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In der Hitze Havannas: Bob Deckers erster Fall
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In der Hitze Havannas: Bob Deckers erster Fall
eBook343 Seiten4 Stunden

In der Hitze Havannas: Bob Deckers erster Fall

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Über dieses E-Book

Robert Decker hat sein bisheriges Leben als Fotograf in München verbracht. Jetzt, mit Anfang 60, lebt er in Venice Beach bei Los Angeles, wo er ein Strandhaus geerbt hat. Er ist mit Hannah, einer Psychotherapeutin, verheiratet, jedoch leben die beiden seit seiner Übersiedlung in die USA getrennt. Die Ehe kriselt.

Robert (Bob) ist seit kurzem als Partner bei T&T Investigations eingestiegen, einem Ermittlerteam, das neben ihm noch aus Tyler Franklin und Tim McCullam, sowie Betsy, der Büroleiterin besteht. Tyler und Tim sind auch privat ein Paar.

Bob wird in seinem Haus überfallen und zusammengeschlagen, weil er im Besitz eines Fotos sein soll, das einen prominenten Politiker in Schwierigkeiten bringen würde. Er selbst weiß allerdings überhaupt nicht, worum es dabei geht. Er gerät in ernste Schwierigkeiten, als er, zusammen mit seinen Partnern und Mag, einer Polizistin des LAPD der Wahrheit auf die Spur kommt.

Zur gleichen Zeit wird T&T beauftragt, den verschwundenen Ehemann einer wohlhabende Klientin aufzuspüren. Die Fährte führt nach Havanna, und Bob reist dorthin, um ihn zu suchen. Der Fall nimmt im Laufe seines Aufenthalts auf Kuba einige überraschende Wendungen, bis sich schließlich herausstellt, dass alles ganz anders ist, als vermutet.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Okt. 2016
ISBN9783741858772
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    Buchvorschau

    In der Hitze Havannas - Nick Hermanns

    Kapitel 1

    Mein ganzes Leben lang hatte ich von einem Haus am Meer geträumt. Ich war 58, als sich dieser Traum erfüllte.

    Jetzt, zwei Jahre später, an diesem milden südkalifornischen Frühsommertag, stand ich am Fenster meines Strandhauses am Rand von Venice Beach und sah auf die Horizontlinie, die das blaugrüne Meer mit seinen kleinen Schaumkrönchen scharf vom dunkelblauen Himmel trennte. Mein rechtes Auge schwoll langsam zu, und aus der Platzwunde an der Stirn lief ein schmales Blutrinnsal an der Schläfe entlang bis zu meinem Mundwinkel.

    Die zwei Schläger hatten in meinem Haus auf mich gewartet und sich nicht lange mit Höflichkeiten aufgehalten. Beide waren fast schon Karikaturen des Typus Mafia-Handlanger – groß, stark, blöd und ausgesucht schlecht gekleidet. Ich hasse Klischees. Schon deshalb mochte ich die beiden nicht. Und natürlich auch wegen meines Auges und der Platzwunde.

    „Wo sind die Fotos, Du Penner? Wir gehen hier nicht weg, bevor Du uns nicht die Fotos gegeben hast", knurrte der jüngere, etwas kleinere, der einen metallicblauen italienischen Anzug mit schmalen Hosen, messerscharfen Bügelfalten, einem schwarzen Seidenhemd mit offenem Kragen und (man glaubt es nicht) zweifarbigen Budapestern trug.

    „Welche Fotos meinst Du?, gab ich zurück. „Die von Dir und dem Stricher am Bahnhofsklo oder das von Deiner Mutter mit diesem arabischen Vollbluthengst, wo sie… Er schlug hart und schnell zu, meine Lippe platzte auf und er guckte verblüfft auf seinen Knöchel, den er sich an einem meiner Zähne verletzt hatte.

    So langsam sah ich nicht mehr richtig gut aus, und selbst mein Hund, ein kreuzbraver Golden Retriever (der mich natürlich nicht vor den fremden Besuchern gewarnt hatte, worüber noch mit ihm zu reden sein würde), knurrte jetzt ganz leise meinen Widersacher an.

    Der zweite Kerl, sonnenstudiogebräunt, fitnessclubtrainiert und in enge, dunkelblaue Jeans, ein kanariengelbes Seidenhemd und irgendwelche HiTec-Sneakers gewandet, schwenkte seine Kanone in Richtung meines Hundes. Der begann treuherzig, mit dem Schwanz zu wedeln.

    „Sitz, Struppi!", befahl ich ihm, und sofort trollte er sich aus dem Zimmer und verschwand in der Küche. Na also – das ist mein Junge! Jetzt ging es nur noch darum, ein bisschen Zeit zu gewinnen… so hoffte ich wenigstens.

    „Also noch mal: wo ist diese Scheiß-Speicherkarte?", fragte der erste Mann, der immer noch wehleidig seine Fingerknöchel betrachtete.

    „Jungs, beim Leben meiner Mutter: Ich habe erstens keine Ahnung, was Ihr eigentlich wollt und besitze zweitens sowieso keine einzige Scheiß-Speicherkarte".

    Beides war übrigens wahr, ich hatte wirklich keine Ahnung. Und besaß eben auch keine Speicherkarte (ich fotografierte immer noch auf Film). Allerdings lebte auch meine Mutter nicht mehr.

    „Dann werden wir Dir weh tun müssen", sagte der mit dem gelben Hemd und sah dabei ziemlich zufrieden aus. Die schiere Vorfreude sprach aus seiner Mimik.

    „Dann mal los", entgegnete ich schulterzuckend und hoffte inständig, möglichst schnell das Bewusstsein zu verlieren.

    Das klappte leider nicht so richtig. Und die beiden taten mir ziemlich weh.

    ***

    Zwanzig Minuten später hätte ich den Jungs jede Speicherkarte dieser Welt auf einem goldenen Servierwägelchen hinterhergefahren – nur: woher nehmen? Auch mit wirklich professionellen Prügeln kann lässt sich nicht herbeizaubern, was es nicht gibt. Und professionell war die Vorstellung – die beiden achteten sorgfältig darauf, mich weder umzubringen noch ohnmächtig werden zu lassen. Ich lag zusammengekrümmt am Boden und versuchte, wenigstens meine Gesicht vor den derben Tritten zu schützen. Scheiße. Mir ging es gar nicht gut. Und ich war gerade nicht sonderlich optimistisch.

    Das änderte sich allerdings in dem Moment, als ich ein zweimaliges dezentes Plopp hörte, nahezu synchron. Und nicht minder synchron gingen ein metallicblauer Anzug und ein kanariengelbes Hemd zu Boden, nicht ohne dass deren Insassen mit schmerzverzerrtem Gesicht und unter Stöhnen ihr jeweils rechtes Knie umklammerten.

    Ich grinste, blutverschmiert am Boden liegend, und murmelte etwas, das vermutlich klang wie „Gtz cheti ma wa chmersis, und „Jetzt seht Ihr mal, was Schmerz ist, heißen sollte. Ich bot wahrscheinlich den Anblick eines Irren, weil ich dazu mit der rechten Hand in die dunkelrote Lache auf dem Boden schlug und dabei mein eigenes Blut verspritzte.

    „Na komm Partner, hoch mit Dir". Tyler grinste mich mit einem Gesichtsausdruck an, der irgendwo zwischen Erleichterung und Sorge schwankte, und streckte mir seine Pranke entgegen. Ich ergriff sie und stand auf – oder besser: wurde aufgestanden. Ich tat nicht wirklich viel dazu.

    „Schön Euch zu sehen", versuchte ich zu artikulieren. Und blickte von Tyler zu Tim, der, in jeder Hand eine Pistole, etwas abseits bei den am Boden liegenden Teilzeit-Mafiosi stand und aussah, als wünsche er sich nichts sehnlicher, als dass einer von den beiden eine Dummheit machen würde.

    Er winkte mir mit seiner rechten Pistolenhand zu. „Gern geschehen. Wir haben uns echt beeilt als der Notruf von George reinkam."

    Dazu muss ich vielleicht sagen: George ist mein Hund (er hieß schon so, als ich ihn aus dem Tierasyl geholt hatte, ich kann also nichts dazu). ‚Sitz, Struppi’ ist ein Befehl, der bedeutet: ‚Lauf in die Küche, drück mit der Schnauze auf den verdammten roten Knopf unten am Schrank, freu Dich über den Kauknochen, der dann aus der Klappe fällt und bete gefälligst, dass Tim oder Tyler oder beide zuhause sind, wenn bei ihnen die Alarmklingel losgeht. Und bleib in der Küche, bis ich Dich rufe’. Fragen Sie nicht, wie wir auf diese Idee gekommen sind. Und schon gar nicht, wie lange es gedauert hat, bis George aufhörte, fünfmal am Tag in der Hoffnung auf einen Kauknochen den roten Knopf anzustupsen.

    „Darf ich die beiden erschießen? Bitte!"

    „Nein Tim, das geht nicht! Später vielleicht. Erst mal müssen wir versuchen rauszukriegen, was die beiden Holzköpfe eigentlich von Bob wollten", entgegnete Tyler.

    „Schade!" Tim schaute schwermütig. Es war wirklich nicht einfach, ihm eine Bitte abzuschlagen.

    ***

    Eine Stunde später hatte Tyler mich einigermaßen verarztet – zumindest soweit, dass ich mithilfe einiger Vicodin halbwegs schmerzfrei und dabei angenehm benebelt war. Außerdem hatte er die Platzwunde an der Stirn mit Tape verschlossen und mir eine Packung Tiefkühlerbsen aufs Auge gelegt, nachdem er mich auf mein altes Ledersofa geschleppt hatte. Ich war so froh, endlich eine Verwendung für die Erbsen gefunden zu haben.

    Ein, zwei Zähne wackelten bedenklich, aber das fiel nicht in Tylers Kernkompetenz. So wenig wie meine schmerzende Niere, von der ich hoffte, dass sie sich bis morgen oder übermorgen erholen würde. Ich bin ja nicht so der Freund der Ärzteschaft. George machte eine besorgte Mine und leckte mir quer über das Gesicht. Sonst lächelt er eigentlich dauernd.

    Tim hatte sich inzwischen rührend um die beiden Schläger gekümmert. Sie lagen, sauber verschnürt und mithilfe ihrer eigenen Socken geknebelt, versandfertig neben der Haustür. Was sie eigentlich von mir wollten, mal abgesehen von der ‚Scheiß-Speicherkarte’, und vor allem in wessen Auftrag sie unterwegs waren, hatte Tim trotz geduldiger Befragung nicht erfahren.

    „Die zwei sind völlig verängstigt, meinte Tim. „Die wollen mir gar nichts erzählen. Da könnte ich sie doch eigentlich erschießen, oder?

    Tyler schüttelte den Kopf. „Tim, reiß Dich bitte zusammen und hör auf zu quengeln. Und lass mich mal kurz nachdenken."

    Ich nickte zustimmend. Hätte ich lassen sollen. Mein Schädel protestierte pochend.

    „Jungs, ich habe nach wie vor nicht den Hauch einer Idee, was für Fotos die beiden suchen. Ich meine... Ihr wisst ja, was ich mache. Street Fotos, ganz normale Menschen auf der Straße. Ich wüsste nicht, was da verfänglich sein könnte."

    Ich nuschelte immer noch, aber es wurde langsam besser.

    „OK, Du erholst Dich jetzt erst mal und versuchst zu schlafen. Tim und ich überlegen uns, was wir mit den Blödmännern machen. Oder besser: ich überlege und Tim macht es dann. Mach Dir keine Sorgen, wir lassen sie leben. Vielleicht kann ich sie ja noch so weit erschrecken, dass sie mir was erzählen."

    Ich wollte nicken, ließ es dann aber lieber und sagte „OK". OK tat nicht so weh wie nicken.

    Tyler tätschelte George den Kopf und mir die Wange. Tim und er schnappten sich jeweils einen meiner Besucher und ließen mich allein. Ich hörte noch das beruhigende Poltern, als die Köpfe der beiden abwechselnd auf jede der acht Holzstufen, die zum Garten hinunter führten, knallten. Dann röhrte der Motor von Tylers Jaguar auf und schon war ich eingeschlafen.

    Kapitel 2

    Um drei Uhr morgens schreckte ich aus einem traumlosen Schlaf hoch. Klar – ich war um ungefähr sieben Uhr abends eingeschlafen. Ich konnte mich nicht erinnern, in den letzten Jahren jemals länger als fünf, sechs Stunden geschlafen zu haben. Acht war geradezu rekordverdächtig.

    George hatte sich zu mir aufs Sofa geschummelt, ich gab ihm einen Klaps und scheuchte ihn runter. Er trollte sich auf seine Decke, wobei er einen extrem leidenden Gesichtsausdruck zeigte. Schauspieler!

    Ich bewegte vorsichtig jene Körperteile, die ich in den nächsten Minuten zum Aufstehen einzusetzen gedachte. Es ging so. Der Kopf war dumpf, aber benutzbar, also stemmte ich mich leise stöhnend hoch und wanderte ans westliche Fenster, wo ich dem Himmel dabei zusah, wie seine Farbe ganz langsam von einem tiefen Dunkelgraublau zu einem helleren, am unteren Rand sanft orange leuchtenden Blassblau wurde.

    Dieser Anblick und die Abende, an denen die Sonne in kitschig-dramatischen Farben im Meer versank, genügten mir, um meine Zweifel an der Richtigkeit meiner Entscheidung zu zerstreuen. So sehr ich mein Leben als Robert Decker in München geliebt hatte, so sehr mir Hannah fehlte und so merkwürdig mir Kalifornien manchmal erschien – ich fühlte mich hier in Venice endgültig angekommen.

    Seit knapp zwei Jahren lebte ich nun in diesem kleinen hölzernen Haus, das unweit von Venice Beach in vorderster Reihe am Meer stand, nur durch eine schmale Promenade vom Strand getrennt. Kaum zweihundertfünfzig Quadratmeter hatte das Grundstück, auf dem mein Häuschen mit seinen zwei Stockwerken von jeweils knapp fünfzig Quadratmetern stand. Östlich vom Haus, zur Straße, fand sich ein hölzerner Unterstand, der meinen alten Buick Kombi beherbergte. An der Westseite des Hauses, zum Meer hin gelegen, gab es ein Holzdeck, von dem aus ein paar Stufen in den kleinen Garten führten.

    Dieses Haus in dieser Lage zu bekommen, war ein unglaubliches Glück gewesen. Niemals hätte ich es bezahlen können. Ich hatte es vor drei Jahren von einem Onkel mütterlicherseits mit einem Defizit an anderen Verwandten geerbt, samt einem durchaus nennenswerten Geldbetrag. Solange ich keinen allzu großen Unsinn anstellte, würde der wohl bis zu meinem neunzigsten Geburtstag reichen. Da ich jeden Tag einige dicke Zigarren rauchte und auch gerne mal mit zwei, drei (und in Ausnahmefällen auch mehr) Single Malts den Feierabend einläutete, standen meine Chancen, das Geld komplett zu verbrauchen eher schlecht.

    Es wurde langsam hell, ich saß auf der Terrasse in meinem alten Adirondack-Chair, dessen ehemals kräftiges Blau über die Jahrzehnte zu einem silbrigen Grau mit einigen blassblauen Einsprengseln verblichen war. Den Sessel hatte ich aus München, aus meinem alten Leben mitgebracht. Als ich seinerzeit von der Erbschaft erfahren hatte, hatte ich das als ein Zeichen gesehen, meinen Traum zu verwirklichen und von München nach Los Angeles zu ziehen. Der Sessel kam mit, einige andere persönliche Dinge ebenfalls. Meine Frau Hannah kam nicht mit.

    Ich hatte mir ungewohnt zeitig eine erste Zigarre angezündet, einen Kaffee mit ins Freie genommen und dachte an den vergangenen Tag. Es war immer noch viel zu früh, um irgend etwas zu unternehmen, auch Tim und Tyler wollte ich noch nicht stören, obwohl ich verdammt gerne gewusst hätte, ob sie von den beiden Schlägern noch etwas erfahren – und mehr noch – was sie dann mit ihnen gemacht hatten. Wobei ich andererseits auch nicht wirklich sicher war, ob ich das so genau wissen wollte.

    ***

    Es war mittlerweile halbsechs. Immer noch keine vernünftige Zeit für irgendwelche Aktivitäten, soweit sie einen zweiten Teilnehmer erforderten. Also schnappte ich mir den Negativordner des laufenden Jahres und verzog mich damit an den Küchentisch. Zwei Stunden lang saß ich mit der Lupe über den 35mm-Kontaktabzügen, die ich immer hinter meine Negative klammere, und versuchte verbissen, irgendein Bild zu entdecken, das den Einsatz zweier Schläger rechtfertigen würde – nicht zu reden davon, dass die beiden ihren Auftritt mit der Tatsache bezahlen mussten, den Rest ihres Lebens keinen Marathon mehr laufen zu können.

    Aber wie zu erwarten zeigten die Kontaktbögen genau das, was ich in der Regel zu fotografieren pflege: Menschen in den Straßen von LA, manche hübsch, manche langweilig, manche hässlich. Manche eilig, manche langsam schlendernd. Aber weder konnte ich Spuren eines geglückten Bankraubs noch Hinweise auf einen frisch verübten Meuchelmord entdecken. Es war einfach alles erschreckend normal.

    Ich war mehr und mehr geneigt, das Ganze für eine blöde Verwechslung zu halten.

    Um acht Uhr klingelte meine Handy.

    „Guten Morgen alter Mann. Schon wach?"

    Tyler.

    „Den alten Mann lasse ich mal so stehen, ich fühle mich heute nämlich wirklich alt. Und ja, ich bin wach. Und wäre es jetzt in jedem Fall, weil das Telefon geklingelt hat."

    „Deine gestrigen Besucher haben wir laufen lassen. Tim hat versucht, noch mal mit ihnen zu reden, aber die haben vor ihrem Auftraggeber offenbar noch mehr Angst als vor Tim. Oder mir. Oder Dir... naja, das verwundert mich jetzt nicht so."

    „Danke, Tyler. Das baut auf. Und heute Nachmittag stehen die Clowns dann wieder in meinem Wohnzimmer?"

    „Kaum. Erstens können sie die nächsten Wochen nicht wirklich beschwerdefrei laufen und zweitens haben wir Ihnen eindringlich klar gemacht, dass ein weiteres Zusammentreffen zwischen ihnen und uns den finalen Verlust der Gehfähigkeit bedeuten würde. Mindestens."

    „Aber da, wo die herkamen, gibt es sicher noch andere von der gleichen Sorte."

    „Vermutlich. Deswegen werden wir vorläufig dafür sorgen, dass entweder Tim oder ich bei Dir sind. Oder Du bei uns. Wir haben ein reizendes Gästezimmer. Mit eigenem Bad."

    „Vergiss es. Ich habe einen Hund. Und eine Waffe."

    „Hat ja beides unglaublich geholfen gestern."

    „Der Hund schon. Immerhin hat er Euch angerufen. Und anders als gestern bin ich jetzt gewarnt. Ich habe übrigens den frühen Morgen damit verbracht, über meinen Fotos zu grübeln. Nichts. Ich weiß nicht mal im Ansatz, worum es hier geht."

    „Tim und ich kommen heute am frühen Abend zu Dir, dann schauen wir auch mal über die Bilder. Vielleicht fällt uns jemand auf. Und jetzt fahre ich ins Büro."

    „Bis später, Tyler. Und Danke! Wenn Ihr mich heute im Büro braucht, sagt Bescheid. Wenn nicht, bleibe ich hier und pflege meinen geschundenen Körper."

    „Tu das."

    ***

    Während ich mir einen frischen Kaffee machte, dachte ich an Tim und Tyler. Die beiden kannte ich jetzt seit gut einem Jahr. Und zählte sie schon zu meinen besten Freunden. Tyler, der mit seinen muskulösen 190 Zentimetern, seinem energischen Kinn, den dunklen Augen, der hochglanzpolierten Glatze und den blitzenden weißen Zähnen in seinem Gesicht aussah wie ein eleganter schwarzer Box-Champion mit einem deutlichen Schuss englischer Gentleman. Und Tim, der braungebrannte Surfer, mit ungekämmten halblangen blonden Haaren, Hawaiihemden und Chinos, der so nett und harmlos wirkte. Und dabei auf seine Art mindestens so gefährlich war wie Tyler. Die beiden waren nicht nur beruflich sondern auch privat ein Paar.

    Vor rund einem Jahr hatten sie für eine Beschattung einen erfahrenen Fotografen gesucht und waren von einem gemeinsamen Bekannten an mich verwiesen worden. Seitdem hatte ich immer wieder mal für die beiden gearbeitet, mich im Laufe der Zeit mit ihnen angefreundet und war schließlich vor drei Monaten als Partner bei ihnen eingestiegen. Dass wir ohnehin schon zusammen arbeiteten und die Tatsache, dass dem Büro die Summe, mit der ich mich einkaufte, ganz gelegen kam, hatte unser aller Entscheidung einfach gemacht.

    Ich liebte die Jungs.

    George stupste mich an.

    „OK, Strandspaziergang, mein Alter."

    George lächelte vorne und wedelte hinten.

    Ich griff mir eins seiner Kacktütchen, während George bereits die Treppe zum Garten hinunter stürmte und aufgeregt am Tor wartete. Ich schob die Terrassentür zu und folgte ihm. Allerdings stopfte ich mir vorher meinen stupsnasigen .38er Colt in den Bund meiner Jeans und ließ das Hemd locker darüber hängen. Bob, der coole Revolverheld. Toll. Ich wusste ja gerade mal ungefähr, wie das Ding funktionierte.

    ***

    Um genau neun Uhr klingelte bei T&T Investigations das Telefon. Eigentlich hatte Tyler gemeint, dass die Detektei mit meinem Eintritt in die Firma nun TT&B heißen müsse, aber ich hatte ihn davon überzeugt, das T&T erstens besser klang, zweitens schon in der Branche bekannt war und es drittens keine so geniale Idee wäre, schon im Firmennamen auf einen illegal in den USA lebenden Ausländer hinzuweisen. Musste ja nun nicht wirklich sein.

    Betsy, unsere treue Seele meldete sich mit „T&T Investigations, guten Morgen. Wie können wir Ihnen helfen?"

    „Catherine Remington. Ich möchte so bald als möglich einen Termin bei Ihrem besten Ermittler. Am besten noch heute."

    Betsy studierte sorgfältig den für diesen Tag komplett leeren Terminkalender. „Einen kleinen Moment bitte, ich werde sehen, ob Mr. Franklin Sie heute noch einschieben kann. Warten Sie, er kommt gerade ins Büro."

    Sie deckte die Sprechmuschel mit der Hand ab und wandte sich zu Tyler, der gerade seine Jacke an die Garderobe gehängt hatte und sich nun einen Kaffee eingoss. „Eine Catherine Remington. Klingt reich, weiß und schnöselig."

    Tyler machte Betsy ein Zeichen, den Hörer weiter zu reichen und meldete sich. „Tyler Franklin von T&T Investigations. Was kann ich für Sie tun, Misses Remington?"

    „Sie müssen meinen Mann finden, Oliver Remington, er ist seit drei Tagen verschwunden. Und: ja ich habe schon alle Bekannten und Freunde angerufen, niemand weiß etwas. Und nein: ich habe die Polizei nicht verständigt. Ich würde das Ganze aus verschiedenen Gründen gerne diskret behandelt wissen."

    „Ich könnte ihnen einen Termin heute gegen elf Uhr anbieten, Misses Remington. Wäre das für Sie Ordnung? Und könnten Sie bitte alle relevanten Unterlagen, vor allem ein paar aktuelle Bilder, mitbringen?"

    „Gut. Ich werde pünktlich bei Ihnen sein. Danke, Mister Franklin."

    „Sehr gerne. Wir werden tun, was immer wir können."

    Tyler legte auf.

    „Du kannst ja richtig seriös und gebildet klingen", sagte Betsy.

    „Ich bin richtig seriös und gebildet, meine Gute", näselte Tyler.

    „Hmmmm", murmelte Betsy.

    ***

    Gegen zehn Uhr traf auch Tim in der Firma ein. Wie nicht anders zu erwarten, trug er ausgefranste, verblichene und etwas zu weit geratene Chinos, ein Feinripp-Unterhemd und ein verschwenderisch mit Orchideen bedrucktes Hawaiihemd in Gelb-, Orange- und Rottönen. Dazu ziemlich strapazierte navyblaue Chucks und einen leichten Sonnenbrand auf der Nase. Betsy schaute über ihre Lesebrille und schüttelte leise den Kopf.

    „Du fährst heute in Urlaub, nehme ich an?"

    Tim grinste.

    „Heute war ich ganz früh wach und die Wellen waren so toll, und da wir heute ohnehin nix zu tun haben..."

    „Falsch, mein Lieber. In einer Stunde kriegen wir hochherrschaftlichen Besuch von einer reichen Lady. Du ziehst Dich also besser gleich um. Oder gehst wieder surfen."

    Tyler steckte den Kopf aus seiner Bürotür, und hielt sich abwehrend die Hände vor die Augen, als er Tim sah.

    „Das geht gar nicht, Partner! Zum einen sowieso nicht. Und heute erst recht nicht. Du hast Glück, dass du mir heute früh entwischt bist, als ich noch zu müde war, um deinen Aufzug zu kontrollieren. Oder fährst Du heute in Urlaub?"

    Tim verdrehte die Augen.

    „Das war Betsys Text. Die Wellen heute morgen... Ach egal. Geh ich halt wieder. Ich wusste ja nicht, dass wir heute ernstlich was zu tun haben würden."

    „Mit so etwas zu rechnen, wäre vielleicht im Geschäftsleben nicht ganz verkehrt. Und jetzt raus hier. Ich habe um elf einen Termin, danach treffen wir uns bei Humberto’s zum Essen."

    Tyler warf ihm Kusshand zu und schloss seine Tür.

    „Was hat er denn?", fragte Tim.

    „Recht", sagte Betsy.

    ***

    Misses Remington war exakt um drei Minuten nach Elf da. Betsy begrüßte sie, bot ihr einen Kaffee an („Danke, aber ein stilles Mineralwasser wäre wunderbar") und bat sie, Platz zu nehmen und einen Moment zu warten. Sie setzte sich auf den Rand eines unserer todschicken Bauhausstühle, auf deren Anschaffung Tyler kürzlich bestanden hatte – er hatte einen ausgeprägten Hang zu europäischem Design –, und stellte ihr Chanel-Täschchen auf ihre Knie.

    Klienten ein Weilchen warten zu lassen, gehörte zur Firmenphilosophie. Wir versuchten strikt, den manchmal nicht ganz verkehrten Eindruck zu vermeiden, wir hätten zu viel Zeit.

    Nach fünf Minuten führte Betsy sie schließlich in Tylers Büro, wo es Caroline Remington nur unvollkommen gelang, ihre Irritation zu verbergen, als sie Tyler sah, groß und vor allem schwarz, der um seinen Schreibtisch herum kam und ihr seine Hand darbot.

    Sie ergriff sie zögernd und setzte, als Tyler sie amüsiert ansah, zu einer Erklärung an. „Ich dachte nicht, dass Sie... ähhh.... so groß sind und..."

    „Bitte nehmen Sie Platz, Misses Remington, erwiderte Tyler, ohne auf ihren Fauxpas einzugehen. „Hat Ihnen meine Mitarbeiterin schon etwas zu trinken angeboten?

    „Danke, ich hatte ein Glas Wasser. Darf ich mir eine Zigarette anzünden?"

    Tyler nickte und holte einen schweren, dunkelblauen Ascher aus Murano-Glas aus dem Regal neben seinem Schreibtisch, während sie sich eine lange, schlanke Zigarette entzündete. Tyler registrierte, dass das Feuerzeug ein massiv goldenes Dupont war. Sie inhalierte tief und blies den Rauch zur Seite. Es klang wie ein Seufzer.

    Tylers Augen wanderten über die elegante Erscheinung von Catherine Remington. Es war nicht nur das Dupont – alles an ihr sagte: ich habe Geld und Stil. Sie war recht groß, sehr schlank mit blonden Haaren. Typ Grace Kelly. Tyler schätzte sie auf Mitte dreißig.

    „Erzählen Sie, Misses Remington. Was ist geschehen?"

    Sie atmete hörbar ein und aus und begann zu erzählen.

    ***

    Gegen Mittag setzte ich mich in meinen 86er Buick Century Station, ein nahezu sechs Meter langes Monster von einem Kombi, das ich gleich nach meiner Ankunft in den USA für einen Spottpreis von einem alten Herren gekauft hatte. Der Wagen war zu schwer, soff zu viel und passte nicht mehr so richtig in die Zeit – ach Gott... wir hatten so viel gemeinsam. Anders als ich war er aber in einem makellosen Zustand mit seinem glänzenden weißen Lack und den Seitenverkleidungen aus Holzimitat.

    George legte sich seufzend in den Fußraum auf der Beifahrerseite und begann nahezu umgehend zu schnarchen, während ich den großen Wagen rückwärts durch das hintere Gartentor auf die schmale Straße bugsierte, die ins Zentrum von Venice Beach führte. Falls irgendwelche schurkischen Kerle den Plan gehabt haben sollten, mich zu beschatten, so hatten sie mit dieser Straße ernstlich Pech. Links wie rechts galt ein striktes Halteverbot, und darüberhinaus war sie so schmal, dass sich regelmäßig Autos stauten, wenn die Post oder die Müllabfuhr an den Straßenrand gequetscht hielten. Dann passte allenfalls noch ein Smart vorbei,

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