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BUCH: Ein metafiktionaler Thriller
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eBook314 Seiten4 Stunden

BUCH: Ein metafiktionaler Thriller

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Über dieses E-Book

Der Wiener Bezirksinspektor Peter Palmayer wird mit der Aufklärung des Mordes an einer hohen Beamtin im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl betraut. Die Landespolizeidirektorin und der Staatsanwalt glauben an ein Verbrechen mit politischem Hintergrund. Palmayer findet am Tatort ein Buch, dessen Anziehungskraft er nicht widerstehen kann. Er liest das erste der beiden Kapitel, aus denen das Machwerk besteht, und muss verwundert feststellen, dass es sein Leben, seine Realität beschreibt. Im zweiten Abschnitt liest er den Mord an der Beamtin. Ist diese Darstellung real, wie die seiner Lebensgeschichte? Mit Hilfe des Buches, das sich jeden Abend weiterzuschreiben scheint, verfolgt der Kriminalbeamte die Spur des Täters. Es beginnt eine Jagd, bei der Palmayer droht, zunehmend den Verstand zu verlieren. Die Ermittlungen entwickeln sich in eine für den Polizisten erschreckende Richtung, die Palmayer nicht vorhersehen konnte.

Überarbeitete Auflage.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. März 2015
ISBN9783738020038
BUCH: Ein metafiktionaler Thriller

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    Buchvorschau

    BUCH - Riccardo Rilli

    ERSTES BUCH

    Kapitel 1 – Der Mord kommt ungelegen!

    Es war einmal ein trüber Tag. Das dachte Bezirksinspektor Peter Palmayer, als er die kleine Stadtvilla betrachtete, vor der er stand. Das Haus sah für ihn aus, als wäre es soeben einem Märchen entsprungen. Und es war ein trüber Tag. Diese zwei Eindrücke ließen in ihm den Gedanken entstehen. Der Anlass, der ihn zu dem Knusperhäuschen führte, war weniger märchenhaft. Aus dem Grund schüttelte er die Vorstellung ab. Er öffnete das schmiedeeiserne Gartentor, das aus aufrecht stehenden, grün lackierten Speeren zu bestehen schien. Der restliche Zaun war auf die gleiche Weise gearbeitet und ruhte auf einem kleinen Betonsockel links und rechts vom Tor. Dahinter tat sich eine sauber gestutzte Hecke auf, die zu dieser Jahreszeit keine Blätter trug und innerhalb ihres geometrischen Schnittes wirres Geäst war. Woher sollte sie Licht bekommen, um auszutreiben, dachte Palmayer. Seit Tagen war es trüb, wie heute. Dunkle Wolken ließen die Tageszeit verschwimmen. Sie bewegten sich träge über den Himmel, unentschlossen, ob sie ihren Regen preisgeben sollten, mit dem sie prall gefüllt waren. Trotz des fehlenden Sonnenlichts war es für Jänner zu warm. Bei zehn Grad Außentemperatur reichte Palmayer sein dunkelblauer Dufflecoat, den er offen über den mittelgrauen Anzug trug. Die weinroten, handgearbeiteten Schuhe mit Budapester Muster betraten den gepflasterten Weg, der vom Gartentor zum Eingang des Bauwerkes führte, der, von der Straße aus betrachtet, an der linken Hauswand lag. Rund um das Haus war Garten, der winterlich und gepflegt aussah. Hinter dem Gebäude ratterte ein Güterzug vorbei. Zuerst hörte Palmayer ihn, wenig später sahen die blauen Augen den Bahndamm hinauf und er begann, die Wagons zu zählen. Bei vierunddreißig riss ihn sein Kollege, Gruppeninspektor Franz Wimmer, aus den Gedanken.

    „Nettes Haus. Schade, dass es in keiner ruhigen Lage ist", stellte Wimmer fest. Palmayer nickte. Nicht weit von der linken Hauswand entfernt begann das Grundstück der Nachbarn. Ebenfalls eine kleine Stadtvilla, wie alle Anwesen in der Straße im vierzehnten Wiener Gemeindebezirk. Insgesamt waren es zehn Häuschen, die sich Garten an Garten aneinanderreihten. Die Kriminalbeamten standen in der Einfahrt des zweiten Hauses. Hinter ihnen, auf der anderen Seite der schmalen Straße, zog sich ein Bau mit Gemeindewohnungen der Stadt Wien über die gesamte Länge. Krasser könnte der Gegensatz nicht sein, dachte Palmayer. Sie mussten alle Bewohner, die von ihren Gemeindewohnungsfenstern Einblick in den Garten hatten, befragen, ob ihnen Ungewöhnliches aufgefallen war. Der Bezirksinspektor seufzte und kratzte sich die dunklen Brusthaare am offenen Kragen des blauen Hemdes. Klinkenputzen. Nicht seine Lieblingsbeschäftigung. Sein Blick wanderte über die Fassade des Märchenhauses. Der Putz war in hellem Rosa gehalten. Die vier Fenster, die straßenseitig im Erdgeschoss zu sehen waren, hatten weiß gestrichene Rahmen. Über den ersten Dreien spannte sich ein schwarzes Dach mit zwei Gaupen. Ein kleines Türmchen bildete den Abschluss des oberen Stockwerks. An allen Fensteröffnungen befanden sich dunkelblaue Fensterläden, die offen standen.

    Erst als Palmayer ein paar Schritte weiter in den Garten machte, bemerkte er die uniformierten Kollegen, die abwartend herumstanden. Er ging auf denjenigen zu, der dem Eingang am nächsten war. Ein Blick auf die Rangabzeichen verriet ihm, dass es sich um einen Revierinspektor handelte. Er hatte mehr als sechs Dienstjahre auf dem Buckel.

    „Servus. Bezirksinspektor Palmayer, stellte er sich dem Uniformierten vor, „Wo ist sie? Heute Vormittag klingelte im Kommissariat das Telefon und man teilte ihm mit, dass eine Frauenleiche gefunden worden war. Nachdem man ihm die Adresse mitgeteilt hatte, schnappte er sich den Dufflecoat und seinen Kollegen und kurz darauf stand er hier und fragte nach dem Fundort der Leiche. Der Revierinspektor betrachtete sein Gegenüber. Der Kriminalbeamte hatte dunkle Haare, erste graue fanden sich darunter, und eine hohe Stirn. Der Uniformierte schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er deutete auf die Eingangstür. „Im Flur", war die knappe Antwort.

    „Und wer hat sie gefunden?, fragte Palmayer weiter. „Die Putzfrau. Die ist im Wohnzimmer, antwortete der Polizist. Mehr wollte der Kriminalbeamte nicht wissen und er sah wenig Sinn darin, den Revierinspektor mehr zu fragen.

    Franz Wimmer folgte dem Kollegen, der sich Richtung Eingang aufmachte. Palmayer war sportlich-elegant gekleidet, wie Wimmer es bezeichnete. Franz war seiner Ansicht nach sportlich, ohne elegant zu sein. Die Jeans, das schwarze Ledersakko und die Turnschuhe passten zur schlanken Figur. Der blonde Bürstenhaarschnitt und der Dreitagebart ließen ihn jünger aussehen, obwohl Palmayer und ihn nicht mehr als vier Jahre trennten. Neben der Eingangstür lehnte ein Metallsarg aufrecht an der Hauswand und verdeckte die Klingel.

    „Die Bestatter sind da, sagte Wimmer, als Palmayer die Tür öffnete. Der Bezirksinspektor sah sich regem Treiben gegenüber. Hinter der Tür standen im engen Hausflur zwei Herren in schwarzen Anzügen. Ihnen gehörte scheinbar der Sarg. Palmayer begrüßte sie mit einem Nicken. Im Flur schwirrten ein paar Leute der Spurensicherung umher, erkennbar an den weißen Schutzanzügen, in denen sie ein bisschen aussahen wie die Spermien in Woody Allens Film aus den Siebzigern. „Ah, welche von der Spurenvernichtungskommission! Kommt rein!, hörte er einen der Spurensicherer mit zynischem Tonfall sagen. Das kümmerte ihn nicht. Sein Blick fiel auf den toten Frauenkörper, der im Flur lag. Rundherum eine Blutlache. Daneben ein Ärztekoffer und ein kniender Gerichtsmediziner. Hinter der Leiche fanden sich zwei Türen rechts, eine links und eine am Ende des Ganges, der Eingangstür gegenüber. Die letzte war verschlossen und durch die anderen liefen Uniformierte und Spurensicherer hin und her.

    „Servus, Doktor", begrüßte Palmayer den Gerichtsmediziner. Wimmer hatte sich hinter ihm noch in den Flur gedrückt und die die Eingangstür verschlossen. Wenn noch ein paar Personen hinzukämen, dachte der Bezirksinspektor, müssten sie sich auf die Leiche stellen.

    „Servus, Pepe, antwortete der Mediziner. Viele seiner Bekannten und Freunde nannten Peter Palmayer Pepe. Nach den Initialen. Der Gerichtsmediziner, mit dem der Kriminalbeamte ein paar Jahre zusammenarbeitete, war einer davon. Der Doktor erhob sich. Er war nicht dick. Die Figur konnte man als stämmig bezeichnen. Seine braunen, kurz geschnittenen Haare, die hoch oben auf der Stirn begannen, wurden durch einen gleichfarbigen Kinnbart ergänzt. Er war ein paar Jahre älter als Palmayer und sie verstanden sich gut. „Und?, fragte der Bezirksinspektor.

    „Sie ist tot, antwortete der Doktor und sah Pepe mit seinen tiefgründigen, braunen Augen an. „Echt jetzt?, tat Palmayer verwundert. Der Gerichtsmediziner deutete auf die rechte Tür.

    „Gehen wir in die Küche. Dort ist mehr Platz, schlug er vor. Pepe nickte. Der Doktor packte seine Sachen in die Tasche und ging voraus. Palmayer und Wimmer folgten ihm. In der Kochstube grüßte Franz den Arzt. „Servus, Wimmer, entgegnete dieser.

    Die Küche beanspruchte das erste der vier Fenster, die auf die Straße zeigten, gegenüber der Küchentür. Linker Hand erstreckte sich eine Küchenzeile mit Hängekästen. Die Schränke zogen sich unter der Fensteröffnung der Wand entlang. Rechts stand ein Esstisch mit vier Stühlen, die ebenso in rustikaler Kiefer gehalten waren, wie die Küche. Die Holzart bedeckte die gesamte Einrichtung, bis hin zur Arbeitsplatte, die mit dunkelbraunen Ästen auf der honigfarbenen Kieferplatte überzogen war. Insgesamt machte der Raum einen bäuerlichen Eindruck und wären die Wände und der Fliesenboden nicht weiß gewesen, fühlte man sich erdrückt. In der Küche stand ein uniformierter Kollege und sah aus dem Fenster. Als die drei Personen die Kochstube betraten, warf er ihnen einen Blick zu und deutete Palmayer, das er noch mit ihm reden müsste.

    „Was gibt’s, Inspektor?", fragte Pepe. Ein junger Kollege, ein Indianer, wie sie die Abgänger der Grundausbildung nannten. Der Polizist holte einen kleinen Notizblock hervor und ohne weitere Worte begann er, vorzulesen:

    „Die Tote ist Dr. Silke Lechner. Zweiundfünfzig Jahre. Sie hatte einen Dienstausweis des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei sich. Auf den Visitenkarten, die wir ebenfalls bei ihr gefunden haben, steht, dass sie Direktorin ist. Und sie ist verheiratet. Zumindest stehen im Wohnraum Fotos mit einem Mann. Entdeckt hat sie die Putzfrau. Sie kommt an zwei Tagen in der Woche vorbei. Sie ist jetzt im Wohnzimmer und geschockt. Eine Spanierin. Ich vermute, illegal angestellt. Damit war der Vortrag des Inspektors beendet. Palmayer nickte seinem Kollegen Wimmer zu. Der machte einen Schritt zum Indianer, legte ihm die Hand auf die Schulter und meinte: „Gute Arbeit, junger Mann. Jetzt lassen sie uns bitte einen Moment mit dem Doktor sprechen. Er schob ihn zaghaft aus der Küche und schloss die Küchentür.

    „Rede du mit der Putzfrau, sagte Pepe zu Wimmer. „Echt?, antwortete dieser überrascht. Sollte er nicht beim Gespräch mit dem Doktor anwesend sein? „Ich erzähle dir nachher alles. Wie du mir. Spart Zeit.", entgegnete Palmayer. Daraufhin verließ Wimmer die Küche und ließ Pepe mit dem Arzt zurück.

    „Und?, fragte der Polizist den Gerichtsmediziner. „Das Opfer ist weiblich. Attraktiv für ihr Alter. Ich vermute, sie war am Weg in die Arbeit, weil sie ein Nadelstreifkostüm anhat. Weitere Rückschlüsse sind dein Bereich., er grinste, „Sie ist überrascht worden, als sie sich die Schuhe an- oder auszog. Ihr wurde von hinten die Kehle aufgeschlitzt. Mit einem scharfen Gegenstand. Ich denke, mit einem Messer. Der Mörder hat sie auf den Boden fallen lassen und sie ist ausgeblutet. Es ist nicht lange her. Heute Morgen, kurz bevor die Putzfrau sie gefunden hat. Pepe kratze sich nachdenklich die Brusthaare. „Sie hat Glück gehabt. Ein paar Minuten früher und der Mörder wäre ihr gegenübergestanden, sinnierte er. „Kann sein. Ich lasse die Leiche jetzt überstellen, wenn du sie nicht mehr brauchst. Näheres kann ich dir nach der Obduktion sagen. Palmayer sah auf. „Gut. Mach das. Und schick mir den Revierinspektor in die Küche, wenn du rausgehst. „Mach ich", antwortete der Doktor und verließ die Kochstube.

    Pepe zog sein Mobiltelefon aus der Innentasche des Sakkos und suchte die Nummer von Claudia Baumgartner. Die junge Kollegin machte zurzeit eine Ausbildung zur Kriminalbeamtin und half Palmayer und Wimmer im Innendienst mit Recherchearbeit und ihren EDV-Kenntnissen. Nach dem ersten Klingeln war sie am Apparat. „Baumgartner, meldete sie sich. „Hallo, Claudia. Pepe. Tu mir bitte einen gefallen. Finde alles Wissenswerte über eine Dr. Silke Lechner, wohnhaft im vierzehnten Bezirk, heraus. Sie ist Direktorin im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Vor allem, ob sie Angehörige hat und wie ich die erreichen kann, führte Palmayer aus. „Dr. Silke Lechner. Ist gut", wiederholte Claudia. Sie war beim Telefonieren kurz angebunden. Das konnte man nicht in jeder Situation von ihr behaupten. Sie war in der Lage zu tratschen und schnell und gründlich zu arbeiten. Pepe legte auf, ohne sich zu verabschieden. Mit Sicherheit kam bald das nächste Telefonat mit ihr.

    In diesem Moment betrat der Revierinspektor die Küche. Der großgewachsene Mann füllte den Türrahmen komplett aus. „Sie wollten mich sprechen?, sagte er. „Kommen sie herein. Sie waren einer der ersten am Tatort?, fragte Pepe. „Das stimmt, wir erhielten den Funkspruch um zehn Uhr fünfunddreißig. Wir haben gleich alle informiert und ich veranlasste, dass eine großräumige Suche nach verdächtigen Personen durchgeführt wird. Die Leiche schien frisch, erzählte der Revierinspektor. „Gute Arbeit. Haben sie eine Befragung der Nachbarn arrangiert? Ob jemand den Mörder gesehen hat?, Pepe hoffte, dass er sich das lästige Klinkenputzen ersparen konnte. Das erwähnte er gegenüber dem Uniformierten nicht. Wegen der Dringlichkeit musste die Befragung sofort durchgeführt werden, und Indianer gab es genug. „Habe ich, sagte der Polizist, „Alle sind noch nicht zurück. Bisher gibt es keine Ergebnisse. Ich verfasse darüber einen ausführlichen Bericht. Davon war Pepe überzeugt. Er konnte sich Schöneres vorstellen, als eine Darstellung in bestem Beamtendeutsch von einem wortkargen Revierinspektor zu lesen. Es war besser, als bei jedem Nachbarn klingeln zu müssen. „Lassen sie mir den Bericht umgehend zukommen", sagte Pepe. Damit war sein Gespräch mit dem Uniformierten beendet. Beide gingen aus der Küche. Der Revierinspektor verließ das Haus und bezog Position neben dem Eingang. Palmayer wollte zum Kollegen im Wohnzimmer stoßen, als im Flur sein Handy klingelte.

    Es war Claudia. Sie berichtete, dass Dr. Lechner keine nahen Verwandten hatte, außer ihrem Mann, einem pensionierten Sektionschef des Justizministeriums. Sie gab ihm die Mobiltelefonnummer durch. Pepe bedankte sich und legte auf. Er atmete tief ein. Eine Direktorin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und ein ehemaliger Sektionschef aus dem Justizministerium. Das entwickelte sich zu einer heiklen Angelegenheit.

    Die Bestatter waren derweil neben ihm im Flur damit beschäftigt Frau Dr. Lechner in den Metallsarg zu hieven, den sie zwischenzeitlich hereingebracht hatten. Einen kurzen Moment sah er ihnen zu wie sie die, nach der Aussage des Doktors, attraktive Frau, zusammenfalteten, damit sie in den schmalen Container passte. Kein schönes Ende dachte Pepe. Das Opfer hatte schulterlange, dunkle Haare und war hübsch für ihr Alter. Wenn man von dem langen Einschnitt entlang des Halses absah. Und der blutdurchtränkten Kleidung, die nicht mehr fürs Büro geeignet war. Der Doktor war kein Kostverächter und versuchte ab und zu mit Claudia zu flirten, wenn er seine Berichte vorbeibrachte. Mit wenig Erfolg bei der vierundzwanzigjährigen. Dass dem Gerichtsmediziner die Attraktivität einer Leiche auffiel, gab Palmayer zu denken. Einer der Bestatter warf einen losen Schuh in den Sarg, der andere steckte am Fuß des Opfers. Die Vermutung des Doktors stimmte. Sie wurde beim Anziehen oder Ausziehen des Schuhwerks überrascht. Der Mörder hatte sie ihre Tätigkeit nicht fertigmachen lassen. Die Bestatter deckten die Frau mit dem Deckel des Sarges zu. Sie versuchten die Eingangstüre zu öffnen. Die krachte gegen den Metallsarg, der im Weg stand. „Scheiß eng hier", fluchte einer der Männer im dunklen Anzug. Palmayer musste in die Küche zurückweichen, damit die beiden Herren den Sarg nach hinten schieben und die Tür öffnen konnten. Pepe wandte sich ab. Er tippte die Nummer von Herrn Lechner in das Telefon, drückte auf den grünen Knopf und wartete.

    „Lechner, meldete sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Guten Tag, Herr Lechner. Spreche ich mit Herrn Dr. Walter Lechner, Gatte von Frau Dr. Silke Lechner?, begann Palmayer das Telefonat. Er hasste es, Leuten schlechte Nachrichten zu überbringen. Am Telefon war es ihm noch unangenehmer. Er wollte ihn hier haben und befragen, es hinter sich bringen. „Das bin ich. Ist was mit meiner Frau?, fragte die Stimme am Mobiltelefon. Sie klang gelassen, obwohl er aufgrund der formellen Frage, ob er der Gatte des Opfers war, beunruhigt war. „Mein Name ist Peter Palmayer. Ich bin Ermittler des Landeskriminalamtes. Ich befürchte, dass ich schlechte Nachrichten für sie habe., sagte Pepe. „Was ist passiert?, fragte Lechner. Jetzt nahm die Nervosität in der Stimme zu. „Es ist besser, sie kommen nach Hause. Ich werde sie hier erwarten. „Bin unterwegs", kam es aus dem Telefon. Der Gatte des Opfers legte auf.

    Pepe ging ins Wohnzimmer. Herr Lechner brauchte ein paar Minuten, bis er hier eintraf. Derweil konnte er sich mit seinem Kollegen austauschen. Der saß auf einer braunen, englischen Ledercouch und hielt einen Notizblock in der Hand. Er versuchte die gestammelten, in schwachem Deutsch gesprochenen Worte der Putzfrau schriftlich festzuhalten. Der Raum vermittelte einen anderen Eindruck als die rustikale Küche. Die beiden Chesterfield Sofas waren die einzig schwer wirkenden Möbelstücke im Wohnzimmer. Ansonsten war es hell eingerichtet. Palmayer vermutete, dass es sich bei der modernen Schrankwand, die an der linken Seite des Zimmers stand, um Ahorn handelte. Die Schränke rahmten einen großen Flachbildfernseher ein. Gegenüber der Tür, durch die Pepe gekommen war, befand sich eine Reihe Terrassentüren, an denen sich zwei Spurensicherer zu schaffen machten. An der rechten Wand standen zwei Kommoden, ebenfalls Ahorn, und dazwischen eine Tür in einen weiteren Raum, die verschlossen war. Ein groß gewachsener Ficus ergänzte das Ensemble in der rechten hinteren Ecke des Zimmers. Palmayer ging ein paar Schritte und setzte sich neben Wimmer, dessen Sofa zwei Sitzplätze bot und den Blick in den Garten und in weiterer Folge auf den Bahndamm ermöglichte. Vor ihnen stand ein Couchtisch mit Glasplatte. Auf dem Möbelstück befanden sich eine Vase mit gelbroten Tulpen und ein Buch. Pepe schenkte dem zunächst keine Aufmerksamkeit. Er schaute sich um. Rechts neben dem Tisch war eine zweite Couch, von der man auf den Flachbildschirm sah. Dieses Sofa bot drei Personen Platz, derzeit saß eine darauf. Zwischen den Sofas war ein kleiner Beistelltisch in dunkelbraun, auf dem eine Stehlampe mit hellem Schirm stand.

    Franz Wimmer sah seinen Kollegen an und blickte im Anschluss auf den Block. Er musste ablesen: „Das ist Clarinda Hermosa Alvarez Sanchez, die Haushälterin der Lechners. Siebenundvierzig. Sie arbeitet seit zwei Jahren hier und in anderen Haushalten. In Spanien haben sie und ihr Mann keine Arbeit mehr gefunden und sind hierhergekommen. Ihr Mann betätigt sich als Ausfahrer bei einer Bäckerei. Sie ist geringfügig angemeldet. Nicht illegal beschäftigt dachte Palmayer. Da waren bei der Beurteilung der Situation durch den jungen Inspektor Vorurteile eingeflossen. Pepe betrachtete die kleine, dicke Frau mit den rabenschwarzen Haaren, die sie zu einem Dutt hochgesteckt hatte. Sie hatte ein rotes Kostüm mit weißer Bluse an und war über und über mit goldfarbenem Modeschmuck behangen. Eine blütenweiße Strumpfhose, schwarze Schuhe mit niedrigem Absatz und ein Lippenstift, der in der gleichen Farbe leuchtete wie das Kostüm, rundeten die Erscheinung ab. Elegant im Rahmen der Möglichkeiten, dachte Palmayer, mit einem Schuss südländischer Übertriebenheit. Er sah ihr in die schwarzen Augen, die normalerweise Freude versprühten und glänzten. Pepe stellte sich eine resolute, spanische Mamma vor. Jetzt saß sie neben ihrem Regenmantel, den sie auf dem Sofa abgelegt hatte, und knetete nervös ihre Hände. Ihre Augen waren trüb, wie das Wetter. „Sie fanden Frau Lechner?, fragte Palmayer.

    „Si. Ich gefunden habe Frau Lechner., Clarinda war den Tränen nahe. „Sie am Boden gelegen hat. Im Vorzimmer. Ich wollte kommen putzen das Haus. Habe aufgesperrt und da war alles Blut. Alles Blut. Sie begann zu schluchzen. Wimmer kramte in der Tasche seines Ledersakkos und holte eine Packung Papiertaschentücher hervor. Eines davon zog er heraus und gab es der Haushälterin. „Gracias, murmelte sie, wischte sich die Tränen ab und bezog das Taschentuch in das Kneten der Hände mit ein. Pepe ließ Clarinda einen Moment. Er fragte weiter: „Wann war das? „Ich beginne um zehn. Es war zehn, aproximadamente. Palmayer überlegte. Um zehn Uhr fünfunddreißig bekam der Revierinspektor den Notruf. Das passte. „Was ist ihnen noch aufgefallen? Haben sie jemanden bemerkt, war noch irgendjemand hier?, fragte Pepe weiter. Wimmer notierte die Aussage auf seinem Notizblock. Clarinda sah kurz auf. „Nein, nada. Nichts. Das Blut. Alles voller Blut." Sie begann, erneut zu schluchzen. Pepe tippte Wimmer auf den Oberschenkel. Er erklärte die Befragung damit für beendet. Im jetzigen Zustand war der Haushälterin nicht mehr zu entlocken. Sie konnten die Spanierin später ins Kommissariat bestellen, wenn es Fragen gäbe. Palmayer flüsterte seinem Kollegen zu, dass er das große Nationale, die vollständigen Daten einer Person, samt Adresse, Beruf und Telefonnummer, aufnehmen solle. Vorher sollte Franz sie nach draußen begleiten. Wimmer stand auf und half Clarinda. Er nahm ihren Regenmantel und sie verließen das Wohnzimmer. Pepe hörte, wie die Frau einen erneuten Schluchzanfall bekam, als sie durch den Flur aus dem Haus gingen. Alles voller Blut, dachte Palmayer, das wird dem Hausherren zu schaffen machen. Eine blöde Stelle, der Hausflur. Die Haushälterin wird das wegmachen müssen, außer der Gatte des Opfers zeigte Herz und bestellte eine Reinigungsfirma.

    Der Kriminalbeamte verweilte auf dem Sofa. Er wartete auf Dr. Lechner. Eine Zeit lang beobachtete er die Spurensicherer, die sich mit den Terrassentüren beschäftigten und dort Fingerabdrücke abnahmen. Sein Blick fiel auf den Couchtisch und das dort liegende Buch. Was hatte es auf dem Tisch verloren? War es die aktuelle Lektüre des Opfers? Er nahm es. Es hatte einen weinroten Umschlag und mit großen, gelben Buchstaben war das Wort „BUCH" darauf gedruckt. Ein eigenwilliger Titel dachte Pepe. Darunter der Name des Autors. Riccardo Rilli. Er kannte ihn nicht. Der Polizist klappte das Buch auf und blätterte es durch. Seltsam dachte er, ein paar Seiten waren bedruckt, der Rest leer. Gerade wollte er die ersten Zeilen lesen, als ihn einer der Spurensicherer unterbrach.

    „Entschuldigen sie. Ich denke, sie möchten wissen, dass es sich mit ziemlicher Sicherheit um einen Einbruch handelt. Palmayer sah auf. Das war interessant. „Die Terrassentür wurde aufgebrochen. Sie war gekippt. Der Täter hatte leichtes Spiel. Die Einbruchspuren sind deutlich zu erkennen. Wir haben jede Menge Fingerabdrücke sicherstellen können, die wir erst auswerten müssen. Ich vermute, dass viele davon von den Hausbesitzern oder der Haushälterin stammen. Pepe nickte. „Danke. Das ist hilfreich. Ein einfacher Einbruch. Palmayer senkte den Blick, der erneut auf das Buch fiel. Es zog ihn magisch an. Er musste es lesen. Hier war weder die Zeit, noch der Ort das zu tun. In diesem Augenblick hörte er Stimmen aus dem Flur. „Um Gottes willen!, rief ein Mann im Vorzimmer. Dr. Lechner war eingetroffen. Ohne darüber nachzudenken steckte Pepe unbemerkt das Buch in seine schwarze, lederne Umhängetasche, die er, wenn er das Haus verließ, zu jeder Zeit bei sich trug. Er ging in den Flur.

    Vor Palmayer stand ein älterer Herr mit grauen Haaren, die er zu einem ordentlichen Scheitel frisiert hatte. Das säuberlich rasierte Gesicht war blass und die hellgrauen Augen geweitet. Mit seinen schwarzen Maßschuhen weilte er in der angetrockneten Blutlache. Er zitterte. Neben dem Mann stand Wimmer, der tröstend auf ihn einredete. „Beruhigen sie sich. Kommen sie weiter. Sie sollten sich hier nicht aufhalten, sagte der Kriminalbeamte. Wimmer hatte keine Erfahrung, wie er mit dem älteren Herrn, bei dem es sich um den Ehemann handelte, umgehen sollte. Palmayer griff ein, packte Dr. Lechner an den Schultern und wartete, bis er ihn ansah. Er schob ihn sanft zu sich und weiter in den Wohnraum. „Kommen sie, Herr Dr. Lechner. Setzen sie sich ins Wohnzimmer, redete Pepe auf ihn ein. Als er den Mann auf das Sofa gesetzt hatte, wandte er sich an seinen Kollegen, der den beiden gefolgt war. „Bring bitte Dr. Lechner ein Glas Wasser aus der Küche." Wimmer drehte sich um und verschwand. Der Gatte des Opfers saß Richtung Terrassentür und Pepe nahm den Platz, den die Haushälterin zuvor besetzt hatte. Er stützte seine Ellbogen auf die Knie und sah den Herrn an.

    „Ich muss ihnen mitteilen, begann Pepe, „dass ihre Frau Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist. Dr. Lechner sah auf den hellen Parkettboden. Er saß, ebenso wie Palmayer, mit leicht gespreizten Beinen da und hatte die Ellbogen auf die graue Wollstoffhose gestützt. Über dem gestreiften Hemd trug er einen blauen Blazer mit Goldknöpfen und seinen hellbeigen Ballonseidenmantel, den er noch nicht abgelegt hatte. „Ist das ihr Blut im Flur?, fragte Lechner und sah den Kriminalbeamten an. „Das ist es., bestätigte Pepe. „Ist sie? Der Ehemann wollte die tragische Möglichkeit des Ablebens seiner Frau nicht aussprechen. Er ließ die Frage unvollendet. Palmayer wusste, was der Mann meinte. Er sagte: „Sie ist Tod. Der ältere Herr musste mit den Tatsachen konfrontiert werden. „Wie ist das passiert?, fragte Lechner weiter. „Soweit wir herausgefunden haben, wurde eingebrochen. Wir vermuten, dass der Täter ihre Frau überrascht hat. Oder sie ihn. Genaues wissen wir noch nicht. Wir arbeiten daran. Sie wurde mit einem scharfen Gegenstand, es könnte ein Messer gewesen sein, getötet. Das muss erst bestätigt werden. Lechner nickte. Er wusste, dass es noch zu früh für Einzelheiten war. Er hatte im Berufsleben mit polizeilichen Ermittlungen zu tun gehabt. Als Beobachter. Dass es ihn eines Tages beträfe, hatte er nicht gedacht. „Ermitteln sie. Und fassen sie den Täter.", sagte er verständnisvoll und mit Nachdruck. In den Augen spiegelten sich Trauer, Ungläubigkeit und Wut. Ein Ausdruck, den Palmayer gut kannte. In seiner Laufbahn beim Landeskriminalamt hatte er öfter schlechte Nachrichten überbringen müssen. Er musste dem Mann Fragen stellen. Das ließe sich nicht vermeiden. In diesem Moment kam Wimmer mit einem Glas Wasser ins Wohnzimmer. Er gab es Lechner, der sich bedankte, kurz nippte und es auf den Couchtisch stellte. Palmayer beobachtete, ob dem älteren Herrn das Fehlen des Buches auffiel. Entweder war er zu aufgebracht um es zu bemerken, oder es ging ihm nicht ab, weil es woanders hingehörte. Franz Wimmer setzte sich neben seinen Kollegen und zückte erneut den Notizblock. Er notierte alles, was gesagt wurde. Für den späteren Bericht, wie er erklärte, wenn Pepe ihn darauf ansprach. Palmayer schrieb die Aussagen aus dem Gedächtnis. Sich die wesentlichen Einzelheiten zu merken, gehörte für ihn zum Berufsbild des Kriminalbeamten. Er war auf solche Hilfsmittel nicht angewiesen. Als Wimmer bereit war, fuhr Pepe fort.

    „Herr Dr. Lechner, ist es in Ordnung,

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