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Falsche Maßstäbe
Falsche Maßstäbe
Falsche Maßstäbe
eBook370 Seiten3 Stunden

Falsche Maßstäbe

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Über dieses E-Book

Hauptschullehrer Leidters arbeitet an der Hauptschule Eselfurt. Nach dem der seiner bisherigen Schullaufbahn die Erfahrung machen musste, dass die Leistungsbereitschaft der Schüler und der Gesellschaft immer mehr nachließ, kommt er nun zur Überzeugung, dass bei Schülern und Arbeitern nicht einmal mehr die Leistungsfähigkeit vorhanden ist. Gleichzeitig verfällt das Schulgebäude stellvertretend für die Gesellschaft immer mehr. Er begreift es als seine Pflicht dem an der Stelle, an die ihn das Leben hingestellt hat, seine Aufgabe zu erfüllen und für eine Besserung der Leistungsfähigkeit zu sorgen. Wird ihm und seinen Kollegen sowie den Verantwortlichen in der Politik gelingen, den Niedergang aufzuhalten und für eine Wende zu sorgen?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum26. Feb. 2018
ISBN9783746703572
Falsche Maßstäbe

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    Buchvorschau

    Falsche Maßstäbe - Gerhard Wolff

    Falsche Maßstäbe

    Titel Seite

    von G. J. Wolff

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    Falsche Maßstäbe

    von G. J. Wolff

    Reihe Philosophico

    Urheberrechtlich geschütztes Material

    Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutsche Nationalbibliographie,

    detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über epubli.de abrufbar.

    © 2018

    Gerhard Wolff,

    pege.wolff@t-online.de

    Herstellung und Verlag: epubli.de

    Titelfoto: Gerhard Wolff

    Baustelle

    1

    „Na, endlich!, meinte Lempl zu Leidters. „TOP 34, wir haben den letzten Tagesordnungspunkt erreicht. Hoffentlich gibt es nicht wieder so viel Sonstiges. Und hoffentlich nutzen das nicht wieder die üblichen Verdächtigen zur Selbstdarstellung.

    Leidters stimmte zu. „Ich hasse auch dieses ineffiziente Blabla von einigen Kollegen, vor allem Kolleginnen. Hauptsache der dumme Mund geht und man steht im Mittelpunkt. Schrecklich!"

    „Gott sei Dank, ist von dir nicht mit irgend so `nem Gesülze zu rechnen. Du sagst ja nie was!, lobte Lempl. „Kriegst ja vor Leuten den Mund nicht auf!, grinste er Leidters an.

    Dieser lächelte und ärgerte sich, wie er sich immer über Lempl ärgerte, der sich ständig als besserer Lehrer – und Mensch darstellen musste.

    Es war die Anfangskonferenz der Mittelschule –eigentlich Hauptschule mit Mittlerem-Reife-Zug, aber Mittelschule gefiel den Eltern besser, so hatte sich das Kumi den Namen ausgedacht- Eselfurt. Die Lehrer saßen nun schon drei Stunden da, weil Frau Doktor Förder, die Rektorin, zu den Menschen gehörten, die gerne jedes Thema ausdiskutierten.

    „Es wurde zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von allen!", meinte Würcher, Mathematik-, PCB- und Informatiklehrer, der neue Systembetreuer der Schule, dessen Hobby aber das Handwerk war.

    „Ich muss heim!, erklärte Lempl. „Baue doch meinem Sohn ein Haus! Handwerk war sein Hobby, so dass er alles selber machte, was ging. Daneben hatte er auch noch einen kleinen Bauernhof.

    „Was steht an? Und welche Maschinen setzt du ein?", wollte Würcher wissen.

    Lempl und Würcher steckten die Köpfe zusammen und tuschelten. Sie bildeten zusammen mit Mark die Hilti-Fraktion an der Schule, die sich permanent nur über Technik und Handwerk unterhielten.

    „Ihr könntet mal hier in der Schule tätig werden!, schlug Leidters vor. Ist doch alles marode hier. So wie im ganzen Land eben!

    „Du und dein Land! Lempl schüttelte den Kopf. „Was geht mich das Land an!

    „Mir geht es immer um das Land!"

    „Schön blöd! Dankt dir doch keiner!"

    „Na, ja, gut wäre es schon, wenn hier endlich mal was gemacht würde!, warf Würcher ein und besah sich das Lehrerzimmer. „Hier bröselt es ja an allen Ecken und Enden!

    „Schön blöd von Peter, sage ich!", beharrte Lempl auf seiner Meinung.

    „Wahrscheinlich! Leidters nippte an seinem Kaffee. „Aber so bin ich nun mal! Er überlegte kurz. „Und ganz so altruistisch bin ich auch nicht. Ich denke halt nur, dass es allen gut geht, wenn es dem Land gut geht!"

    „Leuchtet ein!, bestätigte Lempl. „Aber ich glaube, der Hase läuft anders: Jeder denkt nur an sich, alles geht den Berg runter und jeder schaut nur, dass die anderen die Verlierer sind und man selbst bei den Siegern ist!

    „Das wäre schade!"

    „Ist aber so! Wie zum Beispiel an der Börse. Mein Vater hat immer gesagt: Die Leute sehen nur die Gewinne. Aber in Wirklichkeit sind Gewinne und Verluste gleich groß!"

    Leidters dachte darüber nach.

    „Bitte stellen Sie Ihre Privatgespräche noch einen Augenblick ein!", sagte Frau Doktor Förder freundlich lächelnd, aber bestimmt.

    Sie war Rektorin geworden nachdem Frau Dr. Förder in Pension gegangen war, Kurt war zu seiner großen Enttäuschung –und zur Freude aller Kollegen- trotz aller Anstrengungen, nicht Rektor geworden.

    Auch einige andere Kollegen waren in Pension gegangen, aber Leidters gehörte mit seinen 59 Jahren immer noch zu jüngeren Kollegen, weil viele kurz vor der Pension standen und niemand eingestellt wurde.

    „Kommen wir zum Punkt „Sonstiges!, meinte Frau Doktor Förder.

    „Gut, meinte Lempl. „Dann komme ich ja doch noch nach Hause!

    „Nun aber zu meinem Hauptanliegen, der Schulentwicklung!", verkündete Frau Doktor Förder plötzlich.

    „Schulentwicklung?", fragte Lempl überrascht.

    Dann führte Frau Doktor Förder ihre Überlegungen aus: Projektarbeit, Differenzierung, Schülercafé, Organisation der Ganztagesschule, …!"

    Sie fing an zu dozieren und hörte, wie befürchtet, gar nicht mehr auf.

    Die Kollegen saßen mit offenem Mund da.

    „Wir haben es ja gleich geschafft!", beruhigte die Rektorin.

    „Dein Wort in Gottes Ohr!", meinte Lempl.

    „Na, dann wird es bestimmt nichts!", schloss Leidters grinsend und fand gleichzeitig, dass er wieder einmal dummes Zeugs geredet hatte, nur, um einen schnellen Witz zu landen. Das war eines seiner Probleme, er redete häufig Unsinn, nur, um einen Lacher zu erzeugen.

    Schließlich endete der Vortrag der Rektorin nach einer geschlagenen Stunde.

    Zur Leidters Überraschung meldete sich niemand mehr zum Thema Sonstiges.

    „Wollen alle heim!", erklärte Lempl.

    „Haben noch viel für den Unterrichtsbeginn zu tun!", überlegte Leidters. Dann ging er heim.

    2

    Am Nachmittag sah er sich die Schülerakten durch und legte sich damit seine Schülerbeobachtung an: Wiederholer, Schüler aus Förderschulen, Ausländer, Aussiedler, Ritalinis, Legas und ADHSler, Autisten und Tourettis wurden in seinen Listen besonders gekennzeichnet, damit er nicht vergaß, ihre Schwächen zu berücksichtigen.

    „Krankes Land!"

    Seine Lebensgefährtin Sandra, die ebenfalls seinem Kollegium angehörte, saß neben ihm an ihrem Schreibtisch, arbeitete schweigend und ging nicht auf seine Kommentare ein, die sie eh schon kannte.

    Leidters verstand es nicht, dass man unbedingt bestätigt haben wollte, dass sein Kind krank war. „Wenn jemand alle Krankheiten hat, dann ist er doch einfach nur furchtbar krank!" Er schüttelte den Kopf, er verstand nicht, wie jemand freiwillig krank sein wollte und es auch noch allen mitteilen wollte.

    „Treffen sich zwei Ausländer. Sagt der eine: „Ich habe AIDS gekriegt? Sagt der Andere: „Wo ist Antrag?

    Er studierte die Akten weiter.

    „Na, ja, ich verstehe es doch!, murmelte er. „Irgendwie Vorteile sichern, die einem gar nicht zustehen!

    Leidters übernahm eine neue neunte Klasse. Also viel Arbeit: viele neue Namen, viele neue Vorgeschichten die man kennen musste, wenn einem nichts vorgemacht werden sollte. Manche Schüler kannte er aber auch schon aus dem Fachunterricht.

    Dann ein neuer Schüler an der Schule: aus Albanien.

    „Ardit Spahija!"

    Leidters verzog gequält die Miene. „Bis ich mir den Namen gemerkt habe, ist das Schuljahr um."

    Der Albaner war mit seiner ganzen Verwandtschaft angereist. Die Eltern arbeitslos. „Also volle Zuwanderung in das Sozialsystem! Das hilft den Renten und der Krankenkasse."

    Leidters raufte sich die Haare. „Die ganze Bande wird sich hier die Zähne richten lassen und volle Pulle Sozialhilfe kassieren. Arbeiten wollen die nur schwarz. Und der Schüler wahrscheinlich gar nicht! Und ich darf das alles bezahlen."

    „Ist das nicht zu negativ gedacht?", fragte Sandra unbedarft.

    Er sah sie vorwurfsvoll an. „Sicher nicht! Er holte Luft. „Es ist doch so: Unsere sind alle dumm oder krank oder beides. Er hob den Zeigefinger. „Aber die, also die Ausländer …"

    „Die Ausländer!", äffte sie ihn nach.

    „Die Ausländer und da meine ich zum Beispiel auch die, die da an unseren Grenzen stehen … Er atmete schwerer und schwerer. „Bei denen ist es viel schlimmer.

    „Inwiefern?"

    „Das ist so: Die Ausländer haben eine andere Ethik, als wir, jedenfalls als wir älteren Deutschen. Wir wollen arbeiten und etwas leisten. Er sah Sandra streng an. „Die Ausländer finden es clever, wenn sie mit möglichst wenig Arbeit, wegen mir auch mit Betrug, zu möglichst viel kommen.

    „Also Peter!"

    „Es ist noch schlimmer: Außer dass sie praktisch ungebildet sind und für unseren Markt völlig unbrauchbar, wie gesagt, nur zur Ausplünderung unserer Sozial- und Krankenkassen geeignet, haben sie außerdem noch zwei Handicaps: Zum einen haben sie eine antiquierte Lebenseinstellung, eine primitive Verhaltensform aus früheren Zeiten der Menschheitsgeschichte, eine dummen Stolz, der ihnen sagt, dass man ihnen nichts befehlen darf und sie nicht gehorchen müssen. Das wirkt sich so aus, dass meine Ausländer kurz mal was arbeiten, aber dann zu keiner weiteren Arbeit mehr zu bewegen sind. Ihr Stolz verstehst du, es ist ihr Stolz. Und je weiter du geographisch von uns weg gehst, desto weiter gehst du da in der Menschheitsgeschichte zurück. Albaner sind schlimm, aber besser als Araber."

    Sie lauschte ihm mit offenem Mund.

    „Und dann ist da natürlich der Islam!"

    „Vorsicht, Peter, wir haben Religionsfreiheit!"

    „Vorsicht? Aha, ich muss wieder politisch korrekt sein! Wie mich das ankotzt. Ich lebe in einem freien Land und darf doch nicht sagen , was ich denke."

    „Na, so schlimm ist es wohl bei dir auch nicht."

    Er achtete nicht mehr auf ihre Einwände. „Der Islam! Der Islam ist gar keine Religion, sondern eine aggressive, bösartige Ideologie, der zum Morden aufruft und die Frauen unterdrückt. Da man aus dem Koran diese Passagen nicht streichen kann, weil es ein heiliges Buch ist, ist er auch nicht reformierbar. Er nickte. „Deshalb bin ich ja für das Verbot des Islam und das Verbrennen aller Korane, um die Moslems von dem Bösen zu befreien, um die Moslems zu befreien!

    „Dann darfst du aber das Alte Testament nicht vergessen", warf sie ein.

    „D`accord! Er nickte. „Weg mit allen Büchern, die zum Bösen aufrufen. Wieder nickte er. „Mir dreht es jedes Mal den Magen um, wenn der Priester in der Kirche die Geschichte erzählt, wie die Israeliten die Amalekiter umgebracht haben."

    Sie nickte ebenfalls.

    „Aber ich bin noch nicht beim Punkt."

    Sie sah ihn gespannt an.

    „Das Schlimmste am Islam in dem von uns diskutierten Zusammenhang ist der Begriff des Kismet."

    „Kismet?"

    „Während die protestantische Ethik nach Max Weber die Leistung fördert, was wir in den westlichen Ländern sehen können, verhindert der Islam die Entwicklung der Muslime. Er behindert ihre Selbstverwirklichung und Entwicklung und damit ihr Menschsein!"

    „Bist du sicher?"

    „Wie viele muslimische Nobelpreisträger gibt es? Er gab die Antwort selbst. „Keine!

    Sie dachte nach.

    „Du siehst: Wir sind schon ein Land aus Unfähigen und Kranken. Aber wenn die noch alle zu uns kommen, dann gute Nacht!"

    „Ich weiß nicht!", überlegte sie.

    „Lassen wir es, bleiben wir in Europa. Er winkte ab. „Als Bayer bezahle ich Deutschland, vor allem sexy Berlin, als Deutscher bezahle ich Europa, vor allem die toten Griechen, die ja noch Rente kassieren, die Rente für Sokrates, Platon und Aristoteles wurde jetzt ja endlich gestrichen, und als Europäer bezahle ich den Rest der Welt. Das ist meine Situation!

    Er schüttelte wütend den Kopf.

    „Von mir wird erwartet, dass ich jeden Morgen meinen Dienst schön brav antrete und die Anderen zuhause auf dem Sofa liegen, sich vom Staat aushalten lassen und am Abend die Alte besteigen und so für das nächste Kindergeld sorgen!"

    Ärgerlich setzte er seine Arbeit fort.

    „Professionalität!, dachte er. „Und zur Professionalität gehört das gute Vorbereitetsein!

    Er legte die Schülerbögen beiseite und ging zu Sandra, seiner Lebensgefährtin, die im Arbeitszimmer noch Unterricht vorbereitete.

    Leidters war geschieden und lebte seit einigen Jahren mit einer Kollegin zusammen.

    „Lass uns noch `ne Runde spazieren gehen. Der letzte Spaziergang in Frieden, bitte!"

    „Gute Idee! Ich bin gerade fertig. Und es ist ja noch hell draußen!"

    Sie gingen die Straße hoch in den nahe gelegenen Wald. Er schwieg nachdenklich.

    „So schlimm?", fragte sie.

    „Schlimmer!, meinte er. „Wo nichts ist, da kann man auch nichts machen!

    Sie liefen schweigend weiter.

    3

    „Das ist die Pointe an der Geschichte!", meinte Leidters

    „Po-ente, was ist denn das?"

    Leidters schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Das Wort bedeutet Witz! Pointe bedeutet Witz! Er schüttelte ratlos den Kopf. „Und das auf der sogenannten Mittelschule!

    Der Schüler sah ihn böse an.

    Leidters nahm sich zusammen und versuchte, die Sache zu überspielen.

    Die Hauptschulen waren zu Mittelschulen umgetauft worden, damit die Eltern das Gefühl hatten, dass ihr Kind auf die Realschule und nicht auf die Restschule ging.

    „Everythings great! Great! Great!"

    Er erinnerte sich an seine Aussiedlerklassen in den 80er Jahren. Da waren auch alle an der Mittelschule. Damals dachte er, das sei ein Phänomen des Kommunismus, dass es vielleicht dort keine Dummen geben durfte. Heute war ihm klar, dass es in allen Gesellschaften so war, dass man den Forderungen der Eltern nachgab, um Ruhe zu haben.

    „Hauptsache keinen Ärger! Nur niemandem was Böses oder die Wahrheit! „Die Leute glauben die Wahrheit eh´ nicht! Wahrheit ist ein Stück Dummheit!, erinnerte er sich wieder an Sieger, einen Kollegen, der ihm das während seinem Referendariat geraten hatte.

    Und dass so das Niveau der Gesellschaft insgesamt sank, dass dieser Prozess nicht aufzuhalten war und so alle Gesellschaften zum Untergang verdammt waren, das war allen egal.

    „Und man kann sagen, was man will und reden und reden und reden: Dieser Prozess ist nicht zu stoppen."

    Die Jahre hatten ihn grauhaarig gemacht, seine einst schlanke Figur hatte sich gefüllt, schon seit seinen Jugendjahren trug er eine Brille.

    „Lies bitte weiter, Jamal!" Er versuchte die peinliche Situation einfach zu überspielen.

    Der Schüler wusste zunächst nicht, wo sie waren, es dauerte Minuten, bis ihm gezeigt werden konnte, wo er weiterlesen sollte. Schließlich versuchte der Junge stammelnd aus den Buchstaben Wörter zu bilden. Die Fehler, die er dabei machte, bemerkte niemand.

    „Früher wäre er ausgelacht worden!", erinnerte sich Leidters.

    Plötzlich hörte er ein Knirschen hinter sich. Er drehte sich um und erschrak. Die Leinwand, die zur Darstellung der Overheadfolie hinter ihm an der Wand befestigt war, stürzte auf ihn herunter. Er konnte nicht mehr ausweichen. Da fühlte er einen Schlag am Kopf, die Leinwand drängte ihn vom Stuhl, er fiel benommen zu Boden, die Leinwand lag auf ihm.

    Die Kinder lachten und kreischten.

    Er schob die Leinwand beiseite und hielt sich den Kopf.

    „Schaut mal, Leidi blutet!", rief ein Junge.

    „Das ist ja besser als „Freitag der 13., meinte ein anderer Junge.

    Leidters rappelte sich auf und sah die johlende Klasse verärgert an.

    Dann ging er zum Waschbecken und wusch sich das Blut aus dem Gesicht. Er sah, dass nichts genäht werden musste.

    „Ihr täuscht euch, wenn ihr meint, dass Unterricht ausfällt. Hefte raus und abschreiben des Textes!", knurrte er.

    Die Stimmung war sofort weg. Allerdings wagte es niemand, zu widersprechen.

    Während die Schüler schrieben, rief er die Rektorin, vom Klassenzimmertelefon aus an und erzählte, was geschehen war.

    „Was soll ich machen?, meinte sie. „Ich sage es dem Hausmeister! Der soll es versuchen, zu reparieren! Wenigstens notdürftig!

    „Klar, für eine richtige Sanierung ist ja kein Geld da. Wird ja für jeden sozialen Scheiß rausgepulvert!", warf Leidters ärgerlich ein und hielt sich noch ein Tuch auf die blutende Wunde.

    „Die Sanierung der Schule ist ja geplant!", warf sie verärgert ein.

    „Da warten wir schon zehn Jahre drauf!", wusste Leidters.

    Da knallte sie den Hörer auf.

    4

    „In diesem Jahr habe ich wohl die Arschkarte gezogen!, meinte er im Lehrerzimmer. „Eine richtige Arschklasse: Behinderte, Sonderschüler, Asoziale und Defektis. Und dabei habe ich nicht mal die Ganztagesklasse!

    „Was soll denn das heißen? empörte sich Critisch, die Englischlehrerin der Schule. „Du willst doch nicht neuesten Errungenschaften an unserer Schule in Frage stellen? Ganztag, Inklusion, wir sind Vorzeigeschule! Durch die Ganztagesschule können die Frauen arbeiten gehen. Oder bist du alter Macho etwa da dagegen?

    „Natürlich nicht. Natürlich sollen auch die Frauen arbeiten!"

    Critisch sah in kritisch an.

    „Ist doch gut, wenn sie neben der Hausarbeit auch noch Kohle ins Haus bringen!", grinste er.

    „Wie viele Neger brauchst du für das Putzen eines Hochhauses?", fragte er scheinheilig.

    Sie machte eine Miene, die zeigte, dass ihm nicht zu helfen war.

    „Keine, erklärte er. „Das ist Frauensache!

    Sie schüttelte den Kopf, winkte genervt ab. Dann besann sie sich. „Der Ganztag ist doch eines der großen Projekte von Frau Doktor Förder. Erinnere dich doch mal, als sie uns verkündete, dass wir Ganztagesschule werden: „Wir sind Ganztag! tönte sie.

    „Aufenthaltsort für Asoziale, hat sich ja wohl in den letzten Jahren herausgestellt!"

    „Na, na, dass du dir damit mal nicht die Zunge verbrennst. Und überhaupt. Was sollen denn berufstätige Mütter tun?"

    „Sind doch froh, dass sie ihre Kinder loshaben. Und dann haben wir die Typen an der Backe! Darum geht`s doch denen nur."

    „Sei doch still, Peter!, bat Sandra, seine Lebensgefährtin. „Du redest dich ja um Kopf und Kragen.

    „Tu ich doch immer!", meinte er und verzog keine Miene dabei.

    „Deine Meinung zum Ganztag ist unhaltbar und nicht wahr!", meinte Frankenstein nun, der jahrelang als Funktionär der GEW dafür gekämpft hatte.

    „Leider ist es wahr, meinte Leidters. „Die Ganztagesklasse ist immer die Gestörteste von allen. Das sagt jeder Kollege, allerdings nicht so offen wie ich, sondern hinter vorgehaltener Hand.

    Frankenstein schwieg beleidigt.

    Leidters dachte nach. „Ich will noch etwas Grundsätzliches dazu sagen", murmelte er schließlich.

    „Oh, nein! Die Kollegen schrien auf. „Peter lässt eine seiner Erkenntnisse los. Jetzt wird es ganz schlimm! Sie kannten seine Theorien.

    Er ließ sich nicht beirren. „Ich glaube, dass ein Kind einfach seine Mutter braucht. Nach sechs Stunden außer Haus braucht es individuelle und liebevolle Fürsorge, und die kann ihm nur die Mutter geben."

    „Aber sicher nicht die Mütter unserer Schüler!, warf Frankenstein ein. „Die kümmern sich doch um nichts und die Kinder sitzen alleine mit einer Fertigpizza vor dem Schmuddelfernsehen! Und schau doch mal auf die Spielplätze: Die Kinder turnen unbeaufsichtigt an den Geräten und die Mütter hängen nur am Handy.

    Leidters dachte nach. „Da hast du natürlich Recht. Er wiegte seinen Kopf hin und her. „Dann sind sie bei uns vielleicht doch besser aufgehoben. Jedenfalls solange, bis man die Mütter repariert hat!

    Würcher, der gerade einen PC untersuchte, horchte auf. „Reparieren?, fragte er. „Ja, in diesem Land gehört alles repariert. Und bei der Schule sollte man beginnen. Da ist doch alles kaputt und marode. Ich habe schon mit der Chefin darüber geredet, aber die interessiert sich ja nur für ihren sozialen Mist: Streitschlichter, Hausbesuche von uns Lehrern usw. Dass diese Bude hier dringend hergerichtet werden müsste, dafür fehlt ihr jeder Nerv!

    Die Kollegen nickten und Würcher schraubte am Computer weiter.

    „Jedenfalls hast du keinen Ganztag und trotzdem einen Schrecklichen Haufen beieinander!, meinte Critisch, die in Leidters Klasse Englisch gab. „Und 31 von der Sorte!

    Leidters nickte. „Sozusagen das Highlight der Woche!" Er grinste.

    Critisch verstand, dass es eine Anspielung auf das Englischbuch war.

    „Hierbei handelt es sich halt einfach um den absoluten Rest. Diese Schüler konnten noch nie etwas, können nichts und werden außer „fuck nichts können!, meinte sie dann. „Ich wurde mit den Worten begrüßt: „Wir können kein Englisch und wir haben es noch nie gekonnt!

    „Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserung!", meinte Frankenstein.

    „Wo nichts ist, da gibt es auch nichts, womit man etwas bessern könnte! Die Schüler sind zu dumm für jede Sprache!, analysierte Critisch. „Man sollte Englisch nach der sechsten Klasse nur noch als Wahlfach anbieten! Was braucht ein Metzger, Dachdecker oder Maurer Englisch?

    Leidters nickte. „Das ist aber in allen anderen Fächern dasselbe. Im Grunde müssten diese Schüler nach der Siebten entlassen werden. Die wurden schon lange genug ausgelotet. Da kommt doch nichts mehr. Nur, für diese Schüler ist in unserer hochtechnisierten Gesellschaft auch kein Platz mehr. So viele Straßenkehrer kann niemand bezahlen! Es gibt in diesem Land 600000 offene Stellen und genauso viele unbrauchbare Schulabgänger."

    Critisch nickte. „Und dann das Verhalten. Zwei Drittel deiner Schüler sind doch völlig ohne irgendeine Haltung. Existieren doch nur vor sich hin!"

    „Klar: Echte Sonderschüler. Ich leiste die Arbeit von drei Sonderschullehrern und erhalte ein geringeres Gehalt als einer. Das ist clevere Finanzpolitik!"

    Critisch lachte. „Na, ja, es ist halt wie immer: Deine Schüler sind dumm und faul …!"

    „…dafür aber frech!"

    Beide lachten. Sie mussten an Schimpf denken, der bereits im Ruhestand war, und diesen Spruch immer auf den Lippen hatte.

    „Nein, ehrlich. Es ist doch eine Katastrophe mit deinen Schülern. Hoffentlich überstehst du dieses Jahr!"

    Leidters wurde nachdenklich. „Hoffentlich!"

    Er fasste sich in die Magengegend. Schon seit einer Woche klagte er

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