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Ikonen des Bösen: Verbrecher als Medienstars
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eBook261 Seiten2 Stunden

Ikonen des Bösen: Verbrecher als Medienstars

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Über dieses E-Book

Jesse James, Bonnie und Clyde, Al Capone, Charles Manson, Jack Unterweger, Issei Sagawa, Jacques Mesrine, Ronnie Biggs oder Arno ‚Dagobert‘ Funke wurden im Laufe der Zeit zu zweifelhaften Legen- den verklärt.
Die Kriminellen, ihre Lebensumstände und ihre Motive üben seit je- her eine große Anziehungskraft auf uns aus.
Durch eine immense mediale Aufmerksamkeit werden aus ihnen Personen der Öffentlichkeit, die nicht selten aus eigenem Antrieb zu Berühmtheiten aufstiegen.
Das Buch hinterfragt diese ‚Ikonen‘ und geht den Mythen nach – wie konnte das ‚Star-Image‘ dieser Straftäter entstehen und wer profitiert eigentlich mehr: Medien oder Verbrecher?
SpracheDeutsch
Herausgeberhansanord Verlag
Erscheinungsdatum1. Juni 2022
ISBN9783947145638
Ikonen des Bösen: Verbrecher als Medienstars
Autor

Svenja Müller

Svenja Müller wurde 1991 im saarländischen Neunkirchen geboren. Die studierte Medien- und Kulturwissenschaft- lerin schrieb in ihrer Bachelorarbeit über das Leben des französischen Star-Verbrechers und Frauenhelds Jacques Mesrine. Damit war ihre Neugier entfacht: Wie kann ein Bankräuber und Mörder Journalisten so sehr in seinen Bann ziehen, dass diese sogar seine Flucht aus dem Ge- fängnis verheimlichen? Daher widmete sie sich in ihrem Masterstudium der Medienwissenschaft der Frage, wie sich Medien und Kriminalität gegenseitig beeinflussen. Wenn sie sich nicht gerade mit Schwerverbrechern befasst, hat die inzwischen in Düsseldorf lebende Autorin eher un- gefährliche Hobbies: reisen, lesen und fotografieren.

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    Buchvorschau

    Ikonen des Bösen - Svenja Müller

    Svenja Müller

    Ikonen des Bösen

    Verbrecher als Medienstars

    Logo_hansanord_pos_120

    über die Autorin

    Autorinnenfoto Svenja Müller 350

    Svenja Müller wurde 1991 im saarländischen Neunkirchen geboren. Die studierte Medien- und Kulturwissenschaftlerin schrieb in ihrer Bachelorarbeit über das Leben des französischen Star-Verbrechers und Frauenhelds Jacques Mesrine.

    Damit war ihre Neugier entfacht: Wie kann ein Bankräuber und Mörder Journalisten so sehr in seinen Bann ziehen, dass diese sogar seine Flucht aus dem Gefängnis verheimlichen? Daher widmete sie sich in ihrem Masterstudium der Medienwissenschaft der Frage, wie sich Medien und Kriminalität gegenseitig beeinflussen.

    Wenn sie sich nicht gerade mit Schwerverbrechern befasst, hat die inzwischen in Düsseldorf lebende Autorin eher ungefährliche Hobbies: reisen, lesen und fotografieren.

    IMPRESSUM

    1. Auflage 2022

    © 2022 by hansanord Verlag

    Alle Rechte vorbehalten

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages nicht zulässig und strafbar. Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikrofilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    ISBN Print 978-3-947145-62-1

    ISBN E-Book 978-3-947145-63-8

    Cover | Umschlag: Tobias Prießner

    Autorenfoto: Sabine Maisenhälder, LICHTSCHACHT – Studio für Fotografie

    Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

    Für Fragen und Anregungen: info@hansanord-verlag.de

    Fordern Sie unser Verlagsprogramm an: vp@hansanord-verlag.de

    hansanord Verlag

    Johann-Biersack-Str. 9

    D 82340 Feldafing

    Tel. +49 (0) 8157 9266 280

    FAX +49 (0) 8157 9266 282

    info@hansanord-verlag.de

    www.hansanord-verlag.de

    Logo_hansanord_pos_120

    Inhalt

    El Chapo und das Seidenhemd. Ein Vorwort

    Verbrechen lohnt sich. Über Medien, Kriminalität und uns

    Täter vs. Opfer

    Medien ohne Moral

    Stars, Helden und Mythen

    Auf der guten Seite

    Antisoziale Charmeure

    Ein hohes Vermarktungspotential

    Wer inszeniert hier wen?

    Medienrealität vs. Realität

    Wir brauchen Horror

    Die Killer-Groupies

    Mein Freund, der Serienmörder

    Ikonen des Bösen

    Die Gesetzlosen: Banditen und Gangster

    Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

    Held der Südstaaten. Jesse James

    Aufgewachsen im Bürgerkrieg

    Public Relations im Wilden Westen

    Ein Mann des Volkes

    Fakt und Fiktion

    Die Legende lebt weiter

    Über den Tod hinaus. Bonnie und Clyde

    Kein Weg zurück

    Rebellen oder Kriminelle?

    Gangsterbraut par excellence

    Im Kugelhagel

    Die Legende beginnt

    Familiensache

    Live fast, die young

    In der Hall of Fame

    Der Gentleman-Gangster. Al Capone

    Der Reiz des Verbotenen

    Ein Konzern aus Angst

    Auf Capones Gehaltsliste

    Marketing at its best

    Die Zentrale der Macht

    Al Capone, der Wohltäter

    Von Wertanlagen gestürzt

    Eine kulturelle Erfindung

    Ein letzter Gruß

    Bestien in Menschengestalt: Serienmörder und Kannibalen

    Die Medien und der Mord

    Der Mörder als popkulturelles Phänomen

    Das kann kein Mensch sein

    Liebe und Krieg. Charles Manson

    Die Manson-Family

    Die Beatles, die Beach Boys und die Bibel

    Helter Skelter is coming down fast

    Die Bekenntnisse der Susan Atkins

    Charles Manson Superstar

    Die Dämonisierung beginnt

    America’s Favorite Psychopath

    Die Marke Manson

    Es war einmal in Hollywood

    Freigeschrieben. Jack Unterweger

    Im Fegefeuer geläutert

    Liebling der Wiener Schickeria

    Die Story muss stimmen

    Eine Mordserie in Österreich

    Auf Recherchereise

    Aus »Jack the Writer« wird »Jack the Strangler«

    Liveschalte auf der Flucht

    Schuldig oder unschuldig?

    Ein Mörder namens Jack

    The Cannibal Superstar. Issei Sagawa

    »Ich bin kein Mensch mehr«

    Verliebt in Grace Kelly

    Ein freier Mann

    Der rote Teufel

    Überlebensgroß

    Die Sagawa-Show

    Too Much Blood

    Der Traum vom großen Geld: Räuber und Erpresser

    Mann der 1.000 Gesichter. Jacques Mesrine

    Getrieben in die Kriminalität?

    Der Todestrieb

    Mesrine und die Medien

    Der beliebteste Mann Frankreichs

    Der beste Hauptdarsteller

    Ein neuer Mesrine?

    Gefangen in Rio. Ronnie Biggs

    Der( fast) perfekte Coup

    Eine lebenslange Flucht

    The Big Scoop

    Das große Wiedersehen

    Die Posträuber-Methode

    Das Maß ist voll

    »Und plötzlich drehten alle durch«. Arno Funke

    Dagobert grüßt seine Neffen

    Aus Dagobert wird Daniel Düsentrieb

    Die Dagomanie

    Die Presse als Fluchthelfer

    Das Dagobert-Bedürfnis

    Das Phantom wird entzaubert

    Sein Leben als Dagobert

    Die Sache mit der Reue

    Crime Goes Social. Verbrecher und soziale Netzwerke

    Ein digitales Denkmal

    Neue Rahmenbedingungen

    Freier Zugang für Falschinformationen

    True Crime zum Mitspielen

    Vorverurteilt - und hot

    Die Social-Media-Strategien organisierter Kriminalität

    Waffen, Geld und schöne Frauen

    Digitale Polizeipräsenz

    Die Rolle der Journalisten

    Danksagung

    Literatur- und Quellenverzeichnis

    Es gibt unzählige Veröffentlichungen über kriminelle Personen und ihre Taten. Eine Personengruppe gerät dabei oft in den Hintergrund: die Opfer. Ich bin mir bewusst, dass auch in meinem Buch die Straftäter den viel größeren Raum einnehmen. Daher will ich an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen, Sie auf einen Verein und seine wertvolle Arbeit hinzuweisen. WEISSER RING e. V. ist die größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität in Deutschland und bietet persönliche Betreuung, Anteilnahme und individuellen Beistand für alle Betroffenen. Informieren Sie sich doch gerne auf der Homepage des Vereins – und wenn Sie eine Spende dalassen möchten, geht das ganz einfach unter spenden.weisser-ring.de.

    Noch ein letzter Hinweis, bevor es losgeht: Ich habe im Text in den meisten Fällen die männliche Form gewählt, die Angaben beziehen sich aber auf Angehörige aller Geschlechter.

    El Chapo und das Seidenhemd. Ein Vorwort

    »Ich denke, einige Menschen hätten ihr erstgeborenes Kind geopfert, um diese Story zu bekommen.« Mit diesen Worten verteidigte Jann Wenner, Chefredakteur des Rolling Stone, den ganz großen Coup seines Magazins: ein Interview mit dem zu diesem Zeitpunkt seit drei Monaten auf der Flucht lebenden Drogenboss Joaquín Guzmán, genannt El Chapo. Das Gespräch führte dabei kein geringerer als Hollywood-Star Sean Penn, der sich nach monatelangen Geheimverhandlungen im Oktober 2015 mit Guzmán im mexikanischen Dschungel traf. Doch warum lässt sich einer der meistgesuchten Verbrecher der Welt auf ein Gespräch ein? Eitelkeit und der Wunsch, das öffentliche Bild mitzubestimmen, scheinen bei der Entscheidung ausschlaggebend gewesen zu sein: Sean Penn besuchte El Chapo auch deshalb, um mit ihm über die Verfilmung seines Lebens als Staatsfeind Nr. 1 zu verhandeln.

    In der Hoffnung auf ein schmeichelhaftes Filmporträt begab sich der Flüchtige in höchste Gefahr. Wie eine Nachrichtenagentur meldete, waren die mexikanischen Behörden über das Treffen informiert. Die Kenntnis über seinen Aufenthaltsort ist sicher ein Grund dafür, dass Guzmán am 8. Januar 2016 in der Stadt Los Mochis gefasst werden kann. Nur einen Tag später erscheint Sean Penns Artikel für den Rolling Stone, in dem er ausführlich über seine Begegnung mit El Chapo berichtet. Zu dessen Verhaftung gab Penn lediglich an, das Vertrauen des Kriminellen nicht ausgenutzt zu haben – das Treffen wäre schließlich nicht als Falle geplant gewesen.

    Die vermeintliche Vertrautheit zwischen dem Schauspieler und dem Drogenboss zieht sich durch das gesamte Interview. Joaquín Guzmán, einer der reichsten Menschen der Welt, präsentiert sich als Sohn armer Eltern, der das Drogengeschäft brauchte, um seine Familie durchzubringen. Sich selbst sehe er nicht als gewalttätige Person, er schütze sich nur vor seinen Feinden. Was Joaquín Guzmán nicht erwähnt: Als Chef des Drogenkartells Sinaloa ist er für den Tod mehrerer hundert Menschen verantwortlich, die er sicher nicht alle aus Notwehr ermorden ließ. Wenige Tage nach Erscheinen des Artikels am 12. Januar meldete die Washington Times, dass El Chapos Seidenhemd mit Paisleymuster und blauen Streifen, das er auf dem Foto mit Sean Penn trug, mittlerweile restlos ausverkauft sei.

    Das Hemd ist nicht das einzige Merchandise-Produkt Guzmáns. El Chapo, dessen Name markengeschützt ist, wird in seinem Heimatland Mexiko wie ein Heiliger verehrt. Dass dort eine regelrechte »Chapomanie « ausgebrochen ist, hängt vor allem mit seiner Außenwirkung zusammen: Guzmán zeigt sich als Wohltäter, saniert Häuser und Straßen, baut Schulen und Kirchen. Er gilt als »Mann des Volkes«, der sich in Krisenzeiten gegen die Regierung stellt.

    Mit spektakulären Gefängnisausbrüchen wie 2015, als er durch einen Tunnel im Badezimmer seiner Zelle verschwand, stößt er nicht nur unter seinen Landsleuten auf Sympathien. Es sind genau solche Geschichten, die mir während meiner Recherche für dieses Buch immer wieder begegneten. Geschichten, in denen Verbrecher zu Stars, Journalisten zu Ermittlern und unbeteiligte Beobachter zu Fans wurden.

    Dass Kriminelle wie El Chapo ihr Filmporträt beeinflussen möchten, ist offenbar nicht selten. Im Juli 2016 wandte sich der Bruder des 1993 erschossenen Drogenbosses Pablo Escobar, Roberto, an die Betreiber des Streaming-Portals Netflix. Er habe die erste Staffel der Serie Narcos, in der es um den Aufstieg und Fall seines berühmten Bruders geht, gesehen und hätte einige Verbesserungsvorschläge. Um das Portal vor weiteren »Unstimmigkeiten« zu schützen, bot er an, die zweite Staffel vor der Ausstrahlung zu prüfen – für eine Aufwandsentschädigung von einer Milliarde Dollar.

    Narcos ist eines der unzähligen Formate des Genres True Crime, das sich mit wahren Verbrechen auseinandersetzt. Den Hype ausgelöst hat 2014 der amerikanische Podcast Serial, der sich in der ersten Staffel mit der Beweisführung im Mordprozess gegen den Schüler Adnan Syed aus dem Jahr 1999 auseinandersetzt. Seitdem ist True Crime auch hierzulande nicht mehr wegzudenken: Podcasts wie Zeit VerbrechenVerbrechen von Nebenan oder Mordlust, hochwertig produzierte Dokumentationen auf Netflix & Co., Magazine wie stern Crime oder Online-Formate wie Der Fall sind nur einige Beispiele. Und wenn selbst Arabella Kiesbauer, die in den Neunzigern in Deutschland vor allem durch ihre Nachmittagstalkshow Arabella bekannt wurde, eine Sendung mit dem Titel Arabellas Crime Time (TLC) moderiert, zeigt das: True Crime ist alles andere als ein Nischenthema.

    Dabei sind Mörder von allen Verbrechern zweifellos die Stars der genannten Formate – mit teils fragwürdigen Auswirkungen, wie die Dokumentation Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders aus dem Jahr 2019 zeigt. 30 Jahre nach seiner Hinrichtung spricht der Mann, der in den 1970ern mindestens dreißig Frauen getötet hat, direkt zu seinem Publikum. Die Doku basiert auf Tonbandaufnahmen, die Ted Bundy selbst für einen Journalisten aus der Todeszelle aufgenommen hat. Die Miniserie sorgte für einen kurzzeitigen Wirbel um seine Person – und auch für die Steigerung seiner Attraktivität. Das ging so weit, dass Netflix am 28. Januar 2019 sinngemäß twitterte, man habe festgestellt, dass viel über die »Hotness« Ted Bundys diskutiert würde und man müsse – sicher nicht ganz uneigennützig – darauf hinweisen, dass sich noch weitere Männer im Programm befänden, bei denen es sich nicht um Mörder handele.

    So groß der Boom um True Crime aktuell auch scheint, das Genre gibt es nicht erst seit 2014. Entstanden ist diese Gattung um 1920 in den USA. Magazine kamen auf den Markt, die in erster Linie männliche Leser mit einer Mischung aus Kriminalgeschichten und Sex ansprechen sollten. 1924 erschien zunächst die Reihe True Detective, kurz darauf folgte Master Detective. Beide Magazine enthielten detailreiche Schilderungen echter Straffälle, Fotos von Opfern, Tätern oder Tatorten und gaben einen Einblick in die Ermittlungsarbeit der Polizei. Außerdem versuchten die Autoren, sich in die Gedanken des Verbrechers hineinzuversetzen und herauszufinden, warum er die Tat begangen haben könnte, um zusätzlich den Detektivcharakter der Leser anzusprechen.

    Ein Meilenstein für True Crime folgte dann im Jahr 1965. Nach 6 Jahren Recherche veröffentlichte Truman Capote mit dem Buch In Cold Blood eine Art literarische Reportage über den Mord einer Familie in Holcomb, Kansas. Zwei Männer töteten einen Farmer, seine Frau und ihre zwei Kinder – aus reiner Lust am Morden, ohne augenscheinliches Motiv. Capote reiste nach Holcomb und besichtigte den Tatort, sprach mit Nachbarn und Verwandten und begleitete den ermittelnden Sheriff bei seiner Aufklärungsarbeit.

    Obwohl ursprünglich für Männer konzipiert, ist True Crime heute vor allem bei Frauen beliebt: Beispielsweise sind beim Magazin stern Crime etwa 80 Prozent der Leser weiblich. Nicholas Büchse, der am Aufbau von stern Crime beteiligt war, sagt im Gespräch dazu, dass das Magazin sich auch klar an dieser Zielgruppe ausrichte und sich mehr auf die Psychologie und die Hintergrundgeschichte der Täter fokussiere als auf Blutrünstigkeit und Horror zu setzen – eine klare Abgrenzung also zu den ersten englischsprachigen Magazinen aus den 1920ern.

    Und so spricht das Genre auch jemanden wie mich an. Bevor ich angefangen habe, mich während meines Studiums der Kultur- und Medienwissenschaften mit True Crime zu beschäftigen, war meine einzige Begegnung mit Kriminalität das Hören von alten Folgen der Drei Fragezeichen. Ungelogen: Ich würde niemals freiwillig mit einer Geisterbahn fahren, und Horrorfilme schaue ich mir nur unter Zwang an. Gleichzeitig recherchierte ich für dieses Buch, ohne mit der Wimper zu zucken, wie der japanische Kannibale Issei Sagawa sein Opfer verspeiste und schaute mir eine True-Crime-Doku nach der nächsten an. 

    Was also macht den Reiz aus, sich mit wahren Verbrechen zu beschäftigen? Nervenkitzel allein, das zeigt mein Beispiel, kann es nicht sein – denn ich bin nun wirklich keine Person, die den Thrill sucht. Was mich dagegen sehr wohl reizt, ist, aus sicherer Entfernung in eine Welt einzutauchen, die nicht weiter von meiner eigenen Lebensrealität entfernt sein könnte.

    Diese Neugierde für das Unbekannte macht True Crime so spannend. Kaum ein Genre ermöglicht es besser, als Beobachter in die intimsten Situationen anderer Menschen hervorzudringen. Gleichzeitig lernen wir, so Sabine Rückert, stellvertretende Chefredakteurin der Zeit und Verantwortliche des Podcasts Zeit Verbrechen in einem Interview in der NDR-Sendung ZAPP im April 2019, bei Kriminalgeschichten immer auch etwas über uns und die Gesellschaft, in der wir leben. Wir rätseln also fleißig mit, werfen einen hobbypsychologischen Blick in den Kopf eines Killers – um uns danach erleichtert zurückzulehnen, in dem wohligen Wissen, uns selbst nicht in Gefahr zu befinden.

    Kein True-Crime-Format würde es ohne eine ganz spezielle Personengruppe geben: die Täter. Die Beweggründe und Biografien der Verbrecher werden offenbar als wesentlich interessanter angesehen als die Schicksale der Opfer, die in der öffentlichen Wahrnehmung meist völlig außer Acht gelassen werden. Die Täter, ihre Lebensumstände und Motive scheinen Journalisten, Autoren, Filmemacher und auch uns Konsumenten viel mehr zu faszinieren.

    Die zehn Protagonisten dieses Buchs erreichten in ihrer Rolle als Sozialrebellen, Kannibalen, Mörder oder Bankräuber eine auffallend ausgeprägte Medienwirkung, die bis in die heutige Zeit und wahrscheinlich weit darüber hinaus reicht. Je weiter die Taten von Jesse James, Bonnie und Clyde, Al Capone, Charles Manson, Jack Unterweger, Issei Sagawa, Jacques Mesrine, Ronnie Biggs und Arno Funke zurückliegen, desto stärker verklärt sich ihr Bild. Teilweise sprechen wir bei einigen dieser Täter sogar von Legenden. Doch warum werden Straftäter zu Medienstars

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