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Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA: Die Erschießung Michael Browns und die Rassenunruhen in Ferguson 2014
Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA: Die Erschießung Michael Browns und die Rassenunruhen in Ferguson 2014
Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA: Die Erschießung Michael Browns und die Rassenunruhen in Ferguson 2014
eBook317 Seiten4 Stunden

Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA: Die Erschießung Michael Browns und die Rassenunruhen in Ferguson 2014

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Über dieses E-Book

Rassistisch motivierte Polizeigewalt ist kein jüngeres Phänomen in den USA. Der Fall Michael Brown aus dem August 2014 zeigt beispielhaft die sich wiederholenden Abläufe von Polizeigewalt mit Todesfolge auf.
Der unbewaffnete Afroamerikaner Brown wird von einem weißen Polizisten erschossen. Daraufhin entspinnt sich in Ferguson ein Kreislauf der Gewalt, der durch das paramilitärische Auftreten der lokalen Polizeieinheiten noch an Intensität zunimmt. Brände, Schüsse und Plünderungen suchen die Kleinstadt heim, deren Gerechtigkeit im Fall Brown ein Staatsanwalt an sich nimmt, der verdächtigt wird, der Polizei zu nahezustehen und Polizisten zu decken.
Selbst die Entmachtung der lokalen Polizeibehörde kann nicht verhindern, dass Reporter vor Ort festgenommen und kurzzeitig unter Arrest gestellt werden. Die US-amerikanische Öffentlichkeit ist schockiert über den Umgang mit der Pressefreiheit. Die Untersuchungen des FBI bringen zudem skandalöse rassistische Polizeipraktiken zum Vorschein, die systematisch die schwarze lokale Bevölkerungsmehrheit schikaniert und reihenweise zu Kriminellen macht. So ist es nicht verwunderlich, dass in einer extrem angespannten Zeit der Rassenunruhen weiße Cops öffentlich mit dem Polizeischützen sympathisieren und somit den Konflikt weiter anheizen. Selbst der erste schwarze Präsident der USA, Barack Obama, traut sich nicht, aktiv in der öffentlichen Rassismusdebatte wichtige Machtworte zu sprechen, um die landesweiten, systematischen Ungerechtigkeiten gegenüber den Afroamerikanern lautstark zu ächten. Zudem geben Barack und Michelle Obama selbst Auskunft über ihre Erfahrungen mit Rassismus im Alltag.
Was sich nach einem mittelmäßigen US-Krimi anhört, ist für die afroamerikanischen Bewohner bittere Realität. Der Kampf gegen die zum Vorschein kommende alltägliche Diskriminierung der Schwarzen gilt stellvertretend für die Ungerechtigkeiten in den gesamten Vereinigten Staaten von Amerika.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Aug. 2016
ISBN9783741840418
Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA: Die Erschießung Michael Browns und die Rassenunruhen in Ferguson 2014

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    Buchvorschau

    Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA - Michael Miller

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Impressum

    Michael Brown Shooting

    Sonntag, 10. August 2014

    Die Armut und Segregation in den USA

    Montag, 11. August 2014

    Dienstag, 12. August 2014

    Mittwoch, 13. August 2014

    Donnerstag, 14. August 2014

    Freitag, 15. August 2014

    Samstag, 16. August 2015

    Sonntag, 17. August 2015

    Montag, 18. August 2014

    Dienstag, 19. August 2014

    Mittwoch, 20. August 2014

    Donnerstag, 21. August 2014

    Samstag, 23. August 2014

    Sonntag, 24. August 2014

    Montag, 25. August 2014

    Ende August 2014

    September 2014

    Skandal um Amtsgerichte

    Oktober 2014

    Senatswahlen 2014

    Anfang November 2014

    Die Grand Jury Entscheidung

    Die Inhaftierungskultur in den USA

    Der Kampf des New Yorker Buergermeisters

    Folterpraktiken der CIA

    Die gerichtliche Aufarbeitung in Ferguson

    Die Amoktat in New York

    Anfang 2015

    Obamas Rede in Selma zum Rassenkonflikt

    Abschluss

    Anhang 1 - Das Grand Jury Verfahren

    Anhang 2 - Kurze Geschichte des Rassismus in den USA

    Anhang 3 - Kleine Chronik der Polizeigewalt

    Weitere Werke Government Shutdown USA 2013

    Michael Miller

    Rassistische Polizeigewalt und Diskriminierung in den USA

    Die Erschießung Michael Browns und die Rassenunruhen in Ferguson 2014

    Impressum

    Copyright: © 2016 Michael Miller

    Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Ebook ISBN 978-3-7418-4041-8

    Print ISBN 978-3-7375-6762-6

    1. Auflage 2016 

    Michael Brown Shooting

    In den landesweiten Medien der USA sowie in der internationalen Presse wird am Montag, dem 11. August groß über einen Fall eines erschossenen Teenagers durch einen Polizisten in der Kleinstadt Ferguson, einem Vorort von St. Louis im Bundesstaat Missouri, berichtet. Relativ schnell verbreitet sich diese Nachricht vom Wochenende über lokale auf landesweite Medien, um einen Tag später auch internationale Beachtung zu finden. Grund allein ist nicht die schreckliche Tat eines erschossenen Jugendlichen an sich, wie sie sich tausendfach im Jahr in den USA abspielt und als „gun fire, wenn überhaupt, nur in die lokalen Nachrichtenmeldungen schafft. Interessant wird diese Meldung für die Medien, als sich einen Tag nach der Tat tumultartige Szenen vor der Polizeistation abspielen, von der der Polizeischütze kommen soll. Empörte Bürger des Stadtviertels versammeln sich zuerst am Tatort, um kurze Zeit darauf vor der Polizeistation zu demonstrieren und lautstarke Sprechchöre wie „Erschießt mich nicht zu skandieren. Die Stimmung ist aufgebracht und eilig gebastelte Protestschilder klagen über Polizeigewalt und alltäglichen Rassismus gegen afroamerikanische US-Bürger. Ein Protestschild mit der Aufschrift „Die Polizei hat meinen unbewaffneten Sohn erschossen!" soll von Louis Head, dem Stiefvater des erschossenen Jugendlichen, hochgehalten worden sein. Das Polizeirevier stellt sogleich in kompletter Schutzkleidung ausgestattete und mit Schlagstöcken bewaffnete Polizisten vor die Polizeistation in einer Reihe ab. Der Name des Jugendlichen war Michael Brown.

    Die Wut richtet sich am Anfang gezielt gegen die Polizei von Ferguson. Die Demonstranten vermuten recht schnell einen rassistisch motivierten Akt von Polizeigewalt. Michael Brown war Afroamerikaner. Die Hautfarbe des Polizisten wird in den ersten Tagen von den Behörden Fergusons noch geheim gehalten. Doch es wird anhand der Zeugenaussagen recht schnell klar, dass es sich um einen weißen Polizisten gehandelt haben soll. Auch wenn die Umstände der Tat in den ersten Tagen nebulös erscheinen und viele Zeugenaussagen sich teilweise widersprechen, wird doch grundlegendes klar. Michael Brown war am Samstagmittag, dem 9. August 2014 mit seinem Freund Dorian Johnson auf dem verbotenen Mittelstreifen einer Straße unterwegs, beim sogenannten „jay walking, als sie von einem Polizisten, der allein im Polizeiauto unterwegs war, angesprochen wurden (Jay walking bedeutet das Überqueren eine Straße, wo es anhand von Verkehrszeichen nicht erlaubt ist). Brown soll sich daraufhin in das offene Fahrerfenster des Streifenwagens gebeugt und seine Arme auf die Fahrertür abgelegt haben. Es bricht ein Handgemenge zwischen Brown und dem Polizisten aus. Dabei soll Brown den Polizisten in den Wagen zurück geschubst haben. Im Polizeifahrzeug hat sich sogleich ein erster Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten gelöst. Brown soll sich daraufhin rasch vom Polizeiauto entfernt haben. Nach wenigen Metern kommt er abrupt zum Stehen. Brown gibt anscheinend seine Flucht auf. Ab hier gehen jedoch die späteren Zeugenaussagen zum weiteren Tathergang weit auseinander. Nach Aussage seines Begleiters Dorian Johnson soll Brown seine Arme nach oben erhoben und sich eindeutig ergeben haben. Zudem soll er laut „OK. OK. OK gesagt und sich mit erhobenen Händen auf den Polizisten zubewegt haben. Andere Aussagen kommen zu dem Schluss, dass Michael Brown mit aggressiver Pose auf den Polizisten zugelaufen sein soll. Der Polizist schießt daraufhin sein gesamtes Magazin leer. Die Szene, über die sich das ganze Land in den kommenden Monaten auseinandersetzen wird, vom Anhalten des Polizeiautos, dem Gespräch zwischen den Tatbeteiligten sowie der letzten abgefeuerten Kugel aus der Dienstwaffe des Polizisten, dauerte nicht länger als 90 Sekunden.

    Der 18-jährige Brown hatte mit 1,95 Meter und rund 135 Kilogramm Körpergewicht eine stattliche Figur. Von seinen Freunden wurde er einfach „Big Mike genannt. Sein Gemüt soll „sanft gewesen sein. Kontaktsport, wie dem American Football, soll er trotz seiner Statur abgelehnt haben. Vorstrafen hatte Brown keine. Gewalt lehnte er laut seiner Freunde ab. 

    Michael Brown stirbt gegen 12:00 Uhr noch am Tatort. Seine Leiche wird rund vier Stunden auf der Straße in seiner Blutlache bis 16:15 Uhr liegen gelassen, bevor sie zur Obduktion ins städtische Leichenschauhaus abtransportiert wird. Die überwiegend afroamerikanischen Bewohner des Viertels versammeln sich recht schnell am Tatort und machen trotz Absperrung durch die Polizei mit ihren Mobiltelefonen Fotos und Videos des mit einem weißen Tuch abgedeckten Leichnams. Schnell spricht sich im Viertel die Tötung des jungen Mannes herum. Immer mehr Menschen kommen zum Tatort. Auch die Großmutter, die nur zwei Blocks vom Tatort entfernt wohnt, wird am Ort eintreffen und ihren Enkel wiedererkennen. Blumen, Andachtskarten und Kerzen werden in der Nähe des Tatorts niedergelegt und in den Tagen darauf den ehemaligen Tatort großflächig überdecken. Schnell kocht die Wut der Anwohner hoch, denn die Tat wird als ein rassistisch motivierter Übergriff eines weißen Polizisten gewertet, denn Michael Brown war unbewaffnet und stand etliche Meter vom Polizeischützen entfernt. Die Sinnlosigkeit dieses genommenen Lebens macht nicht nur fassungslos. 

    Die Ermittlungen vor Ort erweisen sich als chaotisch. Laut Polizeiprotokolle war am Samstag nur eine Rumpfmannschaft von Ermittlern im Dienst. Um 12:10 Uhr treffen die ersten Beamten am Tatort ein. Gegen 13:00 Uhr sind auch Ermittler aus dem St. Louis County zur Unterstützung eingetroffen. Während die umstehenden Bewohner unruhiger werden, ermahnt der eingetroffene Polizeichef von Ferguson, Thomas Jackson, seine Polizisten zur Eile. Sprüche wie „kill the police" werden von einzelnen jugendlichen Gruppen zu den Beamten gerufen. Eintreffende Einsatzfahrzeuge der Polizei und des Rettungsdienstes werden gegen 14:30 Uhr blockiert. Weitere Einsatzkräfte werden von umliegenden Polizeidienststellen angefordert. Es sollen Schüssen in der Umgebung während der Ermittlungen gefallen sein; verletzt wurde jedoch niemand. Die aufgebrachte Menschenmenge wirft vereinzelt Wasserflaschen auf die Ermittler. Die Mutter von Michael Brown, Lesley McSpadden, versucht trotz emotionalen Schockzustands zusammen mit dem Polizeichef das Publikum zu beruhigen. Doch die bewaffneten Einsatzkräfte samt ihren Polizeihunden lassen die Stimmung noch aggressiver werden. Gegen 15:00 Uhr treffen die ersten SWAT-Teams zur Sicherung des Tatorts ein. Die Untersuchung vor Ort muss mehrmals aufgrund der feindseligen Haltung der Schaulustigen abgebrochen werden. Erst nach 16:00 Uhr wird die Tatortbegehung abgeschlossen und die Leiche abtransportiert. 

    Sonntag, 10. August 2014

    Die Wut ebbt am folgenden Tag jedoch nicht ab. Abends skandieren hunderte Bewohner der Stadt Fergusons am Tatort und vor der Polizeistation „Wir sind Michael Brown und „Erschießen Sie mich nicht. Dazu halten sie die Hände hoch, als würden sie sich ergeben. Die Situation spitzt sich zu, als die Polizei mit voller Kampfmontur samt Sturmgewehren und mit angeleinten Schäferhunden versucht, die Demonstranten einzuschüchtern. Doch die Demonstranten fordern „Keine Gerechtigkeit! Kein Frieden!". Für sie ist es ein kaltblütiger Mord eines weißen Polizisten, der von seinen Kollegen geschützt wird. Denn Informationen über den betroffenen Polizisten werden von der Polizeidienststelle nicht herausgegeben. Es kommt zu einzelnen Handgreiflichkeiten zwischen der Polizei und den Demonstranten. Der Einsatz von Schäferhunden, die an der Leine bellend und schnappend von den Polizeibeamten gehalten werden, sorgt für weitere Verstimmung bei den afroamerikanischen Demonstranten. Für sie ist es ein weiteres Zeichen der Unterdrückung und ein Erbe aus der Sklavenhalterzeit, gegen unfolgsame Schwarze Hunde einzusetzen.

    Die Medien machen eine erste Zeugin ausfindig, die zum Zeitpunkt des Geschehens auf dem Weg zur Arbeit war. Sie will gesehen haben, wie Michael Brown sich vom Polizeiauto entfernt und seine Hände dabei hochgerissen haben soll. Mehrere Kugeln aus der Dienstwaffe des Polizisten sollen Brown anschließend getroffen haben. Damit wird den Protestierenden klar, dass wieder einmal in den USA ein unbewaffneter Afroamerikaner vorsätzlich von einem weißen Polizisten erschossen worden war. Und das Verhalten der Polizei in Ferguson trägt auch nicht zur Beruhigung der angespannten Lage bei.

    Der Polizeichef von Ferguson, Thomas Jackson, registriert die sich anstauende Wut der Protestierenden und wendet sich mit dem Fall an das größere St. Louis County Police Department. Dieses bittet auch das FBI Ermittlungen im Fall Brown einzuleiten. Der Justizminister Eric Holder bestätigt, dass es eine Bundesuntersuchung über den Tod des 18-jährigen Brown durch das FBI geben wird. An die Presse gibt Jackson jedoch nur sehr wenige Informationen heraus. Die Hautfarbe, der Name und das Alter des Polizeischützen bleiben vorerst geheim. Nur die Tatsache, dass der Officer mit vollen Bezügen vom Dienst befreit wurde, wird von der Dienststelle herausgegeben. Die Demonstranten sehen in der fehlenden Informationspolitik des Polizeichefs einen schützenden Akt zur Deckung des Polizeischützen. Allein seine Aussage, eine „gründliche Untersuchung" angeordnet zu haben, beruhigt die Bewohner des Viertels nicht.

    Der Bürgermeister von Ferguson, James Knowles III, erklärt, dass seine Stadt in Trauer sei und nennt den Tod Michael Browns eine „Tragödie". Er mahnt zugleich zur Ruhe in seiner Gemeinde, um die laufenden Untersuchungen nicht zu beeinträchtigen sowie Vertrauen in die lokalen und bundesstaatlichen Institutionen zu haben. Für viele afroamerikanische US-Bürger klingen diese Worte wie Hohn. Ist doch das Vertrauen in die örtliche Polizei unter den schwarzen Bewohnern der Stadt seit langem nicht mehr vorhanden und das Verhältnis auf beiden Seiten gestört.

    Über die sozialen Medien, wie Facebook und Twitter, werden wilde Verschwörungstheorien, aber auch Fotos vom Tatort und vom Leichnam, verbreitet. Die Empörung reicht über die Stadtteile von Ferguson hinaus und treibt weitere Menschen den Demonstrationen in die Vorstadt von St. Louis zu. Aufrufe zu Protestkundgebungen verbreiten sich unter den afroamerikanischen Jugendlichen innerhalb von wenigen Stunden. Für die kommenden Tage sind weitere Protestveranstaltungen und Aktionen gegen Polizeigewalt und gegen den alltäglichen Rassismus in den USA in Ferguson geplant.

    Es sind vor allem junge Menschen, die sich mit Michael Brown identifizieren und sich über seinen Mord echauffieren. Michael Brown ist einer von ihnen. Nicht wenige Schaulustige am Tatort kannten ihn sogar. Und dieser Fall eines weiteren schwarzen toten Jugendlichen auf der Straße mobilisiert viele Schüler und Studenten, die über Twitter Nachrichten von jungen Aktivisten lesen, die zuvor keine hundert Followers hatten. Die sozialen Netzwerke werden großflächig zum Austausch von Informationen über Veranstaltungen und Demonstrationen genutzt. Die meisten Protestierenden sind politisch nicht aktiv. Sie eint allein die Wut gegenüber der Polizei und der gefühlten weißen Vorherrschaft über die größtenteils von Schwarzen bewohnten Vierteln.

    Der Stiefvater von Michael Brown, Louis Head, sitzt am Sonntag am ehemaligen Tatort seines Stiefsohns, der mit vielen Blumen, Kerzen, Protestschilder, Plüschtieren und Andachtskarten bedeckt ist und spricht von einem „kaltblütigen Mord" an Michael Brown. Am Abend versammeln sich dort viele Menschen für eine Mahnwache. Kerzen werden gehalten und Gebete gesprochen. Doch viele Anwesende sind erzürnt. Ob die Polizei mit ihrem martialischen Aussehen und ihrer ständigen Präsenz in Ferguson der ausschlaggebende Faktor ist, bleibt in der späteren Untersuchung der Geschehnisse unklar. Die ersten Flaschen und Steine werden am späten Sonntagabend auf Polizisten und Polizeifahrzeuge geworfen. Es trifft in dieser Nacht auch einen Einkaufsladen, der von mehreren Vermummten aufgebrochen, geplündert und später niedergebrannt wird. Auch in der West Florissant Avenue, der langen Geschäftszeile von Ferguson, gehen etliche Fensterscheiben von Geschäften zu Bruch. Die Polizei geht mit einem SWAT-Fahrzeug samt einem aufsitzenden Polizisten am Maschinengewehr gegen die Demonstranten und Plünderer vor. Doch scharf geschossen wird nicht. Die Polizei verschießt jedoch etliche Tränengaskartuschen in Menschenansammlungen. Auch friedliche Demonstranten mit erhobenen Händen, die zu einem Symbol der Protestierenden geworden sind, werden durch die rüde Polizeitaktik bedrängt und mit Tränengas beschossen. Die Polizei vermeldet rund 30 Festnahmen in der Nacht.

    Die Armut und Segregation in den USA

    Auch wenn für viele Außenstehende die Gewalt überraschend kam, für viele afroamerikanische Bewohner waren die gewaltsamen Krawalle nur ein Ventil über die nun unbändige Wut gegenüber weißer diskriminierender Unterdrückung der schwarzen Mehrheit in Ferguson. Die US-amerikanische Öffentlichkeit ist am nächsten Morgen erschüttert. Schnell werden Erinnerungen der letzten Rassenunruhen von 1991 nach dem Rodney King Fall wach, die vielen Menschen das Leben kosteten und etliche Großfeuer hunderte Gebäude in Los Angeles zerstörten oder beschädigten. Damals war das Heartland, der Mittlere Westen der USA, von Unruhen weitestgehend verschont geblieben. Auch während der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre blieben St. Louis und die umliegenden Gemeinden ruhig. 

    In der heutigen Zeit hat St. Louis, eine knapp 320.000 Einwohner großen Stadt, sowie ihre umliegenden Gemeinden noch immer mit der Immobilienkrise zu kämpfen. Eine Stadtflucht der Bewohner aus St. Louis in die Vororte lässt die Immobilienpreise in einigen Vierteln von Ferguson sogar wieder steigen und auch die Zwangsversteigerungen von Immobilien sind rückläufig. Doch profitieren davon zumeist nur die Siedlungen der überwiegend weißen Bewohner. Die Jobs kommen nach der Wirtschaftskrise nur sehr langsam nach St. Louis und Umgebung zurück. In Ferguson entstanden in den letzten Jahren viele neue Geschäfte, darunter Bars, Restaurants und Bekleidungsgeschäfte. Der Optimismus, die Krise endlich hinter sich gelassen zu haben, steckte die meisten Bewohner von Ferguson an. Doch im Vergleich zur größeren Stadt St. Louis liegen die Durchschnittseinkommen weit auseinander. Lag das durchschnittliche Familieneinkommen in St. Louis 2012 bei 75.000 US-Dollar, lag es im selben Jahr in Ferguson nur bei 44.000 US-Dollar. Nach der letzten Volkszählung dümpelte die Arbeitslosigkeit in Ferguson bei rund 20 Prozent, während sie im gesamten Bundesstaat Missouri bei 10,7 Prozent lag. 

    Sehr deutlich werden solche Zahlen, wenn Armutsberichte der US-Regierung veröffentlicht werden. Demnach leben über 45 Prozent der afroamerikanischen Kinder in Missouri in Armut. Eine solch hohe Rate, die fast jedes zweite schwarze Kind betrifft, ist für Missouri, wie auch für die restlichen USA eine blamierende Tatsache. In der Schule fallen diese Kinder später ebenfalls aus dem Raster, wie eine US-Studie belegt. Unter den mehr als 16.200 landesweiten Schulsuspensionen sind fast 6.200 schwarze Kinder, obwohl sie prozentual einen geringeren Bevölkerungsanteil ausmachen. Erschreckend kommt hinzu, dass rund 30 Prozent aller afroamerikanischen Schüler im Laufe ihres Lebens verhaftet werden. Selbst während des Studiums machen afroamerikanische Studenten rund 27 Prozent aller Verhaftungen auf dem Campus aus, obwohl sie nur 16 Prozent der Studentenschaft darstellen. Viele gehen direkt durch kriminelle Taten von der Schulbank in den Strafvollzug. Für eine Wirtschaftsmacht wie den USA ist das ein extrem kostspieliger Faktor. Experten warnen seit Jahren, dass dadurch kriminelle Karrieren geschaffen werden, aus denen es später kein Entkommen gibt. Hilfsangebote für Ex-Häftlinge und Aussteigerprogramme für Kriminelle sind in den USA rar. Einen Schulabschluss schafft nur rund die Hälfte aller afroamerikanischen Schüler in Ferguson. Landesweit sind es 52 Prozent, während es in Missouri sogar 56 Prozent sind. Diese erstaunlich hohe Anzahl an jungen Bürgern ohne Schulabschluss kostet dem US-amerikanischen Staat später in Form von sozialstaatlichen Transferleistungen viel mehr, als notwendige Investitionen in die Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten. 

    Die Armut in Ferguson ist allgegenwärtig. Die Schulen im Bezirk sind unterfinanziert und haben einen schlechten Ruf. Ein geplanter Zusammenschluss von vier Schulbezirken soll Schulschließungen aufgrund hoher Finanzmangel verhindern. Doch das in der Verfassung verbriefte Recht auf Bildung wird am Beispiel Ferguson nur schwer umgesetzt. In den mehrheitlich afroamerikanischen Gemeinden fehlt es an Lehrern und Sozialarbeitern. Die Ausstattung der Schulen grenzt an absoluter Sparsamkeit und die Instandhaltung wird auf das Nötigste heruntergefahren. Von klein auf haben die afroamerikanischen Kinder einen Nachteil zu erdulden, der ihnen im späteren Leben weitere Nachteile auf dem Arbeitsmarkt einbringen wird. Ohne grundlegende Bildung fehlt es den zukünftigen Erwachsenen an Jobchancen und sozialem Aufstieg. 

    Eine Ungleichbehandlung fängt schon in der Finanzierung der Schulen an. In Missouri gibt es unterfinanzierte Schulbezirke, die pro Schüler mit knapp 6.400 US-Dollar auskommen müssen, während wohlhabendere Schulbezirke das Dreifache des Budgets, nämlich knapp 19.000 US-Dollar pro Schüler, verwenden können. Auch die Lehrer erhalten in den Schulbezirken unterschiedliche Gehälter, sodass reichere Schulbezirke eine bessere Auswahl an Lehrerbewerbungen haben. Die Leistungsstärke der Schüler spiegelt sich klar in der finanziellen Ausstattung der Schulen wider. 

    Michael Brown ging in einem der schlechtesten Schulbezirke von Missouri zur Schule. Rund 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen erhalten staatliche Unterstützungen, wie in Form von kostenlosem Mittagessen. Es ist ein Grundfehler im US-amerikanischen Bildungssystem, dass gerade die Armenviertel die wenigsten finanziellen Zuwendungen erhalten. Die soziale Ungleichheit wird damit von Grund auf in der Gesellschaft fest zementiert. 

    Schwarze Bewohner profitieren von den wirtschaftlichen Aufschwüngen ihres Landes nicht mehr. Das Wirtschaftswunder unter dem damaligen Präsidenten Bill Clinton kam bei den Armen größtenteils nicht an. Es machte nur die wohlhabender, die schon gut bezahlte Jobs hatten, auch unter den Schwarzen. Der Unterschied im Vermögensaufbau zwischen Weißen und Schwarzen wird in den mittleren Haushaltseinkommen zudem sehr deutlich. Weiße US-Bürger verdienten 2014 in den gesamten USA durchschnittlich rund 59.000 US-Dollar, während Afroamerikaner nur knapp 30.500 US-Dollar verdienten. Schwarze Familien leben mit einem Anteil von 30,6 Prozent viel häufiger in Armut als weiße Familien mit 9,2 Prozent. Sie beziehen auch häufiger Sozialhilfe und Lebensmittelmarken als weiße Familien. Auch die Kindersterblichkeit ist unter afroamerikanischen Kleinkindern um 3,6-mal höher als bei weißen Kindern. Das liegt vor allem an der schlechten und teuren Gesundheitsversorgung in den USA, die Obama in seiner zweiten Präsidentschaftszeit mit seiner Gesundheitsreform verbessern wollte. Denn gerade die schlechter verdienenden Afroamerikaner haben zumeist keinen Versicherungsschutz, wie sie zumeist besser bezahlte Jobs haben. Die Diskussion um Polizeigewalt und Rassismus in den USA dreht sich zunehmend auch um Themen, wie Wohlstandskluft, Bildung und Diskriminierung auf den lokalen Arbeitsmärkten. Afroamerikanische Bürgerrechtler fordern schon länger einen verbesserten Zugang zu besser bezahlten Jobs, die durch Diskriminierung den qualifizierten Afroamerikanern vorenthalten sein sollen. 

    Die Teilung der USA in einen wohlhabenden weißen und einen armen schwarzen Bevölkerungsanteil wurde schon von einer Kommission im Jahr 1968 befürchtet. Der von der „Kerner Kommission veröffentlichte und viel Aufmerksamkeit erzeugende Bericht warnte vor einer „permanenten Teilung unseres Landes in zwei Gesellschaften. Darin würde sich der afroamerikanische Bevölkerungsanteil von seiner größtenteils prekären finanziellen Situation nicht selbst befreien können und Generationen von Sozialhilfeempfängern den Weg ebnen. Schon in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts war eine wirtschaftliche Segregation zwischen beiden Bevölkerungsanteilen deutlich zu erkennen gewesen, auch wenn die bürgerlichen Rechte stückweise bei den Afroamerikanern verbessert wurden. In den Ballungszentren der USA wurde in den letzten Jahrzehnten laut dem Pew Research Center die Lücke zwischen den Einkommen von Armen und Reichen immer größer. Dieser Trend hat sich auch in der Trennung der Wohnverhältnisse widergespiegelt. Heute gibt es mehr Stadtviertel und Gemeinden mit großer Armut und hoher Kriminalität sowie reichen Vororten mit wenigen Delikten als noch vor 30 Jahren. Während die schwarze Bevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwiegend in Slums lebte, wohnt der überwiegende Teil der schwarzen US-Bürger heute in Getto ähnlichen Sozialbausiedlungen. Zwischen 1980 und 2010 stieg der Anteil der bildungsfernen und verarmten Bezirke in den USA von 12 Prozent auf 18 Prozent an. Die Tendenz ist weiter steigend.

    Ferguson, mit seinen rund 21.000 Einwohnern, ist ein durch Segregation geteilter Ort. Etwa zwei Drittel der Bewohner sind Afroamerikaner. Rund ein Viertel der Bewohner lebt unterhalb der Armutsgrenze, im Bundesstaat Missouri leben rund 15 Prozent der Bewohner unterhalb der staatlich festgelegten Armutsgrenze. Die starke Segregation ist durch die Gentrifizierung, dem Wegzug der weißen gut saturierten Mittelschicht und dem Zuzug der afroamerikanischen finanzschwachen Bewohner, die aufgrund der sinkenden Mieten angezogen wurden, entstanden. Diese Entwicklung läuft seit den letzten Jahrzehnten und verschärft sich, sobald ein Bezirk „kippt" und überdurchschnittliche Armut auch die Kriminalität anzieht. 

    Eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur in so kurzer Zeit ist für US-amerikanische Städte und Gemeinden nicht ungewöhnlich. Zwischen 1950 und 1960 wuchs die Bevölkerung von Jefferson County, das südwestlich von St. Louis liegt, um 75 Prozent an. Es war vor allem die weiße Arbeiterschicht, die hier durch die Industrie angelockt wurde. Zur Jahrtausendwende war Ferguson schon eine Stadt mit einem Anteil von 52 Prozent an afroamerikanischen Bewohnern sowie einem Anteil weißer Bewohner von nur noch 45 Prozent. Vierzehn Jahre später ließ die sogenannte „white flight", die Abwanderung der weißen Bewohner und der Zuzug von Afroamerikanern, die Bevölkerung von Ferguson weiter segregieren, auf nun 67 Prozent Schwarze und 29 Prozent Weiße. Innerhalb von nur zehn Jahren wuchs die afroamerikanische Gemeinde um mehr als 150 Prozent an und sie konzentrierte sich nur auf bestimmte Wohngebiete. Mehr als 90 Prozent aller 230.000 afroamerikanischen Bewohner verteilen sich im gesamten St. Louis County auf Gemeinden, die

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