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Maier im Kaukasus: Bayerns Aufstieg zur Ölmacht
Maier im Kaukasus: Bayerns Aufstieg zur Ölmacht
Maier im Kaukasus: Bayerns Aufstieg zur Ölmacht
eBook1.006 Seiten12 Stunden

Maier im Kaukasus: Bayerns Aufstieg zur Ölmacht

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Über dieses E-Book

Baku, Tiflis, Aschgabat, Eriwan: Da haben sie sich was vorgenommen, die Männer um CSU-Mann Stahl. Dass sie da runterfahren, in den Kaukasus, um die Welt zu retten, wäre glatt gelogen. Sie wollen, genau wie die Russen, Chinesen und Briten, schnell ran ans Öl, und ans Erdgas: An den gewaltigen Fund vom Freitag. Dass sie miteinander nicht können, wie Streithammel Kleingarten und Dr. Schönleben, Vereinsmeier gegen DAX-Vorstand, macht die Sache zwar amüsant, aber nicht einfacher für Stahl, ihren strengen Anführer, der leider schon ziemlich nachlässt. Zu ihnen stößt Kara, die sehr attraktive Journalistin, in die sich Dolmetscher Maier sofort verknallt. Doch ist sie auf deren Seite oder spioniert sie hemmungslos für die Regierung in Baku, Aschgabat oder Moskau? Das kann eigentlich alles nicht gutgehen.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum22. Okt. 2015
ISBN9783737569729
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    Buchvorschau

    Maier im Kaukasus - Holger Kraatz

    1. Aufbruch nach Georgien

    1

    Bevor Maier an die Südgrenze Russlands geschickt wird, muss er einen Abstecher nach Brüssel machen, ins Basislager, wo er seit einem Monat seinen Mann stehen muss. Sein Arbeitsplatz befindet sich in der bayrischen Botschaft - das heißt, in der Vertretung des Freistaates Bayern bei der EU, so ihr offizieller Name.

    Maier ist Dolmetscher, und muss in Sekundenbruchteilen wissen, worum es geht und worauf ein Gespräch hinausläuft.

    Er kann es, weil er die Sprachenwelt liebt, was sehr wertvoll für seinen Arbeitgeber ist. Aber nur, wenn er sich dabei an die Richtlinien hält, was ihm einiges abverlangt. Denn seine zweite Welt ist eine sportliche, in der die Protagonisten doch eher zusammenarbeiten und sich während eines Radrennens keine Luftpumpen in die Speichen rammen. Und genau deshalb muss er manchmal über seine Kompetenzen hinausgehen, denkt er, und halt nicht ganz so übersetzen, wie es gemeint war.

    Genauso geschah es dann auf seinem ersten Auslandseinsatz vor 3 Wochen in Warschau, doch es kam raus, was ihn fast den Job gekostet hätte. Stahl, sein Chef, hat ihn darauf ins Achtung gestellt, vor allen anderen. Das sollte Maier eine Lehre sein.

    Seine berufliche Laufbahn startete direkt nach dem Masterstudium, in einer der Legebatterien über dem Saal des Brüsseler Europaparlaments, wo zwar weniger Plenarsitzungen als im offiziellen Europaparlament in Straßburg stattfinden, dort jedoch die wichtigen Ausschuss- und Fraktionssitzungen mit Nähe zur Kommission, zum Ministerrat, zum Austragungsort des EU-Gipfels, und seit erstem Dezember zu den Hauptbüros des EU-Ratspräsidenten und der EU-Außenministerin.

    Die Arbeit in der Zentrale kostete viel Kraft und war viel zu schlecht bezahlt - Simultanübersetzungen in komplexen Fachbereichen, kaum Einarbeitungszeiten, Fließbandarbeit verbunden mit ungeheurer Konzentrationsfähigkeit über Stunden hinweg wurden da von ihm abgefordert, dazu die vielen langweiligen Diskussionen, die die emotional Aufgeladenen um ein Vielfaches übertrafen, kurzum: Es war eine harte Schule, 5 Jahre lang.

    Aber er hat diese Zeit bestanden, ja überstanden - und viel gelernt über die Menschen. Reden wurden geführt von Politikern, deren unterschiedliche nationale Denkmuster die Kritik am Verhalten anderer nicht nur bunter machten, sondern, leider, wieder auch alte Ressentiments untereinander zuließen. Scheinbar längst überwunden sorgten diese von so manchem, vor allem nach Ausbruch der Finanzkrise, als wiederkehrender Tinnitus für einen häßlichen Grundton unter Franzosen, Briten, Griechen, Deutschen, ... da boten sich mit den Russen und Ukrainern auch mal andere Probleme, was zynisch gesagt, für eine willkommene Abwechslung sorgte. Und er durfte dafür mehrmals im Jahr nach Straßburg reisen, zu den Sitzungen des Europarats.

    Diese Ausflüge waren es auch, die seine Neugier auf die ehemalige Sowjetunion darauf, wie die einzelnen Staaten generell zum Westen stünden und wie sie heute konkret Handel und Wirtschaft mit der EU trieben, beflügelten. Und genau dieses Bedürfnis, seine heimliche Liebe, kann er nun hautnah ausleben. Seit genau einem Monat begleitet er bayrische Delegationen aus Industrie und Politik in den Osten - das vielleicht letzte bezahlte Abenteuer eines bayrischen Beamten.

    2

    Es beginnt am Montag, den 6. September 2010, im Münchener Hauptbahnhof. Die Uhren zeigen 7 Uhr 23 und Maier springt in die letzte Türe seines ICE, die bereits zu piepen beginnt. Ihm ist heiß geworden nach dem Sprint von der U2 zu Gleis 14, das ging beinahe schief. Und wäre die Katastrophe gewesen. Die Konferenz in Brüssel heute Nachmittag ist hochkarätig, mit bayrischem Wirtschaftminister und einem Vorstandsvorsitzenden, und seinem Chef natürlich.

    Noch aus der Puste werden ihm gleich alle auf seine rote Birne starren, und das ausgerechnet in diesem Abteil, in der ersten Klasse, wo so viele Schnösel sitzen, doch da muss er jetzt durch. Sein Herzschlag ist gleich wieder bei 60, doch die Adern an der Schläfe brauchen immer ein bisschen länger. Sie sehen gefährlich aus - als platzten sie gleich wie Weißwürste, wo man wieder mal nicht aufgepasst hat, weil Telefon oder Tür oder noch schnell Bier aus dem Keller holen. Oder aus lauter Ungeduld, weil die Dinger einfach nicht richtig warm werden und alle schon warten: Am Schluss nochmal zu hoch aufgedreht, wieder alles falschgemacht.

    Drei Türen weiter erreicht Maier endlich sein Abteil, vier Stunden später Köln, wo er umsteigen muss - der Zug rollt schon über die Rheinbrücke. Maier geht es gut, er genießt die Aussicht auf den Dom, wenigstens kurz, denn nur knapp zwei Stunden später wird er bereits in Brüssel sein. Die Unterlagen, die ihm das Sekretariat gestern noch durchgefaxt hatte, hat er so gut wie durch, und bis auf den Jahrhundertfund in Turkmenistan war, wie er denkt, wenig Neues.

    War wenig Neues.

    15 Uhr 2, Ankuft im Gare Centrale - Centraal Station, es regnet in Brüssel. Maier hat noch Zeit bis drei Viertel vier und geht zu Fuß, die 30 Minuten an der frischen Luft werden seinen Kopf freimachen. Parc Leopold - Leopold Park, da muss er hin, zum Regierungsviertel der EU. Auf dem Weg dahin kommt er vorbei am Palast der schönen Künste, dann weiter durch den Parc de Bruxelles, an dessen Rand der Königspalast steht, gleich daneben der Palast der Akademien, danach Richtung Osten die Rue Belliard - Belliard Straat entlang, wieder eine großzügige helle Strasse.

    Wie lange das noch gut geht hier?

    Maier will nicht auf den häufigen Niederschlag hinaus. Es sind ja eigentlich zwei Staaten, weshalb fast alles doppelt und zweisprachig ausgewiesen wird. Im Norden leben die Flamen, deren Sprache quasi niederländisch ist, im Süden die zum Großteil französischsprachigen Wallonen. Wallonien ist heute die wirtschaftlich schwächere Region, da sie sich zu lange auf ihrer Kohle- und Eisenindustrie ausgeruht hatte - nicht wenige im Norden hätten wohl wenig dagegen, alleine weiterzumachen. Deren eigene Kultur, Sprache und wirtschaftliche Eigenständigkeit tragen nicht dazu bei, die Bereitschaft für Transferzahlungen gen Süden zu erhöhen.

    Getrennte Wege gehen, wie einst die Tschechei und die Slowakei, ist als Notlösung immer im Raum, nur wer kriegt dann den König? Und wer die Nationalelf? Und wer die Hauptstadt? Und wem von beiden soll sich der kleine Streifen Land im Osten des Landes anschließen, wo deutsch gesprochen wird?

    Maier muss einen Schritt zulegen, es ist schon halb vier durch. Nach einigen Blöcken moderner Bürogebäude biegt er rechts hinein in die Rue Wiertz - Wiertz Straat. Einen Bau aus Stahl und Glas weiter ist er auch schon da, und er staunt.

    Nur schlichtes Messing: 'Vertretung des Freistaates Bayern bei der EU, Rue Wiertz 77'.

    Doch dahinter, fast versteckt hinter viel Grün und einigen Bäumen, da ist sie: Die bayrische Zentrale in Brüssel, ein richtiges kleines Schloss. Es sieht zwar noch ziemlich neu aus, weil insgesamt zu gut renoviert, aber trotzdem sehr schmuck - vor allem inmitten all der Glas- und Stahlpaläste im Quartier Léopold - Léopoldswijk.

    Maier klingelt und sieht sich immer noch beeindruckt im Viertel um: Das versteckte Juwel grenzt tatsächlich an den Paul-Henri Spaak Bau, das Gebäude des Europaparlaments.

    Unglaublich, dass es das Nachbargrundstück ist.

    2000 Quadratmeter Bayern mittendrin. Von dort zu Fuß zu den Sitzungen schlendern, ist gelebter Luxus der Gemütlichkeit, und ein Luxus der Präsenz - schier unbezahlbar, im Innenkreis zu sein. Wie das damals wohl gelaufen ist, die Sache mit dem Grundstückskauf?

    Der Pförtner braucht heut' wieder.

    Einen Wachhund hat er hier noch nie gesehen, dafür einen kleinen steinernen Löwen auf einem Sockel, gleich neben der Einfahrt, der, aufgerichtet, mit seiner rechten Tatze lässig auf dem Staatswappen lehnend und - wie es scheint - ein sehr zufriedenes Dasein führend, sich nicht über zu viel Arbeit beschweren kann, genau wie der Pförtner.

    Als ob er es gehört hätte, geht es auf, das Tor, und er kann passieren - vorbei an den vier Fahnenmasten, die in einem Karree links der Auffahrt aufgestellt sind. Weil es keine Zufälle gibt, erscheint dem Besucher die bayrische Flagge zuerst, links daneben die Deutsche, und hinter der Bayrischen entlang der Auffahrt die Europäische, und wieder links daneben die Belgische. Vor dem Gebäude parken einige BMWs und Audis - entweder Dienstwagen oder Patriotismus. Maier geht die Stufen hinauf durchs Portal, wo ihn der Portier mit einem herzlichen 'Grüß Gott, hamm's a scheene Anreis ghabt, Herr Maier?' empfängt.

    - Freili, merci. Bin des letzte Stück'l z'Fuaß ganga. Und bei Eana? Pass'd ois?

    - Ja, dankschee da Nachfrog, lacht er zufrieden, und weiter-

    - Hamm's Glück ghabt, I glab, es wead boid wos gebn.

    Er zeigt auf den Himmel, der immer grauenhafter wird, und immer dichter an dunklen Stellen. Schnell größer werden die rußfarbenen Flecken, die über sie hinweg ziehen wie eine fliegende Horde Milka-Kühe in einem Schwarz-Weiß Fernseher. Doch die erste Donnerwolke nähert sich ihnen nicht von oben.

    - Da sind sie ja, Herr Maier. Es wird Zeit! Sie mit Ihrer Flugangst. Ich hoffe, Sie haben die sehr lange Zeit im Zug wenigstens genutzt und sich meine Unterlagen durchgesehen!

    - Das ist ja eine freundliche Begrüßung, Herr Stahl.

    So ist er, sein Chef - Leiter der bayrischen Botschaft. Immer sachlich, und, für Maier das Schlimmste: Mit ihm kann er keinen Spaß machen, es ist immer irgendwie gezwungen. Sein preußisches Blut, seine harte Erziehung und nicht zuletzt seine Unfähigkeit, sich zu ändern, oder zu denken, es nicht zu dürfen, zeichnen dafür verantwortlich. Er ein Opfer der damaligen Zeit? Nein, so sieht er sich nicht - es war halt einfach so: Sehr früh hat er Verantwortung übernehmen müssen und wollte seinem Vater nach dessen Kriegserlebnissen ein pflegeleichter Sohn sein, ihn stützend und dabei auf seine eigene Kindheit verzichtend.

    Diesem hat er eine weitere Eigenschaft zu verdanken - seinen unbedingten Willen zu überleben. Kurz vor Kriegsende hatte der Vater der Ostfront Lebewohl gesagt und war zunächst vor der eigenen, dann vor roten Armee geflohen, quer durch Deutschland nach Bayern, um sich lieber den Amerikanern zu ergeben. Ein sehr heikles Unterfangen war das, die Flucht lebensgefährlich, denn es gab überall Standgerichte und Erschießungskommandos für Deserteure, und er musste ja desertieren - er konnte ja nicht als Soldat so einfach durchs Land reisen, alle vier Stunden irgendwo klingeln und sagen 'Wie geht's? Habt's an Kaffee? Und a bisserl Wurst?'.

    Marschbefehle waren so gut wie unfälschbar und zu leicht überprüfbar, er musste sich also als Zivilist durchschlagen, unrasiert und ungepflegt, als alternder Landstreicher, was dem Ausgemergelten in den Lumpen, die er trug, sogar tagsüber abgenommen wurde. Trotzdem machte er das Meiste nachts und viel zu Fuß, nie im Zug, und leicht humpelnd. Eine Peter Verwandler Alexander - reife Leistung muss das gewesen sein, und ihm die Gefangennahme durch die Amerikaner in Pegnitz/Oberpfalz wie eine Erlösung.

    Schon bald nach dem Krieg wurde er wieder freigelassen, ging nach München und verliebte sich in eine waschechte Einheimische, die es damals noch zahlreich gab. Sie heirateten einander und stemmten gemeinsam ihren Neuanfang, nachdem sie beide alles verloren hatten. Er durch die Flucht, und ihre Familie durch den vorletzten Bombenangriff - beide Mietshäuser und die Metzgerei in Neuhausen waren explodiert.

    Zwei Jahre später kam dann Maiers Chef auf die Welt, und als Erstgeborener fühlte er noch mehr Verantwortung, als ihm lieb war - für seine beiden Geschwister. Nach der Schule durften alle drei studieren, damals alles andere als selbstverständlich, und nur möglich durch die ungeheure Kraft und den starken Willen der Eltern, die die drei bereits in der Schule forderten und immer unterstützten. Als dann '68 kam, war Stahl nicht in Schwabing beim Demonstrieren im Café oder zugekifft in der Kommune, sondern bastelte an seiner Karriere und trat in die regierende Partei Bayerns ein.

    Maiers Kollege Brunner hatte ihm das von Stahls Herkunft gesteckt, mit der Bemerkung, ihn habe es gewundert, dass er, der Alte, selber davon angefangen hätte, von seinem Vater zu erzählen. Daran hält sich Maier seitdem fest - als Lichtblick, dass sich die verkrampften ersten vier Wochen nicht bis zu dessen Pensionierung durchziehen und er vielleicht noch heuer ganz normal mit ihm reden können wird.

    Was er außerdem von Brunner weiß, ist, dass Stahl vor seinem jetzigen Posten der Vorsitzende des Ausschusses der Regionen in Wirtschaft und Verkehr hier in Brüssel war - ein sehr mächtiger Ausschuss, in dem es um sehr sehr viel Geld geht, keine 500 Meter entfernt vom bayrischen Schloss. Wie er zu diesem Posten kam, das will Maier noch herausfinden - auch, um ihn besser zu verstehen.

    Was bei Stahl nicht verstanden werden muss, sondern Gesetz, ist seine Autorität, ja, sein autoritärer Führungsstil, surprise, surprise. Sein Auftreten wirkt durch das Weglassen von Gestiken und seinen strammen Gang stets kühl und berechnend, und reiht sich nahtlos seinem Sprachstil an, der seit Jahrzehnten, ja seit er sprechen kann, erfolgreich seine Geringschätzung für Adjektive und Ausschmückungen zum Ausdruck oder gerade nicht dazu bringt.

    In die Ecke 'Oberlehrer' kann man ihn aber nicht drängen, zu sympathisch und onkelhaft kommt seine Stimme daher, sehr klar und tief, ähnlich der vom 'Siebten Sinn' - man glaubt ihm einfach, fährt langsamer, und gemeiner noch für seine Diskussionsgegner: Das, was er von sich gibt, ist so gut wie immer sehr überlegt, hat Hand und Fuß. Er verkörpert also die Rolle des Vaters, des Felsens, eines Souveräns, so souverän, dass er bei den meisten seiner Mitmenschen einen starken ersten Eindruck hinterlässt, was gerade in Verhandlungen, von denen schwere auf die Bayern zukommen werden, außerordentlich hilfreich sein wird.

    Ja, sein Chef, Jakob J. Stahl, 62, scheint nach dieser Beschreibung ein Jemand zu sein, bei dem man sehr früh aufstehen muss. Und es kommt noch dicker: Er ist nicht nur diszipliniert im Vermeiden von Adjektiven und spielt Tag und Nacht moralische Instanz, nein. Er kann auch Bazi und Schlitzohr - vererbt von seiner Mutter, die sich nie was g'schissn und einfach g'macht hat, die eine unglaublich starke Frau war.

    Stahl also ein Amigo? Nein! So weit wollen wir nicht gehen, das ist er nicht, aber wenn es der Sache dient, sprich dem Land, dann ist ein Kuhhandel schon mal drin, und sogar oft unvermeidbar, wo es doch alle so machen.

    Maier hält sehr viel von seinen Chef, und er weiß, er muss eine Menge auf dem Kasten haben, sonst wäre er jetzt nicht da, wo er ist. Die Bayern loben keinen nach Brüssel weg wie manchen Segelbootliebhaber, hier muss repräsentiert werden. Kein leichter Job, aber wahnsinnig interessant, und Maier ist ab jetzt dabei. Dankbar ist er, dass sich dieses Tor für ihn geöffnet, und heilfroh, dass die Tür des ICE dieses Tor nicht jäh wieder verschlossen hat.

    Er will hier sein Bestes geben.

    3

    - Wir können gleich loslegen - in Ihrem Büro?

    - Ja, kommen Sie. Ich will Sie gründlich einweisen, bevor es losgeht.

    Er biegt vor ihm rechts ab, in den langen Korridor, ausgeschmückt mit Bildern von Bayerns ehemaligen Ministerpräsidenten, alle CSU, bis auf einen, Wilhelm Hoegner, SPD. Der Ausreißer wurde im Herbst 1945 von den Amerikanern ernannt und war dann nochmal im Amt für 3 Jahre von '54 bis '57 mit einer Koalition aus 4 Parteien ohne CSU.

    Vorbei also an Fritz Schäffer (die ersten 4 Nachkriegsmonate), Wilhelm Hoegner, Hans Ehard (insgesamt 10 Jahre), Hanns Seidel (mehr als 2 Jahre), Alfons Goppel (16 Jahre), Franz Josef Strauß (10 Jahre), Max Amigo Streibl (fast 5 Jahre), Edmund Äh Stoiber (gute 14 Jahre) und Günther Beckstein (ein Jahr). Ob dessen Nagel im Herbst '08 bereits nach der ersten Hochrechnung in die Wand geschlagen wurde? Auch Erhard und Adenauer tauchen jetzt auf, Schwesterpartei.  Stahl schließt seine Tür auf.

    - Schießen Sie los, Herr Maier. Ich will sichergehen, dass Sie alles verstanden haben.

    Ich hab' meinen Turnbeutel nicht vergessen.

    Maier schießt noch auf dem Weg zum Schreibtisch los-

    - Herr Stahl, aus Ihren Unterlagen geht hervor, dass wir unsere bayrischen Interessen im Kaukasus und Zentralasien enorm ausweiten könnten. Es geht dabei um die Versorgungssicherheit unseres Landes mit Öl und Erdgas, um langfristige Lieferverträge und mögliche Pipelinebauten durch den Kaukasus mit unserer Beteiligung, was uns zum einen einen Großauftrag bescheren, zum anderen endlich weniger abhängig von Russland machen würde.

    Nachdem sich Maier gesetzt hat, wartet er einen Moment, bis Stahl das Zeichen gibt, er solle bitte fortfahren, und fährt dann fort-

    - Folgende zwei Umstände haben uns diese Chance eröffnet:

    Unweit der Küste Turkmenistans wurde vor 3 Tagen ein gewaltiges Öl- und Erdgasvorkommen entdeckt: Die Bohrungen lassen vermuten, dass es zu den größten der Welt gehören könnte, doch die Größe allein lässt uns nicht automatisch zu einem Mitspieler werden. Wir haben leider nur sehr wenig Erfahrung und Kontakte in dieser weit entfernten Region, und die anderen sind schon seit Jahren vor Ort, maßgeblich Großbritannien, Norwegen und die USA mit ihren großen Ölgesellschaften, neben Frankreich, Italien und Japan.

    Dann China: Seit Dezember strömt turkmenisches Erdgas nach Osten, die Auslastung ist am Anschlag, und eine zweite Leitung mit Einspeisung aus dem neuen Fund wäre mehr als willkommen, genau wie das Öl: Eine, gar zwei Ölleitungen entlang der Erdgastrasse nach China sind leicht vorstellbar, und auch Indien wird sich diesmal durchsetzen wollen.

    Schließlich Kasachstan und Iran, die allein durch ihre geographische Nähe enormen Einfluss ausüben und natürlich auch ins Geschäft kommen wollen, als Nachbarn quasi. Iran bietet sich wie immer als Transitland an, mit der kürzesten Strecke zu einem Weltmeer, dem Persischen Golf, oder dem Golf von Oman, während die Kasachen betonen werden, für Turkmenistan immer noch das wichtigste Transitland zum bisherigen Hauptabnehmer Russland zu sein.

    Maier steht unter Feuer, was er unbedingt verborgen halten will, doch irgendwo muss es raus, muss sie hin, die Energie. Der Überdruck entlädt sich gegen die Oberschenkel, die er ähnlich fest mit seinen Händen umklammert wie ein Flipperspieler kurz vor dem Rauswurf wegen Sachbeschädigung.

    - An Wettbewerb mangelt es in dieser Region also kaum, doch das Unangenehmste kommt noch: Zu allem Überfluss haben unsere 'Brüder' in Berlin, ich meine die Beon AG, in Kooperation mit der russischen PromGaz die Quellen dort ja überhaupt erst entdeckt. Ein extrem starkes Bündnis ist das, und hinzu kommt, dass PromGaz, eigentlich ein Erdgasproduzent, sich als mächtiger Staatskonzern nicht mit Öl-Oligarchen herumärgern muss - sie kaufen das Know-How für die Erschließung der Ölquelle einfach dazu und schaffen an. Beon und PromGaz sind hier klar im Vorteil - sie werden uns kaum die Hand reichen und uns vom Kuchen abgeben wollen. Wenn sie den Segen Aschgabats einmal haben, wird alles Öl und Erdgas über Russland nach Europa fließen und somit Russlands Rolle als Supermakler zementieren.

    Wenn Maier weiter so Gas gibt, wird er bald in Unterzucker kommen.

    - Kurzum, die schiere Größe der turkmenischen Quellen hilft uns nicht weiter.

    Der zweite Umstand ist aber, und da liegt unsere große Chance: Die Amerikaner bitten uns um Hilfe, für sie einzuspringen. Die Amerikaner! Und das ausgerechnet im Ölgeschäft! Freiwillig fragen sie uns aber nicht.

    Schuld daran hat die drohende Zahlungsunfähigkeit der in Boston ansässigen Centrifugge, die ein Mitglied jenes Öl-Konsortiums im Kaukasus ist, das seit mittlerweile vier Jahren das Öl vor Aserbaidschans Küsten aus dem Boden holt und durch die größte Pipeline dieser Region pumpt, von Baku über Georgien bis ans türkische Mittelmeer. Von dort geht es weiter mit dem Schiff nach Europa, in die USA und nach Japan.

    Centrifugge muss schnell zu Geld kommen und ist gezwungen, ihr Tafelsilber zu verkaufen, um nicht in die Insolvenz zu rutschen. Eine Mitgliedschaft in diesem Öl-Konsortium Kaukasus, dem ÖKK, wäre für uns wie ein Sprungbrett nach Turkmenistan, ja nach ganz Zentralasien.

    Stahls Dolmetscher hält kurz inne, schnauft durch und lässt seine Oberschenkel los.

    - Doch selbst ohne Sprung ins turkmenische Rohstoffparadies würde sich die Investition bereits lohnen - die Kosten für Centrifugges Anteile würden sich mittel- bis langfristig amortisieren, denn das Öl aus Baku wird noch einige Jahre fließen.

    Centrifugges 20 Prozent am ÖKK stehen also zum Verkauf - und sie würden am liebsten an die bayrische Ahorn AG und den Freistaat verkaufen, zu je 4 Milliarden Dollar. Ich sage am liebsten, weil die Ahorn AG über das notwendige Kapital verfügt und mindestens ein Fünftel der Anteile sofort auf den Tisch legen könnte. Und der Freistaat ist trotz Alpe Adria Abenteuer noch kreditwürdig - er könnte seinen Anteil von 4 Milliarden ohne weiteres über Anleihen finanzieren.

    Jetzt wär' ein Snickers gut.

    - Unsere Liquidität ist ein großer Vorteil, aber:

    Erstens muss beim Verkauf von Anteilen dieser Größenordnung das ÖKK mehrheitlich zustimmen, doch das wäre nicht das Hauptproblem: Die vier großen Parteien Großbritannien, Norwegen, Aserbaidschan und die Türkei wären mehr als bereit, selber einzuspringen und Centrifugges Anteil unter sich aufzuteilen, um mehr zu verdienen, ihren Einfluss auszubauen und Fördermengen noch stärker kontrollieren zu können.

    Und zweitens haben die schlauen Georgier noch eine Klausel eingebaut, nämlich ein Vetorecht für den Fall, dass der Pipelinebetreiber in ihrem Land wechseln sollte, in diesem Fall also Centrifugge.

    Ohne amerikanische 'Überzeugungsarbeit' wird beides nicht zu schaffen sein.

    Maier greift zur Wasserflasche und bietet Stahl an, ihm nachzuschenken, der aber dankend ablehnt. Unser Held fährt noch während des Einschenkens fort mit einer Frage, die er gleich selber beantwortet.

    - Doch warum ist die Ahorn AG den Amerikanern am liebsten? Ausgerechnet ein ausländisches Unternehmen und nicht eines aus ihrer Heimat?

    Sie scheinen keine Wahl zu haben, denn die beiden anderen Big Player Xon Mobile und Chevy sind verhindert. Xon Mobile, weil sie weder Ressourcen noch Kapital frei haben - alles ist in Saudi Arabien, den Vereinten Arabischen Emiraten, in Alaska und im Irak gebunden. Sie hatten enorm investiert, als die Preise im Sommer 2008 explodiert sind, und die sind heute noch lange nicht da, wo sie schon einmal waren. Doch sie können nicht von heute auf morgen ihr Kapital von dort abziehen, das geht nicht so schnell. Und Öl ist sowieso schon wieder am Steigen, ihre Cash Cows werden schon wieder ordentlich Milch geben.

    Der zweite Player, Chevy, dessen Mehrheitseigner der amerikanische Staat ist, ändert seine Strategie. Sie suchen mit Hochdruck nach neuen Quellen, die nicht so schwierig erreichbar und politisch brisant sind. Die eben nicht unbedingt in Zentralasien und am Persischen Golf liegen, wo sie schon lange nicht mehr oder eigentlich noch nie mit offenen Armen empfangen wurden. Es passiert gerade eine Bewegung weg vom Orient, quasi eine Um-Orientierung.

    Maier wartet kurz, aber, wie zu erwarten, ignoriert sein Chef dieses Wortspiel, sitzt weiter oberlehrerhaft da.

    - Buchstäblich viel näher liegen für sie neue Bohrungen in ihrer eigenen Heimat, und auch bald wieder vor der Küste Floridas. Oder kanadischer Ölsand, dessen Gewinnung bei hohen Preisen rentabel wird - die Vorkommen dort sind gigantisch. Und dann das beginnende Fracking im großen Stil, beim Erdgas.

    Noch was pikantes, und wichtiges zum Erdgas aus Baku: Das wird im Augenblick, genau wie das Öl des ÖKK, von Baku über Georgien in die Türkei geleitet, entlang derselben Trasse! Jedoch gibt es für's Erdgasgeschäft ein eigenes Konsortium, mit fast identischer Besetzung wie im ÖKK, nur dass anstelle der USA die Russen und die Iraner mitbeteiligt sind. Die westlichen Mitglieder von ÖKK und Erdgas-Konsortium müssen sich also auch noch intern durchsetzen gegen Russland und den Iran, damit die turkmenischen Bodenschätze dann auch wirklich in Richtung Westen gehen. 

    Beide Konsortien werden auch neue Leitungen bauen müssen: Denn weder die bestehende Öl-, noch die Erdgasleitung würde von ihren Durchmessern her für den großen Fund aus Turkmenistan ausreichen. Sogar zwei neue Röhren für Öl, und zwei für Erdgas müssten gebaut werden.

    Maier macht nochmal eine Pause, und nur der einsetzende Regen ist zu hören, der immer lauter wird. Es platzt aus den Bäuchen der Milkakühe heraus wie kleine Aliens, die wenig später gegen die Fenster prallen. Der Aufschlag der Tierchen hallt blechern durch den großen Raum, in die große Leere hinein - schuld sind die Bodenfliesen und die spartanische Möblierung, die sich Stahl genau so gewünscht hatte. Keine Vorhänge, kein Teppich, nicht einmal die Stühle sind bepolstert, nichts. Und keine Adjektive. Draußen auf dem Korridor ist jetzt auch Funkstille, es ist 16.35. Schon Feierabend bei den Kollegen?

    - Machen Sie ruhig weiter.

    Wer weist hier eigentlich wen ein?

    - Auch wenn unsere Ausgangslage nicht die beste ist, so ist es doch eine große Chance für Bayern, mitzustreiten im großen Gerangel um die Bodenschätze dieser Region. Mitzustreiten im großen Spiel.

    Er muss grinsen, denn Bayern ist bisher fast immer gescheitert, wenn es darum ging, nach Größe zu streben. Und die Welt von damals war noch um einiges überschaubarer. Warum sollte es ausgerechnet diesmal anders sein? Und ausgerechnet bei einer Neuauflage des Great Games?

    - Die Ahorn AG hat nicht nur international Erfahrung im Öl - und Erdgastransport, sondern auch eine gefüllte Kasse - immer noch eine Ausnahme in der jetzigen Situation. Und sie hat gerade ein großes Projekt mit Norwegen in der Nordsee beendet und wieder eine Menge Facharbeiter, Ingenieure und Maschinen frei - praktisch könnten sie sofort Mitglied im ÖKK werden und für Centrifugge einspringen.

    Auch für den Hauptgewinn Turkmenistan kann es reichen: Sie wären nämlich auch kreditwürdig für den Kauf eines Anteils am neu entstehenden Konsortium, und sie hätten die Kapazität, die zwei neuen Öl- und Erdgaspipelines in deren Auftrag durch Georgien zu bauen, vorausgesetzt natürlich, TurkmenGaschi, die staatliche Mineralölgesellschaft Turkmenistans, entscheidet sich für eine Kooperation mit dem Westen. Die haben natürlich das letzte Wort.

    Dass Stahl so wenig sagt, verbucht Maier nun schlicht als Erfolg und unterbricht seinen Fluss nicht mehr, setzt zum Endspurt an.

    - Bayern ist für die Amerikaner alles andere als das geringste Übel bei der Partnerwahl, sondern sogar von Nutzen. Für sie besitzen Großbritannien und Norwegen bereits zu große Anteile und sollten unter keinen Umständen die absolute Mehrheit erlangen. Und die Türkei, genau wie Aserbaidschan, wäre von den USA nicht so leicht beeinflussbar wie Bayern - wir wären ja neu in der Region.

    Ganz draußen wären die Amerikaner natürlich nicht - sie bleiben beteiligt an Großbritanniens und Norwegens Mineralölgesellschaften, es ist ja alles ineinander verzahnt. Außerdem verfügt der amerikanische Staat mit seiner Holding USSOil noch über 5% der Anteile am ÖKK. Sie wird aber größte Schwierigkeiten haben, mitzupokern und Centrifugges Anteile zu erstehen, weil es durch den Kongress erst genehmigt werden müsste. Kein leichtes Unterfangen bei der gigantischen Staatsverschuldung, der momentanen Knappheit der Mittel und der schon angesprochenen hohen politischen Brisanz in dieser Region. Eine Entscheidung würde sich also hinziehen und wäre nicht sehr wahrscheinlich.

    Snickers sind aus, Maier.

    Das soll ich Dir glauben, Du Geschichtenerzähler? Und was ist mit Twix?

    - Zeit hat das Konsortium aber nicht, es muss voll handlungsfähig sein und braucht seine verlässlichen Geldgeber, eine gefüllte Kriegskasse, um geschlossen auftreten zu können bei einem Neuerwerb - geschlossen insofern, als es sich beim ÖKK um überwiegend westliche Konzerne handelt und die Rohstoffe nach Westen gehen sollten, ja müssen, damit unserer Wirtschaft nicht in 10, 20 Jahren die Grundlage entzogen wird.  China und Indien warten nicht auf uns. Sie würden - verständlicherweise - alles Öl und Erdgas für sich selbst beanspruchen wollen und die Rohstoffe gingen in die andere Richtung. 

    Doch nicht nur deswegen braucht das ÖKK eine schnelle Lösung: Der Druck rührt auch daher, dass Betrieb und Wartung des georgischen Pipelineabschnitts ausgerechnet bei Centrifugge liegt oder lag. Hier muss also eiligst eine Lösung gefunden werden, wer für die Technik garantieren kann. Jeder Tag Stillstand hätte einen Umsatzverlust von 77 Millionen Dollar zur Folge. Jeder Tag! Und ...

    - Gut, Herr Maier, Sie können aufhören, vielen Dank. Ich merke, Sie sind vorbereitet.

    Maier ist sprachlos. So viel Lob hatte er nicht erwartet, und natürlich sieht ihm Stahl das sofort an.

    - Denken Sie aber nicht daran, sich jetzt bequem einzurichten. Was Sie sich in Warschau geleistet haben, da haben Sie eine Grenze überschritten.

    Keine Regung, nichts.

    Stahl verzieht tatsächlich keine Miene, nicht einmal beim Rügen. Prompt ernster wird sein Ton-

    - Die Welt ändert sich täglich und ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich stets auf dem Laufenden halten, Herr Maier.

    Maier nickt gelassen und kann tief durchschnaufen. Das anfangs dicke Eis, das nach seinem Schnitzer in Polen noch dicker geworden war, ist endlich endlich gebrochen. Seine Hände lösen sich erst jetzt von den Oberschenkeln und die Bauchmuskeln geben nach.

    4

    - In einer Viertelstunde treffen wir uns mit Bayerns Wirtschaftsminister Alfons Doppler und dem Vorstandsvorsitzenden der Ahorn AG, Dr. Heinrich Schönleben, im großen Konferenzzimmer. Gehen wir schon einmal hinauf - dort will ich meine Erfahrungen, die ich mit unseren Gesprächspartnern bisher gemacht habe, mit Ihnen teilen.

    Er öffnet seine Bürotür und lässt Maier den Vortritt.

    - Auch der Verbandspräsident der bayrischen Wirtschaftsverbände, Ludwig Kleingarten, hat auf meine Anfrage hin noch kurzfristig zugesagt. Er wird auch für mich neu sein.

    - Vielen Dank, dass Sie mir so viel Vertrauen schenken.

    Stahl schließt sein Büro ab und auf Maier auf.

    - Sie können sich gleich noch einmal beweisen. Der Kaukasus und die gesamte Region scheint ja ihr Steckenpferd zu sein. Leiten Sie doch die Konferenz ein und klären die Anwesenden über die Ausgangslage auf. Es ist eine Präsentation vorbereitet, die Sie den Herren vorführen können. Ich werde dann später übernehmen.

    - Gut.

    Steht das eigentlich in meinem Arbeitsvertrag?

    Sie gehen wieder an den Bildern vorbei. Adenauer, Erhard. Und jetzt taucht endlich Kohl auf.  Maier sieht ihm beim Vorbeigehen noch nach, fasziniert davon, wie er auch in 2D eine Aura ausstrahlt, für die manche 4D oder Geruchsfernsehen bräuchten. Am Gewicht allein kann es doch nicht liegen? Gemessen am Durchmesser, nicht des Rahmens, sondern des Kopfes, wird er nur von Strauß geschlagen, dessen Haupt, genau wie seines, das ganze Bild bestimmt. Zumindest überm Hals hat sich der Schweinsbraten gegen die Königsberger Klopse durchgesetzt.

    Der große Konferenzraum befindet sich im letzten Stockwerk. Maier bleibt dicht hinter Stahl, der immer zwei Stufen auf einmal nimmt. Es sieht so aus, als wolle er ihn, den Jungen, abhängen, oder verhindern, dass er ihn überholt, was auf den schmalen Stufen bei der Geschwindigkeit ohne Unfall nicht möglich wäre. Er ist ziemlich durchtrainiert, so wie er mit seinen 62 Jahren die Treppe nach oben hastet und dabei ganz normal weiteratmet - kein Pfeifen, kein Röcheln, nichts.

    So schnell wird er mich nicht los.

    Maier ist auch gut in Form. Reiner Spaß am Sport war es aber nicht, und ich will, während sie nach oben laufen, kurz erzählen, wie es dazu kam. Auslöser war die statische Tätigkeit in der Übersetzungskabine, die darin bestand, den ganzen Tag das Hirn anzustrengen, viel zu sitzen, Kaffee, zu sitzen, wieder zu sitzen. Und dabei nach unten zu glotzen, um die Gesichtszüge und Grimassen zu erkennen, die beim Übersetzen helfen, der Nuancen wegen, und der oft bissigen Ironie in den Worten ... er sah die Redner aber kaum, wenn sie am anderen Ende des Plenarsaals auf ihrem Platz standen und ins zu tief eingestellte Mikro sprachen, nicht selten auch fluchten, flüsterten, nuschelten, lispelten und zuweilen auch ganz deutlich redeten.

    Da freute er sich, das heißt, nicht er, sondern sein Körper, wenn er nach der Arbeit an irgend etwas sein Zuviel an Kraft entladen konnte, sonst wäre er innerlich explodiert. Ideal war da das Laufband, was aber nicht so ungefährlich ist, wie es scheint - vor allem, wenn Du als Mann im Studio nicht anders kannst, als an den oft atemberaubenden Körperformen vieler Studiokolleginnen haftenzubleiben, die gerade rechts vom Spinning kommen und alle direkt vor Dir Richtung Dusche gehen. Den Kopf also, ihnen folgend, nach links drehend, bewegen sich Deine Beine dabei wie von Geisterhand nach rechts. Minimal zwar, aber ein Fehltritt auf den Rahmen des Laufbandes genügt, um das Gleichgewicht zu verlieren und den Abflug nach hinten anzutreten - im schlimmsten Fall ist hinter Dir die Wand. Auch gut, beinahe ein Klassiker, wenn Du vorher noch die Geschwindigkeit erhöht hast, um mehr Eindruck zu schinden.

    Das Band hält zwar sofort an, wenn es kein Gewicht mehr spürt, und Du bist auch schnell wieder oben auf, schaltest es ein und tust so, als ob nichts passiert wäre - in der Hoffnung, keiner hat es gesehen. Leider eine große Illusion. Denn den Knall hört jeder, nur Du nicht. Und Du hast auch überhaupt keine Schmerzen, so aufgepumpt mit Adrenalin.

    Spätestens nach 3 Minuten aber stellst Du das Band ab, das reicht zum Gesichtwahren, um dann möglichst unauffällig die Bestandsaufnahme in einer möglichst unauffälligen Ecke vorzunehmen. Beim Blick auf die blauen Flecken kommen auch schon die Schmerzen, aber erst nach dem Hinschauen. Um sicherzugehen, dass es auch wirklich weh tut, nochmal mit beiden Daumen draufgedückt - das tut ja wirklich weh!

    Stahl öffnet den Konferenzraum. Er drückt die beiden Flügeltüren gleichzeitig auf, die mit dem genau richtigen Schwung links und rechts in den Stoppern einrasten - sie springen nicht wieder zurück. Er geht auf die lange Fensterfront zu, entlang welcher vier große Gauben nebeneinander eindrucksvoll die mittlerweile hell erleuchteten Stahl- und Glaspaläste der Parlamentsbauten der Europäischen Union zeigen, die nun in der Dunkelheit einige Meter höher erscheinen als bei Tage. Maier sieht durch die Front nach oben.

    Das hier muss von oben wie eine Luxusgarage aussehen.

    Eher wie ein kleiner Bauernhof, ein Immenhof - es ist ein Areal aus Hauptgebäude und zwei Nebenbauten, nur ohne Ponys. Stahl macht die Oberfenster auf, damit es durchzieht. Maier hilft ihm dabei und wird leicht nass durch den prasselnden Regen, der vom Wind nach innen gedrückt wird.

    - Gute Idee, das macht frisch.

    Ich brauch' gleich volle Konzentration.

    Maier bleibt nicht im Regen stehen, tritt vom Fenster weg und lässt seine Augen neugierig durch den sehr repräsentativen Raum wandern. Beim Umschauen stechen ihm, beinahe versteckt in der Ecke, links neben den Flügeltüren, ein gutes Dutzend weißer Rollen ins Auge - es sind Landkarten.

    Da sind ja Landkarten!

    Es kommen ihm schöne Erinnerungen an den Erdkundeunterricht in den Sinn, nicht nur der neu erlernten Länder und Weltmeere wegen, sondern vor allem, weil der so oft ausgefallen ist.

    - Herr Stahl, Sie erlauben, dass ich kurz die Karten durchsehe. Eine Karte von Zentralasien könnte für die Besprechung sehr nützlich sein, als Übersicht, parallel zum Beamer. 

    - Sicher, Herr Maier. Wenn Sie sie nicht finden, das Kartenlager ist nebenan.

    Er geht die Rollen eine nach der anderen durch und flüstert die außen angbrachten Namen leise vor sich hin.

    - Deutschland ... Nordafrika ... Mittelamerika ... Südostasien ... Bayern 1806 ... Bayern 1815 ... Bayern heute (1985) ...

    Da ist schon mal eine!

    - Southwest Asia.

    Maier macht sie kurz auf, um sicherzugehen, und ja-

    - Die Karte ist schon mal ideal, Herr Stahl, jetzt brauchen wir nur noch eine Übersichtskarte, am besten eine von der ...

    Maier hofft, eine Karte jenes Imperiums zu finden, von dem Putin sagt, dessen Zusammenbruch sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen.

    - Perfekt! Da ist Nummer zwei: Sowjetunion (1939-1989). Ich hänge sie gleich an den Ständer, die andere klebe ich direkt darunter.

    Während er sie wieder zusammenrollt, um sie so leichter am Ständer anzubringen-

    - Gut, Herr Maier, in der Zwischenzeit weise ich Sie in unsere Gesprächspartner ein. Bisher zwei Mal hatte ich mit jedem zu tun, jedoch nie mit beiden gleichzeitig. Wirtschaftsminister Doppler kennen Sie ja aus den Nachrichten: Er ist 56 Jahre alt und macht einen sehr bodenständigen, ich hätte beinahe gesagt, erzkonservativen Eindruck.  Unterschätzen Sie das aber nicht, er ist herumgekommen in der Welt. Seine zunächst vorsichtige Art erscheint vielen zu passiv, ja ängstlich. Er wird oft nicht ernst genommen, vor allem auf Bundesebene.

    Tja, das Grundproblem.

    - Wenn er aber eine Rede in rhetorischer Manier eines Cicero hinlegt, und das in absolutem Business-Englisch, ebben die Zweifel schnell ab. Aber leider erst dann.

    Maier kann dem nur zustimmen und ihm fällt gar nicht auf, dass Stahl gerade eben Emotion zeigte. Er ist zu beschäftigt mit dem Versuch, die Querstange des Kartenständers langsam nach oben zu schieben: Es quietscht, und die Rolle, die eingeklemmt zwischen seinen Beinen lagert, beginnt, hinter ihm nach unten zu rutschen, wodurch es vorne natürlich nach oben geht.

    - Der Vorstandschef der Ahorn AG, Dr. Schönleben, ist ein Münchner Kindl. Er ist Jahrgang '66 und in der High-Society aufgewachsen. Der Vater ist lange Jahre Diplomat in Madrid gewesen, die Mutter bis heute Teilhaberin einer Privatbank. Was sein Antrieb ist, weiß ich nicht genau - vielleicht ist es der Spaß an sich. Ich glaube nicht unbedingt, dass er die Welt verbessern will, ich hatte sogar den Eindruck, er scheint geradezu süchtig nach Spaß zu sein.

    Stahl macht eine Pause, wirkt nachdenklich.

    - Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen?

    - Ja, aber er ist dabei kein Dampfplauderer, Herr Maier. Und er hat sich nie auf seinem leichten Start ins Leben ausgeruht, ist sogar noch ehrgeiziger als sein Vater.

    Er legt eine zweite Pause ein, dreht sich zur Fensterfront und entscheidet, dass es genug an frischer Luft ist. Während er die Scheiben schließt, hat Maier Gelegenheit, die Öse der Rolle mit voller Aufmerksamkeit, aber immer noch umständlich, in den Haken des Ständers zu fummeln - was vorher wesentlich leichter gewesen wäre, vor dem Hochschieben.

    - Verbandspräsident Kleingarten ist nur ein Jahr älter als Dr. Schönleben, aber, wie ich vermute, grundverschieden. Er wird genauso sein, wie man sich einen Verbandspräsidenten vorstellt: Ein Funktionär, der von seiner Wichtigkeit sehr überzeugt ist - ohne ihn darf nichts laufen. Um an diesen Posten zu gelangen, muss man sich durch endlose Schichten von Vereinsmeiern schneiden, die in allen Verbänden sitzen und alle Recht haben wollen, oft gar nicht der Sache wegen. Man muss selber Vereinsmeier sein, sonst gibt man vorher auf.

    - Sind Sie selbst in einem Verein, Herr Stahl?

    - Nein. Nie gewesen.

    - Und Ihr Parteibuch?

    - Also, Herr Maier! Erwarten Sie etwa, dass ich darauf eingehe?

    Maier hakt nicht ein, nur die Karte, die endlich da ist, wo er sie hinwill.

    - Kleingartens Kontakte sind für uns Gold wert - seine kurzen Wege garantieren uns eine hohe Geschwindigkeit, an Informationen zu gelangen, vor allem an Insiderwissen. Er darf bei der Konferenz nicht fehlen. Ich bin froh, dass er so kurzfristig kommen kann.

    So, die Karte ist drin und ich glaub', auch richtig herum. Den Spaß von damals kann ich mir heute nicht erlauben. Jetzt nur noch die andere unten drankleben.

    - Danke für die Einführung, Herr Stahl.

    Auch wenn es Maier mittlerweile gewohnt ist, Menschen von seiner Kompetenz zu überzeugen, die doppelt so alt sind wie er - seine Hände zittern leicht beim Kleben, er hat Lampenfieber, denn die Herren sind gleich da. Geballt hochkarätig, und auch noch aus der Heimat - da darf erst recht nichts schiefgehen. Die Erwartungen an den Außen-, bzw. Horchposten in Brüssel sind unglaublich hoch.

    Stahl geht zum Telefon und ruft den Empfang an, während Maier zufrieden mit seiner Klebearbeit die beiden Karten zu einer großen Rolle zusammenrollt.

    - Wenn Dr. Schönleben und der Herr Wirtschaftsminister da sind, schicken Sie sie bitte in den Obersten. Sie kennen sich bereits hier ... wie, bitte? Sie sind schon auf dem Weg? Gut. Geben Sie mir aber Bescheid, wenn Herr Kleingarten da ist. Ich werde ihn persönlich abholen.

    5

    Stahl legt kopfschüttelnd auf, weil er solche Überraschungen nicht mag. Er will informiert werden, wenn jemand kommt, das ist ja wohl das Mindeste, als Hausherr. Und ihm bleibt nicht einmal Zeit, sich darüber zu ärgern. Noch während er den Hörer auflegt, treten die beiden Männer auch schon in den Saal.

    - Wir sind in der gleichen Maschine gesessen. Grüß' Sie, Herr Stahl!

    - Guten Abend, Herr Wirtschaftsminister, Herr Dr. Schönleben. Ich freue mich, dass Sie beide hier sind. Ich will Ihnen gleich meinen Dolmetscher für Osteuropa, Herrn Maier, vorstellen.

    Nach einem kurzen Hin und Her der Hände klingelt das Telefon, Kleingarten ist eingetroffen. Stahl eilt nach unten, bevor der auch noch auf die Idee kommt, sich nicht abholen zu lassen, während die drei am vorderen Tischende Platz nehmen, an der bayrischen Tafelrunde. Die beiden Fluggäste setzen sich Maier gegenüber hin und führen ihre Unterhaltung fort, was ihm Gelegenheit gibt, die beiden eingehend zu mustern.

    Dr. Schönleben trägt einen dunklen Maßanzug, dazu keine Krawatte, den obersten Hemdknopf lässig geöffnet - eigentlich wie sonst auch, wenn man ihn in den Medien sieht. Er strahlt und hat blitzweiße Zähne, kurzum: Er macht eine sehr gute Figur und scheint zufrieden mit sich und der Welt.

    Daneben Doppler, zwischen normal und guttenbergeitel, mit Maßanzug und Schlips durchgestylt, würde er, selbst wenn er dürfte, den oberen Knopf niemals auflassen. Zu sehr ist er in seiner konservativen Rolle gefangen, was ihm als Staatsdiener bisher nicht geschadet hat. Sein Kopfhaar ist voll, wurde jedoch seit seinem 50. Geburtstag deutlich heller und heimgesucht von der grauen Diva, innerhalb nur eines Jahres, was seiner Jugendlichkeit allerdings nicht schadet. Er macht einen sehr aufgeweckten, wachen Eindruck, aber niemals vorpreschend, sondern erst einmal abwartend, weshalb er sehr ruhig wirkt, wieder im Gegensatz zum Doktor, den wiederum eine Unruhe umgibt, die Maier als ständige Aufbruchsstimmung deuten will.

    Als ob er das gehört hätte, hält der Sunnyboy für einen Moment inne. Er und der Minister haben ihr Gespräch beendet und fangen ihrerseits an, ihr Gegenüber zu mustern.

    Okay, jetzt bin ich an der Reihe. Ein gutes Zeichen, schon nach einer Minute.

    Wie sehr diese kurzen Augenblicke des sich Beschnupperns zu vollen Sekunden werden, zu einem Männlichkeitsritual gar, wird sich gleich zeigen - wenn es überhaupt dazu kommt. Denn beide haben von Anfang an einen sehr lockeren Eindruck gemacht, sie scheinen sich sehr gut zu verstehen.

    Und tatsächlich, sie binden Maier direkt in ihre Unterhaltung von eben ein.

    - Hatten Sie auch in der Touristenklasse eingecheckt?

    Maier ist überrascht darüber, dass sie nicht mindestens Business geflogen sind, sehr überrascht sogar. Und obwohl er das sympathisch von beiden findet, will er sich das nicht anmerken lassen, im Gegenteil-

    - Nein, in der Ersten.

    Die beiden sind im Nu still geworden, das Lächeln von Doppler hat sogar auf fassungslos umgeschalten. Maier fährt fort.

    - Wegen der größeren Arbeitsfläche, aber in Wirklichkeit, ...

    Maier beugt sich theatralisch nach vorne und wird derart leise, als wären sie nicht mehr unter sich und Stahl würde jeden Moment hereinkommen.

    - ... weil man die Beine hochlegen kann. Ich bin froh, dass wir Dolmetscher diese Klasse endlich nutzen dürfen.

    Doppler richtet sich schon auf, als wollte er was sagen, Maier will aber noch nicht auflösen.

    - Auch ist das Essen besser. Und der Wein! Der Saint-Émilion rechtfertigt beinahe alleine die astronomisch höheren Kosten der Reise. Und man wird satt.

    - Das ist mir neu, dass Beamte Ihrer Besoldungsstufe erster Klasse fliegen dürfen!

    - Wieso fliegen? Ich bin mit dem ICE angereist.

    Dr. Schönleben lacht laut auf, und auch dem Wirtschaftsminister entweicht die Anspannung, der sich nun wieder zurücklehnen kann - ihm kommt sogar ein kleines Schmunzeln aus. Er ist erleichtert darüber, dass seine Weltordnung wieder den Normen entspricht.

    - Entschuldigen Sie, aber das konnte ich mir nicht entgehen lassen.

    - Geht voll in Ordnung, Herr Maier. Haben Sie gut hingekriegt!

    Dr. Schönleben nickt ihm immer noch erheitert zu, als die Tür aufgeht und die erwarteten Herren hereintreten. Abrupt findet die Ausgelassenheit ihr Ende, die Stimmung dreht sich um, und der Raum kühlt gute fünf Grad herunter. Maier macht Kleingarten als Schuldigen aus, der mit ernster Miene auf die Männer zugeht.

    Sie stehen auf, damit sie Stahl mit dem Neuankömmling bekannt machen kann - erst mit dem Wirtschaftsminister, dann mit Dr. Schönleben, dann mit Maier.

    Immer schön die Rangfolge einhalten.

    Kleingarten, mit gut einem Meter siebzig einen halben Kopf kleiner als die anderen, ist opulent. Seine Krawatte bildet wenig unterhalb des Windsorknotens bereits einen Viertelkreis um seinen Bauch, wirkt dadurch zu kurz. Nicht zu kurz kommt sein Haar, das in voller Pracht ins Auge sticht wie seine riesigen Finger, Wursthänden gleich, die Maier Mühe bereiten, beim Händeschütteln mitzuhalten, wie den anderen vor ihm auch. Und auch wenn Kleingarten nach dem Treppensteigen noch schwer und kurz atmet, mit ihm würde sich Maier nicht anlegen wollen.

    Der muss ein Kraftwerk drunter haben.

    Und er macht den Eindruck, als müssten sie froh sein, dass er hier ist. Es wird sich gleich zeigen, wie 'gut' er mit den anderen können wird - unser Held freut sich schon auf den kommenden Schlagabtausch. Das ist das Schöne am Dolmetschen, er muss niemandem was beweisen, kann vielmehr stets positiv überraschen. Understatement. Und das Beste: Viel Zeit zum Beobachten, aus allernächster Nähe, klasse! Ständig entdeckt er eine neue Eitelkeit, eine neue Facette meist männlichen Egos, und sobald eine attraktive Frau im Spiel ist, wird es erst richtig interessant.

    Ein Platz in der ersten Reihe also, und noch dazu gut bezahlt. Maier ist zufrieden, auch ohne Flüge in der ersten Klasse - das würde ihn auch wundern, als Beamter seiner Besoldungsstufe.

    6

    Stahl geht zum Tischende und bietet Kleingarten den Platz links neben sich an. Der setzt sich hin, grunzt kurz und schnauft weiterhin laut ein und aus. Ihnen gegenüber nehmen Dr. Schönleben und der Wirtschaftsminister ihre vorigen Plätze ein, während Maier erwartungsgemäß gleich stehenbleibt, da Stahl ihm in Kürze andeuten wird, doch mit der Einleitung zu beginnen. Ohne auf sein Zeichen zu warten, geht er auf den Kartenständer zu und will ihn näher zum Konferenztisch rücken. Er wird dabei beobachtet.

    War klar, dass es wieder quietschen muss.

    Stahlöse und Haken reiben wie ein frisch verliebtes Paar vergnügt ihre nackten Oberflächen aneinander. Die kompakte Rolle spielt dabei den Verstärker, schwingt abwechselnd nach links und rechts und trifft Maier in der Abwärtsbewegung um ein Haar am Kopf, als der sich auf den Weg zum Beamer machen will. Nach Betätigung des 'On'-Knopfes gesellt sich unvorhergesehen zum Qietschen des Ständers ein sehr lauter Lüfter, der Zeugnis davon gibt, wie viel dicke Luft er in seiner Laufzeit ansaugen musste.

    Das erste Slide deutet den Anwesenden an, worum es gehen wird:

    'Chancen für Bayern im Kaukasus und Zentralasien - Rohstoffsicherung von Öl und Erdgas'. Rechts darunter 'Der bayrische Wirtschaftsausschuss zu Brüssel, 6. September 2010'. Ganz links unten als Logo der bayrische Löwe und die weiß-blaue Flagge.

    - Meine Herren, bevor ich auf die Gründe eingehe, warum Herr Stahl Sie hierher gebeten hat, möchte ich kurz die Region vorstellen und die aktuelle Ist-Situation. Damit wären wir alle auf dem gleichen Stand.

    Da keiner Einspruch erhebt, geht Maier zurück zum Kartenständer und lässt die Sowjetunion und Southwest Asia herunter.

    - Mit Bildern fällt es leichter, die Zusammenhänge zu erklären, wenngleich es eine Region ist, die Sie sicher bereits gut kennen, so oft sie seit dem Georgienkrieg vom August Null Acht in den Medien erwähnt worden ist.

    Links, auf beiden Karten, also der Kaukasus mit Georgien, Aserbaidschan und Armenien, die eine Schlüsselrolle spielen als Transitland für die Bodenschätze Bakus und jenseits des Kaspischen Meeres, leider aber auch als Sicherheitsrisiko.

    Östlich davon, jenseits des Kaspischen Meeres, liegen Turkmenistan, darüber Usbekistan, und darüber das riesige und ölreiche Kasachstan. Neben Usbekistan, ein mittlerweile bedeutender Erdgasexporteur, befinden sich die Länder Tadschikistan und Kirgistan, die wegen ihrer wirschaftlichen Schwäche für uns nur eine Nebenrolle spielen werden.

    Stahl, der bisher vor seinem Stuhl stehen geblieben ist, setzt sich nun hin. Seine Augen wollen am Ständer haftenbleiben, an den Karten, die immer noch leicht hin- und herschwingen. Das neue Slide, und seine Neugier jedoch ziehen seine Aufmerksamkeit zur Beamerleinwand hinüber.

    - Hier sehen Sie zunächst die Zusammensetzung des Öl-Konsortium Kaukasus, kurz ÖKK, welches die größte Pipeline durch den Kaukasus finanziert hat, und das seit rund vier Jahren an der Ausbeutung des Öls vor Bakus Küste gut verdient. Am besten wird sein, ich zeige Ihnen zuerst das nächste Slide - eine Karte mit allen bestehenden, im Bau befindlichen und geplanten Pipelines dieser Region, für Öl und für Erdgas.

    Beim genauen Hinsehen auf die Vorschau macht Maier plötzlich einen verärgerten Eindruck.

    Schöne Stümperei! Die Karte ist von Null Sieben, nicht von 2010, da fehlen ja einige Leitungen. Die kann ich unmöglich zeigen!

    Sein Chef merkt als Erster, dass was nicht stimmt, doch er wartet noch ab.

    Was mach' ich jetzt? Dass Stahl das nicht aufgefallen ist. Oder hat er sich blind auf seine Researcher verlassen? Egal, wenn ich das Slide jetzt einblende, blamieren wir uns bis auf die Knochen.

    Nicht, dass das Fehlen von fünf geplanten Röhren sofort auffallen würde, aber dann sicher die bereits seit Dezember eröffnete Erdgasleitung von Turkmenistan nach China und noch mehr - die schon seit Ewigkeiten bestehende Ölleitung von Baku über Russland ans Schwarze Meer. Außerdem ist die 2007 unten rechts Maier sehr peinlich.

    - Meine Herren, ich will es anders angehen. Damit wir gleichzeitig Stimmverteilung in den Konsortien UND die Pipelines sehen können, lassen Sie mich schnell die relevanten Röhren auf der guten alten Landkarte einzeichnen. Dazu kann ich dann gleich was sagen.

    - Gute Idee, Herr Maier. Auch dass sie zu den Röhren gleich was sagen wollen.

    - Ja, einverstanden. So viel Zeit muss sein. Die Leitungen sind ja die Schlagadern der ganzen Region.

    Beide Touristenflieger sind dafür, während Kleingarten nur dasitzt und mit seiner Uhr spielt.

    Beim wichtigsten Slide geschludert. Das kostet Minimum 'ne Kiste Barolo, Freunde!

    - Herr Stahl, sind Sie als mein direkter Vorgesetzter überhaupt damit einverstanden, dass ich in wenigen Augenblicken zwei politische Landkarten bayrischen Eigentums mit dicken Stiften 'erweitere'? Ich meine, danach werden unterm Strich einige Städte verschwunden sein.

    Stahl zögert mit seiner Antwort nicht-

    - Machen Sie nur, es ist ja der Sache dienlich.

    Nach einer kurzen Pause allerdings, Maier hat gerade mit einem Plopp die Kappe des schwarzen Stifts abgezogen-

    - Und wenn unser Projekt - erfolgreich ! - zu Ende gebracht sein wird, werde ich sie Ihnen auch nicht vom Gehalt abziehen.

    Na also, geht doch.

    Maier strahlt und will gerade mit dem Stift ansetzen, da-

    - Sie beide machen es ja spannend!

    Kleingarten lässt von seiner Uhr ab und will zu Wort kommen. Er betrachtet zunächst Stahl, dann Maier, und sieht mit verdächtigenden Blicken zu den anderen beiden hinüber, fragt mit sehr ernstem Ton-

    - Oder wissen die anderen Herren etwa bereits Bescheid, worum es geht?

    Was Maier so nicht erwartet hatte - Kleingarten hat erneut in sauberem Hochdeutsch gesprochen, nur leicht bayrisch eingefärbt. Doppler schüttelt den Kopf und fügt dem gelassen hinzu-

    - Es ist doch gut, dass Sie alle nichts davon wissen. Selbst ich, der der Quelle am nächsten liegt, bin von Herrn Stahl noch nicht eingeweiht worden. Ich hoffe jedoch sehr, dass wenigstens er weiß, worum es geht.

    Stahl erwidert Dopplers Blick mit einem Lächeln, denn ganz so stimmt es ja nicht, dass er von nichts weiß. Kleingarten bleibt unbeeindruckt, er verzieht keine Miene - des Ministers Versuch, die erste Anspannung aufzulockern, ist gescheitert. Stahl versucht es anders.

    - Herr Maier, machen sie hin, damit sich die Spannung hier bald auflöst.

    - Gut! Unter Druck arbeite ich am besten.

    Maier nimmt den Zeigestab neben dem Kartenständer in seine Rechte und klopft damit zweimal auf die Beamerleinwand.

    - Auf der Beamerleinwand zu Ihrer Linken sehen Sie die Besitzverhältnisse im ÖKK. Sie können sich die Zahlen schon einmal ansehen, ich komme gleich darauf zurück.

    Besitzverhältnisse ÖKK:

    25% - VP (Großbritannien)

    20% - Centrifugge (USA)

    20% - SACCOR (Aserbaidschan)

    10% - Statusoil (Norwegen)

    9% - TüPetro (Türkei)

    5% - USSOil (USA)

    3% - Entier (Frankreich)

    3% - Dagip (Italien)

    3% - Itouchi (Japan)

    2% - GeoStream (Georgien)

    100%

    Maier beginnt, die erste Leitung auf die untere Karte einzuzeichnen.

    - Die Ölleitung des ÖKK, die BTC (Baku-Tiflis-Ceyhan), verläuft von Baku aus Richtung Westen, knapp vorbei an der Krisenregion Bergkarabach, hinein nach Georgien, wo sie südlich von Tiflis weiter nach Westen führt und rund 150 km später nach Süden abbiegt in die Türkei, nach Erzurum. Von dort schließlich ans Mittelmeer, in die Hafenstadt Ceyhan, wo das Öl in Tanker gepumpt wird - für den Verkauf an den Westen.

    Lassen Sie mich noch ein paar Details dazu erwähnen, um ein Gespür für die Größenordnungen zu bekommen.

    Länge der Strecke: knapp 1800 km, vergraben in mindestens einem Meter Tiefe

    Baukosten: damals rund 4 Mrd. US-Dollar

    Kapazität: 50 Mio. Tonnen pro Jahr, entspricht etwa 1 Mio. Barrel pro Tag

    Bauzeit: 3,5 Jahre

    Erstes Öl: Mai 2006

    Transportkosten: 5 Dollar pro Barrel

    Pumpstationen: insgesamt 8

    Lebenserwartung: ca. 40 Jahre

    Fließgeschwindigkeit: ca. 2 Meter pro Sekunde

    Kleingartens Gesichtsfarbe nähert sich Schweinsbraten 'medium', weil er Details nicht vertragen kann.

    - Zum Vergleich - Die Leitung mit ihren 50 Mio Tonnen jährlich liefert gut ein Prozent der Weltproduktion und könnte damit über 40% des Verbrauchs von Deutschland abdecken.

    7

    Maier schaltet weiter zum Slide des wichtigsten Erdgas-Konsortiums im Kaukasus.

    - Baku hat auch Erdgas zu bieten! Das Konsortium zur Ausbeutung dieses Bodenschatzes ist folgendermaßen aufgeteilt:

    Besitzverhältnisse Erdgas-Konsortium:

    25,5% - VP (Großbritannien)

    25,5% - Statusoil (Norwegen)

    10% - SACCOR (Aserbaidschan)

    10% - PromPagi (Russland/Italien)

    10% - Entier (Frankreich)

    10% - SOOI (Iran)

    9% - TüPetro (Türkei)

    100%

    Für die Erdgasleitung wählt er Rosa, was mittlerweile Kleingartens Gesichtsfarbe entspricht.

    - Die entsprechende Leitung, die 2006 eingeweiht wurde, die South Caucasus Pipeline, oder BTE, startet ebenfalls in Baku, verläuft parallel zur Ölleitung und liegt ebenfalls unterirdisch. Sie geht nicht ans Mittelmeer, sondern endet in Erzurum - das Erdgas wird von dort in das türkische Erdgasnetz eingespeist. Hauptabnehmer ist momentan die Türkei, daneben Griechenland und auch Georgien, das als Transitland immerhin 5% kostenlos für sich beanspruchen darf, sozusagen als Maut.

    Die Leitung hat eine Kapazität von 17 bis 20 Mrd. Kubikmeter pro Jahr, was annähernd einem Prozent der Weltproduktion entspricht und einem Fünftel dessen, was Deutschland verbraucht.

    Kleingarten stöhnt.

    - Und noch eine wichtige Bemerkung: Öl- und Erdgaskonsortium sind zwar getrennte Organisationen, aber eng miteinander verzahnt. Es sind ja fast immer dieselben Mitspieler, was die Nutzung desselben Korridors für Öl- und Erdgas erklärt, ebenso die damalige Übertragung der technischen Verantwortung auf dasselbe Projektteam für den Bau beider Pipelines.

    Nach all den Details und Zahlen wird Kleingarten ungehalten. Er kennt die Größenordnungen und will endlich wissen, warum er hier ist. Stahl bemerkt es ebenfalls-

    - Herr Maier, ich denke, es ist Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen.

    - Herr Stahl, lassen Sie mich bitte die Rohre noch zu Ende einzeichnen, damit wir ganz sicher auf dem gleichen Stand sind!

    Maier hat das eben in einem sehr bestimmenden Ton gesagt und ist genervt, dass nach nicht einmal fünf Minuten bereits die Eitelkeit eines einzelnen den Kurs bestimmen soll. Doppler und Dr. Schönleben sind alles andere als genervt über die Einleitung.

    - Aber nur die wichtigsten, motzt Kleingarten laut.

    - Es sind alle wichtig!

    Der regt mich auf! Jetzt keinen Fehler machen, Maier, keine Schwäche zeigen. Einfach stur weiter, sonst bist' für immer der Depp.

    Mit Absicht verlangsamt Maier nun sein Tempo. Seine Gestik wirkt bedacht, auch spricht er langsamer und zeichnet - fast gemächlich - nach und nach die übrigen 17 Ölleitungen ein.

    Maier legt danach eine kurze Pause ein, um was zu trinken, und scheut dabei bewusst den Blickkontakt mit dem Unruheherd - darauf würde er nur warten, er, der seit Minuten hoch errötet seine  eingerollte Zeitschrift in die Handfläche hineinklackt wie ein Baseballer seinen Schläger.

    So ein Arsch.

    Maier liegt ein 'Sind Ihnen die Farben zu langweilig?' auf den Lippen, was er aber nicht bringen kann. Er muss ruhig bleiben, die Sache jetzt durchziehen und stur mit den Erdgasleitungen weitermachen.

    Zumindest nicht 'Segeln heute', sondern der Spiegel.

    Das Klacken Kleingartens macht auch die anderen Teilnehmer nervös, vor allem den Doktor, der dem Treiben zunächst noch eine Weile zusieht.

    - Jetzt zum Erdgas!

    Nicht deeskalierend wirkt, dass Maier die Leitungen zum Teil zwei Mal einzeichnen muss - auf der unteren Karte, dann auch auf der oberen, der Übersichtskarte: Die nächsten 25 Röhren ziehen sich länger hin als gedacht.

    In Kleingarten gärt es nun über, sein Klacken wird aggressiv, was der Doktor, den Maiers Leitungen sehr interessieren, sich nicht länger gefallen lassen will. Er ergreift das Wort.

    - Hatten Sie zu viel Kaffee, Herr Kleingarten?

    Nicht zur Beruhigung der Lage beitragend zeigt es dennoch kurzfristig Wirkung, was Maier Gelegenheit gibt, die letzten drei Leitungen aufzumalen. Kleingarten umfasst die Zeitschrift immer stärker mit seiner linken Hand und drückt sie zusammen, ohne den Doktor dabei anzusehen.

    - Meine Herren, zum Schluss muss ich etwas zur letzten, zur sogenannten Nabucco-Erdgaspipeline sagen.

    Kleingarten Überdruckventil greift, als er Maiers Stift wieder aufpoppen hört - er legt seine Rolle demonstrativ unsanft auf den Tisch, worauf die anderen drei am Tisch reagieren müssen. Sie bremsen ihn kollektiv ein, in einer konzertierten Aktion, mit einem verständnislosen, beim Doktor gar bösartigen Blick.

    - Der Bau dieser Pipeline ist schon seit Jahren von deutschen, österreichischen, ungarischen, rumänischen, bulgarischen und türkischen Energieversorgern geplant und würde von den jeweiligen Regierungen mitgetragen, um zum einen mehr Unabhängigkeit von Erdgasimporten aus oder durch Russland hindurch zu erlangen, und zum anderen, um mit eigener Pipeline in petto als Mitspieler um die zentralasiatischen Rohstoffe ernst genommen zu werden.

    Das Projekt ist in seiner Planungsphase weit fortgeschritten, erstes Erdgas soll bereits Ende 2014 nach Europa strömen, sprich: der erste Spatenstich wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Doch eine quälende Frage wird bleiben: Wo soll das Erdgas langfristig und zuverlässig, und genauso wichtig: in ausreichender Menge überhaupt herkommen?

    Das Erdgas der politisch stabilsten Quelle - Aserbaidschan - wird bereits zu einem Teil von der Türkei, Griechenland und Georgien verbraucht. Hinzu kommt, dass seit Januar auch Russland und Iran diese Felder anzapfen, womit dort nicht mehr viel für Nabucco übrigbleiben wird, und mit Russland und Iran kommen wir gleich zum nächsten Problem: dem Problem der Konkurrenz.

    Die Russen haben natürlich gemerkt, dass sie mit Nabucco umgangen werden sollen, und wollen mit South Stream gleich eine zweites Übel lösen: Ihre Abhängigkeit von der Ukraine als Transitland nach Westen.

    Maier fährt seinen Zeigefinger entlang der South Stream durchs Schwarze Meer, dann über Bulgarien, Serbien und Ungarn nach Österreich.

    - South Stream soll nur wenig später, 2015, in Betrieb gehen, und, wie Nabucco, in Baumgarten enden.  Und es kommt noch schlimmer: Die Russen, die seit  Januar Bakus Erdgas anzapfen, werden verdächtigt, den Aserbaidschanern absichtlich höhere Preise als etwa den Turkmenen zu bezahlen, nur um so überhaupt ins Geschäft gekommen zu sein und damit dem Nabucco-Konsortium das Erdgas wegkaufen zu können.

    - Solche Bazis! kommt es vom Doktor.

    - Da haben Sie Recht, Herr Doktor, die Angelegenheit ist hochpolitsch, kommentiert sein Nebenmann, und weiter-

    - Mit Nord Stream, der Ostseepipeline, für die sich Altkanzler Schröder einsetzt, im Gegensatz zu Nabucco, für die sich Ex-Außenminister Fischer stark macht, wollen die Russen ihre Vormachtstellung weiter ausbauen, und damit nicht nur die Ukraine, sondern auch Polen umgehen, denen sie dann einfach den Gashahn abdrehen könnten.

    - Richtig, Herr Doppler. Bereits 2012 soll die erste Ostseeröhre Erdgas nach Deutschland bringen. Nord Stream, genau wie South Stream, sind Konkurrenzveranstaltungen zu Nabucco, aber leider nicht die einzigen - da ist noch der Iran, der mit einer eigenen, der Persian Pipeline, ebenfalls am europäischen Markt teilnehmen will. Doch wird Iran, solange die Sanktionen anhalten, mit seiner Leitung nicht weiter als in die Türkei kommen. Und mit den Sanktionen fällt dieser, immerhin im Besitz der zweitgrößten Erdgasreserven der Welt, auch als Lieferant aus, was die Sache für Fischers Truppe nicht einfacher macht. Genau vor zwei Wochen wurde er nun offiziell von der Liste der Länder gestrichen, die Nabucco einmal befüllen sollen. An seine Stelle ist nun ein halbwegs stabiler Irak gerückt, die Nummer elf der Welt, mit zehn Mal weniger Erdgasreserven als der Iran.

    Maier verlängert Nabucco von Erzurum aus in den Irak.

    - Mit irakischem Erdgas also würde Fischers Leitung noch nicht voll genug.

    Zentralasien, sprich Turkmenistan, die Nummer vier, zu gewinnen, ist daher für die Rentabilität von Nabucco Grundvoraussetzung. Und da gibt es gute Nachrichten, nicht nur für Nabucco, sondern auch für uns, womit ich die Ist-Situation beschließen will ...

    Stahl ist Maier dankbar, das Tempo herausgenommen und konsequent seine Arbeit zu Ende gebracht zu haben. Wenn sein Mitarbeiter sich nicht durchsetzen kann, wie stünde er selbst dann da?

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    - Danke, Herr Maier, ich übernehme ab jetzt - und lasse die Katze aus dem Sack.

    Während Maier umständlich versucht, sich lässig am Lehrerpult anzulehnen, bringt Stahl den Anwesenden die neue Situation nahe, wie Maier vorher ihm:

    Gewaltiges Öl- und Erdgasvorkommen unweit der Küste Turkmenistans entdeckt.

    Amerikaner bitten die Bayern, im ÖKK für Centrifugge einzuspringen, die kurz vor der Insolvenz steht und dringend Geld braucht. 

    Dann macht er, leicht begeistert, die Vorteile deutlich, die sich daraus ergeben können:

    Versorgungssicherheit Bayerns mit Öl aus Aserbaidschan

    Gleichzeitiges Verdienen am Verkauf des Öls

    Gleichzeitiges Verdienen an Betrieb und Wartung des Pipelinestücks in Georgien

    - Das ÖKK-Geschäft allein ist bereits rentabel, selbst wenn wir nicht an die turkmenischen Rohstoffe gelangen. Und falls doch, ergeben sich für diesen Fall weitere Vorteile. Ich zähle auf:

    Versorgungssicherheit Bayerns mit Öl und Erdgas aus Turkmenistan

    Gleichzeitiges Verdienen am Verkauf von Öl und Erdgas

    Lukrativer Großauftrag durch Neubau von bis zu drei Pipelines durch den Kaukasus

    In beiden Fällen würden wir uns von Russlands Stellung als Drehscheibe emanzipieren.

    Stahl wechselt übergangslos, und immer noch leicht beschwingt, zu den Hürden, die er Ihnen nicht unterschlagen will...

    Mehrheitliche Zustimmung des ÖKK notwendig.

    Die vier großen Parteien des Konsortiums: Großbritannien, Norwegen, Aserbaidschan und die Türkei könnten den Anteil von Centrifugge unter sich aufteilen wollen.

    Georgien hat Vetorecht, wenn der Pipelinebetreiber seines Landes wechselt.

    Berliner Beon und PromGaz haben sehr großen Vorsprung in Turkmenistan.

    China und Indien werden ebenfalls um Turkmenistan kämpfen.

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