Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die andere Haut
Die andere Haut
Die andere Haut
eBook152 Seiten1 Stunde

Die andere Haut

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ricardo war eine Urlaubsliebe. Intensiv, leidenschaftlich, aber flüchtig. Nichts, was eine erwachsene Frau ernst nehmen sollte, erst recht nicht mehr Jahre später, wenn sie kurz vor der Hochzeit mit einem anderen steht. Lara weiß das nur zu gut. Und doch sitzt sie nun im Flugzeug, um einige Wochen im Land des Südamerikaners zu verbringen und – vielleicht? – an etwas anzuknüpfen, für das ihr einst der Mut fehlte.

Wartet am anderen Ende der Welt ihr eigentliches Glück? Ist David, ihr Zukünftiger, wirklich der, den sie will, oder ist er nur die bequemere Wahl? Erinnert sich Ricardo überhaupt an sie, war da echtes Gefühl, oder benutzt sie ihn nur als Projektionsfläche einer diffusen Sehnsucht?

Der liebeskranke Schwede Jan, der ihr gleich nach der Ankunft in die Arme stolpert, ist nur einer von mehreren Menschen, die Lara im Laufe ihrer Reise – direkt oder indirekt – Antworten geben ...
SpracheDeutsch
Herausgeberhansanord Verlag
Erscheinungsdatum8. Jan. 2021
ISBN9783940873460
Die andere Haut
Autor

Carmen Schnitzer

Malerei, Performance, Regie, Stand-up-Kolumnen: Die künstlerischen Ausdrucks-möglichkeiten von Carmen Schnitzer sind breit gefächert, doch ihre größte Liebe ist und bleibt dabei das Schreiben. <br><br> Sei es für Zeitschriften (z.B. Yoga Journal, Vegan World), die Bühne oder für literarische Zwecke: Bislang erschienen sind ihr Roman Die andere Haut sowie der kunstvoll von Gundula Kalmer gestaltete Kurzgeschichten-Band Schmetterling küsst Regenbogen.

Ähnlich wie Die andere Haut

Ähnliche E-Books

Erotik für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die andere Haut

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die andere Haut - Carmen Schnitzer

    Kapitel 1

    Über den Wolken

    „Wenn du in mir bist, und dir meine Seele und mir dein Körper gehört, wo ist dann der Unterschied, wenn ich ihn nicht kennen will, wir lösen uns auf, wir verbrennen, hast du Angst? Ja, ja!, unsere Finger umschlungen, du verschließt mir den Mund, damit ich vergesse, und meine Liebe bleibt in mir, wie unterdrückte Tränen, besiegt." Das schrieb Lara damals in ihr Tagebuch und danach lange nichts mehr.

    Heute Nacht träumt sie, in einer kurzen Phase des Schlafs: Sie schwimmt in einem Meer aus Milch. Es gibt kein Ziel, nur fordernde Hände in der Tiefe und am Himmel einen Schmetterling, durchsichtig wie ein Diamant. Sie weiß nicht, wen sie da küsst in Gedanken und ob sie droht zu ertrinken. Ist jemand bei ihr, oder ist sie allein? Angst hat sie nicht, aber was sagt das schon. Die Sonne leuchtet violett und ist durchsetzt von glitzernden Sternen. Etwas passiert, vielleicht verschwindet sie.

    Um sechs klingelt der Wecker.

    Zum dritten Mal reist sie nun in sein Land. Ein Land, das nie das ihre sein wird und das doch eine Sehnsucht in ihr geweckt hat wie kein anderes zuvor. Sieben Jahre ist es her, dass Lara das letzte Mal diese rund 10.000 Kilometer über den Atlantik geflogen ist. Ricardos Sprache spricht sie noch leidlich gut. Sie hatte viel vergessen, doch zur Vorbereitung auf diese Reise hat sie spanische Geschichten gelesen und Gedichte, auch seine alten Briefe und die Ausdrucke seiner Mails. Laut, allein, in ihrem Zimmer, wenn David nicht zu Hause war. Auch gesungen hat sie zu den Liebesliedern auf der CD, die Ricardo ihr geschenkt hatte, bei ihrem ersten Abschied, damals, vor einer Ewigkeit, in einer Zeit, die sich manchmal anfühlt wie nicht passiert. Wie Momentaufnahmen eines Traums, das Aufflackern eines Lebens, das hätte sein können, aber nicht ist.

    „Ich dachte, wir sehen uns nie wieder", sagte er, als sie drei Jahre später wieder vor ihm stand, und ihr war, als glitzerte eine Träne in seinem Augenwinkel. Mag sein, dass sie sich das einbildet, so ist das mit den ungelebten Lieben, mehr noch mit den halb gelebten. Lara fantasiert, und vielleicht entsprechen ihre Fantasien der Wahrheit, vielleicht auch nicht. Oft genug erfährt man ja niemals, ob man auch selbst Teil eines Traumes ist, einer Sehnsucht, einer Liebe aus Zucker und Sand, die zerrinnt, sobald man sie zu greifen sucht.

    Zucker und Sand? Sie schimpft sich albern. Das Geheimnis so vieler Lieben liegt schlicht in dem Unvermögen, miteinander zu sprechen. Tausend Gründe dafür, Schüchternheit, Mangel an Gelegenheiten, eine moralische Haltung oder ein Ozean, der die Liebenden trennt, verschiedene Kulturen und Sprachen ... Es ist so banal, dass sie lachen sollte. Stattdessen dieses Brennen und dieses klopfende, klopfende Herz.

    Er weiß nicht, dass sie auf dem Weg zu ihm ist. Sie weiß es ja selbst nicht wirklich. Vielleicht sollte sie ihn gar nicht treffen, ihn zu sehen würde vielleicht ein Chaos auslösen oder – schlimmer noch – überhaupt nichts. So oder so könnte es etwas zerstören, will sie das riskieren, vielleicht sollte sie sich mit seinem Land begnügen, vielleicht ... Sie erschrickt, als sie das denkt, vielleicht ist er umgezogen, es ist so lange her, es könnte sein, vielleicht hat er eine Europäerin geheiratet wie sein Bruder und lebt mittlerweile in Holland, Spanien oder Schweden. Es wäre möglich, gar nicht mal unwahrscheinlich, viele seiner Landsleute träumen von einem besseren Leben am anderen Ende der Welt, warum nicht auch er ... Sie schluckt. Wickelt eine lange, rotbraune Haarsträhne um den Finger und zieht daran, als könne der Schmerz auf der Kopfhaut etwas überlagern oder ordnen. All ihre Gedanken und Fragen.

    Liebt sie Ricardo noch? Trotz David? Mag sein. Kann man das Liebe nennen,was zwischen ihnen war,was zwischen ihnen ist? Sie kennt ihn ja kaum noch,und was sie damals kannte,war letztlich vielleicht nur seinAbbild im Zerrspiegel ihrer Begierde. Gehören zum Kennenlernen Worte? Ihnen fehlten so viele, so vieles hat sie ihm sagen wollen, und in ihrem mittelmäßigen Spanisch blieb davon nur ein Gerüst. Aber vielleicht hat er trotzdem verstanden, ihr kam es so vor; ist das Liebe? Heißt Liebe kennen oder glauben, wissen oder vermuten, leben oder träumen oder nichts von alledem?

    Im Flugzeug hat sie noch nie Alkohol getrunken, doch jetzt bestellt sie einen Sekt. Er steigt ihr sofort ins Blut. Sie will Ricardo vergessen – kein guter Ort dafür, der Flieger zu ihm; ob es Liebe ist, weiß sie nicht, und es ist vielleicht auch egal. Nur eines spürt sie, mit einer Deutlichkeit, die sie zusammenzucken lässt. Sie will ihn noch, will ihn, will seinen Atem, will seine Haut, „café con leche" hat er es genannt, seine braune Hand auf ihrem hellen Bauch, sein Mund auf dem ihren und ihrer beider Durst ... Lara guckt aus dem Fenster, der Himmel verdunkelt sich.

    Das Flugzeug wackelt, ein Gewitter, nicht schlimm, „kleine Turbulenzen", beruhigen die Stewardessen. Die junge Latina neben Lara bekreuzigt sich mehrere Male. Ihr fehlt das obere Glied des rechten Daumens, an den restlichen Fingern glitzern mehrere Silberringe, am Hals baumelt ein kleines Kreuz. Ihre Physiognomie erinnert Lara an Ricardo, die schmalen, schwarzbraunen Augen, die markante Nase und der fein geschwungene Mund ... Ihre vergessene Heimat in einem fremden Gesicht.

    Sie schenkt der jungen Frau ein Lächeln, die lächelt zurück, bekreuzigt sich erneut und hebt auffordernd ihr Kinn, als Zeichen, sie solle es ihr gleich tun. Lara ist nicht danach, und so nickt sie nur verständnisvoll und beneidet das Mädchen kurz um sein Gottvertrauen. Wissen, was richtig ist, einfach lieben und loslassen ... Stattdessen: kleine Turbulenzen. Die der Pilot im Griff hat oder Gott. Oder auch niemand. Sie versucht zu schlafen.

    Im Spätsommer wird sie David heiraten, sie hat Angst davor, Ricardo das zu sagen, sollte sie ihn wirklich sehen. Obwohl sie ihm nichts schuldig ist. Sie hat nicht versprochen, auf ihn zu warten, hat seine Liebe nicht einordnen können, zu lange nicht an sie geglaubt, sie nicht ernst genommen, aus lauter Panik, für ihre Naivität bestraft zu werden. Unklar, ob das ein Fehler war, vielleicht hätte sie sich einfach fallen lassen sollen, kindlich vertrauen ... Aber nein, ihre ach so erwachsene Skepsis ließ sie kein Risiko eingehen, und ob ihr dadurch ihre Liebe entglitten ist oder ihr Unglück oder keines von beidem, wer weiß das schon.

    Ein Latino, der Rucksack-Touristinnen Spanisch-Unterricht gibt und Salsa-Stunden: ein Klischee, natürlich, es sagt nichts aus über den Einzelfall. Dennoch – auch damals, mit Anfang 20, meinte sie zu wissen, an wen sie gefahrlos ihre Liebe verschwenden dürfe und an wen nicht. Mein Gott, wer könnte es ihr verdenken, dass sie ihn in eine Schublade gesteckt hat mit tunesischen Animateuren und Südtiroler Skilehrern – man kennt das doch: Männer, die einem ein paar unvergessliche Nächte schenken, aber niemals ihr Herz. Küsse und Hitze und glitzernde Tropfen auf braungebrannter Haut, Meer oder Schweiß, die ganze Palette, Schwindel und Flüstern, und wenn man sich verliert in ihrem schokobraunen Schlafzimmerblick oder ihren strahlenden Bergsee-Augen, ist es schon zu spät.

    Sie wird also heiraten, sie liebt David mit jeder Faser ihres Herzens, ihres Körpers.Aber da ist auch noch Platz für Ricardo, und es ist erschreckend, wie richtig sich das anfühlt, zwei glatte, glänzende Steine in ihrer Hand, zwei Schätze, zwei Leben und so viel Glück ... Manchmal denkt sie, das ist nun mal so, sie gehört eben zu diesen Menschen, die etwas mehr Liebe übrig haben als andere, einen überquellenden Topf, wie in dem Märchen vom süßen Brei. Eine süße, klebrige Masse an Liebe, an der einer allein ohnehin ersticken würde, ein nie versiegender Vorrat an Gefühl. Warum nicht mehrere daran teilhaben lassen, esst euch satt, und niemand kommt zu kurz. Doch das sind Gedanken fernab ihres Alltags, Spielereien und Träume, für die es Gefährten bräuchte, Seelenverwandte, eine klarere Sicht und jede Menge Mut. Zwar scheint David ihr Denken und Streben zu verstehen, doch sie ist sich nicht sicher, ob er genauso fühlt wie sie. Sehnt er sich auch nach Hingabe ohne Grenzen und gesprengten Ketten und einer Liebe, die größer ist als der schlichte Zusammenschluss zweier Leben? Lara kann es nur hoffen. Fast wünscht sie sich wirklich, auch Ricardo hätte jemanden gefunden, dann liefe ihr

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1