Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

D9E - Die neunte Expansion: Ruf der Evocati
D9E - Die neunte Expansion: Ruf der Evocati
D9E - Die neunte Expansion: Ruf der Evocati
eBook287 Seiten3 Stunden

D9E - Die neunte Expansion: Ruf der Evocati

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die Schlinge um den Hals der Hondh zieht sich zu - doch es gibt noch andere Feinde auf dem Gebiet der Allianz. Während alle Kräfte sich dafür einsetzen, dass die neunte Expansion auch die letzte sein soll, treiben Krisengewinnler und Fanatiker ihr Unwesen, bestrebt, eigenes Kapital aus den zu erwartenden Umbrüchen zu schlagen. Die Crew der Interceptor macht sich auf den Weg, der Spur einer entführten genialen Wissenschaftlerin zu folgen, deren Erfindung für die Zivilisationen der Galaxis von zentraler Bedeutung werden könnte. Andere aber, aus verschiedenen Gründen, ob nun völlig durchgedreht oder voller Profitgier, folgen dem Ruf der Evocati.
SpracheDeutsch
HerausgeberWurdack Verlag
Erscheinungsdatum15. Juni 2020
ISBN9783955561086
D9E - Die neunte Expansion: Ruf der Evocati
Autor

Dirk van den Boom

Dirk van den Boom, geb. 1966, arbeitet eigentlich als Consultant und ist Professor für Politikwissenschaft. Als Science-Fiction-Autor hob er die Serie 'Rettungskreuzer Ikarus' aus der Taufe. Neben seinem Engagement für 'Die neunte Expansion' veröffentlicht er regelmäßig weitere Romane in seinem Military-SF-Zyklus um den Tentakelkrieg sowie der alternative-history-Serie um die Kaiserkrieger. Darüber hinaus ist er als Übersetzer tätig.

Mehr von Dirk Van Den Boom lesen

Ähnlich wie D9E - Die neunte Expansion

Ähnliche E-Books

Science-Fiction für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für D9E - Die neunte Expansion

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    D9E - Die neunte Expansion - Dirk van den Boom

    1

    »Sie wissen, dass ich dagegen bin.«

    »Ich glaube, die Entscheidung wurde Ihnen aus den Händen genommen, Admiral. Und in gewisser Weise wohl auch aus den unseren. Setzen Sie sich noch?«

    »Ich will nicht.«

    »Thrax, setzen Sie sich. Sie machen mich nervös.«

    Captain Theresa Skepz sah hoch, warf einen warnenden und gleichermaßen tadelnden Blick auf Alfonso Thrax, der in seinen unentwegten Runden die lange Galerie an Fenstern entlang innehielt, ein unwilliges Seufzen mit großer Selbstbeherrschung unter Kontrolle brachte, sich zur Sesselgruppe begab und mit einem Grunzen in die weichen Kissen einer Sitzgelegenheit fiel. Er fuhr sich mit einer Hand über den kurzen Haarschnitt, widerstand der Versuchung, sich die Augen zu reiben.

    Er betrachtete die leere Kaffeetasse auf dem kleinen Couchtisch. Sie wieder zu füllen, war gleichzeitig Verheißung wie Drohung, denn die Magensäure schwappte bereits auf Höhe seiner Stimmbänder, und er wusste nicht, wie lange er sie noch benötigte.

    Spingledeck sah ihn an, nickte beifällig. »Geht doch.«

    Thrax räusperte sich, seine ganze Haltung voller Unwillen.

    »Ich bin dagegen.«

    »Das weiß ich jetzt.«

    »Es ist Wahnsinn«, beharrte Thrax. »Können wir die Folgen abschätzen?«

    »Aber ja«, sagte Spingledeck, beugte sich nach vorne, hob die Whiskyflasche. »Einen Schluck?«

    Das war nicht nur nicht besser als Kaffee, es war auch noch verboten. Im Dienst. Spingledeck war das egal, er hatte die Macht, sich darüber hinwegzusetzen.

    »Wir können uns die Wahrheit nicht schön saufen«, sagte Thrax mit einem Kopfschütteln. Der Chef des Militärgeheimdienstes lächelte.

    »Wir könnten es versuchen. Aber im Ernst: natürlich schätzen wir den zentralen Teil der Folgen ab: die Hondh werden immobil und auf die Sphäre begrenzt, wo sie tun, was immer sie tun, wenn sie nicht mehr tun, was sie bisher taten.«

    Thrax zeigte auf die Flasche. »Wie viel davon haben Sie schon intus, Spingledeck?«

    »Ich habe gerade erst angefangen.«

    »Admiral, wir können damit vielleicht die Hondh-Gefahr beenden. Ich bin dafür. Keine Schlachten mehr, keine Toten, keine Mentalzombies, keine verrückten Agentinnen – wir sind da absolut auf der gleichen Wellenlänge. Aber wenn es außer Kontrolle gerät, dann könnte dies unsere ganze, wunderbar gerettete galaktische Zivilisation aus den Fugen geraten lassen. Manipulation des Menger-Raums! Unsere eigene Raumfahrt hängt doch davon ab! Handel, Diplomatie, die Lebensfähigkeit ganzer Gesellschaften. Was ist, wenn wir zusehen müssen, wie die Raumfahrt unmöglich wird, also die überlichtschnelle? Alle sind wir dann zurückgeworfen auf unsere eigenen Systeme, und wie viele werden darunter leiden? Spingledeck, hat sich das jemand mal genau überlegt? Das kann uns doch in eine neue Steinzeit zurückwerfen. Es gibt Welten, die eine so spezialisierte Ökonomie entwickelt haben, die würden unter massiven Problemen leiden. Und jetzt tun wir mal nicht so, als ob die Hondh die einzige Gefahr wären. Wenn wir massive Einschränkungen im interstellaren Verkehr haben, sind wir möglicherweise anderen Invasoren oder Bedrohungen hilflos ausgeliefert. Sind im Admiralsstsab eigentlich alle bekloppt?«

    »Selbstverständlich. Aber es gibt ja auch noch eine politische Ebene. Und das Den-Haag-Institut. Es wurden viele Entscheidungen getroffen, von vielen Entscheidern. Ich habe selbst längst den Überblick verloren.«

    »Das macht es nicht besser.«

    Spingledeck beugte sich nach vorne, seinen Blick auf Thrax fokussiert, als wolle er den unwilligen Offizier hypnotisieren.

    »Wir verlieren den Krieg, Thrax. Das wissen Sie besser als ich. Die Neunte Expansion muss die letzte sein. Wir haben die Chance, dies zu erreichen. Hier finden Sie niemanden, der das aus der Hand geben wird.« Der alte Admiral sprach ernst und bestimmt, und das verfehlte den Eindruck auf Thrax nicht. Er beruhigte sich, jedenfalls im Rahmen seiner Möglichkeiten.

    »Aber es sind exakt Ihre Sorgen, wegen derer wir dieses Gespräch führen«, fuhr Spingledeck fort und schenkte sich zwei Fingerbreit ein. »Natürlich besteht das Risiko, das Sie genannt haben. Es ist real. Unsere Wissenschaftler wissen selbst nicht genau, wie hoch es ist. Die Schätzungen gehen von ›wird schon werden‹ bis ›wir werden alle sterben‹.«

    »Das ist ja mal beruhigend«, murmelte Thrax und sah Skepz hilfesuchend an. Doch diese war nicht in hilfsbereiter Stimmung.

    »Vielleicht lassen wir den Admiral jetzt mal erklären, warum wir hier sind«, ermahnte sie Thrax freundlich, doch der Nachdruck in ihrer Stimme entging ihm nicht. Er nickte also nur, gab nach, bevor ihre Worte die Sanftheit verloren.

    »Danke, Captain. Thrax, wie gesagt: wir teilen Ihre Sorge. Also wird die Interceptor uns helfen, diese Sorge zu beseitigen. Ein wenig. Mit etwas Glück und ... Einsatz.«

    »Das Ende Ihrer Bemerkung stimmt mich nicht allzu zuversichtlich, Spingledeck.«

    »Ich weiß. Sehen Sie hier.«

    Der Admiral machte eine Handbewegung und über der Whiskyflasche entfaltete sich eine 3D-Projektion, die eine Frau mittleren Alters zeigte, mit einem professionellen, konzentrierten Gesichtsausdruck und kurz geschnittenen Haaren auf einem schmalen, lang gezogenen Schädel. Niemand, den Thrax unbedingt kennenlernen wollte. Sie schaute den Fotografen an, als frage sie sich, ob seine Existenz irgendeine echte Berechtigung habe.

    »Das ist Dr. Thessa Merrick, ehemals Leiterin der Astrophysikalischen Forschungsabteilung der Militäruniversität von Thanos III. Eine Frau von außergewöhnlicher Begabung und großem Fachwissen.«

    Thrax nickte. »Gut. Wie geht es ihr?«

    »Ja, das ist in der Tat die richtige Frage«, bestätigte Spingledeck besorgt. »Das wüsste ich nämlich auch gerne. Fakt ist, dass sie vor einer Woche aus unserer Forschungsstation auf dem Mond von Thanos III verschwunden ist, und mit ihr ein Haufen sehr teurer Ausrüstung und sehr viele Daten. Das war gut vorbereitet, gut durchgeführt und sehr beunruhigend. Jemand mit einer Menge Macht, Einfluss, Geld und Spezialisten hat das abgewickelt, und wir wurden davon völlig überrascht.«

    »An was hat die Dame gearbeitet?«

    »An unserem Sicherheitsnetz, Thrax. Dem doppelten Boden. Für den Fall, dass der überlichtschnelle Transport durch den Menger-Raum nicht mehr möglich sein sollte, arbeitete Dr. Merrick seit einiger Zeit an Alternativen, die aus ihrer theoretischen Forschung stammten – Forschung, die außerhalb der akademischen Welt bisher niemand sonderlich ernst nahm, da die Notwendigkeit einer praktischen Anwendung nicht ersichtlich war. Das hat sich ja nun möglicherweise geändert.«

    Thrax kratzte sich am Kopf. Er war unwillig, aber nicht dumm. Er zählte Eins und Eins zusammen und kam zum logischen Ergebnis. »Eine andere Form des überlichtschnellen Antriebs? Ein Prinzip, das die Nutzung des Menger-Raums nicht mehr notwendig macht?«

    Spingledeck nickte.

    »Es gibt keine Bezeichnung für das Konzept, jedenfalls keine allgemein akzeptierte. Dr. Merrick war sich in ihrem letzten Bericht sicher, die Grundlagen für die Entwicklung eines Prototypen gelegt zu haben. Wir nennen es daher einfach mal den Merrick-Antrieb.«

    »Das wird sie freuen.«

    »Dessen würden wir uns gerne vergewissern.«

    »Dafür gibt es die Polizei. Oder den Geheimdienst«, sagte Skepz mit einem bezeichnenden Blick auf Spingledeck.

    »Aber ja«, erwiderte dieser enthusiastisch. »Und der Geheimdienst hätte gerne Ihre Hilfe. Wir haben nämlich eine Hypothese. Es gibt gewisse Hinweise, die uns zum dem Schluss kommen lassen, dass eine Gruppe namens ›Evocati‹ hinter der Sache steckt.«

    Thrax sah Skepz fragend an, die hob die Schultern. Nie gehört.

    »Hondhisten?«, fragte Skepz. Naheliegend, auf diese Truppe zu kommen.

    »Nein, eigentlich nicht. Mehr so eine Art Doomsday-Gruppe, die sich darüber freuen würde wenn alle die böse Technologie ablegen und wieder zu den naturgegebenen Wurzeln biologischer Existenz zurückkehren würden. Darunter übrigens angesehene Wissenschaftler und Intellektuelle.«

    »Intellektuelle?«, fragte Thrax. »So Künstler? Schriftsteller?«

    »Ja, solche auch. Aber auch ziemlich wohlhabende Industrielle. Eine sehr seltsame Mischung mit einem hohen Grad an Esoterik. Rational nicht notwendigerweise zu erklären.«

    Es war Thrax anzusehen, was er von solchen höchst fragwürdigen Existenzen hielt.

    »Also wohlhabende, gebildete Vollidioten«, sagte er, »die für sich in Anspruch nehmen, die Wahrheit mit Löffeln gefressen zu haben. Dr. Merrick war Mitglied?«

    »Nein, aber sie hatte Kontakte, wenngleich vielleicht nicht ganz freiwillig. Es gibt, ob Sie es glauben oder nicht, sogar eine ›Evocatische Arbeitsgruppe‹ im Den-Haag-Institut. Bisher wurden sie als harmlose Spinner wahrgenommen, aber jetzt hat sich diese Sichtweise ein wenig geändert. In ihrem Umfeld fand sich der eine oder andere Sympathisant, soweit wir das haben ermitteln können.«

    »Also eine Entführung?«, fragte Skepz.

    »Das kann sein. Wir schließen weder Freiwilligkeit noch Kidnapping aus. Tatsache ist: Die Aufräumaktion war sehr gründlich. Merricks Daten und Experimente sind alle verschwunden. Auch die Backups. Sie war immer sehr diskret mit ihrer Arbeit, das rächt sich jetzt ein wenig. Ohne sie und ihre Forschungen würden alternative Methoden der überlichtschnellen Fortbewegung in ihrer Entwicklung um viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen. Wir können es uns nicht leisten, sie zu verlieren. Gerade, wenn man die von Ihnen geäußerten Bedenken ernst nimmt.«

    »Sie nehmen diese ernst?«, hakte Thrax mit einem Unterton der Zufriedenheit nach.

    »Ich schließe nichts aus. Und ich bin gerne auf alle Eventualitäten vorbereitet. So gesehen sind unsere Interessen wohl identisch, Admiral.«

    »Habe ich das richtig verstanden: es wäre das Ziel dieser Evocati, die neue Technologie zu unterdrücken, um exakt das heraufzubeschwören, was wir alle vermeiden wollen: das Ende überlichtschneller Raumfahrt mit den damit verbundenen, unabsehbaren ökonomischen und gesellschaftlichen Folgen?«, fragte Skepz.

    Spingledeck nickte. »In der Tat. Das ist zumindest derzeit unsere Arbeitshypothese. Vielleicht können Sie helfen, mehr Licht ins Dunkel zu bringen.«

    »Was für Arschlöcher!«

    »In der Tat.«

    »Was können wir tun?«

    Thrax unterdrückte den Impuls, Skepz’ Frage zu relativieren. Er sah sich mal wieder mit einer Aufgabe konfrontiert, für deren Erfüllung zumindest er sich nicht zuständig fühlte. Spingledeck hingegen sah sie dankbar an.

    »Wir wissen, dass die Evocati mindestens ein Raumschiff unterhalten, eine Yacht, finanziert durch wohlhabende Sponsoren – Sie wissen ja, Schriftsteller und so. Registriert auf einen namhaften Geschäftsmann, wahrscheinlich zur Tarnung – oder auch nicht, wir wissen es nicht genau. Wir haben natürlich sofort Nachforschungen angestellt, aber das Schiff wurde seit einer Woche auf keinem uns bekannten Raumhafen mehr registriert. Eine bemerkenswerte Koinzidenz. Auch der Transponder wurde offenbar abgeschaltet. Wir haben daraufhin eine Stille Fahndung aktiviert. Viele sinnlose Hinweise wurden gesammelt, aber dann kam gestern einer, mit dem wir etwas anfangen können. Ein Erzfrachter auf Route am Randgebiet der Allianz hat gemeldet, ein solches Schiff bei einem Orientierungsdurchflug in einem System geortet und gerufen zu haben. Es habe sich verschreckt auf den Weg gemacht und sei davongedüst. Es sieht so aus, als wären das unsere Freunde.«

    »Wir sollen sie jetzt suchen? Gibt es denn weitere Anhaltspunkte? Das ist doch schon eine kalte Spur, wenn der Transponder aus ist!«, warf Thrax ein.

    »So kalt ist sie nicht. Unser aufmerksamer Frachterkapitän mag es nicht, wenn Leute unhöflich sind – oder er ist von Natur aus ein misstrauischer Mann. Er hat den Sprungvektor und die Energieentwicklung des Menger-Antriebs aufgezeichnet. Wir wissen so ungefähr, wo das Schiff hin will. Es ist übrigens verdammt schnell.«

    Spingledeck sah Thrax nun bedeutungsvoll an. Die Interceptor war schneller. Tatsächlich war sie seit dem letzten Upgrade das verdammt schnellste Schiff der Allianz, wenn ihn nicht alles täuschte.

    Thrax zuckte mit den Schultern. Es gab wieder etwas zu tun.

    »Wir sind natürlich startbereit. Darf ich Theresa behalten?«

    »Die Exemptor hat derzeit keinen Auftrag. Wir sitzen ja alle ein wenig rum und warten auf das Ende der Zivilisation.«

    »Sie wissen wirklich, wie Sie mich an den Haken nehmen können, Spingledeck.«

    »Ich würde Sie nicht damit behelligen, wenn es nicht so dringend – und potentiell fatal sein würde.«

    Thrax hob beide Hände. »Ich bin überzeugt. Sie gewinnen. Die Daten haben wir?«

    »Wenn Sie starten können, bald, also jetzt, wäre das hilfreich.«

    Thrax erhob sich, sah Skepz auffordernd an.

    »Worauf warten wir dann noch? Retten wir das Universum?«

    Die Frau stand gleichfalls auf und sah ihn müde an.

    »Warum musst du immer gleich übertreiben, Alfonso?«

    2

    Dr. Thessa Merrick mochte ihre derzeitige Situation nicht besonders. Das hing zum einen mit dem pochenden Schmerz in ihrem rechten Arm zusammen und der Tatsache, dass der Evocati-Mensch, der irgendwie für ihre Betreuung zuständig war, die ganze Zeit von »Reinigung durch Schmerz« und »Erkenntnis durch Leid« redete und ihr nicht mehr als das Äquivalent einer Kopfschmerztablette gönnte. Dabei waren es die Gorillas seiner Eingreiftruppe gewesen, die sie so hart angefasst hatten, dass die Quetschung entstanden war. Merrick hatte sich gewehrt, aber das war auch zu erwarten gewesen. Sie hatte sich noch nie kampflos in ihr Schicksal ergeben und würde das auch jetzt nicht tun, auch, wenn das Schicksal sich diesmal wirklich sehr anstrengte, ihr das Leben zu vermiesen.

    Sie waren gut vorbereitet gewesen, das musste sie ihnen lassen. Sie hatten sich ausgekannt, die automatischen Sicherheitseinrichtungen und die wenigen Wachleute ausgeschaltet. Es hatte sich nun gerächt, dass Merrick so ein zurückgezogenes Leben geführt, ja darauf bestanden hatte. Sie verließ das Labor selten, einmal im Jahr vielleicht besuchte sie ihr altes Landhaus im Argos-System, aber seit die Expansionsgrenze immer näher kam, war auch das nur noch sehr selten geschehen. Meistens arbeitete sie, verbissen in ein Problem. Und so hatten ihre Häscher sie auch vorgefunden, hoch konzentriert, leicht abwesend, ein Opfer, das sich zu spät und zu schwach gewehrt hatte.

    Und jetzt war sie hier, wo auch immer das ganz genau war. Man hatte ihre Augen bedeckt, sie mitgeschleift, und wollte offenbar nicht, dass sie sich orientieren konnte. Ein Raumschiff, so viel stand fest. Viel mehr aber auch nicht.

    Sie saß in einer kargen Kabine, bekam etwas Nahrung und Wasser, und war ansonsten seit ihrem Eintreffen auf diesem Schiff weitgehend ignoriert worden. Diejenigen, die sie mit Aufmerksamkeit versorgten, taten dies in unregelmäßigen Abständen und weitgehend wortkarg, und auch ihre feindseligen Blicke halfen dabei wenig. Selbst wohldosierte Beleidigungen prallten an diesen Leuten ab, wie sie hatte feststellen müssen. Es war eine gleichermaßen frustrierende wie beängstigende Situation. Alle wirkten sehr entschlossen. Nur – zu was genau?

    Das Schiff, auf dem sie sich befand, war unermüdlich im Einsatz. Zweifelsohne wollten ihre Entführer eine möglichst lange Strecke möglichst unerkannt zurücklegen. Wer wusste, in welchem geheimen Stützpunkt sie enden würde. »Enden« war dabei eine sehr ernstzunehmende Perspektive. Die Häscher hatten ihre Herkunft durchaus nicht vor ihr verborgen, und die kruden Ideen ihrer Gruppierung waren Merrick ja keinesfalls fremd. Die Evocati mochten nicht, woran sie arbeitete. Sie schätzten ihre Erkenntnisse nicht, da sie möglicherweise aufhielten, wonach sie strebten. Es wäre doch das Beste für die Sache, sie einfach umzubringen.

    Vielleicht waren sie ein wenig zu zivilisiert dafür. Merrick hielt sich in ihrer Situation wirklich am dünnsten Strohhalm fest. Andererseits hatte sie so eine Ahnung, dass noch etwas mehr dahinter steckte.

    Bis sie das herausfand, blieb ihr nicht mehr als allfälliges Gegrübel. Sie hatte wenig, mit dem sie arbeiten konnte, bis zu dem Zeitpunkt, da der entscheidende Besuch eintraf.

    Die Kabinentür öffnete sich und diesmal war es kein wortkarger Wachklotz. Es war der Kommandant des Schiffes, der Anführer des Teams, das sie mitten in der Nacht aus ihren Experimenten gerissen hatte. Sie hatte ihn nur kurz bemerkt, aber seine Autorität war unübersehbar gewesen. Ein gut aussehender Mann, schlank, wohl proportioniert, einer, der offenbar auf die Hautpflege achtete und regelmäßig zur Maniküre ging. Mittleren Alters. Er lächelte auf eine sehr gewinnende Art, beinahe sympathisch, wäre da nicht die Tatsache, dass er ein merrickentführendes Arschloch war.

    »Geht es Ihnen gut, Dr. Merrick? Fehlt es Ihnen an irgendetwas?« Eine sanfte Stimme, ein angenehmes Timbre. Die Wissenschaftlerin beschloss, sich davon nicht weiter beeindrucken zu lassen. Andere Menschen hatten sie noch nie übermäßig interessiert. Die meisten waren eine entsetzliche Enttäuschung, wenn man sich etwas intensiver mit ihnen beschäftigte.

    »Mir geht es beschissen. Ich habe Schmerzen am Arm. Die Verpflegung ist furchtbar. Mir fehlt es definitiv an Freiheit.«

    Der Mann nickte lächelnd. »So schlecht kann es Ihnen nicht gehen, wenn Sie die Kraft zum Jammern finden. Innere Ruhe und charakterliche Festigung aber entstammt allein der Fähigkeit, Unbill in Würde zu ertragen und über den Fährnissen des Lebens zu stehen. Sie müssen das noch lernen, Dr. Merrick, dann haben Sie es generell leichter.«

    »Lernt man diesen Bullshit im Evocati-Fernlehrgang?«

    »Na, jetzt wollen wir mal nicht beleidigend werden.«

    Der Mann setzte sich an den kleinen Tisch in Merricks Kabine und faltete die Hände vor sich zusammen. Sarkasmus und Ablehnung tropften an ihm ab, das stellte die Entführte ernüchtert fest. Damit kam sie nicht weiter. Flehen und um Gnade winseln aber widerstrebte ihr, dies entsprach nicht ihrem Charakter. Sie war eine Frau, die sich durchsetzte und Dinge erreichte. Das hatte sie im Blut, schon immer. Es gab Grenzen, vor allem dann, wenn sie sich verstellen sollte. Und es stand ohnehin zu befürchten, dass auch echte oder gespielte Verzweiflung bei diesem Mann zu nichts führen würde. Er war auf einer Mission. Leute auf einer Mission waren immer nicht ganz bei Trost.

    »Was haben Sie mit mir vor? Wie heißen Sie?«, fragte sie, etwas weniger provozierend im Unterton als vorher.

    Der Mann nickte und lächelte erfreut, ja erleichtert.

    »Sehr schön, eine richtige Konversation. Da mache ich mit. Mein Name ist Belem, aber Sie wissen nicht, ob das stimmt oder nicht, daher hat es im Grunde keine Bedeutung, außer, dass es unser Gespräch etwas erleichtert. Wir Menschen benötigen Schubladen, und wir kleben gerne Etiketten darauf. Ich stecke in der Schublade ›böser Evocatus‹ und ich habe Ihnen als symbolische Geste der Kooperationsbereitschaft die Etikette gegeben. Sie sehen, ich bin mir über die Möglichkeiten und Begrenzungen unseres Austauschs völlig im Klaren.«

    Was für ein Schwätzer, dachte Merrick. Sie hasste Schwätzer.

    Deswegen ertrug sie die Anwesenheit anderer Menschen auch kaum.

    Deswegen arbeitete sie gerne bis spät in der Nacht in ihrer eigenen kleinen Forschungssektion.

    Deswegen war es so leicht gewesen, sie und ihre Geräte und ihre Daten zu entführen.

    Merrick machte sich selbst die allergrößten Vorwürfe. Und das half ihr in dieser Situation nicht weiter. »Der Mensch ist keine Insel«, hatte ihr Horatio gesagt, ihr zweiter und letzter Versuch einer Beziehung. Dann war er gegangen. Sie hatte ihn für diesen Satz gehasst, den dahinter liegenden Vorwurf, aber jetzt musste sie einsehen, dass er ein Körnchen Wahrheit enthielt. Sie würde einiges dafür geben, wenn Horatio jetzt hier wäre. Er war definitiv eine angenehmere Gesellschaft als dieser Belem. Und er war selbst zu seinen schlechtesten Zeiten niemals ein Schwätzer gewesen.

    »Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, knurrte Merrick. Knurren konnte sie. Horatio hatte ihr einmal vorgeworfen, es sei ihr normaler Umgangston. Das war natürlich absurd. Manchmal schwieg sie tagelang. Das war doch auch eine Form der Kommunikation. Horatio hatte das nicht einsehen wollen.

    »Ich ziehe Sie erst einmal aus dem Verkehr, Dr. Merrick, bis es den Verkehr nicht mehr gibt. Danach lasse ich Sie gehen, wobei, das gebe ich zu, Ihre Optionen dann recht eingeschränkt sein dürften. Der Ort, an den ich Sie nun bringe, ist durchaus angenehm. Sie werden sich einrichten.«

    »Ich will mich nicht einrichten, ich will, dass Sie mich sofort wieder zurückbringen.«

    Belem schüttelte sachte den Kopf.

    »Das kann ich leider nicht, obwohl ich für Ihr Ansinnen viel Verständnis hege. Aber es ist wirklich wichtig, dass die Ergebnisse Ihrer Forschungen nicht weiter in die Öffentlichkeit getragen werden. Eine Sache der Überzeugung. Sie haben sicher Verständnis dafür.«

    »Nicht im geringsten«, knurrte sie. Ja, ja. Horatio hatte Recht.

    »Sie werden meinen Standpunkt schon noch begreifen.«

    »Ich bezweifle das.«

    »Wir werden sehen. Darüber hinaus werden Sie aber die Gelegenheit bekommen, eben diese Forschungen fortzusetzen und zu einem Ergebnis zu führen. Sie werden Ihren Aufenthalt bei uns daher als angenehm und fruchtbar in Erinnerung

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1