dreizehn.
Wachtmeister Moritz von der Zentrale war am Apparat. „Wir haben eine Leiche im Kreis 7, Witikon, Eierbrechtstrasse, bellte der forsche Mann. „Du musst hin.
„Okay", brummte Heiri. Er mochte Moritz nicht. Sein Kollege Beat hatte erst am Nachmittag Dienst.
Der Ermittler liess es sich jedoch nicht nehmen, zuerst einen Espresso zu trinken. Er war auch hungrig. Sehnsüchtig schaute er auf das Brot, das er sich gestern Abend fürs späte Frühstück besorgt hatte. Im Kühlschrank gab es Leckereien wie Fleischkäse* und Camembert, aber jetzt musste er unter die Dusche. Kurze Zeit danach machte er sich mit knurrendem Magen und schlechter Laune auf den Weg. Leider war Essen beim Fahren im Dienstwagen verboten.
„Witikon, da habe ich vor einem halben Jahr die Morde im Kirchenchor aufklären können. In dem Quartier scheint richtig was los zu sein, dachte er, während er seinen nigelnagelneuen grauen 5er BMW zum Klusplatz und über die Schlyfi-Kurve Richtung Eierbrechtstrasse lenkte. Sein alter Opel Ascona hatte vor einem Monat leider das Zeitliche gesegnet. Das Navi leitete ihn sicher zu einem Haus, dessen Vorplatz mit rotweissen Bändern abgesperrt war. Davor befand sich ein grosser Bus, beschriftet mit „Einsatzleitung Polizei
, der mobilen Einsatzzentrale der Kantonspolizei. Die Kellertür stand offen. Drei Forensiker* in Schutzanzügen hatten gerade ihre Arbeit abgeschlossen und waren dabei, ihre Taschen zusammenzupacken.
„Guten Tag, ihr Frühaufsteher," meinte Stampfli gutmütig.
Walter Simpson antwortete grinsend: „Nur weil du am Morgen nicht aus den Federn kommst, heisst das nicht, dass alle anderen auch Morgenmuffel sind. The early bird catches the worm, der frühe Vogel fängt den Wurm. Immerhin ist es jetzt Mittag. Wir sind seit drei Uhr dran. Er war englischer Abstammung, gross und schlaksig, seine helle Haut wie immer in dieser heissen Jahreszeit mit Sommersprossen übersät und stark gerötet. „Die Leiche liegt im Erdgeschoss, im Schlafzimmer. Die Treppe rauf und dann rechts.
Die beiden anderen Forensiker nickten zur Begrüssung nur mit dem Kopf und liessen sich im Übrigen nicht stören. Es duftete intensiv nach Äpfeln, als Heiri die Stufen in den Wohntrakt hinaufstieg. Wie gerne hätte er sich jetzt eine Frucht gegriffen, sein Magen knurrte immer noch. Mürrisch ging er weiter.
Ein ihm unbekannter Kriminaltechniker stand sinnierend vor der Türklinke des Schlafzimmers. „Was gefunden?", wollte der Ermittler wissen.
„Hm, DNA und Fingerabdrücke. Wir werden sehen."
Heiri betrat das Zimmer, das von einem grossen Doppelbett dominiert wurde. Alex Stammbach beugte sich gerade darüber. Er hatte Dienst als Brandtouroffizier*, das heisst er war der diensthabende Offizier der Kantonspolizei und somit verantwortlich für den heutigen Einsatz. Er trug wie alle anderen Überschuhe, einen weissen Overall und Latexhandschuhe. Alex war ein hochgewachsener, stattlicher Mann mit einem offenen Gesicht, das sofort Vertrauen erweckte, und man sah ihm an, dass er Führungsqualitäten besass. Er sagte kein Wort und starrte auf das Bett.
„Scheisse," entfuhr es Stampfli, als er die Leiche erblickte.
DREI
Drei Jahre vorher: 2013 in Asmara, Eritrea
Tesfay stand hinter dem alten, verschlissenen Plastikvorhang, der die Werkstatt vom einfachen Wohnbereich abtrennte. Der Eritreer spürte, wie seine kurzgeschnittenen Haare sich aufrichteten. Er hatte Angst, grosse Angst. Durch einen Riss im Vorhang beobachtete er die um ein Jahr jüngere Schwester Salina, wie sie gekonnt eine Fahrradkette spannte. Wie die meisten Frauen in diesem Land war sie zartgliedrig und wunderschön; ihre Haut hatte einen leichten Bronzeton, ihre langen schwarzen Zöpfe trug sie hochgesteckt. Es war Samstag, und sie hatte schulfrei, doch die Arbeit konnte nicht warten. Der Kunde wollte das Rad bereits am Abend abholen.