Tod eines Loverboys. Ostfriesenkrimi
Von Susanne Ptak
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Die sechzehnjährige Leonie wird im ostfriesischen Leer tot aufgefunden. Wenig später liegt ihr vermeintlicher Freund Jannik ermordet in einem nicht weit entfernten Waldstück. Ist ein jugendliches Eifersuchtsdrama aus dem Ruder geraten? Kommissarin Insa Warnders ahnt zunächst nicht, welche Abgründe sich in diesem Fall auftun. Jannik Dreesen war ein Loverboy – ein Mann, der junge Mädchen emotional abhängig macht und sie zum Äußersten zwingt. Stecken verzweifelte Eltern hinter der Tat? Aber wieso musste dann auch Leonie sterben? Von einem weiteren jungen Mädchen fehlt jede Spur, genauso wie von dem Hauptverdächtigen. Plötzlich ermittelt Insas Tochter Lea ungefragt auf eigene Faust und begibt sich dabei in größte Gefahr...
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Buchvorschau
Tod eines Loverboys. Ostfriesenkrimi - Susanne Ptak
Prolog
Leonies Herz hüpfte, als sie aus dem Schulgebäude trat und Jannik erblickte, der lässig an sein Cabrio gelehnt stand, welches er dreisterweise einfach im Halteverbot geparkt hatte. Beinahe körperlich spürte sie die bewundernden und auch neidischen Blicke ihrer Schulkameradinnen, die sich wahrscheinlich zum wiederholten Male die Frage stellten, womit ausgerechnet Leonie einen derart attraktiven Kerl verdient hatte.
Sie beschleunigte ihre Schritte und lag kurz darauf in Janniks Armen, der sie auch sogleich vor den Augen der anderen leidenschaftlich küsste. Wie sehr sie ihn liebte! Immer wusste er genau, was sie wollte und brauchte!
»Lass uns einsteigen, ich darf hier eigentlich nicht parken«, flüsterte Jannik in Leonies Ohr und schweren Herzens löste sie sich aus seiner Umarmung.
»Hey, Leonie!«
Als Leonie sich umwandte, stand Jana vor ihr. Sie war die Jahrgangsstufensprecherin und wahrscheinlich das mit Abstand hübscheste und beliebteste Mädchen der Schule.
Leonie war in höchstem Maße überrascht, dass Jana ihren Namen kannte. »Was gibt’s?«, fragte sie und versuchte, sich möglichst lässig zu geben.
»Saskia sagte, ich soll euch fragen, ob ihr beiden nicht Lust habt, am Samstag zu ihrer Party zu kommen?« Jana schenkte Jannik ein hinreißendes Lächeln.
»Mal sehen«, antwortete er kurz.
Leonie warf ihm einen raschen Seitenblick zu. Warum wartete er nicht auf ihre Entscheidung? Doch dann fiel ihr ein, dass man sich bestimmt interessanter machte, wenn man nicht immer verfügbar war. Also sagte auch sie: »Mal sehen. Wenn wir noch nichts anderes vorhaben.«
Jana nickte. »Wir würden uns auf jeden Fall riesig freuen, wenn ihr kommt.«
»Komm, Leonie. Wir müssen los«, erinnerte Jannik und stieg ins Auto.
Schnell schlüpfte Leonie auf den Beifahrersitz. Sie hatte den Gurt gerade angelegt, da trat Jannik das Gaspedal durch und jagte mit einem Kavalierstart davon.
Seit nunmehr zwei Monaten durfte sie diese Momente des Triumphes genießen. Sie, die schüchterne, übergewichtige und vor allen Dingen tollpatschige Leonie, die zeit ihres Lebens Ziel der Hänseleien ihrer Klassenkameraden gewesen war. Und dann hatte sie Jannik kennengelernt. Nie hätte sie zu träumen gewagt, dass sich jemand wie er in sie verlieben würde. Doch es war geschehen!
Seit sie zum ersten Mal vor dem Schulgebäude zu Jannik ins Auto gestiegen war, gab es niemanden mehr, der sie verspottete. Inzwischen zählte sie Mädchen zu ihren Freundinnen, die früher bestenfalls die Hausaufgaben bei ihr abgeschrieben hatten. Nun unterhielt sie sich mit ihnen über Klamotten, Schminktipps, alles, was gerade so angesagt war, und natürlich über Jannik. Und nun hatte sogar Jana sie zu einer Party eingeladen! Natürlich war auch Leonie nicht entgangen, dass Jana eigentlich nur Jannik auf dieser Feier haben wollte, auch wenn sie die Einladung für beide ausgesprochen hatte. Doch den gab es nun mal nicht ohne ihre Begleitung. Zufrieden lächelnd genoss Leonie den Fahrtwind in ihren Haaren.
»Warum lächelst du?«, fragte Jannik. Er löste die rechte Hand vom Lenkrad und legte sie auf ihren Oberschenkel.
Leonie seufzte leise, als er begann, sie zu streicheln. »Ich bin einfach nur glücklich«, antwortete sie.
»Wenn du glücklich bist, bin ich es auch.« Jannik lächelte sie an. Er nahm die Hand wieder ans Steuer, als er den Wagen um eine Kurve lenken musste.
Also legte Leonie die ihre in seinen Schoß und begann, ihn zu liebkosen.
Jannik lachte leise. »Nicht während der Fahrt, und schon gar nicht, wenn du gleich noch was von mir haben willst.«
Leonie grinste und zog die Hand zurück. Sein Körper hatte auf sie reagiert und nur das wollte sie bestätigt haben. Sie fühlte sich einfach sexy, wenn sie diese Reaktion bei ihm auslösen konnte. Trotzdem konnte sie es jetzt kaum erwarten, endlich mit ihm alleine zu sein.
Sobald Jannik den Wagen vor dem Haus geparkt hatte, das er gemeinsam mit seinem Cousin Niklas bewohnte, sprang Leonie aus dem Wagen und lief zur Haustür.
»Du kannst es wohl kaum erwarten!«, rief Jannik lachend, folgte ihr schnell und öffnete die Tür.
Im Flur ließ Leonie den Rucksack mit ihren Schulbüchern fallen und schlang die Arme um Janniks Hals. Ihr wurde heiß, als seine Hände den Weg unter ihr Shirt suchten, während sie sich küssten.
»Schlüpf doch rasch in die hübschen Sachen, die ich dir geschenkt habe«, raunte er, als ihre Lippen sich voneinander lösten.
»Ich dachte, du liebst mich so, wie ich bin«, protestierte Leonie flüsternd. Sie mochte die Reizwäsche nicht besonders. Vor allen Dingen dieses Höschen, das so designt war, dass man es gar nicht ausziehen musste, erschien ihr irgendwie nuttig.
»Natürlich tue ich das. Aber in den Sachen siehst du echt heiß aus und das macht mich so was von geil.«
»Okay«, gab Leonie nach. Er war ein so rücksichtsvoller Liebhaber, da konnte sie auch etwas tun, das ihm gefiel. Rasch drehte sie sich aus seinen Armen und lief ins Schlafzimmer, wo sie die erotische Unterwäsche aus der Kommode nahm und ins Bad ging.
Als sie zurück ins Schlafzimmer kam, stutzte sie für einen Moment. Jannik hatte die Vorhänge zugezogen und zwei große Leuchten aufgestellt, die an die Lampen eines Fotostudios erinnerten. »Was wird das?«
Jannik, der sich inzwischen ausgezogen hatte, lächelte und hielt ihr einen Fotoapparat entgegen. »Ich muss so ein sexy Foto von dir haben! Damit ich dich immer anschauen kann, wenn du nicht bei mir bist.«
Ein Blick auf seine Körpermitte ließ vermuten, dass ihn diese Vorstellung anmachte, auch wenn es Leonie ganz und gar nicht behagte, sich so ablichten zu lassen. Schließlich hörte man häufiger, dass Frauen in solche Fallen tappten und diese Fotos anschließend im Internet kursierten. Dennoch fragte sie: »Das Foto ist nur für dich? Ich meine …«
Jannik ließ die Kamera sinken und schaute sie ein wenig vorwurfsvoll an. »Wie lange kennst du mich jetzt? Vertraust du mir etwa nicht?« Auch in seiner Stimme schwang der Vorwurf mit.
Schnell lief Leonie zu ihm. »Natürlich vertraue ich dir! Entschuldige! Was soll ich machen?«
Endlich lächelte Jannik wieder, küsste ihre Nasenspitze und antwortete: »Leg dich einfach aufs Bett. Den Rest mache ich dann schon.«
Leonie ließ sich davon mitreißen, wie Jannik sie anfeuerte, während er ein Foto nach dem anderen schoss. Und als er die Kamera zur Seite legte und zu ihr ins Bett kam, sehnte sie sich danach, dass er endlich mit ihr schlief.
Doch heute war irgendetwas anders. Jannik war nicht so sanft und zärtlich wie sonst. Ohne irgendeine Liebkosung war er plötzlich über ihr, spreizte mit einem Ruck ihre Schenkel und drang sofort in sie ein. Hart, fast schon brutal stieß er zu, während er ihre Brüste so fest knetete, dass es wehtat.
»Jannik! Was tust du!« Leonies Stimme war schrill. Das hier war nicht richtig! Sie wand sich unter Jannik und versuchte, ihn von sich zu stoßen.
»Es dir mal richtig besorgen, was sonst?«, stieß er schwer atmend hervor, ließ von ihren Brüsten ab, packte ihre Arme und drückte sie fest auf die Matratze. Gleich darauf kam er mit einem lauten Stöhnen.
Als Jannik sich von ihr herunterrollte, liefen Leonie Tränen über die Wangen. Was war da gerade geschehen? Mit einem Mal kam sie sich furchtbar schmutzig und benutzt vor. Sie wollte aufstehen, um schnellstmöglich dieses nuttige Zeugs auszuziehen. Doch Jannik hielt sie fest und setzte sich auf. Mit tränenverschleierten Augen schaute sie ihn an und sah überrascht, dass auch er feuchte Augen hatte.
»Oh Gott, Leonie! Das tut mir so leid! Ich wollte das nicht!«
»Aber warum … was war denn nur … wieso …?«
Jannik umfasste ihre Hand mit beiden Händen. Er konnte ihrem Blick nicht standhalten. »Ich hab gerade so viele Sorgen, weißt du? Es macht mich wütend, dass es so ist. Und irgendwie habe ich das alles an dir ausgelassen.«
»Aber davon, dass du mich vergewaltigst, werden deine Geldprobleme auch nicht weniger.« Schon mehrfach hatten sie darüber gesprochen, dass es ihm finanziell nicht gut ging. Jannik war schon eine ganze Weile arbeitslos, ebenso wie sein Cousin. Und nun zeichnete es sich ab, dass sie das Haus verlieren würden.
»Du hast natürlich recht. Und wie schon gesagt – es tut mir unendlich leid. Es wird nie wieder vorkommen. Allein schon deswegen, weil wir uns bald nicht mehr sehen können.«
»Was?« Entsetzt schaute Leonie ihn an. »Warum?«
»Wenn Niklas und ich das Haus verlieren, dann müssen wir von hier weggehen. Ein Verwandter hat uns Arbeit angeboten. Aber diese Arbeit ist in Süddeutschland.«
Kurz dachte Leonie darüber nach, dann sagte sie: »Wir können uns am Wochenende sehen. Ich könnte mit dem Zug zu dir kommen.«
»Leonie! Machen wir uns doch nichts vor! Wir sind zu jung für eine Wochenendbeziehung. Ich würde das niemals durchhalten und dir früher oder später fremdgehen.«
Neue Tränen traten in Leonies Augen.
»Ich hatte dir vor ein paar Tagen gesagt, dass es eine Lösung gibt.« Nun schaute er Leonie wieder an.
Allerdings hatte er das getan. Nur diese ›Lösung‹ war für Leonie auf gar keinen Fall infrage gekommen.
»Es wäre ja auch nicht für lange. Und sicher auch nicht oft«, ließ Jannik diesmal jedoch nicht locker. »Aber du allein hast die Möglichkeit, unsere Liebe zu retten!«
»Aber das kannst du doch nicht wirklich wollen!«, brach es aus Leonie hervor. »Wenn du mich wirklich liebst, dann kannst du das nicht wollen!«
Jannik rutschte zu ihr hin und schloss sie in die Arme. »Glaub mir, wüsste ich eine andere Lösung … Aber auch, wenn es mir sehr wehtun wird, ist es nicht besser, als wenn wir uns trennen müssten? Und meine Liebe zu dir ist so stark, sie wird das verkraften.«
Sich trennen zu müssen! Allein der Gedanke zerfetzte Leonies Herz. Nie wieder würde sie einen solchen Mann finden. Einen, den sie so sehr begehrte und um den sie alle beneideten! Einen, den sie so wahnsinnig liebte!
Leonie atmete tief ein, dann nickte sie. »Also gut. Ich tu’s. Aber nur so lange, bis sicher ist, dass ihr das Haus behalten könnt. In Ordnung?«
Jannik drückte sie fest an sich. »Ich wusste, dass du das Beste bist, was mir je im Leben passiert ist! Du ahnst ja nicht, wie ich dich liebe!«
»Und wie wollen wir es machen?«, fragte Leonie leise.
»Ich kümmere mich um alles und wir machen es hier. Dann bin ich immer in der Nähe und kann ausschließen, dass dir etwas zustößt.«
Leonie starrte nur reglos vor sich hin.
»Du weißt sicher noch, dass ich der Bank morgen dringend ein paar Scheine rüberwachsen lassen muss.«
Wieder nickte Leonie.
»Warte einfach hier.« Jannik sprang aus dem Bett, griff seine Sachen, die auf dem Boden lagen, und lief aus dem Zimmer.
Leonie begann zu zittern. Hatte sie das wirklich gerade getan? Hatte sie zugestimmt, dass ihr eigener Freund ihren Körper an andere Männer verkaufen durfte? Erneut liefen Tränen über ihr Gesicht.
Sie fuhr zusammen, als die Tür geöffnet wurde. Mit angstvoll klopfendem Herzen wandte sie den Kopf.
Ein Mann stand breit grinsend im Türrahmen. Sie hatte ihn schon mal mit Niklas in der Küche sitzen sehen.
»Ich bin also der Erste, der sich mit dir vergnügen darf«, stellte er fest und löste den Gürtel seiner Hose. »Na, dann zeig doch mal, ob du dein Geld wert bist. Schließlich bist du nicht gerade ein Sonderangebot.«
Draußen im Flur schlugen Jannik und Niklas ihre Handflächen aneinander.
»Mann, die fette Kuh hat aber echt Zeit gekostet«, sagte Niklas.
Jannik wedelte mit den Geldscheinen, die er in der anderen Hand gehalten hatte. »Dafür bringt so ein junger, goldgelockter Rubensengel aber auch ’nen Spezialpreis.«
Kapitel 1
In meinem Berufsleben hatte ich schon einiges gesehen. Schließlich war ich schon seit etlichen Jahren Kriminalkommissarin. Doch der Anblick dieses jungen Mädchens, das äußerst spärlich bekleidet und weggeworfen wie ein kaputtes Spielzeug im Schlot vor mir lag, zerriss mir beinahe das Herz. Ihr langes, blondes Haar war verschmutzt mit eingetrocknetem Blut und dem Schlamm des Grabens. Auf ihrer nackten Haut, die deutliche Spuren von Misshandlungen aufwies, hatten sich Eiskristalle gebildet, da es in der Nacht zu frieren begonnen hatte. Gesicht, Hals und Dekolleté waren blutbeschmiert, der Bauch wies mehrere, vermutlich durch eine Stichwaffe verursachte Wunden auf. Dort befand sich allerdings weit weniger Blut als auf ihrem Oberkörper. Es kostete mich alle Mühe, die aufsteigenden Tränen niederzukämpfen.
»Wie alt mag sie sein?«, fragte Hauptkommissar Carsten Voss neben mir. Seine Stimme klang heiser. Offensichtlich hatte auch er mit Emotionen zu kämpfen.
Mühsam und mit einem weiteren Stich ins Herz, als ich an meine siebzehnjährige Tochter dachte, brachte ich heraus: »Vielleicht so alt wie Lea. Oder sogar etwas jünger. Ihre Aufmachung irritiert ein wenig.«
»Einen Hinweis darauf, wer das Mädchen ist, gibt es vermutlich nicht, oder?«, wandte sich Carsten an einen der uniformierten Kollegen.
Der schüttelte nur den Kopf.
Alle am Einsatz beteiligten Kollegen waren blass und gingen schweigend ihrer Arbeit nach. Natürlich war der Anblick eines toten Menschen immer furchtbar, doch wenn ein so junges Leben auf derart grausame Weise ausgelöscht worden war, ging das so nah, dass man sich nur schwer oder gar nicht dagegen wappnen konnte.
Die Melderin, deren Hund das tote Mädchen entdeckt hatte, war zusammengebrochen, nachdem sie die Polizei informiert hatte. Sie war inzwischen ins Krankenhaus gebracht worden. Ein weiterer Spaziergänger hatte sich ihres Hundes angenommen.
Kurz dachte ich darüber nach, den Joggern und Hundehaltern, die auch an diesem kalten Morgen im Westerhammrich unterwegs waren, ein Foto des Mädchens zu zeigen, in der Hoffnung, dass jemand sie erkannte. Aber ich verwarf den Gedanken schnell, war doch in Anbetracht der fehlenden Oberbekleidung davon auszugehen, dass hier nicht der Tatort war und man die Leiche nur abgelegt hatte. Sie konnte also von überall herkommen.
Ich bedeutete dem Polizeifotografen, seine Arbeit fortzusetzen, und wandte mich von der schrecklichen Szene ab. »Wir sollten ins Büro fahren und die Vermisstenliste abgleichen. Vielleicht haben wir Glück und ihre Familie