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Der Feind in meinem Haus
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eBook275 Seiten3 Stunden

Der Feind in meinem Haus

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Über dieses E-Book

Fünf authentische Kriminalfälle aus Berlin, realistisch, erschütternd und detailliert erzählt vom langjährigen Berliner Kriminalisten Bernd Udo Schwenzfeier – untermauert durch Originalpassagen aus Gutachten und Polizeiberichten.

Vor knapp 20 Jahren erschütterte ein brutales Verbrechen Deutschland und die Welt. Zwei norwegische Schülerinnen wurden mißbraucht und anschließend getötet. Der "Pizza-Mord" blieb jahrelang unaufgeklärt – bis eines Tages dank Kommissar Zufall der sadistische Mörder gefaßt werden konnte.

Ein Mann erwürgt seine Freundin beim Sex. Gesteht die Tat am Tag danach der Polizei. Ein Unfall? Augenscheinlich ein eindeutiger Fall. Dieser entpuppt sich aber als Gespinst von Lügen, Gewalt und Sex, an dessen Ende eine junge Frau ihr Leben lassen mußte.

Der Leser bekommt Einblicke in Polizeiakten, die Denke der Täter, den Leidensweg der Opfer. Die Härte der Realität liegt manchmal an der Grenze menschlicher Belastbarkeit.
SpracheDeutsch
HerausgeberVirulent
Erscheinungsdatum19. Jan. 2012
ISBN9783864740398
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    Buchvorschau

    Der Feind in meinem Haus - Bernd Udo Schwenzfeier

    Krimi

    VORWOR T

    Zur vorsätzlichen Tötung eines Menschen hat der neutrale Beobachter schon immer ein ambivalentes Verhältnis gezeigt, sei es, dass er aus einer gewissen Distanz heraus, an Einzelheiten des Tatgeschehens interessiert ist, sich aber andererseits von der Grausamkeit des gewaltsamen Todes abgestoßen fühlt. Diesen Umstand haben sich unzählige Kriminalautoren und Filmregisseure zunutze gemacht und ihre Fantasien in diesem Genre in mehr oder weniger blutrünstigen Romanen niedergeschrieben oder in Filmen umgesetzt, wobei der psychisch kranke Serienmörder mittlerweile schon zum Standard zählt. In diesem Zusammenhang stellen der Roman »Engel des Todes« von Howard Wilson und der Film »Das Schweigen der Lämmer« schon gewisse Höhepunkte dar. Howard Wilson schildert beinahe unerträglich in allen Einzelheiten, über mehrere Seiten hinweg, die Tötung einer Prostituierten und auch der Film zeigt in beklemmender Weise die Aufklärung einer Mordserie, in der die Opfer bestialisch umgebracht wurden und in dem die Zuschauer mit der Realität sehr nahekommenden Bildern konfrontiert werden. Aber nicht weniger grausam als die fiktiven Romane und Filme ist immer noch die reale Welt, in der wir alle leben und in der wir es permanent mit schrecklichen Verbrechen zu tun haben.

    Die in diesem Buch beschriebenen sorgfältig recherchierten Fälle sind im Gegensatz dazu keine Fantasiegeschichten, sondern tatsächlich geschehen und haben sich in Berlin zwischen 1982 und 1999 zugetragen und in der Stadt seinerzeit für erhebliches Aufsehen gesorgt. Unter den fünf Fällen werden vier Tötungsdelikte dargestellt, bei denen verschiedene Mordmerkmale, wie z. B. Habgier, Verdeckung einer anderen Straftat oder Befriedigung des Geschlechtstriebes eine Rolle spielen. Die Darstellung der Taten orientiert sich eng an den wesentlichen Fakten und Abläufen der Ereignisse. Um die Authentizität der Beschreibung zu erhöhen, wurden einzelne Passagen der Vernehmungen, medizinischer Gutachten und Gerichtsurteile zum Teil wörtlich übernommen und andere, literarisch gestaltet, eingefügt. Die Namen aller beteiligten Personen wurden verändert. Übereinstimmungen mit tatsächlichen Namen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

    Die Untersuchung der Täterpersönlichkeiten in vier der fünf Fälle zeigte eindeutig schwere Defizite innerhalb der einzelnen Familien in Bezug auf eine normgerechte Erziehung, Wertevermittlung oder soziales Umfeld auf. Auch das Fehlen ausreichender sozialer Kontrolle kann als mit entscheidender Faktor späteren kriminellen Handelns angesehen werden. Dieser Mangel wird besonders deutlich in dem Fall von Karl Lehmann, der in einer Familie aufwuchs, in der elterlicher Alkoholgenuss, Gewalt und Asozialität den Tagesablauf bestimmten. Zuneigung und Wärme waren für ihn Fremdwörter geworden und er hatte in seiner Jugend nie gelernt Konflikte ohne Gewalt auszutragen.

    Mein Dank gilt meinen Kollegen, Kriminaloberrat Andre Rauhut und Kriminalhauptkommissar Lutz Wieczorek, beide vom LKA 411 .(Mordinspektion), die mir bei meinen Recherchen behilflich waren bzw. die es mir ermöglicht haben, Einblick in entsprechende Unterlagen nehmen zu können.

    Auch die Kriminalhauptkommissarin Tülin Kraemer, vom LKA 2324, hat mir aufgrund ihrer türkischen Herkunft wertvolle Tipps und Anregungen gegeben, um besser verstehen zu können, welch hohen Stellenwert die Ehre im Leben eines Türken einnimmt, wie es im Fall der getöteten Leila Ergün mehr als deutlich wird.

    Bernd Udo Schwenzfeier

    DER PIZZAMÖRDE R

    Am 10. März 1982 reiste eine aus 34 Schülerinnen und Schülern im Alter von 17 bis 19 Jahren bestehende Reisegruppe mit drei Lehrern aus Oernes in Norwegen zu einem Studienaufenthalt nach Berlin. Darunter befanden sich die 18-jährige Maerte Christiansen und die 19-jährige bolivianische Austauschschülerin Mercedes Puantaro. Die Gruppe wohnte während der Kurzreise geschlossen in einer Schöneberger Hotel-Pension in der Hauptstraße. Für den 15. März, in den Nachmittagsstunden, war die Rückreise geplant.

    Während ihres Aufenthaltes in der geteilten Stadt war neben Gemeinschaftsveranstaltungen auch genügend Zeit zur freien Verfügung. So hatten die jungen Norweger die Möglichkeit, die größte deutsche Stadt auf eigene Faust kennen zu lernen. Die wenigen Abende nutzte man aus, um das Nachtleben zu genießen und in den Diskotheken in der City nach dem neuesten Sound abzutanzen und um lose Kontakte zu gleichaltrigen Deutschen knüpfen zu können. Am 14. März beschlossen einige von ihnen, den in der Kantstraße gelegenen stadtbekannten Jazzkeller »Quasimodo« aufzusuchen. Darunter befanden sich auch die beiden Freundinnen Maerte und Mercedes. Mit der U-Bahn fuhren die beiden und drei weitere Schüler zum Bahnhof Zoo und gingen die wenigen Schritte zu Fuß bis zum Jazzkeller, wo sie gegen 22.00 Uhr eintrafen und in dem sich bereits zwei Lehrer aufhielten. Maerte und Mercedes hatten ihre Kassettenrekorder mitgebracht, um die Musik der Band aufzunehmen und hielten sich deshalb die meiste Zeit in deren Nähe auf.

    Kurz nach Mitternacht kamen sie zu ihren Klassenkameraden an die Tische zurück und sagten ihnen, dass sie Hunger hätten und deshalb eine oben im Haus befindliche Pizzeria aufsuchen wollten. Sie nahmen sich ihre Handtaschen und verließen den Jazzkeller. Von diesem Gang kamen sie nicht mehr zurück. Die Gruppe wartete noch eine geraume Zeit und fuhr dann zu ihrem Hotel zurück. Die von den beiden zurückgelassenen Sachen nahmen sie mit. Als die Mädchen am darauf folgenden Morgen nicht in ihrem Quartier auftauchten, erstatteten die besorgten Lehrer Vermisstenanzeige.

    Der aufnehmende Polizeibeamte beruhigte die Lehrer:

    »Machen Sie sich mal nicht so viele Sorgen. Neun von zehn Vermissten kehren noch am ersten Tag bzw. innerhalb einer Woche zurück. Vielleicht haben die beiden ein paar Jungs getroffen und sind mit ihnen nach Hause gegangen, um dort ’ne Party zu feiern. Immerhin sind sie ja bereits volljährig. Glauben Sie mir, sie werden mit ziemlicher Sicherheit zerknirscht und voller Reue pünktlich zu ihrer Abreise wieder erscheinen. Aber wir werden trotzdem ein Fernschreiben an alle Polizeidienststellen absetzen. Haben Sie vielleicht zufällig von den Mädchen ein Bild dabei?«

    Wortlos reichte einer der Lehrer dem Beamten zwei Fotos.

    »Wir werden eine Fahndung einleiten. Bereits nach wenigen Minuten hat jede Dienststelle Kenntnis von den beiden Vermissten. Außerdem schalten wir die Kriminalpolizei sofort ein. Wir tun alles, was in unserer Macht steht.«

    Aber an ihren Gesichtern sah der Beamte, dass er ihre Zweifel und Sorgen nicht ausräumen konnte. Nervös und voller Selbstvorwürfe blieben sie zurück, weil sie fühlten, es aber nicht wahrhaben wollten, dass etwas Schreckliches mit den beiden hübschen Schülerinnen geschehen sein musste. Bereits am frühen Nachmittag des 15. März wurden ihre dunklen Ahnungen zur schrecklichen Gewissheit. Die fassungslosen Lehrer erfuhren von Kriminalbeamten, dass Mercedes Puantaro, bestialisch ermordet, aufgefunden worden war. Von Maerte Christiansen fehlte nach wie vor jede Spur. So stand zu befürchten, dass auch sie einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war.

    Am 15. März, gegen 06.30 Uhr, fand der zuständige Revierförster Johannes Kunze im Grunewald, Jagen 85, östlich des Teufelssees, die Leiche einer jungen Frau. Ihre schweren Kopf- und Brustverletzungen ergaben sofort den Verdacht eines Kapitalverbrechens. Eine sofort durchgeführte Obduktion bestätigte den Verdacht der erfahrenen Beamten der Mordkommission, dass der Tod durch Überfahren mit einem Kraftfahrzeug und durch massive Schlagverletzungen auf den Kopf eingetreten war. Das zunächst unbekannte Opfer wies außerdem massive Rippenbrüche und Rupturen von Herz und Leber auf. Die Schädelbrüche waren aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem stumpfkantigen Werkzeug herbeigeführt worden. Das Opfer hatte die Gewaltanwendungen nur um wenige Minuten überlebt.

    Der Tod der jungen Frau gab den Mordspezialisten zunächst Rätsel auf, denn ein Sexualverbrechen lag nicht vor. Was war in den Stunden nach Mitternacht bis zum frühen Morgen Schreckliches geschehen? Fest stand zunächst nur, dass der Tod etwa zwischen 04.00 Uhr und 05.00 Uhr eingetreten war.

    Der Täter hatte sein Opfer allem Anschein nach auf dem unbefestigten alten Schildhornweg überfahren und es dann ca. 30 m in den lichten Hochwald geschleift und es dort einfach liegen lassen. Papiere und andere Gegenstände, die eine Identifizierung ermöglicht hätten, wurden nicht gefunden. Auf dem Weg fand man an einer aufgewühlten Stelle Blutspuren und einige Schmuckstücke der Toten. An dieser Stelle musste der unbekannte Täter das Mädchen mehrfach brutal überrollt haben. Im Tatortbereich konnten auswertbare Reifenspuren der Marke »Michelin« gesichert werden. Mangels individueller Merkmale und der fehlenden Möglichkeit, eine Spurbreite zu ermitteln, schied die Identifizierung eines bestimmten Reifens oder Fahrzeuges von vornherein aus. Auch einige nicht auswertbare Schuheindrücke der Größe 41 bis 43 konnten neben den Schleifspuren gesichert werden. Dem Täter fielen die Handtasche, mehrere Schmuckstücke und Personalpapiere des Opfers, darunter der Reisepass, in die Hände.

    Schon nach wenigen Stunden konnte das unbekannte Opfer durch Beamte der 2. Mordkommission identifiziert werden. Eine Nachfrage bei der Vermisstenstelle hatte ergeben, dass eine junge Frau, auf die die Beschreibung der Toten zutraf, erst kürzlich vermisst gemeldet worden war. Es handelte sich bei der Toten zweifelsfrei um die bolivianische Austauschschülerin Mercedes Puantaro. Durch sofortige Befragung der Schüler und der im »Quasimodo« anwesenden Lehrer erfuhren die Ermittler, dass beide Mädchen wegen eines Pizzakaufs kurz nach Mitternacht den Jazzkeller verlassen hatten. Es ergaben sich sonst jedoch keine tatrelevanten Hinweise. Die Pizzeria über dem Jazzkeller, so ergaben die Ermittlungen, war zu diesem Zeitpunkt längst geschlossen. Also mussten sich die beiden Mädchen zu Fuß in eine unbekannte Richtung, auf der Suche nach einem Imbiss oder einem noch offenen Esslokal, entfernt haben und dabei auf ihren späteren Mörder gestoßen sein.

    Der erfahrene Kommissariatsleiter KHK Klausen vermutete sofort, dass auch das zweite Mädchen nicht mehr am Leben sei. Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass der oder die Täter nur eines der beiden Mädchen zum Grunewald gebracht und dort getötet hatten. Obwohl dem Opfer einige Gegenstände fehlten, hielt er einen Raubmord für unwahrscheinlich. Da musste mehr dahinterstecken, mutmaßte Klausen nicht zu Unrecht. Die spurlos verschwundene Maerte Christiansen musste unter allen Umständen gefunden werden. Da durfte keine Sekunde unnütz vertrödelt werden. So veranlasste er einen sofortigen Großeinsatz der Schutzpolizei zur Absuche der näheren und weiteren Umgebung des Auffindungsortes der Leiche, da nach allen bisher bekannten Umständen damit gerechnet werden musste, dass auch das andere vermisste Mädchen von dem oder den Tätern in diesem unwegsamen Gelände tot zurückgelassen worden war. Es sah nach Regen aus und Eile war geboten, wollte man nicht riskieren, dass unter Umständen wertvolle Spuren verloren gingen.

    Eine Öffentlichkeitsfahndung unter Einbeziehung der Medien wurde sofort eingeleitet und der Sender Freies Berlin gebeten, die Bilder der toten Mercedes Puantaro und der verschwundenen Maerte Christiansen in der Abendschau des Fernsehens auszustrahlen. Die Bewohner der Stadt nahmen regen Anteil am schrecklichen Schicksal der Berlinbesucherinnen, deren Leben auf so grausame Weise enden musste.

    Auf Anordnung des Leiters der Mordinspektion, Kriminaloberrat Mende, wurde die zuständige Mordkommission auf insgesamt 20 Beamte verstärkt. Schon vom ersten Tage an standen die ermittelnden Beamten unter gewaltigem Erfolgsdruck der Medien, die die sofortige Aufklärung des dem Ansehen Berlins schweren Schaden zufügenden Verbrechens forderten.

    Der Großeinsatz im nördlichen Grunewald war am ersten Tag nicht von Erfolg gekrönt und nach Einbruch der Dunkelheit abgebrochen worden, um dann am nächsten Tag mit der Suche erneut zu beginnen.

    Die Ausstrahlung der Bilder führte zu einer Reihe von Hinweisen. Darunter war auch der eines Joggers, der am Mittag im Grunewald, auf einem Waldweg zwischen den Jagen 90 und 117, eine frische Pizza hatte liegen sehen, nicht allzu weit vom Auffindungsort der Leiche entfernt. Weil anzunehmen war, dass die aufgefundene Pizza im Tatzusammenhang mit der Tötung der Mercedes Puantaro stehen könnte, wurden sofort Ermittlungen im Stadtbereich rund um den Bahnhof Zoo eingeleitet, um festzustellen, wo die beiden Mädchen sie gekauft haben könnten. Die Befragungen in den verschiedenen Pizzerien in der näheren Umgebung des »Quasimodo« führten am gleichen Abend zunächst zu keinem Erfolg. Niemand konnte sich an zwei Mädchen erinnern, die in der Nacht zuvor etwas Essbares außer Haus kaufen wollten. Man würde am kommenden Tage die Ermittlungen weiter fortführen. Mit dem Hinweisgeber war verabredet worden, dass er am Morgen des 16. März Beamte der Soko zum Lageort der Pizza führt, damit deren Sicherstellung erfolgen konnte.

    Weit nach Mitternacht saßen dann die Beamten der Soko erschöpft und müde in den Räumen der Mordkommission in der Keithstraße zusammen. KHK Klausen ließ seinen Blick schweifen und stellte mit Befriedigung fest, dass inzwischen alle von ihren einzelnen Aufträgen zurückgekehrt waren. Kurz und knapp berichtete er über den aktuellen Stand der Ermittlungen. Bis auf einige Beamte, die noch für weitere Hinweisaufnahmen benötigt wurden, reduzierte er die Anzahl der Kommissionsmitglieder und schloss mit den Worten:

    »Kollegen, geht jetzt nach Hause und schlaft euch aus, heute früh geht es mit Hochdruck weiter. Wir müssen unbedingt das andere Mädchen finden, auch wenn ich starke Zweifel habe, dass es noch am Leben ist. Wir stehen erheblich unter Erfolgszwang. Die Medien machen unheimlichen Druck und wir befinden uns zum wiederholten Male im Fokus öffentlicher Betrachtung. Die wollen den Täter auf dem Präsentierteller serviert haben und zwar bald. Eher werden die keine Ruhe geben. Und wir werden auch keine Ruhe finden. Also zieht euch warm an und sagt alle privaten Termine in der nächsten Zeit ab. Das wird eine verdammt harte Nuss werden, die wir allesamt zu knacken haben.«

    Als Ruhe eingekehrt war, nahm er sich noch einmal die Akte vor und las sie zum wiederholten Male aufmerksam durch. Dann nahm er den Hinweisordner zur Hand und sah sich die einzelnen Hinweise an. In der kurzen Zeit nach der Ausstrahlung der Opferbilder im Fernsehen waren eine ganze Reihe Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Die meisten von ihnen standen eindeutig nicht im Zusammenhang mit der Tat, aber einige wenige boten Ermittlungsansätze, denen man am Tage noch nachgehen würde. Aber das Wichtigste war, dass ein erster wirklich »heißer« Hinweis darunter war. Das konnte kein Zufall sein, dass eine frische Pizza in der weiteren Umgebung der Leiche entdeckt worden war. Die Mädchen hatten demnach aller Wahrscheinlichkeit nach eine Pizza gekauft und waren dann mit ihren späteren Mördern aus der City in den am Rande der Stadt liegenden Grunewald gefahren. Ja, so könnte es gewesen sein. Jetzt musste man nur noch die Pizzeria finden. Klausen spürte die innere Spannung, die sich in ihm aufbaute und er erwartete schon jetzt voller Ungeduld den kommenden Morgen. Wenn seine Vermutungen wirklich zutreffen würden, dann gab es jede Menge Ansatzpunkte und seine Stimmung stieg schlagartig. Alle in der Kommission gingen ohne Ausnahme zu diesem Zeitpunkt von mindestens zwei Tätern aus. Woher sollten sie auch wissen, dass es sich tatsächlich nur um einen handelte? Was hatte die beiden ortsunkundigen Mädchen nur veranlasst, in ein fremdes Auto einzusteigen, ohne ihren Mitschülern oder den Lehrern Bescheid zu sagen? Just in diesem Moment ging die Tür auf und Oberrat Mende steckte den Kopf ins Zimmer: »Manfred, bist du noch aufnahmefähig? Ich würde gerne noch einmal mit dir über die bisherigen Ermittlungen sprechen.«

    Er sah ihn fragend an. Klausen blickte hoch und nickte zustimmend. Nachdem Mende Platz genommen hatte, sagte er: »Gerade habe ich die letzte Pressekonferenz beendet. Mann, gehen die einem auf den Keks. Immer wieder dieselben Fragen. Haben sie schon einen konkreten Verdacht? Wann ist mit den ersten Festnahmen zu rechnen? Und so weiter und so fort. Dabei haben wir gerade erst angefangen.«

    Er griff sich etwas theatralisch an die Stirn und stieß die Luft aus. »Hast du schon die ganzen Fernschreiben abgesetzt?«, fragte er, um einen Anfang zu finden.

    »Aber natürlich«, erwiderte Klausen leicht genervt. Die Benachrichtigungen des Bundeskriminalamtes, der einzelnen Landeskriminalämter und des Bundesgrenzschutzes im Rahmen des kriminalpolizeilichen Meldedienstes waren längst erfolgt und die dortigen Fachdienststellen um Mitfahndung ersucht worden. Das gehörte zu den ersten Routinemaßnahmen in einem solchen Fall. Er blickte in das zufriedene Gesicht seines Vorgesetzten. Ohne sich lange weiter mit der Vorrede aufzuhalten, fasste er noch einmal das bisherige Ermittlungsergebnis zusammen, entwickelte Mende gegenüber seine Mordtheorie und gab einen Ausblick auf die geplanten weiteren Ermittlungen des kommenden Tages. Mende hörte konzentriert zu und unterbrach ihn nicht, obwohl er das meiste schon kannte. Dann nickte er zustimmend.

    »Du hast recht. Die Sache mit der Pizza ist wirklich interessant. Wenn wir das Lokal finden und die Mädels tatsächlich dort diese Pizza gekauft haben, sind wir einen gewaltigen Schritt vorangekommen.«

    Neben der Pizza im Wald wurde ein Pappteller und zum Abdecken der »außer Haus« verkauften Pizza »Silberpapier« gefunden. Die Gegenstände wurden vom Erkennungsdienst sofort auf auswertbare Spuren untersucht. Ein erster Erfolg zeichnete sich ab. Vier brauchbare Fingerspuren konnten gesichert werden, die allerdings weder von Mercedes noch von Maerte stammten. Auch die Ermittlungen hinsichtlich der Pizzeria waren von Erfolg gekrönt. Beamte der Soko legten den Angestellten der Pizzeria »La Bohème« in der Lietzenburger Straße die Fahndungsbilder der beiden Mädchen vor. Die dort tätige Serviererin Manuela Brieske erkannte sie sofort wieder. Demnach hatten die beiden am 15. März etwa gegen 00.30 Uhr das Restaurant betreten und die Pizza gekauft. Die Befragung war mehr als enttäuschend. Die beiden jungen Norwegerinnen waren allein und ohne Begleitung, hielten sich nur an der Theke auf und hatten zu keinem anderen erkennbaren Kontakt. Sofort nach Erhalt der Pizza verließen sie das Restaurant. Sie schienen ausgeglichen und guter Dinge zu sein. Nichts deutete zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass sie unter irgendwelchem Druck standen oder unfreiwillig in das Restaurant gekommen waren.

    Drei der vier Fingerabdrücke stammten von der Serviererin Brieske, die die Pizza eingepackt und übergeben hatte. Der vierte Abdruck stammte von einem ägyptischen Koch, der unangemeldet dort arbeitete.

    Manuela Brieske spielte in diesem schrecklichen Mordfall eine recht dubiose Rolle. Unmittelbar nach den beiden Mädchen betrat ein Gast die Pizzeria, den sie privat näher kannte. Er blieb die ganze Zeit im Hintergrund, stand in der Nähe der Toiletten, nahm aber keinerlei Kontakt zu den Mädchen auf. Auch die Tatsache, dass der junge Mann unmittelbar nach den beiden sofort das Lokal verlassen hatte, veranlasste sie nicht, diesen an sich verdächtigen Umstand den Kriminalbeamten mitzuteilen. Das war eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, wie sich rund zwei Jahre später herausstellte, denn bei dem Bekannten handelte es sich um den Mörder, der in seiner Vernehmung diese Situation ausführlich schilderte. Inwieweit Manuela Brieske absichtlich geschwiegen und den Mörder gedeckt oder ob sie einfach keine Verbindung zwischen ihm und den beiden Mädchen gesehen hatte, ließ sich später nicht mehr mit letzter Sicherheit klären.

    Da die Pizzeria der letzte Ort war, wo die beiden Mädchen lebend gesehen worden waren und sich in diesem Teil der Lietzenburger Straße das Dirnenmilieu befindet, wurden intensive Ermittlungen auch in diese Richtung geführt. Mehr als 50 Personen, darunter Inhaber von Lokalen, deren Angestellte und Gäste sowie eine Vielzahl von Dirnen, wurden zum Teil mehrfach befragt, ohne dass sich irgendwelche Verdachtsmomente gegen eine bestimmte Person aus diesem Milieu ergaben.

    Auch die Resonanz der Bewohner aus dem Bereich der Lietzenburger Straße und der Umgebung des »Quasimodo« auf eine großangelegte Flugblattaktion, in dem die Kriminalpolizei um Mithilfe bei der Aufklärung dieses brutalen Verbrechens bat, war sehr enttäuschend. Klausen und die Mitglieder der Soko waren ziemlich frustriert, weil sie sich alle mehr oder weniger konkrete Hinweise versprochen hatten, mit deren Hilfe man die Ermittlungen nach den Tätern vorantreiben konnte. Es war zum Verrücktwerden. Nicht ein einziger Hinweis auf verdächtige Wahrnehmungen ging ein. Die Mädchen schienen sich nach Verlassen der Pizzeria buchstäblich in Luft aufgelöst zu haben.

    Die bereits in den frühen Morgenstunden mit großem Personalaufwand wieder aufgenommene systematische Absuche des nördlichen Grunewaldbereiches nach dem zweiten Mädchen war ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. Sämtliche am Fundort der Leiche der Mercedes Puantaro gesicherten Spuren waren bereits zur Auswertung bei der polizeitechnischen Untersuchungsstelle .(PTU). Ergebnisse lagen von dort aber noch nicht vor. Die Ermittlungen wurden auf Lokale und Imbissstände ausgedehnt, die an den Straßen lagen, die in den Grunewald führten, um gegebenenfalls Hinweise auf verdächtige Umstände zu erhalten. Die Taxi-Innung wurde eingeschaltet. Möglicherweise hatte irgendein Taxifahrer in der relevanten Zeit vor oder in der Nähe des »La Bohème« verdächtige Wahrnehmungen gemacht. Der oder die Täter konnten auch mit einem gestohlenen Auto die Mädchen in den Grunewald gefahren haben oder sie hatten einen Mietwagen benutzt. Alles war möglich. Durch Fernschreiben wurden die Polizeidienststellen aufgefordert, alle infrage kommenden Fahrzeuge bei Auffindung einer gründlichen Spurensuche zu unterziehen, wobei insbesondere auf Blutanhaftungen und Stoffreste sowie auf Teile der persönlichen Habe der Opfer geachtet werden sollte. Durchschriften aller Auffindungsberichte sollten der Soko übersandt und dort noch einmal eingehend geprüft werden.

    Die Antworten des BKA und der Landeskriminalämter fielen gleichermaßen enttäuschend aus. Es war bisher

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