Hebammen-Report
Von Heinz G. Schmidt
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Über dieses E-Book
Justine Siegemund (1738 bis 1798), die churbrandenburgische Hofwehemutter, ist eine der in diesem Buch vorgestellten tatkräftigen Damen, die den Berufsstand der Hebammen begründet und weiterbefördert haben.
In von ihnen verfassten Lehrbüchern, in von Romanciers geschilderten Entbindungsgeschichten, in Geburtsberichten vergangener und jüngster Zeit hat der Autor Heinz G. Schmidt, dreißig Jahre Hebammen-Ehemann, recherchiert und spannende Erlebnisse aufgespürt.
Die Geschichte der Geburtszange, die Erfindung der Operationshandschuhe, die psychoprophylaktische Ausschaltung des Geburtsschmerzes und die Einrichtung der Frauenmilchsammelstellen in Deutschland sind nur einige der Gegebenheiten, die der Texter in flüssig geschriebenem Reportagestil darstellt.
Für Aufregung wird der Bericht über die letzten Tage der alten Charité-Frauenklinik sorgen. Ein ständig berauschter Medizinalrat hat mit der Geburtszange Kopf und Kragen riskiert. Allerdings nicht seinen ...
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Buchvorschau
Hebammen-Report - Heinz G. Schmidt
Imprint
Hebammen-Report
Heinz G. Schmidt
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2013 Heinz G. Schmidt
ISBN 978-3-8442-5057-2
Titelgestaltung: Erik Kinting
Inhaltsverzeichnis
Imprint
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Prolog: Du, ich kann nicht kommen
Der gedoppelte Handgriff der Siegemundin
Wehemütter in der Frauen Rosengarten
Die Hebammen von Frankreich
Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären
Von Niederkünften und Einkünften
Olga Gebauer — Ein Leben für die Hebammen
Im Kreißsaal an der Spree
Zwei Maulschellen für die Desinfektion
Tagebuchträume und Tagestaten
Ein Verein formt einen Stand
Semmelweis und die Sepsis
Vorschläge mit Verneigung
Mit Wasser, Seife und Karbol
Plaudereien
Ein Volk, ein Reich, eine Hebammenschaft
Erbhygiene, Rassenschande und biologischer Hochverrat
Entbindungen unter dem Hakenkreuz
Staatsaktion Massenmord
Zeugungshelfer Schutzstaffel blieb erfolglos
Nanna Conti — Erste Hebamme im Nationalsozialismus
Die Sache mit dem Gummi-Fehdehandschuh
Die Idee von Johann Georg Walbaum
Eine gelungene Wendung
Ehrenkreuz für völkischen Gebärwillen
Lebensnote: Prüfung ausgezeichnet bestanden
Diesem Rat können Schwangere trauen
Psychoprophylaxe und Verbalsuggestion
Ein Mensch wird geboren
Mutterwerden ohne Schmerz
Therapie: Freude auf das Kind
Fels in der Brandung
Mütter, spendet von eurem Überfluss
Stationen, die zum Leben führen
Guter Rat von Robert
Wo klopft das Herz bumm, bumm?
Der doppelte Dammschutz
Heißes Wasser für schwere Stunden
Die ‚Sturz’-Geburt
Der Vorführeffekt
Immer mit der Ruhe
Wie sieht eine Hebamme aus?
Das nächste Mal liege ich privat
Die Verwandlung
Das Ende einer Tradition
Hebamme universal
Epilog
Vorwort
Die Schwangerschaft, bei gesicherten sozialen Verhältnissen ein freudiges Ereignis, setzt unmittelbar nach ihrer Feststellung gesundheitliche und soziale Betreuungsmaßnahmen sowie die Menschen, die sie ausführen, in Bewegung. Neben Ärzten aller benötigten Fachrichtungen, Schwestern und Laborantinnen immer auch die Hebammen. Dieser Beruf, entstanden aus dem menschheitsalten Bemühen der Frauen, einander in ihrer schwersten Stunde beizustehen, hat manche Wandlung erfahren. Hin und wieder haben auch Hebammen, um ihren Berufskolleginnen ihre langjährigen Erfahrungen zu vermitteln, Lehrbücher geschrieben, in denen Entbindungsgeschichten die Verallgemeinerung erleichtern sollten.
Für dieses Buch wurden Berichte von und über Hebammen sowie geburtshilfliche Fachbücher vergangener Jahrhunderte recherchiert und die von Mutterwitz geprägten Geschichten einer Hebamme des vorigen Jahrhunderts aufgeschrieben.
Prolog: Du, ich kann nicht kommen
Immer wenn sich ihr Spätdienst dem Ende zuneigt, gegen 21 Uhr, beginne ich an das Telefon zu denken. Es steht draußen auf dem kleinen Wandregal neben der Essecke. Die haben wir uns in die Flurnische gebaut. Zu den Schichtwechselzeiten meiner Frau, an den Wochenenden, sitze ich dort, wie ein pawlowscher Hund und warte, dass es klingelt.
Meine bedingten Reflexe funktionieren. Mein Herzschlag setzt beim Ertönen der Telefonklingel einmal aus und wird dann kurzfristig schneller. Dann ist ihre Stimme da, meine Belohnung.
Ich kenne alle Nuancen dieser Stimme, die hell ist und herzlich, wenn alles okay ist, wenn es drin im Kreißsaal gleich losgeht, oder, wenn sie gerade ein Kind gekriegt hat. Am schönsten klingt ihre Stimme, wenn niemand in der Nähe des Telefons ist, voller Zuneigung, auch tröstend: Na, nun komme ich ja bald; trinken wir dann noch was?
Sind die Kolleginnen oder ein Arzt im Zimmer oder draußen auf dem langen, meterhohen Flur der alten Frauenklinik, kann sie so reserviert klingen, dass mich eine ganz kleine Furcht ergreift. Völlig unnötig natürlich, denn wir lieben uns. Seit Mai 1957, da haben wir geheiratet. Jetzt ist November, Freitag, und sie hat Spätdienst. Es ist 21.05 Uhr. Gleich! Es klingelt …
Es ist wie immer: der kleine Herzstillstand und die anschließende Beschleunigung. Da ist ihre Stimme: Hallo Heinzel!
Das bin ich, beziehungsweise mein Diminutiv, gewissermaßen der halbe Heinzelmann.
Wer uns kennt, akzeptiert die kleine Marotte lächelnd. Wir haben uns noch nie mit Vati oder Mutti angeredet. Ich finde, dass das die Liebe tötet.
Hallo, Heinzel
, sagt sie mit dunkler, mich ernüchternder Stimme: Uta kann nicht kommen, das Kind ist krank. Den Nachtdienst morgen übernimmt jemand anders, aber jetzt den Dienst muss ich noch machen. Ich rufe später noch mal an.
— Später, gegen halb zwölf, wenn sie alleine ist. Dann klingt sie wieder besser.
Ich weiß, dass ich nach ihrer Stimme süchtig bin, wie ein Bundesbahn-Reisender, dem nach langem Warten auf winterlichem Bahnsteig endlich die Einfahrt des verspäteten Zuges verkündet wird.
Sie ist auch traurig, aber nicht so offensichtlich, wie ich. Sie ist stärker als ich. Sie weiß das und es gefällt ihr nicht.
Ich setze mich vor den Fernseher und beginne auf den Morgen zu warten.
Samstagmorgen. Um sechs hat sie Schluss. Wenn die Bahn gleich kommt, kann sie gegen sieben da sein.
‚Um Viertel vor gieße ich eine H-Milch in den Topf und fülle zwei braune, feuerfeste Schüsseln (aus Bulgarien) mit je drei Esslöffeln Haferflocken und einem Esslöffel Trinkfix. Sie sagt, dass sie danach besser einschläft.
Das Telefon klingelt. Eigentlich müsste die Türglocke gleich läuten. Es wird also wieder später werden. Hallo
, sagt sie, ich bin´s.
Die Stimme ist rabenschwarz. Ich muss noch den Frühdienst dranhängen.
Mir fällt nichts ein. Sie mag auch keinen Trost und keine falschen Töne. Dinge, die sie tun muss, tut sie. Sie ist schließlich die leitende Hebamme. Wenn einer ausfällt, springt sie zuerst ein.
Wir werden erst wieder Samstagnachmittag zum Tee miteinander reden. Alle drei Schichten, nein — Dienste heißt es — werden vor meinem geistigen Auge aufgebaut. Ich kenne alle ihre Kolleginnen. Ich weiß, dass der Stellenplan nicht stimmt. Ich leide mit den Frühchen und mit den Frauen, die auf dem Schieber sitzen und bluten.
Machst du dann was zum Mittag?
Ja
, sage ich und komme mir schrecklich einsam vor. Ich habe schon viele solcher Wochenenden erlebt. Fast zu viele ...
Am nächsten Samstag, als ich wieder allein bin, gehe ich in die Berliner Stadtbibliothek. Im Lesesaal schlage ich das Hebammenlehrbuch der Justine Siegemund auf. Ich will meiner Frau künftig ein besserer Gesprächspartner sein.
Der gedoppelte Handgriff der Siegemundin
Im einundzwanzigsten Jahr ward ich von allen Wehmüttern für schwanger gehalten worden. In der mit mir ausgerechneten Schwangerschaftswoche sollte ich mich zur Geburt schicken. Ich kreißte bis in den dritten Tag, ohne erlöst zu werden.
Man holte eine Wehemutter nach der anderen, bis es ihrer viere waren. Alle waren einstimmig mit der ersten: Das Kind stünde recht.
Nachdem ich vierzehn Tage gequälet und auf der Marterbank gehalten worden war und mir eher die Seele ausgetrieben, als ein Kind abgebracht worden wäre, war der letzte Trost der Wehemütter: ich müsste mit dem Kind zusammen sterben.
In dieser äußersten Not ward von meinem Manne und meiner Mutter eines Soldaten Weib in das Dorf geholt worden. Sie urteilte, dass ich kein Kind hätte, wohl aber eine Verstopfung des Geblütes, aber auch eine große Mutterkrankheit und eine Senkung.
Darauf brachte mich ein Doctor Medicinae durch Gottes Hilfe und gute Mittel wieder zurecht.
„Diese Gefahr", so resümierte Justine Siegemund (1636 bis 1705), die preußische und churbrandenburgische Hofwehemutter in ihrem 1690 erschienenen Unterricht von schweren und unrecht stehenden Geburten, „war die erste Stufe zu meinem Beruf, dass, wie ich mich wieder erholete, begierig war, in den Büchern und Abrissen die ich mir von dieser Materie schaffete, mich zu üben, um aus meinem Zustande zu lernen."
Wenig später wird sie selbst zu einer armen Bäuerin gerufen, die schon den dritten Tag kreißt. Die bereits anwesende Wehemutter, sie ist gleichzeitig die Schwiegermutter der Kreißenden, weiß keinen Rat, weil das Händlein mit dem halben Arm außer dem Leib herausgedrungen ist. Die Siegemundin bestreicht Hand und Arm des Kindes mit warmem Bier und mit Butter, krümmt den Arm und schiebt Hand und Arm am Ellenbogen zurück. Was passiert da? Das Kindlein zog das Ärmchen an sich; durch dieses Rücken drückte sich der Kopf selber in die Geburt.
In ihrem Unterrichtsbuch unterweist die Siegemundin ihre fiktive Gesprächspartnerin denn auch: Damit ich dich aber zu Verstande bringen kann, wie die Händlein-Geburten, bald bey angehender Geburt, weil das Wasser noch steht, zu verhüten seyn, so musst du des Kindes Finger kneipen oder drucken, so zeucht es das Händlein von selbst zurücke.
Vom ersten Erfolg und von den Schwangeren ermutigt, die sie nun ständig zu Hilfe holen, beginnt sie als Wehemutter zu wirken und tut dies im Umkreis ihres Dorfes Ronnstock zwölf Jahre lang. Sie lernt dabei auch Anomalien der Lage des Kindes kennen und diese zu entwickeln, sie in eine gebärfähige Lage zu wenden.
Die Schwierigkeiten des Wendens bei gesprungener Fruchtblase erklärt Justine an einem Beispiel: Das Kind lieget in der Mutter (im Uterus) wie in einem nassen Tuche, dass dem Kind am Leibe anklebet. So denke doch: wenn ich ein naß Hemde anhätte und du solltest mich aus dem Hemde herausziehen. Aber: noch schwerer, wenn ich müsste darin umgekehret werden.
Eine Wende in ihrem eigenen Leben tritt ein, als sie, nach erfolgreichen Entbindungen von Pfarrersfrauen und Frauen des Landadels, vom Liegnitzer Magistrat als Wehemutter angefordert und angestellt wird. Auf Bitte eines Medico zu einer Frau gerufen, wird sie mit einem auch für sie neuen Fall konfrontiert und findet eine operative Lösung: Es war eine hohe Person, der ein Gewächs in der Mutter angewachsen, das schon anfieng zu faulen, und wo es nicht würde weggenommen, ihr der gewisse Tod drohte. Ich versuchte es mit einem Haaken zu fassen, in der Meynung, es allmählig herauszuziehen, fand es aber angewachsen. Sie lässt sich etwas anderes einfallen: Ich nahm ein weißes Band, machte daraus eine Schlinge und brachte diese vermittels meiner rechten Hand und Finger über dem Gewächse an. Wie es recht gefasset, zog ich die Schlinge mit der linken Hand zu und schnitt hernach durch eine lange Scheere das Gewächse so glücklich ab, dass diese hohe Person noch neun Jahre hernach lebte.
Um 1686 wird die Siegemundin von einer, in ihrem Buch als gewisse weibliche Person bezeichneten, schwangeren Hofdame nach Berlin zur Entbindung gerufen. Hier erfolgt kurze Zeit später ihre Anstellung als Königlich-Preußische und Churbrandenburgische Hofwehemutter. Am Hofe Friedrich III. wird am 15. August 1688 der spätere Friedrich Wilhelm I. geboren. Hat die Siegemundin diese Entbindung geleitet?
Es klingt fast wie eine Rechtfertigung, wenn sie erklärt, wie sie zum Schreiben kam. Sie hat die Wartezeit bis zur Niederkunft der Frauen jedes Mal damit ausgefüllt, ihre Gedanken und Anmerkungen über die schweren Fälle zu Papier zu bringen. Sie schrieb: Es nicht zu vergessen und bey anderen desto mehr davon zu reden, Berufskolleginnen ihre Erfahrungen weiterzugeben.
Während der Entbindung einer Prinzessin von Nassau in Holland trifft sie mit Maria II., Gemahlin des englischen Königs Wilhelm III., zusammen und zeigt ihr die zu einem Manuskript angewachsenen Notizen. Die Majestät äußert hierüber ihr gnädigstes Gefallen und mahnt, das Manuskript fördersamst zum Drucke zu verfertigen.
Solcherart ermutigt, macht sich die Siegemundin ans Werk, reist von Holland nach Frankfurt an der Oder zur 1506 gegründeten Universität, um Vorhaben und Buch der Medicinischen Facultät hochverständiger Censur zu untergeben, die sich dann darzu auch willfährig erwisen und nach Durchlesung meines Buches mich zum Drucke ermahnten.
Ihr Gruß an die Frauen unsrer Zeit: Solchergestalt ist dieses Buch, das so lange, wie in einer Geburt gestecket, ans Licht gekommen, und soll, weil ich keine Kinder zur Welt gebohren, das seyn, was ich der Welt hinterlasse.
An den geneigten Leser, also an die Wehemütter, die an ihrem Wissen und an ihren praktischen Kenntnissen teilhaben sollten, richtet sie diese mahnenden Worte: Es ist nicht genug, dass eine Wehemutter sagen kann, sie habe viel schwere Geburten unter den Händen gehabt; besser ist es, wenn sie schwere Geburten zu verhüten weiß.
Wie notwendig solcher Unterricht und nachdrückliche Ermahnung sind, sagt sie an anderer Stelle: Da wird gewaget, mag es gleich Kopf- oder Armabreißen kosten. Es ist mir selbst