Geniale Pflanzen
Von Bruno P. Kremer
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Über dieses E-Book
In diesem Buch finden Sie eine Auswahl erstaunlicher Eigenheiten unserer grünen Mitgeschöpfe, der Pflanzen. Beim bloßen Hinsehen kann man den Eindruck gewinnen, als stünden die Pflanzen einfach nur so herum, aber die genauere Inspektion deckt doch mancherlei Besonderheiten in Gestalt und Funktionen auf. Einer kleinen Umschau im Bereich von Stämmen und Stängeln schließt sich Ungewöhnliches von den Blattorganen an und schließlich beleuchtet der Autor die faszinierenden Aktionsfelder der Blüten bis hin zur Samen- bzw. Fruchtreife. Erfahren Sie beispielsweise, welch geheimnisvolle Stoffschiebereien unsere Waldorchideen im dunklen Untergrund praktizieren, warum die Blätter mancher Pflanzen nachts ziemlich sauer werden, und ob in den imposanten Blütenköpfen der Sonnenblumen eine besondere Mathematik steckt.
Pflanzen sind also tatsächlich weitaus spannender, als man zunächst vermutet – mal ganz abgesehen davon, dass sie mit ihrem Stoffwechsel für den Erhalt der gesamten Biosphäre grandiose und geradezu unentbehrliche Dienstleistungen erbringen. Es gibt in unserer grünen Umwelt also eine Menge zu entdecken, und dafür halten Sie gerade ein themenreiches Starterkit in Händen.
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Geniale Pflanzen - Bruno P. Kremer
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2021
B. P. KremerGeniale Pflanzen https://doi.org/10.1007/978-3-662-63152-2_1
1. Von Stämmen, Stängeln und Stielen
Bruno P. Kremer¹
(1)
Wachtberg, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Bruno P. Kremer
Email: TheKremers@t-online.de
Die Höheren Pflanzen bestehen bei aller Verschiedenheit der jeweiligen artspezifischen Abwandlung und Ausformung grundsätzlich immer nur aus den drei Grundorganen Wurzel, Sprossachse und Blättern. Vom Grundorgan Wurzel sieht man gewöhnlich nicht allzu viel, weswegen wir es hier ungeachtet seiner enormen Bedeutung für das Pflanzenleben zunächst einmal übergehen können. Die an der Wurzel direkt ansitzende Sprossachse – je nach Ausgestaltung und Stabilität auch Halm, Schaft, Stamm, Stängel oder Stiel genannt – macht das gesamte Erscheinungsbild einer Höheren Pflanze aus. Einjährige Arten (Therophyten) entwickeln üblicherweise nur schwache und im Laufe der Vegetationsperiode meist rasch vergängliche Achsen, die man aber dennoch zutreffend als Stängel bezeichnet. Bei mehrjährigen Arten sind die Sprossachsen dagegen gewöhnlich viel kräftiger entwickelt, was aber nicht bedeutet, dass sie auch über die kalte Jahreszeit hinaus Bestand haben, denn bei sehr vielen Arten sterben sie am Ende der Vegetationsperiode planmäßig ab – sie ziehen regelmäßig ein, wie die Gärtner sagen. Bleibt die blütentragende Sprossachse unbeblättert, spricht man auch von einem Schaft – er ist ebenfalls meist nur kurzlebig.
../images/503913_1_De_1_Chapter/503913_1_De_1_Figa_HTML.jpgDauerhafte und mehrjährig bestehende Sprossachsen entwickeln daher nur die Gehölze (Bäume und Sträucher) – Bäume mit einem meist klar definierten Einzelstamm und einer erst weiter oben reichästig verzweigten Krone, Sträucher dagegen eher vielstämmig und schon weit unten kurz über dem Boden reichlich verzweigt. Man bezeichnet sie daher gerne auch als Gehölze mit einer dichten Krone, die unmittelbar dem Erdboden aufsitzt.
Einheitliche Bäume, vielfältige Sträucher
Zumindest bei den heimischen Baumarten finden sich nicht allzu verschiedene Wuchsformen. Gewiss – eine Fichte oder Tanne weist mit ihrem klar dominierenden Stamm und den allseits abgehenden Ästen ein recht überschaubares Organisationsmuster auf. Bei den meisten Laubbäumen stellen sich die Verhältnisse durchaus komplexer dar, und man muss bei den Zweigen meist etwas genauer hinschauen, um die unterschiedlichen Verzweigungstypen zu erkennen.
Bei den Sträuchern ist das im Prinzip genauso, aber gerade in dieser Lebensformgruppe findet sich eine beachtliche Vielfalt an gut erkennbaren Sonderformen – neben kletternden Lianen mit relativ dünnen Sprossachsen beispielsweise auch so bezeichnete Halbsträucher wie Lavendel (Lavandula angustifolia) oder Salbei (Salvia officinalis). Bei ihnen sind jeweils nur die basalen und damit ältesten Teile kräftiger verholzt, während die wachsenden und blühenden Teile krautig bleiben. Daneben gibt es auch in der heimischen Flora Rutensträucher, die kaum oder überhaupt kein Blattwerk mehr entwickeln. Beispiele sind der Besenginster (Cytisus scoparius) oder der Binsenginster (Spartium junceum). Spaliersträucher sind an ihren zumeist hochalpinen Wuchsplatz bestens angepasst und bilden dort auffallend dichtästige, aber immer unmittelbar dem Boden aufliegende Teppiche wie etwa die Kraut-Weide (Salix herbacea). Mitunter ist hierbei nicht einmal zwischen Minibäumen und Strauchsonderformen sicher zu unterscheiden. Kurz: Es lohnt sich gewiss, die interessanten Wuchsformen und ihre Abwandlungen auch der heimischen Gehölze einmal genauer zu inspizieren. Sie sind jeweils ein sichtbarer Ausdruck ihrer besonderen Überlebensstrategien.
Die mechanische Stabilität, die manchen Baumarten eine Wuchshöhe von vielen Dutzend Metern erlaubt (die hochwüchsigste heimische Laubbaumart ist mit bis zu 70 m Wuchshöhe die Gewöhnliche Esche), ist die eine wichtige Aufgabe des Sprossachsensystems. Die andere und so nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbare Funktion ist der Transport gelöster Stoffe – einerseits des in den feinsten Wurzelspitzen aufgenommenen Wassers mit den darin gelösten und lebensnotwendigen Mineralstoffen (einschließlich Spurenelemente) und andererseits der frisch hergestellten Fotosyntheseprodukte aus den Blättern in die jeweiligen Depots. Typische und zielgenau angesteuerte Depotorte sind u. a. die Früchte, sodann auch Speicherorte in den mehrjährigen Stämmen (hier vor allem in den immer horizontal verlaufenden Markstrahlen) sowie in unterirdischen Reserveorganen wie Knollen und Zwiebeln. Für diese Stoffbewegungen verfügen die Sprosspflanzen über zwei funktionell getrennte, aber im Gewebe immer eng assoziierte Leitgewebe: für die Wasserbewegung von unten nach oben bis in die obersten Blätter das Xylem, für die organischen Stoffe das Phloem. Xylem und Phloem nehmen in einer Sprossachse jeweils charakteristische Positionen ein. Das Xylem liegt immer im Inneren der Sprossachse, das Phloem jeweils außerhalb davon und somit direkt unterhalb der Rinde. Beide zusammen bilden jeweils Leitbündel oder geschlossene Leitgeweberinge. Mit dem vor allem bei den Gehölzen erfolgenden Dickenwachstum der Achsen müssen eben auch die stoffleitenden Längsbahnen jeweils jährlich erneuert werden. Bei relativ dünnrindigen Bäumen kann man an sehr warmen Sommertagen den Wassertransport nach oben sogar mit einem Stethoskop hören.
Wenn man vor einer – sagen wir – rund 100-jährigen und dann schon recht dickstämmigen Rot-Buche stehen und neben ihrem aufrechten Wuchs ihren schönen, glatten Stamm bewundert, ahnt man zunächst nichts von dem komplexen stofflichen Geschehen nur wenige Millimeter tiefer im Rindenbereich. Das ist nur eines der vielen alltäglichen, weil überall erfolgreich funktionierenden Wunder, die einen Moment kontemplativen und staunenden Innehaltens verdienen.
1.1 Stabil und stämmig
Die meisten Bäume und sogar viele Sträucher überdauern unsere eigene durchschnittliche Lebenserwartung erheblich. Bei den Bäumen finden sich – vor allem bei Eichen und Linden – überall im Land (ungefähr) 1000-jährige Exemplare. Eiben werden noch viel älter – im südlichen Allgäu wächst ein auf rund 2000 Jahre geschätztes Exemplar. Aber auch das lässt sich noch toppen: Sogar noch ein paar Jahrtausende älter sind die Grannen-Kiefern in den südwestlichen USA (vgl. Richarz und Kremer 2017).
Insofern war es eine konsequente Überlegung, dass der dänische Botaniker Christen Raunkiær (1860–1938) den Gehölzen einen besonderen Lebensformentyp zugeordnet hat. Seine Einteilung hat er um 1905 entworfen und in französischer Sprache veröffentlicht. Darin nennt man die Bäume und Sträucher Phanerophyten (Luftpflanzen). Obwohl die geniale Einteilung nach Raunkiær später von anderen Autoren vielfach ergänzt und modifiziert wurde, ist sie nach wie vor für ökologisch orientierte Pflanzenbeschreibungen in Gebrauch und gültig. Abb. 1.1 fasst seine Überlegungen zusammen.
Eine mehrere Hundert Jahre alte Rot-Buche (Fagus silvatica), wie sie Abb. 1.2 (am Beispiel eines prächtigen Exemplars aus dem Waldnaturschutzgebiet Kottenforst im Naturpark Rheinland) zeigt, ist ebenso wie viele andere imposante Bäume fast ein Naturwunder. Wie schafft es ein anfangs nur klein und krautig aufwachsender Sämling, eine solchermaßen stabile und die Zeiten buchstäblich überstehende Gestalt hervorzubringen? Vermutlich ist die abgebildete Buche in ihrer Jugend im Freistand und damit fernab heftiger Konkurrenz aufgewachsen, was ihren sehr regelmäßigen Kronenaufbau schon im unteren Verzweigungsbereich erklärt. Zudem zeigt sie einen eindrucksvollen Drehwuchs – im Stammbereich ist sie deutlich rechts gewunden, was bei Bäumen (und zumal dieser Spezies) eine durchaus ungewöhnliche und immer noch wenig verstandene Wachstumsreaktion darstellt. Die holzhistologischen Details dazu sind überaus komplex; wir lassen sie hier aus verständlichen Gründen einfach beiseite, weil sich ohne viele erläuternde Skizzen keine einfachen Erklärungsmuster für die Entstehung eines solchen – auch bei Forstfachleuten so bezeichneten – Reaktionsholzes anbieten, bewundern aber gleichwohl und uneingeschränkt die resultierende beeindruckende Gesamterscheinung. Oftmals verbessern die so gestalteten Bäume ihre jeweilige Standfestigkeit. Vergleichbare Beispiele gibt es natürlich in vielen hinreichend gealterten Waldgebieten mit naturnaher Bewirtschaftung und zweifellos auch von anderen waldbildenden Baumarten. Daher die dringende Empfehlung: Beim nächsten Waldspaziergang auch einmal die Morphologie der älteren Waldbäume intensiv anschauen – sie überraschen fast immer mit bewundernswerten Gestalten. Beachtenswert sind aber – gerade im fortgeschrittenen Frühjahr – die Baumkeimlinge am Waldboden. Ihre ersten Blätter sehen bei vielen Arten völlig anders aus als beim schon herangewachsenen Baumindividuum (siehe Abb. 1.3, 1.4 und 1.5).
../images/503913_1_De_1_Chapter/503913_1_De_1_Fig1_HTML.jpgAbb. 1.2
Wie aus dem Bilderbuch: Die mindestens 300-jährige Rot-Buche hat die Zeiten buchstäblich durchstanden
../images/503913_1_De_1_Chapter/503913_1_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 1.1
Das Besondere des Gesamtentwurfs Blütenpflanze drückt sich u. a. in der Typologie der erstmals von Christen Raunkiær vor rund 120 Jahren unterschiedenen Lebensformen aus – und eine jede verfolgt besondere Anpassungsstrategien. In diesem Schema sind die jeweils überdauernden Pflanzenteile rot dargestellt. Die grünen Teile bestehen nur saisonal
../images/503913_1_De_1_Chapter/503913_1_De_1_Fig3_HTML.jpgAbb. 1.3
Kaum zu glauben, dass diese noch winzigen Keimlingen der Rot-Buche einmal zu imposanten Bäumen heranwachsen
../images/503913_1_De_1_Chapter/503913_1_De_1_Fig4_HTML.jpgAbb. 1.4
Am gealterten Bauholz schrumpfen die Frühholzanteile stärker und zeichnen ein besonders deutliches Jahrringrelief
../images/503913_1_De_1_Chapter/503913_1_De_1_Fig5_HTML.pngAbb. 1.5
Die heimischen Laubhölzer zeigen (mindestens) zwei unterschiedliche Konstruktionstypen: Die ringporigen Hölzer legen im Frühjahr großkalibrige Tracheen an, deren Abmessungen im Lauf der Saison immer kleiner werden. Bei den zerstreutporigen Arten sind die jahreszeitlichen Unterschiede weniger gut zu erkennen
Bäume bilden Kompromisse ab
Die Wuchsform eines Baumes ist – wie Claus Mattheck in seiner 1992 erschienenen Arbeit eindrucksvoll und wunderbar dargestellt hat – immer eine und so nicht auf den ersten Blick erkennbare notwendige Kompromisslösung: Der noch junge Baum strebt konsequent eine möglichst ausladende und große Krone an, mit deren üppigem Blattbesatz er viel Licht absorbieren und über den daraus resultierenden fotosynthetischen Stoffgewinn zusätzliches Wachstumspotenzial entwickeln kann. Auf der anderen Seite ist eine üppig entwickelte Krone jedoch in beachtlichem Maße schwergewichtig und erfordert nicht nur im Ast- und Zweigwerk eine optimal stützende Ausgestaltung. Das ist aber nur die eine Seite, denn eine große Krone muss auch laufend mit den mineralischen Versorgungsgütern aus dem Boden (Spurenstoffen, Wasser) supplementiert werden, damit der Stoffwechselbetrieb geordnet ablaufen kann. Das ist einerseits eine logistische Herausforderung, aber andererseits auch eine mechanische: Eine hochragende Rot-Buche oder ein vergleichbar hochwüchsiger Waldbaum einer anderen Spezies benötigen konsequenterweise ganz einfach eine zuverlässig stabile Verankerung im Waldboden, denn die Baumkrone ist gegebenenfalls einer enormen seitlichen Winddruckbelastung ausgesetzt. Flachwurzler wie die überall angepflanzte Gewöhnliche Fichte haben es in dieser Hinsicht wirklich nicht einfach – schon ein etwas kräftiger Sturm legt sie, zumal bei niederschlagsbedingt aufgeweichtem Boden, gleich reihenweise um; sie bilden dann mit ihrem bloß liegenden Wurzelwerk sogenannte Windwurfteller, die nach Wasserfüllung des Wuchsplatzes interessante Kleinökosysteme bilden. Viele andere Waldbäume – zumal die Herz- oder erst recht die gut verankerten Tiefwurzler – sind in dieser Hinsicht wesentlich standfester. Hier kommt es nur bei extremer Belastung durch heftigst seitlich angreifende Orkanböen gelegentlich zu fatalen „Stielbrüchen" – die Wurzelmasse hält dann, aber der Stamm gibt unfreiwillig nach und wird mit der Krone abgeschert.
Beachtenswert ist aber immer, wie selbst hochgewachsene Bäume den Massenschwerpunkt ihrer Kronenkonstruktion genau über denjenigen ihrer Wurzelsubstanz im Boden bringen und somit ein optimal ausgewogenes Gefüge für die Kräfteableitung schaffen. Gegebenenfalls finden durch gezielte Wachstumsbewegungen ausgleichende Korrekturen statt – eindrucksvoll zu sehen bei Baumindividuen an Steilhängen, wo der Boden durch fortgesetzte Solifluktion langsam hangabwärts gleitet und einen Baum in eine bedrohliche Schieflage bringen kann. Kompensatorisches Wachstum richtet ihn weitgehend wieder auf, woraus der charakteristische Säbelwuchs der Stämme resultiert.
Eine biomechanische Gratwanderung
Ein großer Waldbaum oder auch ein eindrucksvoll gealterter Solitär in der traditionellen Kulturlandschaft sind immer eindrucksvolle Pflanzengestalten. Sie erreichen zwar nicht die geradezu gigantischen Abmessungen der beiden Mammutbaumarten im pazifischen Nordamerika oder mancher Eukalyptusarten in Australien, die man zur Not nur diagonal über ein FIFA-konformes Fußballfeld legen könnte, aber eindrucksvoll sind sie allemal. Und was man auf den ersten Blick überhaupt nicht abschätzen kann: Die viel(hundert)jährig gewachsene und schließlich überaus imposante Baumgestalt ist nicht nur ein bewundernswerter Kompromiss zur Bewältigung der jeweiligen von Wind und Wetter ausgehenden mechanischen Beanspruchungen, sondern auch rein materialökonomisch überaus ausgeklügelt – in allen mechanischen Teilen nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Alte Bäume sind eben wahre Naturwunder.
1.2 Was ein Baumstamm uns erzählen kann
Holz besteht chemisch aus Holzsubstanz, von Fachleuten Lignin genannt. Obwohl Lignin auch bei krautigen Pflanzen vorkommt und dort die Wasserleitungen in den Stängeln wirksam aussteift, ist die Holzproduktion eine Spezialität der Sträucher und vor allem der Bäume, die man deshalb zutreffend als Gehölze bezeichnet. Holz ist ein geradezu wunderbarer und sogar völlig unentbehrlicher Naturstoff – relativ leicht, bemerkenswert biegefest und bei geeigneter Pflege sogar erstaunlich dauerhaft. Keine andere Natursubstanz weist diese enorm praktische Merkmalskombination auf. In der Archäologie ist es üblich, die verschiedenen Kulturstufen nach den jeweils verwendeten Hartmaterialien zu benennen – eben Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit –, aber die bis heute fortdauernde Holzzeit hat man als solche tatsächlich nie definiert. Und noch etwas: Die Chemie der Holzsubstanz ist zur betonten Freude der Naturstoffchemiker außerordentlich komplex: Ihre ringförmigen molekularen Bausteine (diverse Phenylpropanabkömmlinge) sind dreidimensional so eng miteinander in alle Richtungen vernetzt, dass man selbst einen mächtigen Baumstamm als gigantisches Makromolekül auffassen könnte.
Im Rhythmus der Jahreszeiten
In unserem mitteleuropäischen Jahreszeitenklima wachsen Gehölze nur im Sommerhalbjahr, und diese Rhythmik bildet sich konsequent im Holzwachstum ab. Zu Beginn der Wachstumsperiode im Frühjahr legt ein Baum im Xylem nur ziemlich dünnwandige Zellen von großem Durchmesser für die rasche Wasserleitung an – sie ergeben zusammen das helle Frühholz. Gegen Spätsommer lässt das Holzwachstum erkennbar nach. Jetzt entwickelt ein Stamm bei nachlassendem Wasserbedarf eher enge und dickwandige Röhren. Sie ergeben zusammen das dunkle Spätholz. Helles Früh- und dunkleres Spätholz bilden nun zusammen einen scharf abgegrenzten Jahrring. Wenn man also am liegenden gefällten Stamm das Alter des Baumes zum Zeitpunkt des Fällens ermitteln möchte, muss man je einen hellen und einen dunklen Streifen pro Jahr