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Die Allee: Notizen vom Ende der Straße
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eBook236 Seiten3 Stunden

Die Allee: Notizen vom Ende der Straße

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Über dieses E-Book

Nach einer gescheiterten Indienreise bezieht der Autor des Buches ein kleines Zimmer in einem besetzten Haus. Inmitten einer bunten Mischung von Kunststudenten, Straßenmusikern, Kiffern, Säufern, Aussteigern und sonstigen Phantasten taumelt er zwischen Selbstzweifel und Selbstüberschätzung, Einsamkeit und Ausschweifung, Realität und Wunschtraum. Und vor der Türe wartet die Abrissbirne...

Die niedergeschriebenen Episoden basieren auf Tagebucheintragungen. Die Ereignisse wurden weder geschönt noch dramatisiert und geben das Leben so wieder wie es ist - oder richtiger - zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort war. Eine Chronologie der laufenden Ereignisse. Episoden reihen sich ohne einen inneren Zusammenhang aneinander. Personen tauchen auf, verschwinden, ohne dass der Leser ihnen habhaft wird. Das Leben präsentiert sich nicht als ein abgeschlossener Roman, es endet weder mit einem Happy End, noch führt es zu einer auflösenden Klarheit oder Erkenntnis, es scheint unberechenbar und ohne Ziel.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum10. Sept. 2018
ISBN9783746761053
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    Buchvorschau

    Die Allee - Z. Blanck

    e_buch

    New Morning

    Die Indienreise war gescheitert.

    Es war Herbst. Der Himmel war grau. Es regnete. Trotzdem nahm ich nicht die Straßenbahn. Ich ging die Graf-Adolf-Straße herunter. Endlich daheim. Ich atmete tief durch. Nein, es gab kein Zurück mehr. Entweder würde ich hier bleiben, oder weiter nach London fahren. Aber niemals zurück. Manchmal ist das Leben sehr einfach. Ich hatte Hunger und war auf dem Weg zur Kunstakademie. Die Mensa befand sich im Keller. In den Kellergewölben des Gebäudes begegnete mir Horst.

    „Na, wieder zurück? Warst du in Indien?" fragte er mich.

    „Nein, ich bin nur bis Griechenland gekommen."

    „Ich wusste, dass du zurückkommen würdest. Wo wohnst du denn jetzt?"

    „Weiß ich noch nicht, muss ich noch sehen. Vielleicht kann ich erst mal bei einer Bekannten unterkommen."

    „He, das trifft sich doch gut. Wir haben heute eine Hausversammlung, bei uns wird ein Zimmer frei. Komm doch um fünf auf der Allee vorbei. Dann können wir direkt entscheiden, ob du bei uns einziehen kannst."

    „Ja, das wäre nicht schlecht." Vor einigen Wochen hätte ich es noch als eine Erfüllung meiner Tagträume empfunden in eines der besetzten Häuser einzuziehen, inzwischen war es mir ziemlich egal.

    „Siehst du, manchmal ergibt sich alles wie von selbst." Horst erzählte mir noch einige Neuigkeiten aus der Akademie, unter anderem, er würde in Kürze für ein Semester nach Florenz gehen. Nachdem er mich auf den neusten Stand des Akademielebens gebracht hatte, trennten wir uns.

    Ich vertrödelte die Zeit, fuhr kurz bei Françoise vorbei, einer Bekannten von mir und quartierte mich bei ihr ein. Ich ließ mein Hab und Gut, einige Klamotten, die ich in einer Umhängetasche der Bundeswehr verstaut hatte, bei ihr. So gab ich ihr dezent zu verstehen: „Jetzt hast du mich vorerst am Hals." Ich nahm die nächste Straßenbahn und fuhr zur Allee. Auf dem kurzen Weg von der Haltestelle bis zu dem Haus blieb mir noch genug Zeit meine Situation zu überdenken. Irgendwelche Leute hatten gleich die Möglichkeit über mein weiteres Schicksal zu entscheiden. Ihnen brauchte nur meine Nase nicht zu passen und schon sah die Situation für mich ziemlich mies aus. Mein Optimismus vom Morgen war dahin, London in weite Ferne gerückt. Alles war davon abhängig, wie sich die selbst ernannten Richter entscheiden würden. Ich trat vor das Tribunal.

    Sie tagten in der Gemeinschaftsküche. 2.Etage. Einige Holzstühle. Ein zerschlissenes Plüschsofa, davor ein großer Tisch. Natürlich waren noch nicht alle da. Ich wartete. Nach und nach trafen sie ein. Der Raum füllte sich. Die Letzten setzten sich auf die Lehne des Sofas. Sie erschienen mir als eine eingeschworene Gemeinschaft. Ich musterte sie, schätzte sie einzeln ab. Welchen Eindruck mochte ich wohl auf sie machen? War ich ihnen sympathisch? Oder hatten sie etwas gegen mich? Obwohl ich es durchaus gewohnt war vor Publikum ein Sache zu vertreten, tat ich mich bei einer Selbstdarstellung eher schwer. Alles hing von Horst und seinem Einfluss ab. Aber zuerst diskutierten sie tausend andere wichtige Hausregeln und Probleme aus. Endlich der letzte Tagesordnungspunkt. Die Vergabe des freien Zimmers. Es dauerte nur wenige Sekunden. Es gab keine Alternative zu mir. Es kam zur Abstimmung. Ich bekam das Zimmer für 20,- DM im Monat. Gott sei Dank - ich war gerettet. Ich war in der Kunstszene - in der Hausbesetzerszene. Ich war in.

    Elke, die Vorbesitzerin meines gerade erworbenen Zimmers, erschien etwas verspätet. Sie hatte pechschwarzes, kinnlanges Haar, eine blasse Hautfarbe, eine äußerst schlanke Figur und auffallende durch schwarzen Eyeliner betonte Augen. Ihr Aussehen lag irgendwo zwischen einem Harlekin und Kleopatra. Sie war der Zeit voraus und kündigte, die etwas später aufkommende New Wave Mode, an.

    Elke und ich schauten uns noch einmal in dem Zimmer um. Zirka drei mal vier Meter gähnende Leere. Zwei große Haken, in gegenübergelegenen Zimmerecken angebracht, waren Elkes einzige Hinterlassenschaft. Sie erklärte mir, daran war ihre Hängematte befestigt. Ich ging auf das Fenster zu und blickte auf den Hinterhof. Es war dunkel. Die schwarze Silhouette eines großen Baumes beherrschte die Szenerie... Elke bot mir an, mich zu Françoise zu fahren. Ich nahm dankend an. Während der Fahrt in ihrem 2CV schwieg Elke, was mich dazu veranlasste sie mit ellenlangen Ausführungen vollzutexten.

    Ich zog ein. Ich wurde krank. Ich musste zurück. Nie gelang etwas. Ich nahm den kurzen Aufenthalt in der Familie wahr, das Nötigste mitzunehmen. Matratzen, Bettzeug, ein paar Klamotten. Meine Mutter schwatzte mir ihr ausgedientes aber guterhaltenes Service auf und bat mich, ein Konto zu eröffnen, damit sie mir 250,- DM im Monat überweisen könnte. Ich zierte mich ein wenig, war im Grunde aber froh, so wenigstens etwas Geld zu haben.

    Mein Schwager fuhr mich zurück.

    Das Service brachte ich in unsere Gemeinschaftsküche. Sie befand sich im 2. Stockwerk, eine Etage über meinem Zimmer.

    In dem Geschirrkorb stapelten sich ein Dutzend verdreckte Teller. Frederic hatte vor einigen Wochen ein großes Spaghetti-Essen veranstaltet. Der Abwasch sollte später folgen, jetzt keimte in den Schüsseln und auf den Tellern der Schimmelpilz zwischen den Essensresten. Frederic schmiss Wochen später das schmutzige Geschirr aus dem Küchenfenster. Es landete auf der Müllhalde in dem Hof des unbewohnten, zugemauerten Nachbarhaus. Die Ratten hausten dort. Der Abfall türmte sich bis zum Rand der mannshohen Mauer, die die beiden Grundstücke voneinander trennte.

    Ich stellte das Geschirr in den Schrank. Mein erster Beitrag zur Gemeinschaft. Einige Tage darauf war es verschwunden. Konfisziert von dem einzig wahren Kommunisten im Haus.

    Ich begann mein Zimmer einzurichten. Drei Wände strich ich sandfarbend, eine mokkabraun, von ihr aus zog ich zwei Halbbögen über die beiden angrenzenden helleren Wände. Das Ganze hatte etwas Arabisches, Mediterranes. Aus einem alten Fensterrahmen und einem Brett baute ich mir direkt vor dem Fenster einen Schreibtisch. Irgendwoher trieb ich einen Stuhl auf. Dann begann meine Hauptaufgabe. Die Tür meines Zimmers von den fünf dick aufgetragenen Lackschichten zu befreien. Dies war für mich eine Art spiritueller Vorgang. Eine Allegorie. Eine Mission. Genauso wie ich die Farbe der Tür abschleifen musste, musste ich die Schutzhüllen der Bewohner entfernen um zu ihrem Kern vorzudringen. Sie von ihren Mauern befreien, damit sie wieder wie das Holz frei atmen konnten.

    Ich schleppte die Tür in den Hof und bearbeitete sie mit Schmirgelpapier. Ich kaufte Beize. Nur stellenweise drang ich bis zum Holz vor. Vergebene Mühe. Ich gab auf und hatte nun eine Tür mit großen weißen Lackflecken. Kopfschüttelnd betrachteten die Mitbewohner mein Treiben. Ein Idiot mehr im Haus.

    Ich machte einige Antrittsbesuche. Das Thema war vorgegeben, die Kunst im Allgemeinen und im Besonderen die Malerei. Fast alle Hausbewohner studierten an der Kunstakademie. Eine Luxemburger Fraktion, Frederic, Raoul und André beherrschte das Geschehen im Haus. Frederic, ihr Wortführer, war von seiner Berufung überzeugt. Er stellte sein Licht nicht unter die Scheffel. Nur ihm, dem freien Künstler, dem Genie gebührte der Ruhm. Abschätzend urteilte er über alles Vergangene. Er glaubte an die Revolution, an die Erneuerung, an den ewigen Fortschritt. Das Alte war überholt, die Vergangenheit gehörte auf den Schrottplatz der Geschichte. Selbst Zitate alter Meister oder Dichterfürsten fanden keine Gnade vor seinem skeptischen Geist. Abschätzend blickte er dann durch seine Brille, verzog seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln und gab einem so zu verstehen: „Du Trottel hast auch gar nichts kapiert."

    Raoul ähnelte in seinem Äußeren etwas Paul Gauguin, längliche Gesichtsform, eine relativ große leicht gebogene Nase, schwarzes schulterlanges Haar, Oberlippenbart. Sein ganzes Auftreten hatte etwas von einem Bohemien. Er malte surrealistische Bilder, obwohl es sein angestrebtes Ziel war später einmal in der Werbung zu arbeiten und viel Geld zu verdienen.

    André war der Typ, den man kurz als den Schwarm aller Schwiegermütter bezeichnen könnte, adrett gekleidet, zurückhaltend, vernünftig, kein bisschen freakig. Er studierte auf Lehramt und gab sich anscheinend mit dem Machbaren zufrieden.

    Die Tage vergingen. Ich versuchte die geheimen Verbindungen aufzudecken, die Beziehungen zu klären. Ich tappte im Dunklen. Die Semesterferien nahten. Das Haus leerte sich. Zu Weihnachten war ich der Einzige im Haus. Tristesse...

    Silvester. Ich begab mich in die Altstadt. Ich entfloh meiner selbst gewählten Einsamkeit. Es war wie immer. Ich hoffte eine Frau abzuschleppen, doch meistens kam ich nur sturzbesoffen nach Hause. Irgendwann nach Mitternacht landete ich in einer Junkie-Kneipe. Ich kam mit einer Frau ins Gespräch und wir tranken ein Alt nach dem andern. Das Lokal schloss.

    „Komm, lass uns zu mir gehen", schlug ich vor. In der Hoffnung sie hätte nun den Alkoholpegel erreicht, bei dem man sich willenlos seinem Schicksal ergibt, aber sie bekam den Hals nicht voll.

    „Sieh mal, die haben noch offen." Sie zeigte auf das gegenüberliegende Gebäude. Wir überquerten die Straße und kehrten in eine stinknormale, bürgerliche Kneipe ein.

    Wir stellten uns an den Tresen.

    „Zwei Alt."

    Maria, so hieß meine neue Bekanntschaft, versuchte verzweifelt den Barhocker zu besteigen. Ich gab ihr Hilfestellung. Sie rutschte herunter. Ein neuer Anlauf. Ich hielt sie fest. Wir kippten unser Bier herunter.

    „Noch zwei Alt!" rief Maria in Richtung des Barkeepers. Kaum hatte sie die Bestellung aufgegeben, schwankte sie nach vorn und schlug mit dem Kopf auf die Theke.

    Ich schüttelte sie. „Komm hoch."

    „Ihr habt genug", stellte der Barkeeper beiläufig fest.

    „Wer sagt das?!" giftete Maria.

    „Ich! Der Barkeeper stützte sich mit beiden Händen auf der Theke ab und brachte seinen korpulenten fast zwei Meter hohen Körper eindrucksvoll zur Geltung. „Ihr habt genug, und ihr bekommt bei mir kein Bier mehr.

    „Was soll denn der Scheiß? Wir bezahlen!" fauchte sie.

    „Ist mir egal. Ihr habt doch gehört, was ich gesagt habe!"

    Maria explodierte: Was ist das denn für ein Scheißladen? Ich will mein Bier!

    „Verlasst sofort das Lokal!"

    „Komm, lass uns gehen." Ich hatte keinen Bock auf Stress.

    „Wieso? Ich lass mich von dem Wichser doch nicht anmachen."

    „Verschwindet!"

    Ich zog Maria von dem Barhocker.

    Torkelnd machten wir uns auf den Weg. Marie drehte sich noch einmal um. „Wichser!!"

    „Raus!!!"

    Wir verließen das Lokal, gingen einige Schritte, überquerten die Straße, stellten uns an den Straßenrand und warteten auf ein Taxi.

    „Meine Scheiße...", murmelte Maria, dann sank sie in sich zusammen. Ich versuchte sie aufzufangen, aber wir landeten beide in der Gosse. Ich rappelte mich auf, griff ihr unter die Arme.

    „Komm." Ich zog Maria hoch. Mühselig kamen wir auf die Beine. Sie torkelte. Ich hielt sie fest. Ein Taxi kam. Wir fuhren zur Allee. Wir gingen hoch auf mein Zimmer.

    „Wo ist das Klo?"

    „Eine halbe Treppe höher."

    Ich zog mich aus und legte mich auf die Matratze. Maria kam wieder. Sie stand vor mir und zog sich aus. Ich bemerkte ihre Narben. „Was hast du denn da gemacht?"

    „Da bin ich durch eine Scheibe gefallen, sie schlug die Decke hoch und legte sich zu mir, „und hier hatte ich einen Unfall, und hier... Sie erzählte mir aus ihrem verrückten Leben. Sie führte das Leben einer Kriegerin. Ich gab ihr etwas Liebe und war der Überzeugung, ein gutes Werk zu tun... Am nächsten Morgen verabschiedete sie sich von mir.

    Es wurde kalt. Ich hatte nicht genug Geld, um mir Kohlen für den Ofen zu kaufen. Ich zog mir morgens meine billige Synthetikfelljacke über und ließ sie dann den ganzen Tag an, sowohl draußen als auch im Haus. Abends legte ich sie über meine Schlafdecke, damit ich nicht allzu sehr fror.

    Es gab nichts zu tun. Die Bewohner des Hauses waren noch immer in den Semesterferien und ich begann, mein Zimmer zu zeichnen. Ich nahm mir vor, mich langsam hinauszuarbeiten. Erst das Zimmer, dann den Flur, dann das Haus, den Turm, die Straße... und dann die ganze Welt. Es war an der Zeit, wieder draußen zu malen, so wie es die alten Meister getan hatten. Meine großangelegte Kunstaktion endete frühzeitig im Treppenhaus.

    Die Geldprobleme wurden größer. Ich musste etwas tun... Ich kam auf den genialen Einfall einige Bilder anzufertigen und sie zu verkaufen. In einem kurzen Kreativitätsrausch zeichnete ich an zwei Tagen einige Kohlezeichnungen und zog mit ihnen in die Altstadt. In einer Geschäftspassage legte ich meine Bilder aus und bot sie zum Verkauf an. Einige Angestellte eines Kaufhauses beobachteten mein Tun äußerst misstrauisch. Ob sie mich als ernsthaften Konkurrenten für ihr Geschäft ansahen? Es dauerte nicht lange, als zwei Polizisten auftauchten und mich nach meinem Gewerbeschein fragten. Ich hatte noch nie von so einem Schein gehört, geschweige eine Ahnung wofür der gut sein sollte. Die Polizisten nahmen mich mit auf die Altstadtwache um meine Personalien aufzunehmen und meine feilgebotene Ware sicherzustellen. Ich kochte vor Wut. Ich verfluchte diesen raffgierigen Konzern samt seinen Angestellten, diese Kleingeister, diese Handlager des Kapitals, die selbst einem Bettler das Brot nicht gönnten. Gegen die Polizisten empfand ich keinen Groll. Ich fühlte mich eher in ihrer Obhut geborgen. Sie behandelten mich korrekt. Sie taten ihren Job. Einige Tage später erhielt ich einen Bußgeldbescheid über 100,- DM wegen Verstoßes gegen §49 der Straßenverkehrsordnung und §59 des Landesstraßengesetzes von NRW.

    In der Öffentlichkeit herrschte durch gezielte Beeinflussung der Medien und einiger unternehmerfreundlichen Parteien die Ansicht vor, die Arbeitsämter würden ineffektiv arbeiten und bei Jobvermittlungs- oder Zeitarbeitsfirmen bekäme man schnell und unkompliziert eine Aushilfsarbeit. Ich sah in der Straßenbahn ein Werbebanner, merkte mir die Adresse und suchte die Firma auf. Eine junge Frau nahm meine Personalien auf. Ich verschwieg ihr einen Teil meiner Karriere um mir unnötige Fragen zu ersparen. Sie vermittelte mir einen Job für drei Tage im Süden der Stadt. Ich fuhr am nächsten Morgen mit der S-Bahn dorthin, wurde am Werkstor empfangen und in einen Aufenthaltsraum geschickt. Einige Leute warteten dort schon, und als alle Aushilfen eingetroffen waren, nahm uns ein Vorarbeiter ins Schlepptau und führte uns zum Personalbüro. Wir erhielten eine Stempelkarte, stempelten ein, wurden über das Fabrikgelände zu einer Halle gelotst und anschließend verschiedenen Abteilungen zugewiesen. Etwa die Hälfte von uns musste einen LKW entladen. Ich bekam einen Hubwagen in die Hand gedrückt und durfte die Paletten quer durch die Halle ziehen. Dies geschah alles unter der Aufsicht des Vorarbeiters. Nach einer knappen halben Stunde gab er, mit dem sicheren Gespür eines Vorgesetzten, seinen Job an den größten Einschleimer und Wichtigtuer weiter. Der Einfaltspinsel sollte von nun an die eintreffenden Kartons zählen. Er lief mit Bleistift und Block bewaffnet wie ein Irrwisch um die Paletten herum und zählte laut jeden Karton. Er kam nicht auf die Idee, dass bei gleicher Größe der Kartons und gleicher Stapelhöhe, die Anzahl der Kartons identisch sein musste. Der Vorarbeiter beobachtete das Spiel eine Weile und gab ihm dann den Tipp, nicht hinter den Paletten herzulaufen, sondern den Leuten Anweisungen zu erteilen - und jetzt blühte unser Kretin auf! Laut brüllte er seine Kommandos durch die Halle. „Halt! Ich muss das noch kontrollieren... „So geht das nicht! Du musst... Er war nun wichtig. Er hatte uns etwas zu sagen!

    Gegen Mittag wurde ich in eine Produktionshalle versetzt. Ich hatte nur eine vage Vorstellung, was in dieser Firma hergestellt wurde. Am Eingang unter dem Firmennamen stand etwas von Baustoffen... Ein Arbeiter klärte mich auf, sie produzierten Steinwolle in dieser Halle, durch das Fertigungsverfahren wurden winzige Mikrofaser durch die Luft geschleudert und diese setzten sich in den Poren der Haut fest und erzeugten einen starken Juckreiz. Ich sollte mich am Abend gründlich duschen. Na, bestens! In unserem

    Haus gab es weder eine Dusche noch ein Bad.

    Ich überstand die drei Tage. Und am letzten Tag, einem Freitag, kurz vor Feierabend rief der Vorarbeiter die Aushilfen zusammen und verkündete am Schluss seiner kurzen Ansprache den von mir herbeigesehnten Satz: „Sie erhalten Ihren Lohn am Dienstag bei Ihrer Zeitarbeitsfirma."

    Ich stand überpünktlich zu dem angegebenen Termin auf der Matte der Zeitarbeitsfirma. Eine junge Angestellte überreichte mir das Geld und die Abrechnung. Ich stutzte. Ich hatte einen höheren Betrag erwartet. Sie erzählte etwas von Abzügen... Zu Hause sah ich mir die Abrechnung etwas genauer an. Sie hatten mir nur zwei Arbeitstage berechnet! Ich fuhr zurück.

    „Das kann doch gar nicht sein. Ich habe drei Tage gearbeitet. Wo ist der Betrag für den letzten Tag?"

    „Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Die Abrechnung wird von der Firma erstellt, bei der Sie beschäftigt waren."

    „Ja, aber ich habe doch die drei Tage gearbeitet!" beteuerte ich nochmals.

    „Tut mir leid, daran kann ich nichts ändern..."

    „Sie können doch mal dort anrufen..."

    „Nein, das geht nicht."

    Ich sah sie ungläubig an. „Wieso?"

    „Ich kann das von hier aus nicht klären, das müssen Sie schon selbst tun."

    „Wie denn? Was soll ich denn jetzt machen?"

    „Fahren Sie zur der Firma und sprechen Sie mit dem Lohnbüro."

    Ich machte mich auf den Weg. Der Pförtner stellte sich störrisch, sah keine Veranlassung mich passieren zu lassen. Es kostete mich einiges an Überzeugungsarbeit, bis er mir widerwillig Einlass gewährte. Ich marschierte zum Lohnbüro und schilderte meinen Fall. Eine mürrische Büroangestellte, Mitte vierzig, mit Brille nahm sich eher desinteressiert, im Bewusstsein ihr konnten keine Fehler unterlaufen, meinem Problem an. Sie suchte meine Stempelkarte heraus.

    „Sehen Sie, Sie haben nur an zwei Tagen gestempelt."

    Das konnte nicht sein! Sie zeigte mir die Karte. Oh Scheiße, ich hatte am Freitag nach der Rede des Vorarbeiters, wohl in der Freude den Job hinter mir zu haben, vergessen auszustempeln. Ich erklärte es ihr.

    „Na, das kann ja nun jeder behaupten!"

    „Aber ich habe doch eingestempelt! Das sehen Sie doch hier!" Ich

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