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Malefizien: Missgeschicke, Liebeleien und Verbrechen
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Malefizien: Missgeschicke, Liebeleien und Verbrechen
eBook152 Seiten1 Stunde

Malefizien: Missgeschicke, Liebeleien und Verbrechen

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Über dieses E-Book

Im Schnee und Nebel der Bergtäler geschieht Geheimnisvolles, über das niemand spricht. Ein Kind verschwindet spurlos, ein Wolf in Menschengestalt sucht sich seine Opfer, ein Gemeindepräsident wird von einem tödlichen Gruß aus dem fernen Afrika heimgesucht: Melchior Werdenberg kehrt in »Malefizien« zurück zu den Anfängen, zu seiner Herkunft in den Bergen.

»Malefizien« präsentiert die Bergwelt in inspirierender Vielfalt und versammelt teuflische, historische und märchenhafte Geschichten ebenso wie Gegenwärtiges. Mit viel Empathie erzählt Werdenberg von schwierigen Frauenschicksalen oder vom »Hexenwahn in Sognvitg«. So können die Missgeschicke, Liebeleien und Verbrechen, auf die der Titel hindeutet, von durchaus bösartigen oder mysteriösen Mächten rühren – etwas Maliziöses steckt aber auch in der Feder des Autors, der mal sachlich und nüchtern, mal verschmitzt und selbst- ironisch erzählt, und dessen Alter Ego gern auf amourösen Wegen oder Abwegen wandelt, sogar noch nach dem Tode ...
SpracheDeutsch
HerausgeberSalis Verlag
Erscheinungsdatum7. März 2022
ISBN9783039300327
Malefizien: Missgeschicke, Liebeleien und Verbrechen

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    Buchvorschau

    Malefizien - Melchior Werdenberg

    DAS LANGE SCHWEIGEN

    In den Bergtälern hängt der Nebel manchmal tagelang. Viel länger hängen bleiben rätselhafte Ereignisse und Gerüchte, die werden hier sesshaft.

    Die Base Paulina ist vor drei Tagen verstorben. Die Kirche Santa Maria ruft um 14 Uhr zur Totenfeier. Es ist eine Schande fürs ganze Dorf, findet der Pater, wie klein die Trauergemeinde ist, eine knappe Hand voll Frauen, kaum ein Mann. In der Sommerzeit haben die Bauern keine Zeit für die Kirche. Es gibt Arbeit in Hülle und Fülle, die einen sind beim Vieh auf dem Maiensäss, die anderen haben Heu einzubringen. Für die Base nehmen sie die Hände nicht von der Arbeit. Gestorben wird zu Beginn des Frühlings und gegen Ende des Herbsts, aber die Base ist schon immer eigensinnig gewesen. Jetzt muss sie froh sein, dass wenigstens vier Knaben für ihren Sarg bereitstehen. Eine Schande ist es nach des Paters Meinung auch, dass keines der fünfzehnjährigen Mädchen aus dem Dorf seiner Pflicht entsprochen hat, bei der Base Totenwache zu halten, um so den Teufel fernzuhalten. Wehe, war ihre arme Seele verloren, Gott würde seinen Finger gegen das Dorf erheben, droht er von der Kanzel herab seinen wenigen Schäfchen.

    Der siebenjährige Giachen und die wenig jüngere Regina sind ebenfalls nicht bei der Totenfeier. Ihre Mütter haben sie dem gemeinsamen Spiel überlassen und sind in die Kirche geeilt, um der Base das letzte Geleit zu gewähren. Giachen und Regina verstehen sich gut, da müssen sie sich keine Sorgen machen. Giachen ist ein aufgeweckter Junge mit blonden Haaren und blauen Augen, Regina ein eher zartes Mädchen mit schwarzen Haaren und fast ebenso dunklen Augen. Von der gegenseitigen Neugierde der beiden wissen die Großen nichts.

    Nach dem Trauergottesdienst tragen die Knaben den Sarg mit der Base Paulina, die zeitlebens so dünn gewesen ist, dass jeder Windstoß sie hätte wegtragen können, zum Friedhof. Die kleine Schar folgt ihnen.

    Während die Kirchglocken mit traurigem Klang die Grablegung begleiten, kommt unten im Dorf ein schwerer Mann, an der Kleidung unschwer als Bauer zu erkennen, in die Ustria Cruna. Es ist der Vater von Regina, der mit gerötetem Kopf, Schweißperlen auf der Stirn, in verschwitztem Hirtenhemd mit dunklen Flecken auf der Brust und unter den Armen die einfache Gaststätte betritt. Sein »Bun di« ist kaum zu vernehmen.

    Mit gepresster Stimme verlangt der Bauer nach einem Schnaps. Er stürzt ihn in einem Zug hinunter. Fordernd bestellt er sogleich einen zweiten. Die Wirtin, von der ungestümen Art ihres Stammgastes überrascht, ist erfahren genug im Umgang mit spannungsgeladenen Gästen. Eine Frage zur Unzeit würde nur Ärger bringen. Sie beeilt sich, dem Nachbarn ein bis an den Rand gefülltes Glas mit Kirschenschnaps hinzustellen. Er kippt auch diesen Doppelten hinunter, ohne sie eines Blickes zu würdigen. »Noch einen, dann ist gut«, gurgelt er verwaschen, aber für die Wirtin doch deutlich genug. Wieder trinkt er das Glas in einem Zug aus. Dann sackt er in sich zusammen und verbirgt seinen Kopf unter seinen schweren Händen. So verweilt er eine halbe Stunde, bis er wortlos die Gaststätte verlässt.

    Nach der Totenfeier sucht die Mutter ihren Giachen, kann ihn aber nirgends finden. Zuerst geht sie zur Mutter von Regina, doch die weiß nichts über den Verbleib des Knaben. Auch das kleine Mädchen mit dunklem Haar, das sich bei ihr in der Küche aufhält, schüttelt auf die drängenden Fragen nach Giachen, wo der sei oder sein könnte, nur schweigend den Kopf, zuckt auch mit den Achseln, bedeutet damit wortlos, sie wisse nichts.

    Darauf läuft die nun besorgte Mutter durch das Dorf. Alle zwanzig Meter schreit sie zunehmend verzweifelt den Namen ihres Giachen aus sich heraus, aber die Rufe werden von den Häusern ohne jedes Echo verschluckt. Niemand antwortet. Doch sie gibt nicht auf. Erneut geht sie durchs Dorf, von Haus zu Haus, klopft an jede Tür. »Habt ihr meinen Giachen gesehen?« Doch niemand kann ihr helfen, niemand weiß etwas, niemand will etwas gesehen haben.

    Am Abend kommt der Vater von Giachen, den ein Cousin verständigt hat, vom Maiensäss zurück ins Dorf. Zuerst will er sich voller Wut an seiner Frau vergreifen, besinnt sich aber gerade noch und eilt hinunter an den Rhein, von Angst gepackt, sein Bub könnte ertrunken sein. Während Stunden läuft er am Fluss entlang auf und ab, ohne seinen Sohn zu finden. Erst als es Nacht wird, kehrt er zurück ins Dorf.

    Der Vater hat Bedenken wegen möglicher Kosten, die Mutter fürchtet die Schmach, wenn man den Eltern mangelnde Fürsorge vorwerfen würde. Doch gegen Mitternacht halten sie es nicht mehr aus. Der Vater geht zur Ustria Cruna, zum einzigen Telefon im Ort, um die Polizei anzurufen.

    In Samedan, dem Bezirkshauptort im benachbarten Tal, wohin man mit dem Auto über den Ofenpass als einzige Verbindung eine gute Stunde benötigt, verlangt der wachhabende Beamte, zuerst die Personalien des Anrufers aufzunehmen. Dann erst lässt er sich berichten, stellt die eine oder andere Frage, ohne sich von der zunehmenden Ungeduld des Anrufers aus der Ruhe bringen zu lassen. Man werde sich morgen der Sache annehmen, jetzt in der Nacht sei nichts mehr zu machen.

    Regina findet keinen Schlaf, zu sehr ist sie aufgewühlt. Als sie auf dem Gang ein Geräusch zu vernehmen glaubt, erschrickt sie. Hat sie Giachen rufen gehört? Sie schaut nach, es ist niemand auf dem Gang.

    Am nächsten Morgen erscheint die Polizei mit vier Mann vor Ort. Zwei Beamte organisieren die Suche nach dem Knaben, fragen nach Freiwilligen, die mit ihnen systematisch das Dorf und das umliegende Gelände absuchen sollen. Die zwei anderen Beamten, einer in Zivil, nehmen den Wirtsraum der Ustria Cruna in Beschlag, um dort die Befragungen der Dorfbewohner durchzuführen. Sie beginnen mit den Eltern von Giachen, denen alles über ihr Kind abgefragt wird: »Wo pflegte er zu spielen, wo hatte er Verstecke, welche Kontakte gab es, besonders zu Erwachsenen?« Die Mutter ist in Tränen aufgelöst, besonders weil der Mann in Zivil immer die Vergangenheitsform benutzt, als wäre ihr Kind schon tot.

    Die Befragung der Eltern ergibt keine greifbaren Anhaltspunkte für den Verbleib Giachens. Das Interesse der Beamten verlagert sich deshalb auf Regina, hat die Mutter von Giachen doch ausgesagt, dass das Nachbarskind vor ihrem Kirchgang hinter dem Haus mit ihrem Sohn gespielt habe. Sie lassen nach ihr rufen. Es vergeht nur wenig Zeit, bis das kleine Mädchen, begleitet von beiden Eltern, in der Gaststätte erscheint.

    »Weißt du, wo Giachen ist?« Der Beamte versucht, seiner rauchigen Stimme einen liebevollen Klang beizugeben, als er die erste Frage an Regina stellt. Doch das Mädchen sagt nichts, schüttelt nur den Kopf, was aber unverkennbar Nein bedeuten soll.

    »Weißt du, wohin er gegangen ist, als ihr euch getrennt habt?« Der Beamte ist versucht, sich auf die Zunge zu beißen. Die Frage erscheint ihm viel zu kompliziert aufgebaut für ein Kind dieses Alters. Doch gesagt ist gefragt. Regina zögert, aber wiederum schüttelt sie nur den Kopf. Nach weiteren fünf Fragen, die Regina ebenfalls keinen Ton entlocken können und stets nur ein Kopfschütteln zur Folge haben, verlegt der Beamte seine Aufmerksamkeit auf die Eltern.

    Der Vater hat bislang keinen Ton gesagt, aber ruhig wirkt er nicht. Der Beamte glaubt eine versteckte Aggression zu verspüren, die Augen des Bauern sind lauernd, wie eine Kobra vor dem Angriff. Die Mutter dagegen wirkt auf ihn apathisch, schwach und voller Sorgen. Ihre schweren Augenringe offenbaren, dass sie in der vergangenen Nacht keinen Schlaf hat finden können. Die blauen Flecken am Hals sind aber gewiss auf einen anderen Grund zurückzuführen. Der Beamte bittet den Vater, den Raum zu verlassen, damit die Befragung ohne seine Anwesenheit fortgeführt werden könne. Zu seiner Überraschung steht der kräftige Bauer wortlos auf und dreht sich Richtung Ausgang. Was dem Beamten dabei entgeht, ist der Blick, den Regina in diesem Moment des Sich-Umdrehens von ihrem Vater empfängt.

    »Nun sag uns, was du über Giachen weißt.« Der Beamte möchte dem Mädchen Sicherheit vermitteln, es könne jetzt frei aussagen. Doch er muss sich schnell eingestehen, dass seine Idee nicht verfängt. Er hat gehofft, ohne Vater würde er die Kleine zum Reden bewegen können. Doch erneut gibt das Mädchen nichts über ein Kopfschütteln oder Schulterzucken hinaus von sich her. Zunehmend genervt fordert der Beamte die Mutter auf, doch auf ihre Tochter einzuwirken, sie zum Sprechen zu bringen. Er macht auch eine Bemerkung zu den blauen Flecken, doch die Mutter geht nicht darauf ein, das tue nichts zur Sache. Regina bleibt stumm.

    Nach einer halben Stunde muss der Beamte feststellen, dass das Kind kein einziges Wort gesagt hat. Einzig auf die Frage, wie es heiße, hat das zarte, schwarzhaarige Mädchen mit einem leisen »Regina« geantwortet. Ein sympathisches Kind, findet der Beamte und beendet das Verhör.

    Die Wirtin hat sich erfrecht, von ihrem Platz hinter dem Buffet das Geschehen mitzuverfolgen. Schließlich musste sie den Behörden ja den einen oder anderen Kaffee bringen. Als Regina mit ihrer Mutter den Raum verlässt, hält sie es nicht länger aus. Mit einem Tablett kommt sie zum Tisch, scheinbar um das Kaffeegeschirr abzuräumen, doch dann stellt sie sich breit vor die beiden sitzenden Polizisten hin.

    »Ihr Herren, ich muss euch dringend etwas erzählen! Schuld am Verschwinden von Giachen hat ganz bestimmt der Vater von Regina.« Dann beugt sie sich vor und schildert detailliert den Besuch des Bauern am Vortag, sein auffälliges Trinkverhalten sowie sein sonstiges Benehmen. Der Verdacht der Wirtin überträgt sich sekundenschnell auf die Beamten. Kein Zweifel, der Rohling, der seine Frau schlägt, die Tochter zum Schweigen anhält, muss der Täter sein.

    Der Chef der Einheit, der die Befragungen geleitet hat, fordert telefonisch beim Staatsanwalt in Chur einen Haftbefehl an. Zwei Stunden später wird Reginas Vater in Handschellen gelegt, in ein Polizeifahrzeug verfrachtet und über den kurvigen Ofenpass nach Samedan ins Gefängnis überführt.

    Nachts denkt Regina an ihren Vater, der nun schon zwei Wochen in Untersuchungshaft ist, aber Besuch bekommt sie von Giachen. Sie glaubt, gerade den ersten Hahnenschrei gehört zu haben, obwohl es noch nicht aufhellt, da flüstert ihr Giachen ins Ohr: »Dein Vater lässt mich nicht, aber du, du lässt mich, ja?«

    Zwei Monate vergehen. Der Beschuldigte bestreitet in jedem Verhör, den Knaben an diesem helllichten Tag seines Verschwindens auch nur gesehen zu haben. Der Richter ist nicht länger bereit, die Untersuchungshaft gegen den Vater von Regina zu verlängern. Außer den Aussagen

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