Embodied Design in Innovation und Kommunikation: Durch erlebensbezogenes Denken neue Handlungsräume entdecken – Theorie und Praxis
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Über dieses E-Book
Ein Buch für Geschäftsführer, Innovationsverantwortliche, Change-Manager, Marketing- und Vertriebsexperten, Organisationskommunikatoren sowie interessierte Studierende, die neue Wege beschreiten wollen.
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Buchvorschau
Embodied Design in Innovation und Kommunikation - Judith Papadopoulos
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
J. PapadopoulosEmbodied Design in Innovation und Kommunikationhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-31906-9_1
1. Einstimmen und Annähern
Judith Papadopoulos¹
(1)
Hochschule der Medien Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
Judith Papadopoulos
Email: papadopoulos@hdm-stuttgart.de
Zusammenfassung
Mit dem Embodied Design betreten wir Neuland der menschzentrierten Gestaltung. Da es zu Beginn ungewohnt ist, den Einfluss des Körpers auf das Denken zu erkennen, biete ich in diesem Kapitel einen Panoramablick auf das Embodied Design. Dieser Rundumblick macht das Wesen einer verkörperten Kognition und ihre Auswirkungen auf das kreative Denken und Schaffen sichtbar. Das Bindeglied zwischen Körpererfahrung und Denken sind Metaphern, die als Wahrnehmungsbrillen fungieren und unsere Sicht auf die Welt prägen. Sie sind ein wirkungsvolles Werkzeug, um unbewusste, manchmal irreführende Denkweisen deutlich zu machen, neue Perspektiven zu erschließen und einen spielerischen Perspektivwechsel zu ermöglichen.
Der Mensch ist paradox. Beziehungssuchende, die sich nicht begehrenswert fühlen, verhalten sich in einer beginnenden Liebesbeziehung so zickig, dass sich auch der Verliebteste irgendwann von ihnen abwendet und ihr Weltbild bestätigt. Verbraucher möchten mit gutem Gewissen einkaufen, aber möglichst wenig zahlen. Käufer ergattern reduzierte Ware und meinen, dabei etwas verdient zu haben. Der Mensch will sich verändern, hält aber am Alten fest.
Paradoxien sind vielfältig und begegnen uns häufig. Meist nehmen wir sie nicht wahr oder ignorieren sie einfach, weil sie unbequem und spannungsbeladen sind. Wenn wir uns jedoch die Zeit gönnen, sie zu betrachten und uns mit ihnen zu beschäftigen, werden wir mit frischen Gedanken, Perspektiven und Erkenntnissen beschenkt. So auch im Embodied Design, das aus der Beobachtung des folgenden Paradoxons in der menschzentrierten Gestaltung hervorgegangen ist: Menschzentrierte Designansätze rücken den Menschen in den Mittelpunkt und richten den Gestaltungsprozess an seinem Erleben aus. Erstaunlich ist die paradoxe Sichtweise, die Emotionen und Bedürfnisse zu betrachten, aber den Körper als Träger des Erlebens zu ignorieren. Zu leicht wird darüber hinweggesehen, dass wir in einem Körper leben, über den wir mit der Umwelt interagieren und mit der Außen- und Innenwelt verbunden sind (Barsalou 2008; Johnson 1987; Smith 2005; Wilson 2002). Diese körperlichen Aspekte des Menschseins, die bis in unsere Kognition hineinreichen und diese sogar erst ermöglichen, erforscht die Kognitionswissenschaft unter dem Begriff des Embodiments (zu Deutsch etwa Verkörperung). Ihre Ergebnisse zeigen, dass wir unsere kognitiven Fähigkeiten wie Wissen, Vorstellungskraft oder Lernen aus unseren körperlichen Erfahrungen in der Welt bilden. Das klingt abstrakt? Machen wir es konkret und schauen uns die körperliche Verankerung unserer Kognition am Beispiel der Erfahrungen von oben und unten an. Fallen Ihnen spontan alltägliche Situationen und Handlungen ein, die auf eine Oben-Unten-Relation bezogen sind? Bestimmt, denn sie sind so zahlreich wie Sand am Meer. Wir legen uns z. B. zum Schlafen hin (unten), stehen auf, wenn wir fit und wach sind (oben), haben eine aufrechte Haltung, wenn wir gesund sind (oben), nehmen eine gebückte Haltung ein, wenn wir schlapp oder krank sind (unten), erklimmen den Berg (oben) und steigen hinab ins Tal (unten) usw. All diese körperlichen Zustände und Aktivitäten werden von Gefühlen oder Bewertungen begleitet wie z. B. Kraft und Stärke (z. B. bei Wachheit und Gesundheit), Erhabenheit (z. B. auf dem Berg) oder Winzig- und Bedeutungslosigkeit (z. B. Tal) sowie Schwäche (Krankheit). Gleichzeitig beobachten wir in der Welt Zusammenhänge, die wir mit diesen Oben-Unten-Erfahrungen zusammenbringen wie den kausalen Zusammenhang zwischen mehr ist oben und weniger ist unten. Dieser resultiert aus der Beobachtung, dass Flüssigkeit in einem Behälter (z. B. Staubecken, Glas) nach oben steigt, je mehr von ihr hineinfließt. Letztlich münden zahlreiche unterschiedliche körperliche Erfahrungen, Begleitgefühle, beobachtbare Zusammenhänge und persönliche oder kulturelle Bewertungen in das Oben-Unten-Schema, die – vereinfacht betrachtet – dazu führen, dass wir oben mit mehr, gut, mächtig und erfolgreich assoziieren und unten mit schlecht, arm, hilflos, schwach, bedeutungs- und erfolgslos. Dieses Bedeutungsknäuel übertragen wir auf abstraktere, meist erlebnisärmere Bereiche wie z. B. Emotionen (wir sind obenauf vs. wir sind niedergeschlagen oder down), den Börsenmarkt (fallende vs. steigende Kurse), den Computer (hoch- vs. runterfahren) oder Organisationsstrukturen (Top-Management vs. Basis, Top-Down- vs. Bottom-Up-Prozesse, übergeordnete vs. untergeordnete Funktionen). Wie die Begriffe in den Klammern andeuten, erkennen wir in der Sprache die Spuren körperlicher Erfahrungen, die Verstehen ermöglichen und unser Denken prägen. Aber nicht nur in der Sprache entdecken wir sie, sondern auch in Bildern (z. B. Organigrammen für Unternehmenshierarchien), in Raumaufteilungen (z. B. Chefetage ist oben mit freiem Blick aus dem Fenster), in Gegenständen (z. B. dem Siegerpodest, bei dem der Sieger höher platziert ist als der Zweit- oder Drittplatzierte) oder Tönen (z. B. bei einigen Kopfhören, bei denen ein steigender Ton zu hören ist, wenn sie mit dem Handy verbunden werden).
Körperliche Erfahrungen sind folglich eng mit unserem Denken in und über die Welt verflochten, denn wir sind verkörperte Wesen und auch unser Denken ist verkörpert (Geerearts 2006; Gibbs, 2005). Zugleich ist in diesem Körper unsere Intuition zu Hause, die uns unbewusst lenkt und einen großen Schatz an Wissen für uns bereithält (Gendlin 2016). Körper und Geist wiederum sind eingebettet in eine Umwelt und komponieren einen Dreiklang aus Körper-Geist-Umwelt mit vielfältigen Wechselwirkungen (Hampe 2005; Storch et al. 2006).
An diesem Dreiklang richtet sich das Embodied Design aus und löst das Körper-Geist-Paradox menschzentrierter Gestaltung: Es trägt das Körperliche im Namen, um die bedeutsame Rolle des Körpers im kreativen Gestaltungsprozess zu betonen, und zeigt einen Weg, Innovation und Kommunikation neu, nämlich körperbezogen zu denken und zu gestalten. Embodied Design ist ein erlebensbezogenes Vorgehen in kreativen Denk- und Handlungsprozessen, das sowohl im engeren Designkontext als auch über diese Grenze hinaus überall dort eingesetzt werden kann, wo Veränderungen, Transformationen und Innovationen angestoßen und gestaltet werden. Es hört allerdings nicht bei der kreativen Lösung, der Erneuerung, auf, sondern geht weiter. Es bietet einen Rahmen für Innovations- und Change-Kommunikatoren, die Kommunikation in dem Entwicklungsprozess Hand in Hand mit dem Designteam zu gestalten und darüber hinaus die Erneuerung mit den Bezugsgruppen gemeinsam in den Lebensalltag zu integrieren. Dadurch wird Embodied Design ein Begleiter für alle, die neue Ideen entwickeln, komplexe Probleme lösen sowie Veränderung und Kommunikation aktivierend gestalten wollen.
Bei diesem neuartigen Designprozess wird uns ein Prinzip unterstützen, das zunächst ungewohnt erscheint: das des metaphorischen Denkens. Blicken wir erneut auf das Beispiel des körperlich gebildeten Oben-Unten-Schemas, das auf Organisationsstrukturen übertragen ein Denken in Hierarchien eröffnet. Wir greifen auf einen körperlichen, erlebnisnäheren Erfahrungsbereich zurück, um etwas Abstraktes zu erschließen und zu verstehen (Gibbs 2003; Johnson 1987). Es ist ein metaphorischer Vorgang, der nicht als sprachliches Phänomen abgetan werden kann, sondern tiefer betrachtet werden muss; es ist ein Verstehen, das sich aus dem körperlichen Erleben heraus entfaltet (Gibbs et al. 2004). Wählen wir eine andere Erfahrung als Quelle der Übertragung, verändert sich unsere Perspektive und wir erlangen ein anderes Verständnis. Nähern wir uns diesem Perspektivwechsel durch einen Vergleich, indem wir uns einen alternativen körperbasierten Zugang zu Organisationsstrukturen bewusst machen. Ein Gegenentwurf zur Hierarchie ist die Holokratie. „In einer Holarchie ist jeder Teil oder jedes Holon den darüber liegenden Teilen nicht untergeordnet, sondern behält Autonomie, individuelle Autorität und Ganzheit" (Robertson 2016, S. 43). In einer Holokratie haben Hierarchien mit starren über- und untergeordneten Machtstrukturen keinen Platz. Stattdessen bilden Mitarbeiter Gruppen, die als Kreise verstanden werden. Diese Gruppen-Kreise sind Teil eines größeren Kreises und bilden gemeinsam den umfassenden Kreis der gesamten Organisation. Erkennen Sie die Handschrift unserer körperlichen Erfahrungen in diesem Verständnis von Organisationsstrukturen? Es sind sicherlich mehrere, aber drei körperbasierte Schemata stechen deutlich hervor: Kreis, Innen-Außen und Teil-Ganzes.
Ein Kreis-Schema verwenden wir häufig in Diagrammen, aber auch für Zyklen wie Wochentage oder Jahreszeiten. Es basiert auf Erfahrungen wie Armkreisen oder Rundwanderungen, bei denen wir an einem Punkt starten, uns in eine Richtung vorwärtsbewegen und an denselben Punkt zurückkehren, an dem wir gestartet sind.
Das Innen-Außen-Schema erleben wir bspw., wenn wir uns mit anderen Menschen an den Händen halten und einen Kreis bilden. Dann gibt es einen Raum im Kreis und außerhalb des Kreises. Innen-Außen erleben wir aber auch, wenn wir in Räume hinein- oder aus ihnen heraustreten, oder durch unseren Körper selbst, den wir als Behälter für unsere Organe oder mentalen Prozesse begreifen. Diese liegen innen, während für uns andere Menschen oder die Umgebung im Außen liegen.
Unser Körper bildet mit seinen verschiedenen Organen (Teile) ein Ganzes, eine Erfahrung, die – zusammen mit weiteren vergleichbaren Erfahrungen (z. B. ein Auto, das sich aus Türen, Lenker, Sitzen usw. zusammensetzt) – zum Teil-Ganzes-Schema führt.
Wenn wir diese Schemata auf unsere Vorstellung von Gruppen beziehen, dann befinden sich diejenigen im Kreis, die zur Gruppe gehören, und diejenigen, die nicht dazu gehören, außerhalb des Kreises. Die skizzierten Schemata schimmern auch in der Organisationsstruktur der Holokratie durch und fördern ein Verständnis von Organisationen, in denen Mitarbeiter mit anderen eine Einheit bilden, um einen fließenden Arbeitsprozess anzustoßen, gleichzeitig aber als Teil (Kreis) der gesamten Organisation mit den anderen verbunden bleiben und über diese Verbindungen die Organisationen zusammenhalten. Das Denken und Handeln in einer Hierarchie unterscheidet sich grundlegend von dem in einer Holokratie, so wie sich auch die körperlichen Erfahrungen voneinander unterscheiden, die diesen Modellen und Perspektiven zugrunde liegen (vgl. Abb. 1.1).
../images/482893_1_De_1_Chapter/482893_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Körperliche Erfahrungen in den Organisationsstrukturen der Hierarchie (links) und der Holokratie (rechts)
Wir spüren bereits durch die vergleichende Betrachtung, dass die Art des metaphorischen Denkens ein Erkenntnistor ist, das Muster sichtbar macht, Perspektiven eröffnet und frische Gedanken fördert. „Wir sehen nichts, bis wir die richtige Metapher für etwas gefunden haben", betont der Wissenschaftsphilosoph Thomas Kuhn. Das Embodied Design bietet einen Ansatz zur systematischen Arbeit mit Metaphern, der uns Schritt für Schritt zur kreativen Lösung führt. Wahrscheinlich werden Sie sich fragen: Warum Metaphern? Und wie können sie ein Werkzeug der Erkenntnis sein? Diese Fragen sind berechtigt. Als ich vor fast 20 Jahren begonnen habe, mich mit Metaphern auseinanderzusetzen, führten sie größtenteils ein Schattendasein und wurden als Redeschmuck abgetan. Erst in den letzten Jahren änderte sich das Verhältnis zu Metaphern grundlegend: Wissenschaft und Praxis erkennen mehr und mehr ihre universelle Kraft auf unser Fühlen, Denken und Handeln an (Gibbs 2008). Und wer es wagt, in die Welt der Metaphern einzusteigen und tiefer zu blicken, wird ihre Allgegenwärtigkeit erkennen und die Welt mit anderen Augen sehen. Der Schritt hin zu einer bewussten Auseinandersetzung mit Metaphern erinnert mich an den Film Matrix und die Szene, in der Neo vor die Wahl zwischen der blauen und der roten Pille gestellt wird: Nimmt er die rote, wird er die Welt mit anderen Augen sehen und tiefer blicken können, nimmt er hingegen die blaue Pille, bleibt die Welt für ihn unverändert. Die Entscheidung, sich bewusst mit den Metaphern auseinanderzusetzen, gleicht der Wahl für die rote Pille. Jetzt haben Sie noch die Chance, die blaue Pille zu nehmen, das Buch zu schließen, beiseite zu legen und die Welt wie gewohnt zu betrachten. Wenn Sie aber weiterlesen, wird sich ihre Wahrnehmung verändern. Sie werden erkennen, dass Metaphern unsere Brillen der Wahrnehmung sind, die uns dabei helfen, die Welt um uns herum zu erblicken und zu verstehen (Papadopoulos 2020); und Sie werden erleben, wie überraschend und befreiend es sein kann, sich dieser Brillen bewusst zu werden, die alte abzulegen und eine neue aufzusetzen. Das schafft neue Sichtweisen und stößt kreatives Denken an.
Wagen wir hierzu ein kleines Gedankenexperiment: Nehmen wir als Beispiel das Thema Ökonomie. Eine prägende Metapher für den Markt ist die des Wettkampfs – der erste, schnellste und fitteste wird den Markt erobern und sich durchsetzen. Wie aber würde die Ökonomie aussehen, wenn wir die metaphorische Brille des Macht-Kampfes absetzen und stattdessen die eines liebevollen Gärtners oder eines gemeinschaftlichen Tanzes aufsetzen? Durch die Gärtner-Brille sehen wir Unternehmen, die sich um einen fruchtbaren Nährboden des Marktes kümmern; er ermöglicht ein gesundes Wachstum ihrer Ideensaat. Sie pflegen ihre Produkte und achten auf günstige Umweltbedingungen sowie Reifezeiten, damit die Ernte für die Anwender bunt und reichhaltig ausfällt. An Ausdrücken wie Produktzyklus und Reifephasen erkennen wir, dass diese Metapher bereits in der Ökonomie angekommen ist und unsere Sichtweisen sowie unser Handeln im Markt prägen. Wechseln wir die Brille und ziehen die des Tanzes auf, dann erkennen wir Unternehmen, die zum Tanz der Produkte bitten. Sie bewegen sich rhythmisch zur Melodie der Kunden und achten auf ausreichend Bewegungsfreiheit auf der Tanzfläche des Marktes. Sie können sich nicht vorstellen, dass jemals tatsächlich jemand so über den Markt sprechen würde? Ich auch nicht, denn es ist für uns ungewohnt und entsprechend schwierig, die Welt der Ökonomie durch eine andere Brille zu erkennen und zu begreifen. „Die Schwierigkeit liegt nicht so sehr in den neuen Gedanken, als in der Befreiung von den alten, die sich bei allen, die so erzogen wurden, wie die meisten von uns, bis in die letzten Winkel ihres Verstandes verzweigen" (Keynes 2009, S. XI). Ja, es fällt uns schwer, uns von unseren gewohnten Denkmustern und -prägungen zu lösen. Das Embodied Design unterstützt uns bei dieser Herausforderung, denn es öffnet über einen körperbezogenen ganzheitlichen Ansatz Türen, um alte Denkräume zu verlassen und weist uns Wege, um neue Denkräume zu erschließen. Dieser körperbezogene Aspekt ist deshalb zentral, weil unsere körperlichen Erfahrungen in der Welt kognitive Vorgänge wie kreatives Denken und Handeln erst ermöglichen, anstoßen und fördern. Die Verbindung zwischen Körper-Geist-Umwelt bilden größtenteils die Metaphern, und die Kognitionswissenschaft zeigt eindrucksvoll, dass unser Denken metaphorisch und das kreative Denken ein Spiel mit Metaphern ist. Metaphern sind ein Werkzeug, um Abstraktes zu verstehen (Schrauf 2011), verborgene Perspektiven sichtbar zu machen (Thibodeau und Boroditsky 2011; Keefer und Landau 2014) und neue Erkenntnisse zu gewinnen (Spieß 2014; Gentner und Gentner 1983); sie sind Ausdruck unseres verkörperten Denkens, dessen Spuren wir besonders gut in der Sprache entdecken können. Schauen wir uns diese Spuren am Beispiel der Sprache über kreative Gestaltungsprozese an: wir nähern uns komplexen Problemen, betrachten sie aus verschiedenen Blickwinkeln, suchen neue Sicht-weisen, um sie besser zu ver-stehen, zu be-greifen und streben nach dem Sinn, der Be-deutung, um Erkennt-nis zu er-langen, aber bitte keine bittere Erkennt-nis. Die körperlichen Spuren sind in all diesen Aus-drücken sichtbar.
Aber die Sprache ist nicht die einzige Modalität, in der sich Metaphern zeigen. Als Prinzip des Denkens ebnen sich Metaphern ihren Weg zum Ausdruck multimodal (z. B. visuell, haptisch, akustisch) wie zahlreiche Beispiele im Produkt-, Interaktions- und Ausstellungsdesign eindrucksvoll zeigen (vgl. Abschn. 3.3.2 Die bunte Welt der Metaphern). Da die Sprache in bisherigen kreativen Gestaltungsprozessen zu kurz kommt, wird sie im Embodied Design betont, ohne die anderen Modalitäten zu vernachlässigen. Gelingt es uns, sensibler für die metaphorischen Spuren in den vielfältigen Ausdrucksformen zu werden, erhalten wir einen Zugang zum bewussten und unbewussten Denken gleichermaßen. Dadurch harmonisieren wir den Dreiklang Körper-Kognition-Umwelt und schöpfen das kreative Potenzial voll aus, um menschzentrierte, ganzheitlich wirkende Lösungen zu entwickeln. Das Embodied Design eröffnet und unterstützt genau dieses kreative Spiel mit den Metaphern, um die Grenzen unseres Denkens zu durchbrechen und Neuland zu erkunden. Aber dazu später mehr …
Literatur
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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
J. PapadopoulosEmbodied Design in Innovation und Kommunikationhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-31906-9_2
2. Innovation, Kommunikation und Embodied Design
Judith Papadopoulos¹
(1)
Hochschule der Medien Stuttgart, Stuttgart, Deutschland
Judith Papadopoulos
Email: papadopoulos@hdm-stuttgart.de
Zusammenfassung
Innovation ist ohne Kreativität und Kommunikation nicht möglich. Deshalb beleuchte ich in diesem Kapitel ihre Bedeutungen, Ursprünge sowie Berührungspunkte untereinander. Von dort aus blicke ich zum Embodied Design und veranschauliche, wie dieses das Dreiecksgeflecht verändert, festgefahrene Denkstrukturen aufbricht und neue Wege im kreativen Denken und Handeln aufzeigt.
Beginnen wir mit folgenden Fragen: Woher kommt das Neue? Wie entsteht es? Ist es einfach da, kommt es plötzlich, ist es in mir oder außen? Ist es schon immer da und muss nur entdeckt werden? Diese Frage nach der Quelle des Kreativen fasziniert und beschäftigt uns Menschen seit jeher. In der Antike ordnete man das Kreative einer göttlichen Macht zu und betrachtete es als Gabe Gottes. Es war etwas, das man der Außenwelt zuordnete und von dort zu uns kam – ähnlich wie die Geistesblitze, die uns plötzlich treffen und das Neue aus dem scheinbaren Nichts hervorbringen. Erst mit Beginn der Aufklärung spann man den entgegengesetzten Bogen und sah das Neue nicht im Außen, sondern im Menschen selbst: Der Mensch, so nahm man an, trägt die schöpferische Kraft in sich und besitzt die Fähigkeit, von sich aus Neues hervorzubringen und zu schaffen. Allerdings war dieses kreative Potenzial ausschließlich Künstlern vorbehalten – nur sie besaßen die Fähigkeit, kreativ zu sein. Dadurch wurde Kreativität zu etwas Exklusivem. Auch die darauffolgende Epoche des Sturm und Drang hielt an diesem Erlesenheitsgedanken fest. Das schöpferische Potenzial wurde allerdings emotionalisiert, um den bis dahin prägenden Kult um die Ratio zu durchbrechen und gegen die gnadenlose Verachtung der Emotionen zu rebellieren. Für die jungen Wilden drückte sich in der Kunst die Individualität des Künstlers aus, seine persönliche Erlebnis- und Erfahrungswelt. Der Künstler wurde aufgrund seiner überragend schöpferischen Geisteskraft zum Genie erklärt und verehrt. Diese Faszination am Schöpfen des Neuen spiegelt sich auch in der Sprache wider: Im 19. Jahrhundert etablierte sich der Begriff „kreativ" (vom lateinischen creare = neu schöpfen, etwas erfinden) im deutschen Sprachgebrauch.
Der Geniekult ist heute weitestgehend verklungen, aber die Faszination am kreativen Schaffen ist geblieben; vielmehr noch ist kreativ sein ein aktueller Trend in unserer Gesellschaft. Diese Fähigkeit gibt uns die Power, den Veränderungsdynamiken nicht nur passiv und ohnmächtig gegenüberzustehen, sondern das Leben im Hier und Jetzt zu gestalten. Darüber hinaus entdeckt die Gesellschaft die Kraft, über die Kreativität Erneuerungen für die Probleme unserer Zeit hervorzubringen und anzugehen. Für Organisationen wird Kreativität zu einem unbestrittenen Erfolgsfaktor, denn sie ist eine wertvolle Schöpferin von Erneuerungen, mit denen sie sich vom Wettbewerb abgrenzen und behaupten können. Willkommen im Zeitalter der Innovationen.
2.1 Let’s innovate
Aus dem steigenden ökonomischen und wirtschaftlichen Interesse an Innovationen entwickelte sich das neue Feld der Kreativitätsforschung. Sie ist den Mechanismen und Zusammenhängen des kreativen Denkens auf der Spur. Erfreulicherweise bestätigen bisherige Ergebnisse, dass sich die Gehirne von uns „Normalsterblichen nicht grundlegend von denen der Genies unterscheiden. Aus dieser Erkenntnis heraus wächst ein neues (Selbst-)Bewusstsein, dass Kreativität nicht nur einem bestimmten Personenkreis (z. B. Dichter, Designer oder Künstler) vorbehalten ist, sondern in jedem Menschen ein kreatives Potenzial schlummert, das geweckt und entfaltet werden kann. Dieses Bewusstsein macht es möglich, den Designer in uns zu aktivieren: Wir verstehen uns mehr denn je als Problemlöser, als Ermöglicher und Macher neuer Ideen, und fühlen uns als Designer unseres Lebens, das wir entwerfen und formen; die Aussage „Everyone designs
(Dubberly 2004) wird real und Designen ein Lebensgefühl.
Kreatives Schaffen, das sich im Designen ausdrückt, ist dabei nicht nur als Problemlöseprozess zu verstehen; denn auch ohne einem Problem gegenüberzustehen, kann es sinnvoll sein, das Gewohnte in Frage zu stellen und jede Sekunde neu zu entscheiden, wie die nächsten Schritte gestaltet werden können. In diesem Sinn können wir das Designen als Ermöglichungs- und Verwirklichungsprozess betrachten, in dem die Kreativität zu einem Sprungbrett für Innovationen wird. Auch wenn Kreativität und Innovation häufig synonym verwendet wird, unterscheiden sie sich.
Eine Innovation (aus dem lat. innovere = erneuern, verändern) beschreibt eine Erneuerung, die wirtschaftlich umgesetzt und von der Gesellschaft oder zumindest den Anwendern akzeptiert und genutzt wird. Von Innovationen sprechen wir daher häufig in einem wirtschaftlich-technologischen Kontext und von Ideen oder Erfindungen, wenn diese am Markt etabliert und von der Gesellschaft akzeptiert sind. Eine Innovation kann sich dabei auf die Erneuerung als Ergebnis oder Lösung beziehen,