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In unserem Chaos: Grenzen ziehen wir später
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eBook261 Seiten4 Stunden

In unserem Chaos: Grenzen ziehen wir später

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Über dieses E-Book

In dem Roman In unserem Chaos – Grenzen ziehen wir später von Patricia Dohle geht es um eine tragische Liebesgeschichte. Jeder hat es schon einmal erlebt... Freundschaft Ja... Liebe Nein und dann ist auf einmal alles anders. Emily hatte es nie leicht. Erst starb ihr Vater und dann vergewaltigt sie auch noch der Junge, in den sie bis zu den Ohren verliebt war. Hilfesuchend wendet sie sich an ihren besten Freund und Sandkastenkameraden Mason. Doch der erscheint auf einmal in einem ganz anderen Licht. Plötzlich machen seine vollen Lippen sie schwach und seine dunklen Augen lenken sie ab. Was ist nur los mit ihr? Doch als sie endlich herausfindet, was da zwischen Mason und ihr ist, passiert es. Die tragische Katastrophe…
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Feb. 2018
ISBN9783746700816
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    Buchvorschau

    In unserem Chaos - Patricia Dohle

    Kapitel 1.

    05.02.2015

    „Hör auf! Das tut weh du Idiot! Ich schubse Mason weg und strecke ihm meine Zunge entgegen und gebe dabei lustige Geräusche von mir. „Ach tut das etwa weh, wenn ich darauf rum drücke? Er grinst mich breit an und legt erneut sein Zeigefinger auf die erst gestern frisch tätowierte Stelle. Ich knurre ihn spielerisch an, während er mich durch mein halbes Zimmer jagt. „Du Sadist!, brülle ich und lasse mich unsanft auf das Bett fallen. Unser Lachen prallt an den kahlen Wänden ab. Alles was ich habe, ist ein Bett mit hunderten von Kissen, eine Kommode, einen kleinen Tisch und einen Fernseher, der so gut wie nie läuft. Das einzige Highlight in meinem Zimmer ist wohl der XXL Bücherschrank, der nach mehreren Jahren Bücher horten, schon so gut wie aus allen Nähten platzt. „Sadist, sagt sie. Mason lacht noch lauter und ich falle mit ein. Beide lehnen wir uns in die riesige Kissenfront auf meinem Bett und atmen aus. So unbeschwert ist es selten zwischen uns. So leicht und so vertraut. Diese kleinen Momente liebe ich. Hier muss ich mich nicht verstellen. Mason nimmt mich so, wie ich bin und das jeden gottverdammten Tag. Heute ist es gar nicht mal so schlecht. Wir sind beide gut drauf und albern herum. Das ist nicht immer so. Mason kenne ich eigentlich schon mein ganzes Leben. Er ist eine ganz eigenartige Person. Aber irgendwie eben genauso eigenartig wie ich selbst. Unser Altersunterschied macht uns Beiden nichts aus. Drei Jahre liegen zwischen uns und doch kommt es mir oft so vor, als wären wir keinen einzigen Tag auseinander. „Ja, das sage ich! Meinst du nicht auch?" und haue ihm ein altes Kissen um die Ohren.

    Mason schmeißt sich theatralisch auf die Seite und spielt tot, wie ein Hund, der gerade nichts Besseres zu tun hat, als seinem Herrchen zu gehorchen. „Jetzt tu nicht so!, sage ich und ziehe einen Schmollmund. Er rollt mit den Augen. Ich gebe es zu… Mason ist etwas ganz Besonderes für mich. Die Zeit soll ja immer angeblich jede Wunde heilen, aber heute möchte ich euch gerne von etwas anderem überzeugen und ich weiß, dass viele von euch dieses Gefühl schon kennen. Liebe ist kein Spielzeug, das sollte jeder beherzigen. Doch Freundschaft ist eine noch viel größere Waffe. Mason und ich sind wie Pech und Schwefel. Nur das bei uns eben noch nicht die Frage geklärt ist, wer was ist. Ich weiß, dass ich in dem Sinne anderer Meinung bin als er. Ich bin das Pech. Eindeutig. Ich war schuld an der ganzen Misere, auch wenn jeder etwas anderes behaupten würde. Das hier ist meine Devise, mein Urteil, meine Geschichte und genau hier fängt sie an. Im Nichts, da wo die Welt einigermaßen gerade stand. Wie ich schon sagte, sind wir Beide nicht ganz normal. Mason sagt immer, wir gehören zu der Art Mensch, die wissen, was Schmerz bedeutet. Wir sind beide vaterlos aufgewachsen. Er durch Dummheit, ich durch Verlust. Ich versuche mir einzureden, Schmerz sei etwas Relatives. Etwas, das man nicht fühlen muss, solange man es verdrängt, ignoriert oder einfach vernachlässigt. Man beginnt mit der Tatsache zu leben. Doch was ist, wenn die Tatsache so scharf vor deinem eigenen Auge erscheint, dass du sie nicht ignorieren kannst, wenn du weißt, dass du gerade das verlierst, was dir am Herzen liegt und du es nicht aufhalten kannst? Verlust kann man in den meisten Fällen nicht aufhalten. Mein Vater starb bei einem Autounfall. Unerwartet. So wie der Schmerz eben auch auftrat. Die Nachricht, dass er noch an Ort und Stelle verstorben war und es gar keine Chance gab ihm irgendwie zu helfen, traf mich mit einer Wucht, die mit dem Aufprall eines Kometen auf die Erde gleich zu stellen war. Der Unterschied ist nur, diese Wucht wäre kurz und schmerzlos. Meine Wucht tauchte immer wieder auf. Die Nachricht war nur der Anfang. Das Begräbnis und die nächtlichen Zusammenbrüche meiner Mutter taten ihr Übriges. Sie überrollten einen mit einer Masse aus Stahl und Beton. Mason war damals derjenige, der versuchte diese Massen zu stoppen und der einige Wunden zur Heilung anregte. Er kannte es, kannte das Gefühl alleine zurückgelassen zu werden. Sein Vater verließ ihn, als er gerade einmal Acht war. Ich kann mich ehrlich gesagt kaum noch daran erinnern je seine ganze Familie gesehen zu haben. Seine Mutter ist ein heikles Thema, das Mason strikt meidet und das respektiere ich. Es gibt nicht viel, was ich in den Jahren gelernt habe, aber eins ist sicher: Verlust und Dummheit lassen sich mit Freundschaft auskurieren. Nicht alles, aber zumindest kann man damit die Wunden verbinden und ruhen lassen, auf eine ganz bestimmte Art und Weise. Mason war meine Rettung, daran zweifle ich heute kein Stück. Doch genauso weiß ich, dass er mein Untergang war und das wird er auch immer bleiben. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und schmiege mich an. Ich genieße diese kleinen ruhigeren Momente. Selbst die Stille zwischen uns ist nie wirklich unangenehm. Ich kann mich noch ganz genau an die Katastrophe erinnern. Mason lächelt mich an. „Jetzt mal ernsthaft. Tut das so sehr weh? Ich muss schmunzeln und mustere den Jungen so, wie er neben mir liegt, von oben bis unten. Alles an ihm ist mir so vertraut. Nichts an ihm stört mich wirklich. Weder seine immer zerzausten Haare noch sein plumper Style in Jogginghose und Shirt mir gegenüber. Alles ist halt einfach so wie eigentlich immer , denke ich mir. „Es geht. Es verheilt langsam und das juckt höllisch." Vorsichtig ziehe ich mit dem Zeigefinger die kleine Sternwarte an meiner Wade entlang und presse meinen Finger auf die Zwei winzigen Initialen. Ein schönes Tattoo . Der Schmerz war es wert , zischt es mir durch den Kopf. „Ich finde es cool. Es passt irgendwie zu dir." Mason strahlt über das ganze Gesicht. „Vielleicht sollte ich mir auch eins stechen lassen. So eine kleine Hello Kitty auf den Oberarm. Was hältst du davon? Die Vorstellung, wie Mason mit so einem leuchtend grell pinken Tattoo rumläuft, versetzt mich in schallendes Gelächter. „Meinst du nicht, ein Regenbogenpony würde dir besser stehen? Mason knufft mich mit der Faust leicht in die Seite. Er würde mich niemals verletzen wollen. „Ey, du tolerierst überhaupt nicht meinen Geschmack. Spielerisch zieht er die Nase kraus und überschlägt, ziemlich weiblich meiner Meinung nach, die Beine. Ich kann mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Ich gröle schon fast und schmeiße mich auf die Seite und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, um meine grässliches Lachen zu dämpfen. Mühsam unterdrücke ich ein Grunzgeräusch, womit mich Mason sicherlich nur wieder aufziehen würde. „Also ich verstehe gar nicht, was daran so komisch sein soll! Jetzt verstellt er auch noch seine Stimme zwei Oktaven höher und mein Magen verkrampft sich. Ich presse meine Hände noch dichter vor mein Gesicht. „Hör auf! Hör auf! Ich kann nicht mehr, kreische ich. Mein Magen krampft sich noch enger zusammen. Mason hält endlich die Klappe und ich kann mich wieder etwas beruhigen. Ich setze mich auf und merke, wie mir das Gesicht vom Lachen wehtut. „Also falls du mal schwul werden solltest, kann ich dir zu hundert Prozent sagen: Du würdest wahnsinnig gut bei den Männern ankommen, die auf sowas stehen. Er grinst mich an, sieht mir aber nicht in die Augen. „Meinst du wirklich? Also ich würde mich ja nicht anbaggern." Dass das kompletter Unsinn ist, weiß er jedoch selbst. Mason ist keiner von der Schlechten-Sorte-Mann. Er hat braune Haare und dunkle Augen. Er ist nicht dick, aber auch nicht sonderlich muskulös, eben genau das Mittelding. Seine Wangenknochen schneiden tief in sein Gesicht ein und üben einen perfekten Kontrast zu seinem markanten Kinn aus. Seine einzige Macke ist, dass Mason nicht sonderlich groß ist für einen Jungen in seinem Alter. Er ist gerade mal 1,68m groß. Vielleicht zwei Zentimeter größer als ich. Wenn wir uns gegenüber stehen, können wir uns direkt in die Augen sehen. Auf Partys ist da nichts mit High Heels. Mason fühlt sich dann immer schrecklich und meckert gefühlt den halben Abend nur rum. Wenn er es sich doch anders überlegt und auf die andere Seite des Ufers geht, könnte er demnächst die High Heels tragen anstatt ich , grüble ich, spreche es aber nicht laut aus. Stattdessen schaue ich ihn strafend an und verziehe meine Lippen zu einem schiefen Lächeln. „Was denn?, er zuckt unschuldig mit den Schultern. Er weiß genau, was er angestellt hat. „Jetzt tu doch nicht so scheinheilig! Wenn du bei den Männern genauso gut ankommst, wie bei den Frauen, gehe ich demnächst ins Kloster. Dramatisch verschlinge ich meine Arme vor der Brust und strafe Mason weiterhin mit Blicken. Er lacht nur schnippisch auf. „Warum willst du denn dann ins Kloster? Die dulden keine Tattoos, noch dazu wollen die, dass du keusch bleibst und jeden Morgen um vier Uhr aufstehst, damit du zu Gott beten kannst. Er hebt warnend den Zeigefinger und fuchtelt mir damit vor der Nase herum. „Ja, wenn ich doch sowieso niemanden abbekomme, kann ich auch gleich unter Gottes Angesicht treten und den Männern dieser grausamen Welt verwehrt bleiben. Ich setze mich in den Schneidersitz und falte meine Hände, als würde ich beten. „Oh Herr. Ich bringe Schande über dein Haupt, vergib mir meine Sünden. Dabei schiele ich zur Decke und sehe nur aus den Augenwinkeln, wie Mason die Augen verdreht. Er schubst mich zur Seite und ich muss wieder kichern. „Ist doch wahr, sage ich. Wieder drehen sich seine Pupillen. „Rede nicht immer so einen Müll." Ich sinke zurück an die Sofalehne und schmunzle vor mich hin. Mason tut es mir gleich. „Glaubst du denn, dass dein neues Tattoo gut bei deinen weiblichen Liebschaften ankommt? Ich mein, Frauen stehen doch auf Hello Kitty und diesen ganzen verniedlichten Scheiß. Irgendwie klang die Frage in meinen Ohren etwas zu ernst, zu verachtend. Ich muss zugeben, ja, ich mag Masons Lebensweise in der Hinsicht nicht. Ich verstehe vor allem nicht, wie sich immer wieder die gleichen Frauen auf dieses Hüh-und-Hot-Theater einlassen. Mason führt keine Beziehungen und wenn, keine ehrlichen. Ich vermeide es grundsätzlich mit den Damen, die bei ihm ein und ausgehen, Bekanntschaft zu machen. Ich lasse Mason seinen Spaß. Ich will mir einfach keine Sorgen darum machen müssen, wie verletzt sie im Endeffekt wirklich sind, nachdem er sie abserviert. Ich will nicht wissen, wie viel Hoffnung manchmal in ihren Blicken liegt, wenn sie ihn anhimmeln und beten die Eine zu sein, die seine Meinung ändern können. Und schon gar nicht will ich an eine alte Story denken, die immer noch irgendwie zwischen uns steht. Es sollte mir egal sein, welche Mädchen den Weg in Masons Bett finden. Mason mustert mich. In seinem Blick liegt eine gewisse Abschätzung, als würde er mir nicht über den Weg trauen, dann grinst er und sagt: „Machst du Witze? Einige von denen würden das wahrscheinlich total herzzerreißend finden und es wäre noch einfacher. Irgendwie bin ich von Masons Antwort nicht wirklich begeistert. Einen kleinen Moment sticht es in meiner Brust. Doch ich lasse mir nichts anmerken. Stattdessen grinse ich zurück. „Du hast vollkommen Recht."

    Kapitel 2.

    14.05.2002

    Die Sonne blendet mich und ich muss die Augen zu Schlitzen zusammen kneifen, damit ich überhaupt etwas sehen kann. Wenn das so weiter geht, wird das ein ziemlich harter Sommer. Genug Sonne für Alle. Nur irgendwie nie genug Zeit. Seitdem Masons Vater verschwunden ist, hat er kaum noch Zeit und immer öfters hocke ich alleine an unserer kleinen Stelle unten am Bach. Er denkt sich immer irgendwelche Ausreden aus. Er muss seiner Mutter helfen, er sei krank oder er hat einfach keine Lust. Das Spielen macht nur noch halb so viel Spaß und es wird mit der Zeit langweilig, immer alleine die Füße ins Wasser zu stecken. So auch heute. Die Sonne neigt sich langsam über den Horizont, doch trotzdem ist es immer noch warm. Ich liege im Gras, die Füße über den Rand des Bachufers, und summe vor mich hin. Ich hasse die Stille. Normalerweise wäre Mason jetzt hier, doch heute meinte er, er hätte keine Lust. Ich habe bestimmt zwanzigmal einen Kieselstein an sein Fenster geworfen, bis er endlich reagiert hat. Seine Augen waren rot. Ich habe ihn gefragt, ob er geweint hätte und er meinte nur, das sei etwas für kleine Kinder, nicht für ihn. In letzter Zeit ist Mason immer merkwürdiger geworden. Ob das wohl daran liegt, dass es seiner Mutter so schlecht geht? Ich darf ihn jetzt auch viel seltener besuchen. Meine Mum sagt immer, ich solle Mason etwas Ruhe gönnen. Nur verstehe ich nicht wovor. Sein Vater ist verschwunden oder zumindest nur für eine Weile verreist, ich weiß es nicht genau. Aber das ist noch lange kein Grund, nicht mehr zu unseren Verabredungen zu kommen. Irgendwie macht mich das sauer. Trotz des schönen Wetters und der kühlen Brise habe ich schlechte Laune. Ich mag keine schlechte Laune. Mein Vater sagt immer, ich sei eine richtige Zicke. Das bin ich gar nicht! Ich höre die Vögel zwitschern und frage mich, was sie wohl zu erzählen haben. Vielleicht wissen sie, wovor Mason Ruhe braucht. Dann höre ich es: dumpfe Schritte, die sich auf den kleinen Abhang zu bewegen. Ich kenne diese Schritte ganz genau und sofort springe ich auf. „Mason! Er sieht immer noch etwas traurig aus, auch wenn die Schwellung um seine Augen schon etwas verblasst ist. Ungeduldig, bis er endlich bei mir angekommen ist, renne ich ihm entgegen. Erst kurz vor ihm komme ich zum Stehen. „Du bist ja doch noch gekommen, strahle ich ihn an. Er hat die Hände in seiner viel zu langen Jeans gesteckt und zuckt nur mit den Schultern und murmelt: „Sieht wohl so aus. „Das freut mich. Und das tut es wirklich. Er räuspert sich kurz, ehe er wieder etwas sagt. „Wie lange sitzt du schon hier unten so ganz alleine? Kurz überlege ich und schau hoch zum Himmel. Mason weiß, dass ich Schwierigkeiten mit der Uhrzeit habe und will mich nur ärgern. Wenn ich jetzt nur mit einem „Ich weiß es nicht antworte, wird er lächeln, das weiß ich. Er findet es lustig, dass ich schon bald in die Schule komme und noch immer nicht sagen kann, wie spät es ist, wenn der große Zeiger seine Vollen erreicht. Ich wiederum finde es ziemlich unwichtig, zu wissen wie lange man draußen ist. Eigentlich kann man immer draußen sein. Ob morgens, mittags, abends oder nachts. Nur meine Eltern sehen das leider völlig anders. Sie verstehen einfach nicht, wie wunderschön es ist sich nachts diese riesige, dunkle Kristallkugel anzusehen. Auf der hunderte, ja vielleicht sogar tausende Glühwürmchen festhängen. Sie ignorieren es einfach oder haben es wohl schon zu oft gesehen. Doch ich möchte all das irgendwann verstehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich nachts aus meinem Bett schleiche, hinunter ins Wohnzimmer zu dem großen Fenster, um mir die vielen leuchtenden Sterne anzusehen. Mason erzähle ich oft davon und irgendwann können wir uns das Ganze auch von draußen ansehen, dort wo uns keine dicke Fensterscheibe an der Sicht hindert. Dann wenn unsere Eltern uns nicht mehr um 20:00 Uhr ins Bett schicken. Das haben wir uns fest vorgenommen. Statt dem Üblichen „Ich weiß es nicht, entgegne ich also ein kleinlautes: „Schon eine Weile. Und verschränke meine Finger auf dem Rücken. Mason verdreht die Augen. „Emily du kannst nicht immer einfach zu Hause abhauen. Deine Mum macht sich große Sorgen. Du kannst von Glück reden, dass ich dich gefunden habe. Hätte ich ihr sagen müssen, dass du eben nicht hier bist, wäre sie wahrscheinlich umgefallen vor Sorge. Sein Blick ist weich und doch steckt etwas Ernstes dahinter. Irgendwie macht mich die Erkenntnis traurig, dass er nur wegen Mum hier ist. Er hätte meinetwegen hierher kommen sollen. Zum spielen, nicht als großer Aufpasser. „Mum weiß, wo ich bin, fauche ich und drehe mich auf dem Absatz um und laufe los, zurück zum Bach. „Emily!, brüllt Mason hinterher. Ich brauche keinen Babysitter mehr! Das weiß Mason genau! Wütend klettere ich zurück über den winzigen Hügel zu meinen Schuhen. Gerade als ich nach ihnen greifen will, um damit nach Hause zu laufen, weg vor Mason, holt er mich ein und packt mich am Handgelenk. „Lass mich los!, quieke ich und versuche mich loszureißen. Bei Masons festem Griff tut das ziemlich weh und Tränen schießen mir in die Augen. „Mason lass mich los!, sage ich ein zweites Mal. „Emily, ich lasse dich nicht los, sagt er und ich höre auf zu zappeln. Ich schaue ihn durch den Tränenschleier hindurch an. „Du hast nie Lust raus zu kommen. Du magst mich nicht mehr!, schluchze ich. Mason starrt mich entgeistert an, dann lacht er. „Das glaubst du? Er sieht aus, als würde er jeden Moment in grölendes Gelächter ausbrechen und mir ist zum Weinen zumute. Ganz toll. Wütend stampfe ich mit dem Fuß auf. „Hör sofort auf zu lachen Mason! Augenblicklich verstummt er und zieht mich zu sich. „Komm her. Bockig beuge ich mich zu ihm. „Näher! Du Ziege. „Ich bin keine Ziege! Er zieht mich noch ein Stück näher und streckt mir seine Hand entgegen. Seine Finger sind zu einer Faust geballt. Nur der Daumen und der kleine Finger sind weit von der Handfläche abgespreizt, wie eine Art imaginäres Telefon. Er grinst. „Freunde für immer. Schon vergessen? Meine Wut verraucht in Sekunden. Doch so schnell kriegt er mich nicht. Ich drehe mich weg und verschränke die Arme vor der Brust. „Schwörst du es?, sage ich arrogant und kann das Grinsen auf seinem Gesicht förmlich hören. „Ja ich schwöre es Emily. Einen Moment lasse ich ihn noch zappeln, ehe ich mich umdrehe und ihm um den Hals falle. Überrumpelt fallen wir ins Gras und verfallen in lautes Gelächter. Der Boden riecht nach Erde und frischem Gras und zusammen mit Mason ist es eben genau dieses wundervolle Gefühl, das mich durchströmt. Ich quieke drauf los, als Mason seine Finger an meinen Bauch legt und anfängt mich auszukitzeln. „Mason lass das!, brülle ich und fange immer wieder das an zu lachen. Doch er hört nicht auf. „Ergibst du dich? Ich werfe die Hände in die Luft und unterwerfe mich dem Gefühl, gleich keine Luft mehr zu bekommen vor lachen. „Ja! Ja! Ich ergebe mich. Augenblicklich nimmt er seine Finger von meinem Bauch und ich schnappe nach Luft. Ich setze mich auf und halte noch immer meinen Bauch mit meinen gespreizten Fingern fest, während ich meine Beine von mir strecke. „Das war nicht nett!, schnaube ich und ziehe einen Schmollmund. Mason lächelt. „Na und? Ich schubse ihn leicht zur Seite, er verliert das Gleichgewicht und taumelt zurück ins Gras. So mag ich Mason. So ausgelassen, nicht so ernst. „Wir sollten langsam wirklich nach Hause gehen. Deine Mutter tötet mich wahrscheinlich, wenn ich dich nicht bald zu ihr zurück bringe. Ich lege den Kopf schräg und ziehe noch immer den kläglichen Schmollmund. „Na komm schon! Widerwillig stemme ich mich auf meine kurzen Beine. Mason setzt schon zum Gehen an, ehe ich ihn aufhalten kann. „Warte! Er dreht sich um und mustert mich. Trotzig wische ich mir übers Gesicht und mache einen Schritt auf ihn zu, dann nehme ich seine Hand und verkeile unsere beiden kleinen Finger. „Freunde für immer, sage ich und lächle ihn an. Die Sonne blendet mich und ich nehme sein schwaches Lächeln kaum wahr, als er unsere Finger noch enger aneinander drückt, den Fingerschwur noch etwas fester zieht, ehe er nochmals wiederholt: „Freunde für immer."

    Kapitel 3.

    29.11.2012 – 30.11.2012

    Wenn ihr schon einmal einen geliebten Menschen verloren habt, wisst ihr sicherlich, wie das ist. Ihr wisst, wie unendlich dieser Schmerz reichen kann. Ihr kennt die Angewohnheiten, die man entwickeln kann. Man fragt sich ständig, was wäre gewesen, wenn… und man wird niemals eine Antwort darauf bekommen. Manche Leute schotten sich dann ab, verkriechen sich in ihren Bettritzen und kommen erst Jahre später wieder zum Vorschein. Andere wiederum wandeln ihre Trauer in Wut um und lassen sie bei jeder Gelegenheit heraus. Wiederum andere leben einfach weiter mit einer gewissen Leere in sich und suchen verzweifelt den Korken, der zumindest zur Hälfte das klaffende Loch in ihrer Brust stopfen kann. Ich denke, ich hatte von allem ein bisschen was. Es ist ein Abend wie jeder andere auch. So ist es doch immer, nichts Ungewöhnliches. Ich habe die Tür zu meinem Zimmer verbarrikadiert und versuche den Streit meiner Eltern im nahe liegenden Wohnzimmer zu verdrängen. Es genügt mir, das Bild bereits vor Augen zu haben, wie meine Mutter von links nach rechts durchs Zimmer stakst und dabei energisch das Telefon anschreit, während mein Vater am anderen Ende der Leitung, in seinem Büro sitzt, die Ellenbogen auf den Schreibtisch abgestützt und sich genervt die bereits mit Falten übersäte Stirn reibt. Es ist bereits spät, aber noch früh für meinen Vater. Seit Neustem verbrachte er die Abende alleine in seinem viel zu kleinen Büro mit chinesischem Essen und seiner Sekretärin, während seine Familie, die aus meiner Mutter und mir besteht, nur um ihn an dieser Stelle noch einmal daran zu erinnern, gemütlich zu Abend essen. Mich stört das nur wenig. In den ersten Tagen war ich sehr verwundert und zugleich auch etwas enttäuscht. Doch umso öfters dieser Ablauf seinen Lauf nahm, umso ignoranter wurde ich. Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Er ist generell kaum noch daheim. Er vernachlässigt nicht nur unsere Familie, sondern auch seine Hobbys und Freunde und das macht mich wütend. Ich bin ständig wütend und das verstecke ich keineswegs. Ich bin ein trotziges Kind, so wie eigentlich alle 15-jährigen Mädchen. Ich setze meine Kopfhörer auf und drehe die Lautstärke auf die höchste Stufe. Böse klingende Gitarrensounds begleitet von dröhnenden Schlagzeugrhythmen durchfluten meine Ohren und lassen die Spannung in meinem restlichen Körper

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