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R.A.O.D.
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eBook302 Seiten4 Stunden

R.A.O.D.

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Über dieses E-Book

Ein amerikanischer Fachdozent, dessen Eltern irischen Ursprungs sind, ist nebenbei als Experte und Berater für das FBI tätig und hält sich in dessen Auftrag undercover in Dublin auf. Dort kann er helfen, einen vom radikalen Flügel der IRA geplanten Anschlag zu verhindern, wobei er jedoch in die Hände der Terroristen gerät.
Schwer verletzt gelingt ihm die Flucht. In dem kleinen Dorf Ballyvaughan, an der Westküste Irlands, wird er bewusstlos aufgefunden. Aber er hat sein Gedächtnis verloren.
Amus Kavanaugh, der einzige Arzt am Ort, und seine verwitwete Schwiegertochter Siobhan kümmern sich um ihn. Da er offensichtlich misshandelt wurde, beschließen sie, ihn zu schützen und ihm eine vorläufige Identität als "Angus Kavanaugh" zu geben. Je mehr sich alle bemühen, desto mehr quält ihn sein fehlendes Gedächtnis. Er verliebt sich in Siobhan, doch kann es für sie eine gemeinsame Zukunft geben?
Paul Egan, sein alter Freund aus Studientagen und Chef beim FBI, setzt unterdessen alle Hebel in Bewegung, um ihn aufzuspüren.
Derweil ist auch die IRA ihm auf den Fersen: Es gilt, einen Fehlschlag zu korrigieren.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum13. Okt. 2013
ISBN9783847656807
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    Buchvorschau

    R.A.O.D. - Orelinde Hays

    Prolog

    Ich saß beim Frühstück und las in der Donnerstagsausgabe der Los Angeles Times: Großbritanniens Nordirlandminister Sir Patrick Mayhew und Irlands Außenminister Dick Spring taten so, als sei der Frieden in der Ulster-Provinz bereits für alle Zeiten gesichert. Breit lächelnd und endlos händeschüttelnd gaben die beiden Unterhändler bekannt, dass jenes lang erwartete Rahmendokument nun unter Dach und Fach sei...

    Es war immer dasselbe mit den Politikern: Sie lächelten, während auf den Straßen Nordirlands der Konflikt brodelte. Die Zustimmung der nordirischen Protestanten war mehr als ungewiss und sie lehnten es weiter ab, überhaupt über die Vereinbarung zu reden.

    Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es Zeit für mich wurde: Um 09:00 Uhr hatte mein Freund Paul Egan eine Besprechung in seinem FBI-Büro angesetzt. Das passte mir eigentlich gar nicht, denn ich steckte bis über beide Ohren in Arbeit mit einem Pilotprojekt für die Fachschule, an der ich unterrichtete. Mittlerweile waren es schon sechs Jahre, in denen ich als freier Mitarbeiter der amerikanischen Regierung tätig war: Mal als technischer Berater und Sprengstoffexperte, bedingt durch meinen Beruf als Wissenschaftler in Chemie und Physik, mal als Computerfachmann. Und auch, mit dem Status eines FBI-Beraters, undercover - Seite an Seite mit Paul. Wenn ich da an manche Dinge dachte... man konnte wirklich sagen: Wir verstanden uns blind. Das blieb natürlich nicht unbemerkt und das FBI hatte mehrfach versucht, mich abzuwerben. Zugegeben, diese Einsätze ab und zu reizten mich; aber ständig, das war mir doch zu aufregend.

    Paul war mein Freund aus alten Studientagen und gleichzeitig mein Chef. Ihn hatte es damals auf die juristische Laufbahn gezogen, später war er durch Zufall beim FBI gelandet. Ein Jahr älter als ich, hatte er es mit sechsunddreißig Jahren bereits zum stellvertretenden Leiter einer Sektion für besondere In- und Auslandseinsätze gebracht. Er konnte mit Recht stolz darauf sein. Durch seine Entschlossenheit und Entscheidungsfreudigkeit hatte er sich einen Namen gemacht; auch oft genug in brisanten Einsätzen Kopf und Kragen riskiert. Dann lernte er Alice kennen und ließ sich vor zwei Jahren, als sein Sohn Jerry geboren wurde, in den Innendienst versetzen. Der Kleine war ein liebes Kerlchen, bei dem ich voller Stolz Patenonkel wurde. Irgendwie waren sie meine Familie geworden, nachdem mein eigenes Privatleben durch all die Turbulenzen auf der Strecke geblieben war.

    Und ich die Frau verloren hatte, die ich liebte. Sie kam vor zwei Jahren bei unserem Einsatz in Shiraz im Iran ums Leben, wo wir im Auftrag der Menschenrechtskommission eingesetzt waren. Karen hatte gerade Fotos geschossen, als wir von Soldaten der regierungstreuen Truppen entdeckt wurden, die sofort das Feuer auf uns eröffneten.

    Sie wurde tödlich getroffen. Ich hielt sie fassungslos in meinen Armen und mein Verstand hatte völlig ausgesetzt in dem Moment. Als Paul mich dann aus dem Schussfeld zerrte, erwischte es ihn ebenfalls. Mit letzter Kraft und Dank der Hilfe eines französischen Journalisten konnte ich ihn gerade noch in Sicherheit bringen.

    Den Blick von Alice werde ich wohl nie vergessen: Hochschwanger mit Jerry stand sie an seinem Bett, dankte mir mit tränenerstickter Stimme. In diesem Augenblick wurde mir wieder schmerzlich bewusst, wie sehr Karen mir fehlte:

    Im Iran war auch in mir etwas gestorben.

    Nun saß ich also mit Paul und seinen engsten Mitarbeitern an einem Tisch und wir besprachen den Auftrag, den er koordinieren sollte. Wir mussten ausgerechnet nach Irland, in die Heimat meiner Eltern.

    Vor einem halben Jahr, im September 1994, war in Nordirland die Waffenruhe verkündet worden. Nun sollte es an uns liegen, den nächsten Terrorakt zu verhindern. Präsident Clinton hatte sich schon seit geraumer Zeit in die Friedensbemühungen eingeschaltet und daher wurden wir sozusagen von höchster Stelle für diesen Sonderauftrag angefordert: Das FBI hatte von irischen Kontaktleuten den Hinweis erhalten, dass ein Bombenanschlag in Dublin geplant war. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem dort viele internationale Begegnungen stattfinden sollten. Der nur schleppend in Gang kommende Friedensprozess würde durch einen Anschlag bedrohlich gefährdet werden.

    Paul sah mich abwartend und mit ernster Miene an.

    Mir war aber eigentlich sofort klar gewesen, welch hohes Risiko dieser Einsatz barg. Seit längerem ging sowohl aus amerikanischen wie auch britischen Geheimdienstberichten hervor, dass sich die IRA, nach Art der italienischen Mafia, in Betrug, Erpressung und sogar Drogenhandel zu etablieren begann. Wie aus internen Berichten des britischen MI5 zu erfahren war, befürchtete man dort, dass der radikale Flügel der Irisch Republikanischen Armee den Waffenstillstand, der von ihnen nie befürwortet worden war, mit erneuter Gewalt brechen wollte. Wir bekamen es mit knallhartem Terrorismus zu tun.

    Du musst es nicht machen!, räumte Paul ein, doch ich wies seine Bedenken zurück. Erstens habe ich keine Familie und zweitens bin ich dort völlig unbekannt! Und jetzt lasst uns die Details besprechen.

    Erst schien Paul zu zögern, doch dann nickte er und wir fuhren fort.

    Ich sollte unter dem Decknamen Frank Laughlin als alter amerikanischer Bekannter von Pauls Kontaktmann Sean Flannagan eingeschleust werden. Einen Frank Laughlin gab es tatsächlich. Tätig im Waffen- und Sprengstoffhandel, mit einer Filiale in Dublin. Das FBI hatte ihn schon länger ins Visier genommen, wegen illegalen Waffenhandels. Man hatte ihm einen Deal angeboten und bediente sich nun seiner Identität. Wir hofften, so an die Drahtzieher zu gelangen und einen Anschlag verhindern zu können. Da ich auch als Sprengstoff-Experte für das FBI tätig war, stellte ich also die ideale Besetzung dar.

    Wie immer bei solchen Aktionen hatte schnellstmögliches Handeln oberste Priorität und ich musste mal wieder alles stehen und liegen lassen. In solchen Momenten war ich dankbar für die verständnisvolle Führungsspitze der Schule, an der ich unterrichtete, und zum Glück hatte ich unter den Fachschülern Mitarbeiter, bei denen mein Projekt in guten Händen war. Viel Zeit, alles zu regeln, blieb mir nicht, denn der Abflug war bereits am nächsten Tag.

    Um 11:00 Uhr trafen wir uns am Flughafen.

    Hey ihr Zwei, passt gut auf euch auf!, lächelte Alice tapfer und nahm Jerry wieder auf den Arm, nachdem ich ihn auch noch umarmt hatte.

    Daddy nich deht!, heulte er und streckte die Ärmchen nach seinem Vater aus. Man spürte genau, wie schwer Paul der Abschied fiel.

    Also, Kumpel, versuchte er den Kleinen zu trösten, ich verlasse mich auf dich! Dass du mir ja gut auf die Mama aufpasst, hörst du? Du bist jetzt der Mann im Haus, okay?

    Die nächste Lautsprecherdurchsage ermahnte uns, dass es Zeit wurde.

    Letzter Aufruf des Fluges 911 nach Dublin! Die Passagiere werden gebeten, sich zum Ausgang 8 zu begeben!

    Ein letzter Kuss, ein letzter Händedruck und zehn Minuten später saßen wir in der Maschine. Den ganzen Flug über war Paul recht schweigsam.

    Hey, mein Freund, lass die Ohren nicht hängen! Du siehst sie ja bald wieder! Vergeblich versuchte ich, ihn aufzumuntern.

    Er sah mich nachdenklich an. Jetzt lernst du das Land deiner Eltern auf andere Weise kennen, als ursprünglich vorgesehen...

    Ich seufzte und schwieg, dachte an meinen Vater, der mein letzter Verwandter gewesen war. Nach dem zweiten Weltkrieg war er mit neunzehn Jahren von Irland nach Amerika ausgewandert Dort hatte er sich mit Fleiß und Beharrlichkeit eine Existenz aufgebaut und es sogar zu einem eigenen Geschäft gebracht. Mutter hatte er schon auf der Überfahrt kennen gelernt, sie war seine große Liebe. Leider starb sie viel zu früh und so war mir nur noch Vater geblieben, da wir sonst keine Verwandten mehr hatten. Ach, ja, wie gerne hätte er noch einmal seine Heimat wiedergesehen! Als wir endlich zusammen Urlaub hatten und dort hinfliegen wollten, brach er mit einem Herzinfarkt auf dem Flughafen tot zusammen. Er hatte die Aufregung wohl nicht mehr verkraften können.

    Am Flughafen von Dublin wurden wir Samstagmorgen von Vertretern der örtlichen Behörden in Empfang genommen, die üblichen Formalitäten gingen über die Bühne. Nach einem schnellen Frühstück fand die erste interne Besprechung statt.

    Neben den Engländern sollten wir mit dem französischen Geheimdienst und dem deutschen BKA zusammenarbeiten. Es stand fest, dass wir an zwei Punkten ansetzen würden. Ich sollte über Sean Flannagan mit dem Untergrund Kontakt aufnehmen und Dayle Linneker, einer der Engländer, wollte als vermeintlicher UNO-Mitarbeiter versuchen, einen angeblichen Termin als möglichst geeignet für einen Anschlag aussehen zu lassen. Jetzt konnten wir nur noch hoffen, dass uns keine kurzfristig geplanten echten Meetings die Tour vermasselten.

    Um meine Verbindung zu Paul und den anderen Mitarbeitern nicht auffliegen zu lassen, wurde ich in einem unauffälligen Motel einquartiert. Von dort aus wollte ich Sean, wie vereinbart, das erste Mal anrufen und so tun, als sei ich überraschend zu Besuch. Am Sonntag nahm ich mit ihm Kontakt auf und wir verabredeten uns am nächsten Abend in seiner Stammkneipe:

    Die Operation lief an.

    Kapitel 1

    Mühsam versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Mein Kopf dröhnte und der starke Schmerz, den ich nun fühlte, ließ mich laut aufstöhnen. Wo war ich? War es neblig oder war mein Blick so verschwommen? Meine Arme schienen schwer wie Blei, als ich sie anhob und mir durchs Gesicht fuhr. An meinem Kopf befand sich klebriges Blut, wie mir meine Hände verrieten. Verdammt... was war passiert? Für einen Moment schloss ich meine Augen und versuchte, gegen die aufkeimende Übelkeit anzukämpfen. Alles drehte sich... Komm schon... mach die Augen auf...

    Ich sah, dass ich unterhalb eines Hügels lag. War ich da hinuntergestürzt? War es Morgen oder wurde es Abend? Wo war meine Armbanduhr? Mir war jedes Zeitgefühl abhanden gekommen.

    Angst kroch in mir hoch und ich versuchte, mich an irgendetwas zu erinnern. Aber da war nichts... Warum war da nichts?!

    Na los... auf die Beine... Dieses nagende Gefühl in mir trieb mich hoch, ich musste weg, musste weiter... Bei dem Versuch, mich auf die Seite zu rollen, schmerzte plötzlich meine Hüfte derart heftig, dass ich resignierend zurücksank; mein ganzer Körper schien aus einem einzigen Schmerz zu bestehen. Dann sah ich, dass auch meine Hüfte blutig war...

    Keine Ahnung wie, aber irgendwie schaffte ich es, auf die Knie zu kommen und kroch zu einem Baum, einen Meter weiter. Doch die Schmerzen wurden so stark, dass mein Magen durchdrehte und ich mich übergeben musste.

    Reiß dich zusammen... tief durchatmen... steh auf... Nur mühsam schaffte ich es, mich an dem Baum hochzuziehen. Wo war ich? Dann sah ich das Haus, ein Stück weiter unten. Schwankend setzte ich einen Fuß vor den anderen; kaum noch fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Hilfe... bitte...

    Meine Kräfte verließen mich und ich sank zu Boden. Irgendwo bellte ein Hund... mir war so übel... ein einziger Schmerz... alles flimmerte vor meinen Augen...

    Dann nahm eine alles umarmende Dunkelheit mir die Sinne.

    Das nächste, das ich spürte, war eine sanfte Hand, die mir beruhigend über die Wange strich, als ich die Augen aufschlug. Sie hatten mich hinter einem der beiden Cottages gefunden, die parallel an diesem Landweg am Ende des Dorfes Ballyvaughan lagen. Der Hund der Familie hatte mich gehört und verbellt. Doch das wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht.

    Ich lag wohl auf einem Behandlungstisch, ein älterer Mann hatte sich über mich gebeugt und war dabei, meine Kopfwunde zu versorgen.

    Er kommt zu sich, vernahm ich eine weibliche Stimme hinter mir, dann trat die junge Frau an meine Seite und ich blickte in zwei freundliche Augen, die mich forschend ansahen. Hallo! Wie fühlen Sie sich? Was ist mit Ihnen passiert? Können Sie mir Ihren Namen sagen?

    Es fiel mir schwer, irgendein Wort herauszubringen, stammelte: Weiß nicht... Name?... mein Name?

    Mein Name... warum zum Teufel fiel mir mein Name nicht ein?! Alles begann sich wieder zu drehen und zu verzerren vor meinen Augen, mein Puls raste.

    Ruhig, ganz ruhig, das ist jetzt auch nicht so wichtig. Amus, ich glaube, er kollabiert!

    Als sie mir eine Kreislaufspritze setzen wollten, musste ich sie entsetzt angestarrt und geschrieen haben, dann erlöste mich eine tiefe Ohnmacht.

    Ich möchte wissen, woher die Schussverletzung an der Hüfte stammt! Wie kommt jemand hier bei uns an so etwas? Vielleicht ein Jagdunfall? Amus Kavanaugh schüttelte nachdenklich den Kopf.

    Zu meinem großen Glück hatten mich die Nachbarn seiner Schwiegertochter Siobhan gefunden. Sie, die Krankenschwester, und er, der einzige Arzt hier in der Gegend, versorgten mich nun.

    Eigentlich müsste er nach Galway ins Merlin Park Hospital, gab Siobhan zu bedenken. Er hat viel Blut verloren. Ob wir einen weiteren Kollaps auffangen können? Und die Schussverletzung: Eigentlich müssten wir sie melden, oder?

    Amus schüttelte den Kopf. Die Kugel hat weiter keinen größeren Schaden angerichtet, sie ist im Knochen stecken geblieben. Da, ich habe sie schon. Gib mir mal den Faden, dann kann ich zunähen. Hast du dir die Hämatome an den Rippenbögen angesehen und sein Gesicht? Sieht aus, als wäre er geschlagen worden... und dann die Pupillen und die Einstiche an den Armen... der ist mit irgendeinem Zeug vollgepumpt!

    Wie ein Drogenabhängiger sieht er allerdings nicht aus.

    Nein, er macht einen eher durchtrainierten Eindruck. Mädchen, ich weiß nicht, was ich davon halten soll!

    Siobhan nickte und während sie ihm beim Nähen assistierte, sprach sie seine Befürchtung offen aus: Du glaubst, er könnte ein Krimineller sein oder so was, nicht wahr? Weißt du, vielleicht bin ich ja naiv, aber mein Instinkt sagt mir, dass wir diesem Menschen unseren Schutz gewähren müssen. Seine Panik hast du doch auch gesehen, als wir die Spritze setzen wollten? So verhält sich doch nur jemand, der wirklich Angst hat! Und wenn er tatsächlich geschlagen wurde oder misshandelt... Ich denke, solange wir nicht mal wissen, wer er überhaupt ist, solange sollten wir die Schusswunde verschweigen!

    Amus schwieg und Siobhan kannte diesen verschlossenen Gesichtsausdruck nur zu gut. Er wollte jetzt in Ruhe gelassen werden, brauchte Zeit zum Nachdenken. Stillschweigend verrichteten sie ihre Arbeit.

    Sie hatten mich dann in das kleine Hinterzimmer von Amus' Praxis gebracht, das sie als Notfall-Krankenzimmer hergerichtet hatten.

    In den nächsten Stunden wachten sie abwechselnd an meinem Bett, kontrollierten Pupillen, Blutdruck und Atmung. Anscheinend muss ich wohl wie tot da gelegen haben, jedenfalls vergingen fast vierundzwanzig Stunden, bis ich wieder voll zu Bewusstsein kam.

    Als ich die Augen öffnete, konnte ich das erste Mal alles wieder klar und deutlich erkennen, die Zerrbilder und Halluzinationen waren verschwunden.

    Neben dem Bett stand ein Tropf und als ich mich weiter im Zimmer umsah, erblickte ich Siobhan, die schräg gegenüber in einem Sessel am Fenster saß und Nähzeug in der Hand hielt. Sie sah gerade nach draußen. Ich schaute sie an und versuchte, mich an irgendetwas zu erinnern.

    Der Abend dämmerte, warmes Sonnenlicht fiel von draußen auf ihr Haar und reflektierte das Rot darin, als würde es leuchten. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und schien mit den Gedanken weit weg zu sein. Ein so beruhigender und friedlicher Anblick, der mich innehalten ließ. Es war, als würde das ganze Zimmer in diese Abendsonne eintauchen, als würde ich selbst durchflutet von dieser Wärme und Ruhe. Meine Seele atmete auf: Es war wie ein Erwachen nach einem eiskalten Winter.

    Abrupt wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als die Tür neben mir aufging und der Doktor eintrat. Zu Siobhan gewandt meinte er: Komm, Mädchen, geh jetzt nach Hause, ich kümmere mich um ihn!

    Doch indem sie aufblickte, sah sie auch zu mir herüber und lächelte mich an. Schau mal, er ist ja wach!

    Amus kam an mein Bett, kontrollierte meinen Blutdruck und meinte dann: Na, das sieht ja schon wieder ganz gut aus!

    Siobhan nahm neben mir Platz und sah mich forschend an.

    Mir schossen tausend Fragen durch den Kopf, doch meine Lippen konnten nur ein: Wo bin ich? stammeln.

    Keine Sorge, Sie sind hier gut aufgehoben. Ich bin Siobhan Kavanaugh und das ist Doktor Amus Kavanaugh, mein Schwiegervater. Meine Nachbarn Rose und John McKenzie haben Sie gefunden und in unsere Obhut gebracht. Können Sie sich an irgendetwas erinnern? Was mit Ihnen passiert ist? Oder können Sie mir vielleicht sagen, wie Sie heißen? Ob wir irgendwelche Angehörigen benachrichtigen können?

    Das waren viele Fragen. In meinem Kopf schwirrte es. Der Versuch, mich zu erinnern, scheiterte kläglich.

    Ich, ich weiß meinen Namen nicht... Was... was habe ich denn, was ist denn los?

    Amus schaltete sich ein. Nun, Sie haben eine schlimme Kopfverletzung und so wie es aussieht, eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen. Das erklärt wohl auch, warum Sie sich im Moment an nichts erinnern können. Was uns mehr Sorgen macht..., er stockte plötzlich und schaute mich unsicher an. Dann fuhr er fort: Na ja, wir würden schon gerne wissen, wie Sie zu der Schussverletzung an Ihrer Hüfte gekommen sind!

    Oh Gott, eine Schussverletzung! Meine Verwirrung war komplett, jetzt verstand ich gar nichts mehr. Verzweifelt schaute ich auf Siobhan: Was ist denn bloß passiert?

    Sie beruhigte mich und nahm meine Hand. Jetzt lassen wir es erst einmal gut sein, ja? Sie müssen wieder zu Kräften kommen, alles andere kommt dann von selbst. Ist Ihnen schwindelig, Sie werden ja ganz blass?

    Ich konnte nur noch schwach nicken. In meinem Kopf drehte sich alles, eine bleierne Müdigkeit überrollte mich. Irgendwie schafften Siobhan es noch, mir etwas Tee einzuflößen und während sie meine Hand hielt, schlief ich wieder ein.

    Mein eigenes Zittern weckte mich gegen Mitternacht: Ich fror; ich fror entsetzlich und meine Zähne klapperten. Durch mein Stöhnen wachte auch Siobhan auf, die aus irgendeinem Grunde immer noch da und im Sessel eingeschlafen war. Sie holte Amus hinzu: Er hat einen Fieberkrampf, was machen wir jetzt?

    Der Arzt handelte schnell. Ich gebe ihm was gegen die Krämpfe. Das kostet ihn sonst zu viel Kraft und die hat er nicht mehr. Dann wurde er nachdenklich. Ich habe heute Abend mit Carl im Krankenhaus telefoniert, er hat für mich die Blutprobe nach Feierabend untersucht. Die Leberwerte sind sehr schlecht, es müssen wohl harte Drogen gewesen sein. Allerdings keine der üblichen Substanzen, anscheinend irgendeine Mischung. Es kam ihm schon merkwürdig vor. Er hat mir übrigens auch versprochen, Stillschweigen zu bewahren, nachdem ich ihm die Situation erklärt habe.

    Siobhan blickte ihn fragend an: Was heißt das jetzt?

    Carl war sich nicht sicher wegen der Blutwerte, sie deuten auf eine bestimmte Lebererkrankung hin. Einen Teil der Probe hat er deshalb unter meinem Namen nach Dublin geschickt, dort ist das einzige Labor für diese Untersuchung. Hast du im Krankenhaus vielleicht mal damit zu tun gehabt: Das nennt sich hepatische Porphyrie?

    Sie grübelte. Nein, zumindest nicht direkt. Ich weiß allerdings, dass es mit der Entgiftungsfunktion der Leber zu tun hat. Irgendwie werden die Giftstoffe nicht wieder abgebaut, sondern dem Körper zurückgeführt oder so ähnlich... was bedeutet das für ihn?

    Nun, soweit Carl mir erklären konnte, müssen wir vorsichtig sein. Schmerzmittel dürfen wir nicht geben, denn dadurch könnten wir unter Umständen einen Leberkollaps auslösen. Den würde er in seinem Zustand vielleicht nicht überleben. Wenn sich das Giftzeug jetzt abbaut, kann er starke Schmerzen bekommen. Auf keinen Fall dürfen wir medikamentös eingreifen, das kann den nächsten Anfall auslösen. Uns bleibt also keine Wahl...

    Sie sahen sich an und er konnte ihre Bereitschaft, zu kämpfen, fast körperlich spüren. Sie setzte sich immer mit aller Kraft für Menschen ein, denen es zu helfen galt, hatte stets ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte. Durch ihre herzliche Art hatte sie hier in Ballyvaughan schnell das Vertrauen der Leute gewonnen. Nach ihrer Ausbildung als Krankenschwester und der Tätigkeit im Hospital hatte sie sich noch zur Hebamme ausbilden lassen und dann die Stelle als Gemeindeschwester bekommen. Und diesen Mut der Verzweiflung, den er in ihrem Blick nun wahrnahm, diese Entschlossenheit kannte er nur zu gut.

    Unter einem Vorwand verließ Amus den Raum, denn sie sollte die Tränen nicht sehen, die ihm in die Augen schossen. Knapp vier Monate war es her, dass er in gerade diesem Zimmer seinen Sohn hatte sterben sehen. Er war einem Krebsleiden erlegen, mit nur vierunddreißig Jahren. Tag und Nacht hatten sie an seinem Bett gesessen und mit ihm gelitten, bis der Tod ihn erlöst hatte. Sein Sohn Brien, sein einziges Kind, sein ganzer Stolz. Wie sein Vater hatte er Medizin studiert, wollte später seine Praxis übernehmen. Amus sah auf das Hochzeitsfoto am Kaminsims und erinnerte sich an die glücklichen Augen seines Sohnes, als er ihm Siobhan vorgestellt hatte. Die junge Frau hatte wieder die Wärme ins Haus gebracht, die ihm seit dem Tode von Briens Mutter so gefehlt hatte. Mit einem Seufzer wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, holte tief Luft und ging dann in die Küche, um Tee aufzugießen.

    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

    Dublin: Zwei Tage vorher.

    Hallo?

    Ja? Paul Egan erkannte die Stimme seines Freundes sofort. Wie ist das Wetter heute?

    Okay, Code doppelrot, es ist das Trinity College, heute Nachmittag um 17:00 Uhr, ich wiederhole:17:00 Uhr! Wahrscheinlich die Heizungskeller, außerdem haben sie ein Waffenlager: O'Donnell's Bookshop, ein kleiner Laden in der Nähe vom Trinity, unten im Keller rechts hinterm Bücherregal ist der Zugang - Blau ist verschwunden - hast du verstanden?!

    Ja, ich habe verstanden! Wo um Gottes Willen bist du?!

    Ähm, ja in Ordnung Vater, ich besuche dich zu Hause... Hey, was soll das...!

    Jemand legte den Hörer auf und Paul Egan wusste: Sein Freund war in ernsten Schwierigkeiten, ebenso wie sein Kontaktmann Sean Flannagan. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren jetzt beide in den Händen der Terroristen und die würden nicht zimperlich mit ihnen umgehen. Den Anruf konnten sie nicht zurückverfolgen, geschweige denn, dass es auch nur den geringsten Hinweis gab, wo sie sich aufhielten.

    Sean Flannagan schluckte. In all den Jahren, in denen er für den Frieden im Untergrund kämpfte, hatte er viele Grausamkeiten erlebt. Aber dieser Connor, der hier das Sagen hatte, war von einer derartigen Kaltschnäuzigkeit... Er sah hoch und blickte Pauls Freund in die Augen, den sie halb bewusstlos geschlagen und nun mit den Händen nach hinten an einer Säule festgebunden hatten. Sie sahen sich an und wussten beide in diesem Moment, dass sie eigentlich schon verloren hatten, wenn Paul sie nicht rechtzeitig finden würde.

    Nun...!, meinte Connor sarkastisch grinsend zu seinen Begleitern. Mit einer ruckartigen Bewegung packte er Sean an den Haaren und zwang ihn in die Knie. Na, dann wollen wir mal sehen, ob dein Freund nicht doch mit uns plaudern möchte!

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