Hartz IV - Ich bin o.k!: ein Perspektivwechsel
Von Gerhard Bächer
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Über dieses E-Book
Aber ebenso widerspricht das Buch der weit verbreiteten Ansicht vom faulen, ungebildeten Schmarotzer, der es sich in der sozialen Hängematte bei Bier und Dauer-TV wohl sein lässt.
Der Autor folgt dem roten Faden seiner Biografie, reflektiert dabei die verschiedenen Ursachenebenen der eigenen Langzeitarbeitslosigkeit und stellt immer wieder den Zusammenhang zu aktuellen gesellschaftlichen Prozessen her.
Im Teil 1 beschreibt der Autor die Spirale abwärts. Wie fühlt es sich an, unter öffentlicher Verwaltung zu stehen, mit Schulden umzugehen und Zukunftsaussichten, für die der Begriff 'trübe' bereits wie ein Euphemismus klingt. Fast heiter wirken dabei die Geschichten vom Ein-Euro-Job.
Im 2. Teil beschreibt er seinen persönlichen Perspektivwechsel und die von ihm verwendeten "Werkzeuge", um trotz Hartz IV in Würde und mit Freude zu leben. Ob Musik oder der Trick mit der Dankbarkeit, regelmäßige Gesundheitspraxis und Teilhabe am öffentlichen Leben – es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Isolation und Depression zu überwinden.
Mit dem Engagement für ein Bedingungsloses Grundeinkommen wird immer wieder der Bezug zur aktuellen politischen Diskussion hergestellt.
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Buchvorschau
Hartz IV - Ich bin o.k! - Gerhard Bächer
Gerhard Bächer
Hartz IV - Ich bin o.k!
ein Perspektivwechsel
Impressum
Copyright: © 2014 Gerhard Bächer
Lektorat: Stefanie Eber
Titelfoto: Bernd Kähne
Verlag: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-0221-4
www.gerhard-baecher.de
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Danksagung
Teil 1 - Spirale abwärts
Einleitung
Unter öffentlicher Verwaltung
Das vorzeitige Ende besserer Tage
Unangemessene Kosten der Unterkunft?
Gebrochene Biografie
Schulden
Zukunftsaussichten
Geschichten vom Ein-Euro-Job
Der vormundschaftliche Staat
Der ungeliebte Angehörige
Verfall der Werte
Suchtgefahr
Die Opferschleife
Teil 2 - Perspektivwechsel
Loslassen
Der Trick mit der Dankbarkeit
Musik
Klarinette statt Knarre
Gesundheit
Selber kochen - das Beste ist für mich gut genug.
Tagesstruktur
Teilhabe
BGE
Wir sind viele
Ermutigung
Lesenswertes
Zeitgeschichtliches
Weiterführende Links
Danksagung
Sie können dieses Buch jetzt lesen, weil viele Menschen mein Vorhaben solidarisch unterstützten.
Besonders bedanke ich mich bei Stefanie Eber, die Lektorat und Korrektur ohne finanziellen Ausgleich leistete. Ebenso gestaltete Michael Steinbach das Layout und den Umschlag als Freundschaftsdienst. Christel Sperlich und Edda Dietrich gaben mir wichtige Hinweise zur Darstellung meiner Anliegen. Juliane Beer ermutigte mich zum Selbstverlag und gab mir hilfreiche Tipps. Meine Schwester Gertraude Kanthak machte mich auf Naikan aufmerksam und stellte mir diesbezügliche Literatur zur Verfügung.
Michael Fielsch, Rolf Gänsrich, Frigga Wendt und Berthild Lorenz gaben mir für das Kapitel Wir sind viele bereitwillig und offen Auskunft über ihre Lebensumstände.
Darüber hinaus danke ich allen, die mir zum Beispiel auf next.de oder privat Feedback und Ermutigung gegeben haben.
Mein besonderer Dank gilt allen Personen, Initiativen und Gruppen, die sich für eine dem Grundgesetz entsprechende Anwendung der Sozialgesetzbücher einsetzen. Stellvertretend sei hier die mutige Hamburger Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann genannt, deren Petition zur Abschaffung der Sanktionen und Leistungseinschränkungen beim ALG II Ende 2013 innerhalb von vier Wochen von über 90.000 Mitbürgern unterzeichnet wurde.
Allen bekannten und unbekannten Freunden in Deutschland und der Schweiz danke ich für ihr Engagement zur Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens, mit dem ein friedlicher gesellschaftlicher Paradigmenwechsel jenseits von Hartz IV möglich erscheint.
Januar 2014
Teil 1 - Spirale abwärts
Einleitung
Gegenwärtig bin ich arbeitslos. Gewinnbringend arbeitslos, was meine persönliche Entwicklung betrifft. Den Mitarbeitern des Jobcenters muss ich gestehen, dass ich in letzter Zeit nicht intensiv genug nach Arbeit gesucht habe. Stattdessen habe ich einen Teil dieser Zeit genutzt, um dieses Buch zu schreiben.
Einen anderen Teil dieser Zeit habe ich genutzt, um Texte und Musik für neue Lieder zu schreiben, die ich dann noch einstudieren und bis zur Vortragsreife üben musste.
Damit war aber noch nicht alle Zeit verbraucht. Zur Erweiterung meiner Kurs-Reihe „Grundlagen der traditionellen chinesischen Gesundheitslehre" an der Volkshochschule habe ich Workshops zu Eisenhemd Qigong und Dantien Qigong ausgearbeitet.
Tatsächlich hatte ich aber immer noch genügend Zeit übrig, den gesetzlich vorgeschriebenen Bewerbungspflichten nachzukommen und die Email-Postfächer zahlreicher Unternehmen unaufgefordert mit unverlangten BeWerbeNachrichten zuzuspammen.
Aber mal ehrlich: Glauben Sie, dass ein sechzigjähriger Langzeitarbeitsloser, der sich noch dazu öffentlich für direkte Demokratie und Bürgerrechte einsetzt, in diesem Land von einem Privatunternehmen für eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit fest angestellt wird?
Alles in allem befinde ich mich trotzdem in einer komfortablen Position. Ich habe keine Angst, in Hartz IV abzurutschen. Ich bin ja schon da, ich bin am Bodensatz der Gesellschaft, tiefer geht es nicht.
Wenn ich jedoch meine Perspektive ändere und aufhöre, mich in Kategorien geld- und machtorientierter Hierarchien zu bewerten, sieht meine Welt etwas anders aus. Machtlosigkeit und Armut - ohne damit zu kokettieren - können mir auch eine wunderbare Freiheit des Geistes verleihen. Ich bin ja nicht der Erste, der dies herausgefunden hat.
Nach über zehn Jahren erfolgloser Bewerbung um Wiederaufnahme in den ersten Arbeitsmarkt finde ich es inzwischen nebensächlich, ob ich subventioniert werde oder Einkommen „verdiene".
Ohne Subventionen gäbe es kein Geistesleben wie wir es heute kennen, keine Kultur, keine Kunst, kein religiöses Leben in dieser Form, aber auch keine ausreichende Wohlfahrtspflege. Ohne Subventionen gäbe es nur minimale Renten und keine moderne Gesundheitsversorgung, beide werden in erheblichem Umfang aus Steuermitteln bezuschusst.
Oder denken Sie an die Exportsubventionen für landwirtschaftliche Produkte, mit denen die Kleinbauern in den Entwicklungsländern ruiniert werden, oder an die Exportbürgschaften für Atomkraftwerke und Kriegsgerät. Erinnern Sie sich noch an die „Bankenrettung" mittels hunderten Milliarden Euro Steuergeldern?
Und mit dem „Verdienen" ist es auch so eine Sache. Aber dazu später.
„Ich bin o.k!" bedeutet nicht, dass ich Hartz IV beschönigen will. Der Name ist ja Programm, der Namensgeber ein rechtskräftig verurteilter Straftäter, der 2.600.000 Euro veruntreut hat. Inzwischen verbinden viele Menschen diesen Namen mit zweifelhaften politischen Konzepten, Machtmissbrauch und Menschenverachtung gegenüber den ökonomisch Schwachen. Im Ernstfall werden sie bis zu Obdachlosigkeit und Hungertod sanktioniert.
Sozialverbände und zahlreiche Politiker beklagen, dass Hartz IV mit der heißen Nadel gestrickt und schlecht gemacht ist. Hilflosigkeit, Ratlosigkeit, völlige Überlastung der Sozialgerichte, das Bundesverfassungsgericht verlangt Änderungen. Wieso kriegen wir das auch nach Jahren nicht besser hin? Liegt der Fehler im System?
Ich habe den real existierenden Sozialismus siebenunddreißig Jahre lang erfahren. Inzwischen habe ich auch über zwanzig Jahre Praxis des Kapitalismus und die aberwitzige Heiligsprechung von Egoismus und Gier erlebt. Das ist bunter und kälter.
Permanente Massenarbeitslosigkeit in ganz Europa, Jugendarbeitslosigkeit von über fünfzig Prozent in Südeuropa und dem arabischen Raum - die Dinge liegen aus meiner Sicht offen vor uns: Die Nachfrage nach angemessen entlohnter menschlicher Arbeit sinkt aufgrund fortschreitender Automatisierung immer mehr. Im Zeitalter der Informationstechnologie ist Produktivitätswachstum längst von der Entstehung neuer Arbeitsplätze entkoppelt.
Dazu hat sich die Weltbevölkerung in den letzten vierzig Jahren fast verdoppelt - und damit auch die Nachfrage nach Erwerbsmöglichkeiten. Die Verteilung der vorhandenen menschlichen Arbeit und vor allem die Verteilung der Gewinne aus Maschinenarbeit hinkt dieser Entwicklung weit hinterher.
Ich sehe auch keine Wirkung zweiter und dritter Arbeitsmärkte, die werden seit Jahrzehnten praktiziert, die Massenarbeitslosigkeit ist immer noch
da.
Während das so genannte eine Prozent trotzdem immer reicher wird, kommt bei den restlichen neunundneunzig Prozent immer weniger an, und nebenbei zerstören wir auch noch die Zukunft kommender Generationen.
Die Ideologie vom Sieg des Stärkeren und Egoismus als Triebkraft aller wirtschaftlicher Aktivität ist gescheitert. Es riecht wieder nach Veränderung. Aus den Bankpalästen dringt Verwesungsgeruch, aber auf den Plätzen und Straßen grünen und blühen neue Ideen und Initiativen.
Beispielsweise die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für jeden Menschen. Sie provoziert die Diskussion um unseren Arbeitsbegriff, unseren Begriff von Eigentum und unser Menschenbild, nach dem wir angeblich nur durch Zwang bereit wären, zu arbeiten.
Ich erinnere mich an Schulbücher meiner Kindheit, in denen die Zukunft in rosigen Farben gemalt wurde. Maschinen arbeiten für uns, Menschen sind vor allem kreativ tätig. Vielleicht erscheint es heute naiv, mir gefällt diese Vorstellung immer noch. Und ich ergänze sie um den Aspekt, dass wir damit auch die Freiheit haben, unsere Persönlichkeit weiter zu entwickeln.
Auch wenn Hartz IV dringenden Verbesserungsbedarf hat: Ich habe beschlossen, die Grundsicherung als - vielleicht unbeabsichtigten - Schritt in diese Richtung zu betrachten.
Die neuen gesellschaftlichen Bewegungen basieren auf der Erkenntnis, dass wir Menschen nur durch Kooperation überlebensfähig sind. Durch Kooperation können wir uns an fast alle Bedingungen auf diesem Planeten anpassen, durch gegenseitigen Respekt, gegenseitige Achtung, Unterstützung und Mitgefühl.
Unter öffentlicher Verwaltung
„Am Armen und Arbeitslosen wird beispielhaft vorgeführt, was jedem bevorsteht, wenn er sozial abstürzt: Der totale Verlust der Autonomie, Entwürdigung und Kontrolle des Menschen, Missachtung der Grundrechte und der Intim- und Privatsphäre."
(Ronald Blaschke „Freiheit, Liberale Demokratie, Bedingungsloses Grundeinkommen")
Nichts geht mehr, das kleine Bauträgerunternehmen ist zahlungsunfähig. Am 19. November 1999 melde ich die Firma beim Bezirksamt Prenzlauer Berg in der Fröbelstraße ab. Das Gewerbeamt ist im Haus 6, auf dem Rückweg melde ich mich beim Sozialamt im Haus 2 an. Als Selbstständiger habe ich keine Arbeitslosenversicherung, aber ich brauche eine Ablehnungsbescheinigung vom Arbeitsamt. Kontoauszüge der letzten drei Monate, Mietvertrag und Betriebskostenabrechnung sind vorzulegen, dazu Nachweise der Kosten für Gas und Strom. Ich bin jetzt eine öffentliche Person, stehe unter Verwaltungshoheit des Staatsapparates, es gibt keine Privatsphäre mehr. Nach Vorlage aller Bescheinigungen bekomme ich sofort Lebensunterhaltsgeld für den laufenden Monat. Erleichterung, ich atme auf, so einfach ist das mit dem sozialen Netz.
Ab sofort habe ich an jedem Monatsende einen Vorstellungstermin im Haus 2, zusammen mit meinen aktuellen Kontoauszügen, auf denen die Überweisung von Miete, Gas und Strom dokumentiert sind. Außerdem sind Bemühungen um Arbeit nachzuweisen. Im Gegenzug gibt es einen neuen Scheck, den ich an der Bezirkskasse unter Vorlage meines Personalausweises einlöse. Einmal im Jahr gibt es eine Sonderzahlung für Kleidergeld und im Dezember Weihnachtsgeld. Finde ich super, zum ersten mal in einem Leben erhalte ich Weihnachtsgeld und erstmals seit der Wende ein regelmäßiges und zuverlässiges Einkommen.
Das vorzeitige Ende besserer Tage
Gute Sache: der Instinkt.
Rechtzeitig trieb er mich,
die Zähne reparieren zu lassen,
als ich noch versichert war
und mich mit Goldinlays bedienen ließ.
Kann jetzt wieder hartes Brot kauen.
Da schmerzt der Hintern auch schon
auf so 'nem lackierten Sperrholzstuhl
im Haus 2, dritter Stock.
Kahler Warteflur ohne Tageslicht.
Zwei Säufer mit schrumpligen Tomatengesichtern
und der Dunstspur von Modder und Bier
treten mutig die Kippen aus