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In Isrogant. Erzählungen. Band Drei.
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In Isrogant. Erzählungen. Band Drei.
eBook280 Seiten3 Stunden

In Isrogant. Erzählungen. Band Drei.

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Über dieses E-Book

Das Leben ist ein Traum
Fünf Autoren reisen nach Isrogant

Im Königreich Nermedijn werden zwei junge Adlige in die Intrigen der Hauptstadt gezogen, wo Religion und Politik mit Macht aufeinander treffen. -- In den Ausläufern der Orkenai rettet eine menschliche Forschergruppe einen jungen Ork vor dem sicheren Tod. -- Auf der magischen Halbinsel Teralion lernen ein fahrender Krieger und eine junge Zauberin über den Wert des Lebens. -- Ein alternder Fischer erlebt die Katastrophe, die das Leben in Isrogant so entscheidend prägt: Die Große Flut.

Mit diesem Band setzt das Isrogant-Team die beliebte Reihe von Erzählungen fort, deren erste beiden Bücher mittlerweile vergriffen sind.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum28. Okt. 2016
ISBN9783741860645
In Isrogant. Erzählungen. Band Drei.

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    Buchvorschau

    In Isrogant. Erzählungen. Band Drei. - Cairiel Ari

    In Isrogant

    Erzählungen.

    Band Drei.

    Mit Beiträgen von

    Cairiel Ari

    Heike Korfhage

    Heero Miketta

    Michael Porritt

    Tian Di

    Xin Publishing

    an imprint of Xin He Ltd.

    The Wonder Inn, 29 Shudehill

    Manchester M4 2AF

    United Kingdom

    © Xin He Ltd. 2016

    Alle Rechte vorbehalten.

    Titelgestaltung:

    M.H. He

    ISBN 978-3-942357-28-9

    Inhalt

    Bashir

    Cairiel Ari & Heero Miketta

    Töknurday

    Heike Korfhage

    Die Flut

    Michael Porritt

    Teralion

    Tian Di

    Find us on Facebook:

    www.facebook.com/isrogant

    Bashir

    Cairiel Ari & Heero Miketta

    Alle Tische der Gaststätte waren besetzt. Bashir sah es kommen, dass sich die beiden Jungspunde an seinen Tisch setzen würden – und das taten sie auch.

    Der eine schwang wie selbstverständlich sein Bein über die grob gezimmerte Holzbank, ließ seinen Arsch auf die Sitzfläche plumpsen, stellte den tönernen Humpen und den Teller so laut auf den Tisch, dass es wohl jeder gehört hätte, ohne den Lärm im Wirtsraum rundherum.

    Der andere, zurückhaltender, mit freundlichem Lächeln in Bashirs Richtung: »Dürfen wir?«

    Bashir grunzte, in sein Fleisch beißend.

    »Der da hat ja schon entschieden.«

    Er deutete mit dem Kopf in Richtung des ersten Jungen.

    Dieser blickte ihn an, verständnislos, noch immer arrogant, schwarze Haare, dunkle Augen, schmales Gesicht über einem sehnigen Körper. Muskelstränge unter der Haut seines Armes zeugten entweder von harter Arbeit oder hartem Training. Dem Gehabe des jungen Mannes nach schloss Bashir auf letzteres. Sein Reisemantel war teuer und jetzt schmutzig von langem Ritt. Als er ihn von den Schultern gleiten ließ, sah Bashir ein Familienwappen; eines dieser fantasielosen, wie es sie überall im Königreich bei kleinen Adeligen gab. Geformt wie ein Schild, ein Schwert kam darin vor, ein Bogen, irgendein Tier, das ein Rehbock so gut sein konnte wie ein großer Hund. Das Blau und Gelb des Wappens passte gut zur dunklen Kleidung und düsteren Ausstrahlung des Jungen.

    Der Freundlichere der beiden ließ sich jetzt auch nieder. Er war blond, langhaarig, mit Bartflaum im Gesicht, der sicher einmal ein stattlicher Vollbart werden würde. Das konnte nicht mehr allzu lange dauern. Bashir schätzte die beiden auf sechzehn bis achtzehn Jahre. Ein gutes Alter für junge Adelige, um sich von der heimischen Burg zumindest für ein paar Jahre zu verabschieden und auf der Suche nach Abenteuern in die Welt zu ziehen.

    Der Blonde trug kein Wappen. Seine Kleidung war nicht nur schmutzig, sondern auch abgenutzt. Seine Eltern waren offensichtlich nicht reich.

    »Wir hatten einen langen Tag auf dem Königsweg. Vergebt uns, falls wir barsch gewesen sind, Meister«, sagte er.

    Bashir nickte und musterte das Essen auf den Tellern der beiden. Hausmannskost, typisch für die Wirtshäuser am Königsweg. Als Reisender im Königreich Nermedijn durfte man kein Feinschmecker sein, aber nahrhaft war es überall. Fleisch, Brot, Gemüse. Viel Fett und Gewürz.

    »Lass es dir schmecken«, sagte der Blonde jetzt zu seinem Begleiter. Der antwortete mit einem Knurren. »Ihr natürlich auch«, fügte der junge Mann in Bashirs Richtung hinzu.

    »Unterwegs in den Norden?« fragte der.

    Die beiden jungen Männer wechselten einen Blick, der Dunkle zuckte die Achseln, und es war wieder der Blonde, der antwortete: »Ja, in die Hauptstadt. Wir dürfen dort eine Zeit lang beim Waffenmeister des Königs lernen.«

    »Aha«, machte Bashir. »Das ist eine große Ehre.«

    Der Dunkle schnaubte, doch der Blonde antwortete ehrlich: »Es geht so, Meister. Junge Adelige aus dem ganzen Königreich können den Waffenmeister besuchen, er hat wohl immer einige hundert am Hof, die er täglich ein paar Stunden unterrichtet.«

    »Schleift«, warf der Dunkle ein. »Nicht unterrichtet. Ist so eine Tradition am Königshof, mein Vater hatte die Ehre auch schon.« Er nahm einen großen Schluck aus seinem Krug. »Sogar beim gleichen Waffenmeister. Er ist ein echter Veteran, wie man hört.«

    »Ja, das erzählt man sich«, sagte Bashir, strich sich mit einer knotigen Hand durch den buschigen grauen Bart. »Allerdings soll er viel unterwegs sein. Gut für die jungen Krieger am Hof, da können sie sich erholen.«

    »Oh, Ihr kennt Euch aus?« Das Interesse des Blonden war geweckt, und auch der Dunkle verlor etwas von seiner über­heblichen Attitüde.

    »In der Hauptstadt sind die Geschehnisse bei Hofe immer Thema für Klatsch und Tratsch.« Bashir nahm eine Röstzwiebel von seinem Teller und biss knirschend hinein. Salzig und gut.

    »Ihr kommt aus der Hauptstadt!« Der Blonde war tatsächlich ein Landei.

    »Ja, dort lebe ich«, entgegnete Bashir. »Und Ihr?«

    »Aaaah«, antwortete der Junge. »Niemand kennt das, wo ich herkomme. Mein Vater hat ein kleines Lehen in Rinsh’eff, im Schatten des Westkastells.«

    »Ja, ja.« Nachdenklich kaute Bashir auf seiner Zwiebel. »Das ist schon fast auf dem Gebiet der Geteilten Lande.«

    »Naja, mein Vater ist sehr froh, zu den Lehnsmännern des Königreichs zu gehören und sich aus den Wirren der Geteilten Lande heraushalten zu können. Und es gab schon lange keine Unruhen mehr, die Grenze zum Königreich wird respektiert.«

    Zu diesem Thema hatte Bashir schon anderes gehört, aber wenn der Junge es aus erster Hand so berichtete, war das ein gutes Zeichen. »Ist das so?«

    »Meistenteils. Aber mein Vater hält Kämpfer unter Waffen und auch engen Kontakt zum Westkastell. Es ist nicht so ruhig und beschaulich bei uns wie in der Baronie.« Damit grinste er zum Dunklen hinüber, der ihm eine Grimasse schnitt. Es schien, dieser junge Mann stammte aus den ruhigen Gefilden westlich des Mittelwaldes und südlich der Stadt Aijhav. Das passte gut zu seiner Arroganz. Die Lehnsmänner dort waren wohlhabend und schöpften aus dem Vollen.

    »Also habt Ihr schon zu kämpfen gelernt«, stellte Bashir fest. »Da wird sich der Waffenmeister in der Hauptstadt ja freuen.«

    »Oha, kämpfen lernt man auch in der Baronie!« Die Stimme des Dunklen war entnervend selbstgefällig, aber vielleicht lag es auch nur am ersten Eindruck, den Bashir von ihm gehabt hatte.

    »Aber nur mit Holzschwertern«, feixte der Blonde mit freundlichem Grinsen.

    Der Dunkle schnaubte wieder, diesmal aber gutmütig. Bashir beobachtete das interessiert. Immerhin möglich, dass der Bengel eigentlich doch ganz in Ordnung war. Zeigte wieder einmal, wie wichtig es war, sich bei der Begrüßung eines Fremden anständig zu benehmen. Nachdenklich aß er weiter. Der Lärm der Umge­bung hüllte sie in eine warme Decke von Gemütlichkeit.

    »Sagt an, Meister, was sollten wir wissen, wenn wir in die Hauptstadt reisen?« Die geschraubte Ausdrucksweise des Blonden verriet einmal mehr das Landei. Das würde sich wohl abschleifen, wenn er erst in Rezwuha angekommen war. Die Hauptstadt war eine gewaltige Erfahrung für junge Leute, vor allem für Männer.

    Bashir räusperte sich, nahm eine weitere Zwiebel. Kauend strich er sich durch den Bart.

    »Was Ihr wirklich meiden solltet um diese Jahreszeit, das sind die Nördlichen Sümpfe. Der Königsweg ist eine scheußliche Erfahrung im Sommer.« Ein Schluck aus seinem Krug, dessen Inhalt zur Neige ging. »Moskitos so groß wie Tauben. Ganz grässlich. Es ist gut, dass König Mäander nach der Großen Flut die Sümpfe um die Hauptstadt hat trockenlegen lassen.«

    Die beiden jungen Männer hingen an seinen Lippen.

    Er leerte den Krug und schmatzte vernehmlich. »Männer«, sagte er dann. »Ich erzähle Euch gerne mehr, aber dafür muss wieder Bier in meinen Krug.« Damit stellte er den Becher vor den Dunklen.

    Ein erstaunter Blick traf ihn. Bashir begegnete ihm offen. Er wusste, welche Wirkung seine Augen hatten, die aus einem zerklüfteten Gesicht funkelten. Sein dichter Bart verstärkte die Wirkung noch.

    Schließlich stand der Junge auf, nahm den Becher und verschwand zur Theke. Bashir grinste ihm wohlwollend hinter­her. Sein Bart verbarg die Zahnlücken, die nicht vom Alter rührten, sondern von heftigen Schlägereien in seiner Jugend.

    Als er noch wild und stark gewesen war.

    Er grübelte ein bisschen darüber nach, bevor er den Blick des blonden Jünglings bemerkte. »Was ist?«

    »Na, ich habe Vonkem noch nie so bereitwillig für jemanden aufstehen sehen. Und ich kenne ihn schon recht lange.«

    »Vonkem, hm?« Bashir dachte nach, aber der Name sagte ihm nichts, und bis er etwas fragen konnte, kam der Dunkle auch schon zurück. Er brachte drei Krüge statt einem, die er vor sie hinstellte.

    Mit Schwung ließ er sich fallen und hob den seinen. »In Ordnung«, verkündete er. »Bier ist vorhanden, lasst uns anstoßen.«

    Bashir hob seinen Krug mit einem wölfischen Lächeln, das nun breit genug war, um seine fehlenden Zähne überdeutlich zu betonen. »Klingt gut! Auf gute Träume!«

    Sie tranken. Bashir betrachtete die beiden jungen Männer eine Weile, wie sie ihr Essen hungrig in sich hineinstopften.

    »Um diese Jahreszeit«, sagte er dann und machte eine kurze Pause, bis er ihrer Aufmerksamkeit sicher war, »reist man besser per Schiff in die Hauptstadt. Die Wasser an der Braunen Küste sind ruhig im Sommer, nicht stürmisch wie in der dunklen Jahreszeit, und man spart sich viel beschwerlichen Weg. Und vor allem die Moskitos.«

    Die beiden Jungkrieger wechselten wieder einen Blick.

    »Mag sein«, antwortete dann – wie üblich – der Blonde. »Aber Schiffspassagen sind teuer. Und wir sind schneller zu Pferd.«

    »Hmmm«, brummte Bashir. »Von hier sind es zwei Tagesreisen bis Bijenfa an der Kreuzung des Rjed. Dort wartet ein Schiff auf mich.« Er nahm einen tiefen Zug Bier. »Ich reise den Rjedni hinunter bis Cestivor, von dort die Braune Küste entlang direkt in die Hauptstadt. Länger als eine Woche werden wir dafür nicht brauchen.«

    »Eine Woche?« Diesmal war es der Dunkle, der das Wort ergriff. »Was ist denn das für ein Schiff?«

    Bashir lachte. »Königliche Marine, Galeere. Ich habe das Glück, sie benutzen zu dürfen.«

    »Bei den Wassern der Flut, das ist wirklich großes Glück!« versetzte der Junge, misstrauisch Bashirs abgewetzte Kleidung und den unordentlichen Vollbart musternd.

    »Wie auch immer.« Bashir fischte in einer Tasche nach seinem großen Taschentuch, das er stets bei sich trug, um sich über Bart und Gesicht zu wischen. »Morgen früh zur achten Stunde breche ich auf. Wenn Ihr mögt, seid dabei. Es ist noch Platz auf der Galeere.«

    Er starrte auf ihre offenen Münder, als er sich schwerfällig erhob. Sein Rücken schmerzte, ebenso seine Hüfte, und auch der alte Bruch, der seinen rechten Arm empfindlich und schief hinterlassen hatte.

    »Glotzt nicht so, Jungs. Ich langweile mich auf langen Reisen schnell. Ich bin gespannt, mehr über die westlichen Lehen des Königreichs zu hören. Mir kommt das sehr gelegen.«

    Die Münder schlossen sich, und der Blonde setzte zu einem Dank an, den Bashir abschnitt, indem er seinen dicken Eichen­stock nahm, der neben dem Tisch lehnte. Er stützte sich darauf und lehnte sich vornüber. »Wisst ihr, ihr zwei, in meiner Jugendzeit war ich selbst ein ganz passabler Kämpfer.« Er lachte heiser, wischte sich mit der Hand, die sich nicht auf den Stock stützte, über den Bart. »Naja, ein Raufbold vielleicht eher. Ich hätte nichts dagegen, mir Eure Kampfübungen ein bisschen anzuschauen, und an Bord der Galeere werdet ihr auch ein paar handfeste Trainingspartner finden, da bin ich sicher.«

    Wieder lachte er.

    Die beiden nickten.

    Er hob die Hand. »Möge die Flut Euch verschonen. Gute Träume!«

    Damit humpelte er davon durch den Schankraum in Richtung seines Zimmers.

    Der alte Mann in der abgewetzten Reisekleidung hinterließ zwei ratlose junge Adlige. Vonkem von Mayshed und Rondres von Chastibal wussten nichts anzufangen mit dem kauzigen Opa und seinem ungewöhnlichen Angebot.

    »Der hat doch nicht wirklich eine Passage auf einer königlichen Galeere«, stellte Vonkem fest.

    »Das kann ich mir auch beim besten Willen nicht vorstellen.« Rondres schüttelte den Kopf, kaute nachdenklich auf seinem Essen herum. »Und wenn doch, wieso sollte er uns eine Mitreise anbieten? Der kennt uns ja kaum.«

    »Vielleicht ist er eine Schwuchtel. Steht vermutlich auf dich mit deinen Goldlöckchen.« Vonkem grinste. »Wir wissen ja, dass du diese Wirkung auf Hinterlader hast, vor allem die Alternden.«

    Rondres wusste, worauf sein Freund anspielte. Allerdings kannte er auch die wahre Geschichte, die Vonkem niemals verstehen würde, und hatte deswegen keinerlei Bedürfnis, das Thema zu vertiefen. Vonkems Arroganz nervte ihn. Den adligen Familien der Baronie ging es einfach zu gut.

    »So einen Eindruck machte er nicht«, wiegelte er ab. »Ich frage mich trotzdem, wieso er die königliche Marine für seine Reisen nutzen darf.« Er dachte ein wenig nach über die letzten Worte des Alten. »Wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich die Aussicht auf Übungskämpfe mit stiernackigen Galeerensoldaten auch nicht so prickelnd.«

    »Also bleiben wir auf dem Pferderücken und auf der Straße?«

    Rondres zuckte die Achseln. »Ich mag keine Moskitos.«

    »Nää, ich auch nicht. Eklige Viecher.«

    Rondres hob seinen Bierkrug. »Prost.«

    Bashir war Zeit seines Lebens kein Frühaufsteher gewesen. Es war dennoch eine Übung, der er sich fast jeden Tag unterzog. Zum einen hing er dem Glauben an, dass er damit seine eigene mentale Stärke förderte, zum anderen konnte er es sich nicht leisten, vor seinen Untergebenen Schwäche zu zeigen.

    Gerade darum hasste er Menschen, die schon beim Frühstück gut aufgelegt waren. Selbstverständlich gehörte der junge Vonkem dazu. Er saß fast alleine im Schankraum, als Bashir zur sechsten Stunde hinunterkam, direkt nach dem Hahnenschrei. Ein großer Topf Hafergrütze stand vor dem Jungen, und das überraschte Bashir für einen Moment. Er hatte Vonkem für verwöhnt gehalten, aber anscheinend war er im Stande, sich zu bescheiden.

    »Guten Morgen, Meister!« rief Vonkem ihm entgegen. »Ihr seid früh auf den Beinen, wolltet Ihr nicht erst zur achten Stunde reisen?«

    Bashir brummte etwas. Er fühlte sich nicht zum Schwätzen aufgelegt, nicht vor dem ersten Tee des Morgens. Den holte er sich jetzt vom Schankwirt, der ebenfalls müde wirkte hinter seinem Holztresen und vor dem frisch entfachten Herdfeuer, das noch kräftig qualmte.

    Vonkem hatte ihm so eifrig und einladend Platz auf der Bank gemacht, dass er es nicht ohne weiteres ignorieren konnte. Er setzte sich zu dem Jungen.

    »Ihr seid ganz schön wach, Kleiner«, grummelte er in seinen Bart.

    »Es war eine miese Nacht«, lautete die Antwort. »Eure vogel­großen Moskitos haben uns schon hier eingeholt.«

    »Aha.« Bashir trank seinen Tee. Er war überraschend heiß, nahm man den Zustand des Kochfeuers als Maßstab, und er schmeckte würzig. Das war gut.

    »Rondres schläft noch, aber er schien fest entschlossen, Euer Angebot anzunehmen, wenn es ihm das nächtliche Summen und die Stiche erspart.«

    »Hmm.« Die Hafergrütze sah scheußlich aus. Bashir wollte etwas anderes, am liebsten etwas Süßes. Der junge Adlige schaufelte das eklige Zeug trotzdem munter in sich hinein. Wenn er mit diesem Appetit weiter futterte, würde er spätestens im Alter von Dreißig fett sein wie Al'Adjam, der Zwergenkönig.

    Mit fröhlich-vollem Mund sprach Vonkem weiter: »Wenn Euer Angebot noch steht, heißt das. Reist Ihr zu Pferd, Meister?«

    »Zur achten Stunde«, bestätigte Bashir. Er stand auf, um Essen zu ordern, erhielt Brot vom vorigen Abend, das schon etwas trocken war, einen Schlag Butter und eine Fruchtmarmelade auf einem hölzernen Teller. Besser als erwartet.

    Er nickte Vonkem auf eine Art und Weise zu, die er selber für freundlich hielt, der Junge aber als ausgesprochen grimmig empfand, und trat den Rückzug auf sein Zimmer an, um erst einmal etwas in den Magen zu bekommen, bevor er sich dynamischen Frühaufstehern widmete.

    Obwohl er seinen Freund gut verstand, hätte Rondres sich doch gewünscht, dass Vonkem weniger offenkundig glotzte. Der Mund stand ihm so weit offen, dass es wirkte, als hinge ihm tatsächlich die Zunge heraus. Der Grund dafür war das Pferd, das der alte, ungepflegte Mann, der sich ihnen als Bashir vorgestellt hatte, aus dem Stall der Wirtschaft führte.

    »Das gibt’s nicht«, flüsterte Vonkem heiser. »Das Tier ist ein Vermögen wert, ich glaube, so was habe ich noch nie gesehen, die Größe allein ...«

    Bashirs Hengst war ein gewaltiges Streitross in edlem Grau mit der Schulterhöhe eines großen Mannes, und so muskulös, dass es den stärksten Ackergäulen an Breite Konkurrenz machte. Nur war da nichts von der Schwerfälligkeit solcher Arbeitstiere. Das Pferd tänzelte locker und beweglich aus dem Stall.

    Neben diesem Koloss wirkten ihre eigenen Tiere – ganz sicher nicht die schlechtesten aus den Ställen ihrer Väter – wie Ponys.

    Bashir selbst war freundlicher als zwei Stunden zuvor, was Rondres sehr erleichterte. Vonkems Schilderung seiner Begegung mit dem alten Mann hatte nicht zu seiner Beruhigung beigetragen. Er hatte in der Nacht nicht nur mit Mücken gerungen, sondern auch mit der Entscheidung, das Angebot der Schiffspassage anzunehmen oder nicht.

    Die ganze Reise in die Hauptstadt, so spannend sie auch war und so viele Chancen sie bot, war ihm in vielerlei Hinsicht ein Grauen. Er sah sich vor unberechenbare Herausforderungen gestellt und mit Gefahren konfrontiert, die er nicht einschätzen konnte.

    Bashir wirkte ruppig, und noch immer hatte Rondres un­schöne Fantasien von Raufereien mit hartgesottenen Marinesol­daten, die ihm manche Erniedrigung eintragen mochten, vielleicht aber auch schlimme Blessuren. Zu hören, dass der alte Mann am Morgen auch noch grantig gewesen war, gab ihm den Rest.

    Doch jetzt, während sie aufsaßen, war wieder alles in Ordnung. Die Sonne schien, der Himmel war wolkenlos. Leichter Wind sorgte dafür, dass zumindest für den Augenblick die Mücken Ruhe gaben.

    Als sie die Pferde vom Hof des Gasthauses auf die Straße lenkten, herrschte dort schon rege Betriebsamkeit: Bauern mit Karren, vor die sie Pferde, Esel und manchmal auch eine Ziege gespannt hatten. Fahrende Händler. Bürger zu Fuß, zu Pferd und dazwischen auch schon einmal in einer Kutsche. Ein paar Landsknechte mit Hellebarden, deren Wappen Rondres nicht zuordnen konnte.

    Eine kleine Rotte Schweine wurde von einer Bauersfamilie vorbeigetrieben, allen voran eine Tochter im jugendlichen Alter, die ihr grobes Baumwollkleid so gekonnt um sich drapiert hatte, dass es jede Kurve ihres Körpers betonte und den Blick auf wohlgeformte Beine freigab.

    Rondres bewunderte die Eleganz, mit der das Mädchen sich bewegte. Das war gekonnter als manche adlige Dame, auch wenn die Kleine keine Schuhe trug.

    Ein Seitenblick zu Vonkem zeigte, dass der ganz andere Dinge sah. Es lag ein lüsterner Zug in seinen Augen, den Rondres nicht mochte. Vonkem ging achtlos mit Frauen um, grob und roh, auch wenn er es gut zu verbergen wusste. Sein Charme und seine Eleganz standen der des Bauernmädchens in nichts nach, es lag sogar etwas Feminines darin.

    Der Gedanke brachte Rondres zum Grinsen. Vonkem hätte jegliche Weiblichkeit in seiner Persönlichkeit heftig bestritten. Er sah sich als Kerl, als ganzer Mann, als Krieger. Er nutzte all die Strategien, die halfen, dieses Selbstbild aufrecht zu erhalten: Großmäuligkeit, Ignoranz und Selbstverliebtheit.

    Sein gutes Aussehen nahm er als Selbstverständlichkeit, nicht erkennend, wie sehr ihm diese glorreiche Fassade nutzte und wie viel schwieriger sein Leben andernfalls wäre.

    »Was lachst du?«

    Rondres zuckte die Achseln. »Ich lache nicht. Ich schmunzele nur.«

    »Und worüber?«

    »Nichts Wichtiges.«

    »Aaaach.« Vonkem warf in gespielter Verzweiflung die Arme in die Luft, die Zügel fallenlassend, was bedeutete, dass er sein tänzelndes Pferd wieder beruhigen musste, bevor er weiter­sprechen konnte. »Sei nicht so weibisch, Alter. Woran hast du gedacht?«

    Rondres hielt weiter seinen Mund. Vonkem würde das Thema sowieso fallen lassen, zum Nachfragen fehlte ihm die Geduld, und so feminin war er nun doch nicht, dass das Schweigen seines Freundes ihn verunsichert hätte.

    Genau im richtigen Moment brach ein Tumult auf der Straße vor ihnen los. Rondres erfasste nicht sofort, worum es ging. Das Gedränge war zu dicht, auch wenn er vom Rücken seines Pferdes einen besseren Überblick hatte als die meisten anderen um ihn herum.

    Es gab Geschrei, Geschubse, er sah wieder die Landsknecht­uniformen. Davon gab es unzählige in Nermedijn, viele Adlige unterhielten private kleine Armeen. Der Königshof tat nichts dagegen. Dabei erschien es Rondres allzu eindeutig, dass eine Überzahl an unterbeschäftigten Bewaffneten im Land zu Konflikten führen musste.

    Die Gegner der Uniformierten waren keine Soldaten. Er erkannte Handwerkerschürzen, Kappen der Zimmermanns­innung und Umhänge mit dem charakteristischen Siegel der Steinmetze.

    Das Gerangel nahm zu. Schließlich wurde ein Schwert blankgezogen, eine Axt blitzte. Das war Landfriedensbruch, es konnte schreckliche Folgen haben, selbst sein friedfertiger Vater hatte schon Hinrichtungen vollstreckt, wenn es zum Einsatz von Waffen in Raufereien kam.

    Die Menge auf der Straße kam zum Stehen. Rondres geriet in den Strom der sich vom Kampfgeschehen

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