Lehrer sein und Mensch bleiben: Die nicht ganz ernst gemeinte Dokumentation eines Berufslebens
Von Michael Reim
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Über dieses E-Book
Mit dem Taxischein war die finanzielle Unabhängigkeit gesichert und das Tor geöffnet für unzählige "Taxi(ge)schichten", die Rm, zur Auflockerung langer Doppelstunden, seinen Schülern gelegentlich erzählte. Was der zukünftige Lehrer hier im nächtlichen Berlin erlebt hat, von witzig über spannend bis sehr traurig fesselte nicht nur die Schüler, sondern wird mit Sicherheit den Leser ebenfalls zu Schmunzeln und Rührung bringen.
Während des Studiums verbrachte Rm ein Schuljahr in einer französischen Kleinstadt als Fremdsprachenassistent. Seine Anekdoten über diese Zeit, die, er war damals Mitte Zwanzig, gelegentlich auch erotische Anspielungen (mehr nicht, der Text ist ja vor allem an seine Schüler adressiert) enthalten, sind, wie alle Begebenheiten in diesem Buch, nicht erfunden, sondern, bis auf die Veränderung mancher Namen, wahr.
Dann endlich das Ziel erreicht. Die erste eigene Klasse. Die erste Klassenfahrt, ein Fiasko. Eine Schülerin kippt volltrunken von einer Treppe, knallt mit dem Kopf gegen einen Türrahmen und sitzt am nächsten Tag im Flieger nach Berlin.
Als Sportlehrer ließ sich Rm immer wieder etwas Neues einfallen, um die Schüler zu motivieren. Das war zwar nicht immer sinnvoll, hat den Schülern aber trotzdem Spaß gemacht. Dem Lehrer auch, und das merkt man.
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Buchvorschau
Lehrer sein und Mensch bleiben - Michael Reim
Lehrer sein und Mensch bleiben
Die nicht ganz ernst gemeinte Dokumentation
eines Berufslebens
Michael Reim (Rm)
Der Autor
Michael Reim (Rm), Jahrgang 48, absolvierte nach dem Abitur auf Druck des Vaters eine Lehre zum Großhandelskaufmann in Hamburg, um dann, endlich volljährig, den eigenen Plänen zu folgen, und an der FU Berlin Französisch und Sport zu studieren. Das Studium finanzierte er sich überwiegend durch Nacht-Taxischichten. Erlebnisse aus dieser Zeit dienten während langer Doppelstunden im Unterricht dazu, diesen etwas aufzulockern. So bietet das vorliegende Buch nicht nur einen Einblick in den Schulalltag an der Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg, sondern schildert auch Geschehnisse aus dem nächtlichen Berlin der Siebziger Jahre. Als Klassen- und Vertrauenslehrer sowie als Verwalter der Schulfinanzen hat Rm nicht nur die Schüler, sondern auch die Kollegen und Kolleginnen von verschiedenen Seiten wahrgenommen und einige von ihnen beschrieben.
Lehrer sein und Mensch bleiben
Auszüge aus den Erlebnissen in 33 Berufsjahren an der Sophie-Scholl-Schule in Berlin
und natürlich auch die Taxi-Geschichten
von Rm
Alle Personen in diesem Buch wurden mit vollem Namen erwähnt, wenn ausdrücklich anerkennend oder neutral über sie berichtet wurde. Im Zweifelsfalle oder wenn Personen und ihre nachweisbaren Handlungen negativ dargestellt wurden, habe ich ihre Namen verändert(*) oder durch einen willkürlich gewählten Anfangsbuchstaben ersetzt. In jedem Falle war ich immer um korrekte Wiedergabe von Tatsachen bemüht und hatte nicht die Absicht verfolgt, bestimmte Personen zu verunglimpfen. Wenn sie dies durch ihre eigenen Handlungen selbst taten, ist das, meiner Meinung nach, eine andere Sache.
Impressum
Lehrer sein und Mensch bleiben
Michael Reim
published by: epubli GmbH, Berlin,www.epubli.de
Copyright: © 2015
Überarbeitete Ausgabe der Printversion von 2014
ISBN: 978-3-7375-3886-2
Für alle Schüler, Eltern und Kollegen, die in den letzten Jahren mit der Sophie-Scholl-Schule und mir zu tun hatten und für jeden, der einen Einblick in das Leben eines Lehrers haben und die Geschichten lesen möchte, die ich meinen Schülern gerne in „Denkpausen" erzählte.
Für Jara und Lisa, deren Taximiniatur bis zu meinem Dienstende auf meinem Schreibtisch stand.
Für Katrin W., deren Eiffelturm noch immer an meiner Schreibtischlampe baumelt (s. Youtube: „Lehrer sein").
Für Efi und Jana, die mir mit dem Geschenk des Buches „Neulich im Taxi" von Uli Hannemann den letzten Impuls gaben, dieses Buch hier zu schreiben.
Und natürlich für die unzähligen anderen Schüler, die ich in diesen Jahren unterrichten durfte.
Michael Reim (Rm)
Berlin, im Februar 2015
Inhalt
Vorwort: Wie es zu diesem Buch kam
Oberschulkarriere und erste Orientierung
Erinnerungen an die Walter- Rathenau-Schule (WRS)
Vorbilder
Raucherklo
Referendare
„Versuchs doch mal mit einer Frau von Dreißig"
Mitschüler
Abitur- und was dann ?
Hamburg
Fast ein Seemann
Raum ist in der kleinsten Hütte
Eine Spinne für 48,45 DM
Otto
Mit Sportsgeist durch die DDR
Unlogisch und dennoch effektiv
Eine Aktie vom Messingbergwerk
Endlich aufgeklärt
Studium an der FU von 1970 bis 1979
Jobs
Die MINEX
Akkord ist Mord
Ich wurde nicht entdeckt
Taxigeschichten
Der Eisbärenweg
Geld stinkt nicht
Fritz Franz B.
Mit gleicher Münze heimgezahlt
General v. Seydlitz
Ein Schein kommt selten allein
Lady Nina und das Bad im See
Trauer um Siggi S.
Muhammad Ali
Achtung Aufnahme !
Der Rückfall lauert überall
Das Schicksal kann so gemein sein
Die Hure und ihr Loddel
Hilfe, das Baby kommt
Meine kürzeste Schicht, weil das Baby kam
Alarm nachts um zwei
Kampflesben unterwegs
Mit 80 km/h Richtung Spandau
Im Kittchen ist kein Zimmer frei.
Die dunkle Seite des Gewerbes
Nathie
Die Zentrale aus Franken
Die Mausefalle gilt für alle
Die Uni
Arbeitsgruppen
Marxisten-Leninisten vs. Sapere Aude
Wer schläft, sündigt nicht
Und der Arbeiter hat doch Recht
Keine Ahnung und dennoch zur Prüfung
Streiken, aber richtig
Semesterferien Sommer 1970
Per Anhalter durch Westeuropa
„Ritz ist nicht gleich „Ritz
Paris- zum ersten Mal
Semesterferien Sommer 1971
Aller Anfang ist schwer
Ein Motorrad kommt geflogen
Ein Kuchen und 1000 Photos
Paris, Montmartre - oder: im Bett mit Walter
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib
Semesterferien Sommer 1972 (nur eine Situation)
Und die Madonna schaute zu
Sens
Erste Erfahrungen mit Pädagogik
Wovor Aschüaschen uns gewarnt hatte -
trotzdem reingefallen
Fast das Ende meiner Karriere
Ein Blinder ohne Durchblick
Zwei Hähne und kein Aschenbecher
Pädagogisches Eigentor
La bande - unsere Clique
Zivilcourage
Pack die Badehose ein
Der Kölner Hauptbahnhof und ein Entschluss
Ein unbeabsichtigter Bluff auf dem U-Bahnhof
Der Nazi mit den Schweinsäuglein
Die Poelchau-Schule- meine Feuerprobe
Das Referendariat
Meine ganz besonderen Erlebnisse mit Schülern
Endlich Lehrer : Meine erste Klassse
Die erste Klassernfahrt - ein Fiasko
Mancher lernt es nie oder: „Petri Heil !"
Der 12.12. hat es in sich
Hinweis ist nicht Bedingung
Mit den Schülern unter die Dusche
Ein orientalischer Märchenerzähler
Eine sehr rührende Art von Achtung
Reyhan
Fuad C.
Kirstin*
Jessica* L.
Schade, dass Sie eine Transe sind
Kava und der Gerichtsvollzieher
Handauflegen hilft nicht immer
Le temps perdu
Aladin* und die 40 Räuber
Die Polizei, dein Freund und Lehrmeister
Eine erstaunliche Entwicklung
Ananasekim und was die Mutter davon hat
Wahlpflicht Sport
Herr Reim, das Yudenschwein
Hurensohn
Biste schwul, oder was?
Das „Quba"
Ein „Déjà vu" der besonderen Art
Tischtennis mit Sara B.
„Feuchtgebiete"
Ein Basecup für 1 €
Anklopfen erwünscht I
Anklopfen erwünscht II
Wie ich einmal einen Schüler mobbte
Die Judo- AG und ihre Wurzeln
Actio-reactio oder Formen der Schlagfertigkeit
Geistesblitze und andere Dummheiten
Ich vergesse, ich vergaß, ich vergaste
Die Wahrnehmung ist von Zigaretten abhängig.
Der große Sprung des Boris* G.
Ich glaub’, ich geb’ mir die Kugel
Völkerball mal etwas anders
Voll auf die Zwölf
Der Reck
Ein Quadrat ist ein Quadrat ist ein Quadrat…
Ordnung muss sein
Blinder Alarm
Bitte recht freundlich
Das „schwache" Geschlecht
Exhibitionisten
„Bumm", und du bist tot.
Eine Skireise, die ins Auge ging
Ein Blinder mit Durchblick
Der „Dubedweini"
Ach macht doch alle, was ihr wollt !
Et maintenant ?
Anhang: einige Klassen und einzelne Schüler
(hauptsächlich, aber nicht nur, für meine ehemaligen Schüler interessant)
1980/1981
1982/1983
1983/1984
1985/1986
1988-1989
1990/1991
1991/1992
1992/1993
1993/1994
1994/1995
1998/2002
1999/2000
2002/2003
2003/2007
2006/2007
2007/2008
2008/2009
2009/2010
2010/2011
2011/2012
2010/2013
Die lieben Kollegen Von Segeletz bis Stasi-Hasi
Nachwort
Vorwort
Wie es zu diesem Buch kam.
„Sie müssen das, was Sie uns hier immer erzählen, unbedingt einmal aufschreiben, „Warum machen Sie denn nicht endlich Ihren Schwarzgurt ?
, „Sie kommen aber ganz schön oft zu spät (Mein alter Spruch: „Ein Lehrer kommt grundsätzlich nicht zu spät, er wird aus administrativen oder pädagogischen Gründen aufgehalten
wirkte in dieser 10. Klasse nach vier Jahren Unterricht bei mir nicht mehr).
Es waren letztendlich Schüler, die mir die Impulse gaben, mein Gesäß zu heben und etwas in meinem Leben zu verändern. Jetzt sitze ich hier und versuche, mich in die ersten Zeilen zu stümpern, um dann beherzt, flüssig, witzig und realistisch zu beschreiben, welche Erlebnisse und Bewusstseinsbildungen die Lehrerpersönlichkeit Reim geformt haben, die dann später ihren Schülern gegenüber stand. Prägende Erlebnisse aus der eigenen Schulzeit, die Lehre in Hamburg, das Studium an der FU, finanziert vor allem durch Taxischichten, die neun Monate als Fremdsprachenassistent in Frankreich sowie der „Überlebenskampf" an der Poelchau-Schule waren natürlich Elemente, die den zukünftigen Lehrer prägten. Aber auch während der vielen Jahre im Dienst haben mich Schülerreaktionen auf mein Verhalten und Anregungen meiner Schüler verändert (ich habe den 1.Dan im Judo dann auch gemacht und bin, zumindest in dieser o.g. 10. Klasse, mit beharrlicher Impertinenz nicht mehr zu spät gekommen).
Ich hoffe, am Ende der Lektüre dieses Buches wird der Leser nicht sagen müssen:
Si tacuisses ! ¹ (Wenn Tacitus das gewusst hätte !)
Oberschulkarriere und erste Orientierung
Als ich in der neunten Klasse einer reinen Jungsschule war, tauchten nicht nur Vorstellungen vom Zusammensein mit schönen Mädchen, sondern auch die ersten Fünfen im Zwischenzeugnis auf. Meinen äußerst aufgeregten Vater beruhigte ich mit dem Versprechen, diese Ausfälle bis zur Versetzung zu bereinigen, was ich dann auch tat.
Die vier Fünfen und die eine Sechs im Zwischenzeugnis der 11. Klasse quittierte er dann nur noch mit einem „Na du machst das ja schon" - womit er das Ergebnis zur Versetzung sehr treffend vorausnahm. Mit dem Zensurenschnitt meines Abiturs 1968 hätte ich zur damaligen Zeit alles studieren dürfen (der Zensurendurchschnitt interessierte niemanden); heutzutage … ich will gar nicht weiter darüber nachdenken.
Mein Vater, Großhandelskaufmann, immer stolz auf den Zusatz selbständiger
, wollte, dass ich sein Nachfolger würde, was ich aber nicht wollte. „Kaufmann - in einer Zeit der Flowerpower und des Hedonismus, Sozialismus und Behaviorismus - ein Schimpfwort. Klang wie „Kapitalist
, „Ausbeuter, „Unmensch
, in jedem Falle total unattraktiv für die niedliche amerikanische Fremdsprachenassistentin („Gipsy"), die mir in den von meinem Vater bezahlten englischen Konversationsstunden die Langweiligkeit bürgerlicher Berufe vor Augen hielt.
Aber ich war ja ohnehin infiziert von Lehrervorbildern, die mir in Filmen wie „Der Pauker oder „Die Feuerzangenbowle
vermittelt wurden. Der Lehrer als augenzwinkernder Komplize seiner Schüler, die aber dennoch aufgrund seiner natürlichen Autorität auf ihn hören und nicht aus dem Ruder laufen.
Ach ja, natürlich bekommt der dann auch am Ende immer die hübsche Sport-oder Deutschlehrerin.
Das wollte ich - also nicht nur das Ende des Films - und deshalb wurde ich das, was mein Vater zu verhindern suchte, indem er mich zwei Jahre in Hamburg eine Großhandelskaufmannslehre absolvieren ließ, in der Hoffnung, dass ich mich den Verlockungen des großen Geldes nicht entziehen können würde,
Lehrer.²
Erinnerungen an die Walther-Rathenau-Schule (WRS)
Man wird ja nicht einfach so Lehrer. In der eigenen Schulzeit habe ich die unterschiedlichsten Typen dieses Berufsstandes kennengelernt. Und dann stellt man plötzlich fest: Ja, so souverän wie der Schwiederski, so jungenhaft wie der Helmkamp, so korrekt wie der alte Hüttig, so durchsetzungsstark, wenn es sein muss, wie der Lehmann, so ein Lehrer würde ich gerne sein wollen. Ich habe schon früh begonnen, meine zukünftigen Ex-Kollegen zu beobachten und zu analysieren, wie sie mit verschiedenen Unterrichtssituationen klar kamen. Ein Biologielehrer, H*, hat mir dabei ein Trauma verpasst, das ich bis zum zweiten Staatsexamen nicht los wurde. Ein von ihm „betreuter" Referendar sollte im Unterricht einen Versuch mit uns durchführen und hatte offenbar einen Teil des hierfür notwendigen Materials vergessen. Der ihn anleitende Lehrer schrie ihn daraufhin vor der versammelten Klasse derart gemein an, dass ich mich heute noch ärgere, weil keiner von uns (mündigen?) Zwölftklässlern aufgestanden ist und dieses menschenunwürdige Verhalten kritisiert hat. Bis zum letzten eigenen Examen hatte ich eine Verhaltensstrategie parat für den Fall, dass ein Prüfer mit mir je so umgehen würde.
Vorbilder
Und da bin ich schon mittendrin, nämlich bei meinen Vorbildern von damals, die mich mehr oder weniger geprägt haben:
Korrekt bis auf die Knochen: Dr. Hüttig, alt (wie alt? mit 14 ist jeder über 30 steinalt), Anzug stank nach der Zigarre,die er im Lehrerzimmer rauchte, immer pünktlich, immer unmissverständlich („Reim, stehen Sie bitte auf. Hiermit erteile ich Ihnen einen Tadel wegen Schwatzens. Sind Sie damit einverstanden? Danke. Bitte setzen Sie sich). Antworten auf Fragen, die dieser Klassiker eines Paukers (rhythmisches Einpeitschen der lateinischen Konjugationen: fui, fuisti, fuit, fuimus, fuistis, fueeeerunt) nicht umfassend sofort geben konnte, erhielt man am nächsten Tag mit Maschine auf einem kleinen Zettel geschrieben. Bei Hüttig wurde bis zum Ferienbeginn durchgearbeitet, denn „man wollte sich ja schließlich seine Ferien verdienen
(Meine Schüler, denen ich von ihm erzählt habe, werden ihn dafür verflucht haben).
Dr. Hüttig fehlte ein einziges Mal - als er bei der Beerdigung seiner Mutter war.
Aber der korrekte Dr. Hüttig schien auch etwas vom Professor Unrat gehabt zu haben. Oberstufenschüler meiner Generation behaupteten, Hüttig als Stammgast im Nachtclub „ Remdes St. Pauli, einem der ersten Stripteaselokale der Nachkriegszeit (Joachimstalerstraße/Kantstraße, da wo jahrelang die „Skihütte
war), gesehen zu haben. Auch in diesem Bereich war ich ihm schon etwas ähnlich (Ich staune noch immer, in welche Situationen, nachtclubmäßig, ich mich als Junglehrer begeben hatte, ohne mir darüber Gedanken gemacht zu haben, was geschehen wäre, wenn…ja wenn mich Eltern oder Kollegen oder womöglich Oberstufenschüler in einer der einschlägigen Bars im Schaumbad mit einer der unbekleideten Damen gesehen hätte.
No risk - no fun!
Das wandelnde Lexikon: Dr. Rönnefarth - kein eigentliches Vorbild, da unerreichbar. Fette Fliegeruhr am Handgelenk, soll bei der Luftwaffe gewesen sein, ließ Schüler angeblich mit Stuhl in Vorhalte Kniebeugen machen. Heiratete zu unser aller Erstaunen sehr spät eine sehr viel jüngere Frau (also vielleicht doch ein Vorbild?).³
Lehmann übernahm uns in Mathe als einen unkonzentrierten, unwissenden, hedonistischen Sauhaufen (wir hatten vorher bei Roßberg) und kündigte uns bereits in der ersten Stunde an, dass wir bei ihm „Wasser saufen" würden. Innerhalb von vier Wochen hatte der uns mit seinem Zensurenbuch, in welches er konsequent vor unseren Augen Zensuren eintrug, zu einer lernwilligen Gruppe transformiert und uns (also besser den anderen, ich brauchte sowieso Nachhilfe) in einem halben Jahr den Stoff der letzten zwei Jahre vermittelt.
Der jung Gebliebene: Helmkamp - Sport und Bio, locker, muss allerdings um Jahre gealtert sein, als er mir erlaubte, trotz Krankschreibung wegen einer schwerer Gehirnerschütterung, am Hochreck eine Riesenfelge zu probieren. Jedoch hatte ich von der Übung eine andere Vorstellung als er, weshalb es mich von der Stange riss und ich ungehalten über die Matten hinweg rückwärts auf den Boden stürzte. Zum Glück waren zu diesem Zeitpunkt meine Judo-Falltechniken schon so automatisiert, dass nichts geschah.
Die Verständnisvolle: Tragisch, charmant und trotz des hohen Alters in meinen Augen attraktiv, Frau Dr. Seidenberg, Englisch und Französisch. Betreute als gläubige Katholikin Häftlinge, darunter den Bachmann, der das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke verübt hatte. Bachmann brachte sich dann im Knast um. Ihr Sohn, Ramon, wurde wiederholt straffällig und landete im Gefängnis. Seine Mutter betreute auch ihn - der Junge nahm sich ebenfalls das Leben.
1974, frisch verlobt, fuhr ich Dr. Seidenberg mit dem Taxi zu einem Oratorium in Grunewald. Als sie erfuhr, dass ich auf mein erstes Doppelbett sparte, gab sie mir bei einer Tour von 12,80 DM 17,20 DM Trinkgeld. Das vergisst man nicht.
Der Verschmitzte: Aschüaschen - Dr. Huhn. In der ersten Französischstunde präsentierte er sich wie ein aus dem Ei gepellter schwuler Gockel: „Je m’appelle M. Aschüaschen", soll aber glücklich verheiratet gewesen sein. Viel später erfuhr ich, dass er, so wie ich, sehr lange studiert und sich das Studium (u.a. mit Arbeit im Hamburger Hafen) selbst verdient hatte.
Der fit- Gebliebene: S-R, Sportlehrer der ganz alten Art. Grunewald, Hubertussportplatz, Schüler stehen in zwei Reihen vor dem Lehrer, ca. 70 Meter vom Sport-Casino entfernt: „Wer Knödeln will, vortreten! (Knapp die Hälfte der Schüler rückt vor) „Wer nicht Knödeln will, ebenfalls vortreten
, der Rest macht missmutig einen Schritt nach vorne - „Gut. Wir knödeln." (Gibt einem Schüler den Fußball und verschwindet bis zum Ende der Doppelstunde im Casino). Hangelt immerhin noch mit ca. 50 im Anzug das Seil hoch. Menschlich nett, aber als Vorbild nur begrenzt tauglich. Stirbt relativ früh an den Folgen der Casino-Besuche.
Der Kernige: Dr. Schwiederski - Englisch und Französisch, eingefleischter Junggeselle, kam immer mit dem Fahrrad zur Schule, nachdem er eine Stunde auf seinem Pferd durch den Grunewald geritten war. Absolute Autorität. Beliebt, bewundert und unangreifbar. Kam locker durch die antiautoritären 70er Jahre. Als Dr. Seidenberg einmal Schüler fragte, weshalb sie Schwiederski in Ruhe ließen, aber bei allen anderen alles in Frage stellten, sagten diese angeblich nur: „Tja, der hat’s eben drauf."
Ich habe mich bemüht, eine möglichst gelungene Mischung aus diesen Vorbildern zu werden.
Raucherklo
Geraucht wurde in der Walter-Rathenau-Schule im Lehrerzimmer im 2. Stock. Und wie! Wenn sich einmal die Tür einen Spalt weit öffnete, konnte man fette graue Rauchschwaden sehen, die nicht nur von Dr. Hüttigs Zigarre stammten. Schüler durften nicht rauchen. Taten sie natürlich doch, und zwar schön nach Status aufgeteilt: die Sek I auf der „Jungentoilette im Erdgeschoss, die Sek II auf der „Herrentoilette
im zweiten Stock. Dort standen wir dann zu zweit oder zu dritt in einer Kabine und hofften, nicht von der Aufsicht führenden Lehrkraft erwischt zu werden.
Immer mit dabei „Paulchen, der uns in einiger Hinsicht ein Jahr voraus war. Er war „Repetent
, konnte schon Zigaretten drehen, während wir Stümper noch die fertigen „P4" rauchten. Das waren 4-er Packungen, die die Zigarettenindustrie auf den Markt brachte, um die Schüler, die kein Geld für eine 12-er Packung hatten, anzufixen. Und Paulchen hatte eine Freundin mit Geschlechtsverkehr, weshalb er in der 12. Klasse als werdender Vater aus Nervosität ohne Zigarette kaum mehr atmen konnte. Im Zuge einer Reihenuntersuchung wurde dann bei Paulchen offene TBC diagnostiziert, was dazu führte, dass alle Schüler, die Paulchens Selbstgedrehte mitgeraucht hatten, zur Untersuchung mussten. Was hatte ich für eine Angst!
Als ich in die 13.Klasse kam, wurden auch die ersten Mädchen aufgenommen. Dies hatte zur Folge, dass „mein Herrenklo zu einer „Mädchentoilette
wurde und wir Oberprimaner uns mit dem kindlichen Nachwuchs zum Rauchen in die Jungentoilette im Erdgeschoss verziehen mussten. Irgendwie war die Existenz der Mädchen doch noch nicht so richtig in meinem Bewusstsein verankert (na ja, welchen Abiturienten interessiert schon ein Mädchen der siebenten Klasse?), jedenfalls kam mir einmal eine „Simmie, wie wir heute sagen würden, entgegen, als ich gerade auf dem Weg zu meiner illegalen Verrichtung war. Nachdem wir uns passiert hatten, dachte ich: „Oh Mann, euretwegen müssen wir jetzt immer vom 2.Stock ins Erdgeschoss
und schaute dabei arglos nach oben, dem Mädchen hinterher. Als dieses daraufhin panikartig seinen Rock zusammenraffte, unter den ich sonst vielleicht hätte sehen können, begriff ich, dass sich tatsächlich etwas an der Schule verändert hatte.
Referendare
Immer für hohen Unterhaltungswert gut, entweder, weil sie besonders geeignet und einfallsreich oder weil sie besonders ungeeignet, langweilig und Zielscheibe für unsere „Späße" waren.
Z*, groß blond, sehr gut aussehend, Typ Jung-Siegfried, hatten wir in Mathe