Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

GebURtsVERTRAUEN: Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?
GebURtsVERTRAUEN: Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?
GebURtsVERTRAUEN: Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?
eBook253 Seiten3 Stunden

GebURtsVERTRAUEN: Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Wie könnte eine gerechtere Geburtshilfe aussehen? Wie könnte sie im bestehenden System umgesetzt werden? Wie sähe eine Welt aus, in der nur durch ihre Geburtserlebnisse gestärkte Frauen herumliefen und in der es gleichzeitig nur echt emanzipierte Männer gäbe?

Ein Buch, das einlädt zur eigenen Recherche sowie zum Gedanken- und Gefühlsaustausch mit Frauen und Männern, die dazu bereit sind, ihre Geburtserlebnisse genauer zu betrachten.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum6. Jan. 2021
ISBN9783347063808
GebURtsVERTRAUEN: Sollten Geburten tatsächlich Ereignisse zum Vergessen sein?

Ähnlich wie GebURtsVERTRAUEN

Ähnliche E-Books

Biografie & Memoiren für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für GebURtsVERTRAUEN

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    GebURtsVERTRAUEN - Jessica Lohmann

    Vorwort

    Dieses Buch habe ich in erster Linie für mich selbst geschrieben. Es ist ein Teil der Verarbeitung meiner ersten Geburtserfahrung. Warum ich der Meinung bin, dass es notwendig ist, einen derartigen Seelenstriptease zu veröffentlichen?

    Nun ja, ich habe mich dazu entschieden – obwohl mir dies mit Sicherheit nicht leichtgefallen ist –, weil es aus meiner Sicht nur wenige ehrliche Stimmen zu dem Thema gibt. Denn so wie es scheint, muss nach einer Geburt alles im überschwänglichen Glück taumeln. Mit dem Ausspruch „Hauptsache gesund!", den sich frischgebackene Eltern oft anhören müssen, wird jeder Zweifel am Geburtsprozess – so wie er heute vielfach abläuft – ausgelöscht. Damit verpassen wir die Chance, Geburten eines Tages wieder in einer ursprünglicheren Art und Weise zu erleben, Schritte in Richtung einer heileren Welt zu unternehmen.

    Die Erkenntnisse, die ich auf meinem persönlichen Weg gewonnen habe, sind mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Generationen nach mir werden es wiederum besser machen und vielleicht herausfinden, dass auch meine Sicht auf das Thema noch begrenzt war. Es in Zukunft besser zu machen, heißt für mich aber nicht, die Kaiserschnittrate noch weiter hochzutreiben, um den Frauen noch das letzte Stück ihrer Weiblichkeit zu rauben und das ursprüngliche Wissen um Geburt endgültig zu verlieren. Was, wenn am Ende selbst in den Frauen, die sich bis jetzt noch ein letztes Stück ihrer inneren Wahrheit bewahrt haben, dieses Licht endgültig verlischt? Und wenn sich irgendwann niemand mehr daran erinnert, dass Geburten auch einmal anders verlaufen sind? Um einen Beitrag dafür zu leisten, dass dies nicht geschieht, bin ich bereit, meine Seele ein Stück weit offenzulegen.

    Meine Erfahrung ist, dass viele Frauen ihre Geburten noch lange beschäftigen und dass viele Fragen zu dem Thema einfach offenbleiben, weil man nicht weiß, woher man die Antworten nehmen soll. Denn Hand aufs Herz, von selbstbestimmten und stärkenden Geburtserfahrungen können nur die wenigsten Frauen berichten. Viel eher sind Demütigung und Entmündigung in diesem Bereich an der Tagesordnung und traumatische Geburtserlebnisse nicht gerade selten. Ich befinde mich also in guter Gesellschaft und rufe alle Frauen dazu auf, sich ihr Geburtserlebnis zurückzuholen, für sich und ihre Kinder. Denn – ohne dass viele sich dessen bisher bewusst sind – ist uns dieses genommen worden. Und das, um uns den Männern noch gleicher zu machen, um für noch mehr „Gleichberechtigung zu sorgen, als es ohnehin schon der Fall ist. Denn das ist es, was sich wirklich hinter der viel umworbenen „Gleichberechtigung verbirgt: Eine Gleichmacherei.

    Ich möchte jetzt nicht falsch verstanden werden, ich sehe mich nicht als eine Emanze an, und ich habe auch nichts gegen Männer. Von einem harmonischen Zusammenleben, in dem sich jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen kann, sind wir meiner Meinung nach jedoch noch weit entfernt. Und ich mache das unter anderem daran fest, dass wir Frauen offensichtlich der Fähigkeit beraubt werden, Kinder eigenständig gebären zu können. Wer an dieser Entwicklung Schuld hat, kann ich nicht sagen. Ich glaube grundsätzlich nicht, dass man das an einer Person festmachen kann, sondern dass es sich hierbei um über Jahrhunderte und Jahrtausende manifestierte Gedanken- und Bewusstseinsfelder handelt, die auf unserer Welt jetzt vorherrschen. Aus meiner Sicht stehen wir noch immer ganz am Anfang von einer echten Gleichberechtigung – auch wenn das jetzt für viele enttäuschend klingt.

    Die Gleichberechtigung ist falsch verstanden worden. Und auch ihre Bezeichnung finde ich ungünstig gewählt, da es eben nicht um eine Gleichmacherei gehen sollte, sondern um eine ehrliche Wertschätzung der unterschiedlichen Fähigkeiten von Mann und Frau. Und vor diesem Hintergrund muss als Erstes einmal die Frage gestellt werden, was diese sind. Entgegen der landläufigen Meinung, die Frauenrolle wäre inzwischen weitgehend definiert, nur der Mann leide jetzt unter einem Identitätsproblem, müssen aus meiner Sicht beide Rollen neu definiert werden. Denn Gleichberechtigung – wenn man sie denn so nennen will – heißt für mich nicht, dass Frauen einfach eine Männerrolle einnehmen und den Männern damit den Rang ablaufen, so dass diese in eine Identitätskrise geraten. Nein, da muss etwas anderes her. Wie das am Ende aussehen kann, davon habe ich noch keine ganz genaue Vorstellung. Und auch welchen Namen man der „Gleichberechtigung" dann gibt, dafür habe ich noch keine Idee. Vielleicht werden das erst die folgenden Generationen für sich herausfinden. Damit eine wirkliche Gleichberechtigung überhaupt möglich ist, steht für mich jedoch fest: Als Erstes müssen wir uns unsere Geburten zurückholen. Damit unsere Gesellschaft nicht länger von Frauen geprägt ist, die sich in eine Männerrolle drängen lassen. Bei mir habe ich dieses Phänomen ebenfalls beobachtet, und meine weiblichen Seiten wirklich zu akzeptieren und zu leben, fällt mir auch heute noch schwer.

    Ich sehe es als Pflicht, meine Geburtsgeschichte zu erzählen. Nicht zuletzt, damit sich die ein oder andere Frau vielleicht in meiner Geschichte wiederfinden kann und sich verstanden fühlt. Das tut gut, man kann die Maske der überglücklichen Mutter endlich fallen lassen. Ein erster Schritt Richtung Heilung ist getan. Das ist es, worum es mir geht, uns alle zu erleichtern, weil die eine oder andere vermutlich so oder ähnlich empfindet wie ich und die Frage der Geburt vielleicht verdrängt, aber sie damit längst nicht beantwortet ist. Ich möchte mit meiner Geschichte dazu ermuntern, dem Gefühl zu vertrauen, dass hier etwas gewaltig schiefläuft. Wir sollten es nicht als „Normalfall" abtun, wie Geburten heute ablaufen. Denn es geht auch anders.

    Darüber hinaus könnte ich mir keinen besseren Zeitpunkt vorstellen, um mit dem Schreiben eines emotionalen Buches zum Thema Geburten anzufangen, als die fünfte Woche des Wochenbettes nach der Geburt meines zweiten Sohnes. Ärzte würden mich vermutlich für unzurechnungsfähig erklären, so wie sie es mit Frauen unter den Wehen gerne tun. Ich bin nicht unzurechnungsfähig, sondern bei vollem Verstand. Und die Geschichte, die ich erzählen will, ist einfach nur eines: wahr.

    Rückblende

    Ich liege nach der Geburt meines ersten Sohnes in einem dieser Krankenhausbetten. Es ist mitten in der Nacht und ich bin froh, überlebt zu haben. In meinem Arm liegt ein kleines Wesen, das mein Sohn ist. Etwa zweieinhalb Stunden vorher habe ich ihn geboren. In meinem Kopf kreist nur ein Gedanke: „Bitte vergiss nie dieses Gefühl, diese Schmerzen, diese Qual, damit du nie wieder auf die Idee kommst, ein Kind zu bekommen."

    Geburtsvorbereitungen

    Dabei hatte alles so hoffnungsvoll angefangen: Nach einer völlig komplikationslosen und schönen Schwangerschaft sollte einer weitgehend „normalen", also natürlichen Geburt doch eigentlich nichts im Wege stehen, oder?

    Ich fühlte mich bis zum letzten Tag meiner Schwangerschaft sehr gut. Bis zuletzt fuhr ich Fahrrad und ging regelmäßig walken. Der Geburt sah ich mit freudiger Erwartung entgegen. Bei all den Frauen mit Kindern, die ich alltäglich so sah, dachte ich mir, so schlimm wird es wohl nicht werden, sonst würde es die ganzen Kinder ja nicht geben. Allzu viele Gedanken um das „Wo und „Wie der bevorstehenden Geburt hatten wir uns nicht gemacht. Ich war der Meinung, dass eine Geburt unabhängig vom Ort und der mich umgebenden Personen ihren vorgesehenen und natürlichen Verlauf nehmen würde.

    Genauso selbstverständlich wie ich mit dem Gefühl schwanger zu sein, als Erstes zu meiner Frauenärztin ging, erschien uns ein Krankenhaus als der beste Ort für eine Geburt. Und das nicht zuletzt deshalb, weil es fast alle so machen. Andere Geburtsorte, wie zum Beispiel eine Geburt zu Hause oder in einem Geburtshaus, waren aus meiner damaligen Sicht nur etwas für „Alternative". Ich selbst sah mich für etwas anderes als ein Krankenhaus keinesfalls als geeignet an.

    Es gab uns ein gutes Gefühl, die medizinische Versorgung eines Krankenhauses beanspruchen zu können. Da unsere Wohnung in fußläufiger Entfernung zu einem Krankenhaus mit einer Geburtsstation lag, entschieden wir uns dafür, zur Geburt in eben dieses Krankenhaus zu gehen. Was uns bei einer Kreißsaal-Besichtigung gezeigt wurde, sagte uns zu, und wir vermuteten keine großen Unterschiede zu anderen Krankenhäusern. Auch ein im Notfall erforderlicher Transport unseres Kindes in ein Krankenhaus mit angeschlossener Kinderklinik konnte von dem Krankenhaus aus mit einer – unserer Meinung nach – ausreichenden Schnelligkeit gewährleistet werden.

    Irgendwie war ich auch froh darüber, mir um dieses Thema keine weiteren Gedanken mehr machen zu müssen. Eine Beleghebamme, also eine Hebamme, die man schon vor der Geburt kennenlernt und die man während der gesamten Geburt an seiner Seite hat – damit die bei der Geburt anwesende Hebamme nicht vom Arbeitsplan und dem Schichtwechsel des Krankenhauses abhängig ist – hielt ich für genauso wenig notwendig wie die Besichtigung weiterer Krankenhäuser.

    Ich war überzeugt davon, dass das, was die eine Hebamme macht, die andere genauso gut kann. Und obwohl eine Geburt für mich schon zu diesem Zeitpunkt im Grunde etwas Natürliches war, stellte ich den Einsatz von Saugglocken und das Vorkommen von Dammschnitten und -rissen – so wie ich es in vielen Geburtsgeschichten gehört hatte – nicht weiter infrage. Ich dachte, das gehöre eben einfach dazu. Ich nahm unhinterfragt hin, dass mich eines davon wohl auch treffen würde. Nur ein Kaiserschnitt sollte es nicht werden. Und auch eine Periduralanästhesie (PDA) zur Betäubung der Geburtsschmerzen wollte ich möglichst umgehen. Schließlich wollte ich mich zu der Reihe von Frauen zählen können, die ihre Kinder wirklich natürlich gebären – und das hieß zu diesem Zeitpunkt für mich: vaginal und unter Schmerzen.

    Ja, das Ganze hatte für mich auch etwas mit „dazugehören zu tun. Ich wollte keinen Kaiserschnitt und keine vaginale Weicheier-Geburt mit PDA, sondern eine Geburt für „echte Frauen. Auch die Hebamme, die uns bei der Kreißsaal-Besichtigung auf der Geburtsstation herumführte, erschien mir mit ihrer lockeren, aber bestimmenden Art für diesen Zweck als besonders geeignet.

    Zu meiner Vorstellung von Geburt gehörte nämlich auch, dass man dabei jemanden an seiner Seite haben sollte, der einem im richtigen Moment sagte „wo es langging". Eine Sichtweise, für die ich mich heute besonders schäme.

    Mein Geburtsbericht

    Es war in einer Novembernacht, als bei mir leichte Wehentätigkeit einsetzte, so dass wir uns morgens in das besagte Krankenhaus aufmachten. Dort angekommen, war von den Wehen plötzlich nichts mehr zu spüren und auch am Muttermund hatten die Wehen noch nichts bewirkt. Wir wurden wieder nach Hause geschickt. Offensichtlich mussten sich die Wehen für eine Geburt noch beträchtlich steigern, denn auf unsere Nachfrage, wann wir wiederkommen sollten, entgegnete man uns so etwas Ähnliches wie: „Wenn sie [vor Schmerzen] in die Matratze beißt."

    Im Laufe des Tages setzten die Wehen erneut ein. Bevor wir noch einmal umsonst das Krankenhaus aufsuchten, wollte ich dieses Mal die Echtheit der Wehen mit Hilfe eines warmen Bades überprüfen. Diesen Tipp hatte ich, soweit ich mich erinnern kann, in unserem Geburtsvorbereitungskurs aufgeschnappt. Des Morgens hatte ich leider noch nicht daran gedacht. Denn tatsächlich wurden die Wehen nach meinem Bad allmählich immer stärker. Wir fragten uns jetzt natürlich, wann wir wieder in das Krankenhaus gehen sollten. Um nicht noch einmal nach Hause geschickt zu werden, wollte ich keinesfalls wieder zu früh dorthin gehen. Bisher hatte ich aber auch noch nicht das Gefühl, in die Matratze beziehungsweise in die Sofalehne unseres Sofas, hinter das ich mich gekniet hatte, beißen zu müssen.

    In einem Buch, das ich zu Rate zog, las ich, dass man sich auf den Weg ins Krankenhaus machen sollte, wenn die Wehen über zwei bis drei Stunden in Abständen von fünf Minuten oder kürzer kommen.[1] Ich stellte also eine Uhr neben mich und zählte von da an die Minuten. In dem Zeitraum von etwa 17 bis 19 Uhr konnte ich so Wehen verzeichnen, die ungefähr alle fünf Minuten kamen. Zu diesem Zeitpunkt rief Christoph in dem Krankenhaus an und fragte nach, ob das ausreicht, um in den Kreißsaal zu kommen. Inzwischen vergrub ich vor Schmerzen mein Gesicht bei jeder Wehe in der Sofalehne und krallte mich mit den Händen fest in den Sofastoff. Das musste mit „in die Matratze beißen" vergleichbar sein, dachte ich. Die Hebamme am Telefon beruhigte uns mit der Aussage, dass Kinder in der Regel nicht so schnell kämen. Kurz nach dem Anruf veränderten sich die Wehen aber plötzlich so, dass mir schlagartig klar wurde, dass wir uns sofort auf den Weg ins Krankenhaus begeben müssten.

    Auf den 300 Metern, die wir bis zu dem Krankenhaus zurücklegten, hatte ich mehrmals das Gefühl, dass ich es nicht mehr bis dahin schaffen würde. Die Wehen, die ich auf diesem Weg verarbeiten musste, verbrachte ich auf Christophs Schultern abgestützt und meinen Bauch festhaltend. Irgendwie haben wir es bis auf die Geburtsstation des Krankenhauses geschafft, wo man uns zuerst in eine Art Untersuchungszimmer brachte. Hier wurde mir für den Notfall ein Zugang in mein Handgelenk gelegt und mein Muttermund untersucht. Zu diesem Zeitpunkt war mein Muttermund zwischen sieben und acht Zentimeter geöffnet. Die vollständige Öffnung des Muttermundes beträgt bei der Geburt etwa zehn Zentimeter. Ich hatte zu Hause also schon einiges an Vorarbeit geleistet.

    Als wir uns in den eigentlichen Kreißsaal begaben, kniete ich mich seitlich des Kreißbettes auf den Boden, denn diese Position hatte mir auch zu Hause das Verarbeiten der Wehen erleichtert. Es kam für mich nicht infrage, mich wie auf einem Präsentierteller auf das Kreißbett zu knien oder mich dort auf den Rücken zu legen. Die Rückenlage war mir als Schwangere schon lange nicht mehr angenehm gewesen und es war für mich nur sehr schwer nachzuvollziehen, warum diese anscheinend die am weitesten verbreitete Geburtsposition ist.

    Bis dahin lief – mit Ausnahme der starken Wehenschmerzen – für mich alles ganz gut. Intuitiv begann ich mit meinem Becken zu kreisen. Mir wurde das Gefühl vermittelt, dass ich die Wehen gut verarbeite und dass die Geburt schon weit fortgeschritten sei. Irgendwann platzte die Fruchtblase und ein Schichtwechsel der Hebammen erfolgte. Ich vernahm so etwas wie, dass schon Haare zu fühlen seien. Auch wenn ich das starke Gefühl hatte, dass dieser Motivationsspruch nicht aus dem Herzen der Hebamme kam, sondern einem Lehrbuch entliehen war, stimmte es mich positiv. Jetzt konnte es nicht mehr allzu lange dauern.

    Zwischenzeitlich hatten sich die Wehen allerdings so stark gesteigert, dass kein Veratmen und kein Stöhnen mehr half und dass das passierte, was ich mir vorher nicht hatte vorstellen können. Ich fing an zu schreien und zerdrückte Christoph fast die Hände. Obwohl ich mich vor dem Kreißbett kniend den Umständen entsprechend am wohlsten fühlte, wollte man mich an diesem Ort und in dieser Position nicht belassen. Als Alternativen wurden mir ein Gebärhocker und das Kreißbett angeboten. Im vollen Vertrauen auf die Erfahrung der Hebamme, probierte ich beides aus. Ich fühlte mich aber nirgends so wohl wie neben dem Kreißbett. Also kniete ich mich wieder dorthin. Die Wehen veränderten sich jetzt wieder und zwar so, dass ich das Gefühl hatte, mitdrücken zu müssen. Das mussten die viel beschworenen Presswehen sein. Das Pressen tat gut, denn auf diese Weise konnte ich den Wehenschmerz in Druck umleiten. Doch an dieser Stelle nahm die Geburt für mich eine Wendung.

    Plötzlich schien das, was ich machte, nicht mehr in Ordnung zu sein. Zunächst wurde mir gesagt, es sei noch zu früh, um zu pressen. Ich schaffte es aber partout nicht, diese Wehen auf andere Art und Weise zu verarbeiten. Ich versuchte, den Druck über meine Beine abzuleiten, die ich auf den Boden stemmte. Das war jedoch nicht „richtig". Man sagte mir, dass es nicht gut für das Baby sei, wenn ich zu diesem Zeitpunkt schon mitpresste. Ehrlich gesagt, dachte ich in dieser Situation, die ich als sehr existenziell empfand, nicht viel an mein Baby. Ich war einfach nicht in der Lage, diesen Druck anders zu verarbeiten.

    Zu der Hebamme hatte sich in der Zwischenzeit eine Assistenzärztin gesellt, die sich erst im Hintergrund hielt. Als ich erwähnte, dass mir das Pressen guttat, war diese dann der Meinung, dass wir es doch einmal damit probieren sollten. Allerdings durfte ich dazu nicht an dem von mir ausgewählten Ort und in der von mir ausgewählten Position bleiben, sondern sollte mich abermals auf das Kreißbett legen. Im vollen Vertrauen darauf, dass die Leute um mich herum wissen müssten, was sie taten, befand ich mich nun in Rückenlage auf dem Kreißbett, was mir nicht angenehm war. Ich hatte das Gefühl, dass so nur meine Zugänglichkeit für Untersuchungszwecke verbessert werden sollte. Zusätzlich begab sich die Assistenzärztin neben mich und bereitete ihren Unterarm vor. Ich ahnte, was sie vorhatte. Einige der zahlreichen Horrorgeschichten von Geburten, die ich gehört hatte, stiegen in mir auf, unter anderem auch solche, bei denen man sich auf den Bauch der Gebärenden nahezu geworfen hatte, um dem Kind bei seinem Weg nach draußen Hilfestellung zu leisten. Während der folgenden Presswehen wurde ich also – für mein Empfinden – brutal unterstützt.

    Die Assistenzärztin drückte ihren Unterarm mit voller Kraft und einigem Schwung in meinen Bauch und schob nach unten mit. Es fühlte sich an, als würden all meine Organe zusammen- und mir gleichzeitig die Luft weggedrückt. Ein sehr schreckliches Gefühl, aber ich dachte, dass das so sein müsste und es mir und meinem Sohn tatsächlich helfen würde. Kurz nach dieser Maßnahme verschlechterten sich die Herztöne unseres Sohnes. Um sie wieder zu beruhigen, bekam ich nun wehenhemmende Mittel verabreicht, worüber ich nicht undankbar war, denn endlich machten die Wehen eine Pause. Als Nebenwirkung fing ich jedoch an, am ganzen Körper zu zittern. Die Kontrolle über meinen Körper war mir nun völlig genommen.

    Anscheinend war in der Zwischenzeit die Chefärztin alarmiert worden. Sie kam herein und untersuchte mich, indem sie gefühlt ihre ganze Hand grob in meine Vagina schob. Ich zuckte vor Schmerzen zusammen. Sie äußerte sinngemäß, dass das so nicht ginge, ich wäre ja völlig unentspannt, wir wären ja noch nicht einmal bei den Presswehen. Ich war ihrer Meinung nach wohl etwas überempfindlich, wenn ich mich bei ihrer Untersuchung schon so verhielt, wie sollte ich dann die Presswehen überstehen. Ihre Aussage hatte eine sehr demotivierende Wirkung auf mich. Aus meiner Sicht, kämpfte ich schon lange mit den Presswehen. Ohne zu fragen oder einen Grund

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1