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Geheimprojekt Ultrarot
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eBook478 Seiten6 Stunden

Geheimprojekt Ultrarot

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Über dieses E-Book

Deutschland in der Mitte Europas steht im Zentrum des Geschehens der konfliktreichen Jahre 1941 - 1950. Diktatoren wie Hitler und Stalin entscheiden über Krieg und Frieden. Über Sieg oder Niederlage entscheiden aber letztlich Wissenschaft und Technik. Ultrarot, in Deutschland entwickelt, spielt dabei eine wichtige Rolle.
Unentrinnbar verwoben in das Zeitgeschehen sind Mitglieder der Familie Rieger aus Berlin. Wir begleiten sie in diesen ereignisreichen Zeiten, nehmen teil an ihren Erlebnissen, Abenteuern, auch auf dem Feld der Liebe.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum7. Jan. 2021
ISBN9783347203068
Geheimprojekt Ultrarot

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    Buchvorschau

    Geheimprojekt Ultrarot - Onno Reimers

    1

    Charlotta und Gunther

    Gunther Gerstner öffnet nur zögernd und widerwillig die graublauen Augen. Ein Geräusch ist in das noch schlaftrunkene Bewußtsein gedrungen. Ein lautes , scharfes Geräusch, ein Schuss?, eine Explosion?, eher ein lauter Knall. Kurz danach läuten Glocken, viermal hell tönend, dann zwölfmal laut, eindringlich, rufend. Die Domkirche von Brandenburg meldet die Mittagsstunde.

    Der Blick aus dem Fenster zeigt, dass nichts Ernstes geschehen ist. Auf der Straße suchen halbwüchsige Jungen nach nicht gezündeten Böllern, Silvesterraketen und anderem noch funktionsfähigem Feuerwerk. Eben hatten sie offenbar Erfolg. Eine dünne Schwarzpulverwolke hängt nur langsam sinkend über der verschneiten Mühlentorstraße.

    Gunther sieht ein, dass es auch für ihn an der Zeit ist, den Neujahrstag 1941 nun langsam in Angriff zu nehmen. Obwohl der Kopf vom feuchtfröhlichen Rausch der Silvesternacht noch nicht völlig genesen ist, möchte er gegenüber Charlotta nicht als Weichei dastehen. Ihr Platz neben ihm im Bett ist schon kalt. Sie muss also schon seit geraumer Zeit auf den überaus reizenden Beinen sein. Tatsächlich dringen aus der kleinen Küche auf der anderen Seite des Flures Geräusche. Ein Wasserkessel pfeift kurz, wird als schnell vom Herd genommen. Sie will wohl laute Geräusche vermeiden, Rücksicht nehmen auf den Schläfer, der jedoch just in diesem Moment die Tür öffnet. Noch im Schlafanzug, nur den Mantel lose übergeworfen, nimmt er am Küchentisch Platz.

    „Guten Morgen oder eher Guten Tag und ein glückliches und gesundes neues Jahr, mein Murmelbär." Rittlings auf seinen Schoß sinkend gibt sie ihm einen Kuss auf die Nasenspitze.

    „Nein, erst ein wenig die Fahne bekämpfen," wehrt sie sanft seinen Begrüßungskuss ab.

    „Alles, alles Liebe und Gute, nein, nur das Allerliebste und Allerbeste für dich, meine Sonne. Entzückt und schon fast wieder ganz munter nimmt er ihren frischen Geruch wahr, lässt seinen Blick schweifen von ihren blaustrahlenden Augen über die gerade, nicht ganz mittelgroße Nase, die geschwungenen, lockenden Lippen, das sanft gerundete Kinn, den schlanken Hals, hinein in das so köstlich geschnittene Tal ihrer Brüste, welches der halb geöffnete grünseidene Morgenmantel großzügig freigibt. Magnetisch angezogen greift seine Hand den rechten dieser festen Hügel mit der himbeerartigen Erhebung in der Mitte, die sich unter der Berührung leicht zu erheben beginnt. Einen etwas längeren Moment gibt sie sich dem angenehmen Gefühl hin, um sich dann mit den Worten „jetzt nicht weiter, erst etwas essen und frisch machen vom Schoß zu lösen und wieder an den Herd zu treten.

    Das späte Frühstück fällt üppig aus, ersetzt das Mittagessen. Gesättigt sind alle Alkoholnachwirkungen überwunden. Zufriedenheit breitet sich aus, gemischt mit einer leichten Trägheit. Das Verlangen nach Ruhe, sich auszustrecken, führt sie noch einmal auf die lockende Schlafstätte. Dieser stellt sich jedoch erst ein, nachdem ein anderes Verlangen zur beiderseitigen Zufriedenheit gestillt ist.

    Der Zeiger des Weckers auf dem Nachttisch bewegt sich langsam auf die zweite Nachmittagsstunde zu und wieder ist Charlotta als erste aktiv. „Komm, lass uns noch einen Spaziergang am See machen. Es ist so ein strahlend sonniger Wintertag und heut Abend müssen wir noch zu meinen Eltern. Morgen ist es dann endgültig vorbei mit den freien Tagen. Ich muss wieder ins Labor und du musst deiner Zeitung auch mal wieder was Interessantes liefern."

    2

    Neujahr bei Familie Rieger

    Die Autobahn war geräumt und sie kamen zügig voran. Gunthers Wanderer W 23 schnurrte bei einsetzender Dämmerung mit fast 100 km/h auf Berlin zu. Die schneebedeckten Fahrbahnränder reflektierten das Licht der Scheinwerfer. Auch bei völliger Dunkelheit würde man sich bestens orientieren können. Zudem leuchtete der zunehmende Mond die weiße Winterlandschaft erstaunlich hell aus.

    „Wann werden wir da sein?"

    „Etwa noch eine Stunde. Wir müssen ja nicht weit durch die Stadt fahren, nur ein Stück nach Zehlendorf rein. Die letzte Strecke musst du mich lotsen. Ich war erst einmal bei deinen Eltern und damals kamen wir aus einer anderen Richtung und dunkel ist es bis wir ankommen auch."

    „Prima, dass du ein Auto mit Heizung gekauft hast. Aber sag mal, gibt sie nicht vielleicht doch noch ein wenig mehr her. Meine Füße werden ganz schön kalt."

    Tut mir leid, mehr geht nicht. Aber wenn du etwas in den Lüftungsschlitz oben steckst, kommt bestimmt mehr Wärme nach unten zu den Füßen. Unter dem Sitz müsste eigentlich ein Lederlappen liegen. Versuchs mal damit. Schade, zuhause liegt noch ein Fußsack aus Lammfell. Der wäre jetzt genau richtig."

    „Ja, das mit der Warmluft nach unten lenken funktioniert. Danke für den Tipp. Wusstest du eigentlich, dass eine Frau die Autoheizung erfunden hat und übrigens auch den Scheibenwischer. Beide waren Amerikanerinnen. Soviel zu dem Thema Frauen und Technik."

    Das Tor zum Grundstück in der Roonstraße steht zwar offen, doch Gunther stellt den Wagen am Straßenrand ab. „So groß ist der Platz vor dem Haus nicht und wer weiß, wer sonst noch kommt. Die paar Schritte gehen wir lieber zu Fuß."

    „Ein glückliches neues Jahr. Der Empfang im Hause Rieger gestaltet sich herzlich für Tochter Charlotta und freundlich für Gunther. Die Tür öffnet Agatha, Charlottas ältere Schwester. „Ich spiele heute das Hausmädchen. Unsere ,Perle‘ hat ein paar Tage frei. Sie küsst Charlotta auf die Wange und reicht ihrem Begleiter, den sie noch nicht kennt, lächelnd die Hand. Dass die beiden schlanken Frauen Schwestern sind, erkennt auch der ungeübte Beobachter leicht. Ungefähr die gleiche Größe, die gleiche länglich-ovale Gesichtsform, recht weit auseinanderstehende blaue Augen, gerade Stirn mit hohem Haaransatz, leicht gewellte und dabei noch leicht gekräuselte Haare. Nur Haarfarbe und Frisur unterscheiden sich. Bei Charlotta fallen blonde Locken mit einem rötlichen Schimmer bis auf die Schultern. Agatha hat ihren hellbrünetten Lockenkopf zu einer Hochfrisur gesteckt, die ihre flaumige Nackenlinie freilässt.

    Elisabeth Rieger umarmt mit sichtbarer Freude ihre jüngste Tochter, drückte sie fest an sich und zieht sich dann, sie an den Händen haltend auf Armeslänge zurück, um sie anzuschauen. „Alles Liebe und Gute für 1941, gut schaust du aus, mein Kind. Das Gleiche auch für Sie, Gunther, unser Schwiegersohn in spe?"

    „Aber Mutter, wer wird denn so indiskrete Fragen bei fast noch offener Haustür stellen!"

    Gunther überreicht statt Blumen eine große Schachtel des geliebten Königsberger Marzipans. Gleichzeitig erscheint der Hausherr und lenkt damit vom Thema ab. Ministerialdirektor Dr. Herbert Rieger nimmt das Gesicht seiner sich frisch und winterkühl anfühlenden Tochter in beide Hände und küsst sie kurz auf die Stirn. Gunther reicht er die Hand zum Willkommensgruß. Einmal sind die beiden Männer sich schon begegnet, ohne damals zu ahnen, dass persönliche Bindungen sie bald einander näherbringen werden.

    „Aber nun legt erst einmal ab, kommt ins Warme. Am besten gleich ins Speisezimmer. Agatha und ich wollen euch nachher mit einem alten Familienrezept überraschen."

    „Wo sind deine Kinder, Agatha?" Charlotta ist ganz vernarrt in Jana und Sonja, die blonden Zwillinge ihrer Schwester. Sie ähneln sich so, dass selbst die Eltern sie gelegentlich verwechseln, zwei quirlige Vierjährige, die ihre Tante sonst immer stürmisch begrüßen.

    „Bei Gernots Eltern. Die Feier hier bis nach Mitternacht ist noch nichts für sie und die Großeltern freuen sich, dass sie ihre Enkelkinder mal ganz für sich haben. Wahrscheinlich werden sie die Mädchen schrecklich verwöhnen."

    An der Garderobe fallen Charlotta zwei Uniformmäntel ins Auge, ein blaugrauer der Luftwaffe und schwarzer der Reiter-SS. „ Bernd und Gernot sind also auch schon da" stellt sie fest. Bernd, eigentlich Bernhard ist ihr Bruder, Gernot Malchow der Mann von Agatha, ihr Schwager. Mit Agatha, Bernd und Charlotta sind alle drei Rieger-Kinder seit erstmals längerem wieder unter dem elterlichen Dach vereint. Agatha ist mit 28 Jahren die Älteste, es folgt Bernd mit 24 Jahren und Charlotta mit 22.

    Bei den alten Römern wurden die Kinder einfach durchnummeriert, Primus, Secundus, Tertius, usw., also der 1., 2., 3. usw. Vermutlich hatte Dr. Herbert Rieger mit seiner humanistischen Bildung und Latein als erster Fremdsprache am Gymnasium dieses unausgesprochen im Hinterkopf, als er zusammen mit seiner Frau über die Kindsnamen beriet. Das Ergebnis war keine Namensgebung nach Nummern aber doch in der Reihenfolge des Alphabets: Agatha, Bernhard und Charlotta. Wäre noch ein viertes Kind gekommen, hätte es Dietrich oder Dorothea geheißen.

    Bernd und Gernot unterbrechen ihr Gespräch im Herrenzimmer, als die Neuankömmlinge ins Speisezimmer geführt werden. Die beiden Männer sind nicht immer einer Meinung, kommen aber gut miteinander aus. Wäre es nach dem Willen des Seniors des Hauses Rieger gegangen, hätte Bernd der Familientradition folgend Jura studiert oder Medizin. Diesem Wunsch vermochte er sich jedoch nicht zu unterwerfen. Seine Neigung galt und gilt der Technik. Ein Maschinenbaustudium hätte er sich durchaus vorstellen können. Doch dann kam die Einberufung zum Wehrdienst. Um nicht als „Stoppelhopser" zur Infanterie eingezogen zu werden, meldete er sich als Freiwilliger zur Luftwaffe. Für alle erreichbaren Lehrgänge technischer Art meldete er sich und erwarb auf diese Weise ein umfängliches Wissen. Seine ausgezeichneten Leistungen hatten ihm zu schneller Beförderung verholfen. Während einer Hospitation in den Heinkel Flugzeugwerken war Generalluftzeugmeister Ernst Udet auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihn in das Technische Amt des Reichsluftfahrtministeriums geholt. Hauptmann Bernhard Rieger hatte seine Wunschverwendung gefunden.

    19.00 Uhr beginnt am langestreckten Oval des alten Barocktisches das Abendessen, am Neujahrsabend stets ein warmes Gericht nach überlieferten Rezepten. Heute kommen schlesische Weißwürste auf den Tisch mit Krautgemüse nach bayerischer Art und Speckknödeln. Dazu nimmt man süßen Senf oder Kümmel-Biersoße mit Rosinen. Auf das früher übliche Tischgebet verzichtet der Hausherr. Agatha und Gernot sind überzeugte Parteimitglieder. Vom Christentum haben sie sich abgewandt, obwohl selbst der Führer in seinen Reden den Gottbezug nicht unterlässt. Die Harmonie des Abends soll nicht beeinträchtigt werden. Dr. Herbert Rieger ist zwar selbst Mitglied der NSDAP, anfänglich aus wirklicher Überzeugung, nach den Ereignissen um den sogenannten Röhm-Putsch aber deutlich ernüchtert. Ein Staatschef, der sich persönlich mit der Waffe in der Hand an der Liquidierung von politischen Gegnern beteiligt, ist mit seinen Rechts- und Moralvorstellungen als preußisch geprägter Staatsbeamter nicht vereinbar. Auch die Maßnahmen gegen den jüdischen Teil der Bevölkerung vermag er nur in äußerst begrenztem Umfang zu tolerieren.

    Nach Beendigung der Abendmahlzeit räumen die Frauen gemeinsam den Tisch ab. Die Herren begeben sich mit sichtlicher Vorfreude in den Rauchsalon auf ein wenig Tabak und etwas Hochprozentiges zur Verdauung. Doch noch bevor man zur Tat schreiten kann, eilt Agatha durch die Tür. Im Herrenzimmer steht nämlich der einzige Radioapparat des Hauses, die Standardausführung des Volksempfängers. Obwohl nicht geizig kann sich Dr. Rieger zur Anschaffung eines Fernsehempfängers immer noch nicht entschließen. Zwar fasziniert auch ihn diese noch neue Technik. Doch die Anschaffungskosten sind mit 650 RM für die Grundversion noch recht hoch und vor allem ist das Programmangebot begrenzt. Außerdem kommen alle wirklich wichtigen Nachrichten schneller über den Hörfunk.

    Jetzt möchten Agatha und Gernot unbedingt die Neujahrsansprache von Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels hören. Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler gibt immer erst zum 30. Januar, dem Tag der sogenannten Machtergreifung, über den Großdeutschen Rundfunk einen Jahresrückblick. Sein treuer Paladin Goebbels folgt der älteren Tradition und nutzt die Neujahrsansprache, um die Erfolge der nationalsozialistischen Herrschaft ins rechte Licht zu rücken.

    „Deutsche Volksgenossen und –genossinnen", ertönt nach einer kurzen Ankündigung durch den Rundfunksprecher seine immer noch leicht mit rheinländischem Anklang gefärbte Stimme über alle Radiostationen des Deutschen Reiches, „nach nunmehr acht Jahren oft mühevoller und schwieriger Arbeit steht Deutschland wieder als anerkanntes und vielfach bewundertes Mitglied gleichberechtigt im Reigen der anderen europäischen Nationen. Wir alle wissen, dass dies nach dem unglückseligen Krieg von 1914 – 1918 lange Zeit ganz anders aussah.

    Vertrauend auf die Versprechungen des amerikanischen Präsidenten Wilson in seinen 14 Punkten hatte das im Felde unbesiegte deutsche Heer die Waffen niedergelegt. Wie bitter wurden wir enttäuscht! Gezwungen durch die alliierte Hungerblockade nach Kriegsende, die Hunderttausende, vor allem Kinder sowie Kranke und Schwache das Leben kostete, unterschrieb Deutschland das Schanddiktat von Versailles. Untragbare Reparationen, Gebietsverluste ohne die versprochenen Volksabstimmungen im Umfang von 73 485 qkm und 7 325 000 Einwohnern, irrsinnige Reparationsleistungen, Alleinschuld am Kriegsausbruch, eine nahezu totale Entwaffnung, alles dies mussten wir zähneknirschend hinnehmen. Selbst kleine Staaten wie Litauen, die Tscheche! oder Polen konnten ungestraft Deutschland überfallen, ohne dass wir uns wehren durften. Alle Parteien schon in der Weimarer Zeit wollten dies auf Dauer nicht akzeptieren. Auch der Beitritt zum Völkerbund und die Versuche, einen dauerhaften Ausgleich unter den Völkern Europas auf der Grundlage allseitiger Abrüstung zu erreichen wurden von unseren Nachbarn abgeblockt.

    Erst dem Führer gelang es, diesen Kerker aufzubrechen. Er wusste von Anfang an, dass nur ein hinreichend wehrfähiges Land als Partner auf gleicher Augenhöhe akzeptiert wird. Dennoch versuchte auch er zunächst, auf dem Wege allgemeiner Abrüstung zu einem ausgewogenen Kräfteverhältnis als Grundlage für einen dauerhaften Frieden in Europa zu kommen. Doch wie war die Reaktion des Auslandes? Angebot der allgemeinen Abrüstung, abgelehnt; allgemein gleiches 200000-Mann-Heer, abgelehnt; allgemein gleiches 300000-Mann-Heer, abgelehnt; Angebot eines Luftpaktes, abgelehnt; großzügige Befriedung innerhalb Europas, abgelehnt. Einziger Lichtblick war die Unterzeichnung des deutsch-englischen Flottenabkommens. Erst als klar wurde, dass Abrüstung nirgendwo gewollt war, begann er den Aufbau einer starken deutschen Wehrmacht, wohl wissend, dass die Produktion von Kriegsmaterial letztlich ein volkswirtschaftlich kostspieliges Verlustgeschäft ist. Daher wurde und wird auch heute noch der Weg beschritten, durch neueste Waffentechnik zu einem Vorsprung vor potentiellen Gegnern zu kommen. Masse soll durch Klasse ersetzt werden. Dank deutschen Erfindungsgeistes und der Anstrengungen unserer Ingenieure, Techniker und Arbeiter haben wir heute in den meisten Schlüsseltechniken einen großen Vorsprung erarbeitet.

    Dennoch ist es nicht so, dass das nationalsozialistische Wirtschaftswunder, das aus 6 Millionen Arbeitslosen zur Vollbeschäftigung, ja auf einigen Gebieten sogar zum Arbeitskräftemangel führte, nur der Wiederaufrüstung geschuldet ist, wie es die Auslandspresse meist behauptet. Dieser Bereich der deutschen Volkswirtschaft umfasst in etwa nur ein Viertel der Gesamtleistung. Nein, in allen Bereichen haben wir einen stetig anhaltenden Aufschwung erlebt und erleben ihn noch. Deutsche Produkte unter dem Markenzeichen „Made in Germany", das England einst zur Abqualifizierung in die Welt gesetzt hatte, genießen wie früher wieder weltweit den allerbesten Ruf.

    Einher ging mit diesem Wirtschaftsaufschwung die Verbesserung der sozialen Lage des Volkes. Jeder hat Arbeit, die Löhne und damit der Lebensstandard aller Volksschichten sind gestiegen und entwickeln sich weiter. Die Wohnungslage, nicht nur in den Städten, hat sich entspannt. Jugendschutz ist eines der vorrangigen Ziele nationalsozialistischer Politik. Urlaubsangebote erlauben heute auch dem Arbeiter Kreuzfahrten auf KDF-Schiffen. Früher war das ein Privileg der Oberklasse. Die Kulturangebote sind vielfältigst, die Preise erschwinglich. Rundfunkempfänger kann sich jeder Haushalt leisten. Familien werden bei Bedarf unterstützt. Prämien gibt es für besondere Leistungen in der Arbeitswelt. Mit dem von Prof. Porsche entwickelten und in Wolfsburg gebauten Volkswagen wird ein Automobil angeboten, von dem wir glauben, dass es den Einstieg in die Mobilität breiter Volksschichten ermöglicht. Hand in Hand geht damit der Ausbau des Straßennetzes insbesondere der Reichsautobahnen. Kein Land in Europa oder der sonstigen Welt leistet Vergleichbares. Präsident Roosevelt ist im Land der vielgerühmten unbegrenzten Möglichkeiten mit seinem New Deal von derartigen Erfolgen weit, weit entfernt. Das mag seine auf Neid und Missgunst beruhenden bösartigen Ausfälle gegen Reich und Führer erklären. Nicht verwinden kann es auch die angelsächsische Kapitalistenwelt, dass die Reichsmark vom Goldstandard abgekoppelt wurde.

    Nur mit heimlichem Groll im Herzen haben diese Herrschaften dem Wiederaufstieg Deutschlands zugesehen. Die Rückkehr des 15 Jahre unter Völkerbundverwaltung stehenden Saarlandes nach triumphaler Abstimmung zugunsten Reich und Führer hat insbesondere Frankreich schmerzlich getroffen. Nur rund 2000 Stimmen optierten für die „Grand Nation", aber weit über 470 000 Saarländer, über 90 Prozent, für Deutschland.

    Hinnehmen musste die Welt den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Zu groß war der überwältigende Jubel der Betroffenen. Was die Alliierten in Versailles brutal verhindert hatten, brach sich mit Macht Bahn. Deutsches kam endlich wieder zu Deutschem. Noch heute übermannen so manchen Ostmärker Tränen der Freude und Dankbarkeit, gedenkt er des 12. März 1938.

    Der auf der Konferenz von München beschlossenen Wiedereingliederung des Sudetenlandes, uraltes deutsches Siedlungsgebiet, stimmten die ehemaligen Alliierten nur auf energischsten Druck des Führers zu.

    Stillschweigend akzeptiert wurde die Rückholung des von Litauen völkerrechtswidrig annektierten Memelgebietes.

    Offener Protest wurde erst wieder laut bei der Besetzung der Resttschechei. Inzwischen ist auch dieses Thema erledigt. Nach Durchführung der Volksabstimmungen unter Kontrolle des Völkerbundes in den von Ungarn, Slowaken, Ukrainern, Polen und Deutschen bewohnten Gebieten verblieb ein von Tschechen beherrschter Rumpfstaat. Dieser existierte nach dem Abzug aller deutschen Truppen wieder als völlig souveräner Staat. Der in Versailles geschaffene Vielvölkerstaat der alten Tschecheslowakei als ständiger Unruheherd im Herzen Europas ist damit befriedet auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Dieses Ergebnis rechtfertigt den vorübergehend vom Reich ausgeübten Zwang vollauf.

    Immer noch offen ist jedoch das Problem „Danzig und der Korridor". Dass der Führer viel Verständnis für den polnischen Nachbarn hat, bewies er schon 1934, als er mit Marschall Pilsudski den Nichtangriffspakt zwischen beiden Ländern vereinbarte. Gleiches gilt für den polnischen Wunsch nach Zugang zum Meer. Selbst den ungeliebten Korridor will der Führer nicht antasten, wenn denn ein ungehinderter Zugang zwischen dem Reich, Ostpreußen und Danzig gewährleistet wird. Gestützt auf die zwischen Polen und England 1939 getroffenen Vereinbarungen hat sich diesen Punkt betreffend die polnische Position unter der Führung des Außen- und Kriegsministers Beck seitdem in unerhörter Weise verhärtet. Insbesondere die Repressalien gegenüber Danzig und der deutschstämmigen Bevölkerung Polens belasten gegenwärtig die gegenseitigen Beziehungen außerordentlich. Doch obwohl ich persönlich immer wieder erlebe, wie schwer dem Führer maßvolle Reaktionen auf die polnischen Provokationen fallen, können Sie, meine Volksgenossen, sich darauf verlassen, dass er alles nur Menschenmögliche daran setzen wird, den Frieden zu erhalten.

    In diesem Sinne rufe ich ihnen zu: bewahren Sie Vertrauen in die Zukunft, gehen Sie weiter mit uns auf dem eingeschlagenen Weg und erleben ein glückliches Jahr 1941!"

    3

    Labor der Reichspost

    Einschläferndes Summen und Rauschen erfüllt Labor 7 der Forschungsanstalt der Reichspost. Dann wieder knattert es plötzlich und Lichtblitze zucken in unregelmäßigen Kurzintervallen. Dr. Werner Martinius, 39 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, 1,82 M groß, fast asketisch schlank, glatt nach hinten gekämmtes dunkles Haar, Haltung wie ein preußischer Offizier und genauso diszipliniert und akkurat, Elektroingenieur, Studienfreund des genialen Manfred von Ardenne, notiert auf dem schematisierten Auswertungsbogen Kenndaten. Vor ihm stehen 10 Bildschirme unterschiedlicher Größe und in unterschiedlichen Formaten, quadratisch, länglich-rechteckig, Hochformat und Querformat. Allen gemeinsam ist eine auffallend kompakte Bauform. Das kleinste Gerät misst gerade 10x10x10 cm. Alle zeigen das gleiche Motiv, ein Testbild mit unterschiedlichen geometrischen Formen und in Hell- und Dunkelstufen. Auch die Kameras, die dieses Testmotiv von der weit gegenüberliegenden Wand aufnehmen und drahtlos über Funksignale an die Bildschirme weiterleiten zeichnen sich durch eine überraschend kompakte Bauweise aus.

    Mit einigen Ergebnissen ist der Wissenschaftler sehr zufrieden. Maßstabsgetreu, ohne Verzerrungen, mit scharfen Konturen und die unterschiedlichen hellgrauen bis tiefschwarzen Farbabstufungen wiedergebend zeichnet sich das Testbild auf den Monitoren ab. Unterschiedlich, von Nuancen abgesehen, ist lediglich die Darstellungsgröße des Testbildes. Einige füllen den Bildschirm fast völlig aus, andere nur teilweise, abhängig von der Objektivart der Aufnahmekamera. Experimentiert wird mit unterschiedlichen Brennweiten, von Standard bis Weitwinkel. Die optischen Elemente liefern die Hersteller Zeiss und Leitz, letztere Firma weltbekannt durch die hervorragenden Leica-Kameras. Die unterschiedlichen Kameravarianten bauen Techniker der Firmen Zeiss, Leitz und Telefunken unter der Aufsicht eines Ingenieurs der Versuchsanstalt der Reichspost nach den Anforderungen von Dr. Martinius.

    Besonders mit den sehr stark miniaturisierten Geräten ist er noch nicht sehr zufrieden. Zwar stehen auch bei diesen die Testbilder stabil, wackelfrei und ohne Verzerrungen auf den Bildschirmen, aber die Unterscheidung der einzelnen Testbildelemente ist nicht hinreichend gewährleistet. Auf dem 10xl0-Gerät sieht es aus, als würde nur ein schwarz-weißgraues Quadrat abgebildet.

    Die von Telefunken gelieferte Braunsche Röhre im Kleinstformat funktioniert zwar prinzipiell, aber den Anforderungen aus dem maßgebenden Pflichtenheft vermag sie nicht zu genügen. Alle vorhandenen Kameravarianten sind durchgetestet. Vielleicht kann man sie aber für andere Aufgaben oder später einmal in verbesserter Ausführung nutzbringend verwenden.

    Zuverlässig und voll den Vorgaben entsprechend arbeiten die ebenfalls von Telefunken gelieferten Sende- und Empfangseinrichtungen an den Kameras und Bildschirmen. Eingeflossen sind hier allerdings auch die Erfahrungen und Kenntnisse der Reichspost. Für dieses hochwichtige Forschungsprojekt gilt die Anweisung von ganz oben, dass sie der Herstellerfirma unentgeltlich zur Verfügung zu stellen sind.

    In gut zwei Wochen sollen die Entwicklungsarbeiten abgeschlossen sein, um dann die Phase der praktischen Erprobung außerhalb des Labors anlaufen zu lassen. Bis dahin müssen sich Dr. Werner Martinius und seine Mitarbeiter entschieden haben, welche drei Kamera-Bildschirm-Kombinationen sie dem Auftraggeber zum Einsatz vorschlagen wollen. Nach dem heutigen Auswertungsergebnis stehen dem Projektleiter die drei Favoriten jedoch schon recht deutlich vor Augen.

    Die Zeiger der Laboruhr stehen kurz vor 19.00 Uhr. „Schluss für heute ruft er seinen Leuten zu. „Alles protokolliert? Dann wegschließen und ab geht´s. Austragen nicht vergessen!

    Erst wenn alle Mitarbeiter den Zeitpunkt des Verlassens eingetragen und die Labortür hinter sich geschlossen haben, darf der verantwortliche Projektleiter ebenfalls seine Wirkungsstätte verlassen, der gleichen Prozedur folgend, die Anwesenheitskladde und die eigenen Aufzeichnungen im Tresor verschließend, um danach die Labortür mit den zwei unterschiedlichen Sperrvorrichtungen zu sichern. Hinter der Korridortür, die nur auf Klingelzeichen hin vom Wachbeamten dahinter geöffnet wird, muss auch Dr. Martinius die Laborschlüssel aushändigen und mitgeführte Taschen öffnen und den Inhalt kontrollieren lassen. Unten am Hauptausgang muss er noch einmal mit seiner Unterschrift den Zeitpunkt des Verlassens des Gebäudes bestätigen.

    Reinigungsarbeiten im Labor werden nur auf Anforderung durchgeführt und unter den wachsamen Augen von mindestens zwei Aufpassern.

    4

    AEG Apparatebau Treptow

    Nicht minder streng agieren die Apparate Werke in Berlin Treptow in den firmeneigenen Forschungseinrichtungen. In der Hauptverwaltung der AEG wurde die physikalisch-technische Assistentin Charlotta Rieger vor ihrer Einstellung einer äußerst peniblen und umfangreichen Überprüfung unterzogen. Dabei waren ihre Zeugnisse und sonstigen Ausbildungsleistungen fast Nebensache. Gehobene Qualifikation ist bei der AEG in der Entwicklungsarbeit eine Selbstverständlichkeit. Der Schwerpunkt lag in der Sicherheitsüberprüfung: persönliche Daten, Finanzlage, familiäre Verhältnisse, Freunde und Bekannte im In- und Ausland, Mitgliedschaft in Parteiorganisationen und so manche Frage, deren Sinn ihr verborgen blieb, mussten zu Papier gebracht werden und wurden einer mündlichen Gegenprüfung unterzogen.

    Da aber nicht der geringste Schatten eines eventuellen Risikos zu entdecken war, ordnete man Charotta nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und der firmeneigenen Sicherheits- Und Verschwiegenheitserklärung als wissenschaftliche Hilfskraft einem der hochgeheimen Entwicklungslabore zu.

    In der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, die sich seit Jahren mit der Ultrarot-Technik (später Infrarot genannt) befasst, steht sie fast wie eine Exotin neben den sonst nur männlichen Wissenschaftlern und Technikern da. Nur einige Schreibkräfte vertreten neben ihr noch das schönere Geschlecht. Dank ihrer ausgezeichneten mathematischen und technischen Begabung hat sie sich jedoch längst die Anerkennung auch der hartnäckigen Frauengegner erworben. Dr. Schäfer, der Gruppenleiter, weiß, dass er sich hundertprozentig auf ihre Arbeit verlassen kann. Manchmal fragt er sich im Stillen, warum sie wohl auf ein Studium verzichtet hat. Bei ihrer Begabung wäre es ihr wohl nicht schwergefallen, einen guten oder sogar sehr guten Abschluss zu erlangen. Als etwas distanziert und zurückhaltend agierender Vorgesetzter würde er derart Persönliches ihr gegenüber jedoch niemals zur Sprache bringen. Außerdem ist sie stets freundlich zu jedermann, ohne Rivalitäten durch weibliche Koketterie hervorzurufen. Dennoch würde ihre attraktive Weiblichkeit den einen oder anderen ihrer Kollegen zu Annäherungsversuchen reizen. Nur der allgemein bekannte Umstand, dass sie privat in festen Händen ist, bewahrt sie vor unangenehmen Situationen. Denn ihr unumstößlicher Grundsatz ist, Berufliches und Privates strikt zu trennen. Dem allem zum Trotz scheint es Dr. Schäfer, als ob die Präsenz einer begehrenswerten Frau die Männer in ihrem Leistungsstreben zusätzlich befördere.

    Jedenfalls steht das vor gut einem Jahr begonnene Projekt kurz vor einem seiner Einschätzung nach sehr zufriedenstellendem Abschluss. Im Prototyp des verbesserten Ultrarot-Wärmequellensuchgerätes für Land- Luft- oder Wasserfahrzeuge sollen nur einige länger strapazierte Elemente durch Neuteile ersetzt werden. Dann kommen die letzte Überprüfung und natürlich noch der ausführliche Abschlussbericht. Parallel wird er ein optimiertes Ultrarot-Nachtsichtgerät präsentieren. Zwar sieht er durchaus mit Spannung der Praxiserprobung entgegen, doch er ist sich sicher, dass keine grundsätzlichen Probleme auftauchen werden. Interessant wird werden, welche Reichweiten unter unterschiedlichen Bedingungen zu erzielen sind und wie kontrastreich Ergebnisse dargestellt werden können. Mit letzterer Aufgabe werden sich die Fernsehspezialisten befassen müssen. Sein Auftrag ging soweit nicht. Es wäre auch nicht sein ureigenstes Interessengebiet gewesen.

    Ungewiss dürfte auf Grund der bisherigen Erfahrungen sein, ob die konservativen Kräfte innerhalb des Militärs vom Nutzen der neuen Technik überzeugt werden können. Zu oft hat er den Satz gehört „Ja, das ist ja alles schön und gut, aber eigentlich brauchen wir das doch gar nicht und Geld kostet es auch wieder eine Menge."

    Andererseits ist er selbst so erfüllt von den früher ungeahnten Anwendungsmöglichkeiten, dass sich trotz seines sonst eher kühlen Temperamentes mit aller ihm verfügbaren Überzeugungskraft, Phantasie und Energie für die Annahme und Nutzbarmachung diese revolutionären Technik einzusetzen gewillt ist.

    Mit zunehmender Faszination und äußerstem Einsatz haben er selbst und seine ganze Mannschaft sich der Verwirklichung einer faszinierenden Idee verschrieben, haben ihre ganze Kraft eingesetzt, haben Rückschläge überwunden und sind jetzt mit unbändigem Stolz erfüllt. Das darf unmöglich umsonst gewesen sein.

    5

    Hauptmann Bernd Rieger

    Pünktlich zum geforderten Termin liegen die Abschlussberichte von Dr. Werner Martinius und Dr. Schäfer auf dem Schreibtisch von Hauptmann Bernhard Rieger im Reichsluftfahrtministerium. Mit steigender Spannung überfliegt er die Seiten. Obwohl mit Fachausdrücken und technischen Daten gespickt, die für sich allein genommen nur dem Fachspezialisten etwas sagen, ist es den Verfassern doch gelungen, die wichtigsten Aussagen und vor allem die Ergebnisse der ausführlichen Versuche und Entwicklungsarbeiten auch dem weniger versierten Leser zu verdeutlichen. Bernhard ist begeistert. Wenn die Feldversuche die Ergebnisse bestätigen, bedeutet das einen Riesenschritt nach vorn. Persönlich nimmt er die Registrierung und Einstufung als geheime Reichssache oberster Dringlichkeit vor und legt den Verteilerkreis für das Ministerium fest. Dabei beschränkt er sich zunächst auf seine unmittelbaren Vorgesetzten bis hin zum Minister.

    Bereits am nächsten Morgen wird er zum Staatssekretär gerufen. Erhard Milch, seit einem halben Jahr auch Generalfeldmarschall, sitzt an der Stirnseite des eichenen Konferenztisches mit der schwarzen Marmorplatte, an den Längsseiten sein unmittelbarer Vorgesetzter, Oberst von Möllendorf, sein Abteilungsleiter General von Welgendorf und außen ein Offizier aus dem Stab des Generalluftzeugmeisters, den Rieger nur vom Sehen kennt. Udet selbst fehlt.

    Hauptmann Rieger tritt ein und nimmt Haltung an, aber Milch winkt ab „keine Förmlichkeiten Rieger, setzen Sie sich zu uns." Vorgestellt wird er den anderen Herren nicht. Wahrscheinlich hat man schon über ihn gesprochen.

    „Habe gleich gestern Abend noch den Reichsmarschall in Karinhall aufgesucht und informiert. Er hat gerade wichtige Gäste aus Ungarn bei sich im Haus. Sonst wäre er heute persönlich dabei.

    Um es kurz zu machen: was da ausgetüftelt wurde, klingt äußerst vielversprechend. Wir haben alle Vollmachten und was an Geld und Material gebraucht wird, steht ab sofort zur Verfügung. Ihnen brauche ich nicht zu sagen, dass Alles der strengsten Geheimhaltung unterliegt. Dritte sind nur einzubeziehen, wenn das absolut unabdingbar ist und nur im allernotwendigsten Umfang. Um den Kreis von Anfang an so klein wie möglich zu halten, sind wir überein gekommen, dass Sie, Hauptmann Rieger, die Erprobungsbetreuung persönlich leiten. Sie werden Udet für diese Zeit unmittelbar unterstellt und berichten ihm persönlich. Sobald er wieder im Hause ist, informiere ich ihn.

    Die praktische Erprobung beginnt in Rechlin mit der von Henschel entwickelten Gleitbombe. Direktor Vollhagen weiß bereits, dass wichtige Neuerungen zu testen sind. Er hält sich bereit und wartet, dass Hauptmann Rieger auf ihn zukommt. Wenn Udet aufkreuzt, wird er wahrscheinlich auch dabei sein wollen. Außerdem macht das mehr Eindruck. Nichts für ungut Rieger, aber Sie wissen ja wie so etwas läuft. Udet hält sich übrigens zurzeit bei den Heinkel-Werken auf. Wahrscheinlich tummelt er sich gerade wieder mit einem neuen Prototypen in den Lüften.

    Noch Fragen, meine Herren? Im Moment nicht, gut. Dann beenden wir die Zusammenkunft. Halt, Möllendorf, den Sondereinsatzbefehl für Hauptmann Rieger bitte sofort vorbereiten lassen. Ich möchte ihn von Göring persönlich unterzeichnen lassen. Danke."

    6

    Gernot Malchow

    „Können Sie nicht vielleicht doch eine Ausnahme machen? Bitte! Die Frau im hellbraunen Mantel ist den Tränen nahe. „Es ist doch unsere Silberhochzeit. Mein Mann freut sich doch jetzt schon so sehr darauf. Er weiß doch nicht, dass ich ein paar Ansparraten einfach anders verwenden musste. Ich wollte ja auch alles nachzahlen. Aber es hat einfach nicht gereicht.

    Die Sachbearbeiterin auf der anderen Seite des Schreibtisches hat viel Verständnis und gern würde sie der Kundin ja helfen. Aber die Bestimmungen lassen ihr keinen Entscheidungsspielraum. Ihr bleibt nur eine Möglichkeit. „Tut mir leid, selber kann ich da leider nichts machen. Aber ich schau mal, ob der Abteilungsleiter zu sprechen ist. Er ist gleichzeitig stellvertretender Amtsleiter und hat wesentlich mehr Möglichkeiten als ich. Er ist eigentlich auch ein recht netter Mensch und nicht nur Beamter."

    Beamter im rechtlichen Sinn ist Gernot Malchow als Angehöriger der „Deutschen Arbeitsfront in der Untergliederung „Kraft durch Freude und Abteilungsleiter für Reisen im „Amt für Reisen, Wandern und Urlaub" nicht, sondern Angestellter. Außenstehenden sind derartige Unterschiede jedoch selten geläufig und da die Sachbearbeiterin die Bittstellerin als Frau aus einfachen Verhältnissen einschätzt, hat sie ihren Vorgesetzten als Beamten bezeichnet. Das macht meist mehr Eindruck.

    Gernot Malchow ist bereit, Frau Birk anzuhören. Nach der kurzen Information über das Problem geht er gleich mit zum Empfangsbereich und bittet die Kundin in sein Büro. Die Ausstattung und der großzügige Raum geben ein stummes Zeugnis davon, dass „Kraft durch Freude" mit Finanzmitteln nicht knausern muss, bodentiefe Fenster, Schreibtisch und Schränke aus poliertem Massivholz, bequeme Sitzmöbel.

    Zaghaft lässt sich Frau Birk nach der freundlichen Aufforderung „nun setzten Sie sich doch" auf einem der ledernen Besuchersessel nieder. Noch einmal erläutert sie ihre missliche Lage.

    Gernot befragt sie dann gezielt und genau nach der finanziellen Lage. Ihr Mann arbeitet bei Siemens im Lager für monatlich 155 RM. Sie selbst war früher Gärtnerin, kann den Beruf aber aus gesundheitlichen Gründen schon lange nicht mehr ausüben. Das Paar hat drei Kinder, zwei davon sind schon verheiratet und selbständig. Der jüngste Sohn braucht immer mal wieder Unterstützung. Er hat die Malerlehre abgeschlossen und kurz im Beruf gearbeitet. Dann einen Unfall gehabt. Jetzt möchte er technischer Zeichner werden. Das Geld ist knapp und Mutter Birk kann nicht nein sagen, wenn ihr Jüngster sie um etwas bittet.

    Für die Wunschreise der Birks wird eine Ansparsumme von 62 RM gefordert. 48 Mark sind erst auf dem Konto verbucht. Groß ist der Fehlbetrag also nicht. Aber Silberhochzeits- und Reisetermin stehen in einigen Wochen an. Gernot sieht, dass die Lücke in dieser kurzen Zeit mit dem Einkommen von Vater Birk nicht zu schließen sein wird. Er entscheidet daher, den Birks zu helfen, denn gerade für diese Personengruppe und nicht für die Bessergestellten sind die Angebote von „KdF" gedacht. Für Härtefälle kann er als Abteilungsleiter bei Summen dieser Größenordnung ohne Rücksprache auf einen Hilfsfond zugreifen und den fehlenden Betrag zuschießen.

    Als er die frohe Botschaft seinem Gegenüber mitteilt, zeichnet sich überdeutlich die Erleichterung auf dem Gesicht der Frau ab „ach, lieber, lieber Herr Malchow, tausend Dank, da fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen, danke, danke vielmals. Mit dem Schiff nach Norwegen, wie die feinen Leute, was für eine Freude! Ich schreibe Ihnen auf jeden Fall eine Ansichtskarte. Nochmals recht, recht herzlichen Dank und auf Wiedersehen."

    Lächelnd und mit den besten Wünschen für die Reise geleitet Gernot die Frau hinaus. Auch er freut sich. Menschen glücklich zu machen, ist der schönste Teil seiner beruflichen Tätigkeit. Schwieriger und nicht selten zeitaufwendig sind die Preisverhandlungen für Unterbringung und Verpflegung mit Hotel- und Restaurantbesitzern. Die wollen tüchtig Geld verdienen. „KdF muss aber günstige Preise aushandeln, um die Reisen für den normalen Volksgenossen erschwinglich zu halten. Von Vorteil bei den Seereisen ist, dass „KdF auf eigene Schiffe zurückgreifen kann. Die „Wilhelm Gustloff, die „Robert Ley, die „Dresden II und „Der Deutsche sind moderne und bestens ausgestattete große Kreuzfahrtschiffe. Ausreichend sind die eigenen Schiffskapazitäten allerdings nicht. Regelmäßig müssen noch weitere Dampfer zugechartert werden. Nicht nur die Schiffsreisen sind sehr begehrt. Auch die Landreisen werden in einem solchen Umfang in Anspruch genommen, dass „KdF" seit Mitte der dreißiger Jahre zum größten Reiseveranstalter der Welt geworden ist. Das Amt für Reisen, Wandern und Urlaub arbeitet ohne Zuschüsse von außen. Das liegt auch daran, dass es im Gegensatz zu manch anderen Organisationsstellen der Deutschen Arbeitsfront betriebswirtschaftlich gut aufgestellt ist und mit einem leistungsfähigen nicht überbesetzten Personalkörper agiert. Das EikeGutachten von 1936 hat das ausdrücklich bestätigt.

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    Hitler zur Lage

    Während das Leben draußen sorglos seinen gewohnten Gang nimmt, beobachtet man bei den führenden Persönlichkeiten des Reiches eine zunehmende Anspannung. Längst entschwunden ist die frohe, unbeschwerte Stimmung der Olympiade von 1936, als die Welt des Sports zu Gast war in Deutschland. Niemand denkt zurzeit an den Jubel als Österreich endlich wieder mit dem deutschen Staat vereint wurde oder an das Aufatmen nach der erfolgreichen Konferenz von München, die den Sudetendeutschen nach 20 Jahren der Unterdrückung endlich wieder Freiheit und Sicherheit brachte. Seit Ende 1938 / Anfang 1939 betreiben insbesondere England und Polen, aber in der Ferne auch die USA, eine Politik stetig zunehmender Gegnerschaft. Trotz der Treffen zwischen den beteiligten Staaten kommt man in der Lösung des letzten noch auf Versailles beruhenden Problemes keinen Schritt voran. Vergeblich macht die deutsche Seite Vorschläge mit sehr weitreichenden Zugeständnissen an Polen. In der Frage zu Danzig und zum Korridor zeigt Außenminister Beck, der nach dem Tod von Pilsudski zum maßgeblichen Mann aufgestiegen ist, keinerlei Entgegenkommen. Danzig -unter die Verwaltung des Völkerbundes gezwungen und vom Reich isoliert- ist schon immer eine deutsche Stadt gewesen. 95 % der Einwohner sind auch jetzt noch deutsch. Der Korridor umfasst Gebiete Westpreußens und Westposens, die vor dem Krieg 1914 – 1918 überwiegend von Deutschen besiedelt waren. Wie auch Oberschlesien wurde das

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