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Die Botschaft: die ihr nicht hören wollt
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eBook262 Seiten3 Stunden

Die Botschaft: die ihr nicht hören wollt

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Über dieses E-Book

Fünf nichtsahnende Gäste treffen im Haus eines ehrgeizigen Astronomen in einer Villa am Rande des Wiener Walds zusammen, wo die Hausherr sie mit einer unerwarteten Botschaft konfrontiert, die zunächst ihre Neugierde und bald darauf ihre heftige Kritik wachruft, weil sie ihr bisheriges Bild von Mensch und Welt erschüttert. Die Gäste, ein international bekannter Physiker, ein erfolgreicher Schriftsteller, ein beliebter Geistlicher, ein beachteter Journalist und die Schwester des Astronomen, scheinen sich noch dazu auf rätselhafte Art zu diesem Treffen gezwungen zu fühlen, eine Ahnung, die sich am Ende auf dramatische Weise erfüllt.
Dieses Buch will eine politische Parabel im Sinne George Orwells sein: Alle Gäste, einschließlich des Gastgebers und seiner Frau, leben in ihrer kleinen Welt – mehr oder weniger wohlgeborgen. Die unheimliche Botschaft von den beiden Reichen Tatu und Tata reißt sie aus dieser Geborgenheit: Die Welt da draußen erweist sich als radikal anders als ihre Vorstellung.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. März 2016
ISBN9783738062632
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    Buchvorschau

    Die Botschaft - Till Angersbrecht

    Eine Nachricht von Irgendwo

    Um ehrlich zu sein, wollte ich gar nicht erscheinen, schon gar nicht an einem so schönen Frühlingstag, wo die Sonne dir mit liebkosenden Fingern übers Gesicht streicht, ein leichter Wind, eigentlich nur die Andeutung eines Frühlingshauchs dich von den Wiener Bergen her zart begrüßt und du dich in einer Stimmung befindest, die aller Arbeit abhold ist, ich möchte das Wort Besinnlichkeit gar nicht verwenden, weil es irgendwie altmodisch klingt und ich nicht in dem Alter bin, wo ich mir Altmodisches leisten könnte; ich will auch gar nicht behaupten, dass ich mich ganz unfreiwillig zu Herrn Professor Schdruschka auf den Weg gemacht hätte. Als er mich anrief und mir die Einladung für den heutigen Nachmittag mit dem Hinweis auf ein bedeutendes Ereignis überbrachte, das er mir allerdings fernmündlich nicht mitteilen könne, verstand er es durchaus, meine professionelle Neugierde anzusprechen.

    Ich weiß, als Journalist sind Sie beständig auf der Jagd nach eingebildeten oder wirklichen Sensationen, hatte Schdruschka mit trockener Beiläufigkeit in die Muschel gesprochen. Sie werden auf Ihre Kosten kommen – eine Botschaft! Mehr kann ich Ihnen am Telefon leider nicht verraten.

    Rätselhaft war mir allerdings, warum der Herr Professor gerade mich ausersehen hatte, doch war es immerhin möglich – und diese Möglichkeit schmeichelte mir -, dass er mich für den bedeutendsten Journalisten in seiner Nähe hielt - eine Meinung, die vielleicht unrichtig war, für die ich ihn aber auch nicht geradezu tadeln wollte.

    Was mir zu denken gab, war der nebelhafte Hinweis auf eine Botschaft. Wieso stellte sich diese so plötzlich ein, dass er mich um zehn Uhr morgens anrufen und für zwei Uhr nachmittags zu sich bestellen musste? Und überhaupt, das Wort Botschaft klingt verdächtig nach jenen Mitteilungen, die sich hinter den Buchdeckeln esoterischer Literatur zu Hunderten verbergen und wirklich wirksame Köder nur für besondere Leute sind, nämlich jene ausgemachten Dummköpfe und Spinner, von denen es in einer desorientierten Zeit wie der unsrigen allerdings eine erschreckende Menge gibt, die sogar noch mit jedem Tag weiter zu wachsen scheint.

    Kurz und gut, normalerweise hätte ich die Einladung für einen absonderlichen Einfall, wenn nicht gar für eine Zumutung gehalten, mit der sich jemand wichtig zu machen versucht – mit derartigen Ansinnen hat ein halbwegs bekannter Journalist ja in einem fort zu rechnen. Wenn ich diesmal anders verfuhr und mich in diesem Augenblick tatsächlich auf dem Weg in das Villenviertel am Rande unseres Wiener Waldes befinde, dann aus dem einzigen Grund, weil der Anrufende ein in Wien nicht ganz unbekannter Gelehrter ist, ein Professor nämlich, Herr Dr. Waldmir Schdruschka, seines Zeichens ordentliches Mitglied des astronomischen Gelehrtenbundes, einer vormals königlich-kaiserlichen wissenschaftlichen Gesellschaft. Auch dieser hochfliegende Titel hätte mich freilich nicht auf den Weg locken müssen; irgendwelche Sensationen, nach denen das Publikum giert und die ich als Journalist daher keineswegs übergehen darf, sind doch von einem ordentlichen Professor kaum zu erwarten, schon gar nicht von diesem palatschinkengesichtigen Menschen, der allein aufgrund seiner ungewöhnlichen Physiognomie sehr gut den bekannten Mann im Mond spielen könnte. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich hatte ihn vor Jahren einmal bei einem Vortrag in der Urania erlebt, bei dem die Hälfte des Publikums nach zehn Minuten in einen Zustand schläfrigen Wegdämmerns geriet, denn außer Zahlen und endlosen Betrachtungen statistischer Art, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich es denn wohl sei, dass wir die einzigen Lebewesen in den Weiten des Weltalls sind, also außer diesen und anderen strohtrockenen Zahlen hat der Mann seiner gequälten Zuhörerschaft nicht ein einziges lebendiges, aufrüttelndes Wort geboten.

    Warum also bin ich der Einladung trotzdem gefolgt, obwohl sich mein Interesse für die Astronomie und für diesen Professor ganz eindeutig in den engsten Grenzen bewegt und meine Kenntnisse auf diesem Gebiet überhaupt elementar sind? Ich muss gestehen – und möchte gleich zu Anfang betonen, dass dieses Geständnis nicht ohne Bedeutung ist –, dass ich anlässlich dieser um zehn Uhr morgens erfolgten Einladung so etwas wie eine Nötigung verspürte, einen seltsam unterschwelligen und doch deutlich gefühlten Zwang, über dessen Wesen ich mir erst sehr viel später im Klaren war. Keineswegs ging dieser Zwang von der Anwesenheit Evelines aus. Während der Zeit, als ich mich zunächst im Bus und wenig später dann auf den gepflegten Straßen des sichtbar wohlhabenden Viertels im Nordwesten von Wien befand, wusste ich ja absolut nichts davon, dass ich Eveline dort begegnen würde, und im Übrigen bin ich nun wirklich aufgeklärt und auch vorurteilslos genug, um nicht an die geheime Anziehungskraft von Menschen zu glauben, die sich ohne unser Wissen an einem Ort befinden, den aufzusuchen wir gerade im Begriff sind. Nein, ich muss ehrlicherweise gestehen, dass ich lange Zeit völlig ahnungslos war, was die Ursache dieses Zwangs oder dieser eigenartigen Nötigung betrifft. Als ich sie dann endlich begriff - aber davon wird erst sehr viel später die Rede sein –, hat mir diese Erkenntnis einen Schauer geheimen Grauens über den Rücken gejagt. Denn da wusste ich auf einmal, dass es vielleicht mit all unserer vermeintlichen Freiheit und Freiwilligkeit nicht so weit her ist, wie wir uns so gerne einzureden und einzubilden pflegen.

    Ich befand mich also auf dem Weg zu einem Treffen, mit dem ich, obwohl fast gegen den eigenen Willen dorthin getrieben, keine besonderen Erwartungen verband, wenn es auch zutreffend ist, dass der Gastgeber in seinem eigenen Revier, also in der Stadt Wien, ja sogar selbst noch in Österreich, keine ganz unbekannte Person ist, sondern sich in seinen Kreisen einen gewissen Namen zu machen wusste. Professor Dr. Waldmir Schdruschka ist, wie man das hier zu nennen pflegt, eine Art Wiener Lokaleminenz, worunter der Eingeweihte bei uns allerdings etwas ganz anderes versteht (die Sprache, und besonders das Wienerische ist in mancherlei Hinsicht sehr trügerisch!), nämlich eine Art gescheiterter Existenz - gescheitert, versteht sich, auf hohem Niveau, denn Dr. Schdruschka hatte es immerhin zu einem überaus ordentlichen Professor gebracht. Es war nur leider ein unbestreitbares Faktum, dass er mit seinen wenigen wissenschaftlichen Schriften niemals über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus, ja, nicht einmal bis nach Deutschland gelangte, und dieser Mangel an Anerkennung beruhte sicher nicht ausschließlich darauf, dass Fachgenossen immer und überall zu Neid und Missgunst neigen, weil in solchen Kreisen sich jeder bekanntlich selbst für ein Originalgenie hält und man einen Kollegen deshalb nur dann gelten lässt, wenn irgendeine unbestreitbare ausländische Kapazität ihm eine wirklich überragende Leistung bescheinigt. Eine solche ausländische Kapazität hatte sich des Herrn Prof. Schdruschka jedoch niemals erbarmt, vermutlich deshalb, weil sich bei ihm eben keine überragenden Leistungen finden ließen, denn Schdruschkas Forschungen führten nur zu wenigen kaum über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten Aufsätzen über intergalaktische Geographie. Vermutlich hatte sich Schdruschka von seinem kürzlich erschienenen populärwissenschaftlichen Buch „Die Omega Welt " einen Durchbruch erhofft, doch seine hochfliegenden Erwartungen wurden auch diesmal enttäuscht. Tatsache ist, dass er mit diesem Opus erst recht das Misstrauen der akademischen Kollegenschaft schürte.

    So ist es eben, spöttelten die giftigsten unter ihnen: Wenn jemand in der echten Wissenschaft strandet, dann versucht er sich beim großen Publikum einzuschmeicheln!

    Dieses selbst brachte der Omega Welt nur mäßiges Interesse entgegen, vermutlich weil das Buch so hölzern geschrieben war und überwiegend aus tabellenmäßig zusammengestellten Zahlen bestand und der Herr Professor darin für ausgefallene, um nicht zu sagen, recht seltsame Thesen warb. Dass wir, ihm zufolge, von Tausenden bewohnten Planeten umgeben seien, mochte allenfalls diskussionswürdig sein, denn in einem unendlichen Universum muss die reine Theorie sicher auch eine Unendlichkeit von bewohnten Himmelskörpern zulassen – wenn ich mich nicht irre, hatte ein großer Renaissancegelehrter, Giordano Bruno, ähnliche Ansichten schon ein halbes Jahrtausend früher vertreten. Was aber war von Schdruschkas Behauptung zu halten, dass wir mit den modernen Instrumenten der interstellaren Hochtechnologie sehr bald den genauen Standort des Paradieses und womöglich auch die Koordinaten von Gottes Hauptquartier herausfinden würden? Eine solche These war geeignet, die Reputation des Herrn Astronomen ernsthaft in Frage zu stellen. Den meisten Lesern nötigte sie nur verwundertes Kopfschütteln ab, schon deshalb, weil nur die wenigsten Intellektuellen in unserer gottfernen Zeit Anhänger einer der drei abrahamitischen Religionen sind. Blicke ich mich zum Beispiel in meinem Bekanntenkreis um, so habe ich es dort fast ausschließlich mit Leuten zu tun, die sich Gott nicht einmal vorstellen können: weder als Jahwe, noch als Allah oder als den Lieben Rauschebart unserer christlichen Märchen. Wie sollen sie da an einen Stern, Asteroiden oder sonstigen Stützpunkt glauben, auf dem der Hohe Herr angeblich mit seinem Gefolge zu Hause sei?

    Nun, Schdruschka war durch solche Einwände nicht zu beirren - mit der zähesten Hartnäckigkeit hielt er an seinen abstrusen Thesen fest. Es sei nur eine Frage der Zeit - so hatte er schon damals bei seinem Vortrag in der Urania verkündet -, bis wir den Schleier vor den letzten Geheimnissen lüften.

    Jetzt also lockte mich dieser seltsame Mann mit einer Botschaft, der ich fast gegen den eigenen Willen folgte. Ringsherum flöteten die Amseln, die Spatzen zwitscherten in den Bäumen, die Sonne war aus dem Zenit bereits ein Stückchen hinuntergerutscht, aber an diesem Tag verführerisch warm - so gesehen, musste ich es für ein Vergnügen halten, einer mehr als kuriosen Einladung in das Haus eines Gelehrten zu folgen, den die eigene Kollegenschaft längst nicht mehr ernst nehmen will. Aber ob ihn das wirklich betrübt? Immerhin scheinen die Theologen einen Narren an ihm gefressen zu haben. Bei einigen von ihnen stieß seine Arbeit auf begeisterten Zuspruch, was ich durchaus begreife, weil man in diesen Kreisen schon seit Jahrhunderten nach Paradies und Hölle fahndet und dem Moment entgegenfiebert, wo man den Herrgott endlich selbst zu einem Interview bitten kann. Insgeheim hoffen die Herren wohl auch, dass der Gottesbeweis, der selbst den besten Philosophen der Vergangenheit niemals wirklich gelang, mit den Mitteln der Hochtechnologie irgendwann doch noch erbracht werden könnte, nämlich dann, wenn es einem Mann wie Dr. Schdruschka gelingt, den exakten Ort von Gottes Hauptquartier zu bestimmen.

    Wie schön die eben aus dem Winterschlaf erweckte Natur! Wie schön der frische Flor aus Grün über den Bäumen! Wie schön...

    Seltsam, ich bin doch sonst kein Naturapostel, warum versuche ich mir auf dem Weg einzureden, wie wohl mir dieser Frühlingstag tut und wie schön die Stadt Wien gerade hier in ihren verschwiegen-wohlhabenden Außenbezirken ist, wo das Fahrgeräusch vorbeifahrender Autos selten die verwunschene Ruhe stört. Aus dem Rückblick betrachtet, musste ich diese Schönheit und diese Ruhe wohl deshalb beschwören, weil ich gegen das unterschwellige Gefühl ankämpfte, dass mich irgendetwas, eine mir selbst unbekannte Nötigung dazu trieb, den Ort der Einladung aufzusuchen. Diese Nötigung war umso unbegreiflicher, als ich Schdruschka gewiss nicht besonders sympathisch fand, damals nicht auf seinem einschläfernden Vortrag in der Urania und nicht während der zwei oder drei Male, da ich ihm auf Empfängen der verschiedensten Art zufällig begegnet war. Der Eindruck, den er in meiner Erinnerung hinterlassen hatte, war stets derselbe: ein großes, pfannkuchenrundes Gesicht, das auch, wenn es dir nahe kommt, dennoch aus der Ferne zu dir herabzublicken scheint, ein irgendwie nebelhafter, undeutlicher und undeutbarer Charakter, wie er jedem von uns irgendwann einmal begegnet, ich meine, ein Mensch, der sich eine besondere Aufgabe daraus zu machen scheint, dir stets mit einer Miene wissender Überlegenheit entgegenzutreten, so als wollte er dir dadurch begreiflich machen, dass in seinem Kopf beständig irgendwelche aufregenden Geheimnisse keimen, die dir, einem leider durch und durch traurigen Alltags- und Durchschnittswesen, leider für immer verschlossen bleiben.

    So ein schöner Tag, dachte ich, so ein besonders schöner Tag, warum lasse ich mich nur in das Haus eines Mannes locken, in dessen Gegenwart ich schon einmal einschlafen musste? Immerhin hat er es materiell durchaus zu etwas gebracht; all diese gepflegten Villen rechts und links, eine wahre Augenweide. Hier zu wohnen, genügt sicher kein Professorengehalt, dazu muss man geerbt oder eine reiche Frau geheiratet haben. Welches weibliche Wesen mag sich wohl diesen hölzernen Professor zu ihrem Lebensgefährten erwählen? Oder wird er nicht eher, wie ich vermute, die traurige Existenz eines alternden Junggesellen führen? Na ja, in kurzer Zeit werde ich klüger sein.

    Mit derart müßigen Überlegungen beschäftigt, drücke ich schließlich auf eine Klingel unterhalb eines Messingschilds mit der Aufschrift „Dr. Schdruschka".

    Die Tür öffnet sich, und da ist es schon, dieses große, runde Gesicht. Es kommt mir vor, als wäre es seit unserer letzten Begegnung noch etwas runder und größer geworden und das undeutbare Lächeln, das er mir gleich bei der Tür entgegenbringt, scheint noch etwas undeutbarer geworden. Wir schütteln uns die Hand, und ich spreche, wie es sich gehört, meinen Dank für die Einladung aus.

    Ihr Hinweis auf eine wichtige Botschaft hat mich wirklich neugierig gemacht! Sie wissen ja, wir Journalisten dürfen uns nichts von wirklicher Bedeutung entgehen lassen.

    Und daran haben Sie gut getan, antwortet Schdruschka. Ich werde Sie nicht enttäuschen.

    Ich folge ihm durch den Vorraum in das Wohnzimmer des Hauses – und im selben Augenblick geschieht etwas mit mir. Ich erstarre, ich fühle, wie mein Lächeln erfriert, wie sich meine Hände verkrampfen, wie mein Atem stockt und meine Zunge gelähmt ist.

    Dabei hat Schdruschka etwas ganz Harmloses gesagt, eine rhetorische Frage, wie sie ein Gastgeber seinen Gästen üblicherweise zu stellen pflegt.

    Darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?, sagt er.

    Im ersten Augenblick hatte ich meinerseits ganz harmlos darauf reagiert, denn gegen das Sonnenlicht, das aus der Fensterwand in das Wohnzimmer fiel und meine Augen einer kurzfristigen Blendung aussetzten, habe ich zunächst nicht mehr wahrgenommen als den bloßen Umriss einer weiblichen Gestalt. Dieser allein hätte mich natürlich nicht in Verwirrung gesetzt, auch wenn ich vorher Überlegungen von der Art angestellt hatte, ob eine lederne Professorennatur wie die des Herrn Schdruschka es überhaupt fertig brächte, ein weibliches Wesen aus Fleisch und Blut an sich zu binden. Nun, die Bekanntmachung mit seiner Frau belehrte mich eines Besseren, ich hatte mir einige recht überflüssige Gedanken gemacht. Um meinen Fehler abzubüßen, war ich bereit, meine Hand auszustrecken und seine Frau mit besonderer Höflichkeit zu begrüßen.

    Doch statt dessen war ich erstarrt - ein Zustand, der in den Augen anderer vielleicht nur einen flüchtigen Augenblick währte, mir selbst aber wie eine Ewigkeit erschien. Ich hätte natürlich auch ganz anders reagieren, spontan ihren Namen „Eveline" ausrufen können, ebenso wäre es zumindest denkbar gewesen, dass sie meinen Vornamen nennt. Aber nichts von dem ist geschehen. Ihren Namen über die Lippen zu bringen, wäre mir ganz unmöglich gewesen, weil ich erst noch die Ungeheuerlichkeit ihrer leiblichen Erscheinung bewältigen musste. Denn jetzt, wo ich einen weiteren Schritt in den Raum getan hatte, so dass das von der breiten Türfront einfallende Licht unterhalb meines Kopfes lag und mich deshalb nicht länger blendete, gab es keinen Zweifel mehr: Das war sie, kaum verändert, nein eigentlich gar nicht verändert, obwohl zehn Jahre inzwischen vergangen waren. Auch heute kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sie in jenem Moment des unerwarteten Wiedersehens von der gleichen Lähmung befallen war wie ich. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte ich es nicht bemerken können. Denn wenn man einen derartigen Schlag erhält – ich spreche ausdrücklich von einem Schlag, denn ich spürte ihn so, als hätte mir jemand einen Hieb in den Bauch versetzt -, dann ist man für den Augenblick derart überwältigt, so mit sich selbst beschäftigt, dass man für die Seelenregungen anderer Menschen alles Gespür verliert. Ich kann also nicht sagen, ob in ihr dasselbe vorging wie in mir. Ich glaube es nicht, nein, ich halte sie dazu nicht einmal für fähig.

    Um es kurz zu machen: Ich habe mich ein oder zwei Sekunden später so weit gefasst, so verbissen zusammengenommen, dass ich mit dem bei solcher Gelegenheit üblichen Lächeln meine Hand ausstrecken und die Frau des Hauses begrüßen konnte. Ob Schdruschka meine kurzfristige Lähmung bemerkte? Ich glaube nicht, er wird meine Verwirrung auf die Blendung durch die Sonne zurückgeführt haben oder mich schlicht für einen jungen Mann mit ungeschickten Manieren halten. Für ihn musste mein Treffen mit Eveline den Anschein haben, als wären wir Fremde und ich seiner Frau an diesem Tag zum ersten Mal begegnet.

    Das unerwartete Wiedersehen sollte nicht die einzige Überraschung an diesem frühen Samstagnachmittag sein, aber sie drängte alle übrigen Überraschungen weit in den Hintergrund. Es dauert einige Zeit, bis ich die Anwesenheit mehrerer anderer Gäste bewusst registriere. Alle haben sich rings um einen eichenen Gartentisch auf der Rückseite der Villa versammelt. Wie gesagt, gehe ich gegen die Sonne, als ich hinter Schdruschka und seiner Frau durch die offene Tür die auf der Rückseite des Hauses gelegene Terrasse betrete. Selbst die grandiose Landschaft, die sich wie auf einem Panoramaschirm vor mir öffnet, nehme ich zunächst gar nicht wahr, weil ich noch immer ihr Gesicht vor mir sehe, ihr völlig unbewegliches oder um die Mundwinkel vielleicht doch kurz aufzuckendes Gesicht. Es war ein herrlicher Ausblick auf den Wiener Wald, das bemerke ich erst jetzt, nachdem mein erstarrtes Inneres langsam aufzutauen beginnt.

    Meine Befindlichkeit muss aber nicht jeden anderen interessieren, deswegen möchte ich gleich dazu übergehen, die außer mir selbst noch anwesenden Gäste vorzustellen.

    Da nehme ich zunächst einmal eine gar nicht so kleine Berühmtheit wahr, nämlich Teddy Gernegut, der mir aufmunternd zuzwinkert, als wären wir vertraute Komplizen - dabei habe ich ihm bisher nur auf einer seiner zahlreichen Lesungen zwei- oder dreimal die Hand gedrückt. Er strahlt mich so freudig an, als hätte er die ganze Zeit auf nichts anderes gewartet, als mich gerade an diesem Ort und zu dieser Zeit seines besonderes Wohlwollens zu versichern. Es gibt so Leute, die immer den Eindruck der Familiarität verbreiten, allgemein sind das erfreulich Zeitgenossen, denn so wird einem die Begrüßung leicht gemacht. In meiner derzeitigen halb gelähmten Verfassung bin ich ihm dafür sogar dankbar. Im Übrigen kann sich Gernegut eine gewisse Herablassung durchaus leisten. Im Unterschied zu Schdruschka, dem möglicherweise verkannten Genie, wird er nicht nur bei uns in Wien gewürdigt, sondern hat sich im ganzen deutschsprachigen Ausland einen Namen gemacht. Mit seinem kürzlich erschienenen Roman Selig – oder warum der Mensch von Natur aus gut ist gelang es ihm, in weiten Kreisen höchstes Aufsehen zu erregen; über Nacht hat ihn dieses Werk nicht nur in die Schlagzeilen der gängigen Literaturbeilagen gebracht, sondern berühmt, ja sogar beliebt gemacht: Endlich hätte da jemand – so das Votum der ihn bejubelnden Kritiker - den Mut aufgebracht, dem grassierenden Pessimismus ein Bild der Hoffnung entgegenzusetzen. Was mich betrifft, so bin ich über die ersten zwanzig Seiten des Buches allerdings nicht hinausgelangt. Selig ist eine fade Gestalt, an deren vielfältigen Liebesabenteuern vielleicht pubertierende Teenager ein aufgeregtes Interesse finden, aber gewiss kein Mensch von einiger Welterfahrung. Das Motto, das Gernegut seinem Opus zugrunde legt, lässt sich in etwa auf die Kurzformel bringen „Seid nett zueinander", wobei die Gelegenheit, wo sich diese Einstellung vor allem bewähren soll, in dem Buch detailreich und auf vielen Seiten beschworen wird (Gernegut denkt da in erster Linie ans Bett). Diese Botschaft ist zwar modern, erscheint mir aber denn doch etwas schlicht, auch wenn ich dafür Verständnis habe, dass die Leute in einer so vielfach verunsicherten Zeit, wie es die unsrige ist, etwas Aufbauendes, Positives, freudig Bewegendes hören wollen. Je rauer ihnen die Wirklichkeit draußen vor der Haustür erscheint und manchmal auch in ihren eigenen vier Wänden, desto größer wird ihre Sehnsucht nach schönen Märchen des ewig Guten und Lieben. Gernegut ist ein Evasions-, ein Illusions-, ein Vorspiegelungskünstler, wie es deren heute so viele gibt. Das Augenzwinkern, womit er mich und vermutlich auch jeden anderen begrüßt, erscheint mir als ein ständiger Versuch, alle Menschen zu Komplizen

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