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Schweigen = Tod, Aktion = Leben: ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993
Schweigen = Tod, Aktion = Leben: ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993
Schweigen = Tod, Aktion = Leben: ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993
eBook219 Seiten2 Stunden

Schweigen = Tod, Aktion = Leben: ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993

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Über dieses E-Book

Die-Ins, Strassen-Aktionen, Boykott, eine Dombesetzung - ab Ende der 1980er Jahre, zu Zeiten des Höhepunkts der Aids-Krise, wirbelte mit ACT UP eine neue Gruppierung die Aids-Politik auf. In ihren Aktionen manifestierte sich auch die Wut auf Ausgrenzung und Diskriminierung, auf Untätigkeit und Ignoranz. Nicht nur über uns, sondern mit uns - Menschen mit HIV und Aids wollten endlich selbst ihre Stimme erheben, wollten aktiv beteiligt werden.

1987 in New York entstanden, traten ab 1989 auch in Deutschland zahlreiche ACT UP Gruppen auf den Plan. Wie und aus welchen Beweggründen heraus entstand ACT UP? Was waren die wesentlichen Aktionen und Aktionsformen? Warum endete ACT UP nach wenigen Jahren wieder?

Ulrich Würdemann, damals selbst ACT UP Aktivist, erinnert an ein Stück deutscher Aids-Geschichte und geht der Frage nach, ob ACT UP heute Mythos und 'Gerümpel der Geschichte' ist, oder uns heute noch etwas zu sagen hat.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum21. Juni 2017
ISBN9783745075892
Schweigen = Tod, Aktion = Leben: ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993

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    Buchvorschau

    Schweigen = Tod, Aktion = Leben - Ulrich Würdemann

    Ulrich Würdemann

    Schweigen = Tod

    Aktion = Leben

    ACT UP in Deutschland 1989 bis 1993

    „My rage is really about the fact that WHEN I WAS TOLD THAT I'D CONTRACTED THIS VIRUS IT DIDN'T TAKE ME LONG TO REALIZE THAT I'D CONTRACTED A DISEASED SOCIETY AS WELL."

    David Wojnarowicz (1954–1992), Postcards from America: X-Rays from Hell (1989)

    Für Andreas

    Für Jean-Philippe

    In Liebe für Frank

    Inhaltsverzeichnis

    Inhalt

    Vorwort

    Wut in New York – die Entstehung von ACT UP in den USA

    „Ich will nicht sterben! – Larry Kramers „1,112 and counting …

    Die Gründung von ACT UP New York

    „We are not silent"

    Motto und ikonografisches Logo:Die „Marke" ACT UP

    Das SILENCE = DEATH Project

    Installation Let the record show

    Gran Fury und General Idea:Zwei Beispiele für die künstlerische Auseinandersetzung mit Aids

    Exkurs: „Eine holocaustische Zeit"?Die problematische Verknüpfung von Aids und Holocaust

    Die Aidskrise in Deutschland Ende der 1980er-Jahre

    „Sterbt doch aus …" – Gauweilereien, Hetze und Pogromstimmung

    Exkurs: Von Sündenböcken und Opferlämmern

    Positive im Verborgenen

    Positive und die Aidshilfe(n) – ein Aufstand

    1989: „Wir sind im Krieg!" – die Entstehung ACT UP in Deutschland

    In memoriam Andreas Salmen (1962–1992)

    1989/90: Wie aus Ulli ein ACT-UP-Aktivist wurde

    „Man kann die doch nicht angreifen!" – Gespräch mit Jean-Philippe

    ACT-UP-Reibungsflächen

    ACT UP und die Schwulen(bewegungen)

    ACT UP und Moralismus – auch von Schwulen

    ACT UP und Aidshilfe(n)

    ACT UP und „die Positiven"

    Organisation, Prinzipien und Arbeitsweise von ACT UP in Deutschland

    Organisation

    Prinzipien

    Arbeitsweise

    Das Die-in – die wohl markanteste Aktionsform von ACT UP

    Bundesweite Vernetzung

    Internationale Vernetzung

    HIV-Positive und Aids-Kongresse:von Wut zu Zusammenarbeit

    1990: 3. Deutscher AIDS-Kongress, Hamburg

    1992: 4. Deutscher AIDS-Kongress, Wiesbaden

    1993: IX. Internationale AIDS-Konferenz, Berlin

    Nach ACT UP: von Genf über Essen und St. Gallen zur Vereinbarung von 2010

    ACT-UP-Aktionen in Deutschland 1989–1993

    1990/91: Jesse Helms und der „Marlboro-Boykott"

    Der „Marlboro-Boykott"

    ACT-UP-Protest im Dom zu Fulda

    Johannes Dyba, Bischof von Fulda

    Das Vorbild: „Stop the Church", New York, Dezember 1989

    Vorbereitung der Aktion in Fulda

    Wirkung und Folgen

    ACT UP vor Ort: Das Beispiel Köln

    Kristallisationspunkt: Gutemiene – Jean-Claude Letist (1946–1990)

    ACT UP Köln – wärmer leben (1990–1993)

    Wärmer leben: der Versuch einer Fusion von schwulem und Aids-Aktivismus

    Aidsaktivismus in Köln vor ACT UP

    1989–1993: Themen von ACT UP in Deutschland

    Geld, Geld und nochmals Geld

    Frauen und Aids

    Medikamente, Therapien, Pflege – politischer Aktivismus oder Therapie-Aktivismus?

    Kreide trinken – wenn man sie denn bekommt ...

    Tausende Tote, (k)eine Pille

    AZT

    ddI

    ACT UP Treatment Meeting in Hamburg, 6. bis 8. Dezember 1991

    Pflegenotstand

    Strukturen der Aidsforschung

    Nach ACT UP: Community-Beteiligung in Studien

    Arzt-Patient-Verhältnis

    Verhältnis Aidsaktivismus – Therapieaktivismus

    Das Ende von ACT UP in Deutschland

    Herbst 1993: Die Luft ist raus …

    Gründe für das Ende von ACT UP in Deutschland

    Zum Vergleich: ACT UP Paris

    Ist ACT UP in Deutschland gescheitert?

    ACT UP in Deutschland – aus den USA importierter Aktivismus?

    Unterschiedliche Ausgangssituationen in den USA und Deutschland

    ACT UP in Deutschland – ein Import trifft auf „Eigengewächse"

    ACT-UP-Aktionen in Deutschland: Übernahmen aus den USA und eigene Themen

    Exkurs: Kunst und Aidsaktivismus in Deutschland und den USA

    ACT UP – was bleibt, was wirkt weiter?

    „Mach mir mal ’n ACT UP!"

    Den Mythos ACT UP dekonstruieren

    ACT UP – eine Bewegung?

    ACT UP – eine Schwulen- oder Positivengruppe?

    Was war ACT UP?

    Statt eines Epilogs: „Aktivismus hat uns vorangebracht, nicht schwuler Mainstream"

    Quellen- und Literaturverzeichnis

    Der Autor

    Impressum

    Vorwort

    „Sing if you're glad to be gay, sing if you're happy that way" – mit diesen Zeilen von Tom Robinson begann Ende der 1970er-Jahre mein schwulenbewegtes Leben. Der Song, ursprünglich für die Londoner Gay-Pride-Parade 1976 geschrieben, war 1978 erstmals auf Platte erschienen und für viele Schwule schnell zu einer der bekanntesten Hymnen geworden. Wir sangen ihn Anfang der 1980er-Jahre auf den ersten CSDs in Hamburg (die damals noch Stonewall hießen), und er drückte treffend mein damaliges Lebensgefühl aus: jung, stark und (nach einigen inneren Kämpfen) unglaublich froh, endlich frei und selbstbestimmt meinen eigenen schwulen Weg durchs Leben zu gehen. Glad to be gay.

    Nur wenige Jahre später prägten ganz andere Gefühle und Bedingungen mein Leben. Stolz und Zuversicht drohten von Verlust und Angst erstickt zu werden. Angst vor neuer Repression gegen uns Schwule, aber auch Angst um Freunde, um unser eigenes Leben, um unsere Zukunft.

    An die Stelle fröhlichen Singens voller Vertrauen auf die Zukunft trat der Versuch, mit Aktivismus Wege aus dem Grauen zu finden. Aus dem Motto „Glad to be gay" wurde „Schweigen = Tod, Aktion = Leben". 

    Als ich zum ersten Mal von der seltsamen neuen Krankheit hörte, die angeblich nur Homosexuelle „befiel und deshalb auch „Schwulenkrebs genannt wurde, war ich 23 oder 24. Nur wenige Jahre später, mit 27 Jahren, saß ich an einem kalten Märzmorgen bei meinem Hausarzt und hörte ihn sagen, ich sei mit HIV infiziert. Doch zunächst machte ich – nach einer kurzen Zeit der Orientierung – weiter wie bisher, mit meiner Karriere, dem Engagement in der Schwulenbewegung, meinem Alltag.

    Andernorts, weit weg, wurden zu dieser Zeit Menschen wütend. Gingen auf die Straße. Entwickelten neue Formen des positiven Protests. Nahmen die Dinge selbst in die Hand. 

    Wenige Jahre später war auch meine Wut so groß, dass ich aidspolitisch endlich „den Arsch hochbekam". Mich selbst gegen das engagierte, was abstrakt schon lange, aber bald auch immer tiefer persönlich in mein Leben eingriff: Aids.

    Ja, wir hatten damals tatsächlich „Feuer unterm Arsch". Es brannte um uns herum, überall, lichterloh. Immer mehr unserer Freunde erkrankten, manche starben, oft unter größtem Leid, schon nach wenigen Monaten.

    Wir, das war ein Kreis engagierter Menschen – in Köln und darüber hinaus. Schwul, lesbisch, hetero. Jede_r auf seine_ihre Weise betroffen. HIV-positiv, ungetestet oder HIV-negativ. Was uns einte, war Wut. Sichtbarkeit sowie das Recht, selbst für uns als Menschen mit HIV und Aids zu sprechen – was heute weitgehend erreicht scheint, mussten wir uns damals erst erkämpfen. Ganz besonders galt das für die Bereiche Wissenschaft und Medizin sowie für Aids-Kongresse, aber auch in vielen Aidshilfen war dies Ende der 1980er/Anfang der 1990er-Jahre alles andere als selbstverständlich.

    Forderungen und Vorstellungen von Menschen mit HIV und Aids zu Gehör zu bringen, ihre Interessen zu artikulieren und in Entscheidungsfindungen einzubringen – das wurde zu einem der großen Themen von ACT UP. 

    Einige wenige Jahre lang waren wir präsent mit unserer Wut, die unser Engagement, unsere Proteste und unsere Aktionen befeuerte. Doch schon 1992/93 war „die Luft raus aus ACT UP, wie eine Mitstreiterin viele Jahre später formulierte. So schnell, wie ACT UP in Deutschland entstanden war, so schnell war es auch wieder verschwunden. Was ist geblieben? Haben wir zu Veränderungen beigetragen, Spuren hinterlassen, die über den „Mythos ACT UP hinausreichen? Ja, ACT UP ist längst zu einem Mythos geworden, der manchmal recht weit von den damaligen Geschehnissen entfernt zu sein scheint. An manches erinnert man sich, anderes wird vergessen. Vieles wird verklärt, einiges missverstanden. 

    Was hatte es auf sich mit ACT UP? Was bewegte uns Aktive, was waren unsere wichtigsten Aktionen und Ziele? Und ist ACT UP „Schnee von gestern", oder hat diese Form des Aidsaktivismus der frühen 1990er-Jahre uns auch heute noch etwas zu sagen, wenn wir sie vom Nebel des Mythos befreien? 

    Zur Klärung dieser Fragen möchte ich mit meinen Erinnerungen beitragen – und mit der Bewahrung unserer Geschichte(n) auch Bausteine für die weitere Arbeit an unserer Zukunft liefern.

    Ulrich Würdemann

    Hamburg, Frühjahr 2017

    Wut in New York – die Entstehung von ACT UP in den USA

    Am 5. Juni 1981 veröffentlichte die US-Gesundheitsbehörde CDC in ihrem Morbidity and Mortality Report (MMWR) eine kurze Notiz: Bei fünf jungen Männern in Los Angeles, alle homosexuell, waren ungewöhnliche Fälle von Pilzinfektionen und einer seltenen Lungenentzündung festgestellt worden (Gottlieb 1981). Schon kurz darauf berichtete die New York Times (Altmann 1981), ab Mai 1982 auch die Presse in Deutschland (siehe unten).

    Das neue Erkrankungsbild wurde von Mediziner_innen zunächst – frühes Zeichen anstehender Stigmatisierung? – als gay related immuno deficiency oder kurz GRID bezeichnet (auf Deutsch etwa „schwulenbezogene Immunschwäche"), gelegentlich auch als gay cancer („Schwulen-Krebs"). Ende Juli 1982 wurde dann erstmals die neutrale Bezeichnung acquired immuno deficiency syndrome (AIDS) vorgeschlagen, auf Deutsch etwa „erworbenes Immunschwäche-Syndrom".

    1983 wurden in den USA bereits 3.064 Aidsfälle gemeldet. Bis Ende 1984 waren insgesamt bereits 3.665 Aidstote bekannt, schon 1986 war die Zahl auf 16.301 gestiegen, 1987 dann auf nahezu 28.000. Ein Jahr später wurden allein in New York 6.445 neue Aidsfälle gemeldet, 13.990 Menschen waren bis dahin in der Stadt an den Folgen von Aids gestorben.

    „Ich will nicht sterben! – Larry Kramers „1,112 and counting …

    Bereits 1983 hatte der Autor Larry Kramer versucht, die Communities in New York wachzurütteln: Am 14. März machte der „New York Native mit Kramers Text „1,112 and counting auf, seiner längst legendär gewordenen Wutrede gegen Schweigen, Untätigkeit und Desinteresse. Darin heißt es unter anderem:

    „Wenn dieser Artikel nicht eure Wut weckt, euren Ärger, eure Rage, eure Aktion – dann haben Schwule auf dieser Erde keine Zukunft mehr. … Unsere weitere Existenz als schwule Männer in dieser Welt steht auf dem Spiel. Wenn wir nicht um unser Leben kämpfen, werden wir sterben."

    (Kramer 1983; Übersetzung: U. W.)

    Larry Kramers Text war vermutlich der erste größere Essay über die damals noch neue Seuche, die gerade erst auf den Namen Aids getauft worden war. Die steigende Anzahl der neuen Aidsfälle und insbesondere der Toten sei erschreckend, hielt Kramer seinen Lesern entgegen. Was auch immer es sei, es breite sich schneller und schneller aus, und selbst führende Ärzte und Forscher wüssten nicht, was vor sich gehe (das auslösende Virus wurde erstmals im Mai 1983 noch unter anderem Namen beschrieben und erst drei Jahre später als HIV bezeichnet, kurz für human immunodeficiency virus, auf Deutsch etwa „menschliches Immunschwäche-Virus").

    Kramer kritisierte nicht nur die Untätigkeit von Politik, Gesundheitsbehörden und Forschung, sondern griff vor allem auch die Schwulen und ihre Medien (wie den Advocate, eines der auflagenstärksten US-Homo-Magazine) wegen ihres Schweigens an:

    „Ich habe die Schnauze voll vom Advocate… Ich habe die Schnauze voll von Schwulen, die keine Wohltätigkeitsveranstaltungen für Schwule unterstützen … Ich habe die Schnauze voll von Klemmschwestern … Ich habe die Schnauze voll von all jenen in dieser Community, die mir sagen, ich solle aufhören, eine Panik auszulösen."

    (Kramer 1983; Übersetzung: U. W.)

    Bereits damals – keine zwei Jahre, nachdem die ersten Fälle von Aids

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